Schillern von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 6: Stadt der Masken --------------------------- Venedig war nicht weniger beeindruckend, als Karl es sich ausgemalt hatte, vielmehr überstieg es seine Erwartungen. Irgendein Fest war im Gange und so liefen die Venezianer in farbenprächtigen Kostümen und Masken durch die Stadt, an jeder Straßenecke wurde etwas anderes geboten. Auf dem Markusplatz unter dem wunderschönen Glockenturm, dem Campanile, fand ein Marionettentheater statt, dort wurden dem Publikum wilde und exotische Tiere präsentiert, hier gab es eine Lotterie, ein paar Meter weiter Astrologen und Wahrsager. Die beiden waren so am Staunen, dass sie gar nicht bemerkten, wie sie selbst begafft wurden. Die Weimarer fielen auf, in ihrer schlichten, alltäglichen Kleidung, so ganz ohne Maske und Maskerade. Karl entdeckte mit Schrecken, dass auch Kämpfe zwischen Tieren bei den Feiernden beliebt waren, und er presste sich eine Hand auf den Mund, als Bärenblut auf das Pflaster tropfte. „Ekel erregend.“, stimmte ihm August zu und sie liefen schneller. Erst als sie den großen Platz verließen, bemerkten sie die Blicke der Leute. „Karl, die Menschen schielen uns hinterher. Es ist nicht gut, wenn wir so sehr auffallen. Wir sollten– “ Plötzlich wurden sie beide von hinten im Nacken gepackt und in eine Seitengasse gezogen. Völlig unvorbereitet auf eine solche Situation wussten sie im ersten Moment gar nicht, wie sie Widerstand leisten sollten, und fanden sich nach einigem unnachgiebigem Zerren schneller als sie schauen konnten in einem der schmalen Häuser wieder, einem maskierten Mann gegenüber. Der Fremde trug ein schwarzes Kostüm mit weißen Rüschen, einen federnen Hut, und als er die weiße Maske abnahm, traten Karl und August einen Schritt zurück. Voller Überraschung starrten sie den Mann an. „Herr von Humboldt!“ Alexander von Humboldt lächelte sie beide an. „August, Karl…! Ihr seid so erwachsen geworden. Es muss eine Ewigkeit her sein, dass ich euch das letzte Mal sah.“ „Und da haben Sie uns gleich erkannt?“, wollte Karl wissen. Humboldts Miene wurde wieder ernst. „Nun, ihr seid der ganzen Stadt aufgefallen, so wie ihr herumlauft. Es ist bald Pfingsten. Das Maskenfest dauert eine Woche. Wusstet ihr das nicht?“ Während Karl den Kopf schüttelte, legte sich August eine Hand an die Stirn. „Natürlich weiß ich das.“, stöhnte er, „Aber wir hatten bei unserer Anreise andere Sorgen, da ist es mir entfallen.“ „So?“, fragte Humboldt, aber er unterbrach sich selbst, indem er die Hände hob. „Nein, Moment, am besten ich suche euch erst einmal etwas Passendes zum Anziehen heraus, bevor wir reden. Nehmt doch Platz.“ Er wies die beiden an, sich auf das Sofa vor dem unbenutzten Kamin zu setzen, dann verließ er den Raum, um wenig später mit Kleidern bepackt wieder zurückzukehren. „Hier.“, sagte er und reichte Karl den schwarzen Stoff, August erhielt etwas in Samtgrün. „Ich bin auf der Durchreise.“, fing Humboldt schließlich zu berichten an, „Mein Schiff liegt im Hafen. Aber sagt, was macht ihr zwei in Venedig? Ohne Goethe?“ „Wir sind auf der Suche nach meinem Vater.“, antwortete Karl, während er sein Kostüm inspizierte. „Deinem Vater?“, wiederholte Humboldt etwas skeptisch, „Dann…dann war er es doch, den ich hier in der Stadt an der Stimme geglaubt habe zu erkennen?“ „Sie haben…?!“, kam es überrascht von Karl, „Sehr gut, er war also wirklich hier! Wann haben Sie ihn gesehen?“ „Gehört, Karl, gehört.“, lenkte Humboldt ein. „Das…das muss vorgestern gewesen sein.“ „War er alleine?“ „Nein, er…er unterhielt sich mit einem anderen Mann, etwas kleiner als er. Man erkennt mit den Masken ja niemanden. Aber…“ Humboldt schüttelte den Kopf. „Er lebt?“ „Ja…“, fing Karl an. „Gewissermaßen“, ergänzte August, schon seinen Gehrock ablegend. „Sagen Sie…“, fing der Dunkelhaarige wieder an, bevor Humboldt weitere Fragen stellen konnte, „Könnten Sie uns eventuell nach Korinth bringen? – Wenn es ein allzu großer Umweg wäre, dann– “ „Nein, nein“, lachte Humboldt, „Für die Söhne guter Freunde mache ich das doch gerne. Meine Route geht nach Asien, da wird es nicht zu viel Zeit kosten, auf dem Weg um die Peloponnes hinein bis zum Golf von Korinth zu segeln.“ „Vielen Dank!“, rief Karl begeistert, „Und auch vielen Dank dafür, dass Sie uns mit dieser Maskerade versorgt haben. Wir wären wahrhaftig nur unnötig aufgefallen.“ Humboldt lachte nur. „Dankt mir nicht zu viel und probiert die Sachen erst einmal an. Ich hoffe doch, sie passen euch.“ Karl nickte und zog nun ebenfalls seinen Gehrock aus, während August seine Weste aufknöpfte. Humboldt verließ stillschweigend den Raum. Da fiel Karl ein, warum er dies tat – sein Vater hatte einmal, was Humboldt betraf, etwas in diese Richtung angedeutet – und ihm wurde seine eigene Schwäche wieder allzu deutlich, die er vor einigen Tagen auf der Alm entdeckt hatte. So drehte er sich beschämt von August weg und konzentrierte sich auf sein Kostüm. „Wunderbar!“, war Humboldts Kommentar, als er wieder ins Zimmer zurückkam. Mit der weißen Maske, die August trug, dem gerüschten Hemd, der smaragdgrünen Hose und dem samtenen Gehrock, dessen Kragen mit weißgrünen Federn geschmückt war, hätte man unter der Maskerade auch Goethe persönlich erwarten können. Dank der weißen Handschuhe und des grünen Stoffs, der auch Hals und Hinterkopf bedeckt hielt, war keine Stelle nackte Haut mehr frei geblieben. Ein passender Hut rundete die Sache ab. Karl trug über Hose und Weste einen langen, schwarzen Mantel mit goldenem Stoff verziert, eine ebenfalls goldene Halbgesichtsmaske und einen Bausch schwarzer Federn auf dem Kopf. „Nehmt die Masken ab und esst etwas.“, forderte sie Humboldt auf, als er einen Weißbrotkorb und einen mit Meeresfrüchten, Käse und Wurst gefüllten Teller auf dem kleinen Tisch abstellte. „Herr von Humboldt, wir wollen Ihnen wirklich nicht zur Last fallen.“, beschwerte sich August, doch der Hausherr winkte ab. „Das muss sowieso aufgebraucht werden, da wir morgen das Schiff besteigen wollen. Meine Mannschaft hat genug Proviant für die Reise besorgt.“ August nickte zögerlich, während Karl schon den ersten Bissen genommen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)