The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 15: Ein würdiger Gegner ------------------------------- Die Abstimmung für Lee wurde nur knapp entschieden. „Der Bürgermeister hat gesprochen“, erklärte Sphinx, während die anderen Tayuya nur böse anstarrten. Die Ankündigung, dass es heute zwei Hinrichtungen geben würde, schien die Bande, die die Spieler untereinander geknüpft hatten, so gut wie zerstört zu haben. Plötzlich verdächtigte wieder jeder jeden – und nachdem Tayuya mit ihrer zweiten Stimme ihr Leben vor Jiroubou, Lee und Sasuke verteidigt hatte, hatte sie selbst Lee nominiert. Deidara hatte sich ihr angeschlossen, dann Sasuke. „Aber Lee ist unschuldig!“, hatte Naruto noch gerufen, doch natürlich konnte er gegen die Mehrheit nichts ausrichten. „Tatsächlich war Lee kein Werwolf.“ Dieser Verkündigung folgten schwere Seufzer. Naruto biss die Zähne zusammen, obwohl er es gewusst hatte. „Das war nur der erste Streich“, sagte Sphinx lächelnd. „Ich bitte um eine weitere Nominierung.“ „Bevor irgendjemand noch etwas sagt“, begann Sasuke und funkelte vor allem die Bürgermeisterin an, „denkt daran, dass es jetzt um alles geht. Ein falscher Zug, und wir haben verloren. Es muss noch einen Werwolf unter uns geben.“ „Was du nicht sagst“, meinte Deidara augenrollend. „Deine Ratschläge sind tatsächlich nachvollziehbar, aber deswegen sind sie auch nicht besser.“ „Was soll das heißen?“ „Sasuke hat immerhin schon Sakura enttarnt“, sprang Naruto seinem Kumpel bei. „Und, hast du ihn schon mal ausspioniert, große Seherin?“ Naruto verstummte. War Sasuke doch ein Werwolf? Er versuchte, in seiner Miene zu lesen, doch das war nicht möglich. Sasuke blieb ob der impliziten Anschuldigung ruhig. Und wenn er seine Kameradin ans Messer geliefert hatte, um sich selbst als braver Dorfbewohner zu etablieren … Nein, das war nicht möglich! Hätte ihm das überhaupt etwas gebracht? „Ich nominiere Sasuke“, brummte Jiroubou. „Ich traue ihm nicht.“ „Dasselbe gilt umgekehrt“, erwiderte dieser. „Sasuke, hm“, sagte Deidara. „Stimmen wir ab.“ Narutos Gedanken rasten. Von allen anderen konnte er nur Jiroubous Unschuld bezeugen – Sasuke hatte ein paar gute Ideen gehabt, ja, aber das hieß nicht, dass er nicht ein Schaf im Wolfspelz war. Wie sich herausstellte, war seine Stimme gar nicht vonnöten. Deidara, Jiroubou und Tayuya stimmten allesamt gegen Sasuke. „Das ist dann wohl dein Todesurteil“, stellte Sphinx süffisant fest. „Hast du noch einige letzte Worte?“ Sein lauernder Unterton löste in Naruto sofort Unbehagen aus. „Allerdings“, sagte Sasuke düster und drehte seine Karte um, sodass sie alle sehen konnten. „Jäger.“ Naruto schluckte. Er hatte nicht vergessen, was die Fähigkeit dieser Karte war. Vor seinem Tod konnte Sasuke noch jemanden mit in den Tod reißen. Eine mächtige Karte, vor allem in so einer Situation … Nun konnte er seine Verdachtsperson selbst lynchen. „Wen möchtest du erschießen, ehe du stirbst?“, fragte Sphinx. Grimmig streckte Sasuke den Finger aus. „Deine zweite Stimme war lästig genug“, sagte er zu Tayuya, die abfällig zischte und seinem Blick auswich. „Da haben wir das nächste Todesopfer“, rief Sphinx entzückt und klatschte in die Hände. „Aber, o weh, wieder kein Werwolf!“ „Ihr Penner.“ Tayuya drückte ihm ihre Karte so in die Hand, dass sie zerknitterte. „Aber das war noch nicht alles“, sagte Sphinx. „Heute geht es ja richtig rund. Zusammen mit Tayuya stirbt … Deidara!“ „Hä?“, machte Naruto. Der Blonde schnaubte und gab seine Karte zurück. „Was für eine dämliche Regel, hm.“ „Finde ich auch.“ Tayuya hatte die Arme verschränkt. „Kann mir einer sagen, warum ausgerechnet ich und er das Liebespaar sein sollen?“ Naruto schlug sich die Hand vor den Kopf. Das hatte er ja total vergessen … das Liebespaar starb immer gemeinsam. Er blickte sich um. Sphinx bedeutete den drei Ausgeschiedenen, sitzen zu bleiben. Hieß das … Sein Blick glitt zu Jiroubou, dem letzten Überlebenden außer ihm, der nachweislich unschuldig war. Erst nach und nach begriff er, was das zu bedeuten hatte. Sie hatten gewonnen! - Schiffbruch, sechste Nacht -   Naruto war Jiroubou keine große Hilfe, aber eigentlich hatte er auch keine Lust mehr, den Schatz zu heben. Auf der anderen Seite – was sollten sie sonst tun? Den ganzen Tag über war alles an ihm vorbeigezogen. Erst nach und nach war ihm klar geworden, dass er und der dicke Pirat, der ihm Freundschaft geschworen hatte, die letzten lebenden Menschen auf dieser Insel waren. Ein bedrückender Gedanke, selbst wenn das zweifellos bedeutete, dass nun alle Gefahr gebannt war. Was war das für ein Sieg, wenn kaum noch jemand übrig war, der ihn feiern konnte? Naruto betrachtete Kidoumarus Leiche im Sand vor dem Piratenschiff. Ein Loch zierte seinen Kopf. Tenten musste doch getroffen haben – ein unglaublicher Glückstreffer. Zweifellos war er sofort tot gewesen. Aber woher war dann der Schuss gekommen, der Tenten gleich danach getötet hatte? Naruto wollte nicht darüber nachdenken. In seinem Kopf drehte sich sowieso alles. Jiroubou hatte nach einer Weile begonnen, auf der Lichtung weiter zu graben. Naruto mit seinem verletzten Arm war nur daneben gesessen und hatte ihm dann und wann Wasser gebracht. Außerdem hatte er beschlossen, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Neji hätte es garantiert so gemacht, sobald er erkannt hätte, dass ein Wegkommen von der Insel nicht möglich war. Wenn es seinen Auftraggebern schon nicht half, dann wirkte es vielleicht als Warnung an jene, die später einmal an dieser verfluchten Insel anlegen würden. Es hatte gar nicht lange gedauert. Als Jiroubou tatsächlich gegen Mittag eine uralte Kiste zutage förderte, schmeckte es nach bitterer Ironie, ebenso wie das Gold, mit dem sie randvoll gefüllt war: Münzen und Ringe, Armreifen und sogar ein kleines Krönchen. Ein wunderbarer Schatz, alles, was Naruto für seinen Traum je gebraucht hatte – und doch wollte er ihn nicht mehr haben. „Halbe-halbe“, meinte Jiroubou. „Das wäre fair.“ „Ja“, meinte er. „Fair wäre es. Nur werden wir es nie ausgeben können.“ Jiroubou verstand etwas vom Navigieren, allerdings waren nun beide Sextanten unauffindbar. Außerdem war das Piratenschiff immer noch leck, und Naruto konnte nicht wirklich dabei helfen, es zu reparieren. Um nichts unversucht zu lassen, sammelten sie alles Holz zusammen, das sie nicht mehr brauchen konnten, sowohl von dem Schnellsegler als auch von der Vieja Gloria. Sie entzündeten auf gut Glück ein Feuer am Strand, um auf sich aufmerksam zu machen. Darüber brieten sie am Abend gerade einen Teil des kläglichen Proviantrestes, der ihnen geblieben war, als Jiroubou plötzlich die Augen zusammenkniff und auf den Horizont deutete. „Schau. Ein Segel.“ Narutos Herz schlug höher. Tatsächlich, vor dem dunkler werdenden Himmel zeichnete sich blassrosa Segeltuch ab. Hatte sich wirklich ein anderes Schiff hierher verirrt? Es grenzte an ein Wunder. „Wäre es doch nur einen Tag früher aufgetaucht“, murmelte er bitter und dachte an all die Leben, die auf dieser verfluchten Insel ausgelöscht worden waren. „Meinst du, es bemerkt uns?“ Jiroubous Blick maß das Feuer. Hoch und kräftig loderten die Flammen. „Vielleicht noch nicht“, meinte er. „Aber wenn es Nacht wird, sollte man uns gut sehen können.“ Er klopfte auf die Schatzkiste, auf der er saß. Fast war es, als hätte all dieser verfluchte Reichtum sich genau sie beide ausgesucht und würde nun erlauben, dass sie die Insel verließen. Die Sonne sank über den Rand der Welt und das Segel versank im Dämmerlicht. Allerdings war das Schiff nicht allzu weit von ihnen entfernt gewesen, als die Nacht hereingebrochen war. Sie mussten das Feuer einfach gesehen haben! In angespannter Erwartung standen Naruto und Jiroubou am Stand und starrten in die Nacht hinaus. Wo ihn Tayuyas Kugel getroffen hatte, pochte Narutos Oberarm, als er seinen Reisebericht in eine leere Rumflasche steckte und sie zukorkte. „Sag mal“, begann Jiroubou irgendwann, der ihm nicht zugesehen hatte, sondern den Horizont im Auge behielt. „Ja?“ „Du verstehst es doch, oder?“ Naruto blinzelte ihn verwirrt an. „Was?“ Dann sah er das Entermesser in Jiroubous Hand, wie es im nächsten Moment auf ihn zu sauste. Die Flasche entglitt seinen Fingern, und dann spürte er nichts mehr.   „Trommelwirbel, bitte …“ Sphinx klopfte mit den Fingern auf seinen  Oberschenkeln. „Und … Deidara war ebenfalls kein Werwolf!“ Naruto lief es kalt den Rücken runter. Etwas in Jiroubous Augen verändert sich. Was? Wie kann das sein? „Der Rest ist wohl schnell durchgespielt“, meinte Sphinx nonchalant. „Schließt trotzdem die Augen. Ich rufe noch mal alle auf – schließlich sollt ihr nicht wissen, welche Karten Naruto und Jiroubou hatten. Die sechste Nacht bricht heran. Die Unruhestifterin hat das Dorf bereits aufgemischt. Wen schützt der Leibwächter? Ja? Die Seherin, sofern sie noch lebt, sieht, dass ihr Gegenüber ein Werwolf ist, und die Werwölfe wählen ihr Opfer. Will die Hexe einen Trank benutzen? Den Gifttrank? Den Heiltrank? Dann schlaf wieder ein. Naruto ist gestorben. Die Werwölfe haben gewonnen.“ „Was soll das?“, brach es aus Naruto heraus. Er war aufgesprungen. „Du hast mir vorhin gesagt, dass Jiroubou ein Dorfbewohner ist!“ „A-a-ah!“, machte Sphinx. „Zwiesprache halten wir dann in den Einzelsitzungen. Denkt gut nach bis dahin. Und jetzt solltet ihr vielleicht zu eurer Freundin gehen. Nach dem Abendessen kommt ihr in mein Büro.“   Als das Spiel zu Ende war und die anderen in das Zimmer kamen, hatte sich Hinata schon ziemlich beruhigt. Sakura saß auf ihrer Matratze und streichelte ihr den Rücken. Naruto sah sie besorgt an. „Alles in Ordnung, Hinata?“ Das Mädchen schluckte, nickte schüchtern. „Wir tun alles, damit du Punkte für Hanabi bekommst, echt jetzt. Ich hab zwar noch keine Ahnung, was bei dem letzten Spiel abgegangen ist, aber das finden wir schon noch heraus!“ „Dieses Mal wissen wir von einigen ja schon ziemlich sicher, welche Karten sie hatten“, sagte Deidara. „Und wir haben auch schon während dem Spiel ziemlich viele Gedanken ausgetauscht.“ „Dafür haben wir zwei Werwölfe zu viel“, entgegnete Sasuke. „Sprecht lieber nicht hier darüber“, warnte sie Sakura. „Am Ende wertet Sphinx das als Regelbruch.“ Endlich fand Hinata ihre Stimme wieder. „Ihr … ihr müsst das nicht tun.“ Die anderen sahen sie fragend an. „Ihr braucht mir eure Punkte nicht zu geben. Ich werde … Ich werde es selbst schaffen. Ich spiele beim nächsten Spiel wieder mit und schaffe es aus eigener Kraft!“ Naruto sah ihr ernst in die Augen. „Bist du sicher?“ Hinata nickte. „Ihr … braucht keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Aber ich danke euch trotzdem.“ „Wir schaffen es alle hier heraus.“ Tenten drückte lächelnd Hinatas Hand. „Und wenn es ewig dauert.“   Am Abend erzählte Naruto Sphinx von seinen Vermutungen. Da er die Seherin gewesen war, hatte er nicht allzu viele mögliche Punkte zu erreichen, und er machte geradezu miese Ausbeute, obwohl er seit Spielende an nichts anderes mehr gedacht hatte als an die Karten, die die anderen während des Spiels in der Hand gehalten haben mochten. Kaum eine seiner Theorien stimmte, und mit schlappen fünfzehn Punkten entließ Sphinx ihn. Vor der Bürotür wartete Sakura. „Viel Glück“, murmelte er ihr niedergeschlagen zu. Sie nickte nur und versuchte selbst ihr Bestes. Er beschloss, auf sie zu warten. Kakashi kam hinzu; er würde als Nächstes drankommen – obwohl er als erstes Opfer nur raten konnte, wie das Spiel gelaufen war. „Tenten hat vielleicht recht. Es wird wirklich ewig dauern“, meinte Naruto deprimiert. Kakashis Antwort war ernüchternd. „Das könnte tatsächlich sein.“ Er kratzte sich am Kinn. „Sphinx wird sich Spiel um Spiel überlegen, und wer hundert Punkte hat, ist frei, habe ich das richtig verstanden?“ Naruto seufzte nur. „Komplizierte Spiele bringen mehr Punkte“, fuhr Kakashi fort. „Allerdings gibt es dann auch mehr Spieler, und nicht jeder kann gleich viel erreichen. Wenn das so weiter geht, muss jeder, der bei der Rollenverteilung Pech hat, mehrere Spiele spielen. Und Sphinx muss immer neue Leute entführen, und es wird niemals enden.“ „Vielleicht will er das ja sogar“, meinte Naruto düster. „Wahrscheinlich. Aber vergiss nicht, was er noch viel dringender will: einen würdigen Gegner.“ „Einen würdigen Gegner?“ Kakashi nickte. „Er hat bereitwillig zugestimmt, als ihr eure Punkte Hinata schenken wolltet. Er will diejenigen, die fähig im Kombinieren sind, im Spiel halten. Wenn ihm einer von uns ein Spiel liefern kann, das ihn wirklich begeistert – in anderen Worten, ein wahnsinnig kompliziertes Spiel komplett löst –, vielleicht erklärt er sich dann bereit, uns freizulassen.“ „Ich hab ja nicht mal die ersten zwei Spiele richtig durchschaut“, brummte Naruto. „Wir bräuchten schon …“ Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Wir bräuchten Shikamaru!“ Kakashi zuckte mit den Schultern. „Ich werde natürlich auch mein Bestes geben. Ich will Sphinx nicht vorschlagen, ihn mit hinein zu ziehen.“ Sakura verließ das Büro, und Kakashi nahm ihren Platz ein. Naruto durfte sie nicht nach ihren Punkten fragen, aber er erzählte ihr von seinem Gespräch mit ihm. „Shikamaru wäre sicher am besten von uns allen für diese Art von Rätselraten geeignet“, meinte sie dann. „Er muss uns helfen!“, sagte Naruto. „Und wenn er erfährt, was mit uns los ist, wird er es auch sicher tun!“ „Aber das hieße, ihn auch hierher zu schleppen“, meinte Sakura stirnrunzelnd. „Ich weiß nicht, ob ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann.“ „Ich werde es Sphinx vorschlagen“, beschloss Naruto. „Und ich sage ihm, dass er auf jeden Fall wenigstens Shikamaru freie Wahl lassen soll. Sonst prügel ich ihn windelweich, egal, was sie dann mit mir machen!“   Er wartete, bis alle anderen sich ihre Punkte von Sphinx geholt hatten. Mittlerweile war es tiefe Nacht, die Gänge waren finster und nur wenig Pflegepersonal war noch in der Nähe und räumte auf. Kidoumaru verließ Sphinx‘ Büro mit einem breiten Grinsen, was bei diesem Spiele-Narren jedoch nichts heißen musste. Naruto fing die Tür auf und trat selbstbewusst ein. Sphinx hatte sich von ihm weggedreht und sah aus dem Fenster. Sein Haarschopf lugte über der Sessellehne hervor. „Was willst du noch?“, fragte er, als er Narutos Spiegelbild in der Scheibe sah. „Dir etwas vorschlagen. Einen würdigen Gegner.“ „So?“ Sphinx stand auf, drehte den Schirm seines Computers in Narutos Richtung und schaltete ihn ein. „Du meinst nicht zufällig ihn?“ Sprachlos blickte Naruto auf die schwarzweiße Liste, neben der Shikamarus Porträtfoto prangte. Einige Ordner verwiesen auf weitere Fotosammlungen und Informationen – warum war er überhaupt überrascht? Bei Sphinx sollte ihn doch eigentlich nichts mehr wundern. „Ich habe nach neuen Rekruten für das nächste Spiel Ausschau gehalten“, sagte Sphinx versonnen, als Naruto schwieg. Er schwieg auch weiterhin, obwohl allein diese Ankündigung ihm sauer aufstieß. „Dieser hier ist selbst mir ein Rätsel, muss ich sagen. Aus euren Mails und SMS kann ich mehr oder weniger herauslesen, dass ihr viel von ihm haltet, was seine Intelligenz angeht. Und einige wenige Institutionen haben schon Empfehlungsschreiben für ihn verfasst – und in absehbarer Zeit werde ich wissen, ob es sich nur um Vetternwirtschaft handelt oder ob tatsächlich was dahintersteckt. Die Sache ist nämlich die: Es fällt mir schwer, ihm das Genie abzukaufen. Er hat nie irgendetwas geleistet, das in irgendeiner Form bemerkenswert gewesen wäre. Seine Schulzeugnisse sind allesamt mäßig, er hat an keinen Wettbewerben teilgenommen, nicht mal ein Kreuzworträtsel eingeschickt – nichts. Es wirkt, als lebe er einfach in den Tag hinein. Außer der Tatsache, dass er mit euch befreundet ist, ist dieser Shikamaru Nara völlig farblos.“ Naruto konnte nicht anders, als unverschämt zu grinsen. „Das hast du davon, dass du uns ausspionierst. Schön, dass Shikamaru dir ein Schnippchen geschlagen hat. Wenn auch sicher nicht mit Absicht.“ „Demnach findest du, seine sprichwörtliche Intelligenz ist doch nicht ganz so sprichwörtlich? Ich habe ihm Gelegenheit genug gegeben. Eine ähnliche Mail, die ihr auch erhalten habt, eine Herausforderung zu einer Shougi-Partie – irgendwo habe ich die Information gefunden, dass er schon mal Shougi gespielt hat –, dann den Straßenkünstler, der einem zu leichtem Geld verhelfen kann, die ganz legale Schiene … Ich habe in den letzten zwei Tagen eine Menge Tricks versucht. Die alte Dame in Nöten wollte ich als Nächstes ausprobieren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, er würde nicht mal ihr helfen.“ Naruto wollte gar nicht wissen, was der Trick mit der alten Dame war. Offenbar hatte Sphinx Shikamaru im Visier, seit er auch ihm und den anderen sein verhängnisvolles Eröffnungsrätsel gestellt hatte. Im Süden ist das Wasser säurehaltig. Eine Kugel glüht über einem Stock. Geht nach Norden und findet den Schatz … „Das heißt bei Shikamaru nicht viel. Er könnte deine Rätsel sicher im Handumdrehen lösen. Er will nur nicht.“ „Was soll das heißen, er will nicht? Wie kann man ein Rätsel unberührt lassen, das vor einem liegt und von dem man weiß, dass man es lösen kann?“ Sphinx klang, als wäre es ihm unbegreiflich. „Frag das Shikamaru“, grinste Naruto. „Er ist einfach unglaublich faul, das ist alles.“ Sphinx schien zu überlegen. Das war das erste Mal, dass Naruto ihn unsicher sah. „Ich will keine unfähigen Leute in meinem Spiel“, legte er fest. „Shikamaru Nara wäre schon längst hier, wenn ich mich von seiner Intelligenz überzeugen könnte.“ Naruto witterte seine Chance. „Er hat sicher schon gemerkt, wohin wir alle verschwunden sind. Vielleicht hat er im Gegenzug sogar dich ausspioniert, ohne dass du es gemerkt hast. Er wäre der beste Spieler für dein Werwolf-Raten, den es gibt. Schreib ihm eine einfache Mail – oder besser, lass mich sie schreiben. Wie faul und genervt von allem er auch ist, er wird uns sicher nicht hängen lassen!“ „Ich habe immer noch nur dein Wort als Beweis für seine Schläue“, merkte Sphinx an. „Dann schick ihm unser letztes Spiel! Erklär ihm die Regeln, schreib ihm, wie es abgelaufen ist, die Morde, die Hinrichtungen. Ich bin sicher, er kann es lösen, selbst wenn du ihm nur eine Zusammenfassung lieferst.“ Falls man es überhaupt lösen kann, dachte Naruto, behielt das aber für sich. „Das wäre tatsächlich eine gute Idee“, meinte Sphinx. „Vielleicht hätte ich das irgendwann ohnehin getan, wenn ich nicht langsam das Interesse an ihm verloren hätte.“ „Schlag ihm vor, herzukommen. Ganz ohne faule Tricks, eine einfache Einladung. Um uns zu retten.“ Naruto hasste sich fast dafür, weiterzusprechen, aber er war es Hinata und all den anderen schuldig. „Wirf ihm das komplizierteste, schwierigste, verrückteste Spiel entgegen, das dir einfällt. Somit kannst du wunderbar deinen Intellekt mit dem von Shikamaru messen. Und wenn er dich besiegt, dann lass uns alle frei! Mehr als Shikamaru können wir dich nicht unterhalten!“ „Hm.“ Sphinx dachte tatsächlich darüber nach. Minutenlang wartete Naruto mit bangem Herzklopfen. Schließlich gab der Spielmeister seine Einwilligung. „Also schön. Shikamaru Nara scheint ein Spieler zu sein, der ohne hohen Einsatz nicht spielt. Dann werde ich also all eure fehlenden Punkte setzen. Was er mir als Ausgleich bieten kann, überlege ich mir noch.“ Sphinx kramte ein Blatt Papier und einen einfachen Filzstift aus seiner Schreibtischschublade hervor. „Ihr könnt ihm eine Nachricht schreiben. Fleht ihn um Hilfe an oder etwas anderes. Bewegt ihn dazu, das Werwolfrätsel zu lösen, das ich ihm schicke.“ Naruto nickte. „Aber nur, wenn du dein Wort hältst. Ein letztes Spiel mit Shikamaru. Wenn er zustimmt. Und wenn er gewinnt, sind wir frei. Kein Entführen, keine miesen Tricks.“ Sphinx grinste schief. „Du hast mein Wort.“   Es war spätnachts und Shikamaru war noch auf. Er konnte nicht schlafen, obwohl er müde war und tagsüber viel Zeit auf seiner Couch verbracht hatte. Die Sache mit Naruto und den anderen kreiste in seinen Gedanken. Sie waren alle plötzlich in eine Nervenheilklinik eingeliefert worden. Diesen Mist kaufte natürlich niemand, der ihnen nahestand, ab, aber alle Atteste und Papiere waren echt – oder meisterhaft gefälscht. Shikamaru tippte auf Letzteres. Freunde und Familie von ihnen hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Bescheide außer Kraft zu setzen. Gai beispielsweise wollte vor Gericht ziehen, und einige Eltern der Vermissten ebenso. Diese regelrechte Masseneinlieferung lag erst ein paar Tage zurück, und die Mühlen des Gesetzes arbeiteten bekanntlich langsam. Dennoch spürte Shikamaru, dass irgendetwas die Sache zusätzlich verzögerte. Judikative, Polizei, Ärzte – sie alle versprachen, diesen merkwürdigen Sachverhalt schnellstmöglich zu prüfen, aber bislang hatte niemand sichtbare Fortschritte gemacht. Sasukes Bruder hatte versucht, ihnen Zugang zu der besagten Klinik zu verschaffen, hatte mit wichtigen Leuten gesprochen und war bis vor die Tore des Gebäudes gefahren. Immer wieder war die Antwort höflich, aber bestimmt gewesen. Niemandem war es gestattet, die Kranken zu besuchen. Und als wäre das noch nicht genug, war plötzlich ein neurologischer Befund aufgetaucht, der Itachi völlige Unzurechnungsfähigkeit anhängte. Dieser Befund wiederum raste geradezu durch die Hände von Itachis Vorgesetzten und Medizinern. Vor nicht mal einer Stunde hatte Shikamaru davon erfahren. In einer Welt, in der Worte auf Papier alles bedeuteten, würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis Itachi tatsächlich die Klinik betreten durfte – als neuer Gefangener in diesen unfreundlichen Mauern. Wenn das keine Racheaktion desjenigen war, der hinter dieser Farce steckte, wollte Shikamaru nicht mehr Shikamaru heißen. Er selbst hatte natürlich Nachforschungen angestellt, gemeinsam mit Chouji. Die Verbrechen, die seine angeblich geisteskranken Freunde begangen haben sollten, waren in sämtlichen Papieren sehr vage beschrieben, und unter dem Deckmantel des Betroffenenschutzes ließ sich kaum ausforschen, wer die Opfer waren. Shikamaru war sich sicher, dass die Missetaten aus der Luft gegriffen waren. Aber ohne mit seinen Freunden darüber zu sprechen, was in den Tagen vor ihrer Zwangseinweisung geschehen war, war es kompliziert, logische Schlüsse zu ziehen. Eher zufällig entdeckte er die Mail von einem gewissen Magister Hinx. Er hob die Augenbrauen. Sie war signiert mit dem digitalen Stempel der Mitarbeiter ebenjener dubiosen Klapsmühle. Und sie enthielt eine Bitte, offenbar von Naruto, und ein Rätsel.   Es klopfte an der Tür, der Mann trat ein. Shikamaru setzte die Schreibfeder ab und sah ihn erwartungsvoll an. Er kannte ihn zwar nicht, aber das musste nichts heißen – er trug die Uniform der Marine, mit einem Abzeichen, das ihn als ungefähr gleichrangig mit Shikamaru auswies. „Ja?“, fragte Shikamaru. Der Mann salutierte. „Offizier, ich habe eine Nachricht für Euch. Ein persönlicher Auftrag des Gouverneurs.“ Shikamaru seufzte. Wie mühsam. „Und zwar?“ „Es geht um die Vieja Gloria, die samt Besatzung auf See verschollen ist. Einer unserer besten Männer war mit an Bord, als sie auslief.“ Er erinnerte sich. „Ah ja. Die Sache mit der verfluchten Insel und dem Piratenschatz?“ „Genau. Man hat nie wieder davon gehört, aber heute Morgen erfuhren wir, dass ein Passagierschiff jüngst in der Nähe dieser Gewässer gekreuzt ist. Sie haben uns das hier übergeben.“ Der Soldat stellte eine Flasche auf Shikamarus Schreibtisch. „Der Gouverneur zweifelt nicht an der Echtheit der Nachricht. Ihr sollt für ihn herausfinden, was mit unserem Mann geschehen ist – und mit den anderen Besatzungsmitgliedern.“ „Was auf dieser Insel passiert ist, also?“ Einen neuerlichen Seufzer unterdrückend, leerte Shikamaru den gefalteten Brief aus der Flasche und studierte ihn. „Das ist doch ein Reisebericht. Reicht das dem Gouverneur nicht?“ Der Soldat schüttelte knapp den Kopf. „Es sieht so aus, als hätte der Verfasser selbst nicht gewusst, wie ihnen allen geschah. Der Gouverneur wünscht, Licht in die Sache zu bekommen. Ihr sollt Euch melden, sobald Ihr etwas herausgefunden habt.“ Damit salutierte er erneut und ließ Shikamaru in seinem Amtszimmer allein. Nun konnte er getrost wieder seufzen. Wenn man als derjenige Marineoffizier bekannt war, der sämtliche mysteriöse Verbrechen, die auf und rund um die sieben Weltmeere geschahen, aufklären konnte, blieb einem auch nichts erspart. Schweigend begann er über der Flaschenpost zu brüten.   Sie hörten zwei Tage nichts, obwohl Sphinx Shikamaru sicher keine so lange Frist eingeräumt hatte. Dann hatte Sphinx jedoch eine erfreuliche Nachricht für sie. Während sie sich die Zeit in dem großen Aufenthaltsraum vertrieben, kam er persönlich auf sie zu und nickte. „Er hat es geschafft“, sagte er nur. Naruto und viele der anderen strahlten einander an. Natürlich hatten er und Sakura ihnen von dem Ausweg erzählt, den Sphinx ihnen angeboten hatte. Zwar fühlte er sich noch immer mies dabei, seinen Freund in die Sache mit hinein gezogen zu haben, aber er hatte gewusst, dass Shikamaru das Rätsel lösen könnte. Und in dieser kurzen Zeit … Eigentlich könnte Sphinx doch selbst jubeln. Er hatte einen würdigen Gegenspieler gefunden. „Da wir nun mit einem Alternativprogramm fortfahren, könnt ihr aufhören, euch die Köpfe darüber zu zerbrechen“, fuhr Sphinx fort. „Er hat sich auch bereiterklärt, bei dem nächsten Spiel mitzumischen. Ich lasse ihn eben herbringen. Ihr könnt übrigens das letzte Spiel auflösen.“ Damit ließ er sie wieder allein. Nach dem Mittagessen brachten zwei weißgewandete Männer Shikamaru tatsächlich durch die große Tür, von der der Weg in die Freiheit durch ein labyrinthisches Sicherheitssystem führte. Wer ihn näher kannte, begrüßte ihn freudig, Naruto auch ein wenig beschämt. Und er war nicht der Einzige, der zu ihrer unglücklichen Gruppe stieß. „Also fährt Sphinx für sein letztes Spiel noch einmal mächtige Geschütze auf“, kommentierte Tenten trocken, als sie die zehn bekannten Gesichter sah. Gaara, Temari, Kankurou. Chouji, Asuma und Kurenai. Itachi, Sasori und Hidan. Und Shino. Sie waren wohl alles andere als freiwillig hergekommen. Das hatte Sphinx also die letzten drei Tage getrieben – eifrig Unterstützung für ein gigantisches Spielbrett gesammelt. Keine Entführungen und keine Tricks – das hatte der Spielleiter wohl nur auf Shikamaru bezogen. Sie verbrachten den Nachmittag damit, die aufgeregten und verwirrten Neuankömmlinge über sein schmutziges Spiel und seine Methoden aufzuklären. Sie waren alle auf ähnliche Weise wie Narutos Gruppe hergeschafft worden – allmählich musste es auffallen, dass alle möglichen Leute aus ihrem Freundeskreis in eine geschlossene Anstalt eingeliefert wurden! Aber Naruto traute Sphinx zu, selbst dafür einen logisch klingenden Grund zu erfinden. Da sie nun alles auf eine Karte setzen würden, glaubte die Außenwelt vielleicht, heute wäre hier Tag der offenen Tür oder irgendein anderes Event, zu dem Unbeteiligte kommen konnten. Und wenn sie nicht wieder rauskamen, würde Sphinx sicher auch dafür etwas einfallen. Naruto wunderte, was ihren Spielleiter anging, gar nichts mehr. Es gab nun tatsächlich keinen Grund mehr, ihre Identitäten im letzten Spiel geheim zu halten. Nacheinander legten sie ihre Karten auf den Tisch. Shikamaru tat die ganze Zeit über nichts anderes, als bestätigend zu nicken. 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