New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 47: Morgenglanz ----------------------- Tag 126   Als sie das Band erreichten, glitzerte das Wasser im Sonnenlicht. In der Luft lag der Geruch von Rauch, aber es war nicht der schmutzige Gestank des Krieges, sondern die würzige Heimat vieler Digimon. Das Gras war hier kürzer, teils sogar gepflegt, und die Bäume, die den Fluss säumten, bunt und lebensfroh. Die Gegend, die sie durchquerten, kam Matt so vertraut vor, dass er sogar ein wenig melancholisch wurde. Hier war er oft mit den Ehernen Wölfen umhergestreift. Einmal erkannte er sogar einen ihrer alten Lagerplätze wieder, in der Nähe des Staudamms. Einträchtig waren sie im Schutz der Bäume dagesessen, um ihr Feuer herum, das Funken in den Nachthimmel warf. Die Lichter der Kesselstadt waren zu sehen gewesen, lebendig und doch so weit von ihnen entfernt, dass der Anblick etwas Angenehmes gehabt hatte. Ein Kyuubimon hatte es als romantisch bezeichnet, das wusste er noch. Als er auf Garurumons Rücken daran vorbeiritt, schmeckte Matt fast wieder das gebratene Fleisch auf seiner Zunge. „Woran denkst du, Matt?“, fragte Garurumons grollende Stimme irgendwann, als sie flussaufwärts weiterreisten. „Ach, an nichts“, wehrte er ab. „Ich überlege nur, wohin wir reiten sollen. Es gibt nicht wirklich einen Ort in der DigiWelt, den wir unsere Heimat nennen könnten.“ So war es, leider. Früher hätte er die Unabhängigkeit begrüßt, aber jetzt, nach so viel Krieg, dass er die Nase voll davon hatte … Es kam ihm so sinnlos vor. Ja, sie waren wieder frei, doch wohin sollten sie gehen? Wohin gehörten sie? Er dachte an Taichi, den Drachenritter, seinen Rivalen für kurze Zeit. Nachdem er ihr Minneduell verloren hatte, war er in sein Königreich zurückgekehrt. Nach jeder gewonnenen Schlacht und nach jeder verlorenen wartete das Reich mit seinem König auf ihn, wie ein sicherer Hafen. Gewiss hatte er dort auch Freunde, Kameraden, vielleicht sogar eine neue Geliebte. Menschen und Digimon, die ihm etwas bedeuteten. Und Matt? Er hatte höchstens die Ehernen Wölfe, und die wiederzufinden, war fast unmöglich … „Matt?“ Erst jetzt wurde ihm der Nachhall von Garurumons Worten bewusst. „Was? Tut mir leid, ich war in Gedanken.“ „Ich habe gefragt, ob du vielleicht nach Santa Caria willst. Wahrscheinlich nehmen uns die Feinde des DigimonKaisers und der Schwarzen Rose gern in ihre Dienste auf.“ „Hm“. Santa Caria. Die Hochburg des Löwenkönigs. „Das halte ich für keine gute Idee.“ „Und warum nicht?“ „Der Drachenritter lebt dort.“ „Das macht doch nichts. Glaubst du, er nimmt dir die Sache mit Mimi noch übel? Hätte er damals gewonnen, wären eure Rollen jetzt vertauscht.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelte Matt. Sein Blick glitt in die Ferne, wo die Sonne sich eben ans Senken machte. „Er ist ein erfahrener Krieger. Taichi hätte sich sicher nicht so einfach fangen lassen. Und wenn doch, wäre jemand gekommen, um ihn zu befreien.“ „Ach, Matt“, seufzte Garurumon. „Du hast es nicht nötig, dass jemand dich befreien kommt. Das siehst du doch. Wir hätten uns sogar fast selbst befreit.“ „Trotzdem, wir haben vielleicht nicht noch einmal so ein Glück.“ „Darum können wir ja jemandem die Treue schwören. Viele tun das in letzter Zeit.“ „Das bringt doch auch nichts. Leute wie Taichi werden vielleicht freigekauft, weil sie ein gutes Lösegeld bringen. Nach uns wird kein Hahn krähen.“ Garurumon blieb stehen. „Du bist der rechtmäßige Shogun von Little Edo“, erinnerte es ihn. „Hast du das schon vergessen?“ Matt schnaubte. „Von wegen. Little Edo gehört dem DigimonKaiser. Es gibt hundert andere, die besser dafür geeignet wären, Shogun zu sein. Ich hätte mich da nie einmischen sollen.“ Einen sicheren Hafen, etwas Rückendeckung für die Ehernen Wölfe, das hatte er gewollt, aber vermutlich war das in Kriegszeiten einfach nur egoistisch gewesen. Ein paar Hütten in einem Dorf hätten genügt, doch Matt hatte nach den Sternen gegriffen, nur um festzustellen, dass sie glühende Feuerbälle waren. „Sag das nicht. Du hast getan, was du für am besten gehalten hast.“ „Aber es war nicht das Beste.“ Matt seufzte. „Taichi hätte es ganz anders gemacht.“ „Hör endlich auf, dich mit Taichi zu vergleichen!“ Garurumon klang wütend. „Er ist ein völlig anderer Mensch als du, aber das heißt nicht, dass du schlechter bist! Man kann nie vorher wissen, wie sich etwas entwickelt, und meistens weiß man auch hinterher lange Zeit nicht, was dabei noch alles herauskommt!“ Er seufzte nur deprimiert. „Matt, ich weiß, was in dir vorgeht. Ich kenne dich gut genug“, brummte Garurumon sanft. „In der Welt hat nicht jeder die gleichen Chancen. Manchen wird ein Rittertitel zugeworfen, andere müssen sich auf der Straße durchschlagen. Aber davon darf man sich nicht fertigmachen lassen, und es ist auch nicht das, was zählt. Man muss das Beste aus dem machen, was man hat und was man ist, und wer nie einen Fehler gemacht hat, hat nicht gelebt.“ Matt seufzte wieder, und er wusste selbst, dass es unwillig klang. „Na, ich weiß nicht …“ „Du weißt es nicht, ich schon. Also muss ich recht haben“, sagte Garurumon amüsiert. Matt schnaubte, aber er zog einem Mundwinkel hoch. „Denkst du nicht, dass das gemogelt ist?“ „Kann schon sein“, erklärte Garurumon. „Ich glaube, ich weiß, was du jetzt brauchst, Matt. Ich glaube, du brauchst einfach eine Aufgabe. Reiten wir nach Santa Caria und tun wir, was wir am besten können, ja?“ Matt rang noch einen Moment mit sich. Vielleicht war es ja gar nicht so verkehrt, zu akzeptieren, dass Taichi einfach anders war als er. Vielleicht war es im Gegenteil verkehrt, sich mit ihm – oder sonst wem – vergleichen zu wollen. „Also schön“, gab er klein bei.     Tag 127   Die Flügel des Airdramons waren das Einzige, das die Luft dieses herrlichen Morgens verwirbeln ließ. Die Sonne ging in Kens Rücken über dem Meer auf, strahlend hell über spiegelglattem Ozean, funkelnd in tausend Facetten. Er ließ sich einmal mehr das Rätsel durch den Kopf gehen, das Devimon gefunden hatte. Mittlerweile kannte er es auswendig, und jetzt hatte er gerade Zeit. Deinen Blick sollst du zum Anfang des Himmels richten. Großer Künstler, der du Eisen zu Gold machst, wie sehr bist du zu bedauern. So sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er scheiterte schon an der ersten Zeile. Der Anfang des Himmels, war das der Horizont? Der Horizont hinter ihm war ein Gusswerk aus Licht und Meer, der vor ihm die dunstigen, kantigen Umrisse des Kontinents. Ken ließ sich dadurch nicht die Laune verderben. Der Tag war zu schön, die Morgenluft frisch, hier oben fast kalt, und vertrauter, salziger Geruch drang in seine Nase. Es war fast wie zuhause, nur noch reiner und klarer. Schließlich wollte er das tun, worüber er die ganze Nacht wachgelegen war. Ich möchte dir eine neue Regel vorschlagen, Deemon. Selbst der Schatten des Digimons, der neben Airdramon herschwebte, als es in der Zeit innehielt und reglos im Himmel verharrte, konnte ihm den Tag nicht vermiesen. „Sieh an. Die Dinge laufen gut für dich, und schon wirst du übermütig, Ken?“ Er ignorierte diese Worte. Ich habe über weite Teile dieses Spiels immer noch keine Informationen. Zum Beispiel auch, was meine angebliche Vergangenheit angeht, all diese Dinge, die jeder weiß, nur ich nicht. Dinge, die du in die Welt gesetzt hast. Ich bin im Nachteil, wenn ich darüber nicht Bescheid weiß – das Treffen mit Willis hat mir das deutlich gemacht. „Und du willst mich dazu bringen, dir diese Dinge zu verraten? Bist du sicher, dass du nicht nur auf die Prophezeiung auf der Steinplatte anspielst, Ken? Ich werde sie dir nicht erklären.“ Das hatte ich nicht erwartet. Nein, ich meine andere Dinge. Ich weiß noch genau, wie du am Anfang gesagt hast, dass du mir nicht alle Spielregeln sofort erklären würdest. Du verschweigst mir absichtlich Dinge, die mir zum Nachteil gereichen. Jetzt mehr denn je, davon bin ich überzeugt. Wenn ich also konkrete Fragen zur Vergangenheit oder zu einer gewissen Spielregel habe, wirst du sie mir genau erklären – und mir nicht sagen, dass ich sie selbst herausfinden soll. Deemon wirkte amüsiert. „Und wie willst du mich dazu zwingen?“ Durch einen Handel. Für jede Information baue ich dir Türme – dorthin, wo sie mir nichts bringen. Zwei Türme gleich nebeneinander bringen mich nicht weiter, aber deine Macht wächst schneller an. Du sagst mir, wie viel dir eine Information wert ist, und ich baue dir entsprechend viele Türme. „Dir ist klar, dass ich trotzdem nicht immer antworten, aber sonst stets mehr verlangen werde, als die Information vielleicht in deinen Augen wert ist?“ So ist das bei einem Geschäft. Wenn du gelogen hast oder dein Preis viel zu hoch war, werde ich die Türme in Soldaten verwandeln lassen. Dann habe ich etwas davon, und du nicht. Sei froh, wenn du mehr Grund hast, mit mir zu sprechen. Die Saatkinder dürften mittlerweile langweilige Gesprächspartner sein. „Du bist wirklich selbstsicher geworden, wenn du mir einen solchen Handel vorschlägst. Was möchtest du wissen?“ Du hast viele tote Digimon wiederbelebt. Devimon zum Beispiel, oder deine eigenen Anhänger. Ich will vermeiden, dass mich weitere überraschen, vor denen ich mich in Acht nehmen sollte. Was ist mit Myotismon und den Meistern der Dunkelheit? Ob du es mir verrätst oder nicht, es dient nur meiner Vorbereitung, und ich kann es einfach überprüfen. „In der Tat. Gib mir zehn Türme dafür.“ Fünf. Es sind fünf Digimon, und falls mir die Wahrheit nicht gefällt, kann ich ohnehin nichts daran ändern, wenn ich sie erst kenne. „Acht. Dafür verrate ich dir auch, was mit Etemon ist.“ Dann sind es sechs. „Sieben für Apocalymon.“ Nein. Dass Apocalymon nicht hier ist, weiß ich mit ziemlicher Sicherheit. Immerhin kam es von dort, wo du gerade bist. Deemon wirkte amüsiert. „Es war nie die Rede vom Feilschen. Also gut. Sechs Türme. Etemon wurde vernichtet. Sein ewiger Feind Datamon hat sich mit Takashi zusammengetan, schon am Anfang unseres Spiels, und sie haben es gemeinsam besiegt. Myotismon konnte ich für mein Spiel nicht gebrauchen. Es wäre vielleicht zu eigensinnig gewesen, und wenn ich seine Erinnerungen umgeschrieben hätte, hätte es niemals ein so hartnäckiges Digimon ergeben. Außerdem waren seine Daten zu lange fremden Welten ausgesetzt. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Die Meister der Dunkelheit nehmen ebenso nicht an unserem Spiel teil. Sie bekamen ihre Macht von Apocalymon, das, wie du sagtest, kein Digimon der DigiWelt war. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht wiederherstellen, es war tot, ehe es die DigiWelt betrat. Darum kann ich auch nichts von seiner Macht zurückbringen. Bist du zufrieden?“ Ja. Ich gebe die Türme sofort in Auftrag. Ken funkte die entsprechende Stelle an. Sechs Türme für die Gewissheit, dass er sich um die anderen früheren Feinde der DigiRitter keine Sorgen machen musste. Schon lange ätzte dieser Gedanke in seinem Hinterkopf. Es war ein guter Preis, fand er. Deemon verschwand wieder. Ken war froh darüber, denn eigentlich wollte er im Moment lieber in der Wirklichkeit sein und nicht in seinen Gedanken. Ich habe auch allen Grund dazu, dachte er und streichelte das Digimon auf seinem Schoß. Leafmon öffnete träge die Augen, und er lächelte. „Habe ich dich geweckt?“ „Nein“, sagte es mit hoher Stimme. „Ich habe nur vor mich hingedöst.“ „Du verpasst den Ausblick.“ Er hatte das Digimon wie ein Baby in sein Cape eingewickelt, damit der Flugwind ihm nichts anhaben konnte. Es war wie der erste Lichtstrahl nach einer langen Nacht gewesen, als Devimon ihm gestern Abend die Nachricht hatte zukommen lassen, dass ein Leafmon aus einem DigiEi geschlüpft war. Als hätte es nur darauf gewartet, dass Ken seinen Kampfgeist wiederfand und Deemon die Stirn bot. Deswegen war er auch sicher gewesen, dass es sich um seinen Partner handelte. Er war sofort losgeflogen, alleine, und hatte Leafmon in seiner Wiege im Schatten eines Baumes liegen sehen. In dem Moment hatte er es bedauert, nicht jeden Tag zur File-Insel geflogen zu sein und die Stadt des Ewigen Anfangs nach ihm durchsucht zu haben. Damals hatte er es schließlich auch schon in seinem DigiEi gefunden und damit zum Schlüpfen gebracht. Aber nun, nachdem er endlich wieder mit ihm vereint war, war dieses Bedauern wie weggewischt. Zum ersten Mal seit langem war er tatsächlich glücklich. Hier, so hoch oben, herrschte Frieden. Frieden. „Es tut mir leid“, sagte er plötzlich. „Warum entschuldigst du dich?“ Leafmon sah ihn mit großen Augen unter seinem Blatt an. „Ich wollte, dass du in eine friedliche Welt wiedergeboren wirst, aber ich habe es noch nicht geschafft, diesen Krieg zu gewinnen.“ „Mach dir keine Gedanken“, sagte es aufmunternd. „Du brauchst mich eben, um das zu schaffen. Jetzt bin ich ja wieder da, also werden wir das ganz schnell gemeinsam in die Hand nehmen, ja?“ Ken lächelte. „Einverstanden.“ „Ken, noch etwas.“ „Ja?“ „Ich weiß, dass du als Nächstes anfangen wirst, dir Vorwürfe zu machen, weil ich mich für dich geopfert habe. Aber das habe ich gern getan. Und ich weiß, dass du es genauso für mich tun würdest, selbst wenn ich es nicht will. Lass uns also nicht darüber reden, ja?“ Er lachte. „Du kennst mich zu gut. Okay, lass uns nur in die Zukunft sehen.“   Wenige Minuten später machten sie einen Zwischenstopp auf der Stiefelspitze. Das Meer war rauer geworden; zwischen sprühender Gischt und schroffen Felsen trafen sie sich mit Oikawa und Datirimon. Oikawa hatte Nadines Idee kopiert, einen kleinen Pavillon wie eine Sänfte auf den Rücken eines Ookuwamons zu bauen, um darin relativ ruhig und windgeschützt reisen zu können. Die Konstruktion erinnerte Ken zwar ein wenig an die Dornen, die die Rose in seinem Herzen hinterlassen hatte, aber dann würde er diese Erinnerungen eben einfach mit etwas Angenehmerem überschreiben. Vor dem Weiterflug frühstückten sie, auf einer Klippe, die gerade hoch genug war, dass die brandenden Meereswellen sie nicht nassspritzten. Oikawa hatte einen Klapptisch und zwei Stühle vorbereiten lassen und aus einem nahen Dorf Backwaren besorgt; außerdem gab es schwarzen Kaffee. Das Frühstück hatte etwas Unwirkliches, fast war es, als machte Ken inmitten einer fantastischen Landschaft Urlaub. Oikawa übertraf sich jedes Mal selbst, wenn es darum ging, ihn zu überraschen – und seinen Worten zufolge lag das daran, dass er die DigiWelt einfach so wunderbar fand, dass er jede Möglichkeit ausnutzen wollte, sie zu genießen. Vielleicht war das auch das Geheimnis, wie man diesen Krieg als eine der Schlüsselfiguren durchstehen konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Datirimon und Leafmon verstanden sich auf Anhieb gut und tollten bald über die Felsen. Oikawa hatte seinem Partner alles über den Kampf gegen MaloMyotismon erzählt, und es machte riesige Augen, als es erfuhr, dass Leafmon selbst Teil des Digimons gewesen war, das es letztendlich besiegt hatte. „Takashi hat übrigens ohne Schwierigkeiten kapituliert. Unsere Digimon halten ihn momentan fest“, berichtete Oikawa und goss sich noch eine Tasse ein. Für sie beide war es eine schlaflose Nacht gewesen, aber der frischgebackene Fürst hatte auch etliche Koordinationsarbeiten übernommen, als Ken zur File-Insel geflogen war. „Sehr gut.“ Plötzlich ist alles so einfach. Ken sah lächelnd zum Horizont. Deinen Blick sollst du zum Anfang des Himmels richten … Kurz darauf flatterten die Stoffplanen im Wind, als sie unter dem Knattern von Ookuwamons Insektenflügeln weiter in Richtung Kaktuswüste flogen. Währenddessen folgte die nächste gute Nachricht: Spadamon funkte ihn kurz an, wünschte ihm aber lediglich einen guten Morgen. Jeder, der sein Kommunikationssystem abhorchte, würde höchstens die Stirn runzeln, aber Ken wusste, was es bedeutete. Musyamon hatte Erfolg gehabt. Die Felsenklaue gehörte nun ihm allein.   Sie überflogen die Stiefelbucht und kamen so schneller in die Wüste als auf dem Landweg, aber es wurde trotzdem Nachmittag, ehe sie die Stelle erreichten, an der Arukenimons Schwarzturmtruppen Takashis Hauptquartier, die Pyramide, gefunden hatten. Mittlerweile war es dort brütend heiß. Weit und breit gab es keine Schwarzen Türme mehr, aber es waren bereits neue im Aufbau. Ken würde sein DigiVice an ihnen benutzen, wenn er die Zeit fand. Arukenimon war erschöpft. Es lehnte im Schatten der Sphinx, die sich gleich gegenüber der Pyramide befand. Vermutlich hatte es die bisher anstrengendste Nacht seines Lebens hinter sich. Allein mit Schwarzturmdigimon und einer kleinen Eskorte treuer Soldaten hatte es die Wüste erobert. Zum Glück konnte es auch Takashis Türme in Digimon verwandeln. Nachdem es die Armee hinter den feindlichen Linien vergrößert hatte, hatten schnelle Schwarzturmdigimon einen Blitzschlag gegen den Einhornkönig ausgeführt. Danach hatte Arukenimon nur wenig Zeit gehabt, auch die restlichen Türme in der Wüste zu verwandeln, ehe General Baronmon mit seiner Armee nachgerückt war. Mehreren Ultra-Digimon zugleich war es schließlich gelungen, sogar das fürchterliche Deckerdramon auszuschalten. Als klar gewesen war, dass der König verloren hatte, hatte Baronmon zum Rückzug geblasen. Ironischerweise war ihm dasselbe passiert wie General Zephyrmon, gegen das es gekämpft hatte. Ken war froh, dass er dieses Digimon endlich los war. Mummymon war bei Arukenimon und redete auf es ein, was es zu nerven schien, aber Ken überließ die beiden Oikawa. „Du kannst sie ruhig loben, Yukio“, flüsterte er ihm noch zu. Oikawa lächelte rätselhaft und stapfte auf die Sphinx zu, während Ken sich, Leafmon auf der Schulter, dem entthronten König zuwandte. Takashi stand in der prallen Sonne vor dem Eingang der Pyramide, die Hände brav hinter dem Kopf verschränkt. Der Junge ist gewachsen. Nur seine braunen Locken waren dieselben geblieben. Er trug legere Kleidung, unpassend für einen König. Sein Digimon war nirgendwo zu sehen; nach allem, was Ken wusste, hatten Arukenimon und Mummymon es weggesperrt und Takashi sein DigiVice abgenommen. Die Nachricht von ihrem Sieg hatten sie auf offenem Kanal gesendet; auch wenn er damit Angriffe provozierte, es sollte ruhig jeder wissen, dass der DigimonKaiser noch sehr scharfe Klauen hatte. „Da hast du mich aber ziemlich erwischt“, sagte Takashi. Offenbar bewahrte er seine Kontenance. Dass er so respektlos mit ihm sprach, störte Ken nicht; nur hirnlose Schwarzturmdigimon waren in der Nähe. „Du bist doch Ken, oder?“ „Ja. Derjenige, der glaubt, dass das hier mehr ist als ein Spiel“, murmelte Ken düster. Takashi lachte. Wenn man den Berichten Glauben schenken durfte, war er freiwillig aus der Pyramide hervorgekommen, sobald seine Verteidigungstruppen besiegt worden waren. Als wollte er aus irgendeinem Grund keine Belagerung riskieren, hatte er sich erstaunlich schnell ergeben. „Schön, du hast mich überrumpelt. Verrätst du mir den Trick, wie du so schnell Truppen bekommen hast? Oder ist das ein Bug?“ „Nein“, sagte Ken nur. „Wo ist Keiko?“ „Keine Ahnung. Vermutlich noch in Chinatown. Bringst du mich jetzt um?“ „Nein!“, knurrte Ken. „Und ich schwöre dir, wenn du irgendwie Selbstmord begehst, weil du glaubst, dass du wiedergeboren wirst, dann lasse ich dich hinterher überall in der DigiWelt suchen und foltere dich!“ „Autsch“, murmelte Takashi unbeeindruckt. „Schön, was hast du dann mit mir vor?“ „Ich sperre dich zu deinen Kumpanen. Aber zuerst lieferst du mir ein paar Informationen. Mummymon!“ Er winkte das Mumiendigimon her, das wenig erpicht darauf war, wieder Gefängniswärter spielen zu dürfen. „Ist das Innere der Pyramide schon gesichert?“ „Was? Nicht ganz.“ „Dann bring ihn in die Sphinx. Ich komme gleich nach.“ Während Mummymon den Einhornkönig an der Schulter packte und vor sich herschieben wollte, rief dieser Ken noch etwas über die Schulter hinweg zu. „Ich weiß, du glaubst, dass du mich entmachtet hast. Aber ich sag dir was: Egal, ob du mich umbringst oder nicht, ich werde wiedereingesetzt werden, so oder so.“ Während genau dasselbe Digimon, das Takashi vor so vielen Jahren schon einmal entführt hatte, ihn nun in sein neues Gefängnis bugsierte, sah Ken ihm nachdenklich hinterher. Irgendetwas an seinen Worten beunruhigte ihn.     Die Reise dauerte lange, aber hier im Halbdunkel konnte man auch schnell jedes Zeitgefühl verlieren. Yolei tigerte in Whamons Maul auf und ab. Gern hätte sie sich irgendwo ein paar Stunden aufs Ohr gelegt, aber sie fand es ekelig genug, wenn nur ihre Stiefel die weiche, nasse Zunge des Digimons berührten. Betamon hatte weniger Abscheu vor dem Maul, in dem es reiste. Es huschte zwischen den Zähnen des Whamons umher und spielte Verstecken mit Michael, der halbherzig so tat, als würde er es verfolgen. Obwohl sich das Gesicht des Ritters mit jeder vergehenden Stunde mehr umwölkte, brachte er somit Mimi zum Lachen. Yolei hatte einmal mehr das Gefühl, einfach im Weg zu sein. Fast wünschte sie sich, nach dem Fall von Little Edo einfach ihrer Wege gegangen zu sein. Immerhin war sie eine Rōnin. Nur eine herrenlose Söldnerin. Die Ninjamon in der Hauptstadt hatten das ja oft genug betont. Ach, diese ewige Finsternis und der Geruch nach Fisch machten sie noch ganz depressiv! „Komm, Hawkmon“, sagte sie. „Wir tüfteln einen Schlachtplan aus.“ „Wir?“ Der Vogel blinzelte verwirrt. „War nicht immer Michael für unsere Pläne zuständig?“ „Das ist mir egal. Wir schmieden einen eigenen Plan!“ „Na, wenn es dir ein Anliegen ist …“, murmelte Hawkmon, nicht überzeugt. Was war bloß los mit allen? War sie denn für nichts gut genug? „Sagt mal, Yolei …“, hörte sie Michael hinter sich, während Hawkmon ihr zum dritten Mal erklärt hatte, dass der Plan, den sie sich auf Whamons Zunge vorstellen mussten, nichts taugte. „Was?“, fragte sie ungehalten. „Kann es sein …“, begann er zögerlich, „dass ich Euch irgendwie brüskiert habe? Ihr seid so … abweisend mir gegenüber.“ Yolei runzelte die Stirn. „Alles bestens“, erklärte sie, zu spät, um glaubwürdig zu wirken, und stand auf. „Ich sehe Euch an, dass Euch etwas an mir stört. Wenn es möglich ist, würde ich das gern aus der Welt schaffen“, blieb er hartnäckig. Sie stöhnte. „Das ist ja das genau das Problem! Ihr seid einfach so perfekt! Ihr seid ein edler Ritter, ein guter Stratege, ständig um uns besorgt, Ihr bringt Mimi zu lachen und kaum benimmt sich jemand mal seltsam, sucht Ihr die Schuld bei Euch, anstatt diejenige zu fragen, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat!“ Michael blieb überrascht der Mund offen stehen. „Ich … Ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Was genau stört Euch denn jetzt überhaupt?“ „Alles! Und nichts!“ Yolei überlegte eine Weile herum, wie sie es in Worte fassen sollte, dann brach es einfach aus ihr hervor und sie vergaß jede Höflichkeit. „Ach, keine Ahnung, was ich habe! Wahrscheinlich bin ich einfach nur eifersüchtig, weil du und Mimi euch so gut versteht! Ich habe meine ArmorEier nicht mehr und bin kaum noch für irgendetwas zu gebrauchen.“ Michael betrachtete sie lange. Sie spürte seinen Blick, kühl und klar wie der Ozean. „Ich finde nicht, dass Ihr zu nichts zu gebrauchen seid.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? „Ihr seid eine fähige Kämpferin und Mimi eine treue Freundin. Fragen wir sie; ich bin sicher, ohne Euch würde sie nicht weiterziehen wollen.“ „Untersteh dich!“, rief sie. „Das ist mein Problem, und nicht das von Mimi.“ „Ich sehe da gar kein Problem. Hört auf, Trübsal zu blasen, ja? Ihr macht Euch umsonst Sorgen. Wir alle brauchen Euch, Yolei.“ „Aber …“, begann sie, doch da ertönte eine tiefe Stimme, die alles zum Vibrieren brachte. „Wir sind fast da. Ich werde auftauchen, hier ist das Wasser nicht mehr so tief. Wollt ihr euch selbst davon überzeugen, dass keine Feinde auf euch warten?“ „Werden wir.“ Kabukimon trat auf Yolei zu. „Yolei, Hawkmon, wir drei werden als Erstes rausgehen. Whamon selbst hat vielleicht nicht die scharfen Augen, die wir brauchen.“ „Da seht Ihr“, meinte Michael mit einem Lächeln, das wie festgewachsen schien. „Ihr werdet doch gebraucht.“ Yolei verkniff sich jede Antwort. Sie nickte Hawkmon zu und gemeinsam folgten sie Kabukimon nach vorne zu Whamons Zahnreihen. Das Digimon öffnete sein Maul nur ein winziges Stück, gerade so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnten, aber erstmal mussten sich Yoleis Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnen. Sand und Meer, dachte sie. Das spiegelt das Sonnenlicht sicher besonders gut. Kabukimon bückte sich zuerst durch die Lücke, dann Yolei. Hawkmon konnte aufrecht hindurch gehen. Frische, salzige Luft strömte in ihre Lungen. Es war eine Wohltat. Das Meer rauschte, und irgendwo kreischten Digi-Möwen. Also finden sie sogar in der Wüste Nahrung. Interessant. Als Yoleis Augen sich an das grelle Licht gewöhnt hatten, war von einer Wüste jedoch keine Spur. Eine halbe Meile vor ihnen erhob sich eine Insel aus dem offenen Meer. Schräg lag eine Bucht da, daneben waren Auswüchse aus Fels zu erkennen, mindestens drei, wahrscheinlich mehr. Mit etwas Fantasie sah die Insel aus wie eine riesige Hand, die aus dem Wasser ragte, wobei der Bereich zwischen Daumen und Zeigefinger die Bucht bildete. Das Fundament der Insel bestand aus gelbbraunem, zerklüftetem Gestein. Über den Steilklippen waren ein sattgrüner Wald und bunte Orchideen zu sehen. „Was soll das?“, murmelte Yolei. „Wo sind wir? Wo ist das Festland?“ Unsicher wandte sie sich zu Kabukimon um. Das Digimon wirkte gar nicht überrascht. Es hatte die Arme verschränkt, sein Tänzergewand wehte im Wind. „Man nennt sie die Hand-Insel. Du kannst sehen, warum. Es gibt kaum Karten, auf denen sie verzeichnet ist. Mehr oder weniger ist sie ein Paradies – es gibt genug zu essen für uns alle.“ Yolei fühlte sich wie im falschen Film. „Was heißt das, genug zu essen? Was wollen wir hier? Wusstest du, dass Whamons uns hierher bringt?“ „Natürlich. Ich habe es ihm so aufgetragen.“ „Warum?“, hakte Yolei nach. „Was hast du wieder ausgeheckt?“, fragte Hawkmon und flatterte irritiert in die Lüfte. „Du bist Prinzessin Mimis beste Freundin, Yolei. Es ist besser, wenn sie es von dir erfährt.“ „Was erfährt?“ Wann rückte es endlich mit der Sprache raus? „Dass wir nicht zur Kaiserwüste fahren, um den Ehernen Wolf zu befreien“, erwiderte Kabukimon. „Wir werden hier auf der Insel bleiben und das Ende des Krieges abwarten.“ „Das Ende des Krieges? Was soll da heißen? Was hast du vor?“ Das Digimon schnaubte. „Dein Ritter-Freund hat recht, was die Festung des DigimonKaisers angeht. Selbst mit all unseren Digimon kommen wir nicht hinein. Den Wolf befreien zu wollen ist Selbstmord. Aber hier … Hier können die Prinzessin und ihre Getreuen unterkommen. Selbst wenn die anderen Reiche den Kontinent in Stücke reißen, sind wir hier sicher. Und das war doch immer unser erklärtes Ziel, nicht wahr? Die Sicherheit der Prinzessin zu garantieren. Und sie will diejenigen schützen, die ihr treu ergeben sind.“ Yolei schüttelte fassungslos den Kopf. „Dieses ganze Theater … hast du das etwa alles geplant?“ „Ich bin ein treuer Diener des alten Shoguns“, beteuerte Kabukimon. „Nichts liegt mir mehr am Herzen, als sein Mündel zu beschützen.“ „Der alte Shogun ist aber tot“, schnappte Yolei. „Und Mimi ist jetzt die Königin! Sie hat dich nie gebeten, sie fortzubringen!“ „Ein treuer Untertan muss sich manchmal über seine Befehle hinwegsetzen“, behauptete der Rebellenführer. „Ich habe getan, was das Beste war.“ „Von wegen! Du hast uns hierher verschleppt! Hawkmon, sag doch auch was dazu!“ „Ich kann seine Ansichten verstehen, Yolei“, sagte ihr Partner. „Es wollte einen sicheren Platz für uns alle.“ „Dann hätte es das sagen sollen!“, rief Yolei zornig. „Du hast uns belogen, Kabukimon, uns alle! Wir waren bereit, in den Kampf zu ziehen! Du hast Mimi falsche Hoffnungen gemacht!“ Wir alle brauchen Euch, Yolei. Ach ja? Kabukimon brauchte sie nur, um seinen Lügenmantel zu perfektionieren. „Wenn du es ihr erklärst, wird sie es verstehen.“ „Nein! Ich lasse mich von dir nicht mehr für so etwas einspannen! Die Sache mit Karatenmon hat mir schon gereicht! Ich sage ihr sofort, was du für ein mieser Verräter bist!“ „Yolei, denk doch nach“, bat Kabukimon, aber sie zwängte sich schon wieder an Whamons Zähnen in dessen Inneres und wäre dort fast mit Michael zusammengestoßen. „Alles in Ordnung?“, fragte er überrascht. „Wir dachten, euch streiten gehört zu haben.“ „Gar nichts ist in Ordnung“, machte Yolei ihrem Ärger lautstark Luft. „Kabukimon hat uns alle auf den Arm genommen! Wir sind gar nicht vor der Wüste! Da ist nur irgendeine Insel, und wir sollen uns darauf verstecken!“ Überraschte Rufe wurden unter den Digimon laut, fragende Blicke wurden ausgetauscht. Offenbar wussten selbst Kabukimons treueste Anhänger nichts davon. „Ist das wahr?“, fragte Mimi. „Ich hätte es Euch gern auf andere Weise beigebracht, aber ja“, sagte Kabukimon, das sich unter den Zähnen hindurchbückte. „Wir haben einen sicheren Hafen erreicht, Prinzessin. Hier können wir in Frieden leben. Ihr seid bei Eurem Volk. Spielt es eine Rolle, wo Ihr Euer Königreich aufbaut?“ „Mein Volk? Mein Volk?“, wiederholte Mimi schrill. „Matt wird vom DigimonKaiser gefangengehalten!“ „Wir können leider nichts für ihn tun. Fragt Euren Ritter.“ „Und was ist mit den ganzen armen Digimon, die jetzt Schwarze Ringe tragen? Sollen wir Musyamon und den DigimonKaiser einfach tun lassen, was sie wollen?“, fragte Yolei. „Wir haben gerettet, so viele wir konnten. Nehmt Vernunft an, Prinzessin. Sir Michael, Ihr werdet verstehen, warum ich das getan habe.“ Ausgerechnet Michael wollte es als Verbündeten. Der Ritter kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Ich hatte unsere Abmachung anders in Erinnerung.“ „Kabukimon war immer ein guter Anführer“, wagte es ein Ninjamon, zu sprechen. „Es hatte sicher nichts Böses im Sinn. Vielleicht ist es ein guter Plan.“ „Von wegen!“, rief Yolei. „Als wir in Little Edo waren, wusste es, dass wir in eine Falle liefen! Die Ninjamon, die mit uns dort waren, sind nur gestorben, damit es so tun kann, als hätte es Karatenmon zu seinem Nachfolger ernannt!“ „Das musst du mir jetzt erklären“, sagte Mimi. Sie war ein wenig blass um die Nase. Kabukimon senkte die Stimme. „Untersteh dich. Wir waren uns einig.“ „Was?“, drängte Mimi. „Was ist in Little Edo geschehen?“ „Karatenmon war schon längst tot! Es ist direkt nach der Hochzeit gestorben! Kabukimon wollte nur ein paar gute Zeugen, um dein Vertrauen zu gewinnen! Und ich …“, sagte Yolei kleinlaut, „ich hab mich zu der Lüge überreden lassen. Aber ich mache das nicht mehr mit!“ „Du hast erkannt, dass es das Beste war“, sagte Kabukimon. „Prinzessin, wenn Ihr einst unser Volk führen wollt, müsst Ihr verstehen, dass man zuweilen unangenehme Entscheidungen treffen muss.“ Mimi schwieg nachdenklich. „Lass dir nichts einreden“, sagte Michael zu ihr. „Mit dieser Haltung könnte man viele Verbrechen entschuldigen. Deine Entscheidung, Matt zu helfen, war auch keine einfache. Und trotzdem glaube ich, dass du recht hast. Ich habe Kabukimon nie gemocht“, fügte er hinzu. „Der Ritter der Konföderation“, höhnte Kabukimon. „Natürlich, Ihr wollt Mimi lieber auf dem Thron in Little Edo sitzen sehen, wo Ihr sie wie eine Marionette kontrollieren könnt. Euer Kamerad hat ja bereits seine grenzenlose Loyalität und Ehrlichkeit unter Beweis gestellt.“ „Ich bin von niemandem die Marionette“, fauchte Mimi. „Und wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist das Unehrlichkeit!“ „Wenn Ihr reifer seid, werdet ihr die Notwendigkeit davon erkennen“, sagte Kabukimon. „Behandel mich nicht wie ein kleines Kind!“ Mimi stampfte wütend auf. „Du warst es doch, das mir immer eingeflüstert hat, wem ich trauen kann und wem nicht! Damit ist jetzt Schluss! Wir fahren zur Kaiserwüste, und damit basta!“ „Wir bleiben. Lasst uns die Insel gemeinsam erkunden, ich bin sicher, dass …“ „Nein!“, sagte sie mit Nachdruck. Kabukimons Kehle verließ ein hohles Knurren. „Muss ich Euch zu Eurem Glück zwingen? Die Digimon hier wissen, was auf dem Spiel steht. Wollen wir herausfinden, was sie darüber denken?“ Als sein Tonfall drohend wurde und es einen Schritt auf Mimi zutrat, brach der Damm der Selbstbeherrschung in Yoleis Innerem. Mit einem lauten Schrei stürzte sie sich auf Kabukimon, klammerte sich in seine Kleidung und versuchte, es von den Füßen zu reißen. „Yolei!“, schrie Hawkmon. Auch Michael und Betamon stürzten herbei. „Runter von mir!“, schnarrte Kabukimon und schüttelte sich. Helle Blitze verließen seine Hände und schossen haarscharf an Yoleis Armen vorbei. Whamon erbebte. „Nicht kämpfen!“, rief es – und plötzlich stand die Welt Kopf, als es sich aufbäumte. Yolei verlor den Halt, als sie alle unter lautem Geschrei tiefer in Whamons Schlund fielen. Dann traf sie plötzlich von irgendwoher Wasser – und im nächsten Moment fühlte sie sich in die Luft katapultiert und landete auf etwas Gummiartigem. Hustend und spuckend tastete sie nach ihrer Brille und sah sich um. Sie waren alle auf Whamons Rücken – es hatte sie durch sein Atemloch gesprüht. Von hier konnte man die Hand-Insel gut sehen. Yolei war völlig durchnässt. „Dummes Mädchen“, hörte sie Kabukimon knurren und fuhr herum. Obwohl das Digimon seine Maske trug, wirkte allein seine Haltung sauer. „Musstest du dich querstellen? Begreifst du nicht, dass es nur ein paar beruhigender Worte von dir bedurft hätte, um die Prinzessin zu überzeugen?“ „Bevor du daran denkst, solltest du erst mal mich überzeugen! Und mit Lügenmärchen wirst du das ganz sicher nicht schaffen!“, schleuderte sie ihm entgegen. „Du … Alles war perfekt!“ Kabukimons Brüllen war unheimlich, verzerrt und hohl wegen der Maske. Es richtete seine Blütenhände auf Yolei. Ihr DigiVice erglühte, und Aquilamons Krallen rissen Kabukimon von den Füßen. Es überschlug sich, polterte über Whamons Rücken bis dorthin, wo es rutschig in die Tiefe ging. Ächzend richtete es sich auf. „Bist du noch ganz richtig im Kopf?“, schrie Mimi, die sich neben Yolei aufgebaut hatte. „Was war das eben? Wolltest du Yolei gerade angreifen?“ „Prinzessin, ich würde nie …“, begann das Digimon, doch seine Prinzessin unterbrach es. „Lüge! Du wolltest Yolei und mich und Michael manipulieren, und jetzt zeigst du dein wahres Gesicht?“ „Bitte, Prinzessin“, flehte Kabukimon verzweifelt. „Selbst wenn ich Euer Vertrauen missbraucht habe – bleibt auf dieser Insel. Hier seid Ihr sicher!“ Mimi schnaubte. „Als ob Sicherheit allein reichen würde. So viel habe ich gelernt, Kabukimon. Sag Whamon sofort, dass es umkehren soll.“ Der Rebellenführer ließ den Blick über all die Digimon wandern, sie sich hinter Yolei und Mimi aufgestellt hatten. Dann seufzte es schwer. „Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Ich bereue es. Ich hatte wirklich nur Euer Bestes im Sinn, Prinzessin.“ Es drehte sich um und sah zu der Insel hinaus. „Vielleicht könnt Ihr mich eines Tages verstehen. Es tut mir leid. Ohne Euer Vertrauen bin ich nutzlos.“ Damit setzte es eine Blütenhand unter sein Kinn. Licht leuchtete auf … „Warte! Kabukimon!“, rief Yolei und rannte los, doch sie erreichte es nicht mehr. Ein greller Blitz durchschlug Kabukimons Kiefer, seine Maske spaltete sich und wurde davongeweht. Kabukimon fiel mit wehenden Kleidern hintenüber, schlitterte Whamons Rücken hinab und löste sich in Daten auf, ehe es das Wasser erreichte. Schweigend standen sie da und blickten ihm hinterher. Yolei fühlte sich furchtbar. War das ihre Schuld gewesen? Hätte sie das Digimon nicht in die Enge treiben dürfen? Es schien, als wäre genau das eine der unangenehmen Entscheidungen gewesen, von denen Kabukimon gesprochen hatte. Sie atmete tief durch. Das Digimon hatte nur einen Traum gehabt, den es verwirklichen wollte. Es war nicht böse gewesen. Als sie sich mit leidvollem Blick herumdrehte, fiel Mimi ihr in die Arme. Schweigend drückte sie sie an sich. „Danke, dass du auf meiner Seite warst“, flüsterte Yolei ihrer Freundin zu, als sie sich wieder voneinander lösten. Es half nicht wirklich dabei, das Gefühl von Reue zu vertreiben. „Was ist jetzt?“, ließ Whamons tiefe Stimme vernehmen. „Die Reise wurde bereits bezahlt. Wer bestimmt nun, wohin es gehen soll?“ Yolei sah erwartungsvoll in die Runde – aber die Rebellen sahen ihr genauso erwartungsvoll und bedrückt entgegen. „Wer wohl“, sagte Mimi plötzlich. „Die neue Rebellenanführerin wird uns führen.“ Sie drückte Yoleis Hand. „Ich?“, fragte sie ungläubig. „Aber ich bin doch …“ „Du bist genau die Richtige dafür“, sagte auch Michael. „Die treueste Freundin der Prinzessin sollte das Rebellenheer anführen.“ Yolei sah, wie die Digimon zustimmend nickten. Sie schienen mit Kabukimons Entschluss auch nicht einverstanden gewesen zu sein – aber ihren Entschlüssen wollten sie vertrauen? Sie schnaubte, grübelte eine Weile darüber nach und lächelte dann Aquilamon zu. Offenbar hatte sie sich nicht nur einmal an diesem Tag geirrt. „Dann los, Whamon! Bring uns zurück zum Kontinent! Ab jetzt tun wir, was wir selbst für das Richtige halten!“, rief sie, und ihre Entscheidung wurde begeistert aufgenommen.   Out in the shadows I’ve lived all my life Now it’s time for revenge, this is a good day to rise Through daylight and darkness I rode with my troops Now this day has arrived when I will not lose I will fight! (Celesty – Revenge) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)