Schillern von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 14: Advent ------------------ August stemmte seine Hände in die Hüfte, Karl streckte seinen Rücken durch, der dabei ungesund knackste. Vor ihnen zeigte sich die Landschaft Korinths, der große Hafen, hinter dem die Häuser mit ihren flachen Dächern lagen und vom Gebirge eingerahmt wurden, das am Stadtrand hinaufragte und noch einige antike, mehr oder minder gut erhaltene Tempel zur Schau trug. „Wusstest du, dass Korinth zurzeit unter der Herrschaft der Türken ist?“ Karl nickte. „Mein Vater hat es mir erzählt, als er mir die Namen der bedeutendsten Städte gelehrt hat.“ „Diese Stadt scheint ihm fürwahr etwas zu bedeuten.“, meinte August und rieb sich den Hals. „Tut es weh?“, fragte Karl sofort nach, da ihn ein wenig das schlechte Gewissen überkam. „Nein, juckt nur.“, entgegnete der Ältere und schritt voran. „Weißt du, wo Schiller wohl ist?“, fragte er seinen Freund. Karl sah sich prüfend um. „Ein Dorf, denke ich. Es stehen Lehmhütten und Zelte zwischen zerfallenen, antiken Tempeln…“ Auf seine Stirn legten sich Falten, als er noch etwas zu spüren meinte. „…Vater ist unglücklich und verwirrt.“ „Dann sollten wir uns beeilen, ihn zu finden, nicht?“, schlug August vor. Der Dunkelhaarige nickte zuversichtlich. „Da entlang.“, sagte er und deutete auf den Weg, der aus der Stadt hinaus, ins Gebirge führte. „Wieder dein Gefühl?“, hakte August nach. „Dieses Mal ist es aber gefestigter.“, versicherte Karl. Der Ältere nickte, und so liefen sie los. Von der ersten kleinen Anhöhe hinter der Stadt, die sie nach einer Weile erreicht hatten, sah man nicht weit in der Ferne Rauch aufsteigen. Da August meinte, auch die Ruine eines Tempels zu sehen, machten sie sich auf den Weg dorthin. Sie hatten die Hälfte geschafft, da knurrte Augusts Magen ungesund. „Ich hoffe, dort ergibt sich mir die Möglichkeit, irgendwo etwas Essbares zu mir zu nehmen.“ „Bestimmt.“ Je näher sie dem Dorf kamen, desto stärker verdichtete sich für Karl der Verdacht, dass sie goldrichtig waren. Er wusste plötzlich ganz genau, dass sein Vater hier war, dass er ihn wiedersehen würde. „Vater…“ „Hm?“ August sah fragend zu seinem Freund auf, doch da war der schon losgerannt. „Karl!“, rief der Ältere aufgeschreckt und versuchte hinterherzukommen. „Karl!“, schallte es über die Hügel, aber es war nicht Augusts Stimme. Es war Schillers. Drüben beim Tempel erschien er, Friedrich Schiller, der, die Arme ausgebreitet, seinem Sohn entgegen rannte. „Karl!“ „Vater!“ Mit einem Satz war der Dunkelhaarige die wenigen Zentimeter hinauf gesprungen und warf sich seinem Vater um den Hals. „Karl, mein Karlchen! Wie groß du geworden bist…!“ August schluckte, als er bemerkte, dass Schiller Tränen in den Augen hatte. Karl weinte hemmungslos und wollte seinen Vater gar nicht mehr loslassen. „W-wieso bist du weggelaufen, du…! Du hast deine Familie im Stich gelassen – wieso?!?“ Schiller fuhr Karl liebevoll durch die dunklen Locken. „Ich kann dir alles erklären, mein Sohn, ich– “ „Friedrich!“ Erschrocken wandten sich alle drei um. Ein großer, hagerer Mann kam mit strengem Schritt auf sie zu, so blass, dass er wahrhaft für tot gehalten werden konnte. „Mein Sohn, widersetze dich noch einmal deinem Vater, und – !“ „Wer…?!?“ Karl ließ erschrocken seinen Vater los, als der alte Mann langsam auf sie zukam, und wischte sich mit dem Ärmel hastig über die Augen. Schiller hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, das beruhigte sowohl Karl als auch August. „Vater“, sprach Schiller den Mann an, „Er war erst drei, als du uns verlassen hast, aber erkennst du ihn nicht? Das ist Karl, dein Enkelsohn.“ Karl wurde unwohl, als ihn der Mann mit forschendem Blick betrachtete, sodass er näher zu August trat. „Karl, das ist Johann Caspar Schiller, dein Großvater.“, erklärte ihm sein Vater und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. „Tatsächlich?!“, entfuhr es August. „Mein Großvater trug genau die gleichen Vornamen!“ Jetzt ruhte Schiller Seniors prüfender Blick auf ihm. „Und wer ist er?“, fragte er. August räusperte sich. „August von Goethe, angenehm Sie kennenzulernen, Herr– “ „Schon wieder!“, rief der Alte, und seine Augen begannen unaufhaltsam zu flimmern. „Da verliere ich nicht nur meinen Sohn an einen Goethe, sondern auch noch meinen Enkel! Was ist das bloß für eine heillose Brut, dass euch so etwas gelingt?!“ „Vater!“, rief Schiller erbost und trat einen Schritt auf ihn zu. „Fühlst du es denn nicht?! Fühlst du nicht, dass Karl kein Mensch ist?!?“ Caspar Schiller hielt in seinem Zorn inne und seine Augen erloschen. „Kein…?“ „Nein“, versicherte sein Sohn, „Ich war selbst überrascht und verwirrt, als ich ihn spüren konnte. Aber ja: Er ist einer von uns – gegen deine Erwartungen.“ Karl hatte nach Augusts Arm gegriffen und wunderte sich über das glückliche Grinsen auf dem Gesicht seines Vaters. Caspar Schiller zog seine Augenbrauen zusammen und stierte die beiden Korinther Neuankömmlinge skeptisch an. Schließlich machte er auf dem Absatz kehrt, und sein dunkler Mantel wehte, als er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zurück in den Tempel schritt. „Vater…“, war alles, was Karl herausbrachte. Schiller lächelte sie nur an und kam auf August zu. „Dich habe ich noch gar nicht begrüßen können, willkommen.“, sagte er freundlich und reichte dem Kleineren die Hand. „Du bist auch so herrlich erwachsen geworden. Kommst ganz nach deinem Vater.“ August lächelte erleichtert. „Danke, das fasse ich als Kompliment auf.“ „Das darfst du.“, entgegnete Schiller lächelnd. „Nun, dann kommt erst einmal mit ins Dorf. Ich kann verstehen, wenn ihr einige brennende Fragen habt – wie ich auch an euch. Aber ich denke, wir sollten uns erst setzen, bevor wir diese klären.“ So ging Friedrich Schiller voran, durch die Tempelruine hindurch, bis sie sich auf einem Weg wiederfanden, der rechts und links von aneinandergereihten Lehmhütten und einigen Zelten gerahmt wurde. Neugierig betrachteten Karl und August die Passanten, die ihnen entgegenkamen. Allesamt waren sie blass, trugen jedoch gewöhnliche Kleidung, nur einige waren trotz der Hitze in schwarze Mäntel gehüllt. Auch Frauen begegneten ihnen, ebenso schön blass wie die Männer, in schlichten bis extravaganten Kleidern. „Wo sind wir hier nur hingeraten…“, flüsterte Karl. „Dorthin“, antwortete August, „wo ich bestimmt nichts zu essen finden werde…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)