Mirrors World - Dornenfluch von CharleyQueens (Winterwichteln 2012/13) ================================================================================ Kapitel 3: Hexenschwestern -------------------------- „Du bist eine Hexe!“ Christopher fing den bewusstlosen Erik auf, ehe dieser zu Boden stürzte. Mit einem Arm hielt er den Jungen fest, mit dem anderen deutete sein Schwert auf die Frau, die nun langsam auf sie zukam. „Warum hast du uns geholfen?“ „Nun, weil ihr in Not wart“, entgegnete sie ruhig und Christopher konnte das weiße Band sehen, welches sie unterhalb ihrer Brust um ihren Umhang geschlungen hatte. Dieses Band zeichnete sie als weiße Hexe aus. Eine Hexe, die sich der guten Magie verschrieben hatte, doch was machte so eine Hexe hier im Düsterwald? Das war normalerweise ein Ort für böse Hexen, Kinderfresserinnen und ähnliche. Verwundert erkundigte sich Christopher danach. „Nun, ich bin auf der Durchreise und hab mich entschlossen, meiner Schwester einen Besuch abzustatten. Nächsten Monat findet die Hexenkonferenz statt! Mein Name ist übrigens Perona. Ich bin eine weiße Hexe der Geistermagie“, erklärte sie und senkte ihre Kapuze. Darunter kamen rosafarbene Haare zum Vorschein, welche zu Korkenzieherlocken geformt waren. „Und was macht ihr beide zu dieser späten Stunde hier? Es ist nicht gerade sehr ratsam, nachts einen Düsterwald zu durchqueren!“ „Das ist mir schon klar. Ich bin auf der Suche nach deiner Schwester!“, erklärte Christopher und als die Hexe ihn fragend anblickte, erzählte er die Geschichte von Anfang an. „Und du sagst also, Erik sei einfach so vom Himmel gefallen!“ Inzwischen hatte sich die Hexe zu ihm gesellt und sie hatten sich auf den Boden gesetzt. Sie betrachtete den bewusstlosen Jungen nachdenklich. „Ich spüre eine merkwürdige Aura an ihm. Er kommt nicht von hier, leider habe ich keine Ahnung, woher er stammt. Dieser Junge ist für etwas Besonderes bestimmt. Und du willst meine Schwester also nach der Schlafenden Schönheit fragen?“ Sie blickte den Prinzen neugierig an. Dieser nickte. „Ja, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich sie dazu bringen soll, mir davon zu berichten.“ „Nun, normalerweise würde sie ein Menschenopfer fordern. Meine Schwester bevorzugt Kinder, aber mit deinem Freund würde sie auch zufrieden sein“, erklärte die Hexe ruhig. „Natürlich kann ich verstehen, dass du deinem Freund so etwas nicht antun kannst. Deswegen werde ich meine Schwester danach ausfragen!“ „Du würdest das wirklich riskieren?“ Christopher blickte sie fragend an. „Auch wenn wir auf zwei unterschiedlichen Seiten stehen, so sind wir doch Schwestern. Und wir würden uns niemals betrügen oder anlügen. So ist das Uralte Hexengebot schon seit Jahrtausenden und keine hat es je gewagt, es zu brechen. Ich weiß, dass meine Schwester mir alles verraten wird, was sie darüber weiß. Auch wenn sie böse ist, ich liebe sie!“ Die Hexe legte eine Hand auf Eriks Stirn. „Ihr Haus liegt gleich hinter den Bäume dort. Bleibt hier und ich werde einige Geister heraufbeschwören, die euch vor Gefahren beschützt. Um ihn brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er ist einfach nicht mit der Situation klargekommen. Er dürfte bald wieder aufwachen!“ Christopher nickte zustimmend. Irgendwie fühlte er sich für den Fremden verantwortlich. Dieser war kein Adliger, auch kein Kämpfer, doch etwas anderes war an ihm. Der junge Prinz spürte einfach, dass es besser war, wenn der Junge ihn begleitete. Zwar gab er sonst nie etwas auf sein Bauchgefühl, aber heute entschied er sich mal darauf zu hören. Außerdem, wenn der Typ ihn begleitete, würde Christopher jemanden haben, der sein Schwert trug und den er durch die Gegend hetzen konnte, wenn er etwas brauchte und selbst zu faul war, sich darum zu kümmern. Und selbst wenn er nicht kämpfen konnte, ein Prügelknabe war immer gut zu gebrauchen. Perona stand auf und klopfte den Staub von ihrem Umhang. Auch Christopher erhob sich automatisch und blickte der jungen Magierin dabei zu, wie sie einige Geister beschwor. Die blassen formlosen Wesen schwebten kreisförmig um ihn und den Jungen herum und sangen dabei leise etwas in einer fremden Sprache. „Ich werde am Morgengrauen wieder hier sein. Ihr dürft den Kreis nicht durchbrechen, denn dann wird meine Schwester euch sofort bemerken!“, bemerkte Perona noch einmal, dann trat sie selbst aus dem Kreis heraus. Mit ihrem Eichenstab strich sie über die Baumreihe, welche sich sofort öffneten und den Blick auf ein Lebkuchenhaus freigaben. Bei dem Anblick lief Christopher das Wasser im Munde zusammen. Der Zaun rund um das Haus war aus Zuckerstangen gebaut und das Haus selbst aus Brot mit Lebkuchen als Dachziegeln. Die milchigen Fensterscheiben waren aus reinem Zucker und als Zierde waren Bonbons und andere Süßigkeiten in die Fassade eingebaut worden. Der junge Prinz kannte die Geschichten von den Lebkuchenhäusern nur von seinem Großvater, der als Junge Jagd auf eine Hexe gemacht hatte, nachdem diese seine Schwester in eine Falle gelockt und gegessen hatte. Nun sah er zum ersten Mal selbst eins. Am liebsten würde er hinrennen und etwas davon naschen, doch sein Wille war stärker und er widerstand dem Drang. Perona setzte wieder ihre Kapuze auf und lächelte dem Prinzen noch einmal zu, bevor sie dann auf das Haus zuschritt und sich die Bäume wieder verschlossen. „Erik … kannst du mich hören? Erik! Hörst du mich, Erik?“ Er schlug die Augen auf. Ein lächelndes Gesicht tauchte vor ihm auf. Verwundert setzte er sich auf und blickte sich um. Doch der dichte Nebel versperrte ihm die Sicht und so blickte er wieder zu der fremden Gestalt, die ihn geweckt hatte. „Wer bist du?“, fragte er verwirrt. „Ich bin eine Freundin!“, erwiderte das Wesen mit einer zarten, liebvollen Stimme. „Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen. Du sollst wissen, dass es einen bestimmten Grund gibt, weshalb du in der Welt der Märchen gelandet bist!“ „Das Ganze da ist also wirklich…“ Er verstummte und fragte sich in Gedanken, wer von ihnen verrückter war. „Nun, für uns ist es eine ganz normale Welt. Du nennst sie Märchen, weil du sie nicht anders kennst.“ „Also, diese ganzen Geschichten von Aschenputtel und Hänsel und Gretel und so sind alle wahr?“ Er blickte sie irritiert an. Es war eindeutig diese fremde Gestalt, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. „Nun ja, mehr oder weniger. Einiges hat sich nicht ganz so abgespielt wie du es kennst und anderes hat sich sogar geändert. Doch Fakt ist nun, dass du hier gelandet bist. Sag mir, willst du wieder in deine Welt zurückkehren?“ Sie blickte ihn herausfordernd an. „Ich sehe keinen Grund darin, hierzubleiben!“, entgegnete Erik. „Dann sei dir gesagt, dass du die schlafende Schönheit finden und ihren Fluch brechen musst. Dann kannst du in deine Welt zurückkehren!“, sprach die Gestalt und wurde dabei immer mehr von den Nebelschwaden bedeckt. „Etwa Dornröschen?“, rief Erik aus und wollte ihr nachrennen, doch da wachte er plötzlich auf. Sie klopfte genau fünfmal an die Tür. Dreimal mit kurzer, zweimal mit langer Pause. So konnten sich Hexen zu erkennen geben, wenn sie eine andere Hexe besuchten. Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine hochgewachsene, schlanke Frau trat heraus. Vom Aussehen her schien sie etwas älter wie Perona selbst zu sein, doch so genau konnte die junge Hexe das nicht sagen, denn die meisten Magierinnen benutzten Zauberei, um ihr wahres Alter zu verbergen. Die schwarzhaarige Hexe vor ihr trug ein langes, dunkelblaues Kleid mit brauner Korsage und einem schwarzen Cape. Perona lächelte, als sie ihre Schwester sah. Eigentlich waren sie nicht wirkliche Schwestern – sie nannten sich nur so. „Perona!“ Die Schwarzhaarige war überrascht, die junge Hexe hier zu sehen. „Was machst du denn hier?“ „Ich bin auf der Durchreise und dachte mir, wenn ich schon einmal hier bin, kann ich auch mal meine liebe Schwester Megan besuchen“, erklärte sie und trat ein, als die andere Hexe zur Seite trat. Drinnen sah es aus wie im Schlaraffenland. Auf den Tischen stapelten sich Süßigkeiten, Pudding, Kuchen, Kekse, gebratenes Fleisch, Schokolade, Gemüse, Soßen, und, und, und. „Erwartest du jemanden?“, fragte Perona an die ältere Hexe gewandt. Die schwarzhaarige Schönheit zuckte mit den Schultern. „Ich könnte mal wieder was zum Essen gebrauchen. Ein paar kleine Bauernkinder, natürlich schön gemästet vorher. Das letzte hat doch etwas zu zäh geschmeckt!“ Megan lächelte dabei gedankenverloren, während Perona einen Würgereiz vortäuschte. „So etwas ist eklig!“, meinte sie. „Meg, hast du es dir wirklich überlegt? Du kannst immer noch auf die richtige Seite wechseln. Dein Leben im Einklang mit der Finsternis und der Zerstörung zu führen kann nicht richtig sein.“ Perona hatte schon öfters versucht, sie dazu zu überreden. „Und, weshalb ist deine Seite die richtige?“ Meg hob fragend eine Augenbraue an. „Bloß, weil es jedem Kind in die Wiege gelegt wird, dass Menschenessen böse ist? Weil es einem von klein auf eingetrichtert wird, muss es doch nicht gleich stimmen? Es ist einfach nur eine andere Sichtweise auf die Dinge.“ „Aber du dienst der Finsternis. Denkst du nicht, es ist falsch?“ Perona blickte ihre Schwester flehend an. „Nein, das denke ich nicht!“, entgegnete Meg aufrichtig. „Ich diene der Finsternis, weil ich mich dafür entschieden habe. Als Kind wird dir gesagt, dass du das nicht machen darfst, weil das böse ist. Aber, wenn ein Kind fragt, weshalb etwas böse ist, erhält man nur als Antwort, dass es einfach so ist. Wieso sollte ich mich damit zufrieden geben? Ich bin sicher, es gibt irgendwo Menschen, die es als vollkommen normal ansehen, was bei euch böse heißt.“ Sie schob sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und verschränkte die Arme vor der Brust, so wie sie es immer tat, wenn das Gespräch für sie beendet war. Perona seufzte, blieb jedoch stumm. Es war sinnlos, noch weiter zu diskutieren. „Warum setzt du dich nicht?“, fragte Meg und wie aus dem Nichts erschien ein Stuhl neben ihr, worauf sich die junge Hexe augenblicklich seufzend niedersinken ließ. „Und dann erzählst du mir, was du in den letzten Jahren gemacht hast.“ Meg und Perona hatten sich auf der Hexenakademie kennengelernt. Meg war die Tochter einer weißen Hexe gewesen, Perona war die einer Schwarzen. Die beiden unterschiedlichen Mädchen wurden in ein Zimmer gesteckt und trotz anfänglicher Schwierigkeiten wurden aus ihnen schon bald allerbeste Freundinnen. Perona glaubte, in Meg jemanden zu haben, der ihren Wunsch nach weißer Magie zu streben, verstehen konnte. Immerhin war Megs Mutter eine weiße Hexe vom Hohen Hexenrat. Doch die junge Frau strebte nach etwas völlig anderem. Sie verschrieb sich der dunklen Magie, niemand wusste etwas davon. Erst am Tag ihres Abschluss wurde Meg zur erfolgreich bestandenen Prüfung der dunklen Magie ausgezeichnet. Als dies publik wurde, kam es zu einem großen Streit zwischen Mutter und Tochter, der letztendlich damit endete, dass Megs Mutter ihre Tochter verstieß und sie nicht mehr als ihr eigen Fleisch und Blut ansah. Die große Hexe redete kein Wort mehr mit ihrer eigenen Tochter. Auch Perona war geschockt, doch sie akzeptierte die Entscheidung ihrer besten Freundin. Wenn Meg diesen Weg gehen wollte, war das ihr freier Wille. „Also?“ Meg stellte das Weinglas, welches sie aus dem Nichts hergezaubert hatte, auf den Tisch und leckte sich mit der Zunge über die Lippen. „Was willst du mich fragen?“ „Als ich vor einigen Tagen in einem Gasthof kampiert bin, habe ich mitgekriegt, wie sich zwei Reisende über die Legende der Schlafenden Schönheit unterhalten haben!“, meinte Perona belanglos. „Es heißt, in einem Schloss versteckt hinter einer Dornenhecke liegt eine schlafende Prinzessin, die nur durch einen Kuss geweckt werden kann. Hast du davon schon mal gehört, Schwesterherz?“ Meg nickte langsam. „Ja, aber wieso willst du das wissen?“ „Nun, wenn ich genaueres weiß, kann ich den beiden Reisenden vielleicht helfen. Sie haben mir irgendwie so leidgetan, auch wenn du das nicht nachvollziehen kannst.“ Die Hexe blickte ihre Freundin fragend an, erwiderte darauf jedoch nichts. Einige Minuten verstrichen, erst dann sprach die schwarze Magierin. „Die Legende der Schlafenden Schönheit also. Ich habe davon gehört, doch hielt ich es bisher immer nur für Humbug. Ich sollte dir vorher sagen, dass diese Wanderer es möglicherweise mit Feen zu tun bekommen werden. Vielleicht ist es sogar das Beste, wenn sie die Sache abblasen...“ Perona blickte überrascht auf. Feen waren magische, stolze Naturwesen. Es gab nur wenige von ihnen, doch sie waren die mächtigsten Magieträger von allen. Wer sie um Hilfe bat, verkaufte ihnen seine Seele. Sie beherrschten weiße und schwarze Magie, doch selbst die gute Magie konnte bei Feen einen Nachteil mit sich bringen. „Was haben Feen damit zu tun?“, wunderte sich die Rosahaarige. „Es heißt, dass einem Königspaar einst eine Tochter geboren wurde, zu der sie die dreizehn Feen einladen wollten. Doch aus irgendeinem Grund waren sie gezwungen, die dreizehnte, die schwarze Fee nicht einzuladen und doch tauchte sie auf der Taufe der kleinen Königstochter auf und hängte einen Todesfluch an sie. Eine andere Fee verwandelte diesen Fluch in einen Fluch des Ewigen Schlafes, nur ein Kuss kann die Prinzessin wecken. Doch wenn sie diesen Kuss nicht erhält, wird sie sterben und mit ihr alle Nachkommen, deren Vorfahren die Prinzessin persönlich gekannt haben“, erzählte Meg ruhig. „Du siehst also, es wäre besser, sich aus der Sache rauszuholen!“ „Aber wenn ich es tue, dann werden unschuldige Menschen sterben!“, erwiderte die junge Hexe. „Das kann ich nicht zulassen. Bitte, du musst mir sagen, wie man zu diesem Schloss kommt.“ „Das weiß ich leider nicht“, gab Meg zu und ihre Freundin seufzte enttäuscht. „Jedoch gibt es noch eine andere Möglichkeit. Die Stumme Schwester. Wenn ihr sie findet, kann sie die sieben Raben rufen, Tiere die schon überall waren und alles gesehen haben. Sie können den richtigen Weg finden.“ „Sag, wie finde ich diese Schwester?“, wollte Perona wissen. „Es ist leicht sie zu finden. Du musst bloß in der nächsten Vollmondnacht am Brunnen auf sie warten. Sie wird dort erscheinen, jedoch...“ Meg seufzte und nahm Peronas Hände in ihre. „Die Schwester ist stumm. Es gibt nur eine Möglichkeit, sie zum Reden zu bringen...“ Es war still, als Erik zu sich kam. Sein Kopf war auf Christophers Schoss gebettet, welcher schlafend an einen Baum gelehnt war. Der Junge setzte sich vorsichtig auf und sah sich verwundert um. Wenige Meter vor ihnen schwebten zwei Gespenster. Erik erschrak und rüttelte instinktiv an Christopher, bis diese aufwachte. „Wasn los?“, murmelte er verschlafen und blickte Erik verwundert an. Als er bemerkte, dass dieser aufgewacht war, wurde er plötzlich hellwach. „Wie geht es dir?“ „Besser“, entgegnete er. „Aber hast du gesehen, dass da Geister sind?“ Mit dem Kopf deutete er nach hinten auf die Wesen. „Oh, ach die“, meinte der Prinz abwinkend. „Mach dir keine Sorgen, die sind hier um uns zu schützen.“ Und in kurzen Worten erklärte er Erik, was vorgefallen war. „D-danke, dass du mich nicht einfach liegen gelassen hast!“, meinte Erik lächelnd. „Du hättest mich einfach liegen lassen können.“ Christopher zuckte mit den Schultern. „Dazu gab es jedoch keinen Grund“, meinte er. „Und außerdem, ich brauche noch einen Diener!“ „Ts, vergiss es“, erwiderte Erik. „Als ob ich einfach so dein Diener werden würde. Ich werde dich begleiten und dir helfen, aber dein Diener bin ich nun lange nicht!“ „Wieso sollte ich dich dann mitnehmen?“, hakte Christopher nach. Der Prinz war es nicht gewöhnt, wenn ihm jemand eine Abfuhr erteilte. „Ohne mich wärst du in dieser Welt doch total aufgeschmissen.“ Erik blickte ihn wütend an, doch eigentlich hatte der junge Kronprinz ja Recht. Er musste sich auf Christopher verlassen, denn dem jungen Mann war klar, dass er sich hier niemals zu Recht finden würde. Und alleine konnte er nicht nach dieser Schlafenden Schönheit suchen. Außerdem, der Prinz war auch auf der Suche nach ihr. Es lag also auf der Hand, dass es viel besser war sich zusammenzuschließen. Und trotzdem verspürte Erik gerade eine Riesenlust, dem jungen Prinzen eine reinzuschlagen. Seufzend lehnte sich Erik gegen den Baumstamm und beschloss, ganz einfach die Worte von ihm zu ignorieren. Einfach bis zehn zählen, sagte er zu sich selbst und rief sich ins Gedächtnis, wie oft er schon die Worte seines Vaters ignoriert hatte. Und auch der Prinz selbst ging nicht weiter darauf ein, sondern stellte ihm eine andere Frage. „Sag mal, woher kommst du eigentlich?“, wollte Christopher wissen. „So wie du dich benimmst, so wie du gekleidet bist, stammst du sicherlich nicht von hier.“ „Wenn ich es dir sage, wirst du mich höchstwahrscheinlich für verrückt erklären!“, meinte Erik seufzend. „Aber, wenn du es unbedingt wissen willst, ich stamme aus einer anderen Welt!“ Hier gab es rotsüchtige Wölfe, sich bewegende Bäume, Hexen und Geister. Wieso sollten die dann nicht auch an andere Welten glauben? Doch Christopher lachte nun schallend auf. „Andere Welten, so etwas gibt es doch gar nicht“, meinte er vergnügt. „Erik, du bist wirklich ein lustiger Typ. Wenn diese Sache hier vorbei ist, werde ich dich als meinen persönlichen Hofnarr einstellen!“ Erik erwiderte darauf nichts. „Wenn du mir nicht glauben willst, dann hast du halt Pech gehabt“, meinte er. „Nun ja, liefere mir doch einfach einen Beweis für deine Behauptung“, forderte Christopher ihn auf. „Oder kannst du es nicht?“ Suchend kramte Erik in seinen Taschen herum. Irgendwo hier musste er doch sein Handy haben. Oder etwas anderes. Schließlich hatte er sein Mobiltelefon gefunden und beförderte es hervor. „Was ist das denn?“ Christopher kam neugierig näher. „Ein Beweis, dass ich wirklich aus einer anderen Welt stamme!“, erwiderte Erik. Keinen Empfang, bemerkte er niedergeschlagen. Wäre aber auch zu schön gewesen… „Ein Handy!“, meinte Erik. Es war ein wirklich altes Teil noch mit Tasten, kleinem Bildschirm und dicker wie seine Hand. Jeder in seiner Klasse gab tagtäglich mit seinem neuesten Smartphone an, nur er besaß noch so ein Steinzeitteil. Er hatte sich Geld zusammengespart und sich eins zugelegt, damals als diese Dinger noch total modern waren. Doch die Zeiten änderten sich und es kamen neue Modelle auf den Markt. Teurere Modelle. Und Erik hatte kein Geld, sich so etwas zu leisten. Doch das würde hier schon reichen. „Man kann damit Nachrichten verschicken und mit Freunden reden, die ganz weit weg sind.“ Belanglos klickte er durch die einzelnen Seiten. Einstellungen … Nachrichten … Kontakte … Spiele … Klick! „Oh, und man kann damit spielen!“, fügte er hinzu. „Hier, versuch es mal.“ Die Anfangsmelodie von Snake erklang und der Prinz nahm es vorsichtig in seine Hände. „Was soll ich machen?“, fragte er und drückte auf einige Tasten drauf. „Oh, der Faden ist nach oben abgebogen“, bemerkte er erstaunt und starrte fasziniert auf den Bildschirm. „Du musst die Schlange zu dem blinkenden Punkt führen“, erklärte Erik ihm. „Aber pass auf, du darfst nicht an den Rand geraten und dich auch nicht selbst berühren.“ „Verstanden!“ Christopher lernte schnell, wie das Spiel funktionierte und nach wenigen Minuten erklang die Siegesmelodie. „Wenn du willst, kannst du es behalten“, meinte Erik achselzuckend. „Ich brauche es nicht mehr.“ Christopher blickte mit leuchtenden Augen auf. „Wirklich?“, fragte er überrascht. „Das wäre wirklich toll!“ „Klaro.“ Erik kratzte an seinem Kinn. Hier nützte ihm das Teil doch sowieso nichts. Und gekauft hatte er es eigentlich auch nur, um seinen Vater anrufen zu können, was inzwischen nicht mehr nötig war. „Wie schön, du bist endlich aufgewacht!“, erklang auf einmal eine weibliche Stimme. Erik drehte sich um. Vor ihnen stand eine junge Frau, die einen Eichenstab in der Hand hielt und unter ihrer dunkelgrauen Kapuze blickten rosafarbene Haare hervor. Als sie sich näherte, lösten sich die Geister auf, während ein leichtes Schimmern vom Stab ausging. „Perona, du bist zurück gekehrt!“ Christopher begrüßte sie und Erik wurde klar, dass dies die Hexe sein musste, von der ihm erzählt wurde. „Wie geht es dir denn?“ Sie nickte dem Prinzen zu und blickte Erik besorgt an. „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“ „Mit mir ist alles in Ordnung“, meinte Erik lächelnd. „Ich fühle mich wie neugeboren, ich könnte Bäume ausreißen!“ Bei diesen Worten begann der Wind behaglich zu wehen und eine Gänsehaut kribbelte über Eriks Körper. Wirkte es nur so, oder kam die Äste plötzlich bedrohlich näher? Erik trat vorsichtig einen Schritt zurück. „Sei vorsichtig mit dem, was du hier sagst!“, warnte Perona ihn. „Die Bäume sind nicht gerade erquickt über so etwas.“ „Egal, sag hast du was herausgefunden?“, drängte Christopher. „Was hat die andere Hexe gesagt?“ „Sie sagte, wir müssen am nächsten Brunnen auf die Stumme Schwester warten!“, erklärte Perona ruhig. „Sie kann die Raben rufen, und diese Tiere werden uns dann zu dem Dornenschloss führen.“ „Gut, dann lasst uns gehen!“, entschied Christopher und reichte Erik das Handy wieder. „Hier, steck es ein, bis ich danach verlange.“ Erik griff wortlos danach und blickte dann Perona an. „Wo müssen wir lang?“, fragte er. „Meine Schwester sagte, der nächste Brunnen würde am Ende des Waldes liegen. Folgt mir einfach!“, sagte sie und ging voran, er und Christopher folgten ihr. Irgendetwas ist merkwürdig, dachte Erik, während er Peronas Rücksicht betrachtete. Sie pfiff scheinbar fröhlich eine ihm unbekannte Melodie und trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass sie irgendwie traurig wirkte. Und er begann sich zu fragen, ob Perona ihnen vielleicht etwas verschwiegen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)