New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 55: Nemesis ------------------- Tag 140   Matt erwachte, als man ihm einen Eimer eisiges Wasser ins Gesicht spritzte. Prustend und spuckend riss er die Augen auf und versuchte etwas zu erkennen – das Erste, was er mitbekam, war grölendes Gelächter. Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein. Er lehnte mit dem Rücken zu einem der Holztürme. Es war stockdunkle Nacht, nur die Lagerfeuer brannten vor sich hin. Ein Dutzend ungeschlachter Gestalten hatte sich um Matt geschart, und er erkannte keine davon als Freund. Die meisten von ihnen waren stinkender Abschaum, Sukamon, Numemon, Garbagemon. Da war ein Nanimon, dessen Wanken vermuten ließ, dass es seinen Sieg bereits mit Alkohol getauft hatte. Neben ihm, würdevoll und halb im Schatten, Renamon. Und direkt vor Matt stand eine menschenähnliche Kreatur mit Anzug und Dämonenmaske, die eben den Eimer fortwarf und sich zu Matt herunterbückte. Er bemerkte, dass seine Arme über dem Kopf an einen Holzbalken gefesselt waren. „Sieh an“, sagte das Digimon und warmer Atem schlug Matt ins Gesicht. „Das ist also der Mensch, dessen Digimon uns tagsüber so in Atem gehalten hat.“ Als Matt wusste, wen er vor sich hatte, rieselte es ihm kalt den Rücken runter. Astamon. Renamon und Nanimon – den Steckbriefen nach waren das drei der Brigantenanführer, die nun in MetallPhantomons Namen den oberen Teil der DigiWelt terrorisierten. Und Astamon erkannte, dass er es erkannte. Es legte den Kopf schief. „So ist es. Von den sechs Winden der Nadelberge mögen nur noch drei übrig sein, aber wir sind mehr als genug, um dieses jämmerliche Königreich zu stürzen.“ Gelächter von den anderen. Nur Renamon verzog keine Miene und hatte stur die Arme verschränkt. „Gabumon“, stieß Matt zwischen den Zähnen hervor. „Was habt ihr mit Gabumon gemacht?“ „Nur die Ruhe.“ Astamons Kopf ruckte nach links. „Da liegt es doch.“ Die Briganten traten zur Seite, damit Matt einen Blick auf Gabumon erhaschen konnte. Es lag noch immer dort, wo Astamons Schüsse es getroffen hatten, und es war immer noch bewusstlos. Matt biss die Zähne zusammen. „Es geht ihm gut“, beteuerte Astamon mit einem teuflischen Grinsen. „Ich bin mir sicher, MetallPhantomon kaut gerade genüsslich auf seinen Träumen.“ Matts Strampeln brachte ihm nur weiteres Lachen ein. Astamon stand auf. „Gut, ich denke mal, das reicht. Wir haben dich nur aufgeweckt, damit du weißt, wem du es verdankst, dass du bald MetallPhantomons persönliches Traumlager sein darfst.“ Matt zog die Brauen zusammen. „Du fragst dich, was das bedeuten soll, stimmt’s? Ich seh’s dir an. Weißt du, unser lieber König hat beschlossen, die menschliche Denkweise besser zu verstehen. Du wirst ihm dabei helfen. Aber keine Sorge – es wird dich nicht nur durch Albträume jagen. Vermutlich.“ Nach seinem letzten Wort ging das Gegackere wieder los. „Na dann. Renamon, darf ich bitten? Noch so ein gekonnter Schlag, Kamerad.“ Renamon nickte stumm und kam auf leisen Pfoten näher. Matt riss an seinen Fesseln, schaffte es aber nur, sich die Haut wundzuscheuern. Als das Fuchsdigimon direkt vor ihm stand und einen Arm hob, zuckte ein Blitz über das nächtliche Firmament, obwohl tagsüber keine Spur von einem Unwetter zu sehen gewesen war. Der Blitz verglomm nicht einfach. Wie eine Guillotine stürzte er auf die Briganten herab, die nicht wussten, wie ihnen geschah – außer Renamon. Als zwei Sukamon von der leuchtend blauen Klinge, deren Ursprung Matt gar nicht sehen konnte, in Daten verwandelt wurden, wirbelte der Fuchs herum und schaffte es, den Blitz mit seinen Armen abzufangen. Es war stärker, als man vermuten mochte. „Verflucht, was …“, wollte Astamon rufen, doch es wurde von einer Stimme unterbrochen, die Matt kannte. „Lasst sie sofort frei!“ Auf Raidramons Rücken sprang Davis in den verwirrten Kreis der Briganten. Ein weiterer Blitz sprühte aus dem Horn des Digimons, pulverisierte die schwächeren und ließ die anderen auf Abstand gehen. Im nächsten Moment erzitterte die Erde. Röhrend jagte eine ganze Dinosaurierherde aus der Nacht hervor. Die Briganten brachen in heillose Panik aus. Von den Türmen, die am Tag noch der Nordarmee gehört hatten, flogen Wurfgeschosse aus Kot – diese Digimon waren wirklich widerlich. In dem Chaos war Astamon plötzlich verschwunden. Matt sah, wie ein Triceramon das flüchtende Nanimon auf die Hörner nahm und meterweit davonschleuderte. Renamon behielt als Einziges einen kühlen Kopf. Es sauste wie ein Schatten zwischen den Dinosaurierdigimon hin und her und sprang Raidramon an. „Davis!“, schrie Matt. Er bemerkte das Fuchsdigimon fast zu spät. Als er sich von Raidramons Rücken fallen ließ, schossen bereits die ersten Diamantsplitter heran. Ächzend landete er in der Erde, aber er schien nicht schwer verletzt. Raidramon stieß einen wüsten Fluch aus und wollte Renamon rammen, doch mit einem gewagten Sprung schnellte es meterweit in den Himmel und breitete die Arme zu einer neuen Attacke aus. Matt biss die Zähne zusammen. Es ist einfach zu schnell! Da tauchte hinter Renamon ein riesiger Schatten auf, der die schwarzen Umrisse eines Vogels vor den Sternenhimmel malte. Matt meinte zu sehen, wie Renamon den Kopf drehte, um über die Schulter zusehen – und im nächsten Moment entzündete sich die Silhouette des Vogels, der Schatten wurde von einem Flammenkranz eingerahmt. Erst im Tod hörte Matt Renamons Stimme, ein kurzer, abgehackter Schrei, als es am Himmel verglühte. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Sora ging neben Matt in die Knie, inmitten der Schlacht, und versuchte, seine Fesseln zu lösen. „Ich … ja“, murmelte er. Die willenlose, eingeschüchterte Königin hatte sich verändert. Ihr neues Kleid stand ihr gut, aber das war es nicht. Ihr Blick war anders. Entschlossener. Der Blick einer Frau, die nur das rettende Seil loslassen musste, um in die Tiefe zu stürzen, und die sich doch entschieden hatte, den beschwerlichen Weg nach oben zu klettern. Auch Sora brachte die Fesseln nicht los, fand aber einen Stein, der scharfkantig genug war. Endlich frei, bedankte sich Matt mit einem Nicken und war dann sofort bei Gabumon. Schläfrig blinzelte es ihm entgegen. „Matt?“, murmelte es. „Was ist denn los?“ „Gute Frage.“ Er sah sich um. Die Schlacht war bereits vorbei. Ihr nächtliches Spektakel hatte den Briganten jede Formation genommen. Einer der Wachtürme lag rauchend am Boden. „Es sieht so aus, als wäre uns jemand retten gekommen.“ Lieber wäre es ihm gewesen, sie wären aus eigener Kraft freigekommen. „Waren das alle?“ Davis hatte wieder Raidramons Rücken erklommen und besah sich die überlebenden Digimon. „Astamon“, murmelte Matt. „Ist es entkommen?“ In dem Moment kam ein Monochromon angelaufen. „Davis!“, rief es. „Wir haben ein Problem! Centarumon!“ „Was ist mit ihm?“, fragte Davis erschrocken. Monochromon lotste sie einige Meter die Verteidigungslinie entlang, bis zu Centarumons Zelt. Das ganze Heer folgte. Matt hatte ein ungutes Gefühl, obwohl er schon ahnte, was los war. Als er und Davis die Zeltplane hochhoben, sahen sie Centarumon mit gefesselten Armen und Beinen in seinem Zelt liegen. Es lebte – aber auf ihm hockte Astamon und drückte ihm das Gewehr in den Nacken. Es hatte also herausgefunden, wo das Pferdedigimon schlief. „Hoppla“, meinte der Bringantenanführer. „Habe ich da etwa jemand Wichtiges?“ „Lass es sofort frei!“, verlangte Davis mit zusammengebissenen Zähnen. Matt sah, wie Centarumons Auge sie ausdruckslos ansah. „Du fragst dich, warum ich euren Anführer kenne?“, meinte Astamon, als es seinen Blick bemerkte. „Es war nicht weiter schwierig. Sein Zelt liegt genau in der Mitte der Frontlinie. Und wir sind nicht so dumm, als dass wir nicht wüssten, von woher eure Soldaten ihre Befehle bekommen. Seid jetzt so gut und stellt euch brav in einer Linie auf, bis meine Verstärkung kommt, wenn ich Centarumon nicht mit Kugeln durchsieben soll!“ Matt schluckte. Er hörte es nun – das Gekreische und Gejaule. Es war Nacht – die Geister waren im Anflug. „Davis …“, sagte Centarumon schwach. „Ich scheine meine Bestimmung nicht erfüllen zu können.“ „Verdammt!“, fluchte Davis und trat hilflos gegen eine Zeltstrebe. „Wir können nichts tun.“ „Das könnt ihr“, widersprach der Zentaur. „Besiegt Astamon und MetallPhantomon. Tut, weswegen ihr gekommen seid.“ „A-aber …“ Davis‘ Kieferknochen traten hervor. Sora war neben Matt getreten und sog scharf die Luft ein. „Schön brav sein“, ermahnte sie Astamon. „Keine Dummheiten, ja?“ „Du hast einen Fehler gemacht, Astamon“, sagte Centarumon. „Ich bin keine unersetzliche Figur in diesem Krieg.“ Damit hob es die gefesselten Arme. Astamon konnte es so nicht erwischen, doch es richtete seine Handflächen gegen sein eigenes Kinn. „Verdammt, was tust du da?“, rief der Brigant. Wie Blütenblätter öffneten sich die Klappen der Schussvorrichtungen in Centarumons Handflächen. Gelbes Glühen flammte auf, gefolgt von einem kurzen Zischen. „Centarumon!“, brüllte Davis. Astamon stieß sich gerade rechtzeitig ab, ehe Centarumons Körper sich in Daten verwandelte. Es sauste bis knapp unter die Zeltdecke, schlug dort einen Salto und hielt das Gewehr im Anschlag. „Attacke!“, befahl Matt. Die Digimon, die ins Zelt sehen konnten, griffen an. Raidramon verschoss einen Blitz, zwei Monochromon spien Feuerbälle. Garudamon packte schließlich die Zeltplanen von außen und riss sie einfach fort, und von allen Seiten hagelte es Attacken. Astamons Gewehr war das Letzte von ihm, das sich auflöste. Davis stand immer noch wie vom Donner gerührt. „Centarumon …“, murmelte er und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Das Digimon musste ihm nahe gestanden haben. „Davis.“ Matt legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie kommen.“ Das Heulen war so sehr angeschwollen, dass es in den Ohren wehtat, als beklagten selbst die Bakemon Centarumons Tod. Davis brauchte noch einige Sekunden, um sich zu fassen. Dann drehte er sich mit Feuer in den Augen zu den Digimon um. „Die Briganten sind ausgelöscht!“, sagte er. „Als Nächstes kommt MetallPhantomon dran!“     Tag 141   „Die Zeit wird knapp“, murmelte T.K. „Die Sonne geht schon wieder unter, und wir sind keinen Zentimeter weitergekommen. Und wir müssen auch noch einige Vorbereitungen treffen, wenn wir uns der Wissens-Armee anschließen wollen.“ „Und was schlägst du vor, das wir tun sollen, Schlaumeier?“, fragte Davis, von dem frustrierenden Kräftemessen gereizt. „Wir müssen irgendwo da hinein kommen.“ Unbeeindruckt zeigte T.K. zu Myotismons ehemaligem Schloss hoch. Er konnte es kaum fassen – es war tatsächlich dasselbe, auch wenn es nach Tais Angriff arg demoliert war. Und Sora hatte darin regiert. Nun schickte MetallPhantomon ihnen von dort Welle um Welle aus Geisterdigimon entgegen. Sie standen in dem Wald vor dem gewaltigen Felsen, unweit der Stelle, an der Gennai ihnen damals den Lichtstrahl geschickt hatte, der sie zu seinem Haus geführt hatte. T.K. hatte schon überlegt, dorthin zu gehen und den rätselhaften Mann um Hilfe zu bitten, aber der jüngere Gennai hatte schließlich ganz andere Methoden gehabt, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Sie hatten die Geister besiegt, die Front gesprengt und waren dann nach Süden weiter durch den Nebelwald marschiert. Auch an diesen Ort hatte sich T.K. erinnert – oder er glaubte es zumindest: Die dicht stehenden Bäume und die noch dichteren, weißen Schwaden schienen zu dem Wald zu gehören, in dem Kari, Yolei und Ken nach BlackWarGreymons Auftauchen einmal verlorengegangen waren. Weiter südlich hatten sie es geschafft, nahe an das Düsterschloss heranzukommen. „Irgendwann müssen denen doch die Digimon ausgehen“, knurrte Garurumon. Es digitierte nicht auf sein höchstes Level, um seine Kräfte für MetallPhantomon aufzusparen. „Aber wenn nicht, läuft uns die Zeit davon“, sagte Matt. Er hatte die Taktik des Feindes wohl schon erkannt: Die Geister, nun vor allem Ultradigimon, griffen immer wieder von verschiedenen Seiten an, manchmal sogar aus der Erde, und zogen sich zurück, sobald sie ins Visier genommen wurden. Die Nordarmee mochte endlich in die Nadelberge vorgestoßen sein und das Düsterschloss belagern, doch hier kam der Keil, den die DigiRitter ins Herz ihrer Feinde stießen, zum Stillstand. Das Schloss lag so hoch, dass es für die meiste Digimon nicht zu erreichen war, und die Belagerungsreihen wurden immer wieder von diesen Ausfällen geschwächt. Sie hatten schon einige Stoßtruppen losgeschickt, fliegende oder kletternde Digimon, mit dem einzigen Ergebnis, dass sie spurlos verschwanden. Das Schloss war zu gut bewacht für die Champion- und wenigen Ultralevel-Digimon, sie sie hinaufschicken konnten. „Matt hat recht. Wir müssen selbst hinter die Mauer fliegen und uns bis zu MetallPhantomon vorkämpfen“, sagte T.K. „Das ist unsere einzige Möglichkeit.“ „Aber dann müssen wir an vielen, vielen Phantomon vorbei“, meinte Sora besorgt. „Ich weiß, wie viele es davon gibt. MetallPhanomon hat noch nicht mal die Hälfte davon gegen uns losgeschickt. Sie bewachen sicher alle den Weg in den Thronsaal.“ „Was bedeutet, sie können uns so sehr schwächen, dass wir gegen MetallPhantomon nichts mehr ausrichten können“, setzte Matt den Gedankengang fort. „Kennst du nicht einen Geheimgang oder etwas in der Art?“, fragte Davis plötzlich. „Ich meine … du hast lange dort gelebt. Kommen wir irgendwie in den Saal, ohne dass die Phantomon uns entdecken?“ Sora senkte traurig den Kopf. „Ich … weiß nicht. Ich bin immer dieselben Wege gegangen, und ich habe nie wirklich auf die Umgebung geachtet. Tut mir leid.“ „Es gibt einen Weg“, ließ plötzlich Gatomon vernehmen. „Es gibt sogar mehrere.“ „Was sagst du da?“ Davis und die anderen waren völlig überrascht und starrten Gatomon mit großen Augen an. T.K. konnte es ihnen nicht verdenken. Für sie war Gatomon ein Fremder in diesem Teil der DigiWelt – aber in Wahrheit, auch wenn fast niemand mehr davon wusste, hatte es sicher weit mehr Zeit in Myotismons Schloss verbracht als Sora. „Kommen wir denn auch unbemerkt zu diesen Geheimgängen?“, fragte Kari. „So ganz unbemerkt sicher nicht“, gab das Katzendigimon zu, „aber wenn jemand die Wachen ablenkt, gelingt es uns vielleicht. Wir müssen in das Vorratslager, das in der nördlichen Ecke direkt unter der Burgmauer liegt. Dort gibt es einen Keller mit einem Fass ohne Boden. Eine Treppe führt von dort durch eine hohle Stelle in der Mauer in den Thronsaal. Man kommt direkt neben dem Tor zur Welt aus einer Nische. Myotismon hat die Nische zumauern lassen, aber eine starke Attacke kann sie sicher wieder aufreißen.“ T.K. war beeindruckt. Wie viel einfacher wäre es ihnen gefallen, in Myotismons Schloss einzudringen, wenn Gatomon schon damals auf ihrer Seite gewesen wäre … „Myotismon? Tor zur Welt? Wovon redest du?“, fragte Davis verdattert. „Zerbrich dir nicht den Kopf darüber“, meinte T.K. „Überlegen wir uns lieber einen Plan. Ich schlage vor, alle Digimon patrouillieren weiterhin um das Schloss, um ausfallende Geister abzufangen. Einer von uns lenkt die Phantomon im Schlosshof ab, und die anderen huschen über die Mauer.“ „Seit wann bist du hier der Anführer?“, ereiferte sich Davis. Er schien T.K. auch in dieser Welt nicht besonders gut leiden zu können, obwohl er von der Sache mit Kari und ihm gar nichts wusste. Welch Ironie. „Also gut, ich würde die Mädchen für das Ablenkungsmanöver einteilen. Da drin im Thronsaal ist es sicher gefährlich, und immerhin sind das zwei Königinnen“, sagte Davis schließlich. „Aber das Ablenkungsmanöver kann auch ziemlich gefährlich werden“, warf Matt ein. „Stimmt …“, murmelte Davis nachdenklich. „Ich bin dafür, Davis sollte es machen“, sagte Kari frei heraus. „Er kann die Phantomon sicher effektiv weglocken.“ „Was?“ Davis fiel alles herunter. „Wie meinst du das?“ „Kari hat recht. Du kannst sie als Einziger so sehr veralbern, dass sie dir wie ein wilder Wespenschwarm nachfliegen“, meinte T.K. schmunzelnd. „Jetzt mach mal halblang – Centarumon hat mir die Verantwortung übertragen! Ich muss dabei sein, wenn ihr diesem Digimon den Garaus macht!“ „Wir haben mittlerweile alle unsere Gründe, MetallPhantomon zu hassen“, entgegnete Matt. „Und wir brauchen Gatomon, um den Weg zu finden.“ „Es bestreitet ja niemand, dass du der Anführer bist“, wiegelte Veemon ab. „Aber von draußen können wir unseren Digimon sicher besser Befehle erteilen.“ „Veemon!“, stieß Davis wutschnaubend hervor, „auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ „Lasst uns doch einfach Lose ziehen“, schlug T.K. vor. Davis blinzelte ihn misstrauisch an. „Wie meinst du das?“ T.K. wandte sich ab und zog eine Packung Taschentücher heraus. Er zwirbelte sie zu kleinen Stäbchen und kniete sich hin. Patamon verfolgte über seinem Kopf flatternd, wie er blitzschnell auf alle der Stäbchen Erde schmierte. „T.K, willst du etwa …?“, flüsterte es. Er musste sich ein Grinsen verkneifen, als er sich wieder umdrehte, die Faust fest um die schmutzigen Enden der Taschentuchfetzen geschlossen. „Wir ziehen nacheinander jeder eines. Der, der das schmutzige zieht, ist der Lockvogel“, erklärte er. Davis blickte in ein unschuldiges Lächeln, dann zu Veemon, dann krempelte er die Ärmel hoch und sagte: „Dann ziehen wir das erste.“ Und fluchte, als er die Erde an seinem Stäbchen sah. „Dann müssen wir anderen wohl gar nicht mehr ziehen“, verkündete T.K. gut gelaunt und ließ die übrigen Fetzen in seiner Tasche verschwinden. Davis kickte mürrisch einen Stein weg. „So ein Mist“, brummte er. Manches änderte sich eben nie. Davis sah verständnislos Kari beim Kichern zu.     MetallPhantomon saß niemals auf seinem Thron. Es schwebte darüber, in Gedanken versunken, nicht in Träume. Seine Feinde hatten es tatsächlich bis vor sein – sein – Schloss geschafft. Das hätte es nie für möglich gehalten. Diese Menschen, die an der Seite der Digimon kämpften, waren eine Plage. Seit ihr Ansturm begonnen und es die Briganten verloren hatte, war kaum ein Tag vergangen. Noch hatten sie nicht einmal geschlafen, sonst hätte es ihnen die übelsten Albträume beschert, die sie je hatten, und ihre Pläne ausspioniert! Ob es sich doch überschätzt hatte? Nein! Dieser feige DigimonKaiser hatte es verunsichert, aber ein Blick in seine Ängste hatte MetallPhantomon gezeigt, dass er ein Mensch wie jeder andere war. Noch einmal würde es nicht darauf hereinfallen! Die Nordarmee mochte weit gekommen sein, doch bald hatten sie keine Kraft mehr zum Kämpfen. Santa Caria würde fallen, der Norden würde fallen, und dann kam der DigimonKaiser mit seiner angeblichen Macht der Dunkelheit dran! Ein Geräusch ließ MetallPhantomon hochschrecken. Schon lange hatte es nur den fernen Klänge von Attacken und Digimonschreien gelauscht, oder Geräuschen in fremden Träumen, aber dieses hier, in seiner unmittelbarer Nähe, wo wegen der vielen lautlosen Geisterdiener seit Wochen wattige Stille herrschte … Sofort hatte es die Sense parat, die heiß aufglühte. Im nächsten Moment schalt es sich. Hatte der Meister der Träume es nötig, wie ein verschrecktes Salamon die Augen aufzusperren? Vielleicht hätte es das tun sollen, dann hätte es das nächste Ereignis nicht so überrascht. Ein Teil der Wand rechts hinter dem Thron zerbarst, Splitter und Steinmehl wehten in seine Richtung. Instinktiv schwebte es mit der Wolke, wandte sich fauchend um. Aus dem Loch in der Wand kamen sie gekrochen wie schmutzige Roachmon. Zuvorderst ein junger Mann mit blonder Mähne und sein MetallGarurumon. Dahinter jemand, der ihm verblüffend ähnlich sah, begleitet von einer Lichtgestalt, blendend hell und unangenehm. Es folgte ein zierliches, blasses Mädchen, durch dessen Haut, kaum sichtbar, aber ebenso schmerzlich spürbar, ebenfalls Licht sickerte, und noch ein Engeldigimon. „Schon wieder?“, zischte MetallPhantomon verblüfft. Es wusste sofort, was los war. Es hatte das Schloss durchkämmt und viele geheime Wege ausfindig gemacht. Vielleicht war es zu nachlässig dabei gewesen – aus Stolz, weil es keine Zugeständnisse an den Intellekt des DigimonKaisers machen wollte. „Wie kann das sein? Warum kennen andauernd Menschen, die noch nie hier waren, die Geheimgänge in meinem Schloss?“     „Deine Schandtaten sind vorbei“, verkündete Matt, als sie sich aus dem Geheimgang drängten. Gatomon hatte recht gehabt, und es war gerade genug Platz darin gewesen, dass sie alle digitiert waren – alle bis auf Piyomon, das einfach zu groß geworden wäre. MetallPhantomon war so hässlich, wie er es sich vorgestellt hatte. Es kicherte blechern. „Glaubt ihr das? Nur weil ihr in meinen Thronsaal eingedrungen seid? Ihr habt ja keine Ahnung. Ich werde euren Geist brechen, in weniger als zehn Sekunden!“, brachten seine Metallzähne mahlend hervor. „Abwarten. Bist du bereit, MetallGarurumon?“ „Immer.“ Ein Hagel aus Raketen ging auf das Geistdigimon nieder, pflasterte den glatten Hallenboden mit Eis und ließ MetallPhantomons Mantel wehen, als es auswich. „Seine Sense! Passt auf die Sense auf!“, rief Sora von hinten. Das Digimon verschoss eine Welle aus blauen Sicheln aus seiner Waffe. MetallGarurumon wich den meisten aus, durch die letzte rannte es mittendurch. Seine Chromrüstung bekam einen Riss, doch es hielt nicht inne. Knurrend sprang es den Sensenmann an. Zähne und Krallen wetzten an der Stange, aus der die beiden roten Sicheln sprossen. MetallPhantomon wurde zurückgeschleudert. Aus nächster Nähe entwich MetallGarurumons eisiger Hauch. Der schwarze Kapuzenumhang des Geistdigimons wurde in einen Kokon aus Frost gehüllt, starr und klirrend, der Totenschädel keuchte. „Gut gemacht, MetallGarurumon!“, rief Matt. „Denkt ihr, das reicht?“, fauchte der Feind. Blaue Blitze umgaben es. Aus dem bereits durchlöcherten Boden schossen plötzlich gebogene Eisenstangen, die das Wolfsdigimon in einen metallenen Käfig sperrten – dann trafen ihn MetallPhantomons fliegende Sicheln aus nächster Nähe. „Hilf ihm!“, schrie T.K. MagnaAngemon glitt anmutig wie ein Sommerhauch auf den Kampfplatz zu – doch auch es wurde fast von plötzlich erscheinenden Eisenstacheln aufgespießt. Eilig flog es höher. MetallPhantomon ließ kurz davon ab, MetallGarurumons Panzer zu zerstören, und richtete seine glühenden Augen auf das Engeldigimon. Seine Sichel kappte zwei der Metallspieße, die daraufhin wie eigenständige Projekte auf MagnaAngemon zuschossen. Mit brachialer Gewalt trafen sie die Flügel des überraschten Engels und nagelten ihn an die steinerne Saalwand. „Sie sind im Boden“, sagte Kari plötzlich. „Was?“ T.K. wirbelte zu ihr herum. MetallPhantomon begann auf MetallGarurumon einzuschlagen, das sich unter Schmerzen wand. Immer wieder konnte der Wolf sich aus dem eisernen Gefängnis befreien, so kräftig war er – doch immer wieder sausten weitere Metallspieße aus dem Thronsaalboden hervor und klammerten sich regelrecht an ihn. „Die Eisenstangen sind im Boden!“, sagte sie atemlos. „MetallPhantomon kann sie irgendwie kontrollieren.“ „Piyomon, du musst ihnen helfen“, rief Sora. „Mach ich!“ „Nein, wartet, ihr solltet nicht …“ Matt wurde vom Licht der Digitation unterbrochen. Im Nu stand das riesenhafte Garudamon im Thronsaal. „Du bist zu leicht angreifbar!“, schrie er zu ihm hoch. MetallPhantomon kicherte und schwenkte fast kunstvoll seine Sense. Mehrere Lichtsicheln brachen daraus hervor, jede einzelne auf Garudamon gezielt. Es hatte die Rechnung ohne Angewomon gemacht. Das Engeldigimon flog in die Höhe und bildete mit seinen Flügeln und Armen einen schützenden Kreis, der die Sicheln abblockte, alle bis auf zwei, denen Garudamon knapp auswich. Im nächsten Moment zog Angewomon einen unsichtbaren Pfeil und schoss ihn auf MetallPhantomon ab, das verächtlich zischte – doch offenbar konnte es nicht einfach ausweichen. Halb im Boden versunken traf der Pfeil es knapp unter dem Kopf. „Jetzt werden wir gleich sehen, ob es von der Macht der Dunkelheit besessen ist“, hörte Matt T.K. murmeln, doch er wusste nicht, was er meinte. Etwas in seinem Kopf klingelte jedoch, etwas, was ihn ironischerweise an ein Gespräch mit dem DigimonKaiser erinnerte … Worauf immer sie gehofft hatten, es geschah nicht. Der Pfeil erlosch, und MetallPhantomon kam mit lautem, schrillem Wehklagen wieder ganz zum Vorschein. Es war wütend, aber nicht besiegt. Ohne Worte, doch ausdrucksstark laut, schwebte es in die Mitte des Raumes. „Bring es zuende, MetallGarurumon!“, rief Matt. Als sein Digimon keine Antwort gab, blieb ihm fast das Herz stehen. MetallGarurumon lag in seinem Eisenkäfig, reglos. Es konnte nicht tot sein, oder? „MetallGarurumon!“, rief er erneut und lief wider besseres Wissen zu seinem Partner. „Schrei nur“, krächzte MetallPhantomon. „Es schläft, und so einfach lasse ich es nicht wieder erwachen! Sieh zu, ob du es wiedererkennst, wenn es erwacht!“ „Du Monster!“, zischte Matt, der neben MetallGarurumon kniete – und für einen Moment die versteckte Gefahr vergaß. „Du machst es mir zu leicht“, stellte MetallPhantomon fest. Er riss die Augen auf, als er verstand, und ein bohrender Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper.     Sora schrie auf, als fiese Metallspitzen aus dem Boden Matt regelrecht aufspießten. Hoch über ihnen keckerte MetallPhantomon. „Matt!“ T.K. wollte schon zu ihm stürzen, aber Kari packte ihn. „Lass mich, ich muss zu ihm!“ „Nein! Dann erwischt es dich auch!“, rief sie schrill. „Wir müssen dem ein Ende machen“, sagte MagnaAngemon und klang gebieterisch. Es hatte sich von seinen Stacheln befreit. „Aber es ist zäh“, warf Angewomon in der gleichen Stimmlage ein. „Ihr habt mir lange genug meine Zeit gestohlen! Schlaft am besten einfach alle“, knurrte MetallPhantomon. Mit sichtlich großer Anstrengung fixierte es zuerst Angewomon, dessen Glieder plötzlich schlaff wurden. Es sank dem Boden entgegen. „Schnell, MagnaAngemon!“, rief T.K. „Das Himmelstor!“ „Auf engem Raum ist es zu gefährlich“, meinte der Engel. „Wir könnten selbst hineingeraten.“ „Es geht nicht anders!“ T.K. klang ein wenig panisch. Angewomon landete auf dem Boden, Federn und blondes Haar bedeckten den schlafenden Körper. MetallPhantomon schien es große Schwierigkeiten zu bereiten, seine Kräfte auf so starke Digimon zu wirken, denn es röchelte schwer und tat für den nächsten Moment nichts, als Garudamons Prankenhieben auszuweichen. Schließlich zog MagnaAngemon einen Kreis mit seinem Schwert. Ein goldenes … Ding schwebte hinter das Geistdigimon, das sich befremdet umsah – und schnell davonflog, als der Kreis sich als flimmerndes, saugendes Tor öffnete. „Stoßt es hinein! Schnell!“, rief T.K. MagnaAngemon war bereits auf dem Weg. „Ihr unterschätzt mich schon wieder!“ MetallPhantomon schien es aufgegeben zu haben, seinen Schlafzauber zu wirken. Wie eine schwarze Kanonenkugel rammte es MagnaAngemon. Das violette Engelsschwert zersplitterte und MagnaAngemon wurde gegen die Wand geschleudert, als die Sense seine Flügel zerfetzte. Als es unter metallischem Gelächter zu Boden sank, schlief auch es ein, im Schatten der Sense, die das Geistdigimon wieder auf es richtete. „Nein!“ Nun konnte T.K. selbst Kari nicht zurückhalten, die neben Angewomon kniete. MetallPhantomon kicherte. „Freimütige Beute. Doch ihr seid schlafend mehr wert.“ Es atmete geräuschvoll aus. Offenbar konnte es Menschen viel einfacher einschlafen lassen, denn T.K. knickte mitten im Laufen weg und blieb liegen, trotzdem er hart auf dem Boden aufschlug. Im nächsten Moment sank Kari über Angewomon zusammen. Nur noch Sora stand aufrecht – und hinter ihr Garudamon. MetallPhantomon kam herangeschwebt. Seine Augen glühten vorfreudig. „Willkommen zuhause, kleine Königin“, verkündete es. „Dich habe ich mir natürlich für den Schluss aufgehoben. Ich kenne dich mittlerweile sehr gut. Wie haben dir die Träume gefallen, die ich dir schickte?“ Sora musste erst schlucken, ehe sie heiser ihre Stimme fand. „Du hast keine Macht mehr über mich“, sagte sie und klang dabei nur allzu unsicher. MetallPhantomon lachte, Garudamons riesige Gestalt gänzlich ignorierend. „Ist das so?“ „Nach heute“, fügte sie hinzu. „Nach heute ist es vorbei mit deiner Macht!“ Das ließ das Digimon nur umso lauter lachen. In der Tat war es wieder und wieder in Soras Träume eingedrungen, denn sie hatte nie ständig wach bleiben können. Selbst, wenn sie sehr müde gewesen war, war ihr Schlaf nicht traumlos gewesen. Ständig hatte sie das Einschlafen gefürchtet, hatte die Träume möglichst distanziert betrachtet und nach dem Aufwachen versucht, nicht darüber nachzudenken, auch wenn es sie danach minutenlang geschüttelt hatte. Es wurde Zeit, dass das aufhörte! Zeit, mit ihren dunklen Tagen abzuschließen. „Was ist? Lässt du mich auch einschlafen?“, fragte Sora herausfordernd. „Für dich habe ich mir etwas Besseres einfallen lassen“, erklärte ihr ehemaliger General. „Ich kenne deinen Charakter gut genug. Du langweilst mich.“ Ein kurzes Stück Eisen schwebte herbei, eine Stange, nicht länger als einen Meter. Knapp vor Soras Stirn hielt sie an, sie konnte sie kaum mit den Augen fixieren. „Das Eisen, das deinen Thronsaal gestärkt hat, soll seine Königin durchbohren. Was hältst du davon?“ „Sora!“ Garudamon streckte seine Pranken aus, doch Sora war schneller. Sie packte die Eisenstange, zog sich damit direkt auf das verblüffte MetallPhantomon zu und griff nach seiner Sense. Ein Stromstoß durchfuhr Sora, doch sie ließ nicht los. Wo ihre Hand sich um die Griffstange schloss, blitzte rote Elektrizität auf – und unter MetallPhantomons Fingern blitzte es blau. „Was tust du da?“, fragte es schrill. „Mein Thronsaal“, wiederholte sie grimmig. „Mein Reich. Meine Sense.“ Die Sense schien sich zu erinnern, dass sie einst ihr gehört hatte. Die Waffe war zwischen ihren beiden Besitzern hin- und hergerissen. Sogar die leuchtenden Sensenblätter verglommen. „Lass los!“, kreischte MetallPhantomon, doch Sora tat nichts dergleichen. Sie klammerte sich regelrecht an die Metallstange. Hinter ihr hörte sie den Eisenspeer, eben noch von MetallPhantomon kontrolliert, zu Boden fallen. „Garudamon, jetzt!“, rief sie und stieß sich von der Sense fort. Fast beschützend umarmte MetallPhantomon seinen kostbarsten Schatz – und erkannte den gewaltigen, vogelförmigen Feuerstoß nicht, der es erwischte. Fauchend, aber immer noch unzerstört, wurde es noch rückwärts gerissen – genau in den Sog von MagnaAngemons Himmelstor, das immer noch offen stand. Für den Moment bemerkte es gar nicht, wie ihm geschah, dann riss es den stählernen Kiefer auf – doch dieses eine Mal blieb es stumm. Die Grimasse in seinem Totenkopfgesicht konnte Sora nicht entziffern, aber es mussten Ingrimm und Verbitterung gewesen sein, die darin zum Ausdruck kamen. Ohne ein Geräusch verschluckte das Tor das Digimon, das Träume beherrschte, schloss sich und hörte auf zu sein.   As the night goes by I’m facing the truth And a ghost holds my hand A candle, a flame And I’m fighting the evil (Primal Fear – Demons And Angels) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)