Doors of my Mind von Karo_del_Green (Der Freund meiner Schwester) ================================================================================ Kapitel 10: Der Krawattenstresstest ----------------------------------- Kapitel 10 Der Krawattenstresstest Aus dem Wohnzimmer dringen Fernsehgeräusche zu mir durch, als ich in den Flur trete. Vorsichtig kurz schmule ich hinein, sehe Maya und Raphael, die zusammen einen Film guckend auf der Couch sitzen. Irgendein schnulziger Liebesschinken. Sie sind so vertieft, dass sie mich nicht bemerken. Ich greife mir meine Jacke und verschwinde ohne Laut zu geben nach draußen. Im Auto atme ich tief durch, inspiziere ich mein Portmonee und seufze, als ich nur ein paar lausige Euro und ein Kondom darin entdecke. Nichts davon wird mir nachher weiterhelfen können. Na ja, vielleicht das Kondom im Sinne der Wiedergutmachung. Ich schiebe den Gedanke schnell wieder beiseite und fahre los. Wie geplant, hole das Buch aus der Bibliothek und bin ein paar Minuten später bei Maria. Wir kommen nicht gut voran, denn ich bin nicht bei der Sache. Maria schenkt mir in der Küche ein Glas Wasser ein und wir gehen noch einmal die einzelnen Stichpunkte durch, die wir während unseres Referats ansprechen wollen. Als ich danach auf die Uhr sehe ist es bereits 18:30 Uhr. Wir vereinbaren ein neues Treffen am Dienstag. Ich entschuldige mich und fahre mit eine mulmigen los. Ich bin vor Jake an unserem Treffpunkt und ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Es gibt mir die Chance noch einmal durchzuatmen. Allerdings folgt nach dem Luftschnappen ein schlagartiger Gedankeneinbruch. Normalerweise gehe ich solchen Situationen aus dem Weg. Ich weiß nicht einmal, warum ich dem Treffen zugestimmt habe. Kurz blicke ich mich um und lehne mich dann gegen einen Zaun und starre Richtung Himmel. Was er wohl von diesem Treffen erwartet? Vermutlich will er nur dabei zusehen, wie ich mich wie ein Wurm winde. Was ich definitiv tun werde. Ich bin mir nicht mal sicher, was ich von diesem Treffen erwarte. Wie erkläre ich ihm, dass ich ihm nicht geantwortet habe? Unfähigkeit? Unwillen? Ich finde keine verständliche Begründung, außer meiner eigenen Feigheit und Raphael dafür und ich kann nur hoffen, dass er es mir nicht übelnimmt. Ich habe ihm schließlich nichts versprochen. Ich schließe die Augen, als ein warmer Windhauch über mein Gesicht streicht. Es ist wärmer als die Tage zuvor. Ich ziehe mir die Jacke aus, blicke zurück zu diesem entfernten Punkt, den ich mir zum Hinstarren auserkoren habe und bin so in Gedanken versunken, dass ich nicht sofort merke, wie Jake auf mich zu kommt. Erst als er sich zu mir an den Zaun lehnt und sich meine Stütze dadurch bewegt, schaue ich zu ihn. Ich sehe in diese sanften braunen Augen und spüre augenblicklich, wie sich mein Inneres verdreht. „Hey“, sagt er leise, bleibt ungerührt neben mir stehen und schaut ebenfalls zu einen weitentfernten Punkt in mitten der Nacht. „Hi“, erwidere ich gelassener als ich dachte. Als er nicht gewillt scheint zu beginnen, lasse es mir nicht nehmen ihn einen Augenblick lang zu betrachten. Er trägt ein dunkelblaues Hemd mit gelockerter Krawatte und sieht müde aus. Richtiggehend erschöpft. „Du arbeitest an einem Samstag?“, frage ich und wechsele meine Position um ihm gegenüber zu stehen. Noch immer sehen, wir uns nicht an. Doch ich strecke meine Hände nach ihm aus, löse seine Krawatte komplett und ziehe ihm diese vom Hals. Langsam und vorsichtig. Jake beobachtet mich dabei. Sie fühlt sich teuer an und seidenzart. Ich sehe zu ihm auf und sehe den Ansatz eines Lächelns auf seinen Lippen. „Es gab ein paar technische Probleme und die mussten schnell gelöst werden. Da ist Samstag leider keine Ausrede“, erklärt er ruhig. Mir fällt nicht ein, als was er arbeitet und ich muss mir eingestehen, dass ich das wahrscheinlich noch nie wusste. „Warum hast du mir nicht zurückgeschrieben?“, fragte er nun gerade heraus und ich schaue beschämt zur Seite. Wie sage ich es ihm, ohne dass ich ihm das Raphael-Problem erläutern muss. Ich weiß es nicht. Unruhig ziehe ich die Krawatte in meiner Hand zwischen meinen Fingern hindurch. Mehrere Male. Er wartet auf meine Antwort und interpretiert mein Schweigen falsch. „Okay, dann sag mir, warum du jetzt hier bist, obwohl du nicht antworten wolltest?“, hakt er scharf nach. Der Klang seiner Stimme irritiert mich. Er scheint nicht nur verärgert, sondern wirklich enttäuscht. Ich konzentriere mich auf den feinen Stoff des Schlipses in meiner Hand und beginnen sie einzudrehen. „So ist das nicht.“ „Ach ja? Wie ist es dann?“ „Ich wollte antworten, aber...ich wusste nicht was.“ Jake stößt schnaufend Luft aus. „Ich hätte einfach nur eine Reaktion gewollt“, sagt er und seine Stimme driftet ins vorwurfsvolle ab. Ich fahre wieder und wieder mit dem Finger über den Stoff der Krawatte. So als könnte sie mich in die richtige Richtung leiten. Ich wickele sie um den Daumen und den kleinen Finger und atme tief ein. „Ich weiß einfach nicht, was du von mir erwartest...“, gestehe ich ehrlich. „Was ich erwarte? Mark, ich erwarte gar nichts. Na ja, doch, dass man mich nicht ignoriert.“ Obwohl er aufgebracht ist, sind seine Formulierungen rücksichtsvoll, fast freundlich. „Tut mir leid. Ich bin nicht sehr gut in so was“, sage ich schließlich und sehe ihn an. „Was du nicht sagst.“ Ich sehe dabei zu, wie meine sonst gut funktionierende Schlagfertigkeit davon segelt. In Gedanken winke ich ihr hinterher und dabei entsteht eine seltsame Stille zwischen uns. „Ich fand es einfach schön dich wiederzusehen. Aber, dass du einfach so morgens verschwunden bist, hat mich echt gekränkt. Allerdings kann mich vermutlich glücklich schätzen, dass du nicht sofort danach abgehauen bist“, sagt Jake stichelnd und er hat gar nicht so unrecht. Trotzdem die Art, wie er es sagt, kitzelt den Ärger in mir. „Ich mache das immer so“, verteidige ich mich scharf. „Wow, vielen Dank, dass du mich behandelst, wie einen billigen One-Night-Stand“, entgegnet er ebenso abwehrend. Die Krawatte in meiner Hand dient mir nun als Antistressball und so knete ich sie ordentlich durch. Mein Gehirn arbeitet, doch nichts Sinnvolles springt dabei heraus. Sein Vorwurf ist gerechtfertigt. Deshalb ist die Ausrede `Ist halt so` nicht gerade ein Trumpf. „Du führst solche Gespräche nicht oft, oder?“, fragt er mich leise und streicht sich durch die dunklen Haare. Damit verursacht er ein ziemliches Chaos und ich betrachte ihn einen Moment. Mit den verwüsteten Haaren wirkt etwas jünger. Nicht, dass er viel älter ist, aber der Anzug und die Krawatte lassen ihn so überaus erwachsen erscheinen. Viel erwachsener als ich selbst. „Nein. Noch nie eigentlich“, gestehe ich in die Nacht ein. Ich lehne mich zurück an den Zaun und verschränke die Arme vor der Brust. Noch immer fühlt es sich warm an und doch streiche ich mir mit den Händen über die Oberarme. Als könnte es das schlechte Gefühl reduzieren. „Das erklärt einiges. Mark, ich will keinen Stress machen und ich meinte, was ich sagte. Ich erwarte nichts. Na ja, und mit so einer Nacht habe ich wirklich nicht gerechnet.“ Nun breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus und kann mir ein amüsiertes Schnaufen nicht verkneifen. Ich werde sogar etwas rot. „Hör zu, wenn du mich wiedersehen willst, dann freue ich mich und wenn nicht, dann bin ich alt genug um damit klarzukommen“, sagt Jake und ich weiß, dass ich ihn wiedersehen will, nur weiß ich im Moment nicht, wo genau mir der Kopf steht. Ich nicke und fühle mich nicht fähig genug eine vernünftige und verständliche Antwort zu formulieren. Ich halte ihm die zerknitterte Krawatte hin und lächele entschuldigend. „Gut, dass ich noch andere besitze“, kommentiert er lachend und ich mag das Geräusch. Er schiebt meine Hand zurück. Ich spüre weiterhin den schicken Stoff und blicke auf die feinen Knitter darauf. Sie ist definitiv hinüber. „Kann man die bügeln?“ „Bin mir nicht sicher.“ Nun lachen wir beide. Ich fühle mich erleichtert. „Deine Wunden sehen übrigens schon viel besser aus. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich es irgendwie gut fand.“ Mit dem Daumen tippt er mir gegen das Kinn und berührt dabei leicht meine Unterlippe. „Es macht mich viel männlicher“, kommentiere ich reißerisch. Ich ziehe die defekte Augenbraue nach oben und lasse es lieber gleich wieder sein. Es schmerzt. „Autsch!“, gebe ich von mir, „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich das nicht wieder machen werde. Mit den Schmerzen und dem Hausarrest komme ich klar, aber das Internetverbot macht mich ganz kirre.“ „Hausarrest?“, fragt Jake und zieht skeptisch eine Augenbraue nach oben. Entweder hat er nie welchen gehabt oder wundert sich, dass ich in meinem Alter, welchen kriege. „Tja, das ist wohl das Los, wenn man noch bei seinen Eltern wohnt und Mist baut“, antworte ich ihm ehrlich und bin erneut peinlich berührt. „Und wie erklärst du deinen Eltern, dass du jetzt nicht in deinem Zimmer sitzt?“, fragt er ernst. Eine berechtigte Frage. „Oh, dein Name ist Maria und wir arbeiten an einem Biologieprojekt“, sage ich ebenso ernsthaft, wie eben auch Jakes Blick gewesen war. Sein Lächeln wird zu einem Grinsen, breit und fast unanständig. „Ein Biologieprojekt? Dir ist klar wonach das klingt?“ Er giggelt und ich klopfe ihm empört gegen die Schulter. Natürlich weiß ich, wonach es klingt. Allerdings habe ich erst jetzt wirklich darüber nachgedacht. Er zieht mich lachend zu sich heran, ohne wirklich etwas zu tun. Ich werde schon wieder rot, weiche aber nicht von ihm zurück. Für einen Moment sehen wir uns an und ich fühle, wie mich sein Lächeln erwärmt, aber nicht so intensiv, wie das von Raphael. Unwillkürlich weiche ich seinem Blick aus. „Willst du los?“, fragt er und lässt von mir ab. Ich schaue auf die Uhr. Ich habe noch Zeit, also verneine ich es und wir entschließen uns ein paar Meter zu spazieren. Eine Weile laufen wir still nebeneinander her und ich ziehe die Krawatte in meiner Hand glatt. Doch die Spüren meines Stressanfalls verschwinden nicht. Ich stecke sie verlegen in die Jackentasche. „Darf ich dich etwas fragen?“, platz es aus mir heraus. Abgesehen von der Grundangst Jake gegenüberzutreten, beschäftigt mich noch etwas anderes. „Weiß Marika Bescheid?“, frage ich, bevor Jake überhaupt auf meine erste Fragen antworten kann. „Bescheid? Oh! Ja, sie weiß, dass ich auf Männer stehe. Aber nein, das mit uns beiden weiß sie nicht“, antwortet er und bleibt stehen. Genauso, wie ich. „Ich kann dir allerdings nicht sagen, was sie sich alles zusammen reimt. Sie ist nicht blöd.“ „Nein, dass ist sie wirklich nicht.“, erwidere ich gedrückt. Damit lasse ich es ruhen, denn alles Weitere wäre pure Panikmache und Jake konnte schließlich nichts dagegen tun. Wir setzen unseren Weg fort und sprechen dabei über die Arbeit, Schule und Familie. Ich erfahre endlich, dass Jake in einer IT-Firma arbeitet und für drei Städte zuständig ist, weshalb er hin und wieder hier ist. Er ist ein Abteilungsleiter. Ich bin echt beeindruckt. Er ist Einzelkind und ich beneide ihn dafür, da er sich mit keiner Schwester rumplagen muss. Ich erzähle ihm Anekdoten meiner Familie und berichte ihm meine Pläne für die Zukunft. Studium und Auszug. Klar und simpel. Ich genieße es mit ihm zusammen zu sein. Es sind wenige Momente, in denen ich Nichts verschweigen muss. Er sieht mich nicht schief an oder fragt mich aus. Es ist ehrlich und angenehm. Wir gehen eine Kleinigkeit essen, als sich Jake Magen zu Wort meldet. Wir einigen uns auf klassisches Junkfood. Pommes und Burger. Bis ich mit Entsetzen feststelle, dass es nach 23 Uhr ist. „Oh, mist. Ich sollte längst wieder in meinem Zimmer sitzen“, entflieht es mir. Ich schiebe den letzten fleischigen Happen in meinen Mund und wische mir mit der Serviette die Spuren davon. Jake begleitet mich zu meinem Auto. „Jake“, sage ich und bleibe vor ihm stehen, „Tut mir Leid, dass wir...dass das hier... na ja... es tut mir einfach leid.“ In entschuldigen war ich noch nie sehr gut, aber immerhin versuche ich es. Ich bin es ihm schuldig. „Ich bin noch eine Woche in der Stadt und du hast meine Nummer“, sagt er statt auf mein Gestottert einzugehen. Ich grinse schief und bin mir immer noch nicht sicher, was ich von all dem halten soll. Jake mustert mich. Als ich nichts antworte, beugt er sich vor. „Ich freue mich über jedes Wort“, flüstert er mir zu und lächelt. Wieder durchströmt mich dieses wärmende Gefühl und leichte Röte legt sich auf meine Wangen. „Okay“, erwidere ich. Der Ältere zieht mich in eine Umarmung. Es ist eine liebevolle, aber keine fordernde Geste. „Hopp Hopp, sonst verlängert sich dein Hausarrest“, scherzt er. Ich öffne die Autotür, drehe mich noch mal zu ihm um und mein Gehirn setzt aus. Schlagartig. Aus der Kurzschlussreaktion heraus, drücke ich ihm einen Kuss auf, löse ihn genauso schnell und fahre sofort los. Erst als ich auf der Auffahrt unseres Hauses ankommen, atme ich wieder aus. Ich lehne meinen Kopf gegen die kühle Autoscheibe und denke darüber nach, was ich zum Schluss getan habe. Ich habe mit Jake geschlafen, ihn dann ignoriert, vor den Kopf gestoßen und zu guter Letzt wieder geküsst. Ja, so schafft man Probleme aus der Welt. Ich sollte Ratgeber verfassen. Das Haus ist dunkel und ich hoffe, dass Maya und Raphael bereits im Bett sind. Meine Eltern sind noch nicht zu Hause, denn die Garage ist leer. Ich schließe leise die Tür und schleiche im Dunkel durch den Flur. Ich hänge meine Jacke an die Garderobe und sehe Jakes Krawatte aus der Tasche hängen. Vorsichtig ziehe ich sie heraus und lasse sie erneut durch meine Finger gleiten. Ein Lächeln liegt auf meinen Lippen und mit der Krawatte in der Hand schleiche ich zum Bad. Dort kommt mir Raphael entgegen. Schnell verstecke ich den Slips hinter meinem Rücken. „Du bist aber spät“, sagt er über mein plötzliches Auftauchen erschrocken. „Hat etwas länger gedauert. Ich hab unterwegs noch was gegessen, aber verrate es meinen Eltern nicht“, sage ich gespielt scherzhaft und schiebe mich an ihm vorbei zum Badezimmer. „Was soll er nicht verraten?“, ertönt plötzlich die Stimme meiner Schwester aus dem Hintergrund. Ich bleibe abrupt stehen, schaffe es, aber die Krawatte durch die Tür zu werfen. „Du hast Hausarrest...schau mal auf die Uhr, Mark!“ „Maya“, mahnt Raphael sie an. Doch sie verschränkt die Arme vor der Brust und setzt ihren zickigen Schwesterblick auf. „Und? Mum und Dad wissen Bescheid.“ „Aber sie wollten sicher nicht, dass du erst jetzt zu Hause bist.“ „Willst du mich deshalb anschwärzen? Mach, wenn es dich befriedigt, bitte!“ Ich benutze das Wort ´befriedigt´ mit purer Absicht. Sie wird puterrot. Nun kommt ein mahnendes ´Mark´ von Raphael, der sich sichtbar gestresst durch die Haar streicht. Er will nicht, dass wir streiten. „Oh, das wird es, wenn du noch weitere Strafen aufgedrückt bekommst und sich dein Hausarrest verlängert.“ Ich verdrehe die Augen, als sie mir das entgegen giftet. „Oh, ich zittere“, gebe ich mäßig beeindruckt von mir und weiß, dass es nicht mehr viel gibt, was sie mir verbieten können. „Du bist so ätzend, weißt du das? Und Mum und Dad interessieren sicher, dass du sie ständig anlügst.“ „Was heißt hier ständig? Bekommt dein Hirn vor lauter Schminke nicht mehr genug Sauerstoff?“, motze ich aufgebracht zurück. Was bildet sie sich ein? Als ob, sie unseren Eltern nie etwas verschweigt. Meine Finger krallten sich in meine Hose und ich wünsche mir Jakes Krawatte zum Kneten zurück. „Hey, ihr zwei, kommt wieder runter, ja?“, wirft Raphael dazwischen, doch Maya reagiert nicht auf ihn. „Du bist ein Arsch, Mark. Außerdem weiß ich zufälligerweise, dass Maria um 19 Uhr online gekommen ist, dass heißt du warst nicht mehr bei ihr.“ Nun bin ich doch überrascht. Ich wusste nicht, dass Maya Maria kennt. Und schon gar nicht, dass sie sie in ihrer Onlineliste hat. Mein Lügengebäude beginnt zu bröckeln. Ihr Blick ist siegessicher, doch dann fällt mir das Buch aus der Bibliothek ein, welches ich vor dem Treffen abgeholt habe und hole es aus meiner Tasche heraus. „Ja, das liegt daran, dass ich danach noch mal in die Bibliothek war.“ Ich zeige ihr das Buch mit dem fetten Bibliotheksstempel. Zerknirscht schaut sie es an. Ich sehe, wie ihre Sicherheit schwindet, während sie nach einer Erwiderung sucht. „Du kannst ihnen natürlich erzählen, dass ich unerlaubter Weise, noch was gegessen habe. Das interessiert sie sicher über alle Maßen. Aber okay, du warst ja schon immer eine kleine zickige Petze und daran wird sich wohl nichts mehr ändern“, gebe ich ruhig von mir und sehe, wie sich ihr Brustkorb hektisch hebt und senkt. Sie ist sauer. Wahrscheinlich hat sie felsenfest geglaubt, mir eins auswischen zu können. Ich sehe zu Raphael, der mir einen enttäuschten und schwer definierbaren Blick zu wirft. Ich kann auf ihn keine Rücksicht nehmen. Ich lasse mich von Maya nicht angreifen. „Kommt noch etwas? Nein? Gut, dann wünsche ich euch eine geruhsame Nacht.“ Damit verschwinde ich ins Badezimmer und schließe die Tür hinter mir. Ich setze mich auf den Wannenrand und seufze leise. Ich bin manchmal wirklich ein verlogener Arsch. Das bestreite ich gar nicht. Ich habe im Grunde auch nicht damit gerechnet, dass meine Ausrede funktioniert. Gerade als ich mich abkühlen will und bereits das Shirt ausziehe, klopft es an der Tür. Ich weiß, dass es nur Raphael sein kann. Nur noch mit einem Arm im T-Shirt öffne ich sie. „Was? Schickt sie dich zum Krieg ausfechten?“ „Das war nicht nett von dir“, sagt er säuerlich und ich bin keineswegs dazu bereit, mich zu entschuldigen. Ich ziehe mir das Shirt komplett aus und werfe es hinter mich. „Ich hatte auch nicht nett sein wollen.“ „Ja, das hat man gemerkt.“ „Warum bin ich jetzt der Böse, wenn sie mir eins auswischen will?“ „Du bist der Ältere.“ „Und deshalb, muss ich es mir gefallen lassen? Komm schon, dass du hier bist, heißt sie spielt ihre Du-bist-mein-Freund-Karte aus“, sage ich empört und sehe Raphael verständnislos an. Ich höre ihn seufzen. Er ist ihr Freund und muss sie verteidigen. Doch ich fühle mich verletzt. „Sie weiß nicht, dass ich mit dir rede.“ „Klar. So blond, ist sie dann doch nicht, Raphael.“ Er seufzt erneut und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. „Ja. Nein, du musst sie nicht noch provozieren.“ Seine Stimme ist leise und seltsam ruhig. Ich atme tief ein und schlucke meinen Ärger für einen Moment runter. Er hat Recht, auch wenn ich es nicht gut finde. Ich provoziere sie und das macht mir Spaß. „Ich werde mich nicht entschuldigen, aber vielleicht nehme ich beim nächsten Mal etwas Rücksicht“, stelle ich klar und mache knirschend dieses Zugeständnis. Ich will die Tür schließen, doch Raphael hält sie auf. Sein Gesicht kann ich nicht mehr sehen. „Im Gegensatz zu Maya weiß ich, dass die Bibliothek am Samstag um 18 Uhr schließt.“, sagt er und schließt die Tür. Ich bleibe mit einem blöden Gefühl im Bauch zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)