New Reign von UrrSharrador (Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 73: Schatteninferno --------------------------- Once in the air, the battle begins They have proven their worth Now they fly for revenge (Sabaton – Aces in Exile) Die Nacht hatte die DigiWelt immer noch fest im Griff, als die DigiRitter den größten Kampf ihres Lebens begannen. Das Rauschen mächtiger Schwingen und das Brummen von Insektenflügeln begleiteten Garudamon und MegaKabuterimon, die größten Flugdigimon, die sie hatten. Lillymon verschwand beinahe in ihren Schatten. Das Airdramon und das Snimon der internationalen DigiRitter stießen mit den Snimon, Flymon, Mothmon und Kuwagamon der Nordarmee und Kens verbliebenem, freiwilligem Airdramon in die Lüfte. Agunimon hatte darauf bestanden, dass sofort all ihre Digimon angriffen, doch Izzy hatte das nicht zugelassen. Nur die schnellsten und wendigsten Flugwesen sollten die erste Welle bilden. Er wollte herausfinden, wie gefährlich Deemon im Moment war. Tai hatte recht: Ein falscher Schritt, und sie konnten ihr halbes Heer verlieren – und damit einen großen Teil aller Digimon, die nach diesem kräftezehrenden Krieg noch in der DigiWelt lebten. Noch vor geschätzt einem Tag hatten sie ihre Grenzen an allen Enden sichern, auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und Heere teilen oder vereinen müssen. Nun war der hartnäckige DigimonKaiser mit seinen Truppen aus schwarzem Gestein, seinen unheimlichen Ringen und seinem weitreichenden Informationssystem, seinem überlegenen Wissen über die DigiWelt und seinen raffinierten Plänen und Winkelzügen plötzlich verschwunden, und ein einziges Digimon war an seine Stelle getreten, riesengroß, mit dem Ziel, das mächtigste Wesen aller Zeiten und Welten zu werden. Eine einzige Gefahr, gut sichtbar, und im Moment offenbar angreifbar. Yolei hatte nichts dagegen. Sie hielt es für eine Vereinfachung der Dinge, auch wenn sie sich dabei töricht vorkam. Auf Aquilamon glitt sie unter dem sternenübersäten Himmel hinweg. Nur noch dunkle Fetzen erinnerten an die Sturmwolken, die Arkadimon begleitet hatten – dafür fauchten zwischen den klebrigen Schichten aus flüssigen Schatten, die Deemons Gestalt bedeckten, immer wieder Feuerstrahlen hervor. Yolei war sogar das Feuer lieber als die irrsinnige Kälte. Kari und T.K. saßen ebenfalls auf ihren Partnern. Pegasusmon und Nefertimon würden sich etwas zurückhalten und zunächst den Ultra-Digimon das Feld überlassen. Genau wie Yolei wollten sie ihre Partner nicht alleine in den Kampf schicken, während Garudamon und MegaKabuterimon durch Sora und Izzy eher behindert würden. Sie griffen Deemon von hinten an. Sehr träge, als verlangsamte der dunkle Schlick seine Bewegungen, drehte sich das Digimon zu ihnen um. Allein sein Kopf war so groß wie die Bergspitzen des Edo-Gebirges, die Augen riesige, blaue Seen. „Ich habe schon auf euch gewartet“, sagte es mit einer Stimme, dröhnend wie Donnergrollen und von einem hohlen Echo verfolgt. „Ich hoffe, mein Spiel hat euch gefallen?“ Zur Antwort wehten ihm ein Blitz aus MegaKabuterimons Horn und Garudamons brennendes Abbild entgegen, trafen es an einer Stelle am Oberarm. Der Schlamm schlug Wellen und schien sich erst dagegen zu wehren, Deemons Körper zu verlassen, dann spritzte er wie kochendes Wasser auf und sprühte über die Ebene. Yolei sah die Spritzer zusammenfließen, bis sie dunkle Kugeln bildeten, dann aber begannen sie zu rauchen – und verdampften in schwarzen Datensplittern. „Es funktioniert!“, rief sie und reckte aus alter Gewohnheit ihren Degen. „Alle Einheiten, Sturmangriff!“ Snimon-Sicheln, Mothmon-Kugeln und Flymon-Stacheln flogen durch die Luft, Pegasusmon, Nefertimon und Aquilamon ließen möglichst großflächige Attacken auf Deemons Flügel niederprasseln. Ein buntes Lichtgewitter erhellte den Nachthimmel. Kuwagamon pflügten durch den Schlamm, rissen ihn auf. Manche blieben auch einfach stecken und wurden von unbekannten Kräften zerdrückt. Die Mengen an schwarzem Schlick, die sie von Deemons Leib rissen, waren fast lachhaft verglichen mit der gewaltigen, zähen Masse, die immer tiefer in seine Haut sickerte. „Weitermachen!“, schrie Yolei aus Leibeskräften. „Jeder Treffer zählt!“ „Ihr seid nichts als kleine Fische“, sagte Deemon abfällig. Der Schlick um seinen Arm spannte sich und schlug Wellen, als es ihn langsam hob und die Finger spreizte. „Vorsicht! Das wird ein Feuerangriff!“, warnte T.K. Die Digimon drehten ab. Lillymon war sogar so frech, noch einen Schuss aus seiner Blumenkanone auf die Hand abzufeuern. Ein Stern aus Flammen sprühte aus Deemons Handfläche. Die Feuerzungen schlugen unkontrolliert in alle Richtungen, erwischten einige der Snimon, hielten MegaKabuterimon und Garudamon auf Abstand. Aquilamon und Pegasusmon schafften es, auszuweichen und hinter Deemons Finger zu gelangen. Der Arm, über den sie hinwegrauschten, erinnerte an einen zerklüfteten Berghang, dessen Felsen unheilvoll blubberten. Über die ganze Strecke ließen sie Laserringe und grüne Lichtstrahlen aus Pegasusmons Stirn darauf niedergehen. Diesmal nützte es nicht viel: Zwar wirbelten sie einiges von dem zähen Morast auf, doch die Spritzer landeten trotzdem wieder auf Deemons Arm. Dennoch jubelte Yolei innerlich über jeden Klumpen schwarzen Schleims, der weit genug davonflog, um sich aufzulösen wie ein zerstörtes Schwarzturmdigimon.     „Das ist dieselbe Attacke, die es damals im Westend-Viertel auch beherrschte, oder?“, fragte Izzy. Er saß auf dem Pfad zwischen den Reisfeldern und analysierte den Kampf mit seinem Laptop. Die Störungen, die Arkadimon verursacht hatte, waren verschwunden. Cody nickte und sah gebannt dem Luftkampf zu. „Die Flammen sind größer.“ „Flammen können mir nichts anhaben“, behauptete Agunimon, das sichtlich auf Nadeln saß. „Diese Flammen schon“, beharrte Izzy. „Es dürfen nur Digimon kämpfen, die eine große Reichweite haben. Und sich schnell in Sicherheit bringen können.“ „Schon gut, ich weiß“, brummte Agunimon und brüllte Befehle. Die Monochromon, Allomon, Tortomon und Tyrannomon setzten sich in Bewegung, verteilten sich so über die Reisfelder, dass ein Feuerstrahl nur wenige von ihnen erwischen konnte. Minas Meramon und Steves Frigimon gesellten sich zu ihnen, Kiwimon huschten nach vorne. Auch Digmon begab sich aufs Schlachtfeld: Izzy hatte ihm eine besondere Aufgabe zugeteilt. „Werden sie es überhaupt erwischen?“, fragte Sora. „Wegen den Störungen und den verschobenen Phasen kann ich es nicht genau sagen, aber Arkadimons unterste Tentakel waren nur etwa achtzig Meter vom Boden entfernt“, berichtete Izzy. „Deemon hat dieselbe Größe angenommen, wahrscheinlich, um es besser absorbieren zu können. Solange die Digimon etwa achtzig Meter weit in die Luft schießen können, können sie etwas ausrichten.“ Wo Deemons Fußspitzen sein müssten, wuselte im Moment etwas wie ein schwarzes Feuermeer; vermutlich die letzte Erinnerung an Arkadimons Tentakel-Haare. Die Kiwimon waren die Ersten, die direkt unter Deemon waren. Cody fragte sich, wie die kleinen, flugunfähigen Vögel die Masse erreichen wollten, als je vier Sunflowmon ein Blossomon auf das Schlachtfeld trugen. Allein hätten diese Digimon zu lange dafür gebraucht. Sie streckten ihre dicken Ranken aus und bildeten damit Rampen für die Kiwimon, die mit unglaublichem Gleichgewichtssinn näher an das schwebende Deemon heran liefen. Aus ihren Schnäbeln schossen kleine, weiße Projektile in Form von behelmten Vögeln. Die Dinosaurierdigimon spien ihrerseits Flammen, und auch Meramon und Frigimon mischten ordentlich mit. Bald schon ging schwarzer Regen auf sie nieder. „Was glaubt ihr, was euch das bringt?“, fragte Deemon ruhig. Langsam schwebte es tiefer, bis seine schlammbedeckten Stiefel mit einem ekligen Geräusch in die Reisfelder klatschten. Die Digimon brachten sich rasch in Sicherheit, nun ihres Schutzes in Deemons totem Winkel beraubt. Sogleich loderten wieder Flammen in der Hand des Riesen auf. Die Erde erzitterte, der lebende Schlamm zuckte. Furchen gruben sich durch die Felder, das stehende Wasser ergoss sich in wenige Meter tiefe Schluchten. Das war Digmons großer Einsatz gewesen. Die Digimon sprangen in die Erdspalten und entgingen damit dem Feuerwirbel, der sich um Deemon herum ausbreitete. „Ihr habt nichts von eurer Hartnäckigkeit verloren“, stellte ihr Feind amüsiert fest. Weißer Dampf stieg von den Feldern auf.     „Endlich bist du wach!“, blaffte eine wohlvertraute Stimme Mummymon an, als es endlich sein Auge aufschlug. Arukenimon war das Erste, was es sehen würde! Sofort richtete es sich auf und sah sich um. Sie befanden sich hinter einer breiten Schlachtreihe verschiedenster Digimon, und weit vorne kämpften ein- bis zweihundert weitere gegen einen Feind, an den sich Mummymon nur zu gut erinnerte. „Sag mal, du spinnst wohl?“, schimpfte Arukenimon. „Du hast einen vollen Tag geschlafen, du Faulpelz!“ Mummymon verstand nicht. Das Letzte, woran es sich erinnerte, war … „A-Arukenimon“, begann es berauscht, „kann es sein, dass du mich vor … vor WarGreymon beschützt hast?“ Arukenimon starrte es an. „Red keinen Müll. Wann soll das gewesen sein?“ „Kurz bevor … ich das Bewusstsein verloren habe.“ Mummymon spielte verlegen mit den Fingern. „Ich weiß es noch genau.“ Die Dame seines Herzens schnaubte. „Und wennschon. Das war sicher nur ein Versehen.“ Yukio, der vor ihnen stand, drehte sich zu ihnen um und störte die angenehme Zweisamkeit. „Du bist wach?“, stellte er fest. Lalamon flog neben ihm. „Gut. Dann kommt mit.“     „Ich frage mich, warum sich unter Deemon nicht wieder die Phasen verschieben“, sagte Izzy. „Bei Arkadimon hat man das schließlich deutlich gesehen.“ „Wahrscheinlich muss Deemon die Macht der Türme umwandeln, damit es sie aufnehmen kann“, sagte eine Stimme hinter ihm. „Und Deemons Dunkelheit ist eine andere als die, die die Weltengrenzen verschwimmen lässt.“ Izzy wandte sich um. Es war eine seltsame Erfahrung, Oikawa in ihrem Lager zu wissen. Sie wussten alle, dass er nur von MaloMyotismon benutzt worden war; dennoch hatte er verwerfliche Dinge getan – nur um hinterher die ganze DigiWelt durch sein Opfer zu retten. Wie verhielt man sich so einem Mann gegenüber? „Zögere nicht, uns auch in der Schlacht einzusetzen“, sagte er mit der Andeutung eines Lächelns in seinem langen, traurigen Gesicht. „Ich bin schließlich auch ein DigiRitter. Mein Partner kann im Moment nur bis zum Rookie-Level digitieren, aber ich habe hier noch zwei Digimon auf dem Ultra-Level, die auch dafür sorgen wollen, dass diese Welt nicht zugrunde geht.“ Er deutete auf Arukenimon und Mummymon, die sich wenig begeistert ansahen, dann aber mit den Achseln zuckten. Izzy lächelte die drei an. „Danke.“     Gigadramon war fast ebenso schnell wie Tais Drachenstaffel. Dennoch kam ihm jede Minute viel zu lange vor, in der sie quer über die Ebene flogen und auf das kleine Gebirge nördlich des Trugwalds zuhielten. Dann vergeudeten sie noch weitere kostbare Minuten, weil Willis aus der Luft und bei Nacht nicht so schnell den Eingang zum richtigen Tal fand. Als sie über die Hängebrücke flogen, wusste plötzlich auch Davis, wo sie suchen mussten. „Hier haben wir gegen BlackWarGreymon gekämpft!“, berichtete er. Als Gigadramon, langsamer nun, um eine Biegung flog, sahen sie den Lichtsamen in allen Regenbogenfarben schillern – und sein Licht auf die ungeschlachte Meute werfen, die davor in dem Tal lungerte. Als das Schlangendigimon vor ihnen auftauchte, geriet Bewegung in das Lager. „Ganz ruhig“, sagte Matt und wies Gigadramon an, zu landen. „Sie müssen uns nicht feindlich gesinnt sein.“ Die Digimon schienen das anders zu sehen. Ein großes, metallgepanzertes Greymon, das weit brutaler aussah als Tais Partner, stellte sich an die Spitze der gut zehn Sagittarimon und fünfzig Centarumon. „Was wollt ihr hier?“, brüllte es ihnen entgegen. „Das ist unser Tal! Haut ab!“ „Wir haben nicht vor, euch euer Tal wegzunehmen!“, rief Matt ihm zu. „Wir wollen nur zu diesem Licht dort hinten, etwas überprüfen!“ „Ich sagte, haut ab! Das hier ist unser neuer Stützpunkt!“ Das Digimon gab einen Warnschuss aus seinem gewaltigen Revolver ab, der eine nahe Felswand zerfetzte. Mit lautem Getöse donnerten die Trümmer in die Tiefe. Die Zentauren lachten. Tai hielt es nicht länger aus. „Verdammt, die ganze DigiWelt ist in Gefahr! Wir müssen ein unglaublich starkes Digimon bekämpfen und wir brauchen dieses Licht!“ Das Greymon lachte röhrend auf. „Und das soll ich dir abkaufen? Der nächste Schuss trifft.“ „Wir haben keine Zeit, um mit denen zu verhandeln“, meinte Davis mit zusammengebissenen Zähnen. „Der Meinung bin ich auch“, sagte Willis und gab Lopmon ein Zeichen. Es sprang von Gigadramons Rücken und digitierte im Fallen bis auf sein Ultra-Level. Antylamon landete wie auf Samtpfoten in der Schlucht. Das Mega-Level konnte es nicht erreichen, hatte Willis gesagt. „Das war ein Fehler“, knurrte der feindliche Anführer. „Niemand legt sich mit RiseGreymon und seinen Getreuen an!“ Gleich drei Schüsse auf einmal verließen seinen Revolver, und Antylamon brachte sich mit einem raschen Satz in Sicherheit. Gleichzeitig trampelten die Centarumon und Sagittarimon heran und deckten sie mit einem Pfeil- und Lichtkugelhagel ein. Gigadramon bekam drei, vier Treffer ab, ehe es sich kreischend wieder in die Luft erhob und Kreise über der Schlucht drehte. „Und was tun wir jetzt?“, rief Davis gegen das Getrommel der Geschosse an. „Es sind viel zu viele!“ Ihre anderen Digimon waren alle auf das Baby-Level zurückdigitiert. Antylamon hatte kaum Platz, um auszuweichen, also stürmte es den Digimon entgegen. Ehe es die ersten mit seinen stählernen Armen zerfleischen konnte, bohrten sich ihm ein halbes Dutzend Pfeile in den Leib. Tai hatte die Zähne zusammengebissen. Seine Gedanken rasten.     Welle um Welle flogen sie gegen Deemon, Attacke um Attacke zerriss sein Kleid aus geschmolzenen Türmen. Stück um Stück verhinderten sie seine Vereinigung mit Arkadimons Überresten. Kari wusste schon nicht mehr, wie lange sie in der Luft waren. Vermutlich noch keine zwanzig Minuten, aber die immer wieder neuen Angriffsmanöver machten es schwierig, das zu schätzen. Sie selbst fühlte sich bereits zu Tode erschöpft, aber trotzdem immer noch erleichtert. Erschöpft, weil das Ausweichen und die ständige Hitze, die um sie herum aufwallte, an den Nerven zerrte und ihr die Schlacht um Fort Netwave noch in den Knochen steckte – seither hatte sie vielleicht zwei Stunden geschlafen. Und erleichtert, weil endlich wieder alles klar war. Der Spuk war vorbei, ihre Freunde erinnerten sich. Deemon galt es zu besiegen, und die DigiWelt wäre gerettet … Trotz des Schleiers der Müdigkeit, der sie befallen hatte, fühlte sie ihre Gedanken klar wie das Licht, das sie einmal für die DigiRitter dargestellt hatte. „Kari!“ T.K. flog auf Pegasusmon neben sie. „Wir versuchen, Deemons Kopf anzugreifen! Vielleicht ist es noch gar nicht so stark, wie wir glauben!“ Sie nickte und Nefertimon heftete sich an seine Seite. Sie umflogen Deemons Arm, der nach ihnen zu schlagen versuchte wie nach lästigen Fliegen, und erreichten seinen Hals gemeinsam mit MegaKabuterimon, Lillymon und Garudamon. Zu fünft schleuderten sie Attacken gegen Deemons Kapuzenkopf, wo er sich bereits aus dem Schlamm hervor gearbeitet hatte. Eine Feuerwolke wirbelte auf, und als sie verschwand, war Deemons Körper unangetastet. Es lachte. „Dachtet ihr, es wäre so einfach?“ „Nein“, sagte T.K, sodass nur Kari ihn hörte, „aber einen Versuch war es wert.“ Dann geschah etwas Seltsames: Deemons Kopf schien sich zu verändern, nur für einen Augenblick blitzte unter den Stellen, die noch von Schlamm bedeckt waren, etwas Fremdes hervor. Erst glaubte Kari, es wäre eine Nachwirkung ihrer Attacken, aber das konnte nicht sein … „Seht ihr das? Was ist das?“, rief Yolei, die auf Aquilamon an ihre Seite flog. Sie hatte es also auch bemerkt. Für die Dauer eines Lidschlags war die Kapuze verschwunden, und zotteliges, braunes Fell, das eine grässliche Dämonenfratze einrahmte, wurde sichtbar. Dann war der Kopf wieder so wie vorher: von einer Kapuze geschützt, aus der gedrillte Hörner ragten, teilweise noch von Schlamm verschmiert. „Ich glaube, es versucht, zu digitieren“, murmelte Kari beklommen.     „Was?“, rief Cody entsetzt, als Izzy ihnen von seiner Theorie erzählte. „Wahrscheinlich erhält es genügend Kraft von Arkadimon, um ein höheres Level zu erreichen“, murmelte Izzy und kaute auf seiner Daumenkuppe. „Hoffentlich sind die anderen bald zurück“, meinte Sora. Ken stand etwas abseits und starrte regungslos auf den verzweifelten Kampf, der vor seinen Augen stattfand. „Ken …“, murmelte Wormmon. „Soll ich nicht auch kämpfen?“ „Nein“, sagte er. Nach einer Weile fügte er hinzu: „Noch nicht.“ Das Nordheer hatte sich nun vollständig in die Schlacht geworfen. Nun, da Deemon auf seinen eigenen Beinen stand, konnten selbst Nahkämpfer etwas ausrichten. Die schwerfälligen Digimon waren zurückgeblieben und halfen bei der Evakuierung der Stadt. Wer nicht kämpfen wollte, musste gehen – so hatte ihr König es beschlossen. Das Alte Gekomon führte die Flüchtlingstruppen ins Hinterland. „Ihr kleinen Maden“, sagte Deemon ruhig, dann wurde seine Stimme lauter. „Denkt ihr, nur weil ihr so viele seid, könntet ihr etwas ausrichten? Hier, spürt etwas von der Hölle jenseits der Feuerwand.“ Es streckte beide Hände aus, und erneut fauchten Schlangen aus Feuer über die Reisfelder, die mittlerweile nur noch ein zerfurchtes Ödland mit braunem Gestrüpp und Glutnestern waren. Digimon schrien auf, als sie sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, zersprangen in Sekundenschnelle in Daten. „Es ist furchtbar“, murmelte Mimi. Die Hitze war bis hier zu spüren. Der Widerschein des Feuertobens spiegelte sich auf ihren Wangen wider. „Ja“, sagte Michael. „Aber sie wussten alle, was auf dem Spiel steht. Jeder Treffer zählt.“ „Trotzdem. Lillymon!“, schrie sie, obwohl ihr Digimon sie unmöglich hören konnte. „Ihr müsst es schaffen! Reißt Deemon diese Schlammpackung herunter, dann können sich alle getrost zurückziehen!“ In dem Moment wurde aus den züngelnden Flammen in Deemons Hand eine wahre Feuerwalze, die direkt auf Little Edo zufuhr. Die DigiRitter schrien auf, als sie ein rasendes Inferno herannahen sahen. Zudomon, das bei ihnen geblieben war, warf sich vor seine Freunde und versuchte sie mit seinem Rückenpanzer zu schützen. Dennoch fühlte Sora die Hitze, die über sie hinweg rollte. Sie hörte Deemons Gelächter und das Knistern von Flammen und ein unheilvolles Knarzen hinter sich. Als der Feuersturm erlosch, digitierte Zudomon erschöpft zurück, und Joe lief zu dem bewusstlosen Gomamon. Mimi drehte sich um und stieß einen Schrei aus. Die Feuerwelle war über Little Edo hinweg geschwappt. Ein Dutzend Gebäude standen in Flammen und erhellten die Nacht wie ein zweites Schlachtfeld.     „Nein“, flüsterte sie. „Nein, nein …“ „Keine Sorge, die Digimon sind in Sicherheit“, beruhigte sie Michael. „Aber die Zeit hat sicher nicht gereicht…“ „Betamon“, sagte er, „komm. Wir löschen das Feuer.“ Er wandte sich an die Digimon, die noch am Stadtrand standen und die Feuerwalze überlebt hatten. „Wer kann, soll helfen!“ Betamon digitierte zu Seadramon und tauchte das nächstbeste brennende Gebäude in einen eisigen Hauch, bis die Flammen erstickt waren. Die Octomon der Hoi-Brüder krabbelten heran und versuchten sogar, die Brände mit Tinte zu löschen. Weitere Digimon betraten die Straßen der brennenden Stadt und halfen emsig mit, während auf den apokalyptischen Feldern immer noch der Kampf eines gegen viele wütete. „Wenn sie verhindern können, dass die Flammen auf benachbarte Gebäude übergreifen, sollten sie es schaffen“, murmelte Oikawa und betrachtete das Ausmaß der Zerstörung. Mimi hielt es nicht mehr aus. Sie wollte ihre Stadt nicht brennen sehen; egal, ob sie nun gar nicht ihre Heimat war oder doch, sie trug die Verantwortung für das Zuhause Tausender Digimon! In ihrem Prinzessinnenkleid lief sie in das nächstbeste Haus, fand einen Eimer, füllte ihn vor der Stadt mit Wasser und rannte wieder zurück. Sora und Cody folgten ihrem Beispiel und gemeinsam mit Rookie-Digimon, die nicht gegen Deemon kämpften, bildeten sie eine Eimerkette, um Michael und den anderen zu helfen.     Ächzend erklomm Ogremon die letzten, zersprungenen Felsen. Als es dieses Gebirge das letzte Mal gesehen hatte, hatte es noch ganz anders ausgesehen. Es ließ sich davon natürlich nicht entmutigen. Ogremon war in den Bergen zuhause – selbst wenn kein Stein mehr auf dem anderen lag und die Felsen von gefährlich knarzenden Rissen durchzogen waren, konnte es nichts von seinem Weg abbringen. Dennoch musste es sich auf seine Keule stützen und ordentlich verschnaufen. Von hier hatte es einen guten Blick auf die Schlacht, die vor Little Edo tobte. Sein Instinkt riet ihm, sich von dort fernzuhalten, und Ogremon hatte gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen. Trotzdem war es auch unglaublich stur – und einfach mitten in der Wüste stehen gelassen zu werden, von nichts als hirnlosen Schwarzturmdigimon umringt, nachdem die Festung in die Luft geflogen war, und von niemandem gesagt zu bekommen, was eigentlich los war, schmeckte ihm nicht. Dort unten wurde gekämpft, und Ogremon war ein Krieger. Das riesige Digimon dort war ein nicht zu verachtender Gegner. Ruhm lag in diesem Kampf. Und wenn es starb, machte das auch nichts; schließlich lebte Leomon nicht mehr, wie es mittlerweile gehört hatte. Eine Weile schöpfte es noch Atem, dann machte es sich auf den Weg den Berghang hinunter.     Völlig erschöpft und ausgelaugt landeten T.K. und Kari mit ihren Digimon vor der Stadt. Einige der Häuser brannten; Kari starrte entsetzt in die Flammen. T.K. fühlte sich sogar zu schwach dazu, Schrecken zu empfinden. Ihre Gefangenschaft hatten ihm und Patamon mehr zugesetzt, als sie geglaubt hatten; sein Partner war zurückdigitiert. „Wie ist die Lage?“, fragte Izzy, als sie sich zu ihnen schleppten. Kari keuchte schwer und wischte sich Ruß von der Stirn. Ihr schweißnasses Gesicht war mit einem grauen Film bedeckt. „Es geht kaum voran. Wir können Deemon schwächen, aber ich weiß nicht, ob es reicht. Wahrscheinlich … wahrscheinlich ist der Preis zu hoch.“ Sie sah auf das Schlachtfeld, wo immer mehr Digimon in Deemons Flammen umkamen, die es nun beständig umloderten. Sie kamen kaum noch zum Angreifen; vielmehr waren sie mit Ausweichen beschäftigt oder flüchteten sich in Digmons Klüfte und die Tunnel, die es gebohrt hatte. „Yolei ist noch in der Luft.“ „Typisch für sie“, meinte Gatomon. Die fliegenden Digimon hatten es einfacher. Deemon ignorierte sie fast, weil es sie nur schwer erwischen konnte. Das riesige Digimon schien sie nicht als allzu große Bedrohung anzusehen. Der Schlamm auf seiner Haut wurde beständig weniger, doch das konnte genauso gut daran liegen, dass es ihn sich mehr und mehr einverleibte. „Ruht euch ein wenig aus“, sagte Izzy. „Es kann sein, dass wir euch später noch einmal brauchen.“ Auch andere Digimon landeten in sicherem Abstand zu Deemon – wie sicher das wirklich war, hatten sie allerdings bei der Feuerwelle gemerkt. Kari und T.K. nickten dankbar und sahen sich nach einer Möglichkeit zu trinken um, als plötzlich ganz in der Nähe ein Knall ertönte. T.K. schrie erschrocken auf, als Erde und Gras und etwas Hartes, Kantiges ihm ins Gesicht flog. Auch Izzy schrie. Als T.K. die Augen wieder aufschlug und sich nach dem Angreifer umsah, bemerkte er, dass der Rotschopf aufgesprungen war. Sein Laptop war nur noch ein Haufen geschmolzenes Metall. „Was war das?“, fragte Kari atemlos. Links hinter ihnen glühte etwas Rotes auf. „Ken!“ Wormmon schien auf bloßen Verdacht hin zu digitieren, aber es rettete seinem Partner das Leben. Der Mekanorimon-Laser traf Stingmon in die Brust und ließ es gegen Ken taumeln, sodass beide zu Boden gingen. Oikawa kniff die Augen zusammen. „Dort oben“, sagte er und deutete auf einen Wachturm im Palisadenwall der Stadt. Er gab Arukenimon und Mummymon einen Wink. „Ich glaube, ich weiß, wer das ist. Sucht irgendwo Deckung; wir übernehmen das.“ Zu dritt liefen sie los. „Ich komme mit“, rief T.K. und folgte ihnen mit Patamon, obwohl es nicht die Kraft hatte, demnächst zu digitieren. Kari rief ihm etwas nach, aber er hörte nicht auf sie.     Matt konnte nicht fassen, dass sie hier tatsächlich von Digimon aufgehalten wurden, wo sie doch versuchten, deren Welt zu retten! Gigadramon erwies sich immerhin wie erwartet als sehr nützlich. Nur RiseGreymon nahm es aufs Korn, und dessen Attacken war es bisher ausgewichen. Die DigiRitter klammerten sich fest in seine Mähne, als es Loopings und Schleifen flog und Raketen auf die Zentaurenhorde niedersausen ließ, die sich wohl trotzdem gute Chance gegen zwei Ultra-Digimon ausrechneten. Die Centarumon und Sagittarimon waren flink. Antylamon war zwar auch sehr schnell und sprang von Felswand zu Felswand, doch wen immer es angriff, das Digimon ergriff sofort die Flucht, während die anderen unablässig auf den großen Hasen schossen. Als gleich acht oder neun Centarumon-Lichtkugeln Antylamon trafen, ging es zu Boden. Sofort trampelte die Horde über seinen gekrümmten Körper, bis es zurückdigitierte. „Lopmon!“, schrie Willis außer sich. „Leute, tut etwas!“ „Wie denn?“, gab Tai gereizt zurück. Matt war schon ganz übel von Gigadramons unstetem Flug. „Wir müssen den Lichtsamen erreichen“, sagte er. „Es geht nicht anders! Wir müssen alles auf eine Karte setzen!“ „Er hat recht! Gigadramon, kannst du näher ranfliegen?“, rief Davis dem Digimon zu. Das Digimon gehorchte und schoss direkt auf RiseGreymon zu, das lachend seine Flügel aufglühen ließ. Ein feuriger Lichtstrahl traf Gigadramons Helm, doch es hielt nicht inne, obwohl es schmerzerfüllt fauchte. Im letzten Moment brachte sich RiseGreymon in Sicherheit. Gigadramon peitschte mit seinem Schwanz nach ihm – und das Digimon schlug Krallen und Zähne in den Schlangenleib. Der Flug endete in einer Bruchlandung. Gigadramon krümmte sich rechtzeitig zusammen, als es über den Boden schlitterte, dass die DigiRitter zähneklappernd durchgeschüttelt wurden. Seitlich krachte es in die Felswand am Ende des Tals, sein Kopf kam ganz in der Nähe des Lichts zum Stillstand. „Ich danke dir!“, rief Tai und sprang waghalsig zu Boden, lief auf den Samen zu. Matt sah, wie die Zentauren am anderen Ende des Tals von Lopmon abließen und wieder zurückgaloppierten – genau Tai entgegen.     Mit weit ausgreifenden Schritten erklommen T.K. und Oikawa die Bambustreppe, die auf den Wachturm führte. Die ganze Zeit fragte sich der Junge, wer so dumm war, sie in so einer Situation anzugreifen. Als er Oikawa danach fragte, verstand er. „Sieh an. Da kommen Freund und Feind, um mich aufzuhalten“, sagte Datamon und drehte sich zu ihnen um, als sie durch die Luke im Turm kletterten. Es saß auf einem Mekanorimon nahe der Brüstung; aus den Fingern seiner rechten Hand führten Kabel in das Innere des Maschinendigimons. „Von Treue scheinst du wenig gehört zu haben“, erwiderte Oikawa. „Ich dachte, ihr würdet mich inzwischen kennen“, schnarrte das Digimon abfällig. „Wenn ich schon selbst nichts mehr ausrichten kann, stelle ich mich gern auf die Seite des Siegers.“ „Weißt du, was du da tust?“, fragte T.K. ernst. „Die ganze DigiWelt steht am Abgrund.“ „Wir werden sehen“, meinte Datamon gedehnt. „Wenn ich diesem großen Digimon da eure leblosen Körper bringe, wird es mir sicher dankbar sein.“ Es richtete seine zweite Hand auf die beiden. Patamon feuerte einen Luftschuss auf es ab, doch die kleine Maschine zuckte kaum. „Mehr habt ihr nicht drauf?“ Arukenimon und Mummymon stürmten hinter ihnen auf die Wachplattform. Mummymon war außer Atem, vermutlich die Nachwirkungen seiner langen Ohnmacht. Datamon schien es zu kennen. „Sieh an, mein Freund aus der Wüste. Ist dir dein Gewehr abhanden gekommen?“ „Als ob dich das bräuchte, um gegen dich zu kämpfen!“ Von Mummymons Handgelenken wickelten sich Mullbinden, die es Datamon entgegen schleuderte. Arukenimon tat Ähnliches mit seinen Spinnenfäden. Kleine Raketen verließen Datamons Finger und ließen die Fesseln der beiden bersten. Auch Mekanorimon drehte sich um und bereitete seinen Laser vor. Oikawas Lalamon spuckte ein Sperrfeuer aus Nüssen oder etwas Ähnlichem, das Datamon kurz die Sicht vernebelte. Sofort verharrte auch Mekanorimon wieder. „Meinst du, wir können es mit bloßen Händen angreifen?“, fragte Oikawa leise. „Eher nicht“, sagte T.K. „Damals war es kräftig genug, Sora und Piyomon zu tragen.“ „Aha! Das nennt ihr kräftig? Was sagst du dazu?“, rief Mummymon plötzlich. Seit es wieder aufgewacht war, war es zwar rasch ausgepowert, aber seine Energieschübe waren nicht zu verachten. Es stürmte auf Datamon zu, sprang über eine Salve aus dessen Fingern hinweg und donnerte die Faust gegen den gläsernen Schädel. Datamon wurde von Mekanorimon geschleudert und prallte gegen einen Bambuspfeiler. Die Kabel, die beiden verbanden, rissen unter elektrischem Geblitze. Arukenimon zögerte keine Sekunde. Aus dem Juwel an seinem Handrücken schoss ein klebriges, rotes Spinnennetz, das Datamon sofort an den Pfeiler band, die Arme ausgestreckt, sodass es sich nicht selbst befreien und auch nicht auf seine Feinde schließen konnte. T.K. hätte im Leben nie gedacht, dass er einmal mit diesen Digimon gemeinsame Sache machen würde … Mummymon trat heran. „Was sagst du jetzt, du kleine Nervensäge?“ „Ich sage, ihr hattet nur Glück.“ „Pech für dich“, gab das Mumiendigimon zurück und durchbohrte Datamon mit seinen langen Krallen. Das Auge des Maschinendigimons blinkte noch kurz auf, dann erlosch das Leben darin. „Das wär’s“, sagte Oikawa und legte eine Hand auf Mekanorimon, dessen Bewusstsein zurückzukehren schien. „Es würde mich freuen, wenn du uns im Kampf unterstützen könntest.“ Er nickte T.K. zu. „Lass uns wieder zu den anderen gehen.“ Mekanorimon begleitete sie tatsächlich. T.K. folgte ihnen die Treppe hinunter, bis sie in der kleinen Wachstube unten im Trum standen. „Geht schon mal vor“, sagte er. „Ich muss noch etwas erledigen.“ Oikawa sah ihn fragend an, nickte dann aber, als T.K. keine Anstalten machte, weiter ins Detail zu gehen. „In Ordnung. Pass auf dich auf – und tu nichts Unüberlegtes.“ Während der große Mann, Arukenimon, Mummymon und Mekanorimon wieder vor die Stadt liefen, begab sich T.K. in die Straßen, die immer noch von Glutnestern geziert waren. Tu nichts Unüberlegtes. Er hatte es sich eindeutig gut genug überlegt.     Hinter ihm fauchte Gigadramon erneut, als RiseGreymon seine Haut aus nächster Nähe mit Kugeln durchlöcherte. Bar einer anderen Idee hielt Tai sein DigiVice ins Licht – und eine wohlige Wärme durchströmte ihn, ließ das Gerät aufleuchte. Als er sich umsah, stand Agumon neben ihm. „Es funktioniert, Tai“, sagte es zufrieden. „Ich fühle mich wieder stark!“ „Stark genug für eine Warp-Digitation?“ „Stark genug, um Deemon ordentlich einzuheizen!“ Das Licht seines DigiVices wurde stärker, färbte sich orangerot. Die anderen hatten den Lichtsamen ebenfalls erreicht. Als sich Gigadramon kreischend in Daten auflöste und RiseGreymon sich den DigiRittern zuwandte, erblickte es WarGreymon neben Tai und erkannte ihn plötzlich. „Du … Du bist der Drachenritter!“, stieß es hervor. „Mittlerweile Drachenkönig“, sagte Tai. WarGreymon fügte hinzu: „Zwei Greymon sind eines zu viel!“ Es wirbelte um seine eigene Achse, und als eine reißende Spirale durchbohrte es RiseGreymons Brustpanzer mühelos. Das Digimon starb mit einem wütenden Schrei. Als die Zentauren sie erreichten, stellten sich ihnen Matt und MetallGarurumon entgegen. „Seid ihr sicher, dass ihr gegen uns kämpfen wollt?“, knurrte Letzteres. „Ihr seid nämlich nicht unsere eigentlichen Gegner“, ergänzte Matt. Die Sagittarimon und Centarumon sahen einander unsicher an. Als auch noch WarGreymon neben seinen Kameraden trat, das ihren Anführer vernichtet hatte, drehten sich die verbliebenen dreißig Digimon um und suchten ihr Heil in der Flucht. „Es tut mir leid um Gigadramon“, murmelte Davis. „Es sind wirklich genug Digimon gestorben“, sagte Tai zornig. „Auf zu Deemon! Jetzt zahlen wir ihm alles heim!“     Agunimon hätte nie gedacht, dass es sich einmal vor Feuer fürchten würde. Es hatte sofort gemerkt, dass dieses Deemon es nicht erwischen durfte, sonst wäre es aus mit ihm. Der Ritter des Nordens teilte Tritte und Schläge gegen den schwarzen Schlick aus, der Deemons Kutte und Beine bedeckte. Je mehr er sich damit besudelte, desto siegessicherer wurde er. Agunimons tapfere Krieger waren nicht weit entfernt. Da Deemon so groß war, bot es jede Menge Angriffsfläche. Als Agunimon etwas Atem schöpfen und sich den rauchenden Schlamm aus den Augen wischen musste, sah es sich auf dem Schlachtfeld um. Die Armeen des Nordens, des Wissens, die Befreier von Little Edo und die DigiRitter und ihre Digimon entfachten ein wütendes Gewitter aus Attacken. Mit grimmiger Genugtuung stellte Agunimon fest, dass es noch eindrucksvoller aussah als die dunklen Sturmwolken von Arkadimon. Es schien, als würden hier alle Digimon der DigiWelt gegen einen einzigen Feind kämpfen. Wizardmon schwebte knapp über ihm und ließ aus seinem Stab Blitze hervor zucken, zwei Frigimon kämpften Seite an Seite mit Eisschlägen, und eines davon musste der Fürst der Eisregion sein. Dann waren da noch ein Meramon – der Partner eines Menschen –, Piximon aus Santa Caria, Woodmon, Kiwimon, Sunflowmon und Blossomon aus der Blütenstadt, Kuwagamon und Snimon, alle möglichen Dinosaurierdigimon aus dem Norden, etliche Maschinen und wolfsähnliche Digimon, die sich dem Kampf in den letzten Minuten angeschlossen haben mussten, als hätten sie instinktiv gespürt, dass sie gebraucht wurden. Etwas vorsichtiger, aber nicht minder entschlossen kämpften Gekomon, Floramon und Mushroomon, die einfach ihre Heimat, Little Edo, verteidigen wollten. Und dort drüben war … Agunimon glaubte nicht recht zu sehen. Es rannte los, um hinter die aufpeitschenden Flammen zu gelangen, die seine Sicht behinderten. Tatsächlich. „Was machst du hier?“, brüllte es das Digimon an. „Hä?“, machte Ogremon und drehte sich zu ihm um. „Na so was, dich gibt’s auch noch, ja? Dann bin ich ja direkt froh, dass ich mich hiervor nicht gedrückt habe! Willst du unseren Kampf nachholen?“ Es winkte einladend mit seiner Keule. „Wie verlockend“, knurrte Agunimon. „Vielleicht komme ich darauf zurück, wenn wir dieses Ding hier gefällt haben.“ Es deutete auf den riesigen Schatten über ihnen. Ogremon lachte. „Gute Idee. Ich muss ohnehin verrückt sein, hier an eurer Seite zu kämpfen – da kann ich es auch gleich mit einem ganzen Berg aufnehmen!“ Ihre beiden nächsten Schläge trafen Deemon gemeinsam.     T.K. hatte sich bemüht, dass die Digimon, die immer noch gegen die Brände kämpften, ihn nicht bemerkten. Schließlich hatte er trotzdem ein Mushroomon nach dem Weg fragen müssen. Das Gebäude, das zum Lazarett umfunktioniert worden war, stand unweit eines kritischen Brandherds, aber die Digimon schienen das Feuer unter Kontrolle zu haben. Dennoch hing Qualm in der Straße, und der staubige Boden war in orangerotes Licht getaucht. T.K. strich den wassergetränkten Vorhang zur Seite, der über dem Eingang hing. Drinnen war es stickig und ziemlich dunkel; ein wenig Feuerschein drang durch die Ritzen der Holzwände, und Staub tanzte darin. Holzstreben stützten die Decke, und an einer davon glomm eine traurige Öllampe. Jemand hustete. Langsam schritt T.K. die Schlaflager ab. Digimon – schwitzend, stöhnend, verletzt – lagen darin. Wer immer sich um sie gekümmert hatte, musste nun draußen mit dem Feuer beschäftigt sein. Die Luft roch sauer und war warm. Jemand flehte ihm um etwas zu trinken an. Er hinderte Patamon nicht daran, abgestandenes Wasser aus einem Topf in eine Schale zu schöpfen und dem Digimon zu überreichen. Er selbst ließ weiter suchend den Blick schweifen. Schließlich entdeckte er ihn in einem kleinen Hinterzimmer, der durch einen dünnen, grobmaschigen Vorhang von dem Hauptraum getrennt war. Auch dort brannte eine Laterne, und er sah die Umrisse durch den Stoff. T.K. schlug den Vorhang zur Seite und baute sich vor Klecks‘ Krankenlager auf. Das Schattenwesen in Divermon-Form atmete schwer und pfeifend, als läge ein schweres Gewicht auf seiner Brust. Es war bis zum Hals zugedeckt, sodass T.K. nicht sehen konnte, wie schlimm seine Wunden waren, doch es wirkte sehr erschöpft. „Warum musstest du Kari das antun?“, murmelte er bitter. „Hättest du nicht einfach sterben können? Musstest du unbedingt überleben?“ Klecks schlug die hellen Augen auf und T.K. zuckte zusammen. Er hatte ihn gehört, schwieg aber. Erwartungsvoll sah er T.K. an, bis es jenem zu viel wurde. „Hör schon auf“, knurrte er. „Mach mir Vorwürfe, bettle, irgendwas. Tu nicht immer so, als berühre dich nichts von alledem.“ Doch das Schattenwesen starrte nur. T.K. machte sein Blick rasend. „Ist es dir egal, wenn ich dich töte?“, schrie er es an. „Wieso hast du Kari dann geheiratet? Warum tust du, als wärst du mit allem zufrieden, aber auszusterben käme nicht in Frage?“ „Wir wollten deiner Freundin niemals Kummer bereiten“, sagte Klecks mit schleppender Stimme. „Lüge!“, fauchte T.K. „Habt ihr nicht gemerkt, wie sehr sie unter ihrem Versprechen leidet? Wie sehr es sie gequält hat, auch nur mit euch zu leben?“ „Wir stellten ihr das Angebot damals, weil wir dachten, sie würde sich geehrt fühlen. Wir haben sie nie mehr belästigt, nachdem sie es ausgeschlagen hat.“ T.K. biss die Zähne zusammen. Er wusste, dass es Karis freie Entscheidung gewesen war, sich als Mutter der Schattenwesen anzubieten. Aber konnte man überhaupt von freier Entscheidung sprechen, wenn sie geglaubt hatte, keine Wahl zu haben? „In dem Fall“, sagte er leise. „Ist alles nur eine traurige Verkettung der Ereignisse.“ Neben Klecks‘ Bastmatte lag noch seine Harpune. T.K. hob sie auf und prüfte ihre Schärfe. Ein Tropfen Blut quoll über seine Fingerkuppe, fast schwarz in dem schwachen Licht. „Es tut mir leid“, murmelte er. „Ich kann eure Abmachung nicht akzeptieren. Ich habe sie keine Sekunde akzeptiert!“ „T.K!“ Er fuhr herum. Kari stand vor dem zur Seite gezogenen Vorhang. Gatomon und Patamon waren bei ihr. War sie gekommen, um Klecks zu besuchen? Oder um nach ihm zu sehen? Hatte sie vielleicht geahnt … „Was … tust du da?“, fragte sie mit geweiteten Augen. Er beschoss, es nicht zu leugnen. „Wonach sieht es aus?“, fragte er kühl. „Ich erlöse dich.“ „Bitte hör auf“, murmelte sie und kam näher. „Ich weiß, wir sind alle in großer …“ „Keinen Schritt weiter“, blaffte er. „Versuch nicht, mich aufzuhalten!“ „Du wirst ihm nichts antun!“, sagte sie, schneidende Schärfe in der Stimme. „Wenn du das tust … Wenn du …“ „Du kannst mich hassen, so viel du willst. Das ist ein kleiner Preis. Hasse mich, verfluche mich, verletze mich, von mir aus kannst du mir den Hals umdrehen – solange du es hier in der DigiWelt oder in der Realen Welt tust und nicht am Meer der Dunkelheit, mit einem Rudel Schattenwesen-Kinder, die um dich herumspringen! Ich werde nicht zulassen, dass so ein Scheusal dich derart missbraucht!“, knurrte T.K. Wie oft führten sie dieses Gespräch nun schon? „T.K. …“, flüsterte sie. Im Lampenschein offenbarte ihr Blick, wie sehr enttäuscht sie von ihm war. Es spielte keine Rolle. Er musste es tun, egal wie die Folgen für ihn aussahen. Egal, was man von ihm halten mochte. Noch nie hatte er Ken so gut verstehen können wie in diesem Moment. „Ich habe es ihnen geschworen“, sagte Kari mit belegter Stimme. „Und es geht nicht mehr nur um die Abmachung. Ich bin schuld, dass ihr Volk nun fast ausgestorben ist.“ „Wie praktisch für sie, dass du das ändern kannst“, höhnte T.K. „Kann ich dich und deine Kinder auch mal am Meer der Dunkelheit besuchen kommen? Was soll ich ihnen für Spielzeug mitbringen? Schleim? Brackiges Wasser? Vielleicht finden wir auch eine Hebamme, die sich mit Schattenwesengeburten auskennt!“ „Hör auf!“, schrie sie ihn an, die Wangen rot vor Zorn. Er drehte die Harpune, bis die Spitze auf Klecks‘ Hals zeigte. In dem Moment trampelten Schritte im Hauptraum. Yolei platzte in das Zimmer. „Kari, da bist du! Die anderen sind gerade zurückgekommen, und Izzy meint, wir sollten eine DNA…“ Sie verstummte, als sie die beiden vor Klecks‘ Lager stehen sah. „Was … was ist denn los?“ „T.K. will ihn töten“, sagte Kari tonlos und deutete auf das Divermon. Yolei riss die Augen auf. „Was? Hast du sie nicht mehr alle?“ Sie lief an Kari vorbei, packte die Harpune und wollte sie ihm entreißen. „Lass sofort das Ding los! Was ist denn in dich gefahren? Es hat uns doch gar nichts getan!“ „Du kennst die schmutzige Wahrheit nicht“, sagte T.K. durch zusammengebissene Zähe. Er hielt die Waffe eisern fest. „T.K!“, sagte Kari scharf. „Was denn? Schämst du dich plötzlich? Das da ist Karis Gemahl, Yolei! Die beiden haben geheiratet!“, platzte er heraus. „Und sie hat sich bereiterklärt, seinen verkommenen Nachwuchs zu gebären! Wenn du einen Funken Anstand im Leib hast, hilfst du mir, ihn loszuwerden!“ Yolei prallte zurück. Ihr Haar wehte, als ihr Kopf zwischen T.K, Klecks und Kari hin und her ruckte. „Aber das … das ist doch ein Digimon“, meinte sie hilflos. „Es sieht nur so aus“, erklärte er. „Es ist ein Schattenwesen vom Meer der Dunkelheit.“ Yolei suchte den Blick ihrer Freundin. „Ist … ist das wahr?“, hauchte sie. „Das ist ganz allein meine Sache“, zischte Kari. „Ich habe meine Gründe!“ „Und ich habe meine!“, gab T.K. zurück. Diesmal machte Yolei keine Anstalten, ihn aufzuhalten, doch als er zustechen wollte, richtete sich Klecks plötzlich auf. Die Decke glitt von seinen Schultern und offenbarte verbrannte, zerfurchte Haut. T.K. erstarrte. Mühsam stand das Schattenwesen auf, packte die Harpune selbst und entriss sie seiner Hand, erstaunlich kräftig. „Es war nie unsere Absicht, Zwietracht zwischen euch zu säen“, sagte es. „Es tut mir leid, dass wir euch nur Leid gebracht haben. Das alles war uns nicht bewusst. Wir verstehen wenig von euch Menschen, doch ich habe in unserer gemeinsamen Zeit viel gelernt.“ Klecks wandte sich an T.K. „Wir wollten niemandem etwas Böses. Wir waren glücklich, als die auserwählte Jungfrau zurückkehrte und unserem Leben einen neuen Sinn gab. Ich habe die Digimon reden gehört, die man hierher gebracht hat. Ihr kämpft gegen jenes Wesen, das an unserem Meer aufgetaucht ist. Wegen ihm verließ uns unser Gott. Wir sind froh, unseren Anteil daran geleistet zu haben, es zu besiegen.“ Er musterte Kari aus seinen Divermon-Augen. „Aber wir wollten unsere Lichtkönigin niemals unglücklich machen. Und ich sehe, dass wir das trotzdem taten, denn sie ist nun mit denen zerstritten, die sie ebenfalls brauchen. In deinen Augen lese ich deine Entschlossenheit, meine Königin. Du willst deinen Schwur nicht brechen. Also werde ich es sein, der ihn auflöst.“ Und damit stieß Klecks sich selbst die Harpune ins Herz.     Kari stand da wie gelähmt. Für einen Moment hielt Klecks sich aufrecht, und sie meinte kurz den ausdruckslosen Blick des Schattenwesens zu sehen, das sie am Meer der Dunkelheit geehelicht hatte. Dann kippte er hintenüber und löste sich in Daten auf, als wäre er ein richtiges Digimon. Ein Digimon, das niemals wiedergeboren werden würde … Schließlich stieß sie einen erstickten Schluchzer aus und sank auf die Knie. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Über Klecks. Über T.K. Über sich selbst. Sie war jetzt wieder frei? War es das, was sie gewollt hatte? Die Schattenwesen würden aussterben. Und jede Entscheidung war ihr abgenommen worden. Minutenlang standen sie in dem Raum. Niemand sprach ein Wort, stumm gedachten sie des Opfers des Schattenwesens. Kari erkannte, dass sie nie begriffen hatte, was in Klecks‘ Kopf vorgegangen war, dass sie nicht einmal daran gedacht hatte, dass er eine eigene Persönlichkeit haben könnte. Als sie den Blick hob, sah sie, dass T.K. seine Augen mit dem Unterarm verdeckte. Tränen liefen über sein Kinn. Er war bereit gewesen, so weit für sie zu gehen … Konnte sie ihm je vergeben? Konnte sie ihm je danken? Sie sah Yolei an, dass diese sie dazu drängen wollte, zu den anderen zurückzugehen, ihre Gedanken jedoch nicht stören wollte. Dafür war sie ihrer Freundin dankbar. Sie konnte erst weiterkämpfen, wenn sie sich ihrer eigenen Gefühle bewusst war. T.K. tat den ersten Schritt. Er kniete sich vor Kari auf den blanken Boden, alle Kraft war aus seinen Gliedern gewichen, und ließ den Kopf hängen. „Schlag mich. Bitte“, murmelte er. „So fest du kannst.“ Seine Tränen tropften auf die gestampfte Erde und versickerten langsam. Wieder schluchzte sie, presste die Augen zusammen. „Du … dummer Kerl“, stieß sie hervor, und bei jedem Wort schien ihre Seele leichter zu werden. „Du wolltest für mich so weit gehen … zum Mörder werden … und dich von mir hassen lassen …“ Sie schlug mit der flachen Hand zu, sein Kopf ruckte zur Seite. Die Stelle glühte rot. „Du bist gemein“, sagte sie weinerlich. „Als könnte ich dich jemals hassen.“ Sie kniete sich ebenfalls hin und drückte ihn fest an sich. Yolei entwich ein Seufzer der Erleichterung. Wieder verharrten sie minutenlang, während denen Kari T.K.s Tränen in ihrem Nacken spürte, wo er seinen Kopf vergraben hatte. Als könnte ich dich jemals hassen. Genau das war es. Sie hatten sich vor langer Zeit getrennt und vor noch längerer Zeit geliebt. Das war vorbei, und ob diese Zeit zurückkommen würde, wusste sie nicht. Mit Sicherheit konnte sie nur sagen, dass sie ihn niemals hassen würde, egal, was geschah. Und sie fand, dass das allein schon etwas Gewaltiges, Großartiges war.     „Zurück! Alle zurück!“ Wizardmon und Agunimon winkten die Kämpfenden vom Schlachtfeld. Hastig flüchteten sie, benutzten Erdspalten und Tunnel und schützten sich gegenseitig vor den Feuerstrahlen, die Deemon nach den Flüchtenden warf. Sie alle versammelten sich wieder am Rand von Little Edo. „Willst du Veemon nicht zu Magnamon digitieren lassen?“, fragte Willis Davis. Dieser grinste. „Wart’s ab, du wirst staunen.“ Auf Rapidmon, WarGreymon und MetallGarurumon hatten sie die Ebene wieder überquert. Die große Entscheidung stand bevor, und die Digimon, die eben noch bis zum Ende ihrer Kräfte gekämpft hatten, durften sich zurückziehen. Die eben noch wütende Horde war totenstill geworden. Bald würde sich zeigen, ob ihre Angriffe Deemon weit genug geschwächt hatten. Auch Michael und die Digimon, die die Brände bekämpft hatten, gesellten sich wieder zu den anderen an die Front. „Ihr habt also tatsächlich noch ein paar starke Digimon aufgetrieben“, stellte Deemon fest. Durch seinen Kapuzenschädel blitzte immer wieder die neue Gestalt, die es annehmen wollte. Der Schlamm an seinen Armen und Beinen war vollständig verschwunden, nur Brust und Flügel waren noch von dicken Schichten überzogen, in die die zahllosen Attacken Lücken gerissen hatten. „Bist du bereit, Ken?“, fragte Davis und hob sein DigiVice. Er sah ihn erwartungsvoll an. War er bereit? Ken wusste es nicht. Er hatte sich an dem Kampf bisher nicht beteiligt. Hatte er nicht genug getan? Nein, dachte er. Ein letztes Mal muss ich gegen Deemon kämpfen. „Komm schon“, sagte Davis, klang jedoch nicht drängend. Er sah ihn mit Augen an, in denen Flammen zu lodern schienen. „Ich weiß, du hast eine Menge durchgemacht, aber wir brauchen dich! Du warst es, der uns überhaupt erst ermöglicht hat, etwas gegen Deemon auszurichten. Ohne dich wäre die DigiWelt verloren. Wir müssen ihm nur noch den vernichtenden Schlag verpassen, dann ist es vorbei!“ Ken musterte ihn lange. Hätten seine Freunde sich nur schon früher erinnert … alles wäre dann so einfach gewesen … Er würgte den Gedanken entschlossen ab. Hätte, wäre! Er hatte doch die ganze Zeit nichts anderes getan, als in die Zukunft zu sehen! Er hatte wieder Dinge getan, die abscheulich waren, war bereit gewesen, alles zu opfern, um sein Ziel zu erreichen – dank seiner Freunde war dieses Ziel wieder in greifbarer Nähe! Er musste nur die Hand ergreifen, die Davis ihm anbot. Ein Angebot ohne Hintergedanken, ohne Lügen, ohne Zweifel, ohne Finsternis, die sich auf ihn stürzen würde. Er hatte wohl tatsächlich verlernt, an jemanden zu glauben. Wenn er jetzt noch zauderte, wären all seine Opfer vergebens. „Hier sind wir!“ Yolei kam mit T.K. und Kari angerannt. Sie schien etwas verstört, und die anderen hatten beide verquollene Augen, wie Ken erkannte, als hätten sie geweint. „Aquilamon!“, rief Yolei ihrem Digimon zu, dann tauschte sie mit Kari einen Blick. Ihre Digimon vollführten die DNA-Digitation und verschmolzen zu Silphymon. „Tut mir leid, Cody, aber meinst du, du kannst mit Digmon oder Ankylomon alleine kämpfen?“, fragte T.K. „Ich fürchte, Patamon bekommt so schnell keine Digitation mehr hin.“ „Klar“, meinte der Junge. „Es wird schon irgendwie gehen.“ „Ken?“ Nun sah auch Izzy ihn erwartungsvoll an. Er nickte. „Zeigen wir’s ihm.“ Davis strahlte über das ganze Gesicht. Wormmon digitierte zu Stingmon, Veemon zu Ex-Veemon. Dann war es wieder da, dieses seltsame Gefühl der Verbundenheit, wenn ihre Partner gemeinsam digitierten. Das Gefühl eines anderen Herzens, das im selben Takt schlug. Nach all der Zeit, in der er sich allein gefühlt hatte, kam es ihm wie ein Segen vor – und er meinte, nicht nur Davis‘ Herz zu fühlen, sondern auch die der anderen. Sie waren wieder ein Team, kämpften gemeinsam gegen die Dunkelheit … Und sie würden sie besiegen wie schon unzählige Male zuvor! Willis starrte mit offenem Mund, als Paildramon noch auf das Mega-Level zu Imperialdramon digitierte. „So eine Digitation habt ihr drauf?“, fragte er. „Ich hab doch gesagt, dass du staunen wirst“, grinste Davis. „Alles klar, machen wir es fertig!“, sagte Tai wild entschlossen. Matt nickte. Ihre Digimon digitierten ebenfalls, formten wieder Omnimon in seiner prächtigen, weißen Rüstung. Von Deemons riesiger Gestalt wehte Gelächter herüber. Es schien abzuwarten. „Lach du nur!“, rief Davis. „Diesmal bist du fällig! Heute bringen wir es zuende!“ Imperialdramons riesige Kanone lud sich auf und feuerte einen lodernden Strahl ab. Omnimon schoss ebenfalls eine Kugel aus reinem Licht aus seinem Arm, und Rapidmon jagte zwei Raketen hinterher. Deemon hob die Arme und ließ sie violett aufglühen, wie um sich – oder den schwarzen Schlamm auf seiner Brust – zu schützen. Die Attacken zerbarsten mit lauten Getöse, die Explosion musste meilenweit zu sehen sein, hell wie die Sonne, die so lange schon nicht mehr auf die DigiWelt herabgeblickt hatte. Als das Licht verglomm, rauchten Deemons Arme, aber es schien unversehrt. Nur wenige Spritzer Turmmaterial hatten seinen Körper verlassen und verdampften auf dem Ödland hinter ihm. „Ihr lasst euch so lange Zeit, um mir stärkere Digimon entgegenwerfen zu können, und das ist alles, was sie zu bieten haben?“, höhnte es und lachte. „Es hat immer noch nicht gereicht!“, rief Davis entsetzt. „Wir sollten versuchen, unsere Energie noch weiter zu bündeln“, meinte Ken. „Ken hat recht“, sagte Matt. „Hör zu, Davis, wir werden Imperialdramon all unsere Kraft geben, verstanden?“ „Geht klar.“ Wieder lachte Deemon. „Ihr betreibt wirklich einen beachtlichen Aufwand, das muss ich euch lassen. Ich werde euch für eure Mühen belohnen.“ Es streckte die Hand aus und die DigiRitter spannten sich an, doch die Handfläche wies nach oben. „Ihr wollt also nicht, dass ich mir Arkadimons Schwarze Türme einverleibe? Ich werde euch diesen Wunsch erfüllen.“ Mit offenem Mund verfolgte Ken, wie der schwarze Schlick sich von seiner Kutte zurückzog und zu seiner Hand wanderte. Auch Deemons Flügel wurden von dem Schlamm befreit. Er sammelte sich in seiner Handfläche und verformte sich dort zu einer winzigen Kugel –nein, eher einer Pyramide. Auf die Entfernung konnte man das Ding kaum erkennen, nur, dass es pechschwarz war. „Na, was sagt ihr? Ich werde aufhören, mir die Türme einzuverleiben, bis ich meine Digitation abgeschlossen und euch vernichtet habe.“ „Was hat es nun wieder vor?“, ächzte Davis. „Ich bin mir sicher, es plant etwas!“ „Vielleicht auch nicht“, überlegte T.K. „Vielleicht hat Deemon erkannt, dass wir es nicht noch mehr von der Masse aufnehmen lassen, und es hat sie sozusagen in Sicherheit gebracht.“ „Aber es scheint immer noch zu digitieren“, meinte Kari beklommen, als Deemons Gestalt erneut flackerte. Seine Flügel schienen sich zu verändern, die Krallen darauf wurden länger, furchterregender. Immer mehr Pelz blitzte um seine Hörner herum auf. „Wir sollten nicht länger warten! Zeigen wir ihm, was wir haben!“, rief Tai. Imperialdramon veränderte seine Form. Statt dem furchterregenden Drachenkörper schwebte nun ein schwer gepanzerter Krieger über den DigiRittern. Omnimons Arme erglühten, sein Körper löste sich auf. Das Licht zog sich zusammen, verformte sich zu einem grell leuchtenden, riesigen Schwert. Als Imperialdramon kraftvoll die Hände um den Griff schloss, strahlte sein Körper in hellem Glanz, seine Rüstung verfärbte sich weiß und golden. Zwei weiße Flügel legten sich von hinten um seine Schultern. Das Schwert in seinen Händen pulsierte, die Schriftzeichen darin glühten. Die Waffe war fast so groß wie Imperialdramon selbst. „Los, zeig’s ihm!“, brüllte Davis. Auch die anderen feuerten das Digimon an, als es das Schwert zu einem wuchtigen Schlag hob. Ken ertappte sich selbst dabei, ebenfalls all seine Hoffnungen mit einem Schrei in Imperialdramon zu legen. Der Hieb spaltete den Himmel. Ein Lichtstrahl, vom Boden bis zu den Sternen, wie es aussah, fegte auf Deemon zu, riss die Erde auf und ließ verbrannte Reispflanzen davon wehen. Ken fühlte die unglaubliche Macht, die von der Lichtsichel ausging; sie vibrierte angenehm in seiner Brust. Mit donnernder Urgewalt fuhr sie über Deemon hinweg, krachte hinter ihm in die Berge. Ein fürchterliches Getöse erfüllte die Ebene, als die Attacke die Steingiganten einfach zerschlug; Gipfel stürzten ein, Felsbrocken segelten meilenweit davon. Das Licht bildete einen letzten, grellen Streifen auf Kens Netzhaut, ehe es inmitten der Berge verglühte. Keiner der DigiRitter wagte zu atmen. Als Ken Deemon entdeckte, zersprang seine Hoffnung in tausend Scherben. „Das ist doch unmöglich!“, stieß Davis verzweifelt aus. „Wie kann es das überlebt haben?“ „Haben wir es vielleicht nicht genug geschwächt?“, fragte Yolei besorgt. Gelächter wehte zu ihnen herüber, als sich Stille auf das Nordheer senkte. Deemon war wieder kleiner als zuvor, schwebte aber noch auf derselben Stelle. Etwas schien nicht mit der Luft in seiner Nähe zu stimmen, denn sie flimmerte … Als würde sich eine andere Welt zwischen Deemon und die DigiRitter drängen. Izzy keuchte auf. „Die Phasen! Sie verschieben sich wieder!“ Obwohl sein Laptop zerstört war, hatte er sofort begriffen. Ken sah es nun auch mit freiem Auge – die schwarze Pyramide in Deemons Hand brachte erneut die Weltengrenzen durcheinander. Nacheinander flackerten vor dem Digimon schwarze wie bunte Welten in breit gefächerten Spalten in der Wirklichkeit auf. Schattenhafte Wesen versuchten in die DigiWelt zu gelangen, aber die Tore waren nie lange genug offen. Und noch etwas war geschehen. Ken erkannte es erst, als das Herumschieben der Welten sich langsam legte und Deemon wieder richtig zu sehen war. Es war digitiert. Deemons Kutte hatte sich aufgelöst, stattdessen war sein ganzer Körper mit zotteligem, braunem Fell überzogen. Die Hörner ragten nun aus einem knochigen Schädel mit einer schrecklichen Dämonenfratze, deren Maul klaffend aufgerissen war. Die Krallenauswüchse an seinen Flügeln waren größer geworden, seine Hände dünner, die Krallen länger. „Ihr seid so dumm.“ Die Stimme war noch dieselbe. „Glaubt ihr wirklich, ihr könntet mir so einfach etwas anhaben?“ Die schwarze Pyramide schwebte in seiner Handfläche. Yolei schlug die Hand vor den Mund. Tai stieß einen wüsten Fluch aus, Matt zog die Brauen zusammen. „Es hat keinen einzigen Kratzer“, stellte T.K. düster fest. „Als hätten sie es überhaupt nicht getroffen.“ „Wenn ihr das schon beunruhigend findet, was haltet ihr dann hiervon?“ Deemon hob die Hand mit der Pyramide – und im gleichen Moment begannen sich die Digimon der internationalen DigiRitter zu krümmen, ebenso Ankylomon. Selbst MegaKabuterimon ließ ein ersticktes Stöhnen hören. „Was ist denn los mit euch?“, rief Cody. Silphymon antwortete, schwer atmend. „Etwas versucht, uns die Kraft zu entziehen. Wir können gerade verhindern, dass wir nicht zurückdigitieren.“ Es traf Ken wie ein Blitz. „Die Schwarzen Türme!“, rief er aus. „Deemon hat die Schwarzen Türme wieder aktiviert! Das würde die Phasenverschiebung erklären!“ Deemon – oder was auch immer es nun war – lachte. „Du bist ein schlaues Bürschchen, Ken. Glaubt ihr etwa, ich würde Arkadimons Türme nicht anderweitig nutzen, wenn ihr mich sie schon nicht einverleiben lasst?“ „Aber das da in seiner Hand … Das ist doch nur ein kleiner Turm“, meinte Yolei, obwohl sie ahnen musste dass dem nicht so war. „Ich fürchte, Deemons Macht ist mittlerweile so groß, dass es das Granulat von mehreren Türmen in eine einzige Pyramide hat verdichten können“, murmelte Ken. Deemon hatte ihn gehört. „So ist es. Arkadimon bestand aus tausend schwarzen Türmen. Vielleicht die Hälfte davon habe ich bereits in mich aufgenommen. Von den übrigen mögt ihr einige unschädlich gemacht haben, aber was ihr hier in meiner Hand seht, ist die verdichtete Form von mehreren hundert Türmen!“ „Darum ist die Phasenverschiebung auch viel stärker als damals bei BlackWarGreymon – wenn auch nicht ganz so stark wie bei Arkadimon“, stellte Izzy fest. „Wenn wir auf dieser Hand-Insel nicht die Macht erhalten hätten, im Schatten der Türme zu digitieren, wären unsere Digimon längst wieder auf dem Rookie-Level.“ „Aber auch so müssen sie ihre ganze Kraft aufbringen, um ihr Level zu halten“, meinte Kari. „Einfach weil die Macht dieser Pyramide so groß ist.“ „Kari hat recht“, sagte Imperialdramon vielstimmig. „Wir können noch einige Attacken fliegen, aber unsere Energie wird bald erschöpft sein.“ „Das ist unser Stichwort.“ Agunimon trat vor. „Wir werden uns nicht so einfach unterkriegen lassen! Alle Langstrecken-Kämpfer, Angriff!“ Es gab nur wenige Digimon, deren Kampfgeist noch nicht gebrochen war, aber es gab sie. Wizardmon war das Erste, dessen Lichtblitz auf Deemon zuflog. Auch Feuerbälle wurden in seine ungefähre Richtung geschleudert. „Wir geben auch nicht auf!“, sagte Garudamon, und gemeinsam mit MegaKabuterimon schleuderte es einen Doppelangriff auf das zottelige Dämonendigimon. Silphymon griff als Nächstes an. Die Attacken zeigten allesamt keine Wirkung – sie schienen Deemon gar nicht zu erreichen! Die Phasen verwirbelten wieder vor seinem Körper, Blitze wie Feuer wie Energie verschwanden in den Spalten zwischen den Welten, schlugen irgendwo entfernt ein, wo kein Mensch je einen Fuß hingesetzt hatte. Deemons Gelächter schmerzte bereits in Kens Kopf. „Sie können ihm nichts tun – diese Phasenverschiebung beschützt es“, sagte Matt. „Solange es diese Pyramide hat …“ Dieses schwarze Ding in dieser Hand, das aus demselben Material bestand wie Kens Türme … Er hätte nie gedacht, dass Deemon sich damit verteidigen könnte. „Können wir die Schwarzen Türme nicht irgendwie abschalten?“, fragte Yolei. „Ihr wisst schon, damals, als Ken aufgehört hat, der DigimonKaiser zu sein, haben sie auch ihre Wirkung verloren.“ „Nur für eine Weile“, erinnerte sie Kari. „Als Arukenimon gekommen ist, wurden die Türme wieder funktionsfähig.“ „Das stimmt“, meldete Arukenimon selbst sich zu Wort. Sein Spinnenkopf fixierte Ken. „Deemon kann die Türme zweifellos aktiv halten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es an deinem DigiVice liegt.“ „An meinem … DigiVice?“, wiederholte Ken verwundert. „So ist es“, dröhnte Deemons Stimme. Es hatte sie wieder gehört. „Dein DigiVice und die Schwarzen Türme sind aufeinander abgestimmt. Was glaubst du, warum es ebenfalls die Fähigkeit hat, Digimon am Digitieren zu hindern? Warum du damit die Türme schneller errichten lassen kannst? Dein schwarzes DigiVice sendet ein Signal von der gleichen Wellenlänge aus, die auch die Türme benutzen. Dein DigiVice ist es, das sie aktiv hält, Ken!“ Die anderen sahen ihn erschrocken an. Ken fühlte sich, als zöge man ihm den Boden unter den Füßen fort. So etwas hätte er eigentlich ahnen müssen … Damals war es ihm ja nach seiner Zeit als DigimonKaiser auch nicht gelungen, die Macht der Türme vollständig abzuschalten. Nun wusste er, warum. „So, nachdem eure Attacken nichts als Verzweiflungsakte sind, bin ich nun an der Reihe“, verkündete Deemon. Sein Fell sträubte sich, die Stacheln auf seinen Flügeln leuchteten auf. „Passt auf!“, rief T.K. „Was immer es tut, es ist kein Feuerstrahl mehr!“ Tausend spitze Lichtnadeln schossen aus Deemons Flügeln und gingen wie ein Hagelschauer auf die Digimon und DigiRitter nieder. Heiles Chaos brach aus. Garudamon und MegaKabuterimon, die beiden größten Digimon, warfen sich nach vorne, um ihre Freunde zu schützen. Agunimon schrie etwas, und die Digimonsoldaten schossen ihre Attacken nach den Nadeln. Ankylomon stellte sich schützend vor Cody und Ken, Imperialdramon schwang sein neues Schwert. Irgendwie überstanden sie die Attacke. Digimon rings um sie herum starben, als sie von den Nadeln durchbohrt und gleich darauf in Stücke gerissen wurden. Sowohl Garudamon als auch MegaKabuterimon und Ankylomon digitierten getroffen zurück. Hinter ihnen krachte etwas; der Palisadenwall von Little Edo wurde regelrecht gesprengt. Einer der Türme ächzte und fiel dann krachend um. Einige verstreute Nadeln schlugen auch in der Stadt ein. „Nicht übel“, sagte Deemon. „Ich bin gespannt, wie lange ihr durchhaltet.“ „Und wenn wir mein DigiVice einfach zerstören?“, fragte Ken plötzlich. Wieder richteten sich die erschrockenen Blicke der anderen auf ihn. „Das würde die Macht der Türme brechen, oder? Vielleicht nicht Deemons Macht der Dunkelheit, aber die Wellenbewegungen, die die Weltengrenzen stören, würden vielleicht aufhören. Dann könnte sich Deemon nicht mehr vor uns schützen.“ „Du willst dein DigiVice zerstören?“, fragte Cody entsetzt. „Das kannst du doch nicht tun!“ „Imperialdramon würde dann doch zurückdigitieren, oder nicht?“ Yolei sah sich hilfesuchend um. Ken zog die Augenbrauen zusammen. „Wenn wir schnell genug sind, kann es vielleicht noch eine Attacke starten, ehe das passiert“, sagte er entschlossen. Wieder hatte Deemon nur ein Lachen dafür übrig. „Spar dir die Mühe, Ken“, meinte es süffisant. „Ihr seid so naiv. Denkt ihr, ihr könntet die DigiVices einfach so zerstören? Denkt ihr, das hätte nie jemand eurer Feinde versucht, wenn es so wäre? Ich weiß alles, was damals vorgefallen ist. Die Meister der Dunkelheit haben ebenfalls nur versucht, die DigiVices zu stehlen. Selbst Apocalymon konnte nur eure Amulette zerstören. Ihr glaubt vielleicht, dass es nur praktische Geräte sind, die ihr erhalten habt, weil ihr als DigiRitter erwählt wurdet, aber ganz so einfach ist es nicht! Die DigiVices sind eine Manifestation jener lächerlichen Macht, die diese Welt vor der Dunkelheit zu schützen versucht. Sie vereinen das Licht der DigiWelt mit den Wünschen und der Kraft, die sie aus euren Seelen schöpfen. Selbst wenn ihr ihre äußere Form zerschmettern könntet: Solange ihr euch mir entgegenstellt, werden eure DigiVices leuchten, immer und immer wieder, und solange sie leuchten, solange sind sie unzerstörbar.“ Hämisches Gelächter folgte dieser Verkündigung. „Ihr könnt mir dankbar sein, dass ich euch an dem Wissen teilhaben lasse, das ich hinter der Feuerwand erlangt habe. Seht es als mein Abschiedsgeschenk an, denn nun werdet ihr sterben.“ Deemon spannte die Flügel, bereit, Imperialdramon und alle, die noch hinter ihm standen, mit seinen Nadeln hinwegzufegen. Und plötzlich wusste Ken, was er zu tun hatte. „Davis!“, rief er. „Ihr alle, hört zu! Ihr müsst Deemon noch ein paar Minuten standhalten!“ „Was hast du vor?“, fragte Tai. „Keine Zeit für Erklärungen.“ Ken sah sich um und deutete dann auf die Pagode von Little Edo. Der Balkon auf der Nordseite war von hier aus gut zu sehen. „Behaltet die Pagode im Auge. Ich gebe euch von dort das Signal. Wenn das Licht meines DigiVices erlischt, muss Imperialdramon sofort alle Kraft in einen letzten Angriff legen!“ Er wollte schon loslaufen, doch Davis packte sein Handgelenk. „Erst sagst du uns, was du vorhast“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Sag es uns, Ken“, drängte ihn auch Izzy. „Wenn es nicht funktioniert … Wir müssen uns ganz sicher sein.“ Ken seufzte. „Mein DigiVice ist die Ursache von allem. Vielleicht kann ich es nicht zerstören, aber ich habe einen Plan. Es hat eine Funktion, mit der es dunkles Licht aussenden kann. Damit kann es eine Digitation verhindern.“ In der Vergangenheit hatte er Izzys Tentomon schon einmal diesem Licht ausgesetzt. Er hoffte, dass dieser sich erinnerte. „Und dann hat es noch die Kraft erhalten, die ihr gefunden habt, als ihr Gennais Rätsel gelöst habt. Diese Kraft lässt die Digimon trotz der schwarzen Energie digitieren!“ Kari horchte auf. „Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Das sind zwei komplett gegensätzliche Kräfte. Wir konnten damit sogar Schwarze Ringe deaktivieren.“ Ken nickte. „Umso besser. Ich werde diese beiden Kräfte gleichzeitig benutzen. Vermutlich muss ich mein DigiVice auf ein Digimon richten, um sie hervorrufen zu können, aber ich weiß schon, welches ich nehmen werde. Diese gegensätzlichen Funktionen, Licht und Dunkelheit, können garantiert nicht nebeneinander bestehen. Ich bin mir sicher, dass ich damit mein DigiVice überlasten – oder zumindest kurzschließen – und somit diese schwarze Pyramide abschalten kann!“ Und wieder lachte Deemon. „Welch nette Theorie. Das wird nie funktionieren, Ken.“ „Wart’s ab“, knurrte er. „Du magst ja viel wissen, aber ich hatte fünf Monate Zeit, die Funktionen meines DigiVices gründlich zu erforschen!“ Er sah seinen Freunden nacheinander fest in die Augen. „Vertraut mir. Ich weiß, dass es klappen wird.“ Und nacheinander nickten sie. „Ich begleite dich“, bot Tai an. „Ich auch!“, sagte Kari. Ken lächelte schwach und schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Eure DigiVices besitzen nur die helle Macht. Ihre Nähe könnte das Gleichgewicht der Kräfte in meinem stören. Darum gehe ich in die Pagode. Haltet einfach Ausschau nach dem Licht. Davis, Imperialdramon muss treffen!“ Davis schlug sich gegen die Brust. „Du kannst dich auf uns verlassen!“ Ken nickte den anderen erneut zu, dann lief er in die Stadt hinein. Hinter sich sah er das Glühen von Deemons nächster Attacke. Er biss die Zähne zusammen. Haltet bitte durch!     Spadamon fand die Geräusche beunruhigend. Hier unten zwischen festgestampftem Lehm, unter Schichten aus Holz und Erde, klang alles dumpf und dröhnend, was draußen geschah. Seit zwei Tagen war es nun schon hier eingesperrt, und seit gestern war niemand mehr gekommen, um nach den Gefangenen zu sehen oder ihnen Essen zu bringen. Stattdessen schienen alle Ninjamon-Wachen plötzlich viel zu tun zu haben. Musyamon war auch nicht gerade die beste Gesellschaft. Das Digimon saß die ganze Zeit im Schneidersitz in der Mitte der Zelle, die Augen geschlossen. Die Tür war zwar stabil und sie hatten dem gestürzten Usurpator sein Schwert abgenommen – Spadamon hatte es draußen in einem Vorraum an der Wand hängen sehen –, aber an seiner Stelle hätte der Spion des DigimonKaisers zumindest versucht, allein mit Körperkraft auszubrechen. Musyamon rührte sich jedoch nicht und schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Spadamon seufzte eben herzhaft – es konnte seine Seufzer schon gar nicht mehr zählen –, als plötzlich wieder Schritte erklangen. Es spitzte die Ohren. Als die eisernen Riegel der Tür zurückgezogen wurden und sie quietschend aufschwang, grinste es. Der DigimonKaiser war doch immer für Überraschungen gut! Es brannte darauf zu erfahren, wie er es angestellt hatte, nach Little Edo zu gelangen. Seine Kleidung war übel verbrannt; einfach dürfte es nicht gewesen sein. Der Kaiser nickte Spadamon jedoch nur beiläufig zu und wandte sich an Musyamon, das die Augen geöffnet hatte und ihn stumm ansah. Er warf ihm sein Krummschwert vor die Füße. „Ich brauche noch einmal Eure Hilfe, Musyamon.“ „Die Hilfe eines Versagers braucht niemand“, sagte Musyamon heiser. Es sagte das nicht aus Selbstmitleid, so gut kannte Spadamon es. Es meinte die Worte ganz im Ernst. „Wenn ein Versager die DigiWelt rettet, ist er dann ein Versager? Kommt mit.“ Der DigimonKaiser gab ihm einen Wink. Spadamon fiel auf, dass sein Wormmon nicht bei ihm war. Musyamon blickte nachdenklich auf das Schwert, das vor seinen Knien lag. Draußen krachte etwas ohrenbetäubend laut. Wieder bebte die Erde. „Ich schwor Euch einst meine Treue“, sagte es schließlich. „Ich vermute, Ihr wollt erneut etwas Großes verbringen?“ Der Kaiser nickte. Schließlich hob Musyamon sein Schwert auf und folgte ihm.     Eine neue Welle aus Lichtnadeln war überstanden. Es gab weitere Opfer unter den Digimon, und Imperialdramon hatte viele der Stacheln abgefangen, um die DigiRitter zu beschützen. Der strahlende Ritter wankte bereits. „Du darfst nicht aufgeben, Imperialdramon!“, rief Davis zu ihm hoch. „Ken wird es schaffen! Wir müssen an ihn glauben!“ „Das tun wir doch“, sagte Tai und wuchtete ächzend einen breiten, abgeknickten Bambusstamm von seiner Brust, unter dem er nach dem letzten Angriff fast begraben worden wäre. „Ich wünschte nur, er würde sich beeilen.“ Der Wall hinter ihnen war fast vollständig eingestürzt, die ersten Gebäude dahinter so voller Löcher, dass auch sie bald zusammenbrechen würden. Die Digimon hatten behelfsmäßige Schutzmechanismen aufgebaut. Monochromon und Tyrannomon hatten Gräben ausgehoben, in denen sie Zuflucht vor Deemons Attacken suchen konnten. Tortomon schützten sie zusätzlich mit ihren harten Rückenpanzern, doch selbst sie hielten direkten Treffern nicht stand. Arukenimon und Mummymon spannten Netze aus Spinnenfäden und Mullbinden, ohne die sie den letzten Stachelhagel wohl nicht überlebt hätten. Andere Digimon hatten zusammengebundene Fragmente der Bambusmauer herangeschleppt, um sie als Schild zu benutzen – doch selbst das war nur ein Ausdruck ihrer Verzweiflung. Bestenfalls belustigten sie Deemon damit. „Ich habe mich lange genug mit euch aufgehalten“, sagte das Dämonendigimon und schwebte näher. Die Pyramide in seiner Hand zog dunkle Schlieren nach sich. Es war immer noch unangreifbar. Der Bruchteil ihrer Attacken, der es erreichte, reichte nicht aus, um es zu verletzen. „Es wird nicht wahr werden“, hörte Davis Kari neben sich flüstern. Sie schien wie in ein Gebet versunken, die Hände ineinander verkrampft, die schmutzige Stirn voller Schweiß, der Blick starr, aber entschlossen. „Es wird nicht wahr werden. Es stimmt nicht. Wir können es ändern.“ Je näher Deemon kam, desto stärker wirkte sich das geballte Turmmaterial auf ihre Digimon aus. Von den Partnern der DigiRitter hielten mittlerweile nur noch Lillymon, Silphymon, Rapidmon und Imperialdramon ihr Level. Die anderen konnten dem Kampf nur mehr hilflos zusehen oder waren bewusstlos. Ihre Partner kümmerten sich mit bedrückten Gesichtern um sie, aber der Mut hatte sie noch nicht verlassen. Sie haben bereits ihr Bestes gegeben. Sie haben gekämpft, um zu verhindern, dass Deemon mehr von der Masse aufnimmt. Sonst wäre es jetzt noch stärker, oder unsere Digimon würden noch mehr geschwächt werden. Davis‘ Herz hämmerte zum Zerspringen. Er wollte, dass dieser verdammte Kampf endlich vorbei und wieder alles normal war. Wie es gewesen war, ehe er plötzlich mit falschen Erinnerungen in der DigiWelt aufgewacht war. Wie es sein sollte! Sie hatten Tais Geburtstag gefeiert, erinnerte er sich. Er wollte weiterhin etwas mit seinen Freunden unternehmen, wieder mit ihnen feiern, mit ihnen lachen! Deemon sollte es gefälligst nicht wagen, ihre Verbundenheit zu zerstören, weder mit falschen Erinnerungen noch sonstwie! „Ken!“, brüllte Davis in die qualm- und staubverhangene Nacht. „Beeil dich!“     „Ich nehme an, Ihr habt Euch das gut überlegt.“ „Das habe ich.“ Musyamon und Ken stiegen die Treppen in der verlassenen Pagode hoch. Sie war von den Bränden verschont geblieben. Dass sie völlig leer war, schien nur noch zu verdeutlichen, dass die Zeit der Shogune und Königinnen und Könige und Kaiser, der Fürsten und Daimyos und Vasallen in der DigiWelt endgültig vorbei war. Ken ging voraus, seine Stiefel erklommen Stufe um Stufe. Hinter sich hörte er Musyamons schwere Schritte und das Scheppern seiner Rüstung. „Und wie komme ich zu dieser zweifelhaften Ehre?“, fragte es. „Weil ich weiß, dass Ihr mir diesen Gefallen tun werdet“, sagte Ken schlicht. Und weil man Euch bereits als Feind ansieht. Genau wie mich. Als er das obere Stockwerk erreichte und sich nach dem Balkon umwandte, stand plötzlich Nadine vor ihm. Elecmon war bei ihr. Sie wich seinem Blick aus. „Ich … habe gehört, dass du hierher kommen würdest.“ Ken schwieg. Sie musste mit Cody aus der Festung geflohen sein, aber er hatte sie bisher nicht gesehen. Er machte Anstalten, an ihr vorbeizugehen. „Bitte – warte“, sagte sie. Ihre Augen schimmerten, aber vielleicht sah das nur in dem Lichthagel so aus, der wieder draußen vor der Stadt aufloderte. „Ich muss mit dir reden.“ „Das muss warten. Geh zu den anderen, ich habe etwas zu tun“, sagte er kühl. „Nein!“, sagte sie heftig und biss sich auf die Lippen. „Es muss jetzt sein. Später sind wir vielleicht alle … wenn wir es nicht schaffen …“ Sie strich sich fröstelnd über die Unterarme. „Dein DigiVice müsste noch in den Trümmern meiner Festung liegen“, sagte Ken. „Wenn das, was Deemon sagt, stimmt, ist es unversehrt. Und ich glaube nicht, dass es gelogen hat.“ „Darum geht es mir nicht.“ Wieder wich sie seinem Blick aus. „Ich … weiß jetzt, dass es kein Spiel ist“, sagte sie schließlich. „Das habe ich erwartet. Lass mich jetzt vorbei.“ „Das ist nicht alles!“, sagte sie und leckte sich über die Lippen. „Es … tut mir unendlich leid, Ken.“ Er sah ihr ernst in die Augen, und diesmal begegnete sie seinem Blick voller Schmerz. „Alles, was ich dir angetan habe … alles. Ich habe mich abscheulich benommen. Wenn ich daran denke, dass ich dich umbringen wollte … dass ich dich so betrogen habe … Ich …“ Sie kniff die Augen zusammen und schluckte hart. An ihren Wangen glitzerten Tränen. Sie schien gar nicht mehr daran zu denken, wie er sie im Gegenzug behandelt hatte. Ken konnte sich irgendwie zu einem Lächeln durchringen. „Wir haben alle schreckliche Dinge getan“, sagte er mit rauer Stimme. „Ich mehr als ihr alle zusammen.“ Er strich ihr sanft über die Wange, bis sie ihn wieder ansah. „Geh wieder nach unten. Wenn wir hier fertig sind … dann können wir uns von mir aus wirklich mal in der Realen Welt treffen. Wenn du doch Lust dazu hast.“ Sie blinzelte und starrte ihn aus großen Augen an. Tränen hingen noch in ihren Wimpern. „Ich …“, murmelte sie gepresst und brachte schließlich ebenfalls ein leichtes Lächeln zustande. Sie nickte. „Das wäre … Ich meine, ja, okay.“ Ken nickte ihr zu und trat auf den Balkon hinaus. Als er noch einmal über die Schulter sah, begegnete er Nadines Blick, die tatsächlich langsam die Treppe hinunterstieg, Elecmon im Schlepptau. Auch sie sah noch einmal zurück, lächelte ihm schwach zu, und ging dann weiter. Ken tat es leid, sie belogen zu haben, doch er konnte sie hier nicht gebrauchen. Als ihre Schritte verklungen waren, wandte sich Ken dem Spektakel vor der Stadt zu. Deemon war erschreckend nahe an seine Freunde herangekommen. Etwas krampfte sich in ihm zusammen, als er den schrecklichen Zustand des letzten Aufgebots der DigiWelt gegen Deemon sah. Imperialdramon stand vor ihnen, musste sich auf sein Schwert stützen. Seine Freunde hatten alles getan, was in ihrer Macht stand. Nun lag es an ihm. Als Deemon Arkadimon verschlungen hatte, hatte Ken schon geglaubt, dass alles umsonst gewesen wäre. All die Kämpfe, all die Schlachten, alle Intrigen, Winkelzüge und das Blut an seinen Händen – nichts als ein Zeitvertreib für Deemon, das ihn in Verzweiflung hatte ertränken wollen. Doch es war nicht umsonst. Nichts war umsonst, wenn es in ihm die Entschlossenheit anfachte. Vielleicht hatte er all diese Finsternis kennen lernen müssen, hatte sie gebraucht, um jetzt zu tun, was getan werden musste. „Es wird Zeit“, sagte er, als Deemon die Flügel für einen neuen Angriff spreizte. „Und Ihr seid Euch sicher?“, fragte Musyamon hinter ihm. „Ja. Mein DigiVice wird hier und heute aufhören zu leuchten.“ Er hob das DigiVice in die Höhe und aktivierte seine dunkle Macht. Violette Lichtwellen strahlten daraus hervor, die sie unten vor der Stadt hoffentlich gegen die hellen Mauern der Pagode sehen würden. Ken glaubte nicht an die Theorie, die er seinen Freunden vor wenigen Minuten erzählt hatte. Versucht bitte, mir zu verzeihen, dachte er. Ein letztes Mal. Aber wenn ihr es nicht könnt, bin ich euch auch nicht böse. „Ich bin so weit“, murmelte er, sein Hals war wie ausgedörrt. „So sei es“, brummte Musyamon. Die Schwertklinge fühlte sich kalt an in seiner Brust, aber der Schmerz währte nur ganz kurz.     „Da! Das ist da Licht! Ken hat angefangen!“, rief Davis plötzlich aus. Die anderen fuhren herum, sahen das violette Glühen auf dem Balkon der Pagode. Deemon war mittlerweile so nah, dass die verschwimmenden Weltengrenzen die ganze Front in verschwommene Finsternis tauchten. „Okay, macht euch bereit“, sagte Matt. Imperialdramon holte zum letzten Schlag aus. Die Schriftzeichen auf seinem Schwert glühten auf, allerdings nicht mehr so stark wie zuvor. T.K. hatte die Idee, sein DigiVice auf die Klinge zu richten. Es mochte zu wenig Energie haben, um Patamon die Digitation zu ermöglichen, aber vielleicht würde es dem geschwächten Imperialdramon helfen. Die anderen sahen, wie sich ein dünner Lichtstrahl aus seinem DigiVice in den Schwertknauf bohrte, und taten es ihm gleich. Dadurch digitierten ihre Digimon endgültig zurück, aber schließlich flackerten die Symbole in der Klinge wieder genauso wie bei Imperialdramons erstem Angriff. Kurz darauf erlosch Kens violettes Licht. Im gleichen Moment verwirbelten die Weltenspalten, die Deemon beschützten, und verschwanden. Es schwebte allein auf einer von vielen Attacken und Feuer verwüsteten Ebene. „Wie ist das möglich?“, stieß es aus, und zum ersten Mal schwang Erschrecken in seiner Stimme mit. „Los!“, brüllten Tai, Matt und Davis aus voller Kehle. Imperialdramon schickte mit einem gewaltigen Senkrechthieb eine helle Lichtsichel auf Reisen, dann glühte es in flackerndem Licht auf und digitierte zurück. Alle anderen Digimon, auf welchem Level auch immer, schleuderten Deemon ihre stärksten Attacken entgegen, selbst wenn es nur Tropfen im Meer von Imperialdramons Kräften waren. T.K. biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie schmerzten. Es musste dieses Mal einfach gelingen! Und das tat es auch. „Nein“, hörte man Deemon noch murmeln, doch es konnte nicht einmal ausweichen. Wie schon einmal zuvor überrollte Imperialdramons Angriff es mit blendender Helligkeit, doch diesmal sah T.K, wie schwarze Partikel nach allen Seiten spritzten. Ein unmenschlicher, dröhnend lauter Schrei ertönte, der sich schließlich in dem Krachen verlor, als die Lichtsichel weit in der Ferne einen weiteren Berg spaltete. Dann war es so still, dass T.K. sich wie betäubt fühlte. „Es ist vorbei“, flüsterte Kari. Sie wankte, als würde sie gleich ohnmächtig werden, doch ein glückliches Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gezeichnet. „Es ist vorbei! Es ist vorbei!“, wiederholte Yolei ihre Worte als Ruf. Die DigiRitter und ihre Partner brachen in Jubel aus. Die übrigen Digimon stimmten mit ein, aber nur für einen Moment: Eines nach dem anderen zuckten sie zusammen und sahen sich verwirrt um. Die Erde rumorte, aber nur ganz leicht. T.K. hatte zuerst Angst, dass sie doch noch nicht gewonnen hatten, doch dann erkannte er, was los war. Wie sich die DigiWelt damals nach dem Fall der Meister der Dunkelheit zurückverändert hatte, so geschah dasselbe nun nach Deemons Tod. Die Digimon erlangten endlich ebenfalls ihre Erinnerungen zurück, Erinnerungen an die frühere, wirkliche DigiWelt. Das Rumoren bedeutete wohl, dass auch die Landschaft, die Deemon verändert hatte, an ihren angestammten Platz zurückkehrte. In unmittelbarer Nähe geschah gar nichts; viel hatte es ja an der DigiWelt an sich nicht verwandelt. Aber all die Kleinigkeiten, mit denen Deemon sein Spiel aufpoliert hatte, mussten sich nun einrenken. Die allgemeine Verwirrung dauerte noch eine Weile an, aber die DigiRitter ließen die Soldaten, die plötzlich keine mehr waren, alleine. Ogremon schimpfte und spuckte, als es Tai und die anderen erkannte und bemerkte, dass es schon wieder gemeinsame Sache mit ihnen gemacht hatte. Agunimon überraschte sie alle, indem es eines der Ersten war, die plötzlich darüber lachten und sich bei den DigiRittern bedankten, in denen sie nun mehr sahen als nur in der DigiWelt aufgewachsene Menschen. Viele hatten von ihrem Sieg über MaloMyotismon gehört. „Wird wohl eine Menge Arbeit, nachzusehen, welche Teile der DigiWelt jetzt noch stehen und welche nicht. Ein wenig mehr Ordnung in meinem Kopf wäre auch schön“, meinte Agunimon zu Tai. „Das wird schon wieder“, erklärte dieser grinsend. „Es wird viel los sein in der Stadt des Ewigen Anfangs“, bemerkte Wizardmon und ließ den Blick über das ehemalige Heer schweifen. „Wir haben trotz allem einen hohen Preis bezahlt.“ „Aber wir haben eine Zukunft gewonnen“, erinnerte Frigimon es und legte ihm seine eisige Pranke auf die Schulter. „Das ist besser als nichts.“ Oikawa stand mit Arukenimon und Mummymon daneben und schien darauf zu warten, dass sein Körper sich auflöste. „Seltsam“, murmelte er irgendwann und rieb die Finger aneinander, als erwartete er, seine Haut abblättern zu sehen. „Die DigiWelt scheint sich weit genug erholt zu haben, dass meine Energie nicht mehr gebraucht wird. Kann das sein?“ „Theoretisch schon“, meinte Izzy, der ihn gehört hatte. „Ihre Energie war damals notwendig, um die DigiWelt wieder aufzubauen, aber ich schätze, mittlerweile kann sie sich von alleine regenerieren. Es funktioniert sicher so wie ein Serum in einem geschwächten Organismus.“ „Ich verstehe“, murmelte Oikawa. Cody lief zu ihm. „Das bedeutet, Sie können jetzt als Mensch die DigiWelt betreten und verlassen?“ Der Mann schenkte ihm ein breites Lächeln. „Im Moment sieht es danach aus. Offenbar hat mir diese fremde Welt, in die mich Myotismon damals geführt hat, doch noch einen zweiten Wunsch erfüllt.“ Da verbeugte sich Cody plötzlich förmlich. „Wenn das so ist, dürfte ich Sie dann einmal zu mir nachhause einladen? Ich weiß noch, dass mein Großvater gern mit Ihnen sprechen wollte.“ Oikawa sah ihn verwundert an, dann lächelte er erneut. „Ich freue mich sehr darauf, dieses Angebot anzunehmen.“ Cody wandte sich an Arukenimon und Mummymon. „Ihr könnt gern auch mitkommen.“ „Ich verzichte“, meinte Arukenimon sofort, das wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, und verschränkte die Arme. „Das werden nur Gefühlsduseleien sein, die ihr da austauscht. Ohne mich.“ „A-Arukenimon!“, rief Mummymon. „Vielleicht sollten wir uns mehr mit solchen Gefühlsduseleien beschäftigen, um auch unsere Gefühle füreinander zu vertiefen …“ „Halt‘s Maul, du Blödmann“, fuhr die Spinnenfrau ihren Begleiter an. Cody und Oikawa lachten. Endlich, nach viel zu langer Zeit, lugte nun auch die Sonne zaghaft wieder über den Horizont, als wolle sie einen neuen Versuch wagen. Die DigiRitter waren die gefeierten Helden der Stunde, und nachdem sich Davis vergewissert hatte, dass es seinen Freunden und deren Digimon gut ging, machte er sich auf den Weg, um Ken zu suchen, damit auch dieser seine Lorbeeren abbekam.     Spadamon und Musyamon betrachteten die johlenden Digimon, die ihren Sieg auskosteten, aus der Ferne. Erstes graues Dämmerlicht tastete über die Reisfelder im Westen von Little Edo, wo sie beide auf einem der schmalen Wege standen. Eine Weile sah Musyamon noch auf die verbrannten Felder, auf denen nun Frohsinn und eine Zukunft gediehen. Dann wandte es sich mit einem Ruck um und ging weiter. Spadamon trippelte ihm hinterher. „Willst du mir noch länger folgen?“, fragte der Samurai. Unfassbar, dass er Daimyo und Fürst gewesen war. In seinem früheren Leben hätte er sich so etwas nie träumen lassen. Es war eine gewaltige Leistung, fand er. „Warum nicht?“ Spadamon ließ die Ohren hängen. „Ich werde wohl nicht mehr als Spion gebraucht.“ Musyamon schnaubte. Es klang wie ein Knurren. „Wenn du mich begleiten willst, erwartet dich ein hartes Leben. Diese Welt scheint keinen Bedarf mehr an Rittern oder Adligen zu haben.“ Und wenn sich andere Digimon daran erinnerten, was es alles getan hatte, war es vermutlich nirgendwo wirklich willkommen, wenn man es erkannte. Spadamon hatte nie lange schlechte Laune. „Das macht nichts. Solange es interessant ist und wir ab und zu etwas Süßes essen können. Man muss die Zuckerstücke im Leben herauspicken“, sagte es. „Weise Worte für einen solchen Zwerg“, kommentierte Musyamon. Sie gingen weiter. „Ich werde ihn allerdings vermissen“, meinte Spadamon plötzlich. „Der DigimonKaiser war eine beeindruckende Person“, murmelte das Kriegerdigimon. „Und er war weit weniger boshaft, als alle Welt glaubt. Lass uns sein Andenken in Ehren halten.“     Sie fanden Ken, als die ersten Strahlen der Sonne das Land berührten. Alle DigiRitter und ihre Digimon stießen auf dem Balkon der Pagode zu Davis, der sich über seinen besten Freund gebeugt hatte und ein lautes Heulen ausstieß. „Ich hätte es wissen müssen! Verdammt, ich hätte wissen müssen, was er vorhat!“ Dass Kens Schicksal ein zufälliger Racheakt eines wahnsinnigen Digimons war, glaubte niemand. Sein DigiVice lag neben ihm, genauso tot wie er selbst. Ein Spinnennetz aus hellen Rissen zierte das Display. An seinen DigiRitter gebunden, hatte es all seine Macht verloren, helle wie dunkle, als Kens Herz durchbohrt wurde. Jede Freude über ihren Sieg war wie weggewischt. Sie alle trauerten um ihren Freund, der alles gegeben hatte, um sie zu retten. Davis stieß eine Mischung aus schmerzerfülltem Knurren und Stöhnen aus, der Blick von Tränen verschleiert. Er weinte am lautesten. Tai fluchte unentwegt, drosch mit zusammengebissenen Zähnen gegen die Wand, bis seine Knöchel blutig waren. Matt stand verkrampft und betroffen da, Sora musste sich am Balkongeländer abstützen. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Yolei und Kari hielten sich gegenseitig im Arm. „Warum hast du das gemacht? Es hätte doch wohl eine andere Lösung gegeben! Wie konntest du so tun, als würde damit alles gut werden?“ T.K.s Schultern bebten, als er hilflos Kens letzte Entscheidung verwünschte. Er wusste selbst, dass es vermutlich eben doch keinen anderen Weg gegeben hatte. Trotzdem konnte und wollte er Kens Tod nicht akzeptieren. Nicht nach alledem! Cody machte Ken ähnliche Vorwürfe, konnte die Tränen aber nicht zurückhalten. Izzys Gesicht war gequält, auch seine Augen schimmerten feucht. Willis schien gefasst, doch er konnte den Blick nicht auf Ken und das schreckliche, dunkle Loch in seiner Brust richten. Mimi presste sich an Michael und schluchzte laut, und er schloss sie bedrückt in die Arme. Joe lief auf dem Balkon hin und her, versuchte, noch irgendetwas für Ken zu tun, und brach dann verzweifelt in die Knie. Ihre Digimonpartner weinten ebenfalls, trauerten auf ihre Weise oder versuchten sie zu trösten, obwohl sie wussten, dass es vergeblich war. Auch Laura, Tatum, Steve, Mina, Yuehon und die Hoi-Brüder, die internationalen DigiRitter, machten betroffene Gesichter oder weinten. Chichos, die die Jüngste von ihnen war und Ken von früher kannte, versuchte durch wütendes Geschrei, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Als Nadine Ken auf dem Balkon liegen sah, stieß sie einen Schrei aus und brach neben ihm zusammen. „Lügner!“, stieß sie weinend hervor. „Du verdammter Lügner!“ Oikawa stand daneben. Er schwieg, doch aus seinem Gesicht sprach derselbe Schmerz wie aus denen der anderen. Selbst Arukenimon und Mummymon störten die Trauer der DigiRitter nicht. Am allermeisten trauerte jedoch Wormmon. Es saß neben Kens Kopf, von Weinkrämpfen geschüttelt, und vergoss bittere Tränen. T.K. hatte nie jemanden gesehen, der so verzweifelt war. Von unten wehte immer noch das Lachen der Digimon zu ihnen herauf. Die ganze DigiWelt schien im Siegestaumel, und hier waren sie, die DigiRitter, die sie alle wieder einmal gerettet hatten und nun in einem Meer aus Trauer und Leid ertranken. T.K. glaubte nicht, dass irgendein Digimon dort unten um Ken trauern oder ihn auch nur als Helden feiern würde, selbst wenn sie ihre Erinnerungen zurück hatten. Zumindest niemand von seinen einstigen Feinden. Er sah wieder zu Ken, der ruhig dalag, von seinen Freunden umringt, und aus dessen Gesicht all die Anspannung, das Leid und die verzweifelte Verbitterung gewichen waren, die T.K. bei ihrer letzten Begegnung darin gesehen hatte. Du wirst vielleicht trotzdem immer als Feind angesehen werden, dachte er. Aber ich schätze, das hast du gewusst und bereitwillig hingenommen, oder, Ken? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)