RaA - Rescue - Rache an Ash von MiyaToriaka (Originalversion nach Franzy S.' Manuskript) ================================================================================ Kapitel 6: Ahnungslos (06./07.07.2007) -------------------------------------- Kapitel 6 - Ahnungslos (06./07.07.2007) „Nein, das kann nicht wahr sein… Misty…“ Immer und immer wieder wisperte Ash diese Worte vor sich hin. Zwar waren sie kaum für andere hörbar, doch für Pikachu war es egal, ob er es hörte oder nicht, er konnte auch so Ashs Schmerz spüren. Zaghaft versuchte er ihn zu trösten und seinen starren Blick, der nach wie vor auf der reglosen Misty klebte, zu lösen. Es sah einfach nur schrecklich aus! Pikachu wollte so gerne, dass er sich zusammen riss und sich auf das Wesentliche konzentrierte, doch… Doch, irgendwie konnte er es verstehen, dass Ash bei diesem Anblick alle Fassung und Beherrschung verlor: Mistys Kleidung hatte Risse. Ihre sonst so rosafarbene Haut war blass, abgeschwächt. Sie wirkte fast gelblich und bläulich durch die kalte Luft und ihrer schlaffen Haltung. Nicht einmal Pikachu konnte sie so sehen. Er hatte Misty lieb. Sie war ebenso auch so viel für ihn. Zwar nicht so viel, wie sie es für Ash war, das wusste er genau – aber er wollte sie nicht so sehen. Es ging ihm einfach gegen sein Ego! „Pika pi…?“, flüsterte Pikachu Ash sanft ins Ohr, als er auf seine Schulter gesprungen war und vorsichtig seine Wange berührte. Ash merkte von alldem nichts. Sicher wollte er seinen kleinen Freund nicht ignorieren, aber er konnte es nicht anders. Momentan konnte er nur eines und das war schreien zu wollen. Er wollte Misty befreien, aber warum verdammt konnte er sich nicht bewegen? Wieso noch mal waren seine Arme, seine Gelenke, seine Muskeln aus Gummi und unbeherrschbar? „Ich hätte dich retten können… Ich hätte dich halten können… Ich hätte dich schützen sollen… WARUM, verdammt, hab ich es nicht getan?!“ Wütend auf sich selbst schlug er beide Fäuste auf den harten Betonboden und ließ erneut dem salzigen Wasser aus seinen Augen freien Lauf an seinen Wangen hinab. „Was hat er nur mit dir gemacht? Was hat dieses Schwein mit dir angestellt?!“ Erbost stieß er sich plötzlich doch vom Boden ab, stand auf und hielt eine Faust vor seinen Körper, dass es Pikachu mit einem Ruck von seiner Schulter hievte. „Wieso bin ich nie da, wenn du mich brauchst? Ich pack es einfach nicht, Misty!“ „PIKA PI!“ WAMM… Das hatte gesessen. Mit der flachen Pfote klatschte das kleine Pokémon dem außer sich geratenen Trainer an seine rechte Wange, dass der Raum kurz in kleinen Echos und Schällen einen Klang von sich gab. Noch im selben Moment landete Pikachu so wie er aufgesprungen war auch wieder leicht auf dem Boden, wendete auch diesem seinen vorwurfsvollen Blick zu. Ash war wie paralysiert. Ja… Pikachu hatte absolut Recht. Was tat er da eigentlich? Wieso schrie er Misty so an? Hatte er sich etwa nicht mehr unter Kontrolle. „Pikachu pika, Pika pi…“ Reiß dich jetzt bitte zusammen… Schwach ließ Ash langsam den Kopf etwas sinken und auch seine Hand wanderte von seiner Wange aus zurück an seine Seite. Schwer nickte er nur und verlor wieder jede Art von Bewegung. Glurak, Starmie und Schiggy schauten nur mitfühlend zu ihrem Trainer. Sie wussten, dass Pikachu am besten mit ihm sprechen könnte und nur wenn sie sich da raushalten würden, könnte er seine volle Aufmerksamkeit auf den Kleinen lenken. Ebenso wussten sie, dass Ash Pikachu mehr als nur vertraute. Plötzlich drehte Pikachu sich ruckartig um. Er hatte das Tapsen des kleinsten Pokémon von ihnen bemerkt und folgte diesem nun mit den Augen, als es sich schnell und unkontrolliert auf Misty zu bewegte. So sehr es sich auch regte und streckte, es reichte einfach nicht an seine Misty heran. „Prui, prui… Toge-PRUUUUUUUIIIIII!“ „Pi pi pi!!“ „Togepi, nicht!“ Gleichzeitig rannten Ash und Pikachu auf das kleine Pokémon zu, das nun erbärmlich anfing lauthals zu weinen und die ganze Halle in einen einzigen Trauersaal zu verwandeln. „Bitte, weine nicht!“ Pikachu schaute ziemlich komisch drein, als er Togepi gerade trösten wollte, Ash ihm zuvor kam und dieses behutsam, richtig zärtlich auf den Arm nahm und es ganz von selbst einmal vorsichtig hin und her wiegte. „Bitte beruhige dich. Ich verspreche dir, wir holen Misty da raus! Ganz bestimmt lassen wir nicht zu, dass ihr etwas passiert. Tu mir bitte einen Gefallen und mach die Situation nicht noch schlimmer als sie ohnehin für uns alle schon ist… OK?“ Sanft und mit Tränen in den Augen starrte er das Pokémon an, das ihm aufmerksam zugehört hatte und alles sogar verstanden zu haben schien. Kurz zuckte sein Stimmchen noch ein bisschen, dann aber nickte es schwer, die letzten Tränen aus dem Gesicht wischend. Erleichtert seufzten Ash und Pikachu kurz auf, anschließend streichelte Ash Togepi noch kurz sanft, bis er sich dem zuwidmete, das er schon vor knapp einer Viertelstunde tun wollte. So wie er es aufgehoben hatte, setzte Ash Togepi auch wieder langsam zurück auf den Boden, so dass sich Pikachu kurzerhand seiner annahm und die Pokémon so wie er selbst besorgt Ash nachstarrten. Dieser ging mit vorsichtigen zielsicheren Schritten langsam auf Mistys Körper zu. Leise schluckte er. Was wollte er denn tun, wenn er bei ihr war? Was sollte er tun, was sagen? Gefühle… Ja, er wollte sich einfach auf sie verlassen. Er würde dann schon wissen, was das Beste wäre. Ihm war es egal. Ihm war es egal, dass seine Pokémon direkt hinter ihm waren und ihn beobachteten. Sie durften es ruhig wissen. Wenn nicht sie, wer dann? Und ja, er wollte es zeigen. Er wusste, dass das ein Junge niemals tun sollte… einfach so seine Gefühle offenbaren, warum auch immer… aber er wollte in diesem Moment nur eines. Und das war für Misty da zu sein. – Es war ihm egal, was andere dabei dachten. Ein einziges Mal wollte er ehrlich sein, ehrlich mit sich selbst. Er wollte das tun, was er fühlte. Inzwischen war er bei Misty angekommen. Nervös biss er die Zähne zusammen, bekam kleine Augen, schluchzte kurz, ballte an seiner Seite seine Hände zu Fäusten und schluckte Tränen bockig herunter. Wenn er stark sein wollte, wenn er sie beschützen wollte, musste er über seinen eigenen Schatten springen und sich einmal auf das konzentrieren, was er machen wollte. Einmal. Dann der erste Schritt. Ganz langsam streckte er seine rechte Hand nach ihr aus, sie zitterte stark und er konnte es nicht unterdrücken. Warum auch? Dafür hatte er jetzt echt keine Zeit! Deutlich spürte er die vielen Blicke hinter seinem Rücken, aber es war ihm egal. Noch einmal zögerte Ash. Dann jedoch berührte seine Hand vorsichtig Mistys Wange. Sie war kalt, eisig… lange nicht mehr so farbenfroh, wie er sie in Erinnerung hatte. Jedoch waren sie genauso weich und zart wie in jener vergangenen Nacht, als sie so im Schlafsack lagen, sich gemeinsam Sorgen machen mussten – und wohl überhaupt die schönste Nacht ihrer bisherigen gemeinsamen Zeit verbracht hatten. Als er dann völlig ungeniert seine zweite Hand auch noch an ihre andere Wange legte, sie kurz unbemerkt sanft streichelte, seine Stirn gefesselt von seinen eigenen Gefühlen an die ihre legte, nachdem er den Kopf vorsichtig zu sich gewendet, sie angestarrt hatte, wollte er seine Gefühle nicht länger verbergen. Er weinte. Unzählige Tränen liefen seine roten Wangen entlang, prallten ab. Manche vermischten sich mit Mistys Gesicht, spiegelten es kurz wieder, prallten dann auch dort ab und fielen zu Boden. „Bitte…“ Immer mehr schob er seinen Körper an ihren heran, wie als wollte er sie wärmen, einfach nur bei ihr sein, sie spüren, sie halten. „Verzeih mir, Misty… Das hab ich nicht gewollt…“ Plötzlich vernahm Ash etwas, was ihn stutzig machte. Jetzt, wo er so nah bei ihr war, und sowohl die Leere im Raum als auch seine Pokémon mucksmäuschenstill waren, hörte er auf einmal gleichmäßige fast unspürbare Laute. Gebannt davon starrte er vor sich hin, legte eine seiner Wangen an die von Misty und konzentrierte sich auf das Geräusch. Daraufhin weiteten sich seine Augen und ein kurzes fassungsloses Lächeln erhaschte sein Gesicht. „Deinen Herzschlag… Ich kann ihn spüren…“ Fast schon überfreudig auf diese Entdeckung legte er einen Finger unter ihr Kinn, sah sie erleichtert an und meinte, sie immer noch anstarrend: „Sie lebt!“ Pikachu spitzte die Ohren. Bis hierher hatte er Ash in Ruhe machen lassen, aber jetzt konnte er sich nicht zurückhalten. Flink sprang er Ash auf die Schulter und beschaute Misty nun aus der Nähe. Auch sein Gesicht erhellte sich schlagartig und er seufzte laut. „Pikachu, sie lebt! Ihr geht es gut… Nun ja – für ihren Zustand, mein ich…“ Die Freude, dass Misty lebte, war nach wie vor groß, jedoch wurde Ash wieder ernst, sah sie an. „Was ist nur passiert? Wieso ist sie verletzt?“ Vorsichtig strich er einmal über ihre etwas lilablaue Wange und das zerkratzte Gesicht. Die Ketten, an der sie hing, hinterließen auf ihrer Haut schwere Druckstellen und färbten sich auch dort rot bis blau. „Wir müssen sie da schnellstens rausholen. Nur wie?“ Während sich alle über diese Frage Gedanken machten, bekamen Ash und Pikachu erneut einen Schreck. Hatte Misty eben kurz rot aufgeleuchtet? Entsetzt starrte Ash Pikachu an, ebenso dieser ihn. Noch im selben Moment schreckte Ash einen Schritt zurück. Misty stöhnte einmal kurz sanft auf, bewegte ihren Kopf und öffnete mehr oder weniger allmählich die Augen. Irritiert blinzelte sie. Man merkte ihr deutlich an, dass das Wort „wach“ bei ihr eine ganz andere Bedeutung hatte, als bei normalen Umständen. Zwar bewegten sich ihre Pupillen hin und her und sie versuchte, sich zu orientieren – aber sie schien irgendwie nicht ganz bei Sinnen zu sein, denn sie sagte weder etwas, noch machte sie ruckartige Bewegungen. Sie starrte einfach nur. „M-Misty…?“ Vorsichtig wagte Ash den ersten Kontakt. Das Mädchen schien ihn kaum zu bemerken, jedoch reagierte sie ein wenig auf die Stimme an sich. „Misty, alles in Ordnung?!“ Jetzt wagte er es doch. Ging auf sie zu, wollte sich schon freuen, wie ein kleines Kind, dass sie aufgewacht war. „Wie geht es dir? Haben sie dich schwer verletzt? Hast du Schmerzen?“ So viele Fragen hätte er an sie gehabt. Er ging wieder dichter an sie heran, legte seine Hände auf ihre Schultern, rüttelte sie ein wenig, versuchte alles, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Sehr schwer aber doch wenigstens irgendwann hob Misty schwach den Kopf und sah endlich in seine Augen. Ash merkte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief, als sich ihre Blicke trafen. Schüchtern lächelte er leicht. „Ich bin so froh, dass du…“ „Wer – bist du…?“ Wie einen starken Blitz stachen Ash diese Worte tief in sein Inneres. Hatte er sich verhört? Träumte er? Nein, sicher war es nur ein Traum… Misty jedoch richtete sich nun etwas mehr auf, auch ihre Augen weiteten sich mehr und sie schien sich nun endlich direkt auf ihn zu konzentrieren. „Wer bist du?“ Sie hatte es noch einmal gesagt. Wieder dieselben Worte. Geschockt ging Ash einen Schritt zurück. Nachdem er sich wieder etwas gefangen hatte, legte er eine Hand auf seine Brust, versuchte es noch einmal mit Lächeln und meinte schwer mit zittriger Stimme: „Aber – Misty, ich bin’s doch… Ash… Erinnerst – du dich nicht?“ Bei dieser Geste merkte Misty zugleich, dass sie sich nicht bewegen konnte und reagierte etwas panisch. Sie riss die Augen auf und drückte sich etwas an die Wand. „N-Nein…“ Nun schauten sich beide gleich erschrocken an. Das Mädchen konnte sich nicht helfen, sie kannte diesen Jungen nicht, sie wusste nicht, woher er kam, was er von ihr wollte und warum er ihr vorhin so nah war und doch… Jetzt wo sie nachdachte, fiel ihr auf, dass seine Nähe für sie doch etwas Normales zu sein schien. Aber – wieso reagierte sie dann so seltsam darauf, warum so verängstigt? Ash spürte durch Mistys Blicke erneut einen tiefen Schmerz in seiner Brust. Er wusste nicht, warum und woher er kam – aber er realisierte deutlich, dass es ihm derartig nahe ging, dass er weinen wollte. Doch er konnte doch jetzt, wo er Misty wiedergefunden hatte, sie lebte und sie sich ansahen, nicht einfach anfangen zu weinen… Wie würde sie sich denn dann fühlen? „Bist du dir da ganz sicher?“, fragte er sie still hoffend gezielt noch einmal. „Ich… ich weiß nicht…“ Wieso…? Ash verstand es einfach nicht. Lag es an ihren Verletzungen, dass sie ihn vergessen hatte? Tat sie das, um es ihm heimzuzahlen, dass er sie verleugnet hatte, wo er am meisten hätte zu ihr stehen sollen? Verdammt, nein, so trotzig kann doch nicht einmal Misty sein! Sie würde ihm so etwas doch niemals antun. Ash war sich da ganz sicher. Es musste also doch an ihren Verletzungen liegen. „Lass mich dir helfen!“ Sanft lächelte er sie plötzlich an. Sogar Pikachu sah ihn daraufhin überrascht an, der extra die ganze Zeit nichts gesagt hatte, sondern einfach nur die beiden hatte sprechen lassen. „Mir – helfen? Wobei?“ Wieder legte Misty ihren Kopf Richtung ihrer Schulter, so dass sie Ash richtig misstrauisch von der Seite beäugte und nur aus einem bestimmten Augenwinkel jeder einzelnen seiner Bewegungen folgte. „Na, dich hier rausholen! Muss doch ziemlich unbequem sein, so eine Pose, findest du nicht?“ Pikachu ließ die Kinnlade fallen. Was war denn in Ash gefahren? Wieso war er plötzlich so locker? Erneut ging Ash einen Schritt wieder auf Misty zu, die ihre Beine etwas aneinander kniff. „Wäre das in Ordnung? Oder ist es dir lieber, wenn ich weg bleibe?“ „Bleib besser, wo du bist… Ich hab ein ungutes Gefühl…“ „Warum?“ Verwundert legte Ash den Kopf schief und schielte sie an. „I-Ich meine noch zu wissen, dass es nicht gut wäre, wenn du mir zu nahe kämst…“ Wie bitte? Was sagte sie da? Sie meinte sich an etwas zu erinnern? „An was erinnerst du dich?“ Wie sie es wollte, ging Ash wieder ein paar Schritte zurück, damit sie sich beruhigen konnte. „Um ehrlich zu sein“, zuckte Misty enttäuscht von sich selbst mit den Achseln, „ich kann es dir auch nicht genau sagen. Ich hab es einfach im Gefühl, verstehst du? Und obwohl ich dich nicht kenne – habe ich das Gefühl, dass ich dich warnen muss…“ Aufmerksam hörte Ash ihr zu und beobachtete sie. Je mehr sich ihre Blicke ineinander vertieften, desto mehr spürte jeweils der eine wie der andere lockerer und vertrauter gegenüber dem anderen wirkte. „Du scheinst nett zu sein… Wie heißt du?“ Mit einer sanften kleinen Röte und leicht verträumten konzentrierten Augen sah sie Ash intensiv an. Auch ihre Haltung schien nun endlich mehr Vertrauen ihm gegenüber zu bringen. Ash lächelte sanft. „Ash… Ash Ketchum.“ „Ash…“ Misty nickte kurz. „Woher – kennst du meinen Namen? Du hast ihn vorhin erwähnt.“ Ash stutzte. Ob er Misty jetzt einfach so sagen sollte, dass sie schon ewig zusammen rumreisten, sich besser kannten als Bruder und Schwester – und dass sie füreinander mehr fühlten, als sie es vielleicht gewollt hatten? „Ich… Also weißt du…“ Kurz ließ Ash den Kopf sinken, schaute zu Boden. „Das wird für dich jetzt komisch klingen, aber…“ Er musste sie einfach dabei ansehen. „Wir beide – kennen uns eigentlich schon ziemlich lange. Gestern aber wurdest du entführt und zwar hierher. Ich weiß nicht, wieso und was dir passiert ist – aber seit diesem Tag hast du deine Erinnerung verloren.“ Neugierig und auch etwas aufgeregt besah Misty den schwarzhaarigen Jungen aufrichtig. Sie studierte ihn schon fast und versuchte seine Geschichte in die Realität umzusetzen. „Es tut mir Leid…“ Ash wollte sich beschämt von ihr wegdrehen, als… „Nein, das muss es nicht! Ich glaube dir…“ Überrascht wirbelte Ash mit dem Oberkörper zu ihr zurück und sah sie gebannt an. Vertraute sie ihm etwa? „Ich weiß nicht, warum und wieso – aber irgendwas sagt mir, dass ich dir vertrauen kann und – dass du etwas ganz Besonderes bist…“ Mit einem Mal wurden beide rötlich um die Wangen, mussten sich auch kurz etwas voneinander wegdrehen. „Woher – willst du das wissen? Ich bin dir doch völlig fremd…“ „Anfangs schon, aber jetzt… Wo du das gerade erzählt hast, da hab ich gespürt, dass da irgendwas ist, was mich glücklich, fröhlich und vertraut gestimmt hat und ich…“ Wieder trafen sich kurz die Blicke. Und für einen kurzen Moment war es trotz der Entfernung totenstill. Bis Misty sich verlegen räusperte und dann etwas mutiger meinte: „Also, was ist jetzt? Hilfst du mir oder nicht?“ Stutzig starrte Ash sie an. Wieso das denn auf einmal? „Weißt du, die Haltung hier wird langsam wirklich etwas unbequem…“ Peinlich berührt grinste sie kurz übers ganze Gesicht und Ash wäre wohl umgeknickt, wenn diese Situation nicht so todernst wäre. „Du hast gesagt, du vertraust mir, nicht wahr?“ Verdutzt blickte das Mädchen kurz auf, nickte dann aber einmal direkt. „Gut, dann erschreck dich jetzt nicht, ok? Ich bin bei dir…“ Verlegen merkte Misty, wie sie bei dem letzten Satz etwas rot wurde. Sie konnte sich nicht erklären, warum, aber es war definitiv so. „Glurak?“ Ash bat sein Pokémon zu sich. „Meinst du, du kannst die Ketten aufschlitzen?“ „Glu!“, nickte dieser und baute sich vor Misty auf. Diese fuhr erschrocken zusammen. „Hab bitte keine Angst! Glurak wirkt zwar groß, aber er ist ganz sanft.“ „I-Ich sagte, ich vertraue dir und das tu ich auch, klar?!“ Auf diese Aussage hin musste Ash kurz lächeln. Auch, wenn sie ihr Gedächtnis verloren hatte, so war ihr Temperament immer noch dasselbe geblieben. „OK, Glurak, Schlitzer!“ Mit vier fast unbemerkbaren Prankenhieben zerschnitt Glurak die vier Ketten, die Misty an der Wand festgehalten hatten. Zwar kam Misty auf beiden Beinen auf dem Boden an, jedoch hatte sie wohl schon zu lange dort gehangen, um sich komplett halten zu können. „WAAH!“ „VORSICHT!“ Schnell fing Ash sie auf – und gleichzeitig bemerkten beide, was eben passiert war. Beide kauerten auf dem Boden und während Ash Misty im Arm hielt und etwas mehr als nur schüchtern auf sie starrte, tat sie genau dasselbe, nur, dass sie zu Boden blickte. Nachdem sich die zwei erholt hatten und Ash merkte, dass Misty langsam wieder zu Kräften kam, ließ er sie vorsichtig los. „Alles in Ordnung?“ „Ja… geht schon…“ Dann wagte sie doch kurz einen Blick auf den seinen, wendete sich aber schnell wieder ab. „D-Danke…“ Dabei schaute sie zu Glurak, der wieder ein Stück weggegangen war. „Glu“, meinte dieser nur etwas gelangweilt. „Dann ist ja gut.“ Erleichtert seufzte Ash einmal. Als er seine Augen wieder öffnete, bemerkte er, dass Misty ihre Hände begann zu begutachten. Die Handgelenke waren rot angeschwollen und blaue Flecken unterstrichen die Stellen, an der sie gefesselt war. „Geht’s?“ Schon streckte Ash seine Hand aus und wollte danach fühlen. Misty war so perplex auf diese Reaktion, dass sie ihn nur anschauen konnte. – Wieder durchströmte sie bei seinem Anblick so ein Gefühl… Voller Vertrauen, voller Hoffnung – und wie nannte man das? Sehnsucht…? „E-Entschuldige!“ Schnell zog Ash sie zurück. „Das – ist OK, wirklich…“ Als danach wieder Stille zwischen den beiden einkehrte, tapste ein kleines eiförmiges Pokémon direkt vor Mistys Füße. Es stellte sich vor die am Boden Kniende und hüpfte fröhlich auf und ab mit einem Grinsen auf dem Gesicht. „Togepi, prui!“ „Hm?“ Misty sah das Kleine verdutzt an. „Ist was?“ „Toge, toge!“ Bei diesem Strahlen musste Misty lächeln. Auch dieses Pokémon und seine Gesten erweckten in ihr ein sehr schönes Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. „Na, mein Kleines, wer bist denn du?“ Obwohl Misty es nicht kannte, wirkte das Pokémon immer noch glücklich auf sie. Togepi schien es wohl nur wichtig zu sein, dass Misty lebte und gab sich mit dieser Erkenntnis mehr als zufrieden, während Ash und Pikachu entsetzt feststellten, dass Misty sogar das, was ihr am Allerwichtigsten war, vergessen hatte: Ihr kleines Baby-Pokémon, das sie wie einen Augapfel hütete, nachdem sich das Kleine für sie als Mama und nicht Ash als Papa entschieden hatte. Das, was Ash und Misty auf irgendeine Weise miteinander verband, weil es zwar Ashs Pokémon war, er es ihr aber mehr oder weniger freiwillig in die Obhut geben musste. „Pika pi…“, sah Pikachu Ash mitfühlend an, dem mehr als bewusst wurde, was gerade vor sich ging. „Ja, ich weiß, Pikachu. Wir müssen ganz von vorne anfangen…“ „Chu…“ Ob Misty sich wohl jemals wieder an irgendetwas erinnern können würde, was vor ihrem Aufenthalt hier in der Arena geschehen war? Würde sie sich jemals daran erinnern können, wie sie all ihre Pokémon, Freunde und vor allem Ash und Pikachu getroffen hatte, wie sie zu Togepi gekommen war und wer sie für es selbst war? „Ich hab Angst…“ Rasch musste sich Ash von Misty abwenden, sonst hätte sie vielleicht seine Tränen gesehen. „Chu!“ Pikachu starrte ihn erschrocken an. Angst wovor? Davor, dass er Misty verlieren würde? Dass alles nie wieder so sein würde, wie sie es kannten? Dass die Beziehung und die Bindung, die er zu Misty hatte, für immer verloren seien? „Hm?“ Kurz blickte Misty von dem Spiel mit Togepi auf und beäugte Ash aufmerksam. „Hey…“ Vorsichtig rückte sie das kleine Stück Abstand, das sie noch hatte, zu ihm vollends auf und kam ihm überraschend nahe. „Was hast du denn?“ „Nichts, alles OK, ich…“ Ash zuckte. Was geschah hier? Misty hatte vorsichtig ihm eine Träne von der Wange gewischt. Schüchtern wendete er sich ihr zu und wagte einen Blick in den ihren. Nach ein paar Sekunden, die für beide hätten ewig halten können, realisierte Misty, was sie eben getan hatte. „E-Entschuldige!!“ Blitzschnell drehte sie sich weg. „Es tut mir Leid! Aus irgendeinem Grund tut es mir verdammt weh, wenn du leidest… Das ist, als wäre ich es selbst, die da leidet…“ Errötet und berührt von ihren Worten hob Ash vorsichtig eine Hand und fühlte an seine Wange. Ihm kam das alles so bekannt vor… – Und Misty schien sich auch irgendwo zu erinnern, sonst hätte sie nicht so vertraut reagiert. Sanft lächelte er tapfer. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin froh, dass du das gemacht hast und dass du so ehrlich zu mir bist.“ „Noch mal danke, dass ihr mich befreit habt.“ Misty war mindestens genau so aufgeregt wie Ash, wenn nicht noch mehr. Sie kannte diesen Jungen doch überhaupt nicht, wieso machte sie dann so etwas? „Das war selbstverständlich, also musst du dich nicht bedanken.“ „Nein, das war es nicht. Jemand anderes wäre weggegangen und hätte weggesehen.“ „Das hätte ich nicht können.“ Neugierig wagte Misty nun doch wieder einen Blickkontakt zu Ash. „Warum nicht?“ Ash wartete einen Moment. Dann lächelte er lieb und sagte: „Weil du mir sehr wichtig bist.“ Misty zuckte zusammen. Ihr wurde schlagartig bewusst, wie sehr sie Ash weh getan haben musste, als sie vor wenigen Minuten ihm gesagt hatte, dass sie ihn nicht kenne. Verdammt noch mal, wenn sie so ein wichtiger Mensch für ihn war – war er das dann vielleicht auch für sie? Aber warum konnte sie sich dann nicht erinnern, warum nur?! Wer hatte ihnen das angetan? Was war passiert? Misty spürte mit einem Mal, wie sie sich dafür hasste. Sie hasste sich dafür einfach alles vergessen zu haben, was ihr vielleicht wichtig war und vor allem – was Ash vielleicht wichtig war. Sie wusste ja nicht einmal, wer sie wirklich war und wie sie überhaupt war, welches Ego sie hatte. Sie wollte nur eines. Sich entschuldigen. Mit einem Mal hing sich Misty an Ashs Hals, drückte ihn fest an sich. „Es tut mir so leid…“ „W-Weinst du?“ Wieder einmal war Ash in eine Situation geraten, mit der er sich überhaupt nicht auskannte. In ihm lebte eine Erinnerung auf. Gestern – am Fluss… Das Déjà Vue war für ihn unverkennbar. Genau dieselben Worte, dieselbe Situation hatten sie gestern schon einmal erlebt, als sie ganz allein waren, als sie kurz davor waren, sich sehr nahe zu kommen. Misty… Da war es wieder. Die Gefühle, die ihn fast erdrückten, weil er sie nicht loslassen konnte. Doch er WOLLTE sie loslassen. Sanft drückte er sie an sich, dann ganz fest. Er roch an ihr, merkte, wie sie wie er aufgeregt atmete und sie sich einfach nur nahe waren. Und das obwohl – sie in Wahrheit doch einfach nur sehr gute Freunde waren. „Vielen Dank, Misty. Das werde ich dir nie vergessen…“ „Tut mir leid, dass du meinetwegen so leiden musst.“ „Das tu ich nicht, ich…“ Langsam lösten sich die beiden aus ihrer Umarmung, wischten sich beide die Augen etwas trocken und lauschten den Lauten des kleinen Pokémons, das neben ihnen piepste. „Toge, toge prui!“ „Ja, was hast du denn?“, fragte Misty es. Daraufhin hüpfte Togepi ihr auf den Schoß. „Was…?“ Gleich danach geschah etwas, das weder Ash, noch Pikachu, noch Misty sonst wann in ihrem Leben gesehen hatten: Togepi begann mit psychokinetischen Kräften Mistys Wunden zu heilen. Da blieb nicht nur Misty der Mund offen stehen, sondern auch allen anderen. „Ash, was tut es da?“ „Ich hab – keine Ahnung… Ich sehe das auch zum ersten Mal… Ich wusste nicht, dass Togepi so etwas kann!“ Nachdem Togepi von Misty abgelassen hatte, besah sie sich erstaunt. „Das ist unglaublich… Es hat nicht nur die Wunde verheilen lassen, sondern auch der Schmerz ist verschwunden…“ „Prui, prui!“ Togepi hüpfte wie eh und je wie ein Flummi vor Freude. Misty lächelte es sanft an. „Ich danke dir, kleiner Freund.“ Lieb streichelte es Misty kurz mit dem Zeigefinger über die Stirn. „Weißt du…“, begann Ash vorsichtig, als er sich Misty und Togepi zuwendete, „Togepi hilft dir nicht nur, weil es dich kennt, sondern weil du für ihn etwas ganz Besonderes bist.“ „Etwas ganz Besonderes?“ Ash nickte einmal und biss sich kurz auf die Unterlippe. „Es hält dich für seine Mama. Und das warst du früher für es auch – verstehst du?“ „Das Kleine… gehört zu mir?“ Verdutzt schaute sie das kleine hüpfende Etwas an. „So ist das also…“ „Keine Sorge. Du hast wirklich alle Zeit der Welt dich wieder zu erinnern. Aber zuerst müssen wir hier raus! So lange wir hier sind, sind wir vor nichts und niemandem sicher.“ Misty nickte ihm energisch zu. Ihr war dieser Ort auch unheimlich. Während Ash und seine Freunde so vertraut auf sie wirkten, machte dieser Raum ihr mehr als nur einen eiskalten Schauer über den Rücken. „Kommt, lasst uns die anderen suchen und dann verschwinden wir hier!“ „Die anderen?“ „Ja, unsere Freunde. Die Menschen, die dich entführt haben, haben auch all unsere Gefährten und Freunde gefangen.“ „Du meinst, es gibt noch mehr?“ „Mhm. Allerdings.“ Schon wieder wurde Misty bewusst, wie sehr es sie selbst anfing zu schmerzen, dass sie wirklich überhaupt nichts mehr wusste, nicht mal ein winzig kleines bisschen. Nicht einmal ein Hauch davon. Aber wieso hatte sie denn dann eines nicht vergessen? Ihren Namen… „Komm jetzt!“ Ohne groß zu überlegen, nahm Ash Misty am Handgelenk, zog sie so sanft es ging auf die Beine und wollte mit ihr Richtung Ausgang rennen, als sie von einer großen Luftwelle zurückgeschleudert wurden und hart mit dem Rücken auf dem Betonboden landeten. Sofort schlugen bei Pikachu, Glurak, Starmie und Schiggy die Alarmglocken und stellten sich gebannt vor dem, was kommen würde, vor die zwei am Boden Liegenden auf. „Was? Ihr wollt schon gehen?“ Pikachu fing an zu knurren. Kleine Blitzfunken zuckten aus seinen roten Wangen und auch Glurak tat es ihm gleich und ließ ein paar Flammen auflodern, während das Feuer auf seiner Schwanzspitze etwas größer wurde. „Das ist aber sehr schade…“ „Wer ist da?!“, fragte Ash gereizt und sprang auf, stellte sich der Stimme wie seine Pokémon mit geballter Faust und Spannung in jedem Muskel seines Körpers. Vor ihnen erstreckte sich eine große Rauchwolke, aus der allmählich drei dunkle Gestalten zu erkennen waren. „Wir hatten gehofft, ihr bleibt noch ein bisschen“, säuselte nun eine männliche Stimme, die tiefer war als die weibliche davor. „Team Rocket!“ Ash brauchte nun wirklich nicht mehr lange herumzuraten bis er dieses Chaotentrio aus tausend anderen heraus erkennen würde. Wütend biss er die Zähne zusammen und schaute dennoch etwas erstarrt auf sie, als sie vollkommen zu sehen waren und ihr mieses Grinsen vermischt mit einem ebenso fiesen Lachen den Raum durchschallte. „Was für ein Wiedersehen, Knirps. Bist wohl in Lichtgeschwindigkeit hier her gekommen, nur um deine ach so geliebte kleine Knirpsin zu retten…“ Leise kicherte Jesse kurz. „Nicht einmal Giovanni hatte derartig früh mit dir gerechnet. Aber im Grunde genommen, kann es ihm egal sein, denn er ist dir immer einen Schritt voraus.“ Ash war total überrumpelt. Nicht nur die Art und Weise wie die drei plötzlich redeten, machten ihn komplett perplex, sondern noch mehr ihr Aussehen. Sie hatten plötzlich pechschwarze Team-Rocket-Kleidung an, kein bisschen weiß mehr, dafür umso stärkeres dunkles Rot. Und nicht nur die Kleidung war es, noch schlimmer – waren die Augen. Sie waren ebenfalls Blutrot und zeigten keinerlei Lichteffekte mehr, ebenso wenig glänzten sie oder zeigten in irgendeiner Weise, dass sie lebten. „Was – ist passiert?“ „Pika…!“ Sogar Pikachu und den anderen Pokémon waren die neuen Gesten, die Ausstrahlung und die anderen Veränderungen aufgefallen und wussten dementsprechend nicht, wie sie sich verhalten sollten. Waren das wirklich noch ihre alten Gegner, ihre Feinde, die sie vielleicht gar nicht mehr wirklich als solche angesehen hatten, sondern sie eher nur eine kleine Unterhaltung für Zwischendurch waren? „Pika pi!“, warnte Pikachu Ash mit einem mehr als nur besorgten Blick und Ash verstand. Sie hatten es hier mit etwas zu tun, was ihnen mindestens genau so fremd war wie Mistys Verhalten. „Ihr habt doch wohl nicht ernsthaft geglaubt, dass wir euch mit unserem neuen Teammitglied einfach so abhauen lassen?“, lachte Mauzi laut und unbeherrscht. „WAS?!“ Ash wurde kreidebleich und riss geschockt die Augen auf. Meinten sie DAS etwa mit dem Experiment, das sie an Misty ausprobieren wollten? Nein, das konnte einfach nicht sein! Misty würde es niemals zulassen, dass man ihr ihren Willen nimmt. Auch ohne Gedächtnis war sie doch wie eh und je…! „Ihr Narren, hütet eure Zungen!“, ertönte plötzlich eine laute Stimme, die Ash zusammen zucken ließ und er irritiert um sich blickte. „Endlich!“ Wieder erschallte ein hämisches Lachen. „Endlich begegnen wir uns persönlich - Ash Ketchum aus Alabastia!“ … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)