New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 56: Intermezzo in Schwarz und Weiß ------------------------------------------ Tag 141   Als Kari erwachte, sah sie Sora bei Matt knien. Es traf sie wie ein Blitz. MetallPhantomon! Was war mit MetallPhantomon? Unter ihr lag Angewomon, das sich ebenfalls regte … Was war geschehen? „Matt!“ Halb benommen stolperte T.K. zu seinem Bruder, unter dem sich eine schreckliche Blutlache gebildet hatte. Was um alles in der Welt war nur geschehen? Wo war MetallPhantomon hin? Auch sie robbte sich erst mal zu Matt. Er hatte offenbar auch geschlafen, worüber sie froh war. In dem Maße, in dem er wach wurde, stahlen sich Schmerzlaute auf seine Lippen und gequälte Krämpfe in seine Glieder. Kari konnte gar nicht zählen, von wie vielen Eisenstangen er durchbohrt war, an Beinen, Armen, sogar seine Schulter hatte es erwischt. Zum Glück waren wenigstens sein Torso und Kopf unversehrt, aber wären die Stacheln ein wenig anders gelandet … „Helft mir“, murmelte T.K. mit zitternder Stimme und zitternden Händen. „Helft mir, solange er noch nicht wach ist!“ Es war schrecklich. Da die Stangen im Boden verankert waren, mussten sie Matt von ihnen herabheben. Das nasse, gleitende Geräusch, das viele Blut und die Schmerzen, die er fühlen musste, verursachten bei Kari heftige Übelkeit. „Wo ist MetallPhantomon?“, fragte Gatomon, zu dem Angewomon wieder geworden war. „Ist es besiegt?“ Sora nickte fahrig und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre blutigen Hände hinterließen eine rote Spur. „Es ist vorbei“, sagte sie und schien noch etwas anderes damit zu meinen. „Ich bleibe auf jeden Fall bei ihm“, sagte T.K. Mit ernstem Gesicht betrachtete er Matt, der endgültig das Bewusstsein verloren hatte und nun mit all den offenen Wunden vor ihm lag. „Ihr holt Hilfe, ja?“ Er zerriss bereits sein Hemd, um mit behelfsmäßigen Verbänden dienen zu können. Kari nickte. Sie wollte ihn nicht allein lassen, aber wahrscheinlich hatte er nicht weniger zu befürchten, wenn sie hier blieben. Ihre Digimon waren ziemlich erschöpft. Und sie war froh, von Matts erbärmlichem Zustand wegzukommen und etwas Nützliches für ihn zu tun. Auf Nefertimon, zu dem Gatomon gerade noch so digitieren konnte, flog sie mit Sora und Piyomon durch den Geheimgang. Es wird schon alles gut werden, redete sie sich ein. Ich habe nie gesehen, dass Matt der Erste ist, der stirbt. Jetzt, da MetallPhantomon tot war, konnten sie die Geister sicher besiegen oder zumindest verstreuen. Der Krieg an dieser Front war gewonnen. Als Nächstes würde sie Tai wiedersehen … Aber der Preis war hoch. Sie hoffte nur, nicht das Leben ihres Bruders gegen das eines ihrer Freunde eingetauscht zu haben. Dieses Opfer würde sie sich trotz allem niemals verzeihen.     Tag 144   Ab und zu musste Ken gegen den Drang ankämpfen, Nadine in ihrem Gefängniszimmer zu besuchen. Er fühlte eine Verpflichtung, mit ihr zu sprechen und sich zu entschuldigen. Es war schwierig, ihr nicht irgendwie ansatzweise zu verzeihen, doch er verbot es sich immer wieder aufs Neue. Es hätte keinen Sinn – mit Vernunft kam er nicht weit, wenn seine Gesprächspartnerin der festen Überzeugung war, dass es sich nur um ein Spiel handelte. Er hatte von Arukenimon erfahren, dass die Mobile Festung belagert wurde. Sobald er jemanden gefunden hatte, dem er die Kaktuswüste anvertrauen konnte, hatte er sich auf den Weg gemacht. Soldaten hatte er nun genug, es wäre dumm gewesen, das Gebiet nicht sofort zu besetzen und Türme zu bauen. Als er mit dem beschädigten Ookuwamon, Arukenimon, Mummymon, Oikawa und dem gefangenen Datamon die Festung anflog, gab es keine Spur mehr von einer Belagerung. Wer immer diese Dreistigkeit besessen hatte, hatte sich zurückgezogen. Ken würde Nachforschungen anstellen; ihm behagte der Gedanke an eine so sinnlose Attacke nicht. In der Festung angekommen, wurden sie von Cody begrüßt, der ihnen Einzelheiten erzählen konnte. Vor allem das Gigadramon stank mächtig nach der Wissens-Armee. Cody hatte sich zum Glück dazu entschlossen, mit Armadillomon an Kens Seite zu bleiben – unter Vorbehalt zwar, aber Ken konnte einen kritischen Verbündeten durchaus gebrauchen. Er überließ Oikawa das Verhör von Datamon, das erstaunlich stur war. Er selbst schickte einige Ultra-Digimon unter Mummymons Führung in die Voxel-Stadt, um Tai in die Festung zu holen. Am späten Nachmittag, als er auf der Brücke war, geschah etwas, mit dem er nie und nimmer gerechnet hätte – und fortan waren alle Gedanken an Nadine fortgewischt und die Gedanken an Tai zumindest in den Hintergrund gerückt. Ein Alarmsignal erreichte die Hagurumon – und es stammte von dem Ort, den Ken mittlerweile eigentlich wieder als sicher erachtet hatte. „Ein Notruf aus Sektor null“, meldete eines der neuen Brückenwachen blechern. Ken stürzte zum nächstbesten Monitor und ließ ihn heller schalten. „Die File-Insel? Ganz sicher?“ „Signal zu achtundneunzig Prozent verifiziert. Empfangen eingehende Verbindung.“ „Sofort durchstellen!“ Ein Video? Warum zum Teufel sollte Devimon ihm eine Videobotschaft schicken? Ken hatte ihm eingeschärft, im Falle eines Falles nur konkrete Daten zu schicken, die die Hagurumon auswerten konnten – und es dürfte nicht genug freien Willen haben, um gegen diese Anweisung zu rebellieren. War es etwa …? Der Monitor flackerte, Wellen wie aus Elektrizität wanderten über das Bild. Ken hielt unbewusst den Atem an. Es war kaum etwas zu erkennen, nur schwarze und graue Schemen, durchsetzt von grün glühenden Punkten. „Auf Nachtsicht umschalten“, sagte jemand. Ken gefror das Blut in den Adern, als er diese Stimme aus den Lautsprechern hörte, verzerrt, aber eindeutig befehlsgewohnt. Das Bild wurde allmählich klarer, aber die grünen Flecken mehrten sich; die Aufzeichnung barg die Defizite eines Nachtsichtgeräts, aber die Wirkung auf Ken hätte nicht größer sein können. Seine Befürchtung schien sich zu bewahrheiten. Das Video wurde aus Devimons Hallen am Berg der Unendlichkeit gesendet, und Devimon selbst war zu erkennen. Es sah in das Übertragungsgerät, offensichtlich auf etwas wartend. Ken konnte auf den ersten Blick keine Spur der Schwarzen Ringe entdecken, die seine Oberarme und Hörner umschlingen sollten. Es war wieder sein eigener Herr – aber wie war das vonstattengegangen? „Jetzt“, sagte die Stimme von vorhin. Ihren Besitzer konnte man nicht ausmachen, aber etwas an der Stimme störte Ken. Devimon entblößte die Zähne zu einem bitteren Grinsen. Seine Augen wirkten in der Übertragung verstörend gelb. „Ich hoffe, du kannst es sehen, DigimonKaiser. Du wirst für die Zeit, die du mich deinem Willen unterworfen hast, bitter bezahlen – freu dich schon darauf!“ Ken biss sich auf die Lippen, und dann geschah das Unfassbare. Durch Devimons Körper ging ein Ruck, als hätte es jemand in den Rücken gestoßen. Für einen Moment wurde seine Miene noch grimmiger, dann zerstob es so plötzlich in dunkle Datensplitter, dass Ken zurückprallte. Ein anderes, ziemlich kleines Digimon war in dem Wirbel aus Digimonfragmenten zu sehen, dann wurde die Nachtsicht deaktiviert und er konnte wieder nur grauschwarze Sandstürme ausmachen. „Du hast dich mit ganz schön mörderischen Digimon eingelassen, DigimonKaiser“, erklang eine weibliche Stimme, die Ken noch nie zuvor gehört hatte. „Ein ziemliches Risiko für die DigiWelt. Jemand wie Devimon sollte nicht die Stadt des Ewigen Anfangs kontrollieren.“ Damit erstarb die Aufzeichnung und Ken blickte minutenlang auf den nunmehr schwarzen Bildschirm. „Lagebericht“, murmelte er dann. „Was ist auf der File-Insel geschehen?“ Es dauerte keine zehn Sekunden, bis die neuen Hagurumon alle Daten beisammen hatten; Ken kam es dennoch wie eine Ewigkeit vor. „Das Angriffssignal kam erst achtzehn Sekunden vor der Übertragung. Gründe wurden bereits analysiert. Ein Angriff vom Meer aus, der den Landstrich mit der Stadt des Ewigen Anfangs ins Visier nahm. Gleichzeitig wurde Gouverneur Devimons Hauptquartier auf dem Berg der Unendlichkeit gestürmt.“ Bilder und Daten von Digimon tauchten auf mehreren Bildschirmen auf. „Die Schwarzen Türme haben über vierhundert feindliche Digimon aufgezeichnet. Das Gros davon waren PawnChessmon und KnightChessmon. Vom Berg der Unendlichkeit fehlen ansonsten sämtliche Daten.“ „Vierhundert ...“, ächzte Ken. Wer um alles in der Welt besaß noch ein so großes Heer? Da fiel ihm ein, dass Leomon irgendwo auf See verloren gegangen war. Warum hatte er nicht gleich gedacht, dass sich dort noch jemand – etwas – befand, das in diesem Krieg mitmischen konnte? „Verflucht!“ Er schlug mit der Faust auf die Konsole. Die File-Insel war ihm entrissen worden, und mit ihr die Stadt des Ewigen Anfangs, einfach so, in einem gezielten Schlag unbekannter Feinde. Deemon! Du hast mich belogen! „Ich habe dich nie belogen.“ Du hast noch ein Saatkind vor mir versteckt, gib’s zu! „Nein, Ken. Außer dir kamen nur vier Menschenkinder mit der Saat in Berührung, die jetzt in der DigiWelt sind.“ Er schnaubte wütend und verließ mit wehendem Umhang die Brücke. Deemon konnte er trotz allem nicht trauen. Es war an der Zeit, seinen Stolz zu überwinden. Minomon, zu dem Leafmon auf der Reise hierher digitiert war, erwartete ihn auf dem Gang. Ken nahm das verspielte Digimon und setzte es sich auf die Schulter. Er wollte es bei sich wissen. „Was ist denn los, Ken? Schon wieder auf Achse?“ Er antwortete ihm nicht. Nadines Zimmer befand sich im unteren Bereich der Festung. Man konnte dort das Surren des Maschinenraums hören, aber die Kälte aus früheren Tagen kroch dort nicht mehr durch die Flure. Das Zimmer besaß ein einfaches digitales Türschloss, das man nur von außen aufschließen konnte. Die Commandramon, zwei von Devimons letztem Kadettentrupp, salutierten, als Ken und Minomon vorbeikamen und er sie mit einer Handbewegung zur Seite scheuchte. Die Tür glitt fauchend auf, dick und hochmodern. Nadine lag lässig auf ihrem Bett und sah auf, als Ken eintrat. „Oh. Hallo“, sagte sie. „Hallo“, erwiderte er hölzern. Die Tür blieb offen. Weiter als bis zur Schwelle wollte er nicht eintreten. Arukenimon hatte eine gute Wahl getroffen, als es Nadine weggesperrt hatte. Das Zimmer war recht groß, mit angrenzendem Bad und bequemen Möbeln. Es war einer der Räume, den Ken ursprünglich für mögliche Gäste hatte herrichten lassen, als er noch nicht gewusst hatte, wie wenig man in anderen Teilen der DigiWelt von ihm halten würde. „Du hast nicht mal angeklopft“, stellte Nadine spöttisch fest. „Ist sich der Kaiser zu gut für sowas?“ „Der Kaiser hat vor allem keine Lust für deine Neckereien“, murmelte Ken. Sein Zorn und seine Entschlossenheit … alles war verraucht, als er Nadine gesehen hatte. Sie würde immer der Dorn sein, der ihm ins Fleisch stieß, wenn er ihn nur ansah. In Gefangenschaft hatte sie nicht die Möglichkeit – und wohl auch nicht das Interesse –, viel Wert auf ihr Äußeres zu legen. Ihr Haar war unordentlich, das Kleid zerknittert und sie war ungeschminkt. Dennoch sah Ken das strahlende Gesicht einer Königin vor sich, seiner Königin, die ihm in Zeiten der Not mehr als sonst jemand den Rücken gestärkt hatte. Und die ihm die ganze Zeit bloß ein Messer hatte hineinrammen wollen. Sie seufzte. „Was willst du dann? Was kann der gute Ken, der endlich wieder seine Ruhe auf seinem langweiligen Egotrip hat, wohl von der armen, geschlagenen Nadine wollen? Setz mich wieder ins Amt, und ich tu alles, was du willst. Es ist schrecklich langweilig hier.“ „Dann sag mir, wer noch dabei ist“, murmelte er. „Wer noch wo dabei ist?“ „Du. Hiroshi. Keiko und Takashi. Wer noch?“ Sie blinzelte verständnislos. „Ich weiß nicht, was du meinst. Außer dir sind wir die einzigen Spieler. Die anderen Menschen sind nur Figuren. NPCs.“ Ken seufzte entnervt, aber er wollte sie nicht schon wieder vergeblich belehren. „Kann es sein, dass du jemanden zu decken versuchst? Jemanden, der dich vielleicht hier rausholen soll?“, fragte er ganz offen. „Nein. Ich würde es dir vermutlich nicht sagen, wenn es so wäre, aber – nein.“ Er glaubte ihr. Vielleicht ein weiterer Fehler. „Ich habe es dir doch gesagt, Ken. Ich lasse mich nicht umsonst mit Türmen für die Wahrheit bezahlen“, meldete sich Deemon wieder zu Wort. „Hör auf es“, sagte Nadine grinsend. Sie schien es auch gehört zu haben. „Deemon kann dir auch ein paar Tipps geben, wie du das Spiel interessanter gestalten kannst.“ Sag ihr die Wahrheit, Deemon, verlangte Ken. Wenn sie alle drei miteinander sprachen, konnte Deemon nicht anders, als seine Karten offen darzulegen – oder zu lügen. Ken würde das Biest einfach in die Enge treiben! „Es ist ein Spiel“, erwiderte es. Da haben wir die Lüge! Es ist alles andere als ein Spiel! „Nadine kann dich nicht hören, Ken. Nur ich. Du kannst auch ihre Gedanken nicht hören, aber sie dachte gerade, dass du eine jämmerliche, humorlose Person bist.“ In Deemons Schatten klirrte Belustigung. „War es nicht die Einladung zu einem Spiel, der du zugestimmt hast? Habe ich dir nicht gesagt, dass es ein Spiel sein wird, das die DigiWelt umschließt?“ Du redest um den heißen Brei herum! Sag Nadine die Wahrheit, und ich baue dir zehn weitere Türme! „Abgelehnt.“ Mehr sagte es nicht. Es passte wahrlich gut auf, was es sagte, zog sich sogar aus dem Rand seines Gesichtsfelds zurück. Ken starrte Nadine wütend an. „Schön“, sagte er und es klang in seinen Ohren wie der Entschluss eines Richters, der den Angeklagten zum Tode verurteilte. „Dann finde ich selbst heraus, was hier los ist.“   Tag 145   Oikawa übergab er das Kommando über die Festung und das übrige Reich. Arukenimon nahm er mit, gemeinsam mit genügend Granulat für eine Instant-Armee Schwarzturmdigimon. Es war eine innere Unruhe, die Ken antrieb. Etwas war nicht, wie es sein sollte. Es dürfte keine Mächte mehr in der DigiWelt geben. Internationale DigiRitter vielleicht? Er wollte nicht so recht daran glauben. Allen anderen hatte Deemon bisher untergeordnete Rollen gegeben, vom Opfer des Wahnsinns bis zum wandernden Barden. Als er spät nachts auf den Rücken des Ookuwamons kletterte, mit dem er die Rückeroberungsarmee anzuführen gedachte, ging er noch mal die Fakten durch. Jemand hatte es geschafft, Devimon von seinen Schwarzen Ringen zu befreien. Dann hatten sie es festgehalten, bis es Ken eine Nachricht gesendet hatte, und es dann getötet. Devimon war nur auf dem Champion-Level, dennoch sollte es nicht so einfach sein, es zu vernichten, nicht auf seiner Insel. Und das Meer um die File-Insel war in ständiger Beobachtung, die Verteidigung, die Ken auf Leomons Aufbruch hin hatte anlegen lassen, müsste noch aufrecht gewesen sein. Trotzdem hatte sich jemand angeschlichen und sie alle überrascht. „Worüber denkst du nach, Ken?“, fragte Minomon, als wäre das nicht offensichtlich. „Dem Feind ist es so leicht gefallen, uns unser wertvollstes Gebiet zu nehmen. Das beunruhigt mich“, sagte er. „Treibst du deswegen all den Aufwand?“ Arukenimon spielte, auf der Bank im Pavillon ihm gegenüber sitzend, mit einer Haarsträhne. „Ich bekomme noch Spliss von deinen Ängsten.“ Es meinte Kens Geschwader, das es auf sein Geheiß hin zusammengestellt hatte. Er hatte Truppen zusammengezogen, wo es möglich war, vor allem, weil er nicht warten wollte, bis sich die Nachricht von Devimons Niederlage herumsprach. Darüber hinaus hatte Arukenimon ihm mehrere Hundert Haare geopfert, um seine Schlagkraft zu erhöhen. Es war praktisch, sich einfach nur Digimon wünschen zu müssen – Arukenimon konnte sie nach Belieben herstellen. So besaß er jeweils um die vierzig Pteramon, Snimon, Thunderboltmon und Kuwagamon, dann ein paar MegaKabuterimon – kleiner als Izzys und blau –, MetallMamemon und nun sogar drei eigene Megadramon. Ein stolzes Aufgebot, schnell und wendig und allesamt fliegend. „Ich will kein Risiko eingehen“, verteidigte sich Ken. „Wenn es dir zu viel wird, sag es mir rechtzeitig.“ Arukenimon schnaubte. „Es ist nicht so, als wäre die File-Insel besonders wichtig, jetzt, da du mich hast. Bin ich nicht unendlich praktischer als kleine Hosenscheißer, die erst aus ihren Eiern kriechen müssen?“ Ken lächelte. „Was ist denn jetzt so lustig? Du hast mir besser gefallen, als du vor mir immer mit den Zähnen geknirscht hast.“ „Ich weiß auch nicht. Irgendwie macht mir deine Unbekümmertheit Mut.“ Wieder erntete er ein genervtes Schnauben. „Erhoff dir nur nicht zu viel. Ich kann dir nur neue Digimon zaubern, wenn du die Türme dafür hast, und auf der Insel werden kaum noch welche stehen.“ Das konnte Ken nur unterschreiben. Sie sahen die File-Insel aus dem Dunst auftauchen, als gerade der Morgen graute. Als Ken die Plane des Pavillons zur Seite schlug, wirkte sie ruhig und friedlich. Er schluckte und spürte die Müdigkeit einer verpassten Nacht. Es wird schon gut gehen, versuchte er sich zu beruhigen. Was immer uns erwartet, wir sind so viele, dass wir nicht verlieren können. Er atmete tief durch, ehe er mit Deemon Kontakt aufnahm. Der rasende Flugwind, die dahinsausenden Wellen des unruhigen Meeres unter ihm, das alles fror ein und verblasste. Ich gebe dir eine letzte Chance, Deemon. Sag mir, welche Teufelei du wieder ausheckst. Wer führt diese Chessmon an? Deemons Gestalt erschien direkt neben ihm und vor Arukenimon, das in der Welt seiner Gedanken zur Salzsäule erstarrt war. „Ich verrate es dir, wenn du den Preis bezahlst.“ Und der wäre? „Fünfhundert Türme.“ Abgelehnt. Ken verscheuchte das Digimon, indem er sich wieder auf den Flug konzentrierte und auf die Insel, die rasch näher kam. Fünfhundert Türme zu verlangen, war auch schon eine Antwort. Deemon setzte große Stücke auf diese Schachfiguren-Armee, da war Ken sich sicher. Sei’s drum. Er würde keinen Rückzieher machen. Das Geschwader umflog die Insel in einem Abstand von mehreren Seemeilen. Ken hatte die Wahl, in welcher der vielen Klimazonen der File-Insel er landen wollte, und er hatte sich für die Eiswüste entschieden. Der Tag war relativ klar, keine Wolken über der Insel. Auf den weiten Feldern aus Schnee und Frost waren Hinterhalte schwierig. Als sie sich von Norden her der gefrorenen Küste näherten, wurden sie prompt beschossen. Etwas, das aussah wie ein Turm, war auf eine Landzunge gebaut worden, einige Meilen weiter entfernt stand noch einer. Der erste hatte Kens Geschwader ins Visier genommen und feuerte aus mindestens einem halben Dutzend kleiner Geschütze. Ken streckte den Arm aus, als sie weiterhin darauf zuhielten. Der Flugwind ließ sein Haar und seinen Umhang flattern. „Gegenschlag!“, rief er. Die Pteramon flogen von den Flanken zur Spitze des Geschwaders. Fauchend schickten sie ihre Raketen vor sich her. Schnee und Eis spritzten in weißen Wolken auf, wo sie aufschlugen, aber je näher das Geschwader der Insel kam, desto deutlicher sah Ken, dass die schwarzen Umrisse der Türme dem Beschuss trotzen. Dann kamen die Megadramon zum Einsatz. Sie überholten die Pteramon und stürzten sich fauchend auf die feindlichen Digimon. Ken sah, wie kleine PawnChessmon durch den Schnee flohen, als die gewaltigen Raketen der Drachendigimon den ersten Turm zerfetzten. Der zweite holte mit seinem Dauerfeuer einige Pteramon aus dem Himmel, ehe auch er von den Megadramon vernichtet wurde. Die Kuwagamon setzten sich an die Spitze und durchflogen das Eisfeld auf der Jagd nach den kleinen PawnChessmon. Ken sah dann und wann Datenwolken aufstieben. Der Rest des Geschwaders landete unweit der Küste, aber nicht so nah an den Wellen, dass überraschend auftauchende Meeresdigimon ihnen gefährlich werden konnten. Sofort wurden Container mit Granulat abgeladen und in den Schnee geschüttet. Die Commandramon, die er für Pionierarbeiten mitgenommen hatte, machten sich daran, Türme zu bauen, und Ken half mit seinem Schwarzen DigiVice mit, so gut es ging. Tatsächlich schienen nirgendwo mehr die Türme von früher zu stehen. Sie hatten vermutlich nicht viel Zeit. Ken ließ Türme in die Höhe schnellen und von Arukenimon in schwer gepanzerte Digimon wie Rockmon verwandeln, außerdem in Guardromon, Mekanorimon und die mit Gewehren bewaffneten, in ABC-Anzüge gehüllten Troopmon. Er hätte auch gerne ein paar Ultra-Digimon gebaut, aber in derselben Zeit bekam er zehn Champions, und für seinen Plan war die Quantität wichtiger als Qualität. „Arukenimon, du bleibst hier und überwachst den Bau der weiteren Türme“, sagte er, als er mit seiner zweiten Invasionstruppe zufrieden war. „Und denk an den Notfallplan.“ Ein Seufzen reichte ihm als Antwort. Ken stieg wieder auf Ookuwamon. Den Pavillon hatte er wegreißen lassen und stattdessen einige Digimon zu sich nach oben geholt. Ein leichter Schneesturm war aufgekommen und erschwerte die Sicht. Verdammt. Der Berg der Unendlichkeit war dennoch auszumachen. Dort würde es sich entscheiden – der Feind hatte ihm deutlich gemacht, dass er Devimons Hauptquartier gestürmt hatte. Ken gab das Zeichen zum Angriff, und seine Schwarzturmdigimon führten seinen Schlachtplan genau aus. Die erste Welle bildeten wieder die Pteramon. Sie flogen auf Bodenhöhe über die Schneefelder in die Wälder, die den Berg säumten. Ken folgte ihnen etwas weiter hinten mit Ookuwamon und den anderen Flugdigimon. Die Megadramon hielten sich hoch am Himmel bereit. Die neu gebauten Digimon, vor allem Rockmon, schlurften durch die Schneise, die sie hoffentlich in die feindlichen Digimon reißen würden. Tatsächlich wurde ihnen aufgelauert. Weiße PawnChessmon versteckten sich im Wald, und vielleicht noch andere Digimon. Die Pteramon teilten sich wie geplant auf und flogen nebeneinander an den Baumstämmen vorbei. Sobald sie ein Digimon erspähten, machten sie kurzem Prozess mit ihm, ohne indes langsamer zu werden. So säuberten sie großflächig das Gebiet und räumten einen Pfad für die schweren Digimon frei. „Ken, da!“, sagte Minomon in sein Ohr. Ken wandte sich nach links. Aus dem Schneegestöber, das seine Digimon aufwirbelten, tauchten Feinde auf: Zentauren-Digimon, weiß gepanzert und mit gewaltigen Lanzen bewaffnet. KnightChessmon. Sie ritten auf gleicher Höhe mit Kens Ookuwamon mit und richteten die Lanzen aus. „Feuer!“, befahl Ken. Er hatte aus seinem Ookuwamon eine fliegende Festung gemacht. Auf seinen weggeklappten Flügelplatten und den Beinen hockten Gargomon, hasenähnliche Digimon mit Hosen und Gatling-Geschützen an den Armen. Surrend drehten die Waffen sich und pulverten einen Kugelhagel in den Schnee. Ein KnightChessmon kam ins Stolpern und floh, die anderen blieben hartnäckig. Die Schüsse trafen sie und rissen Löcher in ihre Panzerungen, aber es reichte nicht aus, um sie zu töten. Dann eröffneten die Guardromon, die neben Ken auf Ookuwamons Kopf standen, ebenfalls das Feuer. Eine Granate flog pfeifend geradewegs in den Brustkorb des vorderen KnightChessmons. Die Explosion riss es von den Füßen, aber es löste sich erst auf, nachdem ein nachrückendes über seinen Leib gestolpert war. Auch auf der anderen Seite vernichteten Guardromon-Granaten berittene Schachfiguren, die ihnen zu nahe kamen. Etliche hielte sich außer Reichweite, aber schon lösten sich Snimon aus Kens Formation und eröffneten Jagd auf sie. Der Wald kam. Schnee wehte aus den Ästen und Ken war froh, seine DigimonKaiser-Brille zu tragen. Wie Kältesterne prickelten die Eiskristalle auf seiner Wange. Rings um ihn herum barst und krachte es, aber er bekam gar keinen Gegner zu Gesicht. Weiter vorne hatten die Pteramon den Berg erreicht und flogen in einem steilen Halblooping die Felswände hoch. Ken sah Kerosinwolken hinter ihnen her wehen. Von mehreren Stellen des Berges hagelte es Schüsse, eines der Pteramon wurde getroffen, schlenkerte gegen die Felsen und verging in einem Feuerball. Wie Fliegen erhoben sich MetallMamemon und Thunderboltmon aus dem Wald und schossen auf die feindliche Gegenwehr. Ken konnte bald nicht mehr sagen, welcher Blitz, welche Feuerkugel und welche Datensplitter zu seinen Digimon gehörten und welche zu den Feinden. Mit einem in den Zähnen schmerzenden Knirschen bohrten sich weitere Türme aus den Felsen. Ken erkannte die Digimon nun als RookChessmon; sie waren tatsächlich den Türmen im Schach nachempfunden und auf dem Ultra-Level. Die Pteramon kamen gegen sie nicht an, selbst die MetallMamemon hatten Schwierigkeiten. Das ratternde Dauerfeuer aus den Kanonenrohren an ihren Armen holte ein Schwarzturm-Digimon nach dem anderen vom Himmel. Wieder stießen Kens Megadramon herab, doch diesmal erwischte es sie ebenfalls: Ein weiteres, größeres RookChessmon tauchte aus einer Höhle im Fels auf und erwischte das vorderste Megadramon tödlich. Mit einem fürchterlichen Kreischen löste der Drache sich in Daten auf, die regelrecht zu Boden prasselten, als sie seiner Flugrichtung folgten. Dann krachten Raketen gegen die Felswände. Das erste RookChessmon fiel in einem Hagel aus Steinsplittern. Ein tödlicher, grollender Steinschlag rollte auf Ken zu, gerade als er den Berg ebenfalls erreichte. „Nach rechts!“, brüllte er. Ookuwamon vollführte ein so gewagtes Ausweichmanöver, dass zwei Gargomon sich nicht mehr halten konnten und in die Tiefe stürzten. Das Poltern der Felsen übertönte das stete Surren von Ookuwamons Flügeln und Ken kniff wider Willen die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, waren sie beinahe wieder auf Kurs. Die Pteramon, die an den RookChessmon vorbeigekommen waren, hatten die Bergspitze erreicht und vollendeten den Looping, um wieder ans Ende der Schlachtformation zu gelangen, wo die Rockmon mit stoischer Geduld marschieren mussten. Der Plan sah vor, die Feinde im Berg einzuschließen, bis Kens Streitmacht vollends vor ihren Verstecken versammelt war. Ein weiteres RookChessmon fiel den Megadramon zum Opfer. Die fünf Türme, die noch übrig waren, schienen die einzige Verteidigung zu sein, die den Berg noch schützte. Ookuwamon flog senkrecht in die Höhe und war dabei wegen des zusätzlichen Gewichts langsamer als die Snimon und Kuwagamon. Die kleineren Käferdigimon würden ausschwärmen, sobald sie die Bergspitze erreicht hatten, und nach Zugängen suchen. Da tat sich etwas knapp unter der Spitze. Hinter einem Felsen richtete sich ein neues Digimon auf, weiß mit einem violetten Umhang, einem Helm und einem Zepter. Im Repertoire der Schachfiguren musste es der Läufer sein. Sofort schleuderten die Snimon ihm ihre Klingen entgegen. Doch das BishopChessmon war nicht allein. Ein halbes Dutzend kleiner PawnChessmon sprangen in die Höhe und formten einen lebenden Wall. Die glühenden Halbmonde prallten gegen ihre Schilde – und der Schildwall hielt. Die PawnChessmon standen übereinander. Ken biss sich auf die Lippen. Gut organisiert, diese Digimon … Die Pyramide der PawnChessmon fiel auseinander, als sie zur Seite sprangen. BishopChessmon war wieder zu sehen – mit hell glühendem Stab. Das ist nicht gut … Schweigend wie der Tod richtete es sein Zepter auf Kens Geschwader. Ein weit gestreuter, weißblauer Energiestrahl fauchte ihnen entgegen. Ken sah, wie sich die Haut von seinen Insektendigimon schälte, bis nur noch die schwarzen Kerne übrig waren, die an den Felswänden zerschellten. „Auseinander!“, brüllte er. Seine Guardromon drehten sich herum und schossen auf die große Schachfigur, doch sie war noch zu weit entfernt. Eine Megadramon-Rakete schlug knapp über BishopChessmon ein und bedeckte es kurz mit einer Decke aus Felsen und Steinbrocken, doch das Digimon schien kaum einen Kratzer davongetragen zu haben. Oben auf der Bergspitze flammte ein ähnliches Licht auf und erwischte ein Megadramon im Flug. Sein rechter Flügel löste sich auf, und mit peitschendem Schwanz ging es irgendwo in den Wäldern südlich des Berges nieder. Ken war nahe dran, auf seinen Nägeln zu kauen. Da ist noch eines … Ookuwamon stieg immer noch auf. Sollte er sich lieber zurückziehen und seine Streitkräfte neu formieren? Er hatte in diesem Krieg schon so viel Zeit vergeudet! Blitze zuckten aus den Hörnern der blauen MegaKabuterimon unter ihm. Die Fußsoldaten würden bald da sein. „Weiter!“, brüllte er. „Nicht nachlassen!“ Die übrigen Guardromon auf seiner fliegenden Kampfmaschine nahmen ebenfalls das untere BishopChessmon ins Visier, aber sie lenkten es mit ihren Schüssen nicht einmal ab. Einzig die Blitze der MegaKabuterimon schienen es ein wenig in die Defensive zu drängen. „MegaKabuterimon, Frontalangriff mit euren Hörnern!“ Die blauen, kugelförmigen Käfer brummten mit der Lautstärke eines LKWs an ihm vorbei. Zu siebt stürzten sie sich auf das BishopChessmon und stießen ihre Hörner in seinen weißen, stählernen Leib, wo sie stecken blieben. Endlich gab das Digimon einen unwilligen Schmerzlaut von sich und schwankte. Mit letzter Kraft hob es sein Zepter und begann, auf die Käfer, die fast ein Viertel seiner Körpergröße erreichten, einzuprügeln. Als es merkte, dass es damit keinen Erfolg hatte, ließ es ihn wieder aufglühen. Dann stürzte es sich urplötzlich, gespickt mit MegaKabuterimon, von der Felsplattform – und entlud den gleißenden Stab genau in Kens Richtung. Er kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen. Der Lichtblitz fuhr direkt neben seinem Fuß in den Kopf des Ookuwamons. Aus geweiteten Augen sah Ken die Guardromon sich auflösen. Ookuwamons ohnehin beschädigter Chitinpanzer zerbröselte – und mit einem Mal war das Digimon unter ihm in einer Datenwolke verschwunden. Mit einem Aufschrei stürzte Ken in die Tiefe – neben sich die überlebenden Gargomon. Die Welt drehte sich. „Ken!“ Licht neben seinem Kopf. Minomon, das auf seiner Schulter gesessen war, digitierte. „Halt dich fest!“, fiepte Wormmon. Ken warf sich in der Luft herum und umschlang den grünen Körper seines Partners so fest es ging. Wormmon spie einen dicken, klebrigen Faden auf die nahe Felswand, an der sie vorbeirasten. Länger und länger wurde das weiße Band, dehnte sich wie Gummi, und ihr Fall wurde langsamer – bis der Faden riss und Wormmon einen neuen spuckte. Diesmal packte ihn auch Ken. In einem Bogen schwangen sie sich auf einen Felspfad, der unter ihnen erschien. Die Landung sandte einen Schmerblitz durch Kens Schulter, als sie sich mehrmals überschlugen. Er schürfte sich Kleidung und Haut auf dem rauen Gestein auf und prallte schließlich mit dem Rücken gegen eine Wand, was ihm die Luft aus der Lunge trieb. Dann blieb er liegen, ächzend und schnaufend, mit nichts als dem Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren. „Ken! Ken! Ist alles in Ordnung?“ Wormmons Stimme. „Alles gut.“ Lächelnd hob er es hoch. Es schien unversehrt – Gottseidank. „Danke, Wormmon.“ „Keine Ursache.“ Sie befanden sich unter einem natürlichen Überhang, und der Pfad wand sich steil den Berg hinauf. Schwere Schritte verkündeten, dass auf ebendiesem Wege nun Kens Fußsoldaten anrückten. Von dem Überhang rieselten Steinmehl und Daten, ab und zu fielen auch Digimon und Felsbrocken an ihnen vorbei. Die Schlacht dort oben war noch nicht vorbei – allerdings hatte er den Überblick verloren. Blitzschnell überlegte er seine weiteren Schritte. Er würde eben persönlich das Kommando über die Fußsoldaten übernehmen! Schon kamen die ersten Commandramon und Troopmon um die Felswand marschiert. „Bleib dicht bei mir, Wormmon.“ Ken nahm dem vordersten Commandramon die Maschinenpistole ab und setzte sich selbst an die Spitze der Prozession. Das war vielleicht keine so gute Idee, aber auf allzu viel Gegenwehr stießen sie hoffentlich nicht mehr. „Willst du etwa selbst kämpfen, Ken?“, fragte Wormmon unbehaglich. „Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Aber ich bin ein Soldat mehr.“   We, we will resist and bite Fight hard, ‘cause we are all in sight We, we take up arms and fight Fight hard, resist and do what’s right (Sabaton – Resist And Bite) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)