Schillern von KaethchenvHeilbronn ================================================================================ Kapitel 17: Lustspiel --------------------- Karl fühlte sich nicht so wohl bei der Sache. Sein Vater hatte ihn dazu überredet, sich heute von Schiller Senior das Dorf zeigen zu lassen. Nun schritt der hagere Mann stumm neben ihm her, seine stolze kühle Miene stets aufrecht haltend. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Herr Großvater?“, begann Karl nach einer Weile vorsichtig. „Das darfst du, mein Junge.“ Karl sah zum geradeaus stierenden Gesicht auf. „Wieso haben Sie nicht an mich geglaubt? Hätten Sie nicht abwarten können, bis ich erwachsen werde, um dann erst, wenn ich immer noch nicht Ihren Erwartungen entsprochen hätte, meinen Vater von uns zu holen?“ Schiller schnaubte. „Du entsprichst immer noch nicht meinen Erwartungen, das ist es ja.“, gab er von sich. Karl schwieg und versuchte seine Empörung verdeckt zu halten. „Hier ist der Brunnen, aus dem die Frauen das Wasser holen.“, berichtete Schiller weiter, als wenn er schon die ganze Zeit über nur den Stadtführer gespielt hätte. „Dort drüben siehst du das große Zelt, in dem sich die Frauen treffen. Vielleicht solltest du heute Abend mal dort vorbeischauen, anstatt dich mit diesem Goethe zu vergnügen.“ Empört nach Luft schnappend sah Karl zum Älteren auf. „I-ich ‚vergnüge’ mich nicht mit ihm!“ Schiller Senior verdrehte nur theatralisch die Augen. „Ach, nein.“ Karl wollte sich hierüber nicht unnötig aufregen, weshalb er, um das Thema zu wechseln, auf den Bretterbeschlag deutete, den man vor ein paar Säulen gezimmert hatte. „Was ist dort drüben?“, fragte er. Schiller blieb stehen. „Dort sind die Käfige mit den Gruls.“ „Gruls?“, fragte Karl neugierig. Sein Großvater lachte gehässig. „So naiv, wie du bist, hast du dich natürlich nie gefragt, wen ihr dort in Weimar unter die Erde gescharrt habt, hm?“, meinte er. „Nein, ich – es ist so viel passiert, da dachte ich gar nicht mehr dran.“, hatte Karl das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. „Nun“, begann Schiller Senior. „Ihr habt nicht meinen Sohn begraben, sondern ein Grul. Das ist eine Art Pflanze, vielleicht auch eher ein Tier. Legt man ihm ein Bildnis in den Käfig, so nimmt es die Gestalt der abgebildeten Person an. Im Sarg zerfällt es dann mit der Zeit zu Staub und man muss bei Gelegenheit nur ein paar zusammengesammelte Knochen hineinwerfen. So verabschieden wir Schiller uns schon seit Jahrhunderten von den so genannten Lebenden, ohne aufzufallen.“ Karl sagte daraufhin nichts, er starrte nur hinüber zu den abgeschirmten Käfigen. „Sag nur Bescheid, dann züchten wir dir auch eines.“, redete sein Großvater weiter. Karl wandte sich ab. „Ich möchte zurück zu unserer Hütte.“ Caspar Schiller trat ihm in den Weg und sah ihn mit durchdringendem Blick an. „Reizt es dich wieder, hm? Kaum siehst du ihn eine Weile nicht, steigen schon die Gelüste auf?“ „Das sind keine Gelüste!“ Karl wollte dem Größeren ausweichen, aber der griff nach seinem Arm. „Oh doch, es sind Gelüste. Und daran ist auch nichts Verwerfliches, sofern du sie für die richtige Person empfindest. Für eine junge Frau.“ Karl sah seinem Großvater entschlossen in die Augen. „Es ist meine Freiheit zu entscheiden, für wen ich was empfinde!“ Mit diesen Worten riss er sich los und stürmte davon. „Komm her.“ Karl folgte zögerlich Augusts Händen, die ihn aufs Bett zogen. „Wieso…?“ Warme braune Augen sahen zu ihm auf. „Wenn du mir schon wehtust, dann will ich es wenigstens bequem dabei haben.“ „Ich will dir nicht weh– “ „Komm her.“ Mit einem Ruck hatte ihn August zu sich gezogen. Karl kniete über ihm, musste an die Worte seines Großvaters denken. Der Blonde legte ihm lächelnd eine Hand an die Wange. „Willst du mich heute Abend gar nicht beißen? Sag bloß, du bist noch satt.“ Als Karl ihn nur anstarrte, hielt August inne. „Oder…“, begann er und ließ langsam seine Hand sinken, das Grinsen vom Gesicht verschwunden. „…hast du jemand anderes gefunden…?“ Karl wurde warm, als er den Schmerz in Augusts Stimme hörte, die Eifersucht spürte. „Niemals“, sagte er und ließ sich endlich an den Körper des anderen sinken. „Niemals, August, werde ich anderes Blut trinken als deines.“ Er vergrub sein Gesicht in den Haaren des Älteren, sog den wohligen Geruch ein, der ihm wieder das Kribbeln im Magen bescherte. „Und niemand wird mich je dazu bringen, dieses Versprechen zu brechen.“ August spürte die Worte an seinen Hals gehaucht, spürte Karls Zunge auf der Haut. „Gib mir deine Hand.“, brachte er heraus, und Karl kam der Bitte nach, fasste ihn fest, bevor er langsam seine Eckzähne ins Fleisch bohrte. August blieb der Schrei im Halse stecken, mit flatternden Wimpern schloss er die Augen, zog den Körper des anderen dichter an seinen. Als Karl sein Blut zu saugen begann, entwich ihm ein kehliges Lachen. „Es tut schon gar nicht mehr weh“, meinte er. „Es tut nur noch, ah…gut…“ Karl verschwendete keinen einzigen Gedanken mehr an seinen Großvater, als er sich von August das Blut von den Lippen küssen ließ. Die nächsten Wochen fing Karl jedoch an zu zweifeln. Was war das, was er für August empfand? Hatte sein Großvater am Ende doch Recht und…? Aber es war doch nichts…nichts Verwerfliches dabei, wenn er diesen wunderbaren jungen Mann liebte, oder? Zumindest empfand der Dunkelhaarige keinerlei Scham, wenn er an dessen Brust lag, den süßen Geschmack seines Blutes im Mund, dem aufgehetzten Herzschlag lauschte und sich wünschte, dieser Moment würde niemals vergehen. Aber er getraute sich nicht, mit August darüber zu sprechen, was genau das wohl war, was er fühlte, was das Kribbeln in seiner Magengegend zu bedeuten hatte, wieso er es so genoss, wenn der Ältere ihm das Blut von den Lippen küsste… Nächsten Sommer sollte er es aber ganz von selbst herausfinden. Es war in Spanien, an dessen Mittelmeerküste er mit August, Vater und Großvater Urlaub machte. In der Strandhütte, die er sich mit August teilte, ist es eines Nachts geschehen. Es war eine heiße, schwüle Nacht. Sie schliefen ohne Decke, August roch noch intensiver als sonst und schien schon zu glühen, als Karl ihm über den Hals leckte und seine Zähne in der blassen Haut versenkte. Der Ältere keuchte dabei wie immer so herrlich auf, krallte seine Finger fest in die dunklen Locken seines Freundes und zog ihn mit dem anderen Arm so dicht an sich, wie nur möglich. Dabei passierte es, dass Karl an seinem Oberschenkel spürte, dass August die gleichen Gefühle überkamen, wenn er ihn biss, wie er selbst sie fühlte. Sein Großvater hatte ihn gewarnt. Trotzdem gab Karl dem Bedürfnis nach, seinen Körper noch fester an den des Älteren zu pressen, fuhr ihm mit zittrigen Fingern durch die Haare, über die Brust, den Bauch, auf dem er durch das dünne Hemd jede Muskelbewegung spürte, als sie sich gegeneinander bewegten und August seinen Namen stöhnte. Karl ließ keuchend von ihm ab, küsste sich mit blutverschmierten Lippen den Hals seines Freundes hinauf, um ihm außer Atem und ein wenig ängstlich in die Augen zu schauen. Doch der Blick des Älteren nahm ihm jede Angst und jeden Zweifel, sodass er gierig ihre Lippen aufeinanderpresste und aufstöhnen musste, als August den leidenschaftlichen Kuss innig erwiderte. Weitere solcher Küsse folgten, der Ältere zog ihm das Hemd von den Schultern, drängte ihn mit Händen und Lippen, welche über Brust und Bauch huschten, in die Kissen, und als sie endlich nackt und eng umschlungen aufeinander lagen, spürte Karl, welch Lust August ihm bescheren konnte, auch ohne dass er einen Tropfen Blut von ihm trank. Mit klopfenden Herzen und außer Atem lagen sie sich schließlich in den Armen, der Dunkelhaarige sein Haupt auf Augusts Schulter gebettet, welcher ihm zärtlich über den Nacken streichelte. „Meinst du das…das hängt mit unserem Bündnis zusammen, dass…ich dich…dass ich mich so zu dir hingezogen fühle?“, fragte der Jüngere nach einer Weile leise. „Ich weiß es nicht.“, antwortete ihm August und lächelte ihn liebevoll an, „Ich weiß nur, dass…dass ich schon immer, wenn du mich gebissen hast, diesen…diesen brennenden Wunsch in mir spürte, dir so nahe wie möglich zu sein.“ Karl erwiderte das Lächeln mit einem glücklichen Grinsen und lehnte sich für einen sanften Kuss zu seinem Freund. „Meinst du…“, begann er nach einer Weile wieder, „Meinst du, unsere Väter…hatten…jemals den gleichen Wunsch?“ Da räusperte sich August und wurde ein wenig rot. „Ich…darüber möchte ich eigentlich nicht nachdenken.“, meinte er und der Jüngere musste herzlich lachen. Er lachte auch ein wenig seinen Großvater aus, der ihm zusammen mit seinen Morallehren gestohlen bleiben konnte. „Ich liebe dich, August.“, gestand er. „Ich dich auch, Karl.“ Und es fühlte sich unglaublich richtig an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)