The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 24: Aus den Schatten ---------------------------- ~ 24 ~   (3:55 Uhr) Zu sechst huschten sie in den finsteren Gang hinaus. Die anderen schlossen sofort wieder die Tür. Sasori lief als Erster geduckt zum hinteren Treppenhaus, jenem, das vom Personal genutzt wurde. Shino lief als Zweites mit entsicherter Pistole. Die Anspannung war in jedem ihrer Atemzüge zu hören. Jeden Moment konnte etwas Dunkles aus den Schatten hervorbrechen. Sasori trug seine Taschenlampe, aber die schien die Schwärze in den Ecken und Winkeln des Hotels nur noch zu verdichten. Der Teppich unter ihren Füßen dämpfte ihre Schritte, man hörte kaum mehr als dumpfes Trampeln und schnelle Atemzüge. Die Treppen in den dritten Stock wären normalerweise eine Tortur gewesen, aber das Adrenalin vollführte wahre Wunder. Außerdem konnte man sie nur von vorne oder von hinten angreifen. Sie erreichten den oberen Treppenabsatz und öffneten die Tür. Sasoris Lampe riss zackige Schatten aus der Finsternis, die sich jedoch als mit Papier verpackte Bretterstapel und leere Gestelle der Putzkräfte entpuppten. Für einen Moment dachten mehrere von ihnen trotzdem an einen Angreifer und schnappten nach Luft. Ihre Schritte verlangsamten sich kurz, dann ging es weiter, den Personalflur entlang auf die Tür zu, die auf dieser Etage in den eigentlichen Hotelbereich führte. Ein heiserer Schrei zerriss die gepresste Stille. Ein dumpfer Schlag. Sasori wirbelte mit der Lampe, Shino mit der Pistole herum. „Gaara!“ Temari wehrte mit einer Hand das grelle Licht ab, mit der anderen schüttelte sie ihren Bruder. Er war gegen die Wand gesunken, presste die Hände gegen die Schläfen und stieß ein tiefes, gutturales Stöhnen aus. Er schüttelte wie von Sinnen den Kopf, als wollte er seine Gedanken loswerden. „Was ist denn los?“, zischte Tayuya. „Ein Anfall!“, keuchte Temari. „Diesmal ein echter! Gaara, reiß dich zusammen! Ich bin da, verstehst du? Dir kann nichts passieren, hörst du? Gaara!“ Sie ging sogar so weit, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Nichts änderte sich. Gaara rutschte nur noch weiter an der Wand hinab und ließ ein Geräusch hören, das sehr gut auch ein Knurren hätte sein können. „Bring ihn gefälligst zum Schweigen“, sagte Sasori. „So hört man uns noch drei Stockwerke weit.“ „Was soll ich denn tun?“, fauchte Temari zurück. „Verdammt, das war sicher der Schreck von diesen blöden Gestellen vorhin!“ „Habt ihr irgendwelche Medikamente für diesen Fall?“, fragte Shino. Temari packte Gaaras Kopf und presste ihn an ihre Brust, als er versuchte, sein Gesicht gegen die Wand zu schlagen. „Klar“, sagte sie. „Daheim. Wir haben sie ewig nicht mehr gebraucht, aber in so einer gottverdammten Lage drehen wir noch alle durch!“ Sie musste ihren Bruder loslassen, als er begann, wild um sich zu schlagen. „Tragen können wir ihn nicht“, meinte Shino. „Vielleicht gibt es auch Beruhigungsmittel in der Erste-Hilfe-Kammer. Wir sollten weitergehen.“ „Wir lassen ihn sicher nicht einfach so hier!“, rief Temari aus. „Hier ist er ein gefundenes Fressen für unsere Feinde!“ „Und er macht einen Höllenlärm“, ergänzte Sasori. „Ihr hättet bei den anderen bleiben sollen.“ „Muss man sich denn um jeden Einzelnen von euch kümmern? Was für Waschlappen!“, fauchte Tayuya und machte auf dem Absatz kehrt, um schon mal vorzugehen. Shino zögerte eine Sekunde. „Temari, Sasori, Toto, ihr geht zum Erste-Hilfe-Raum. Sasori zeigt den Weg, Temari sucht etwas für Gaara. Toto macht den Begleitschutz. Ich passe auf Gaara auf. Wenn sein Geschrei jemanden anlockt, schieße ich.“ „Es gefällt mir nicht, dass wir uns noch weiter aufteilen“, sagte Toto unbehaglich. „Es geht nicht anders. Warum? Weil es noch viel fataler wäre, Tayuya allein gehen zu lassen. Los jetzt.“ Shino nickte den anderen zu. „Ich bleibe auch hier“, legte Toto fest. „Ich werde den kranken Jungen beschützen. Das ist meine Pflicht.“ „Das muss nicht sein“, erwiderte Shino. „Wir können uns zwischen diesen Gestellen verstecken, wenn es notwendig ist.“ „Ich bleibe trotzdem. Vielleicht brauchst du jemanden, der dir hilft, den Jungen zu verteidigen.“ „Ich würde auch sagen, dass wir uns drei zu drei aufteilen sollten. So haben wir trotz allem höhere Überlebenschancen“, sagte Sasori. Shino zuckte die Achseln. „Also schön. Toto und ich bleiben bei Gaara. Ihr anderen geht die Medikamente holen.“ Temari stand langsam auf und warf Gaara noch einen Blick zu. „Passt gut auf ihn auf. Sonst könnt ihr mich erleben!“ Shino nickte.   Sie brauchten keine Minute, um die Erste-Hilfe-Kammer zu finden. Sie befand sich in einem kurzen Seitengang zwischen den Hotelzimmern. Die Tür war ganz aus hellem Holz, auf das ein rotes Kreuz gemalt war. Sie war verschlossen, aber der Schlüssel steckte außen. „Gut“, flüstere Sasori. „Beeilt euch und schnappt euch, was ihr braucht. Ich stehe solange hier Schmiere, damit euch niemand in den Rücken fällt. Klopft innen gegen die Tür, wenn ihr fertig seid. Ich sage euch dann, ob die Luft rein ist.“ Die beiden Mädchen nickten und huschten in die Kammer. Innen war es stockdunkel, nur der Schein von Sasoris Lampe drang durch den Türspalt. Temari holte ihr Smartphone heraus; Tayuya ihr älteres Modell ebenfalls. Zwei Lichtkleckse glitten über leere Regale. Auf einem standen tatsächlich noch Arzneiflaschen, aber sie waren leer. „Verdammt“, zischte Tayuya. „Die werden uns doch wohl was dagelassen haben!“ „Warum sollten sie?“, fragte Temari. „Wer lässt so was in einem Hotel zurück, das nie eröffnet wurde?“ Tayuya begann, die Schubladen unter der Theke herauszureißen. „Ha!“, rief sie dann, als sie eine Obsttrage voll mit verschiedenen Fläschchen fand. „Da. Hilf mir!“ „Weil du selbst nicht lesen kannst?“, spöttelte Temari. Tayuyas zornsprühender Blick traf sie, aber sie verbiss sich eine Antwort. „Dämliches Flittchen“, sagte sie nur. Temari öffnete einstweilen die anderen Kästen. Hie und da lagen noch angebrochene Medikamentenschachteln herum, die wohl schon während den Bauarbeiten verwendet und dann liegen gelassen worden waren. Unverpackte Kapseln und Tabletten lagen ebenfalls im Staub. Sie wischte sie weg und warf alles, was ihr für die Barrikade in der Lounge nützlich erschien, auf einen Haufen. Es waren keine Beruhigungsmittel darunter, zumindest keine, die sie kannte. „Und fast alles abgelaufen“, murmelte sie. „Ist doch scheißegal, Hauptsache irgendwas“, zischte Tayuya. „Da hast du recht. Ihr seid sicher an allerlei Dreck gewöhnt, den ihr euch in die Adern jagt“, sagte Temari. Wieder funkelte Tayuya sie an. „Was ist dein Problem, hä?“ „Nichts“, meinte sie schnippisch. „Mein Bruder hat einen psychotischen Anfall, weil wir wegen euren dämlichen Einfällen in einem verdammten Hotel mit ein paar Leichen eingeschlossen sind und eine Schnitzeljagd hierher machen mussten! Ansonsten ist alles in Ordnung!“ „Was kann ich denn dafür, dass ihr Kleinkinder euch im Hinteren Bezirk nicht zurechtfindet? Zwei Wochen auf der Straße, und das Prinzesschen würde mit ihrer hohen Nase im Dreck liegen und dein Bruder würde nicht beim Anblick seines eigenen Schattens zu heulen beginnen!“ „Ihr Straßenkids seid ja so hart, wie?“, höhnte Temari. „Bringt eure Kumpel ohne mit der Wimper zu zucken um und jammert dann, weil man sich an euch rächen will! Ihr seid das Letzte!“ Eine leere Pillendose flog in Temaris Richtung und prallte dumpf gegen den Kasten. „Und jetzt hast du unsere Feinde auch noch auf uns aufmerksam gemacht. Bravo“, giftete sie. „Sagt diejenige, deren eigener Bruder seine Freunde aufspießt! Die einzigen Feinde, die wir hier haben, seid doch ihr Psychopathen! Was ist das für ein psychotisches Erlebnis, das dein anderer Bruder gerade durchlebt, hä? Geht ihm gerade einer ab, weil er sich an seine vergangenen Mordopfer erinnert, oder was?“ Mit zwei Schritten war Temari bei ihr, packte sie am Kragen und stieß sie gegen die Regale, dass die Gläser darauf klirrten. „Noch ein Wort gegen Gaara oder Kankurou“, knurrte sie gefährlich leise, „und ich dreh dir den Hals um!“ „Nur zu“, meinte Tayuya und ächzte, als Temari sie fester gegen die Regale drückte. „Die Prinzessin bekommt langsam ja doch Mumm.“ Temari starrte sie noch einen Moment voller Abscheu an, dann seufzte sie und ließ Tayuya los. „Ich verstehe schon.“ „Was verstehst du?“ „Es macht dir einen Riesenspaß zu streiten, oder? Aber nicht mit mir. Du bist die Mühe nicht wert.“ „Leck mich doch!“, gab Tayuya zurück. In der Folge suchten sie beide schweigend weiter nach Medikamenten. Temari sah immer wieder zurück zur Tür. Sie hatten nun zwar einigen Radau gemacht, aber noch sickerte das Licht von Sasoris Lampe unter der Tür durch. Der gelbe Schein war beruhigend, während sie in dieser ausgestorbenen Spinnwebenhöhle mit bleichen Handy-Lichtern Schränke durchkämmten.   (4:05 Uhr) Gaara beruhigte sich einfach nicht, egal was sie taten. Toto hatte schon versucht, ihm gut zuzureden, aber der Junge hörte einfach nicht. Er raunzte und stöhnte und schien mit offenen Augen einen Albtraum zu haben. Shino wog das kühle Eisen von Totos Pistole in Händen. „Hoffentlich beeilen sich die anderen“, murmelte er. „Und hoffentlich laufen sie niemandem in die Hände.“ Shino hatte nur sein eigenes Smartphone, um Licht zu machen. Entsprechend wenig sah er. Sie hatten zwar versucht, Gaara zwischen die Bretterstapel und die Eisenwagen zu zerren, aber kaum dass man ihn berührte, schlug der Rotschopf um sich, biss und kratzte. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen. „Shino!“ Es kam so unerwartet, dass er es nicht einmal aus den Augenwinkeln sah. Toto prallte plötzlich gegen ihn, gleichzeitig ertönte ein Geräusch wie von einem knallenden Sektkorken. Er prallte hart mit dem Hinterkopf gegen eine Metallstange, biss sich auf die Zunge und schmeckte Blut. Mit fahrigen Bewegungen wollte er sich losreißen und Toto von sich stoßen, als sich dieser neben ihm gegen das Gestell duckte. Das Geräusch von vorhin ertönte ein zweites Mal, und dieses Mal konnte Shino erahnen, worum es sich handelte. Eine Pistole mit Schalldämpfer. „Wo?“, zischte Shino. Er hatte sein Smartphone verloren, das irgendwo mitten auf dem Gang mit dem Display nach unten gelandet war. Man konnte nur noch eine dünne Lichtlinie sehen. „Beim Treppenhaus!“, keuchte Toto. Shino roch seinen warmen Atem neben seinem Gesicht. „Ich hab gesehen, wie die Tür aufgegangen ist!“ Shino biss die Zähne zusammen. Sie waren hier hoffentlich unsichtbar, aber Gaara lag immer noch außerhalb der Deckung. Er bückte sich, packte den Jungen einfach am Knöchel und zerrte mit aller Kraft. Toto erkannte, was er vorhatte, und half ihm. Ungeachtet von Gaaras Knurren zogen sie ihn grob in die Nische zwischen den Eisengestellen. Dann erklangen Schritte. Hier gab es keinen Teppich; jemand kam in völliger Finsternis nähergeschlichen. Shinos Smartphone lag immer noch außer Reichweite. Er schluckte. Er versuchte, die Pistole ruhig zu halten. Wo war der Angreifer? Wann würde er schießen? Er musste ahnen, wo sie sich versteckten … Es kam darauf an, wer zuerst schoss. Und traf. Shino spähte über die Ränder seiner Sonnenbrille ins Dunkel. Wenn sich seine Augen nur schneller daran gewöhnen könnten ... „Junge“, flüsterte Toto. „Die Pistole! Gib sie mir zurück, schnell!“ Shino stieß ihm den Ellbogen in die Rippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Zu spät. Die Schritte waren stehen geblieben. Direkt vor ihnen glaubte Shino eine Gestalt zu spüren. Jetzt oder nie, eine zweite Chance hatte er nicht. Er drückte ab. Der Knall hallte wie ein Peitschenschlag durch das dunkle Hotel. Shinos Ohren klingelten, es stank plötzlich nach Schießpulver. Er lauschte vergeblich, ob er einen fallenden Körper hörte, dann duckte er sich rasch und versuchte neu zu zielen. Es kam aber auch kein gegnerischer Schuss, stattdessen entfernten sich rasche Schritte. Der Unbekannte lief davon, in Richtung Hotelbereich. „Wer war das?“, flüsterte Toto. Shino drehte sich aus der Deckung und zielte in die Schwärze, gab aber keinen Schuss mehr ab. Vielleicht war es besser, Munition zu sparen, als im Dunkeln herumzuballern. Er hob rasch sein Smartphone auf, aber der Angreifer war im Lichtkreis nicht mehr zu sehen. Seine Schritte hatten den Teppichboden im Hotelbereich erreicht und waren längst verklungen. „Und was jetzt?“, fragte Toto. „Wir schnappen ihn uns. Seine Stärke ist die Finsternis. Wenn wir ihn stellen, kann er uns nichts mehr anhaben.“ Er warf einen Blick auf Gaara. Sein Zustand war unverändert, trotz des Schusswechsels. „Wir teilen uns auf. Sie nehmen die Bedienstetentreppe, ich laufe nach vorn zur Haupttreppe. Warum? Weil er dann nicht mehr in dieses Stockwerk kann. Vermutlich versteckt er sich weiter oben, weit weg von der Lounge. Wir laufen nur bis zu den Treppenhäusern und spähen nach oben. Wenn wir schnell sind, kriegen wir ihn. Und Gaara ist auch sicher, wenn wir beide Richtungen abdecken.“ Shino musterte Toto. Der alte Polizist schwitzte. „In Ordnung“, meinte er. „Machen wir es so.“ „Ich muss Ihnen übrigens danken“, fühlte sich Shino verpflichtet hinzuzufügen. „Warum? Weil Sie mir das Leben gerettet haben. Der erste Schuss hat mir gegolten.“ Toto lächelte schwach. „Ich bin immer noch Polizist. Und ich habe, nebenbei bemerkt, Schießausbildung.“ Das stimmte. Shino hatte den Fremden nicht erwischt. Er hatte ihn zwar auch nicht gesehen, aber Toto hatte sogar den davonspringenden Kimimaro getroffen. „Vielleicht …“ Toto räusperte sich unbehaglich und streckte fast schüchtern die Hand aus. „Vielleicht sollte ich wieder die Pistole tragen …“ Shino musterte die Hand, dann die Waffe. „Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ein echter Polizist sie hat.“ Etwas, das wie ein Schuss klang, ließ die beiden Mädchen zusammenfahren. „Was war das?“, hauchte Temari. „Was wohl. Eine verdammte Knarre, das war das! Hoffentlich hat’s den Richtigen erwischt.“ „Aber das klang ziemlich nahe …“ Temari schlich vorsichtig zur Tür. Der Lichtschein darunter veränderte sich kurz, aber sie zögerte, zu klopfen. Und wenn nun Sasori erschossen worden war und der Mörder direkt hinter der Tür stand? „Mach dir nicht ins Hemd. Wahrscheinlich hat dieser Toto mal wieder die Hand nicht stillhalten können.“ Tayuya zerrte noch eine Kiste mit abgelaufenen Medikamenten aus den Tiefen eine Schranks, die achtlos zurückgelassen worden war, und begann auszusortieren. Temari verzichtete darauf, Tayuya dahingehend zu berichtigen, dass der alte Polizist seine Waffe gar nicht mehr haben dürfte. „Nimm einfach die ganze mit“, riet sie. „Wir sind schon länger als zehn Minuten hier. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Rückweg machen.“ Das rothaarige Mädchen sah sie noch einen Moment trotzig an. Dann begann sie seelenruhig weiterzusuchen. Temari riss bald der Geduldsfaden mit ihr. „Hetzen bringt nichts“, erklärte Tayuya. „Man bricht sich in der Dunkelheit höchstens den Hals. Genieße einfach das Adrenalin. Beste Droge, die es gibt. Und ein bisschen Abhärten täte dir auch ganz gut.“ Temari verkniff sich jede Antwort und starrte sie nur böse an. Plötzlich fielen weitere Schüsse, und jedes Mal zuckte sie zusammen. Da draußen war sicherlich die Hölle los, und wer konnte schon in die Schießereien verwickelt sein außer … Als sie schließlich mit einem entnervten Stöhnen an den kleinen Haufen nützlicher Dinge trat, alles in ein Dreieckstuch wickelte und mit dem, was nicht Platz hatte, ihre Taschen füllte, gab Tayuya ihren kindischen Trotz auf und hob die Kiste doch hoch. Temari stellte sich seitlich neben die Tür, hielt den Atem an und gab Sasori dann das vereinbarte Klopfzeichen. Die Tür öffnete sich daraufhin einen Spalt. „Alles in Ordnung“, sagte er leise, und sie traten auf den Gang hinaus. „Was war das für ein Lärm?“, fragte Temari. „Hat jemand geschossen?“ „Offenbar“, sagte er leichthin. „Es ist auch jemand hier vorbeigerannt.“ „Was?“ „Es ging so schnell, dass ich nicht rechtzeitig hinterher leuchten konnte. Irgendjemand ist den Flur da vorn entlanggelaufen. Und euer Freund mit der Sonnenbrille ist hinterher, glaube ich.“ „Ich hör wohl nicht recht! Und du hast es nicht für nötig gehalten, uns etwas zu sagen?“, fragte Temari spitz. „Hätte ich das tun sollen? Was hättest du getan, wärst du ihnen auch nachgelaufen?“ „Vielleicht? Shino braucht möglicherweise Hilfe.“ „Er sollte eine Pistole haben“, meinte Sasori achselzuckend. „Ich hielt es für wichtiger, hier die Stellung zu halten. Außerdem habt ihr ein paar Minuten später ohnehin geklopft.“ „Die blöde Fotze wäre sowieso vor Angst zerflossen, wenn du plötzlich weggewesen wärst“, sagte Tayuya eisig kalt. Offenbar war sie immer noch wütend. „Irgendwann reiß ich dich in Stücke“, erwiderte Temari, so sachlich und freundlich es ging. „Lass uns gehen, Sasori.“ Noch viel vorsichtiger als beim ersten Mal schlichen sie durch den kurzen Flur. Als sie den Hauptgang erreichten, behielten sie die Richtung, in der offenbar Shino und der andere verschwunden waren, genau im Blick und bewegten sich fast rückwärts in Richtung Bedienstetentreppe. Kurz vor der Tür, die ins Treppenhaus führte, saß Gaara, an die Wand gelehnt. Er schien ein wenig ruhiger zu sein, raunte aber immer noch gequältes, zusammenhangloses Zeug vor sich hin. Und er war allein. „Verdammt nochmal, sie haben ihn einfach hier zurückgelassen?“, rief Temari. „Ich hätte nicht gedacht, dass Shino so verantwortungslos ist!“ „Gib ihm einfach sein Beruhigungszeug, ja? Du kannst die beiden ja später verprügeln“, schlug Sasori vor. „Tja, leider hab ich keine passenden Medikamente für ihn gefunden. Nur allgemeines Zeug, dass wir vielleicht noch brauchen können“, brummte Temari und trat vorsichtig auf ihren Bruder zu. „Gaara? Wieder alles okay?“ Er sah sie aus dunkel umrandeten Augen an, aber dieser Anblick war nichts Neues. „Temari?“, fragte er. „Ja, ich bin’s. Alles ist gut. Wir gehen zurück zu den anderen, ja?“ Gaara sah sie nachdenklich an, als sähe er sie zum ersten Mal. „Ist gut.“ Mit wackeligen Knien stand er auf. Temari lächelte gezwungen. „Erst regst du dich auf, dass sie ihn allein lassen, und jetzt willst du ohne Toto und Shino gehen?“, fragte Sasori. „Mein Gott, wir bringen erst mal Gaara und die Medikamente in die Lounge und dann stellen wir einen Suchtrupp zusammen! Kommt jetzt!“ Sie warf entnervt die Hände in die Höhe.   (4:15 Uhr) Sechs waren losgezogen, um Schmerzmittel für Sakon zu holen. Als es an der Tür klopfte und sie nur zu viert in die Lounge zurückkehrten, wusste Shikamaru sofort, dass etwas passiert war. Bei ihnen war alles ruhig verlaufen. Nach und nach waren die Verbarrikadierten schläfrig geworden. Auch Ino und Chouji, die immer wieder zu telefonieren versucht hatten, hatten irgendwann mutlos ihre Handys sinken lassen. Nur Sakons wiederholte Schreie hatten sie alle wachgehalten. Shikamaru hatte nichts aus seinen Laptoprecherchen herausbekommen außer Augenschmerzen, und schließlich war der Akku so knapp geworden, dass er das Gerät vorläufig in den Schlafmodus versetzt hatte. Nun, als Temari, Gaara, Sasori und Tayuya zurückkehrten, kam wieder Leben in die Versammelten. Gaara hatte offenbar einen jener Anfälle gehabt, die Temari schon einmal erwähnt hatte. Jetzt saß er schweigend in einer Ecke, fast wie zuvor, aber er wandte niemandem sein Gesicht zu. Der Anfall war auf dem Weg hierher abgeklungen. Vermutlich schämte er sich; genau war das bei ihm nie zu sagen. Temari und Tayuya hatten die Erste-Hilfe-Kammer durchsucht, Sasori hatte davor Wache gehalten. Ein Schuss war gefallen, danach hatte er Shino jemanden verfolgen sehen. Als sie zurückkamen, war auch Toto verschwunden gewesen. Sasori hatte dort, wo Gaara gehockt war, mehrere Einschusslöcher in den Wänden entdeckt. Shino und der Angreifer hatten sich also ein kurzes Feuergefecht geliefert. „Bist du sicher, dass die erste Person, die du gesehen hast, nicht Toto war?“, fragte Shikamaru Sasori. Der zuckte die Schultern, mit einem Gesichtsausdruck, als ginge ihn das alles in Wahrheit nichts an. „Kann sein, dass er es war. Er war viel zu schnell wieder fort, als dass ich ihn richtig hätte anleuchten können.“ Aus Gaara war nichts herauszubekommen; er verweigerte jede Antwort. Shikamaru war sich sicher, dass er reden würde, hätte er etwas Produktives beizutragen. Tayuya verabreichte Sakon einige Tabletten, wobei er nicht wusste, ob die Mittel in dieser Kombination überhaupt gesund waren. Jedenfalls beruhigte sich Sakon bald darauf und schlief ein. Jiroubou beanspruchte eine Couch für ihn und legte ihn darauf. „Vielleicht haben sich Shino und Toto aufgeteilt. Einer pro Treppenhaus“, überlegte Shikamaru. „Die Frage ist nur, ob das was gebracht hat. Wenn der Unbekannte weiß, dass er nicht aus dem Hotel kann, ist er womöglich nicht ins Erdgeschoss gelaufen.“ Es wurde abgestimmt und beschlossen, dass man Toto und Shino suchen sollte. Zwar hatte niemand von ihnen mehr eine Waffe, aber die meisten waren für ihren Geschmack schon viel zu lange untätig gewesen. Asuma, Kakashi und Neji waren auch noch ausständig. Und hier lief womöglich ein Bewaffneter herum, von dem sie nichts ahnten. Es war höchste Vorsicht geboten. Die Lounge schien ein sicherer Hafen zu sein, aber wer auch immer sie verließ, geriet in Gefahr. Vielleicht wurde ihr Sinn für diese Gefahr mit jedem ihrer toten Freunde weiter getrübt, andernfalls hätten sie sich sicher hier verbarrikadiert und die Umherirrenden gelassen, wo sie waren. Shikamaru, Chouji und Naruto erklärten sich bereit, einen schnellen Stoßtrupp zu mimen, das nächstgelegene Treppenhaus zu erklimmen und die Vermissten zu suchen. Wenn Shino oder Toto oder der Unbekannte sich in einem der Hotelzimmer versteckten, würden sie sie sowieso ewig nicht finden. Shikamaru sagte sich, dass der Plan eigentlich Wahnsinn war, aber da er selbst Shino und Toto rausgeschickt hatte, war er ihnen das schuldig.   „Und wieder geht eine aufregende Nacht dem Ende zu. Nun, was hat sich getan?“   - Der Hintere Bezirk, dritter Tag -   (4:25 Uhr) Sie nahmen die Bediensteten-Treppe, um in den dritten Stock zu kommen. Hier hatte sich das Feuergefecht abgespielt. In der Hoffnung, auf Neji, Asuma oder Kakashi zu treffen, stiegen sie noch eine Etage höher. Und wurden prompt mit einem grässlichen Anblick belohnt. Zwei Gestalten lagen reglos auf dem oberen Absatz, drei weitere beugten sich über sie.   „Und wieder war die Nacht eine blutige. Es gibt zwei Leichen.“   „Asuma“, murmelte Shikamaru entgeistert. „Was hat das zu bedeuten?“ Sein älterer Freund drehte sich zu den Neuankömmlingen um und hob abwehrend die Hände. „Es ist nicht so, wie es aussieht.“ Neben ihm standen Neji und Shino, der nickte. Zu ihren Füßen lagen Kakashi und Toto, die beiden Polizisten, in einer gemeinsamen Blutlache.   „Kakashi und Toto sind gestorben. Sie waren beide weder Werwölfe noch Vampire.“   Shikamaru wusste, dass er Asuma vertrauen konnte. Nein – er wollte ihm einfach vertrauen. Er hatte keine Lust, ihn zu verdächtigen, und auch Neji nicht. Genau genommen wollte er gar niemanden mehr verdächtigen, nicht mehr denken! Wieder waren zwei aus ihrer Gruppe gestorben. Er konnte einfach nicht mehr. Shikamaru fühlte sich so ausgelaugt wie noch nie zuvor in seinem Leben. Es war, als tötete der Unbekannte, der sich offensichtlich hier im Hotel versteckte, auch ihn langsam von innen. Shinos Aussage bestätigte den Verdacht, den Shikamaru zuerst gehabt hatte. Nachdem ein schattenhafter Unbekannter sie mit einer Pistole angegriffen hatte, hatten er und Toto Gaara allein gelassen und jeder ein anderes Treppenhaus genommen. Asuma, Neji und Kakashi waren auf dem Rückweg gewesen und hatten im vierten Stock den Schuss gehört. Sie hatten angenommen, einer ihrer Freunde hätte mit Totos Pistole auf einen flüchtigen Unbekannten geschossen und danach dieselbe Idee geboren wie Shino und Toto und sich ebenfalls aufgeteilt. Asuma und Neji wollten im Hotel-Treppenhaus Wache halten, Kakashi in dem für die Bediensteten. So gesehen war es ein idiotensicherer Plan: Sie drei und Shino und Toto würden den Angreifer in die Zange nehmen. Einen fliehenden Feind zu überwältigen war zwar immer noch verrückt, wenn dieser möglicherweise bewaffnet war, aber Asuma und Neji hatten es sich zugetraut, ihn zu überraschen, und Kakashi war immer noch Polizist und trug seinerseits eine Pistole. Nur schien es nicht funktioniert zu haben. Shino, Neji und Asuma hatten sich im Haupttreppenhaus getroffen. Dann hatten sie erneut Schüsse gehört. Laut Shino hatte der Angreifer eine schallgedämpfte Pistole gehabt; offenbar war nur einer der Schüsse, von denen Temari, Tayuya und Sasori berichtet hatten, im dritten Stock abgegeben worden. Die anderen stammten von hier, wo mehrere Kugeln Toto und Kakashi erwischt hatten. Auch sie mussten einander in diesem Treppenhaus begegnet sein – und dem Mörder. „Die Schusswunden sind fast alle am Rücken oder Hinterkopf“, sagte Neji. Er war wieder beherrscht genug, um die Sache nüchtern zu betrachten. Shikamaru hatte den Eindruck, Neji war froh darüber, dass es tatsächlich noch einen Mörder in diesem Hotel gab, jemanden, den er jagen konnte, wie zur Gefälligkeit seiner toten Freunde. „Der Täter hat sie sicher von hinten überrascht.“ „Hm“, machte Shikamaru. „Durchsucht Totos Taschen“, brummte Shino in seinen Mantelkragen. „Warum? Weil Toto eigentlich eine Pistole haben müsste.“ „Wieso das?“, fragte Asuma. Eine Zigarettenspitze glühte vor seinen Lippen im Dunkel. „Ich dachte, Kakashi wollte das nicht.“ „Shikamaru hat mir die Pistole gegeben“, erklärte Shino. „Nachdem Toto mich vor dem Angreifer beschützt hat, habe ich sie ihm zurückgegeben. Im Umgang damit ist er trotz allem versierter als ich. Es scheint aber nichts genützt zu haben.“ Neji klopfte mit spitzen Fingern Totos Kleidung ab. „Nichts.“ Er tat dasselbe bei Kakashi. „Kakashis Pistole ist auch weg. Der Täter muss beide an sich gebracht haben.“ „Dann haben wir ein Riesenproblem“, sagte Asuma düster.   Sie kehrten in die Lounge zurück und brachten bedrückte Stimmung mit. Shikamaru erzählte den anderen ausführlich, was geschehen war. Asuma berichtete schließlich, wie es ihnen auf der Suche nach dem Störsender ergangen war. Kakashi und er hatten das Hotel bis in den zehnten Stock so gründlich durchsucht, wie es ging. Überall waren sie nur auf leere Hotelzimmer, ein paar besondere Bereiche wie eine Spiele- oder eine Massagehalle und die üblichen Räume der Angestellten gestoßen. Wenn es einen Störsender gab, musste er irgendwo zwischen dem elften und neunzehnten Stock versteckt sein – oder sie würden ihn niemals finden. Fürs Erste jedoch schien diese Idee ohnehin in den Hintergrund geraten zu sein, denn Trauer überschattete sie wieder. Shikamaru überlegte, ob es jedes Mal, wenn sie einen ihrer Freunde verloren, weniger schmerzhaft war, ganz einfach weil man sich daran gewöhnte. Er beschloss, dass das nicht sein durfte, um jeden von ihnen war es so schade, dass man gefälligst in Tränen auszubrechen hatte! Auch um Toto tat es ihm leid. Laut Shino war er in seinen letzten Minuten ein Held gewesen. In Shikamarus Augen hatte sich der nervöse Polizist damit rehabilitiert. „Wir sollten es vermeiden, weiter nach dem Sender zu suchen“, sagte Asuma dann. „Kakashi, Neji und ich haben für ein paar Stockwerke ewig gebaucht. Jetzt versteckt sich dort oben irgendwo ein Mörder, der mindestens zwei, wahrscheinlich drei Waffen besitzt. Und wir haben gar keine mehr.“ Er erntete nur schweigende Zustimmung. Sakon schlief, Gaara ging es wieder einigermaßen gut, auch Ino war wieder richtig auf den Beinen, wenngleich die wiederholten Morde sie etwas apathisch hatten werden lassen. Es gab keinen Grund, die Lounge so bald wieder zu verlassen. Es gab eine Toilette hier, in deren Spülkästen immerhin noch Wasser stand. Die Snacks, die Deidara und Sasori gefunden hatten, waren aufgebraucht, aber Hunger war momentan noch kein Problem. Vielleicht kam ganz von selbst Hilfe. Die Frage war nur, wer sie hier suchen sollte … „Nein“, sagte Sasuke plötzlich. Aller Augen wandten sich zu ihm um. Er musterte Asuma eine Weile mit finsterem Blick, dann Shikamaru, als müsste er ihnen etwas klarmachen. „Ihr geht davon aus, dass unser Feind sich irgendwo versteckt. Aber das muss nicht sein. Es kann genauso gut einer von uns der Täter sein.“ „Und wer?“, fragte Naruto überrascht. „Denk nach. Es wäre nicht der Erste aus unserer Mitte, der ein falsches Spiel spielt.“ „Aber es hatten doch alle Leute Alibis – oder nicht?“, fragte Kiba. Shikamaru zwang sich, wieder nachzudenken. Wenn Sasuke recht hatte … dann durfte er auf keinen Fall das Denken vernachlässigen. Wenn ein Mörder in ihrer Mitte war, mit zwei bis drei Waffen … Aber wollte er wirklich schon wieder seine eigenen Freunde verdächtigen? „Einer von uns war es“, sagte Sasuke überzeugt.   „Dann beginnt mit der Nominierung.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)