New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 69: Götterdämmerung --------------------------- Tag 152   Magnamon erhellte die Gänge der Festung wie eine eigene Sonne – hier sah es noch viel prächtiger aus als auf der Hand-Insel. Davis hatte ihm die Digitation gestattet, als sich eine ganze Horde wütender MetallMamemon auf sie gestürzt hatte. Wie ein goldener Blitz fegte Magnamon durch ihre Reihen, und nicht einmal die Splitter ihrer schwarzen Kerne konnten das Licht aufsaugen. Irgendwann sah es so aus, als würden ihre Gegner fliehen. Davis folgte ihnen; bisher hatte er niemanden gefunden, den er hätte befreien können. Vielleicht war es den anderen gelungen, dem Kaiser die Geiseln zu entreißen. Die beiden letzten Meramon stürmten um einen Knick des Ganges und griffen jemanden an – und kurz darauf sah Davis ihre Daten davonstieben. Er stürzte um die Ecke und erblickte seine Gefährten. Tai und Matt standen vor einem großen Tor, außerdem einige andere Menschen. Sehr gut. „Wo warst du so lange?“, fuhr Tai ihn an. „Wir kämpfen hier seit zehn Minuten gegen die Digimon, die ständig angerannt kommen!“ „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass wir einen Treffpunkt vereinbart hatten“, gab Davis beleidigt zurück. „Also habt ihr die Geiseln befreit?“ „Nein“, sagte das schwarzhaarige Mädchen neben Matt. Davis hatte das Gefühl, ihr Gesicht schon mal irgendwo gesehen zu haben. „Es gibt keine Geiseln. Alles Humbug. Der Kaiser versucht, in diesem Spiel keinen einzigen Menschen zu töten.“ „Hä?“, machte Davis verwirrt. „Und wer bist du?“ „Das ist Königin Nadine“, sagte Tai, als sie schon den Mund aufmachen wollte. „Königin … etwa die Königin …“ „Ja. Wir erklärten dir alles später“, sagte Matt. „Hinter dieser Tür liegt die Brücke. Dort versteckt sich der DigimonKaiser. Weißt du, wo Willis ist?“ Davis schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit mehr. Wir schaffen es auch alleine“, meinte Tai, und er und Matt nickten einander zu. Neues Feuer packte Davis. „Also gut! Legen wir los, Magnamon!“ „Liebend gern!“ In Magnamons goldener Rüstung öffneten sich Klappen, und ein Schwall Raketen hagelte auf das fragliche Tor nieder. Die DigiRitter schützten ihre Gesichter vor dem Splitterregen und husteten, als der weiße Qualm in ihre Kehlen drang. Hinter der pulverisierten Tür war kaum mehr als Finsternis zu erkennen. „Ihr wartet hier“, wies Tai die anderen Menschen an. Er, Nadine, Matt, WarGreymon, MetallGarurumon, Magnamon und Davis selbst betraten die Brücke. Der DigimonKaiser erwartete sie, lässig auf einem gepolsterten Drehsessel sitzend, inmitten von quellender Dunkelheit. Seine Brillengläser schienen im selben matten Licht wie die Bildschirme zu glimmen, die überall um ihn herum angebracht waren. Davis kannte sein Gesicht aus seinen Videobotschaften, doch damals hatte er noch nicht so einen grausamen Zug um den Mund gehabt. Hinter ihm ragten die dunkelgrünen Umrisse eines Stingmons auf. „Willkommen“, sagte er leise. „Das Spiel ist aus, DigimonKaiser.“ Tai trat einen Schritt vor. „Du bist erledigt!“ „Ach, wirklich?“ Der DigimonKaiser lächelte und bewegte lediglich einen Finger. Neben ihm ging Licht an – Willis saß dort an einen Sessel gebunden. Neben ihm stand ein grinsendes Mummymon, das ihm einen Gewehrlauf gegen die Backe drückte. „Rückt eure DigiVices heraus“, forderte der Kaiser. „Ihr habt die anderen vielleicht befreit, aber ich habe hier einen der euren.“ „Hört nicht auf ihn. Er blufft.“ Nadine marschierte an WarGreymon und MetallGarurumon vorbei und warf hochmütig ihren Zopf zurück. „Dein Schwindel ist aufgeflogen, Ken. Tu nicht so, als wärst du hier der Böse.“ Der DigimonKaiser begegnete ihrem Blick ausdruckslos. Die Digimon nahmen Angriffshaltung ein. Nadine lachte. „Du hättest mich wirklich töten sollen.“ „Ja. Vielleicht hätte ich das“, murmelte er düster. Mummymon stieß den Sessel mit Willis einfach um und stieß ein irres Lachen aus. Das Gewehr schwenkte herum; eine blitzende Lichtschlange verließ es und schoss auf die DigiRitter zu. WarGreymon reagierte blitzschnell, warf sich in die Schusslinie und wehrte den Energiestrahl mit seinem Rückenschild ab. Aus den Schatten schnellte Stingmon hervor. Davis hörte nur das laute Brummen seiner Flügel, dann landete es plötzlich genau neben ihm. Er konnte nur mühsam einen Aufschrei unterdrücken, als er in seine Facettenaugen sah. Der rosa glühende Stich ging in Richtung seiner Hüfte, wo sein DigiVice hing. Mehr durch Zufall konnte er ausweichen – im nächsten Moment warf sich Magnamon dazwischen, schlug den Insektenarm zur Seite und donnerte Stingmon die Faust gegen den Schädel. „Jetzt reicht’s!“, grollte MetallGarurumon und spie einen eisigen Hauch aus seinem Maul, direkt auf den DigimonKaiser, der sich nicht einmal rührte. Ein halbes Dutzend Hagurumon flog von irgendwo her. Die Zahnräder ordneten sich wie ein Schild vor ihm an, schützten ihren Herren. Das Eis hüllte sie vollständig ein und ließ sie zu Boden stürzen, vereint und sich bereits auflösend. In WarGreymons Kralle erschien eine glühende Feuerkugel, doch kam es nicht dazu, sie zu werfen. Ein Arukenimon stürzte plötzlich von der Decke – genau auf das Drachendigimon, das von den Füßen gerissen wurde. Damit nicht genug, huschte plötzlich noch ein Schatten durch den Raum. Als Nadines Elecmon Blitze auf Arukenimon schleuderte und MetallGarurumon blaue Eisstrahlen aus seiner Schnauze schoss, die den Boden hinter der Gestalt aufrissen, erkannte Davis einen dunkel gekleideten, groß gewachsenen Mann. Ein winziges Digimon auf seiner Schulter, das von einem Moment auf den anderen von einem grünen Klops zu einer Art Kastanie mit Blatt wurde, sprühte sogar eine Wand aus Seifenblasen auf die DigiRitter und versuchte wohl sie abzulenken. Der Mann hielt eine Eisenstange in Händen, aber er kam nicht weit: Magnamon packte Stingmon am Arm und schleuderte es gegen ihn, wo sie beide ächzend zu Boden gingen. Davis ballte die Fäuste. Sie wehrten sich wirklich verbissen … Nadine beließ es nicht beim Fäusteballen, sondern stürzte sich auf den DigimonKaiser, der endlich von seinem Sessel aufgesprungen war. Sie prallte gegen ihn, riss ihn von den Füßen. Davis hörte nur ihr Fauchen und dumpfe Geräusche, als sich die beiden irgendwo durch die Finsternis wälzten. „Davis!“ Er fuhr herum, wusste nicht einmal, wer geschrien hatte. Urplötzlich war ein Junge vor ihm aufgetaucht, den er noch nie gesehen hatte. Er schwang ein goldenes Schwert, so furios, dass Davis mit einem Aufschrei auf seine vier Buchstaben plumpste, dabei galt der Angriff MetallGarurumon. Die Klinge prallte Funken sprühend gegen seinen gepanzerten Hals. Wütend rammte der Wolf dem Jungen den eisernen Schädel in die Magengrube. Er gab ein würgendes Geräusch von sich und taumelte. Licht glühte in MetallGarurumons Rachen auf … Ein Digimon, das aussah wie ein Gürteltier, sprang auf den Kopf des Wolfes, presste seine Kiefer zusammen und erstickte die Attacke. MetallGarurumon versuchte, es abzuschütteln, und mehr konnte Davis nicht mehr erkennen: Kaum war er wieder auf die Füße gekommen, verpasste ihm Arukenimon eine mächtige Backpfeife. Seine rechte Gesichtshälfte explodierte im Schmerz. Er prallte gegen Magnamon, das ihn auffing. Das Spinnendigimon peitschte sofort mit seinen ekligen Fäden hinterher, die WarGreymon mit messerscharfen Krallen zerhackte. Im selben Moment ertönte ein saugendes Geräusch: MetallGarurumon hatte seine Raketen abgefeuert, die kreuz und quer durch den Raum flogen und sich jeweils ihr eigenes Ziel suchten. Ein Knall ganz in der Nähe, ein Schrei. Etwas zersprang klirrend in Daten. Mummymon hatte sich zwischen Arukenimon und eine Rakete geworfen, die sein Gewehr zertrümmert hatte. Ein schwarzer, rauchender Fleck zierte außerdem Mummymons Brust, von der lose Bandagen hingen. „A-alles in Ordnung, Arukenimon?“, seufzte es. „Du Idiot!“, zischte das Spinnenwesen mit geweiteten Augen. „Mach sie fertig, WarGreymon!“, rief Tai. Den nächsten Energieball warf es tatsächlich. Nun war es Arukenimon, das Mummymon zu Boden riss. Im Fallen nahm es eine menschliche Form an, was seine Angriffsfläche verringerte – und haarscharf sauste die Energiekugel an ihnen vorbei, fraß sich krachend und knirschend in die Wand. Dutzende Kabel und geschmolzene Stahlträger quollen daraus hervor. Noch während sie abgelenkt waren, beging der Mann von vorhin eine Wahnsinnstat. Er sprang WarGreymon von hinten an, versuchte, seine Arme zu fixieren. „Das tust du nicht nochmal“, flüsterte er entschlossen. „Die beiden sind sozusagen meine Kinder.“ Irgendwo im hinteren Teil des Raumes hörte man einen Aufschrei. Das Gerangel von Kaiser und Königin, Tulpe und Rose dauerte an. „Genug von dem Geplänkel!“, schrie plötzlich Willis. Er hatte sich irgendwie von seinen Fesseln befreit und war durch den Raum gerobbt. In Fetzen hingen Mullbinden von ihm herab, und in der Hand hielt er ein Goldenes ArmorEi. „Erstrahle!“ Davis konnte zunächst nicht sagen, woher das Licht der goldenen Digitation kam. Irgendwo unter eine Computerkonsole mussten Willis‘ Digimon eingesperrt gewesen sein. Die Maschinen zerbarsten und strahlend wie das Morgenlicht kam Rapidmon zum Vorschein. Das Glühen der Digitation tauchte den ganzen Raum in hellen Glanz und ließ ihn kleiner wirken. In einer Ecke kam eben keuchend der DigimonKaiser auf die Beine, das Gesicht zerkratzt, das Haar zerzaust. Seine Brille war fort. Zu seinen Füßen krümmte sich Nadine, hielt sich stöhnend den Bauch. Elecmon stieß einen schrillen Schrei aus, stürzte sich auf den Kaiser und verpasste ihm einen Stromschlag. Er stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus und seine Muskeln zuckten unkontrolliert – aber dann fegte er Elecmon mit einem wütenden Tritt zur Seite. „Ihr haltet mich nicht auf“, knurrte der DigimonKaiser. Ken, wenn Davis sich richtig erinnerte. Blut lief ihm aus der aufgeplatzten Lippe über das Kinn, und er fletschte die Zähne. „Digitiert, so viel ihr wollt! Bringt mir alles, was ihr habt! Ich werde nicht verlieren!“ Die letzten Worte schrie er in Rapidmons und MetallGarurumons Raketenfeuer. Das Donnern war so gewaltig, dass Davis‘ Trommelfell zu platzen schien. Maschinen, Kabel, Konsolen, Tische schmolzen regelrecht dahin, Splitter und Trümmer flogen durch den Raum, bohrten sich in Davis‘ Kleidung und seine Haut. Ein reißender Sog zerrte an seinem Haar. Ken und Nadine verschwanden in einer Wolke aus Feuer und Rauch. Etwas rumpelte und knirschte, ein frischer Lufthauch traf Davis‘ glühende Haut, füllte seine pumpenden Lungen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er alle Muskeln angespannt hatte. „Ken!“ Stingmon rauschte in die Qualmwolke hinein. Der Kampf erstarb. Vor zwei menschenähnlichen Digimon rappelte sich der schwarzhaarige Mann auf. Auf der anderen Seite stand der Junge mit dem Schwert keuchend neben seinem kleinen Digimon. Es war nicht zu sagen, wer wen beschützte. „Gebt endlich auf!“, schrie Tai heiser „Ihr habt verloren! Euer Kaiser ist tot!“ „Glaubst du das wirklich?“, ertönte eine schrille, gequetschte Stimme. Davis rieselte es kalt den Rücken runter. Ein Windstoß zerriss den Rauchvorhang. Dort stand er, vor dem glitzernden Sternenhimmel. Die Reste seines Umhangs flatterten in der Brise, die durch die zertrümmerte Wand wehte: Ein klaffendes Loch prangte knapp neben ihrem Erzfeind in dem Fels-Metall-Gemisch, mehrere Meter tief, und reichte bis ins Freie. Davis stieß einen ungläubigen Schrei aus. Die Raketen hatten den DigimonKaiser verfehlt? Kens Gesicht war eine blutige Maske. Stirn und Wange waren von Metallsplittern aufgeschlitzt worden; einige winzige Trümmerstücke sah Davis sogar noch in seiner Haut glänzen. Seine blaue Kleidung war rußbefleckt und er hatte das linke Bein abgewinkelt, wo unter dem Knie rohes, zerfurchtes Fleisch zu sehen war. Sein Haar war angesengt worden; winzige Flammen fraßen eben noch an einzelnen Strähnen. Der DigimonKaiser machte sich nicht einmal die Mühe, sie zu ersticken. Er breitete die Arme aus und lachte heiser, als er ihre Gesichter sah. „Ist das Ironie? Deemon kann mir alles entgegenwerfen, eine falsche Freundin, einen falschen Bruder, Magnamon und Rapidmon und Gennai – aber schieres Glück kann es wohl nicht steuern!“ „Jetzt, Ken!“, rief der große Mann. Der DigimonKaiser biss die Zähne zusammen, als er herumfuhr und durch den Tunnel hastete, den die Attacken in die Wand gerissen hatten. „Haltet ihn auf!“, kreischte Davis. Er hätte gar nichts sagen müssen – die Digimon stürzten von alleine vorwärts. Die Anhänger des DigimonKaisers hatten eine Spur schneller reagiert: Der Junge und sein Armadillomon warfen sich WarGreymon entgegen, das sie wie Puppen von sich stieß und durch den Raum purzeln ließ. Arukenimon verwandelte sich wieder und erreichte den DigimonKaiser mit schnellen Schritten. Mummymon saß auf dem breiten Spinnenrumpf und schleuderte Mullbinden auf seine Gegner, um sie zu verlangsamen. Auch die DigiRitter setzten sich in Bewegung, doch es war zu spät. Der DigimonKaiser ließ sich einfach aus der Öffnung fallen, Arukenimon und Mummymon sprangen nur eine Sekunde später hinterher, dann Stingmon mit vibrierenden Flügeln. „Nein!“, schrie Davis. Der peitschende Schwanz eines Airdramons war kurz zu sehen, als es dort draußen in die Tiefe tauchte. Kurz bevor sie das Loch in der Mauer selbst erreichten, baute sich der schwarzhaarige Mann davor auf, packte die scharfen Ränder der Wand und versperrte ihnen den Weg. Seine hellen, traurigen Augen funkelten entschlossen. „Aus dem Weg!“, schrie Matt. Der andere schnaubte. „Ich werde für die DigiWelt sterben“, sagte er. „Wenn es sein muss, immer und immer wieder.“ „Kannst du haben!“ Es war Willis, der sich gegen ihn warf. Der Stoß, den er ihm verpasste, enthielt all den gewaltigen Zorn und die Verzweiflung, die auch Davis empfand. Der Mann geriet nahe an den Abgrund, taumelte und stürzte schließlich in die Tiefe, während in der Ferne Airdramon und Stingmon zu sehen waren, die vor ihnen flohen. „Verdammt, das war …“, wollte Davis Willis anfahren, aber Tai fiel ihm sofort ins Wort. „Diskutiert das später aus! Wir müssen ihm hinterher!“ Matt saß bereits auf MetallGarurumons Rücken. „Wir sind viel schneller, diesmal entkommt er uns nicht!“ Sie nickten einander zu. Die beiden hatten recht. Davis kletterte hinter Matt auf den Eisenwolf, Willis hielt sich an Rapidmon fest, dann sausten sie alle in die Nacht hinaus, auf der letzten Jagd nach einem Feind, der so gut wie geschlagen war.     Oikawa schloss die Augen, als er den Wüstenboden näherkommen sah. Ein Sturz in den Tod, vorbei an Massen aus Gestein und von Finsternis getränktem Metall. Unten warteten Kens Schwarzturmdigimon, das wusste er, doch ohne eindeutigen Befehl würden sie ihn nicht auffangen. Er hatte von Anfang an erwartet, dass es so kommen würde. Dass er sich irgendwann opfern müsste, damit Ken das Unmögliche möglich machen konnte. Er bereute es nicht. Er hatte seine letzten Worte ernst gemeint. Etwas bremste seinen Fall, zunächst nur leicht, aber dann wurde der Sturz tatsächlich langsamer. Oikawa fühlte sich am Kragen gepackt. Als er fast reglos in der Luft schwebte, blickte er überrascht nach oben. Ein Digimon trug ihn unter sichtlicher Aufbietung all seiner Kraft. Er hatte es noch nie gesehen, zumindest nicht in dieser Form: Es war eine Art Pflanze mit einem Propeller auf dem Kopf. „Datirimon?“, fragte er ungläubig. Lalamon, verbesserte er sich. Sein DigiVice glühte. „Du bist ein DigiRitter, vergiss das nicht“, presste Lalamon angestrengt hervor und sank langsam tiefer. „Und ich warte nicht noch einmal so lange auf dich!“ Oikawa schloss wieder die Augen und lächelte.     „Da vorne ist er!“, brüllte Davis Matt ins Ohr, als würde er sie nicht auch sehen. Der Himmel hellte sich bereits auf, doch das meiste Licht gaben die Digimon unter ihnen ab, als MetallGarurumon mit riesigen Sätzen über sie hinwegsprang. Der DigimonKaiser hatte all seine Schwarzturmdigimon zur Festung gerufen, und sie attackierten die DigiRitter. Magnamon verschoss seine Torpedos, aber wirklich Ruhe hatten sie erst, als WarGreymon ausholte und einen riesigen Energieball auf sie schleuderte. Die Kugel formte die Dünenlandschaft neu, wirbelte Sand und schwarze Datensplitter auf. Es mussten Hunderte Digimon sein, die es mit einem Schlag vernichtete. Was wollte der Kaiser dem entgegensetzen?     Selbst als das Glühen von WarGreymons Planetenkraft nachließ, war es eine Spur heller als zuvor. Die Sonne ging langsam auf. In Stingmons Armen hielt Ken Ausschau nach dem tintenschwarzen Feld in der Wüste. Airdramon flog direkt neben ihnen. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh. Er hoffte, dass es jeder davon wert war. Dass alles das Ergebnis wert war. Er hatte seine Freunde nun selbst in große Gefahr gebracht, seine Verbündeten ebenso wie diejenigen, die sich gegen ihn verschworen hatten. Er hatte Nadine niedergeprügelt, wie er noch nie jemanden niedergeprügelt hatte. Und das alles nur zu einem Zweck. Es spielte keine Rolle. Er war immer zu weich gewesen. Er würde gewinnen, noch heute, um jeden Preis, denn der Preis des Verlierens war viel zu hoch. Die aufgehende Sonne hatte damals seinen Untergang verkündet. Heute würde sie seinen Sieg bejubeln. Die anderen waren ihm hart auf den Fersen. Rapidmon schoss Rakete um Rakete auf ihn ab. Sein Heer war so gut wie Geschichte; keine Champion- oder Ultradigimon konnten Rapidmon, Magnamon, WarGreymon und MetallGarurumon aufhalten, wenn diese über sie hinweg flogen. Auch das spielte keine Rolle. Alles oder nichts. Das ist einfacher. „Hier!“, rief Ken, als die Fläche in Sicht kam, die selbst das Morgenlicht schluckte. „Setz mich hier ab!“ Stingmon stellte keine Fragen. Es ging tiefer und landete auf dem Kamm einer gewaltigen Düne. Mummymon und Arukenimon flogen mit Airdramon weiter, bis sie den schwarzen Stachelteppich erreichten. MetallGarurumon kam vor ihm zum Stehen, WarGreymon, Magnamon und Rapidmon mit ihren Partnern blieben in der Luft, in einem breiten Halbkreis um Ken herum. Er breitete die Arme aus, wie um sie willkommen zu heißen. „Gib endlich auf!“, rief Davis von MetallGarurumons Rücken. „Nicht, solange ich die Grenzen dieser Welt nicht aufgerissen habe!“, schrie er. Er wusste, dass sie ihn nicht verschonen würden. Damals, als er vor Jahren Agumon gekidnappt hatte, war er auch schon Ziel ihrer Attacken geworden. Und wenn sie doch nicht auf ihn schossen, dann sicher auf alle Digimon und Türme in der Nähe. Das war genauso fatal, denn es bedeutete das Ende. Der Boden erzitterte erst nur leicht, sodass Sand die Düne hinunter rieselte. Das Dröhnen war zunächst kaum hörbar. Hinter ihm begann es erst richtig zu rumoren, als die Sonne die ersten hellen Strahlen durch die Wüste schickte, vorbei am dunklen Klotz seiner Festung. Obwohl WarGreymon und MetallGarurumon vermutlich stärker waren, fixierte Kens Blick in dem Moment nur Magnamon. Es schwebte genau vor der Sonne, die ihn wie mit einem goldenen Kranz umgab. Es machte sich zum Kampf bereit. „Diesmal nicht“, murmelte Ken, dann schrie er mit allem, was seine Stimmbänder hergaben: „Diesmal durchkreuzt du meine Pläne nicht! Nie wieder!“ Das Getöse ließ die anderen zögern, es schwoll an, bis der Druck auf seinen Ohren jeden anderen Gedanken auslöschte. Sandwelle um Sandwelle brandete gegen Kens Rücken. Die Körner, die an ihm vorbeiflogen, waren tiefschwarz.     „Was … was ist das?“, rief Davis entsetzt, als sich etwas hinter dem DigimonKaiser aus der Wüste erhob. Es sah aus wie ein Feld aus finsteren Nadeln, von denen eine unglaubliche, geballte Kälte ausging … „Türme!“, rief Tai atemlos von WarGreymons Rücken. „Das sind Schwarze Türme! Massenweise!“ Nun sah Davis auch, wie sie sich aus dem Sand lösten und langsam in den Himmel schwebten, das junge Sonnenlicht regelrecht durchstachen und nur Finsternis übrig ließen. Ein Sturm kam auf. Mit wachsendem Entsetzen und weit aufgerissenen Augen sah er, wie die schwarzen Stacheln Wellen schlugen, sich verformten. „Tut etwas!“, schrie Willis, dessen Rapidmon Rakete um Rakete auf die brodelnde Masse schoss. Die Projektile erzitterten kurz davor, ihre Flugbahn oszillierte, und schließlich implodierten sie. „WarGreymon!“, rief Tai. Sein Digimon breitete die Arme aus und schickte eine weitere, zweite Sonne in die Schatten. Magnamons Rüstung glühte auf, und der Strahl, der daraus hervorbrach, war sogar noch heller. Licht und Schatten verwirbelten wie Tinte in stürmischem Wasser. Hektisches, schwarzgoldenes Geflimmer ließ Davis‘ Sinne verrücktspielen. Er spürte es überall auf seiner Haut kribbeln, als stächen ihn Hunderttausende Nadeln, doch als er sich kratzte, war da nichts. Dazu kamen ein Geruch nach Winter und Eiseskälte und ein Druck auf den Ohren, als befände er sich viele Meilen unter der Wasseroberfläche. Die Wüste verlor ihre Farbe. Der gelbbraune Sand wurde weiß mit schwarzen Punkten. Der DigimonKaiser wurde von einer Sturmbö von den Füßen gerissen und rutschte die Düne hinunter, die langsam zu wandern begann. Es war, als erwachte die Wüste selbst zum Leben. Das Flimmern erstarb. Davis konnte kaum sehen, was dort vorne geschah: Er erkannte nur einen tintenschwarzen Fleck und hier und da einzelne Ecken und Kanten. Es sah nicht so aus, als hätten ihre Attacken etwas bewirkt.     Ken weinte. Es war weder wegen der Kälte, noch wegen der in den Augen brennenden Sandkörner, dem Sturm oder den Schmerzen. Er weinte aus ehrlichem Bedauern. Und er hätte nie gedacht, sich nach dem Mord an dem falschen Sammy wieder für etwas zu schämen. Stingmon hatte seinen Arm gepackt. Sand schabte auf seiner Haut, kalt wie Eiskristalle. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er fast von den wandernden Dünen begraben worden wäre. „Ken, was ist mit dir?“, fragte Stingmon. Er sah sein Digimon an, wollte etwas sagen, doch er schluchzte nur. „Jetzt ist es vollbracht“, flüsterte er. „Mein allergrößter Frevel. Es ist stärker als Kimeramon. Wie stark, werden wir sehen …“ Er versank halb in dem dunkeln Strudel seiner Gedanken. Es war anders als damals bei Kimeramon. Damals hatte ihn die Dunkelheit überwältigt. Nun schien es ihm, als wäre es genau andersherum. „Ken! Ken!“ Stingmon rüttelte ihn an den Schultern. Es schmerzte. Also lebte er wohl noch. Träge sah er zum Horizont. Die Sonne selbst schien von der geballten Finsternis zurückgedrängt zu werden. Er sah seine Verbündeten vor der Dunkelheit fliehen. Airdramon glitt sanft auf den Sturmböen dahin und landete neben ihm. Immer noch wehten Vorhänge aus Sand an ihm vorbei, gepaart mit dunklen Bruchstücken kristalliner Bosheit. Zumindest nahm Ken an, dass es sich um Turm-Granulat handelte. Arukenimon hielt seinen Hut fest und rief etwas zu Ken herunter, doch er verstand es nicht. Nur das Rauschen und Knirschen, das die ausströmende, körperlose Finsternis verursachte, hallte in seinen Ohren wider. Dafür verstand er die Geste, als die Spinnenfrau eine hektische Handbewegung machte. Sie mussten von hier verschwinden. Halb in einer Traumwelt betrachtete Ken Arukenimons Haar, doch so wie der Sturm damit spielte, konnte er keinen Unterschied erkennen. Er konnte immer noch kaum glauben, was er getan hatte. Er hatte fast sein gesamtes Granulat zu der Stelle bringen lassen, wo er Deemons Extra-Türme errichtet hatte, zur Belohnung für seine Antworten. Er hatte das Feld von seinen Digimon weiter bebauen lassen, Turm neben Turm, bis er zehn mal zehn Türme nebeneinander stehen hatte wie einen schwarzen, stacheligen Teppich – und nach diesem Teppich hatte er neun weitere gebaut. Ein Turm für ein Digimon auf dem Champion-Level. Zehn für Ultra, hundert für Mega … Die Debatte war hitzig gewesen, Oikawa und seine Günstlinge empört. Aber am Ende hatte Arukenimon auf sein Geheiß hin nicht weniger als tausend Türme in ein einziges Schwarzturmdigimon verwandelt!   Rage of a bleeding warlord Black tears of a dying world The fight for the last empire The clash of the titans (Luca Turilli’s Rhapsody – Clash Of The Titans) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)