The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 12: Schuld und Unschuld ------------------------------- ~ 12 ~   Das Lagerfeuer war schon von weitem zu sehen. Sie hatten seine Schein nach nur einer halben Stunde Fußmarsch entdeckt. Auf dem weichen Sandstrand, wo er die Umgebung gut beobachten konnte, lagerte einer der Piratencrew. Naruto wurde ganz mulmig zumute. Das Messer wäre ein schwacher Trost gewesen, doch das hatten sie Kiba gegeben, der alleine hatte zurückbleiben müssen. Sasuke hatte vorgeschlagen, sich durch das Dickicht zu schlagen und sich von der Innenseite der Insel her zu nähern. Hinter den letzten Palmen hielten er und Naruto an, drückten sich gegen die Stämme und spähten auf den Strand. Der Wind kam vom Meer und wehte Stimmen zu ihnen herüber. Es waren mindestens zwei Gestalten, die dort auf Treibholz saßen und sich unterhielten. Naruto wurde ein seltsames, dunkles Gefühl nicht los, dass dort irgendwas im Gange war. Hatten die Piraten nicht beschlossen, einander nicht mehr zu trauen? Hatte Jiroubou recht gehabt und das da waren Sakon und Tayuya, die etwas ausheckten? Obwohl er wusste, dass es gefährlich war, duckte sich Naruto und robbte sich bäuchlings über den Sand. „Was machst du da, Idiot?“, zischte Sasuke, doch er hörte nicht auf ihn. Er musste herausfinden, wovon sie sprachen. Neji hätte es sicher auch so gemacht. Naruto betrachtete den Admiral als Freund. Er würde kein schlechtes Licht auf ihn fallen lassen und beweisen, dass er recht gehabt hatte! Er war sicher gut im hellen Sand zu erkennen, aber mit etwas Glück verhinderte das flackernde Feuer, dass die Piraten allzu gut sahen. Mit angehaltenem Atem zog er sich hinter eine Düne und spähte über deren Kamm. Er konnte die beiden nun verstehen – und auch erkennen. Er hatte sich geirrt. Nicht Sakon und Tayuya saßen da, sondern Kidoumaru und Jiroubou. Beide spielten mit ihren Waffen, dass es geradezu nach Misstrauen stank. Über ihnen funkelten Sterne, und sie sahen aus wie zwei einsame Gestrandete. Als wären sie harmlose Opfer der Gezeiten und nicht die Schrecken der Meere. Sachte rauschten die Wellen. Eben schüttelte Kidoumaru den Kopf. „Du musst echt einen Sonnenstich haben. Das Gerede über die Wolfspiraten ist doch Seemannsgarn.“ „Seemannsgarn, das so dick ist wie ein Seil.“ „So dick wie du, meinst du?“, spottete Kidoumaru und lachte leise in der Nacht. „Nein, mal im Ernst. Dass Tayuya und Sakon Wölfe sein können, ist doch nur ein Verdacht, oder?“ „Neji war sich sicher.“ „Neji? Der Kerl, den wir erschossen haben? Ich glaube keinen Leichen.“ Kidoumaru stand auf und putzte sich den Sand von den Klamotten. „Ich finde das alles hier nur lächerlich. Die Gefangenen haben euch einen Floh ins Ohr gesetzt, damit wir uns gegenseitig bekriegen. Dieser verdammte Sasuke ist ihr Rädelsführer. Wenn du jemanden verdächtigen willst, dann ihn. Aber ich halt‘ mich da raus. Gute Nacht.“ Naruto zuckte zusammen, als Kidoumaru sich zum Gehen wandte, aber er folgte dem Strand und kam nicht mal in die Nähe seiner Düne – allerdings ließ er den Blick einmal in seine Richtung schweifen. Naruto blieb fast das Herz stehen. Für einen Moment war er fest davon überzeugt, dass der Pirat ihn entdeckt hatte. Dann aber wandte sich Kidoumaru plötzlich wieder an Jiroubou. „Sag mal … stimmt es, dass die beiden allein mit Kimimaro waren, kurz bevor er gestorben ist?“ Der dicke Pirat nickte. „So, so. Hm.“ Kidoumaru schien zu überlegen. „Weiß du, ich habe genug von diesen ewigen Verdächtigungen, und Sakon hat damit angefangen. Wegen ihm sitzen wir hier in dieser lächerlichen Lage und können uns nicht mal aufs Schiff wagen. Wenn wir auf der Rückreise sind, was hältst du davon, wenn wir uns auch zusammentun?“ „Du willst meutern?“ Kidoumaru lachte. „Allein, was du mir eben alles erzählt hast, ist schon halb Meuterei.“ „Ich habe noch keine Beweise, dass Sakon und Tayuya wirklich Wölfe sind.“ „Dann sieh zu, dass du an welche rankommst. Ich mag dich, mein Dicker. Mehr jedenfalls als die anderen zwei. Lass uns zusammenhalten, wenn’s hart auf hart kommt, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Kidoumaru weiter. Ihm zu folgen wäre sehr riskant gewesen. Vielleicht tat das Sasuke ja. Naruto würde hier warten und den Mann beobachten, der es von allen Piraten angeblich am mildesten mit ihnen meinte. Obwohl ihn der Sand juckte und ihm Kälte in die Glieder kroch, harrte er aus. Jiroubou starrte noch eine ganze Weile in die Flammen. Dann löschte er das Feuer mit Sand aus und wickelte sich in eine Decke ein, dass er aussah wie eine weitere Düne. Er schien zu schlafen. Naruto zwang sich, die Augen offenzuhalten, aber es sah nicht aus, als hätte der Pirat in dieser Nacht noch ein krummes Ding vor. Als sich erste Spuren von Morgenrosa zeigten, schlich Naruto zu Sasuke zurück, der immer noch bei den Bäumen wartete und sichtlich wütend aussah. „Was sollte das? Willst du dich auf einem Silberteller präsentieren?“, fragte er. „Nein. Ich wollte was Nützliches erfahren, nicht nur in der Gegend rumstehen wie du.“ „Und?“ Naruto grinste vielsagend.   Sphinx hielt schweigend eine Dorfbewohner-Karte in die Höhe. Naruto nickte, und Sphinx ließ ihn wieder schlafen und die anderen Spieler drankommen. Jiroubou war also unschuldig. Sphinx würde der Seherin nicht offenbaren, ob er ein spezieller Dorfbewohner war wie die Hexe oder der Jäger, nur, ob es sich um einen Werwolf handelte. Aber das reichte. Naruto beschloss, es wie Neji zu machen und seine Karten offen auf den Tisch zu legen. Dann würde ihm Jiroubou auch beistehen. Hoffentlich.   „Wieder wird es Tag, der dritte in diesem Spiel. Ein neues Opfer wird gefunden. Wir kommen voran.“ - Schiffbruch, dritter Tag - Naruto und Sasuke waren die Letzten, die beim Schiff ankamen, aber da die Sonne kurz vor dem Aufgehen war, wunderte ihn das nicht. Eigentlich hatte er auch kaum noch Energie, um sich über irgendwas zu wundern – auf dem Weg zurück hatte er unablässig gegähnt, und wenn er gekonnt hätte, wäre er im Gehen eingeschlafen. Als er sich endlich den letzten beschwerlichen Meter über den Mast hochgearbeitet hatte, begriff er zunächst gar nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Zuerst dachte er, alle hätten sich um Nejis Leiche versammelt, die ihn in seiner jetzigen Verfassung auch nicht mehr abschreckte. Dann erkannte er seinen Irrtum. Es war nicht länger Neji, der dort vor dem Fockmast lag.   „Und das Opfer dieser Nacht ist Kiba. Der Bürgermeister führt die Abstimmung.“ „Na toll“, murmelte der Betreffende. „Vielen Dank auch.“ Er stand auf und ging.   „Kiba?“, murmelte Naruto. Träumte er jetzt schon? War das Kiba? „Was ist hier los?“, fragte Sasuke und drängte sich in die Reihe der Schaulustigen. „Gute Frage“, sagte Deidara. „Ich würde sagen, dein Plan ging nach hinten los.“ Nach und nach sickerten die Bilder in Narutos Bewusstsein. Kiba lag mit durchgeschnittener Kehle vor dem Mast. Von Neji war nichts mehr zu sehen. Eine Blutspur führte von der Reling bis zu der Lache, die sich unter ihm ausgebreitet hatte. Soweit Naruto das erkennen konnte, war sie nicht allzu frisch. Sasuke musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und schwieg eine Weile. „Und er ist wirklich tot?“ „Sieht er für dich etwa lebendig aus?“, rief Tenten. „Wir hätten uns gleich denken können, dass die Wölfe es auf denjenigen abgesehen haben, der allein zurückbleibt!“ „Stimmt“, sagte Sasuke nur. „Wer hat ihn gefunden?“ „Diese beiden hier“, murmelte Sakura und deutete auf Tenten und Deidara. Letzterer zuckte mit den Schultern. „Wir waren einfach die Ersten, die zurückgekommen sind. Da lag er schon so da. Das Messer ist übrigens verschwunden.“ „Sag jetzt bloß, du gibst uns auch die Schuld daran?“, fragte Tenten erregt, als Sasuke wieder schwieg. Offenbar hatten Sakura und Lee sich schon ihre Gedanken gemacht. Naruto hatte die Nase voll von weiteren Schuldzuweisungen. Er fühlte sich müde und elend. Er hatte gedacht, er würde den anderen nützliche Informationen bringen. Dass wieder jemand sterben würde … Er hätte es ahnen müssen. Schließlich war diese Insel verflucht. Fing er nun auch schon an, diesen Unsinn zu glauben? „Keiner hat euch beschuldigt“, wiegelte Sakura ab. „Wir haben nur gesagt, dass ihr eine Gelegenheit gehabt hättet. Das hätten wir aber alle.“ „Von mir aus. Können wir dann vielleicht endlich unter Deck gehen? Ich hab’s satt, überall nur Blut und Leichen zu sehen!“, stieß Tenten hervor und raufte sich die Haare. Sie schien mit den Nerven am Ende, was nach der durchwachten Nacht kein Wunder war. Sasuke begutachtete noch das Deck, als Naruto bereits nach unten taumelte. Im Mannschaftsraum, in dem nun wesentlich mehr Platz war als das letzte Mal, hockten sie sich auf die Hängematten oder einfach nur auf den Boden. „Es hat also niemand von euch den Mörder gesehen?“, fragte Sasuke rhetorisch. Vier Köpfe, die geschüttelt wurden. „Und Deidara und Tenten haben Kiba gefunden. Wann?“ „Vor drei Stunden. Höchstens“, sagte der angebliche Kunstliebhaber. „Wir haben ihn so gelassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Am Ende hätte jemand von euch gesehen, dass wir ihn zudecken wollen oder so. Dann hättet ihr uns auch beschuldigt, oder?“ „Das tun sie doch sowieso“, stöhnte Tenten. „Kommt schon, verpfeift uns an die Piraten, damit wir das lustige Spiel mit den Pistolenkugeln heute auch wieder spielen können.“ „Ich beschuldige euch nicht“, sagte Sasuke so ruhig, dass die Waffenhändlerin ihn fragend ansah. „Das war ein typischer Wolfspiraten-Mord, und ich glaube nicht, dass die Wolfspiraten so dumm sind, jemanden umzubringen und dann bei seiner Leiche zu warten.“ Tenten atmete auf. „Da ist was dran“, sagte Deidara. „Warum seid ihr überhaupt bei ihm geblieben? Ihr hättet auch wieder gehen und jemand anderes die Leiche finden lassen können“, fragte Sakura. Naruto fiel auf, dass es ihnen allen schon wesentlich leichter fiel, sachlich über die Toten zu reden. Vermutlich war die Müdigkeit nicht ganz unschuldig daran. „Der Gedanke ist uns eben nicht gekommen, hm. Hättest du es denn so gemacht?“, fragte Deidara lauernd. Sakura verzog das Gesicht. „Ich hätte euch bestimmt nicht über so etwas angelogen. Außerdem hätte mich auch jemand sehen können, wie ich das Schiff wieder verlasse.“ Sie sah Sasuke abschätzend an. „Kann es nicht auch sein, dass die Wolfspiraten ahnen, dass du diesen Schluss ziehen würdest, und dass sie deswegen absichtlich bei der Leiche bleiben würden?“ „Das kann natürlich auch sein“, sagte Sasuke und fiel dabei Tenten ins Wort, die auffahren wollte. „Vor allem, wenn sie mich schon ein bisschen kennen. Wovon ich ausgehe.“ „Wieso?“, fragte Deidara. „Du meinst, der Mörder befindet sich unter uns? Können es nicht auch die Piraten gewesen sein?“ „Die Piraten haben bisher all ihre Opfer erschossen. Kiba hatte ein Messer; warum sollten sie es riskieren, ihm im Nahkampf gegenüberzutreten? Wir hingegen haben keine Schusswaffen mehr. Und uns hätte Kiba auch an Bord gelassen, ohne misstrauisch zu werden. Wenn man es genau nimmt, kann es jeder von uns gewesen sein.“ „Das heißt, auch du?“, hakte Deidara nach. „Theoretisch, ja. Aber ich war die ganze Zeit mit diesem Idioten unterwegs. Zumindest ich weiß, dass ich es nicht bin. Und ich habe euch eben einen weiteren Grund gegeben. Hätte ich euch von diesem Gedankengang erzählt, wenn ich der Mörder gewesen wäre?“ „Du könntest es trotzdem getan haben, um uns davon zu überzeugen, dass du es nicht bist, hm.“ Naruto konnte ihnen nicht mehr wirklich folgen. Er wusste nur, dass sich das Gespräch im Kreis drehte und dass er am liebsten umfallen und schlafen wollte. „Zumindest eines wissen wir“, sagte Sasuke. „Wer immer es getan hat, sie waren zu zweit. Es waren zwei Wölfe in einer Gruppe. Oder hat sich euer Partner irgendwann in der Nacht davongeschlichen?“ Die Abenteurer sahen einander an. Dann, plötzlich, rümpfte Sakura die Nase. „So in etwa“, sagte sie. Nun blickten alle zu ihr – und gleich darauf zu Lee, der sichtlich verfiel. „A-aber Sakura …“, stammelte er. „Das war doch nicht … Du hast das falsch verstanden!“ „Ich wüsste nicht, was es da falsch zu verstehen gäbe.“ „Was soll das heißen?“, fragte Tenten. „Wart ihr zwei nicht gemeinsam unterwegs?“ „Am Anfang schon.“ Sakura warf ihr einen säuerlichen Blick zu. „Aber Lee scheint eine seltsame Vorstellung von Inselromantik zu haben.“ „Was soll das heißen?“, fragte nun auch Naruto. Lee schien zerfließen zu wollen. „Verdammt, wie deutlich soll ich’s denn noch sagen?“, rief Sakura. „Er hat versucht, mich zu küssen, irgendwo zwischen stacheligem Gestrüpp und glitschigen Lianen!“ Naruto fiel die Kinnlade herunter. „Aber du hast doch … Ich dachte, du …“, stammelte Lee. „Ich habe nur gesagt, Ino hat mir einmal gestanden, dass sie einsame Inseln und Geschichten über Schiffbruch romantisch findet! Von mir war gar nicht die Rede!“ „Du machst da ja ein ganz schönes Drama aus einem einfachen Kuss, hm“, stellte Deidara trocken fest. „Halt du den Mund! Dich hat ja kein zappeliger Affe mit daumendicken Augenbrauen attackiert!“, zischte Sakura spitz. Lee schien bald in Tränen auszubrechen. „Beruhigt euch wieder“, rief Sasuke die anderen zur Ordnung. „Und danach habt ihr euch getrennt.“ „Kann man so sagen. Ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben und bin alleine weitermarschiert“, sagte Sakura schnippisch. „Was dich zur Hauptverdächtigen macht“, schloss Sasuke. „Wieso?“, fragte sie empört. „Was hättest du getan? Außerdem bin ich tiefer in den Wald gegangen.“ Sasuke konnte nichts erweichen. Naruto glaubte jedoch nicht, dass Sakura die Schuldige war. Ihr Verhalten kam ihm richtig vor. „Sakura war es nicht“, platzte Lee – ausgerechnet Lee – heraus. „Sie würde so etwas nicht tun. Vielleicht bin ich in jugendlichem Übermut zu weit gegangen, aber ich würde mich nie in eine Mörderin verlieben!“ Die Liebeserklärung, falls sie noch nötig gewesen wäre, kam ihm ebenfalls überaus leicht über die Lippen. Sasuke seufzte und massierte sich die Nasenwurzel. „Ich fasse zusammen. Die Mörder sind entweder Naruto und ich, was Unsinn ist, oder Deidara und Tenten, oder Sakura, oder Lee. Sofern auf dieser Insel nicht mehr Wölfe als Schafe sind, gibt es nur diese vier Möglichkeiten.“ „Vielen Dank, dass du das so schön für uns aufgeschlüsselt hast“, sagte eine gut gelaunte Stimme von der Tür her. Sakon stand im Gang, neben ihm die anderen drei Piraten. Wieder einmal waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Natürlich, sie wollten ja bei Sonnenaufgang zurückkommen, um ihre Gefangenen abzuholen. Naruto war mittlerweile alles egal. „Sagt, soll der blutige Leichtmatrose an Deck eine Drohung oder eine Begrüßung sein?“, fragte der Piratenkapitän. „Such’s dir aus“, sagte Sasuke halblaut. „Wir sehen uns das gleich nochmal an. Ich hab was dagegen, wenn unter unseren Gefangenen ein gedungener Mörder steckt. Oder zwei. Marsch, an Deck!“ Naruto stemmte sich auf seine schmerzenden Füße hoch. Fast war es, als hingen sie in einer Zeitschleife fest, in der sie wieder und wieder gezwungen waren, sich vor den Piraten zu verantworten. Oder wollte Sakon sie einfach nur alle loswerden und suchte Gründe dafür?   Als er Kibas bleichen Leichnam erneut ansehen musste, wurde Naruto übel, und trotz seiner Müdigkeit zwang er sich, an dem, was kam, teilzuhaben. Sakon. Sasuke hatte diese Möglichkeit nicht angesprochen, aber Sakon konnte ebenfalls der Mörder sein. „Was hast du gesagt?“, fragte jener plötzlich scharf. Naruto zuckte zusammen. Alle starrten ihn an. Er hatte offenbar vor Erschöpfung laut gedacht. Hier stand er, umgeben von Gefährten, weniger Freunden als Mitleidenden, von denen vielleicht einer oder mehrere seine schlimmsten Feinde waren; mit Pistolen, die auf ihn gerichtet wurden, sein Leben auf Messers Schneide, seine Träume zerschmettert, und wahrscheinlich kam er nie wieder von hier fort. Da konnte er die Schlinge um seinen Hals auch genauso gut selbst zuziehen. „Neji war ein Marineadmiral im Auftrag der Krone“, murmelte er. „Den Schatz gibt es nicht. Und Sakon ist ein Wolfspirat, genauso wie Ino.“ Der Pirat sah ihn verwundert an, dann lachte er lauthals los. „Du gefällst mir. In meinem schlimmsten Dusel war ich nicht so verrückt wie du.“   „Ich mein’s ernst“, sagte Naruto und Sakon blieb das Lachen im Hals stecken. „Ich dachte, wir hätten das schon das letzte Mal abgehandelt“, knurrte er. „Du willst mich ernsthaft erneut nominieren? Von mir aus. Dem Letzten, der das getan hat, hat’s schlecht bekommen.“ „Und das war ein Fehler.“ Naruto holte tief Luft. Sphinx amüsierte sich sicherlich königlich, also konnte er gleich noch ein Schäuflein nachlegen. „Neji war die Seherin. Ich weiß es, weil ich der Seher-Lehrling bin. Vorhin hat mich Sphinx angetippt, also bin ich jetzt die amtierende Seherin. Neji hat also die Wahrheit gesagt.“ „Du lügst“, sagte Sakon leichthin. „Ist es nicht ziemlich dumm, sich als Seherin zu outen?“ Naruto sah hilfesuchend in die Runde. „Die Überlebenden eines Spiels bekommen Punkte. Wir sollten also versuchen, mit so wenig Verlusten wie möglich zu überleben.“ „Bevor ihr auf dumme Ideen kommt“, warf Sphinx ein, „die Werwölfe bekommen im Verhältnis mehr, wenn sie gewinnen. In eurem eigenen Interesse solltet ihr alle mit vollem Einsatz spielen.“ „Ich weiß schon, was Naruto sagen will“, sagte Tenten. „Ich nominiere auch Sakon. Wir werden ja gleich sehen, ob er ein Werwolf ist.“ „Ich bin aber kein Werwolf“, sagte Sakon. „Ihr lyncht auf gut Glück. Ja, ich geb’s zu, es war eine blöde Idee, Neji zu lynchen. Hey, ich spiel das zum ersten Mal.“ „Und wen hast du als neue Seherin ausspioniert?“, fragte Sakura. „Jiroubou“, sagte Naruto sofort. „Er ist kein Werwolf.“ Der Dicke nickte. Naruto hoffte, ihn damit gleichsam auf seine Seite gezogen zu haben.   „Jiroubou hat dich schon immer verdächtigt. Ich habe ihn heute Nacht beobachtet, er hat mit Kidoumaru darüber geredet, dass er dir misstraut. Er hat selbst Theorien aufgestellt, wer die Wolfspiraten sein könnten, und es klang für mich nicht so, als hätte er das nur getan, um den Verdacht von sich selbst abzulenken. Dann hat er geschlafen. Auf unserem Schiff ist währenddessen ein Mord passiert. Wir haben zwar geglaubt, dass jemand von uns die Täter sein muss, aber du kannst es genauso gewesen sein. Du könntest dich auf unser Schiff geschlichen und Kiba angegriffen haben“, behauptete Naruto. Sakon hatte die Zähne zusammengebissen. Naruto schaffte es nicht, in seiner Miene zu lesen. Zwar fühlte er sich wie in einem belebenden Rausch, nun, da er alles auf eine Karte setzte, aber er brauchte seine ganze geistige Kraft, um die Flure, die seine Gedanken eröffneten, bis zum Ende zu durchschreiten. „Wir haben doch schon darüber gesprochen“, sagte Sasuke unbeeindruckt. „Von den Piraten hätte keiner Kiba im Nahkampf herausgefordert. Red‘ dich nicht um Kopf und Kragen, du bist der einzige Unverdächtige.“ Du bist der Einzige, dem ich trauen kann, wollte Sasuke damit wohl sagen, war aber natürlich zu stolz dafür. Sasuke hatte ihn in den Dünen die ganze Zeit beobachtet. Er wusste, dass Naruto Kiba nicht getötet hatte … und deshalb glaubte er seine Theorien. Wahrscheinlich hätte er jetzt gerührt sein müssen. „Du hast was vergessen, Sasuke“, sagte er und ballte die Fäuste. „Ich hab darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn ich gegen Kiba kämpfen wollte. Ich habe keine Waffe, also hätte ich ihn vielleicht um einen ehrlichen Zweikampf gebeten. Ich hätte gewollt, dass er das Messer wegwirft. Und da ist es mir eingefallen.“ Er atmete tief durch. „Sakon könnte mit der Pistole in der Hand auf Kiba zugekommen sein. Dann hat er ihn gezwungen, das Messer wegzulegen. Vielleicht hat er gesagt, er würde ihn nur fesseln wollen. Und dann hat er ihn mit dem Messer umgebracht und es aussehen lassen, als wäre einer von uns der Täter. Die Wolfspiraten wollen doch Zwietracht säen, oder? Darum gehen sie ja so geheimnisvoll vor!“ „Das klingt einleuchtend“, fand Tenten. Sakura starrte ihn mit großen Augen an. „Naruto … Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut kombinieren kannst.“ Er lächelte schwach und erwartete dabei, jeden Moment erschossen zu werden. „Vielleicht werden andere Teile meines Gehirns aktiv, wenn ich müde bin“, scherzte er. „In deinem Gehirn wird gleich nie wieder etwas aktiv werden“, blaffte Sakon und spannte den Hahn seiner Pistole. „Warte.“ Ein zweiter Hahn wurde gespannt. Jiroubou richtete seine Waffe auf Sakons Kopf. „Hast du sie noch alle?“, entfuhr es dem Piratenkapitän. „Ich lass dich über die Planke laufen, du Verräter! Machst du etwa gemeinsame Sache mit denen?“ „Ich will nur meinen Kopf behalten“, erklärte der Pirat. „Ich glaube, du bist ein Wolf. Du hast den Kapitän getötet und willst dich durch uns andere metzeln. Du, und wahrscheinlich auch Tayuya.“ „Bist du verrückt?“, lachte die Rothaarige. „Wenn das nicht so ist, dann zeig mal, auf wessen Seite du bist“, forderte Kidoumaru und richtete seine Waffe ebenfalls auf Sakon, auf dessen Stirn eine Ader zu pochen begann. Es war fast wie gestern mit Neji, nur dass diesmal wirklich ein Übeltäter bedroht wurde … Naruto begann wieder, Hoffnung zu schöpfen.   „Nun denn, Sakon, du hast wieder die Ehre, ein Urteil über dich selbst zu verlangen“, erklärte Sphinx. „Also schön.“ Sakon rollte die Augen.  „Auf drei, und ich rate euch, für mein Überleben zu stimmen. Eins, zwei – drei!“ „Von mir aus. Mir liegt nichts an diesem Großmaul.“ Gleichgültig richtete Tayuya auch ihre Pistole auf Sakon. „Wartet, ihr verdammten Feiglinge!“, keuchte Sakon. Naruto genoss es fast, ihn in der Klemme zu sehen. „Seht ihr nicht, dass ihr auf den ältesten Trick der Welt reinfallt? Die da wollen uns entzweien, genau so, wie es Wolfspiraten tun würden!“ „Wir sind doch längst entzweit“, sagte Jiroubou. „Das ist der Fluch dieser Insel.“ „Ohne mich kommt ihr hier nie fort!“, behauptete Sakon. „Ihr habt keine Ahnung, wo ich meinen Teil des Sextanten versteckt habe!“ „Den brauchen wir auch nicht“, flötete Kidoumaru. „Ich hab so ein kleines Zerwürfnis schon erwartet. Ich kann nur immer wieder betonen, wie dämlich ich dieses gegenseitige Misstrauen finde. Mal ehrlich – warum ist keiner von euch auf die Idee gekommen, dass der Kapitän dieses Schiffes auch einen Sextanten haben könnte?“ „Natürlich bin ich auf die Idee gekommen“, schnaubte Tayuya. „Ich hab in seiner Kajüte danach gesucht. Keine Ahnung, wo das Ding hingekommen ist. Da waren Lecks in der Wand, ich dachte, das Wasser hätte es rausgespült.“ „Falsch.“ Kidoumaru entblößte triumphierend die Zähne. „Ich war nur schneller als du. Die haben mich unter Deck eingesperrt, und dort hab ich mir ungefähr eine Vorstellung davon gemacht, wo die Kapitänskajüte ist. Als wir die Kerle am Mast angebunden und danach nach Proviant gesucht haben, bin ich schnurstracks dorthin gelaufen und hab den Sextanten gefunden, fein säuberlich in einer Schublade aufbewahrt.“ „Du hast …“ Sakon wurde weiß vor Zorn. „Das ist Meuterei, du verfluchter Schuft!“ „Und trotzdem hab ich keinem was angetan“, meinte Kidoumaru achselzuckend. „Du siehst, mich zu verdächtigen war unnötig.“ „Und mich?“, rief der Kapitän. „Wie wäre ich deiner Meinung nach von der Insel gekommen, wenn ich als ach so böser Wolfspirat meine gesamte Mannschaft umgebracht hätte?“ „Durch Folter“, sagte Sasuke nur. „Ein königlicher Piratenjäger hat dich als Wolfspirat identifiziert“, sagte Sakura. „Du bist überführt.“ „Aber erschießt ihn nicht!“, rief Naruto, bevor jemand etwas Dummes tun kann. „Wir fesseln ihn und übergeben ihn in Port Fronda der Obrigkeit.“ „Wir sind Piraten, Kleiner“, sagte Tayuya. „So läuft das nicht.“ „Stimmt. So läuft das nicht“, knurrte Sakon, duckte sich blitzschnell und fasste die nächste Person ins Visier, die er erwischte. Sakura. Narutos Schrei blieb ihm im Hals stecken, als der Schuss in seinen Ohren widerhallte. Naruto zählte mit klopfendem Herzen die Daumen. Hoffentlich lief es nicht so ab wie mit Neji … Aber diesmal sah es gut aus. Er musste nicht einmal versuchen sich einzuprägen, wer welche Meinung vertrat: Jeder außer Sakon selbst stimmte für dessen Tod. Damit war es entschieden. „Tut mir leid, Sakon“, erklärte Sphinx lächelnd. „Ach, leckt mich doch alle.“ Sakon schleuderte ihm seine Karte entgegen, stand wütend auf und stapfte aus dem Therapiezimmer. „Und? Was ist jetzt?“, wollte Tenten wissen. „War er ein Werwolf?“ Auch Naruto konnte die Spannung kaum ertragen. Er konnte sich gerade davon abhalten, seiner Karte nervös ein Eselsohr zu verpassen. Sphinx betrachtete mit einem rätselhaften Lächeln Sakons Karte, als wüsste er es nicht ohnehin. Dann legte er sie bedächtig in die Schachtel, lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte sie alle mit verschränkten Armen. „Werwolf“, flüsterte er schließlich bedeutungsschwer. Naruto fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. „Gut gemacht!“, rief Tenten und klopfte ihm auf die Schulter. Sasuke nickte ihm zu, selbst Tayuya runzelte als winziges Zeichen der Anerkennung die Stirn. „Auf den Helden des Tages!“, rief Deidara. „Zwei von zwei Wölfen tot. So, her mit den Punkten, wir haben gewonnen. Ich will endlich wieder auf mein Zimmer und ein wenig Ruhe haben.“ Sphinx schenkte ihm ein teuflisches Lächeln. „Die vierte Nacht bricht an.“ Narutos Glieder wurden plötzlich bleischwer. Wie vom Donner gerührt sah er ihren Spielleiter an. Wie bitte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)