The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 7: Ein neues Spiel -------------------------- ~ 7 ~ Der hölzerne Bugspriet stieß durch den Morgendunst, versuchte die Sonne aufzuspießen, die sich als gleißender Ball aus dem Meer erhob. Eine steife Brise ließ die Vieja Gloria gute Fahrt machen und kräuselte die Wasseroberfläche zu kleinen, schaukelnden Wellen, deren Kämme im Morgenlicht glitzerten. Die Seeluft war frisch und angenehm. Salzig und voll von Abenteuern füllte sie Narutos Lungen. Es war eine Wohltat nach der unruhigen Nacht in seiner Kajüte, unter knarrenden Dielen und mit einem Schaukeln, dessen Ursprung man nicht hatte erkennen können. Auch der schmierige Lampenschein unter Deck war nichts für ihn. Eine Reise auf einem Schiff sollte genau das sein – man sollte sich dabei nicht länger als nötig im Schiff aufhalten. Man konnte ewig die funkelnden Wellen betrachten, ohne ihres Anblicks müde zu werden. Stets neue Facetten, stets neues Licht, und irgendwann schwirrten einem die Sinne, als wäre man betrunken. Dazu das sanfte Schaukeln und die angenehme Trägheit. Es war berauschend. Bis sie Land sichteten, würde dieser Anblick auch der einzige sein, den er genießen konnte. Kapitän Kakashi hatte vorausgesagt, dass die Insel nicht vor Mittag in Sichtweite kommen würde. Naruto hatte also jede Menge Zeit – dennoch war er froh, nicht in die Mannschaft eingestiegen zu sein. Die Vieja Gloria war ein kleiner Schoner, der normalerweise Waren transportierte, doch für diese Reihe war sie als Passagierschiff zu chartern gewesen. Eine Fünf-Mann-Crew hätte für sie ausgereicht, wenn der Smutje noch kräftig mit anpackte. Ein heißblütiger Matrose, der Energie für drei aufbrachte, senkte die Zahl der notwendigen Besatzung auf drei Mann. Naruto beobachtete das Energiebündel, das es zu lieben schien, in der Takelage herumzuklettern wie ein grün gekleideter Affe. Rock Lee nannten ihn die anderen. Man sah ihm seine Kraft nicht an, aber er war ziemlich stark, und unglaublich ausdauernd. Obwohl der Maat auch nicht gerade unfähig war – ein wild aussehender Kerl namens Kiba, der auch als Pirat hätte durchgehen können–, wirkte er neben Lee wie ein Faulpelz. Nicht so faul jedoch wie der Kapitän. Der große, weißhaarige Mann war schon zu spät zum Auslaufen seines eigenen Schiffs gekommen. Seine Crew hatte die Passagiere bereits empfangen, und erst dann war er mit einer billigen Ausrede herangeschlendert. Natürlich war auch das Schiff später ausgelaufen als geplant. Aber Kapitän Kakashi war zuverlässig. Das Kap, das sie vor drei Tagen umsegelt hatten, hatte vor tückischen Riffen nur so gestrotzt, die See war aufgewühlt gewesen und die Sicht schlecht, und dennoch hatte er die Vieja Gloria sicher durch die Gefahrenzone manövriert. Nun hatten sie ihr Ziel fast erreicht, und Naruto war sich sicher, dass Kakashi und seine Mannschaft auch bei der Rückfahrt ganze Arbeit leisten würden. Er blinzelte gegen die aufgehende Sonne und war mit sich und der Welt zufrieden. „Ein schöner Morgen an Deck, nicht wahr?“ Sakura hatte sich zu ihm gesellt. Ihr Haar schien in der Morgensonne zu leuchten. Vermutlich war sie schon länger auf als Naruto – es war sicherlich anstrengend, sogar auf einer recht entspannenden Schiffsreise als Dienstmädchen zu arbeiten. Ihre Herrin betrat soeben hinter ihr das Achterdeck. Lady Ino sah man die Lady nur zu deutlich an. Sie trug ein cremefarbenes Kleid, natürlich mit Korsett, weiße Netzhandschuhe, und das lange, blonde Haar hatte sie – oder eher Sakura – zu einem kunstvollen Zopf geflochten. Die herrliche Morgensonne hielt sie mit einem weißen Schirmchen, das aussah wie aus Zucker gegossen, von ihrer Haut fern. Naruto wusste nicht, ob sie eitel oder hochnäsig war. Er hatte noch nie mit ihr gesprochen, aber er vermutete es. Sakura hatte ihm nur erzählt, dass sie Ino mochte und umgekehrt. Sie waren zusammen aufgewachsen und hatten sich als Kind oft gestritten, aber nun waren sie ein Herz und eine Seele. Vielleicht lag es auch am Standesunterschied, dachte Naruto. Sakura hatte sich für die Seefahrt besser ausstaffiert. Sie trug Abenteurerkleidung, ähnlich wie Naruto selbst; einen braunen Mantel mit großen, schlichten Knöpfen, bequeme Hosen und hochgeschlossene Stiefel. Die Haare trug sie offen. Naruto fand sie eigentlich sehr attraktiv und hoffte, sie würden nach diesem Abenteuer in Kontakt bleiben. „Sehr schön, ja“, antwortete er mit einiger Verspätung, als sie sich neben ihm gegen die Reling lehnte. Sein eigener Mantel – rot mit bestickten Flammen, was recht beeindruckend aussah, wie er fand – wehte im Wind, als dieser auffrischte. „Hat deine Herrin auch mal beschlossen, an Deck zu kommen?“ Seit die Reise begonnen hatte, war sie fast nur in ihrer Kabine gewesen. Naruto vermutete, dass sie einfach seekrank war. Ehe Sakura antworten konnte, rief Ino zu ihnen herüber: „Sakura, ich gehe wieder nach unten. Hier ist es mir zu zugig.“ „Würde kein Wind gehen, hätten wir ein Problem.“ Die belustigte Stimme gehörte Tenten, die hinter Ino ebenfalls aufs Achterdeck stieg und sich an der Lady vorbeidrängte. Naruto hatte viele Seemannsgeschichten gehört, vor allem in den Tavernen seines Heimathafens wurde sehr viel Garn gesponnen und dem Aberglauben gefrönt. Viele Seebären hatte er schwören hören, es brächte Unglück, wenn eine Frau an Bord eines Schiffes ginge. Auf der Vieja Gloria waren sogar drei, und bisher hatten sie eine sichere Reise gehabt. Gut, dass der Kapitän nichts auf derlei Geschwätz gab. Während Ino zurück zur Deckluke ging, gesellte sich Tenten zu ihm und Sakura. Sie sprachen alle drei aufgeregt über die Insel, die sie erwartete. Keiner konnte es mehr erwarten, nach all der Zeit auf dem Schiff endlich an Land zu gehen. Tenten konnte nicht wissen, was Naruto und Sakura wussten, aber sie hatte ihre eigenen Gründe, die Insel zu erforschen. Tenten war dorthin unterwegs mit Neji, und der war im Auftrag der Krone unterwegs. Es war wohl ein glücklicher Zufall, dass die Royals erst jetzt darauf gekommen waren, die Insel vermessen zu lassen. Außerdem sollte Neji Bodenproben und Pflanzenteile – und Kot, wie Kiba gern scherzte – aufsammeln und zurück ins biologische Institut nach Port Fronda bringen. Die Forscher, die sich wirklich damit auskannten, waren sicherlich ganz helle Köpfe, aber auf ein Schiff zu steigen bedeutete immer ein gewisses Maß an Gefahr, und sie wollten ihre hellen Köpfe schützen, so gut es ging. Das war Nejis Aufgabe auf dieser Reise – und Tenten sollte ihm dabei einfach zur Hand gehen. Eigentlich hatte sie mit dem Institut nichts zu tun – sie handelte, so ungewöhnlich es war, mit allerlei Waffen, von einfachen Messern bis hin zu schwerkalibrigen Gewehren. Aber Tenten und Neji kannten einander von früher, hatte Naruto sich sagen lassen. Wenn man es so betrachtete, war es ein kunterbunter Haufen, der an Bord der Vieja Gloria versammelt war. Er selbst, eine Waffenexpertin und ein Beauftragter der Krone, dann eine entflohene Braut und ihre Dienerin, ein etwas verschrobener Kapitän, zwei Matrosen – und dann noch die beiden rätselhaften und womöglich nicht ganz ungefährlichen Passagiere, die momentan noch unter Deck waren.   „Wo ist eigentlich Hinata?“, fragte Naruto, als alle Anwesenden Platz genommen hatten. „Sie lässt sich entschuldigen“, sagte Sphinx mit unergründlicher Miene. „Ihr ist nicht ganz wohl zumute. Wir werden diese Runde ohne sie spielen.“ Das kam Sakura seltsam vor. Vor ihrer Besprechung hatte Hinata noch ganz in Ordnung gewirkt – hatte sie etwa schon genug Punkte gesammelt, um aussteigen zu können? Nein, das war nicht möglich. „Was soll das heißen? Was ist mit ihr?“ Neji war aufgesprungen. „Wenn du Hinata irgendetwas zuleide getan hast …“ „Aber, aber“, wiegelte Sphinx im Plauderton ab. „Das hier ist eine Anstalt, um Menschen zu helfen, nicht um ihnen etwas zuleide zu tun, oder? Setz dich wieder, wir möchten anfangen.“ Neji starrte ihn noch eine Weile trotzig an – und Naruto wirkte, als würde er ihm gleich beispringen, aber schließlich glätteten sich die Wogen wieder. Sie hatten längst begriffen, wie das Spiel lief. Wer nicht tat, was Sphinx sagte, kam nie hier heraus. Blieb nur zu hoffen, dass Hinata nur ganz plötzlich übel geworden war. Sakura konnte sich eines unguten Gefühls trotzdem nicht erwehren, als Sphinx seelenruhig die Karten mischte.   „Meint ihr, wir begegnen Piraten?“, riss Tenten Naruto aus seinen Gedanken. „Niemals – warum sollten die zu so einer einsamen Insel unterwegs sein?“, fragte Sakura. „Naja, wer weiß schon, was in deren Totenköpfen so alles vorgeht?“ Tenten sah aufs Meer hinaus. Hinter ihnen lag nichts als Wasser und der Horizont, ein wenig geschmückt vom Kielwasser der Vieja Gloria. „Ich habe viele Geschichten gehört über das Pack, das sich heutzutage auf hoher See tummelt. Und Piraten gehen nicht immer logisch vor, wisst ihr? Die tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt.“ „Das ist doch alles Seemannsgarn.“ Naruto hatte Neji gar nicht kommen hören. Der königliche Botschafter trug Mantel und Hut in Grau und Weiß und war ein Ausbund an Vernunft. Das lange Haar hatte er im Nacken zu einem Zopf gebunden. Narutos Ansicht nach wäre er der Typ für eine dieser weißen Allongeperücken gewesen, aber sein echtes Haupthaar war wohl doch eindrucksvoller. „In jeder Geschichte steckt immer ein Funken Wahrheit“, belehrte ihn Tenten. „Habt ihr von den Wolfspiraten gehört? Niemand weiß, wer sie sind und wo sie herumlungern. Sie segeln ohne Flagge, manche sagen sogar, sie hätten gar kein eigenes Schiff. Trotzdem sollen sie in letzter Zeit einige Plünderungen durchgeführt haben, und bei den meisten gab es Mord- und Totschlag.“ „Ammenmärchen“, sagte Neji sofort. „Wie soll man ohne ein Schiff andere Schiffe plündern?“ „Und dann“, Tenten senkte die Stimme, „gibt es noch die Legende, dass die Insel, zu der wir wollen, verflucht ist. Niemand, der sie bisher erforscht hat, ist je zurückgekehrt.“ „Hört schon auf. Das sind doch alles Geschichten“, sagte Neji ein wenig zu heftig. Naruto musterte ihn genau, um eine mögliche Gänsehaut zu erkennen. „Kann es sein, dass du Angst hast?“ „Unsinn.“ Auch diese Antwort kam recht impulsiv. Naruto zuckte die Achseln und sah wieder über die Reling. Eine Weile segelten sie ruhig dahin. Als hätte ihr Gespräch Unheil heraufbeschworen, erscholl kurz vor Mittag Rock Lees aufgeregter Ruf aus dem Ausguck. „Segel am Horizont, backbord voraus!“ Sofort wandten sich alle an Deck Anwesenden in die entsprechende Richtung. Ein anderes Schiff, hier, in diesen Gewässern? Das gefiel Naruto nicht. Er hoffte, dass ihm niemand seinen Schatz wegschnappte. Das andere Schiff war nur unwesentlich größer als ihr eigenes, ein schnittiger Schnellsegler. Kakashi steuerte die Vieja Gloria ruhig weiter und überließ es dem Matrosen, ihn mit Informationen zu versorgen. „Sie haben uns auch gesehen! Kapitän, sie steuern auf uns zu!“ Der Wind hatte mittlerweile gedreht, und Kakashi ließ die Vieja Gloria kreuzen. Das andere Schiff schnitt ihnen mühelos den Weg ab. Lees nächster Ruf war um einen Hauch schriller. „Kapitän! Sie haben eine Piratenflagge gehisst, eine Piratenflagge!“ Die Worte schlugen wie eine Kanonenkugel an Deck der Vieja Gloria ein. „Setzt alle Segel. Wir versuchen, ihnen mit Vollzeug zu entkommen“, befahl Kakashi und setzte neuen Kurs Richtung Steuerbord, um den Piraten zu entfliehen. Kiba fluchte und eilte noch schneller als zuvor auf bloßen Füßen umher, als Kakashi ihn in die Wanten scheuchte. „Sind es … die Wolfspiraten?“, fragte Neji. Er schien etwas blass um die Nase, aber vielleicht täuschte Naruto sich auch, schließlich hatte der Forscher einen fast schon adligen Teint. „Nein – die segeln doch ohne Flagge“, erinnerte ihn Tenten. „Ist doch egal, wer es ist“, murmelte Naruto. Die Aussicht, auf Piraten zu treffen, war niemals angenehm, aber gerade jetzt, wo er seinem Ziel so nahe war … „Ich gehe Ino Bescheid sagen“, sagte Sakura leise und eilte die Treppe vom Achterdeck hinunter. „Kapitän!“ Obwohl Lee in der Takelage herumturnte und die Vieja Gloria wieder mehr Fahrt machte, schien er das Piratenschiff im Auge zu behalten. „Ich kann die Galionsfigur sehen! Es ist eine große, hässliche Schlange!“ „Wenn du Zeit zum Rufen hast, bring unsere Passagiere unter Deck“, gab Kakashi zurück. Er blieb immer noch ruhig, und man konnte bei ihm auch nie erraten, was er gerade dachte. Der Kragen seines Kapitänsmantels ragte ihm bis über die Nasenspitze, und das linke Auge verbarg er hinter einer Augenklappe. Naruto wusste schon jetzt, dass er lieber an Deck bleiben wollte. Seeschlachten stellte er sich schlimmer vor, wenn man sie in engen Räumen durchstehen musste. Auch Tenten und Neji blieben auf dem Achterdeck stehen. Tenten hatte bereits eine Pistole unter ihrem Ärmel hervorgezogen. Ihr Kollege hatte die Finger um die Reling geschlossen. Entweder war er einfach starr vor Angst, oder er war in Wahrheit mutiger, als Naruto seiner Erscheinung zutraute. Das Piratenschiff kam so nahe, dass er die freudig johlende Mannschaft als verwaschene Flecken erkennen konnte, aber der Schnellsegler musste seinen Kurs anpassen. Hart am Wind trieb Kakashi die Vieja Gloria nach Norden. Als er das Schiff mit seinen dunklen Balken und den geblähten, beigefarbenen Segeln auf den Wellen schaukeln sah, die große Schlange mit dem blutdurstig geöffneten Maul wie ein Speer auf sie gerichtet, begannen Narutos Hände zu zittern. Ein Knallen wehte zu ihm herüber, leise zwar, aber Naruto zuckte zusammen. Im Ausguck des Schnellseglers stand einer der Piraten und schoss mit seiner Pistole in die Luft. Über ihm knatterte der bleiche Schädel vor schwarzem Grund, ein Zeichen von Gier und Tod. „Wir machen gute Fahrt“, berichtete Kiba dem Kapitän. „Wenn wir hart am Wind bleiben, hängen wir sie vielleicht ab.“ „Sorg dafür, dass sich alle an Bord bewaffnen“, befahl Kakashi. „Die Lady soll sich in ihrer Kajüte einsperren.“ „Aye.“ Kiba trieb von irgendwo her geladene Pistolen auf und drückte sie Naruto und Neji in die Hand. Tenten wartete bereits grimmig mit zwei Waffen aus ihrem eigenen Sortiment darauf, dass sie geentert wurden. Naruto hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. Er schob seine Pistole in seinen Gürtel und betete. Er würde sie benutzen, um seinen Traum zu verteidigen, das wusste er, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließ. Die zähe Ungewissheit war das Schlimmste. Eine ganze Weile kamen sich die Schiffe nicht näher; die Piraten hatten bei ihrem Wendemanöver einiges an Geschwindigkeit eingebüßt. Der Wind drehte erneut und Kakashi nahm wieder Kurs auf ihr eigentliches Ziel. Nur wenig später schälten sich die Umrisse der Insel aus dem Dunst am Horizont, grün und braun und recht flach. „Will er sich etwa an Land fliehen?“, fragte Sakura stirnrunzelnd, die plötzlich wieder an Deck aufgetaucht war. Naruto sah sich um, ob auch die anderen beiden Passagiere heraufgekommen waren, konnte sie jedoch nicht entdecken. Entweder versteckten sie sich feige unter Deck, oder es interessierte sie einfach nicht, wie die Jagd verlief, solange sie ihren Ausgang mitbekamen. Vermutlich Letzteres; die beiden hatten auf Naruto nicht den Eindruck gemacht, als wären sie Feiglinge. „Das Wetter wird schlechter“, bemerkte Neji und kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. Innerhalb der letzten halben Stunde waren aus den wenigen Schäfchenwolken große Wolkenberge geworden, und der Wind hatte auch aufgefrischt. „Der Fluch der Insel“, murmelte Tenten. Es sah tatsächlich so aus, als hätte sie recht: Über ihrem Reiseziel kroch eine schwarze, zusammengeballte Unwetterwand hervor. Wieder drehte der Wind, blies ihnen von Westen die Gewitterwolken entgegen, doch diesmal machte Kakashi keine Anstalten, den Kurs anzupassen. „Was hat er vor?“, fragte eine Stimme. Ino war zu ihnen gestoßen, die Stirn sorgenvoll krausgezogen. „Ino! Du solltest doch unter Deck bleiben!“, sagte Sakura vorwurfsvoll. „Ein so ängstliches Häschen, wie du tust, bin ich auch wieder nicht“, erwiderte ihre Herrin. „Seht mal! Sie bleiben zurück!“ Tenten deutete auf das Piratenschiff. Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich wieder. „Ihr Schiff ist so gebaut, dass sie starken Wind gut ausnutzen können“, rief Kakashi ihnen zu. Hätte die steife Brise die Worte nicht in ihre Richtung geweht, hätten sie ihn gar nicht gehört. „Gegen den Wind sind wir schneller. Das wollte ich ausprobieren.“ Die Wellen wurden höher und schienen sich allmählich schwarz zu verfärben. Gischt sprühte, als die Vieja Gloria durch die Wogen brach. Donner erklang in der Ferne. Je näher sie der Insel kamen, desto näher kamen sie auch der brodelnden Schwärze. „Aber – hinter uns sind die Piraten, und vor uns ist ein Unwetter!“, rief Naruto. „Richtig. Und ich habe meine Wahl getroffen. Sobald das Wetter schlimmer wird, geht unter Deck.“ „Dabei hat es heute Morgen gar nicht so ausgesehen, als würde von irgendwoher ein Unwetter aufziehen“, murmelte Sakura, als sie die ersten Regentropfen spürten. Die Piraten blieben ihnen stur auf den Fersen, selbst als sie in das Unwetter segelten und das Auf und Ab der Wellen sogar Naruto Übelkeit bescherte. Blitze zerrissen das Firmament, und der Regen wurde so stark, als ergieße sich ein Wasserfall über sie. Die Balken und Planken der Vieja Gloria ächzten und knarzten laut, schienen nach Hilfe zu rufen. Direkt vor der Luke stand Naruto und betrachtete den infernalischen Wellengang – und das Piratenschiff. Es wurde viel mehr durchgeschüttelt als sie selbst, und er wünschte sich, es würde einfach sinken. „Wunderschön“, sagte eine Stimme neben ihm. „Was?“, brüllte Naruto gegen das Heulen des Sturms an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das, was er zu hören geglaubt hatte, dasselbe war, das die Person gesagt hatte. Neben ihm stand der merkwürdige Passagier mit dem langen blonden Zopf. Er trug einen Mantel mit Hut und starrte mit offenem Mund auf die brodelnde Masse, die der Himmel über ihnen bildete, mit Blitzen, die wie Lichtschlangen die Wolken pulsieren ließen. „Ein wunderschönes Gemälde, dieses Unwetter.“ „Spinnst du?“ Naruto stand jetzt nicht der Sinn nach Scherzen. „Das Unwetter wird uns noch versenken, was ist daran schön?“ Der Fremde starrte ihn abfällig an. „Die schönsten Kunstwerke sind nun mal die, die alles in einem großen Knall mit sich reißen können, hm.“ „Kapitän!“, brüllte Kiba vom Bug. Regentropfen spritzten von seinem Hut. Die Mannschaft hatte sich ihre schwarzen Regenmäntel angezogen und huschte scheinbar ohne Sinn und Verstand auf dem Deck umher. Naruto hingegen war bereits bis auf die Haut durchnässt. „Es ist weniger als eine Seemeile bis zur Insel! Wir müssen beidrehen, sonst laufen wir auf!“ Naruto wusste, was er meinte. Es war nie geplant gewesen, in einem Unwetter auf der Insel anzulegen. Viele scharfe Felsen ragten um sie herum aus dem Meer, Riffe gierten nach Schiffsrümpfen. Die Insel forderte Tribut von jedem, der unwillkommen an Land gehen wollte, und der Sturm war keine freundliche Willkommensgeste. Dennoch wartete Kakashi bis zur allerletzten Minute. Jeden Moment würden sie in eine Untiefe geraten, Naruto glaubte schon das Biegen und Brechen von Holz zu hören, wenn sie auf Grund liefen. Doch der Kapitän hatte das Kap vor drei Tagen bezwungen, und er bezwang auch die tückische Küste einer verfluchten Insel. Naruto glaubte die Gischt an den Felsen schäumen zu sehen, an denen sie haarscharf vorbeisegelten, als Kakashi die Vieja Gloria quer zum Wind ausrichtete, bereit, die Insel zu umrunden und nach einer freundlicheren Stelle zum Anlegen zu suchen. Mit fast traumwandlerischer Sicherheit und immer noch äußerlich ruhig steuerte der Kapitän das Schiff inmitten von mannshohen Brechern aus schwarzem Wasser, gleißenden Blitzen, die nach dem Mast zu schnappen schienen, und den malmenden Kiefern von Riffen und Felsen, und ihnen allen entkam er, als könnten seine Augen die kleinste Gefahr genauestens abschätzen. Wem er nicht entkam, waren die Kanonen des Piratenschiffs. Naruto hatte gar nicht an diese Möglichkeit gedacht. Die Piraten schnellten auf pfeilgeradem Kurs hinter ihnen her, bei all dem Auf und Ab vor dem dunklen Himmel kaum mehr als ein schwarzer Schemen. Auch als die Vieja Gloria nach steuerbord schwenkte und der Schnellsegler naturgemäß aufholte, wähnten sie sich in Sicherheit. Die Piraten konnten ihnen unmöglich eine Breitseite verpassen, solange sie sie verfolgten. Als das erste Knallen ertönte, hielt Naruto es deshalb einfach für Donnergrollen, und er zollte auch der aufsprühenden Wasserfontäne direkt neben dem Schiff keinen Gedanken. Erst als der zweite Schuss den Mast direkt über ihm zerfetzte und Holzspäne auf ihn und den verschrobenen Passagier herabregneten, wurden er und die anderen darauf aufmerksam. Die riesige Galionsfigur des Piratenschiffs hatte das Schlangenmaul geöffnet, und in von Blitzen erhellten Momenten sah Naruto das glänzende Rohr einer Kanone, das daraus hervorragte. „Sie schießen auf uns!“, rief er überflüssigerweise. Der Hauptmast knarrte bereits unheilvoll und neigte sich seitwärts. Die Taue spannten sich. Der nächste Schuss erwischte das Heck der Vieja Gloria. Der Ruck warf Naruto von den Füßen. „Kapitän, was sollen wir tun?“, schrie Kiba heiser, doch Kakashi schien zu sehr mit seinem wagemutigen Kurs beschäftigt. „Eine schießende Schlange?“, sagte jemand hinter Naruto, der für einen Moment den Halt auf dem gischtüberspülten Deck verloren hatte. Als er sich aufrichtete, war auch der andere verhaltene Passagier durch die Luke gekommen. Sasuke war sein Name, wenn er sich nicht täuschte. Falls er beunruhigt war, zeigte er es nicht. „Kein Zweifel. Das sind der Knochenmann und seine Mannschaft.“ „Sind nicht alle Piraten so etwas wie Knochenmänner?“ Naruto wischte sich das Blut von der Stirn. Er hatte sich beim Sturz auf die Planken die Haut aufgeschürft. Hoffentlich war den anderen unter Deck nichts geschehen. „Das könnte man meinen“, lautete die Antwort. „Vorsicht!“, schrie Lee in dem Moment. Etwas schnalzte, und mit einem Krachen landete der Mast auf der Reling, in der Mitte durchgebrochen. „Schafft ihn von Bord!“, rief Kiba und lief mit einem Messer über das Deck. Die Taue hatten sich mit den anderen Segeln verstrickt, und die Vieja Gloria bekam gefährliche Schlagseite. Naruto versuchte mitzuhelfen, hatte aber keine Ahnung, wo er anpacken sollte. Der Abstand zu den Piraten vergrößerte sich wieder. Waren sie auf Grund gelaufen, gefangen zwischen den schroffen Zähnen der Insel, mitten im Schlund des Unwetters? Naruto hatte keine Zeit, sich darüber zu freuen. Er sah Kakashi wie wild am Steuerrad drehen, dann hörte er das Knirschen und Schaben, als ein Felsen an ihrem Rumpf vorbeischrammte, und er meinte, die tödlichen Stacheln, die die Insel ausgefahren hatte, um ihren Schatz zu hüten, in den stöhnenden Schiffsleib eindringen zu spüren. Bis in den späten Nachmittag, der mit schwarzen Wolken und schwarzem Wasser wie tiefste Nacht wirkte, blieb ihm nichts außer zu bangen und zu beten.   Sphinx streckte den Kartenstapel einladend von sich. „Ich hoffe, ihr seid bereit. Für die Neuankömmlinge werde ich noch einmal schnell die Regeln erklären und euch ein kleines Handout geben. Niemand sollte während des Spiels nachfragen, was die Fähigkeit eines bestimmten Charakters ist. Das könnte schon zu viel verraten.“ „Dann frage ich jetzt“, murmelte Naruto und deutete auf die Neuen in der Runde. „Wie zum Teufel kommt ihr hier her? Buschige Augenbraue verstehe ich noch, er gehört ja mehr oder weniger auch zu uns, aber Sie, Kakashi? Und … ihr?“ „Nur damit du es weißt, wir haben nicht darum gebeten, hier zu sein“, sagte Sakon kühl. „Irgendein elender Wichser hat uns reingelegt“, zischte Tayuya und meinte eindeutig den säuerlich lächelnden Sphinx damit. „Ich zerreiß ihn in der Luft, wenn ich auch nur den Hauch einer Gelegenheit bekomme.“ „Da musst du dich hinten anstellen“, sagte Kiba trocken. „Es sind wohl etwas … komplizierte Umstände, die uns hier zusammenführen“, murmelte Kakashi und kratzte sich am Kopf. Die Aufseher hatten ihm seinen Mundschutz gelassen, wie es aussah. „Ich vermute, ihr anderen seid auch dank einiger haltloser Anschuldigungen hier?“ Sie nickten unisono. Deidara schnaubte. „Kunstraub! Als ob ich an diesen verstaubten Metallkästen in so einem Uralt-Museum interessiert wäre.“ „Für Wiedersehensfreude ist später Zeit“, sagte Sphinx gelangweilt. „Einige von euch sind ganz einfach hier, weil sie zu schlau waren, als dass ich sie hätte in Ruhe lassen können. Der Rest ist Kanonenfutter“, erklärte er lächelnd. „Wo gehobelt wird, fallen Späne. Keine schöne Schnitzerei ohne ein wenig Ausschuss.“ Nach und nach begriffen nun auch die Neuankömmlinge, was hier gespielt wurde. Dass zumindest ein Mitarbeiter dieser Anstalt sehr genau wusste, dass sie hier in Wahrheit nichts verloren hatten. „Du warst das also, ja?“, knurrte Tayuya. „Bring uns hier sofort wieder raus, oder ich mach Hackfleisch aus dir.“ „Was hast du denn, Tayuya? Du benimmst dich doch eh, als wärst du schon lange für die Klapse fällig“, grinste Kidoumaru, der das alles nicht so ernst zu nehmen schien. „Halt dein verfluchtes Maul!“ Sphinx räusperte sich. „Können wir dann? Ich weiß von einem von euch, dass er Spielen nicht ganz abgeneigt ist. Würdest du die Meute für mich mäßigen?“ Aller Augen richteten sich auf Kidoumaru – zumindest jener, die von seinem Hang zum Spielerischen wussten. Er hob entwaffnend beide Arme. „Hey, ich schwöre, ich hab mit dem Typen nichts zu tun. Aber vielleicht bringen wir die Sache hinter uns, und nachher überlegen wir uns, wie wir ihn am besten in seine Einzelteile zerlegen, ja?“ Sakura ahnte, dass hinter seiner Vernunft vor allem Neugier auf die Karten steckte, die Sphinx in der Hand hielt. „Also schön“, sagte ihr Spielleiter, als etwas Ruhe eingekehrt war. Sakura nahm sich vor, Kakashi und Lee und vielleicht auch die anderen genau zu befragen, welche Umstände sie hergeführt hatten. „Die Grundregeln sind einfach. Es gibt Dorfbewohner, und unter ihnen gibt es noch Werwölfe. Nachts wählen die Werwölfe ein Opfer, das sie töten. Tagsüber versuchen die Dorfbewohner, die Wölfe zu finden und zu lynchen. In der Regel gibt es somit einen Toten pro Tag und einen pro Nacht. Jeder darf mitstimmen, wenn es ums Lynchen geht. Dann gibt es noch Dorfbewohner mit speziellen Fähigkeiten. Je mehr Mitspieler, desto interessanter ist das Spiel. Darum habe ich auch so viele von euren Bekannten … rekrutiert.“ Sphinx lächelte sein rätselhaftes Lächeln. „Das erste Spiel war nur zum Aufwärmen. Ein lauwarmer Happen, sozusagen. Die Hexe und die Seherin waren die einzigen Spezialkarten. Dieses hier wird anders sein. Wir werden mit nur zwei gewöhnlichen Dorfbewohnern spielen. Die anderen Karten im Spiel sind diese hier.“ Er blätterte den Stapel durch, obwohl er ihn schon gemischt hatte. Vermutlich war es ihm vor lauter Vorfreude nicht gelungen, die Finger stillzuhalten. „Ein Werwolf. Das Wolfsjunge. Die Zaubermeisterin. Die Lykanthropin, der Günstling, der Alte Mann. Der Verfluchte, der Leibwächter, die Hexe, der Jäger, die Unruhestifterin. Die Seherin und der Seher-Lehrling. Letzteren berühre ich an der Schulter, wenn es an der Zeit ist, das Amt der Seherin zu übernehmen. Und wir werden ein Liebespaar und einen Bürgermeister haben. Jede Menge unvorhergesehener Ereignisse werden passieren. Ich freue mich schon auf eure Theorien.“ Es wirkte ehrlich gemeint. Sphinx teilte die Karten aus und gab jedem von ihnen eine weiße, bedruckte Extra-Karte. Darauf standen die Fähigkeiten jeder Karte, die im Spiel war. Sakura drehte ihre Charakterkarte um musterte sie. Es sah so aus, als würde sie diesmal für die Werwölfe spielen. „Nun denn, meine Lieben.“ Sphinx klatschte in die Hände und lächelte strahlend – aber sein Lächeln hatte nun eindeutig etwas Herausforderndes, Leidenschaftliches. „Die erste Nacht bricht herein. Vergesst nie, ihr spielt in erster Linie gegen die jeweils andere Fraktion, in zweiter jeder gegen alle anderen, aber in Wahrheit spielt ihr alle gegen mich.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)