Yasura und Kaname von Hidaso (Merkwürdig, wie die kleinsten Entscheidungen das Leben verändern können …) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren.“ Ein falsches Lächeln, die Zuschauer anlachen, Die Beine überschlagen, den Blick zur Karte machen~ „Ich begrüße Sie heute, hier live bei Mod4, mit ein paar wichtigen Themen unserer Gesellschaft…“ Kaname sah in die Kamera, auf der ein rot leuchtendes Licht mit einer Eins zu sehen war, überschlug die Beine und machte eine kurze Pause. Die Zuschauer rings um ihn herum klatschten wie wild. „Mein Name ist Kaname de Jeicho und ich bin ihr  Moderator!“, er lachte fröhlich und richtete sich auf, während er die Notizkärtchen mit einer leicht euphorischen Bewegung in die andere Hand legte. Wieder war es Fassade. Mit einem kurzen Blick nach unten erfasste er eine kleine Markierung, die sich circa einen Meter von ihm entfernt auf dem Boden befand. Er musste dort stehen, damit das Licht richtig auf ihn fiel, wenn die Kamera wechselte. „Sie kennen es alle, die Wirtschaft geht den Bach herunter, die Arbeitslosigkeit steigt, Renten werden gekürzt und…“, er gab zu jedem dieser Themen noch ein paar Einleitungen. Nachdem die Sendung schon eine Weile lief, saß Kaname einem Spezialisten gegenüber und hörte dem Mann aufmerksam zu. Ein paar Mal nicken, dann die abgemachten Antworten geben, kurze Witze einbauen und durch das eigene Lachen die Zuschauer animieren mitzulachen. Als das Gespräch zu Ende war, lächelte er wieder in die Kamera. Es war ein falsches Lächeln, wie immer – Doch es merkte einfach keiner. Seit Jahren ging das schon so. Kaname konnte sich mit seinem jungen Alter und dem liebevollen, schmalen Gesicht, welches einem gleich sympathisch war, ziemlich gut verkaufen. Aber wieso war dieser Moderator nur so emotionslos geworden…? Was hatte ihm die Freude am Leben genommen? Nach einer Stunde war die Sendung endlich vorbei. Der Blonde blieb noch eine Weile sitzen, um sicher zu gehen, dass zur Werbung geschaltet wurde und fuhr sich dann seufzend durch die Haare. Ein weiterer Tag war überstanden. Es war für ihn natürlich sehr schwer, jetzt nicht zu jubeln, da er nach einem fertig gebrachten Tag immer jubelte … Ihm fiel dieses Rollenspiel ehrlich gesagt immer leichter. Spaß machte es trotzdem nicht. Und jubeln würde er nach einer Show nie. So war er einfach nicht. Ein jugendlicher Praktikant brachte dem 24-Jährigen dessen dünnen Mantel, seine Tasche und ein frisches Glas Wasser, das der Prominente direkt austrank. „Ah~ Das schmeckt um einiges Besser als dieses verkalkte Leitungswasser…“, seufzte er geschafft und sah zu dem Glas, welches noch auf dem kleinen Tisch neben seinem Sessel stand. „Was man nicht alles für seinen Job tut… und trinkt.“, schob er gedanklich noch hinterher und schüttelte derweil mit dem Kopf. Er schnaubte und verließ dann, als die Tribünen schon fast leer waren, endlich das Studio. Um aus dem Gebäude zu gelangen, musste er erst einmal einige Treppen nach oben laufen, mehrere Gänge durchlaufen und des öfteren einigen Kollegen ausweichen, die er nur selten zurück grüßte. Er verließ das Gebäude durch einen Nebenausgang und erinnerte sich dann enttäuscht daran, dass er heute gar nicht mit seinem Wagen da war … Es ist irgendwie merkwürdig, wie die kleinsten Entscheidungen das Leben verändern können … Wäre Kaname in dieser Nacht mit dem Auto nach Hause gefahren, hätte er den wahrscheinlich schönsten Teil seines Lebens niemals erlebt ... Der feuchte Geruch dieser ruhigen Nacht überwältigte ihn und er hörte auf, sich über seine “Dummheit“ zu ärgern. Genauso roch es, wenn es im Sommer regnete – Er liebte diesen Geruch. Kaname hörte leises Gekicher von der anderen Straßenseite zu ihm herüber dringen. Dort war eine kleine Gruppe junger Frauen unterwegs, von denen ihm eine besonders ins Auge fiel. Sie hatte blaues Haar, in dem zwei blaue Rosenköpfe steckten – es waren höchstwahrscheinlich keine echten. Das helle Kleid stach in der Dunkelheit hell hervor. Sie sah aus wie ein Engel, was Kaname ein wenig stutzig werden ließ. Er musterte sie weiter. Sie lief unsicher. Hatte sie getrunken? Das, was Kaname aber am meisten faszinierte, waren ihre Augen. Ihr glasigen, ganz verträumt und und orientierungslos wirkenden Augen. Ohne es zu merken runzelte er ein wenig die Stirn und ließ den Blick kurz zu Boden wandern, musste dann aber doch wieder hinsehen. Er sah sie so klar, dabei stand sie doch so weit weg! Der Moment war auf eine ganz eigenartige Weise magisch… Vielleicht sagte ihm auch deswegen in diesem Augenblick eine lange nicht mehr gehörte, innere Stimme, dass er auf diese Frau aufpassen solle. Er schnaubte, gab aber nach und wechselte die Straßenseite, während er sich den Mantel anzog. Ihm war zwar nicht wirklich kalt, aber ihm war es einfach zu lästig das Kleidungsstück im Arm zu halten. Die schwarze Ledertasche warf er sich noch einmal neu um. In der Zeit hatte er aufgeholt und lief nun hinter den Frauen her und lauschte, schon fast ohne es zu merken, ihren Gesprächen. Yasura war schon den ganzen Abend mit ihren Freundinnen unterwegs gewesen. Eigentlich hatte sie  das auch ziemlich lustig gefunden, obwohl sie nichts wirklich Aufregendes gemacht hatten. Sie waren eben etwas Essen gewesen, aber das war es auch schon. Natürlich – Die Blinde hätte auch gerne die vielen Farben gesehen, aber es war einfach unmöglich für sie. „Vorsicht, Stufe.“, warnte sie eine ihrer Freundinnen vor, während sie den dunklen Weg entlang liefen. „Ich weiß.“, äußerte Yasura recht kühl, denn es sie störte mindestens zur Hälfte auf ihre Freundinnen angewiesen zu sein. Sie seufzte leicht. „Wir sind den Weg doch schon so oft gegangen.“ Auch wenn sie die Stufe fast schon kommen spürte, stolperte sie trotzdem – sicher nicht das erste Mal in dieser Woche. Natürlich wurde ihr aufgeholfen, aber sie ging ohne ein Wort weiter. Für einen Moment wurden alle sehr still. Auch Kaname vergaß beinahe das Atmen. Spätestens jetzt wurde ihm klar, dass Yasura nichts getrunken hatte, sondern, dass sie nicht sehen konnte. Sein Blick wurde irgendwie nachdenklich, doch plötzlich begann Yasura zu lachen. „Tut doch nicht so, als wäre das neu.“, grinste sie, jedoch sagten ihre Augen etwas anderes. Auch wenn sie blind war, konnte man in ihrem Blick viele Emotionen und Stimmungen erkennen. Ihre Freundinnen waren das gewöhnt. Sie sagten nichts mehr dazu. Man durfte nicht immer auf das Traurige achten, dann würde man ja zergehen, also lachten sie mit. Yasura achtete nun etwas mehr auf ihre Schritte und bemerkte nun erst die Anwesenheit eines anderen - größtenteils einfach, weil sie seine Schritte vernahm. Sie ließ sich aber schnell von der Frage einer Freundin ablenken: „Habt ihr diesen Typen im Restaurant gesehen?“ Alle begannen zu kichern. Auch Yasura, obwohl sie ihn nicht gesehen hatte. „So wie er gesprochen hat, muss er ziemlich unklug gewesen sein. Ich bin mir sicher, dass er auch so aussah.“, sagte sie lächelnd und erfasste wieder die Hände ihrer Freundinnen. „Wenigstens hab ich euch! So einen Typen braucht man doch nicht.“, sagte sie glücklich und richtete den Kopf stur gerade aus. Das einzige, was ihre Augen unterscheiden konnten, war, ob es hell oder dunkel war. Es waren verschiedene Graustufen, die sie umgaben. Aber etwas einer Form oder Farbe zuzuordnen – das konnte sie nicht. Yasuras Worte machten Kaname wie auf magische Weise ganz ruhig. Als ob er auf einmal aufwachen würde. Er hatte eigentlich... alles. Wieso ging es ihm dann so schlecht? Er lauschte ganz aufmerksam ihren Worten. Keine vorgegebenen Antworten, auf die er angewiesen war, kein Publikum, das er in Stimmung halten musste. Nur er allein und diese Worte, denen er lauschte. Für ihn schien es so, dass sie ihn gar nicht bemerkten. Obwohl er sich bei Yasura nicht ganz sicher war, denn ihre anderen Sinne müssten doch eigentlich viel ausgeprägter sein. Die klackenden Sohlen seiner teuren Bugatti-Schuhe dürften für sie eigentlich unüberhörbar sein. Kaname sah kurz nach oben, betrachtete die langsam aufscheinenden Sterne und schwieg weiter. Normalerweise hätte es ihn wahrscheinlich gestört, dass die Mädchen so langsam liefen, doch dieses Mal wollte er sie nicht nur aus dem Grund, dass er es als unhöflich empfand, nicht überholen, er fühlte sich zugegebenermaßen ziemlich wohl in der Nähe dieser blauhaarigen Frau. Nach einer Weile verabschiedete sich eines der Mädchen und löste sich von der Gruppe. Yasura wusste welche Freundin es war, denn sie konnte die beiden mit Leichtigkeit voneinander unterscheiden. Beide hatten zwar recht kräftige Hände, jedoch war ihr Griff verschieden, während Yasura kleine und zierliche Hände hatte. Die Blinde schloss das Mädchen kurz in ihre Arme, ehe sie sich für heute wirklich verabschieden mussten. Dann ging sie weiter. Kaname blieb sicherheitshalber stehen und wartete, bis sie heil in der Tür verschwand. Um die Uhrzeit trieben sich viele und vor allem gemeine Perverse herum und der Blonde wollte keineswegs, dass durch seine Arroganz einer der Frauen etwas passierte. Er holte schnell wieder auf, versuchte dabei aber nicht allzu viel aufzufallen. Dass Yasura seine Anwesenheit immer deutlicher spüren konnte, war ihm natürlich nicht klar. Wie auch? Sie sagte ja nichts. „Wenn sie sich jetzt voneinander trennen, dann muss eine alleine nach Hause…“, kam es ihm in den Sinn. Er sah auf die Uhr und schaute sich anschließend um, während er seine Brille hochschob. Die kühle Abendluft strich ihm durch das Haar, dass etwas über seine Ohren reichte, und kitzelte leicht sein Gesicht. Auch sein Mantel wehte ein wenig, aber das war ja auch kein Wunder – Kaname hatte ihn ja nicht richtig zu gemacht. Nach etwa fünf Minuten löste sich auch die andere Hand von Yasuras Seite. „Und du schaffst das auch wirklich alleine?“, fragte ihre viel größere Freundin und sie nickte daraufhin. „Ich schaffe es jeden Samstag alleine.“, sagte sie ruhig und verabschiedete sich. Kapitel 2: ----------- Nun war es Zeit alleine weiterzugehen. Jedenfalls fast alleine, denn Kaname entschied sich, einfach weiter hinter ihr her zu gehen. Die Straßen waren fast leer und genau dieser Gedanke machte Yasura irgendwie Angst. Die meiste Zeit lief sie dort entlang, wo sie einen Schatten vermutete – etwa dicht an Hauswänden. Kaname fand es nach einer Weile irgendwie ungeeignet ihr so zu folgen, vielleicht hatte sie sogar Angst vor ihm… einfach aus Unsicherheit, weil er so doch viel mehr wie ein Krimineller wirken würde, wenn er hinter ihr lief, also begab er sich etwas neben sie. Ein Wort aber verließ seinen Mund nicht. Naja, bis sie auf einmal stehen blieb, da hätte er jedenfalls beinahe etwas gesagt. Er sah gleich, dass sie eigentlich Angst hatte und er staunte darüber, dass sie sich ganz alleine durch die Dunkelheit einen Nachhauseweg bahnte. Die Temperaturen sanken mittlerweile recht schnell und die Kälte der Nacht kroch Yasura über den Rücken. Sie fror etwas in dieser kalten Nacht und schlang die Arme um sich. Nun schloss sie die Augen – Auch wenn es eigentlich keinen Unterschied für sie machte. Sie standen gerade an einer Kreuzung, an der nur wenige Autos vorbei fuhren, weshalb ein Blinder nicht wissen konnte, ob die Ampel grün oder rot war. Zu allem Übel gab es hier anscheinend nicht dieses Geräusch, das eine Ampel macht, wenn sie grün ist, damit Menschen, wie Yasura, auch problemlos die Straße überqueren konnten. Als das Licht der Ampel auf grün sprang, ging Kaname wortlos über die Straße, denn er wusste, dass sie seine Schritte hörte. Sie konzentrierte sich eh fast nur auf ihn und war ihm, dem Fremden, in diesem Moment mehr als dankbar. Auf der anderen Straßenseite blieb er stehen und wartete auf sie. „Denk nicht gleich so schlecht, Yasura. Wahrscheinlich möchte er dir einfach nur helfen!“, sagte sich die junge Frau und schien ein wenig mutiger zu sein. „Ob sie Angst hat etwas zu sagen?“, fragte sich zugleich Kaname, doch wenn er nicht gerade in seinem Beruf war, war er sowieso nicht der sonderliche Redner. Im Gegenteil, er würde am liebsten jede Sekunde seines Lebens schweigen. Dadurch dass Yasura nun etwas unvorsichtiger wurde, stolperte sie kurz bevor die andere Straßenseite erreicht war. Sie fiel nach vorne – direkt in Kanames Arme. Er fing sich reflexartig auf und war mit seinem Gesicht nun ganz nach an ihrem. Anfangs hielt er -erschrocken über seine eigene Reaktion- noch die Luft an, dann aber atmete er aus und ein Hauch strich ihr sanft über das Gesicht. Sie lief knallrot an, was der Blonde in der Dunkelheit glücklicherweise nicht erkennen konnte. „E-Es tut mir Leid! Ich habe nicht aufgepasst!!“, rief Yasura erschrocken und kniff die Augen zusammen, damit er ihre starre Hilflosigkeit nicht sehen konnte. Dass sie blind war, war für sie dabei keine Entschuldigung. Einen Moment verharrten die beiden so. Seltsam. Sie klammerte sich die ersten Sekunden fast schon an ihn an und hörte sogar auf zu zittern, da der junge Mann so warm war. Wie konnte ihr das nur wieder passieren? Es waren schon wider diese kleinen Entscheidungen, die ihn und Yasura zusammen brachten. Wäre Kaname ihr nicht gefolgt… dann wäre sie gefallen oder vielleicht von einem Auto angefahren worden… Als sie das Festklammern bemerkte, ließ Yasura mit immer noch leicht geröteten Wangen ab. Als die beiden dann wieder auf dem Bürgersteig standen, tat der Prominente dann doch auf einmal den Mund auf: „Es ist nicht schlimm, mach dir keine Vorwürfe.“ Zum ersten Mal hatte die Blinde seine Stimme gehört. Und irgendwie wärmte sie ihr Herz… Er ließ langsam ihre Hand los und sah still zu ihr herüber. Sie öffnete endlich wieder die Augen und ihr Körper begann wieder zu zittern. Das konnte er einfach nicht mehr mit ansehen, also nahm er seinen dünnen Mantel, legte ihn ihr vorsichtig über und drückte vorne einen Knopf zu, damit der warme Stoff nicht von ihren schmalen Schultern herunterrutschte. Sie verstand erst im zweiten Moment, was er da tat und fühlte sich schon wieder viel zu lästig. „D-das musst du nicht tun…“, flüsterte sie leise, ohne überhaupt zu merken, dass sie ihn duzte. Verlegen drehte das Mädchen den Kopf zur Seite und atmete tief durch. Sie musste zugeben: So war es um einiges wärmer. Kaname blieb geduldig neben ihr stehen und wartete. Worauf er genau wartete, wusste er selbst nicht recht. Dann aber drehte sie den Kopf so zu ihm, dass er wenigstens das Gefühl haben könnte, dass sie ihn sehen würde. Sie wusste zwar ganz genau, dass es für die meisten Menschen fast schon unbehaglich war, wenn sie diesen starren Blick in eine andere Richtung lenkte. Kaname aber lächelte lediglich, denn er spürte einfach, dass sie sich Mühe gab, nicht aufzufallen, weil sie ja anders war. „Du hast es gemerkt,… oder?“, fragte sie nach einer Weile sehr leise. Er betrachtete noch immer ihre wunderschönen Augen. Ihm war es egal, wie starr ihr Blick war. Er sah etwas anderes in ihren Augen. Etwas, dass sie so unbeschreiblich schön machte. Sie konnte nur ein Engel sein – ja. Morgen würde er aufwachen, dachte er sich, und er würde sie nie wieder sehen, weil alles nur ein Traum war. „Du…“, fing er vorsichtig an. Es fiel ihm sehr schwer mit ihr zu reden, aber er riss sich zusammen, „…hast nicht den typischen Blick eines blinden Menschen… „ Er vergaß beinah alles um sich herum, als er mit ruhiger Stimme zu ihr sprach. „Du weißt, wo du hinsehen musst und deine Augen:…“, ohne es selbst zu merken, beugte sich Kaname ganz nah an ihr Gesicht und flüsterte dann den letzten Teil seines Satzes, „Sie wissen es auch.“ Er richtete sich wieder auf und legte ihr seine warme Hand auf die Schulter. „Denn sie zucken nicht wild umher.“ Seine Hand wanderte, genauso wie die andere, in seine Hosentaschen. Während sie langsam weiterliefen lugte er ein paar Mal zu ihr herüber und musterte sie schließlich ein weiteres Mal. Yasura nickte leicht und ließ ihre blauen Haare nach vorne fallen. Es störte sie ja sowieso nicht. „Das haben schon so viele Leute gesagt. Meine Augen sind zwar blind, aber meine Muskeln haben keinen Schaden.“, erklärte sie mit einem sanften Lächeln, dass sich auf ihren schmalen Lippen bildete. Es war wieder dieses traurige Lächeln, worauf ebenfalls Kaname nichts sagte. Yasura vertraute dem jungen Mann irgendwie, auch wenn sie bei seiner Berührung etwas rot geworden war. Wahrscheinlich war ihr ein Mann noch nie so nah gekommen. Auch wenn sie blind war, hatte sie genau das gleiche recht darauf, unruhig mit den Fingern zu spielen, wenn sie nervös war. Sie liefen ein Stück, ohne weitere Worte zu wechseln, doch irgendetwas schien Yasura zu quälen. „Ähm…“, fing sie dann leise an, als sie wahrscheinlich lange genug darüber nachgedacht hatte, „Ich weiß, dass das jetzt irgendwie… eine seltsame Frage ist, aber… Kannst du mich bis nach Hause begleiten?“ Sie senkte bei ihrer Frage unsicher den Kopf. Er aber hörte ihr aufrichtig und verständnisvoll zu, sah auf seine Uhr und schloss kurz die Augen. Um diese Uhrzeit sollte man wirklich keine Frau alleine draußen herumlaufen lassen. Schonmal gar nicht, wenn sie blind war. Er mochte sie komischerweise sehr gut leiden, was ihn ziemlich verwirrte, da er sie nicht einmal einen halben Tag kannte und ungefähr erst drei Sätze zu ihr gesagt hatte. Da er aber eh Zeit hatte, musste er nicht lang darüber nachdenken, wie seine Antwort lauten würde – wohl eher, wie er sie in Worte fassen wollte. „Also komisch ist die Frage nicht...“, äußerte er sanft und bemerkte, dass sie wieder etwas verlegener, dennoch ruhiger wurde. Auf irgendeine Art stand der Blinden diese Röte und Nervosität aber. „Wie weit ist es denn noch bis zu dir?“, fragte der Blonde dann freundlich und duzte sie einfacher Weise zurück. Es störte ja eh keinen, fand er. Kapitel 3: ----------- Während Yasura ihren Kopf wieder leicht hob und überlegte, genoss der Brillenträger wieder diesen angenehmen Duft. Nichts roch besser als die Nacht. Das war für ihn eine Tatsache! „Es ist nicht mehr allzu weit. Vielleicht fünf Minuten geradeaus, wenn ich mich nicht irre.“, erklärte sie – nun vollkommen ruhig. „Ich möchte nur nicht… alleine nachts herum laufen.“ Kaname sah einen Moment zu ihr. Ein Nicken, wobei er aber nicht darüber nachdachte, dass sie es nicht sehen konnte. Er nahm einfach ihre Hand und ging langsam wieder los. Den ganzen Weg über war er sehr aufmerksam. Wer wusste auch, welche Leute sich um diese Uhrzeit herumtrieben. Gangs, Mörder, brutale Vergewaltiger, Erpresser,… ja, da fielen ihm viele Beispiele zu ein. Und so dachte er den Weg über nach. Der erste Block war schon überstanden, dann mussten die beiden wieder die Straße überqueren. Kaname aber blieb zu Yasuras Verwunderung stehen und ließ für einen kurzen Moment ihre Hand los um aus der Jackentasche etwas herauszuziehen. Er sagte nichts weiter und beugte sich etwas vor. Sein Atem ging ruhig, er wollte, dass sie ihn bemerkt, damit sie sich nicht im nächsten Moment erschreckt, denn dann legte er ihr den Schal um, an den er sich gerade erinnert hatte. Er ließ sich nichts weiter von seiner Sorge anmerken und nahm, als es grün wurde, einfach wieder ihre Hand – Ihre kleinen Hände fühlten sich nämlich so gut in seinen an... Hätte man Kaname heute Morgen gesagt, dass er abends genau das erleben würde, hätte er sich vor lachen wahrscheinlich die Schenkel geklopft. Obwohl,… wenn man genauer darüber nachdachte, hätte Kaname niemals gelacht – Diese Vorstellung war absurdt. Yasura konnte Kaname ganz sicher vertrauen – Das war sicher. Dennoch wusste das Mädchen nicht recht, wie sie sich in solch einer Situation zu verhalten hatte. Es war das erste Mal, dass ein Mann so liebevoll ihre Hand hielt. „D-danke.“, flüsterte sie verlegen, als die beiden schon wieder ein Stück gegangen waren. Irgendwie hatte sich Yasura gewünscht, dass Kaname daraufhin etwas gesagt hätte, doch sie hatte leider bereits gemerkt, dass er nicht der gesprächigste Geselle war. Dem Blonden kroch zwar die eisige Luft den Rücken hinauf, doch er ließ sich davon nicht unterkriegen und strahlte weiterhin eine wohlige Wärme aus. Als wäre nie etwas gewesen, schlenderten die zwei nun den Weg entlang. Für Yasura war das alles aber nicht so einfach. Das war einfach so unfassbar, was sie gerade erlebte. Als ob nie etwas gewesen wäre? Dieser nette Mann hielt immerhin ihre Hand! Mit seinen wunderbar wärmenden Händen! Yasura bemerkte auf, dass sie anfing, sich in seine Hände zu verlieben. „Jetzt ist aber gut! Du... D-du kennst ihn doch gar nicht!“, schimpfte sie innerlich und hätte sich dabei fast selbst ohrfeigen können. Verschämt von den eigenen Gedanken, vergrub Yasura das halbe Gesicht in dem wärmenden Schal und schloss die Augen. Es ärgerte sie ein wenig, dass sie schon wieder rot geworden war, aber das zeigte sie auf ein Weiteres nicht, weswegen Kaname nur über ihr niedliches Verhalten schmunzelte. Ohne wirklich zu realisieren, was auf einmal geschah, packte eine kalte, raue Hand mit viel zu verkrampften Bewegungen nach ihr. Es war der komplette Gegensatz zu Kanames Händen. „H-Hallo me-hicks-maaaine Hü-hicks-p'schö!“, säuselte neben ihre eine kratzige, unbekannte Stimme. Sofort bekam sie es mit der Angst zu tun, als Kaname sie auf einmal losließ. War er vielleicht doch nicht so gut? Gehörte er zu diesem Mann? Wenn ja, was hatten sie mit ihr vor? Sie ratterte innerlich die verschiedensten Möglichkeiten herunter, während sie es panisch mit dem Schweiß zu tun hatte. Hilfe. Sie brauchte Hilfe. Die Blinde erahnte lediglich, wo sich der eben noch so nette Fremde aufhielt und rückte näher an ihn heran. Wahrscheinlich bildete sie sich nur etwas ein und er war selbst ganz erschrocken! Kaname handelte im Gegensatz zu Yasura wesentlich schneller. Während sich in ihrem Kopf in den wenigen Sekunden so viel abspielte, was ihr Gesicht blass werden ließ, kam Kaname schnell zu dem Entschluss die Hand dieses – ja, in seinen Augen war es so – Unmenschen von Yasuras zu befreien. Er ließ Yasura, noch bevor sie wirklich verstand, los und baute sich vor dem betrunkenen Mann auf. „Finger weg!“, brüllte er zornig und drückte Yasura hinter sich. Nun, damit hatte die Blauhaarige nun wirklich nicht gerechnet. „D-hiks-du kanns'd mir -hiks- gaar nich'sss~!“ Ein ekeliger Geruch von Alkohol kroch dem selten damit konfrontierten Blonden, der den Brechreiz schnell herunter schluckte, in die Nase. „Nein,… nein, das kann ich gewiss nicht.“ Er schnappte sich Yasura und nahm sie hoch. Während das Mädchen ihr Gesicht so gut es ging versteckte, weil sie momentan in ihrer Vorstellung einfach grausam aussah, stieß ihr Held den Mann zur Seite und rannte dann einfach nur weiter. Hauptsache sie kamen von hier weg. Hauptsache… diese Frau kam von hier weg! Nach einiger Zeit wusste Yasura gar nicht mehr wo sie nun war, wie lange sie gelaufen waren und wo lang es nun ging um nach Hause zu kommen. Sie war einfach viel zu sehr in ihren eigenen Gedanken vertieft gewesen, als auf den Weg zu achten. Nachdem sich Kaname sicher war, dass ihnen der Betrunkene nicht mehr folgen würde, ließ er Yasura zurück auf ihre Beine und sah sich erst einmal um. Sie schien erst nach einem kurzen Moment zu merken, dass sie wieder den Boden unter den Füßen hatte und löste den fast schon verkrampften Klammergriff von Kanames Brust. Ihr Kopf war wieder hochrot geworden. Wie oft ihr heute wohl schon diese unangenehme Hitze ins Gesicht gestiegen war? Zwei weitere Blöcke lag hinter ihnen und es schien nun wohl wirklich nicht mehr lange zu dauern. Doch bevor die beiden weiterliefen, musste Kaname noch eine Frage loswerden. „Sag mal…“, begann er und wunderte sich selbst darüber, dass er den Mund einfach so auftat, „Wie alt bist du eigentlich?“ Er wollte sich nicht für seine Frage rechtfertigen, doch irgendwie konnte er sein Vorhaben nicht ganz einhalten. „Ich meine,… um die Uhrzeit ist nicht für manche Altersgruppen nicht üblich… draußen zu sein.“ Sie hatte ihr halbes Gesicht wieder im Schal versteckt und versuchte nun mit ihren Augen in seine Richtung zu sehen – Wenn sie das denn könnte. „N-neunzehn…“, flüsterte sie leise in den Stoff. Allein ein Danke überforderte sie gerade schon. Er nickte nur für sich, war aber etwas enttäuscht von der Antwort und ließ ihr Zeit sich etwas zu beruhigen, während er nachdachte. Obwohl der Fernsehstar eben erst gerannt war, atmete er jetzt schon wieder vergleichsweise ruhig. Irgendwie hatte Kaname geahnt, dass sie so jung sei, so sah sie eigentlich ja auch aus, doch die Hoffnung wollte er nicht aufgeben. Warum er das dachte, wollte er sich selbst nicht einmal eingestehen, denn er kannte sie doch eigentlich noch gar nicht! Innerlich führte er eine große Diskussion mit sich selbst. „Kaname! Du bist 24, hör auf dir was einzureden, du... du verdammtes Schmalhirn! Sie ist zu jung und du kennst sie doch erst seit gerade!“ Seine Miene wurde wieder ernst – so wie es eigentlich immer war und er fing an sich wieder umzusehen. Dass Kaname solche Konflikte mit sich selbst führte, ahnte Yasura nicht im Entferntesten. Wahrscheinlich, weil ihr einfach die Information fehlte, dass fünf Jahre zwischen den beiden lagen und es in vielen Augen nicht richtig wäre, wenn er ihre Hand hielt. „Um die Uhrzeit solltest du dich nicht alleine herum treiben…“, äußerte er, aber blickte eisern nach vorne. „Ja, ich weiß…“, gab sie leise zu und senkte den Kopf ein wenig, „Aber ich bin doch keine Acht mehr und außerdem… bin ich ja gar nicht alleine.“ Den letzten Teil ihres Satzes sagte sie total schüchtern und wurde augenblicklich wieder rot. „Fünf! Fünf Jahre! Vergiss es nicht!“, rief er sich noch einmal in Erinnerung und lenkte sich damit ab, als er doch noch einmal in ihr wunderschönes Gesicht sah und eigentlich verlegen werden wollte. Der junge Mann vergaß komplett sein eigenes Alter zu nennen. Dass ihn etwas beschäftigte, merkte Yasura, als er nur zögerlich ihre Hand nahm. „H-Habe ich etwas falsch... gesagt?“ Der Blonde spürte, wie ihn ein leichtes Kribbeln durchfuhr, weil er sich ertappt fühlte. Es ging nicht. Er konnte sich das nicht einreden. Nicht, wenn er diese angenehme Hand in seiner spürte. Deswegen konnte er ihr auf diese Frage auch nicht wirklich antworten. Etwas falsch gemacht? Vielleicht hatte er ja etwas falsch gemacht... Ohne es wirklich zu merken schüttelte er den Kopf, als ob sie es sehen könnte. „Äh,… also wir sollten w-weiter, sonst-… Es ist zu spät und du bist sicher müde u-und ich halte dich auf un-un-und vielleicht passiert dir was, wenn es noch später wird, weil du alleine nach Hause gehst!!“, sagte sie ganz wirr und begann dann langsam weiterzulaufen. Kurz atmete er durch und betrachtete sie doch ein weiteres Mal. Ohne es wirklich zu merken, schlich sich wieder ein Lächeln auf seine Lippen. Er war sich sicher, ihm würde nichts passieren, aber es tat gut, dass sich jemand Sorgen um ihn machte – wenn auch nur für eine Nacht. „Ich werde sie wahrscheinlich eh nie wieder sehen, also… sollte ich die Zeit mit ihr genießen.“ Kapitel 4: ----------- Yasura legte die freie Wand an die Hausfassaden um zu erkennen, wo sie gerade waren. Es war nun wirklich nicht mehr weit! Sie liefen den Rest des Weges zwar still zu Ende und standen schließlich vor dem Haus, in dem sie lebte, doch Yasura wollte den netten Mann doch noch so viel fragen. So viele Wörter pressten gegen ihre geschlossenen Lippen, die sich einfach nicht öffnen wollten. Wenn das Mädchen dann aber tief Luft holte und sich doch zum Sprechen brachte, hatte sie schon wieder vergessen, was sie wollte. Es war so seltsam neben ihm zu gehen – so fremd und gleichzeitig doch so schön. Wahrscheinlich einfach nur, weil er mit seinen wärmenden Händen ihre kalten hielt. Selbst wenn das Mädchen für den Rest ihres Lebens den Mund halten müsste, wünschte sie sich dann nur, mindestens genauso lang mit diesem Mann durch diese schauderhafte Dunkelheit gehen zu können. Doch sie schwieg nicht für den Rest ihres Lebens. Nur für die Minute, die die beiden an diesem Abend noch zusammen verbrachten. Eigentlich wollte Yasura noch gar nicht nach Hause, aber sie wusste, dass ihre Mutter sich Sorgen machte und wahrscheinlich, so dachte sie jedenfalls, würde sie den Fremden eh nur stören. Das Haus stand in einer Gegend, die Kaname noch nie gesehen hatte, obwohl sie seinem Haus doch so nahe lag. Ein solch starker Kontrast zwischen arm und reich... Hatte er vielleicht einfach nur die Orientierung verloren und wohnte doch ganz woanders, als er dachte? Kaname begleitete die Blauhaarige noch bis zur Wohnungstür und sah sie still eine Weile an. „Nun heißt es, auf Wiedersehen zu sagen…“, meinte er fast schon traurig, weil seine Stimme so leer war. Doch es war immer so. Man konnte sich in der Regel selber zusammenreimen, was Kaname dachte, fühlte und wirklich mit seinen Worten meinte. Im wahren Leben war er nun einmal anders als im Fernsehen. Hätte man Kaname an diesem Abend gefragt, ob er traurig sei, dass sie sich jetzt Verabschieden müssen, dann hätte er es mit Sicherheit bestritten. Es war so still, weswegen Yasura sich in den doch ständigen Gedankengängen wiederfand. Könnte sie doch bloß sehen. So oft schon hatte sie darum getrauert. Immer nur verschiedene Lichteinfalle zu vernehmen reichte ihr einfach nicht. Sie wollte dieses Bild einfach wie ein Tuch von ihren Augen nehmen, doch wenn sie nach ihrem Gesicht griff, dann war dort kein Schleier oder etwas Vergleichbares… So oft hatte sich Yasura gewünscht die Umgebung zu sehen, in der sie lebte oder einmal wirklich Farben zu sehen, um sie sich nicht andauernd vorstellen zu müssen! Doch an diesem Abend verschlimmerte etwas anderes das Verlangen nach ihrem fünften Sinn. Es war das Gesicht einer Person, dass sie unbedingt sehen wollte. Es war Kanames Gesicht. Nach seinen Worten drückte sie unsicher die Klingel, seufzte und richtete den Kopf zu Boden. Er aber lächelte Yasura eine halbe Minuten einfach nur an. Was dabei in seinem Kopf vorging, blieb nur für ihn allein… Yasura schluckte, als er ihre Hand auf einmal losließ, als im Flur das Licht anging und man Bewegungen durch das Milchglas erkannte. Die Blauhaarige zog eilig den Mantel aus und drückte ihn mit beiden Händen gegen seine Brust. Die Augen waren zusammengekniffen, ihr Gesicht hochrot, da sie sich fast schon an das wärmende Kleidungsstück gewöhnt hätte. Er nahm den Mantel an sich und legt ihn über seinen Arm. Yasuras Familie sollte ja nichts falsches denken – Oh nein, das sollte sie wirklich nicht! „Ich habe mir Sorgen gemacht, Yasura! Wo warst du nur wieder?“, erklang eine helle Stimme. Die besorgte, junge Frau öffnete die Tür und erschrak erst einmal leicht, als sie den Prominenten neben Yasura sah. Glücklicherweise erkannte sie ihn im matten Schein des Treppenhauses nicht als denjenigen, der er war und war lediglich etwas verwirrt, dass Yasura in Begleitung eines Mannes war. Eigentlich wollte Yasura noch etwas sagen, doch ihr fehlten schon wieder die Worte und konnte Kaname nicht daran hindern, dass er ging. Er sagte nichts weiter und merkte, wie ihm ihre Blicke unangenehm wurden. Er hatte nicht die Absicht zu bleiben oder so etwas, daher wich er, nicht so dass es unhöflich aussah, einen Schritt zurück. Sie heil nach Hause bringen – Das wollte er. Und das hatte er. Also brauchte er auch nicht länger hier verweilen, oder? Er sagte nichts weiter, senkte den Blick und stieg dann die kleine Stufe, die zur Tür führte, hinab. Nicht einmal zurück sehen konnte er, denn ihm war bewusst, dass er sich dann in irgendetwas hineinsteigerte. Die Blinde trat zörglich in die Wohnung ein, sah nur kurz ins Treppenhaus zurück und bewegte sich ohne ein Wort in die Richtung ihres Zimmers. „Was war das für ein Mann, Yasura?, ihre Mutter folgte ihr natürlich neugierig – dennoch sehr besorgt, denn sie wusste ja nicht, was ihre Tochter mit so einem Mann am Hut hatte. Yasura zuckte abwesend mit den Schultern, während sie ihre Zimmertür öffnete. „Sag mal, kennt du diesen Mann überhaupt?“, fragte ihre Mutter daraufhin und Yasura begann zu lächeln. Es war ein leeres und verträumtes Lächeln. „Leider nicht, Mutter... Leider nicht.“, flüsterte sie und schloss hinter sich die Tür. Kaname war nun schon ein paar Meter vom Haus entfernt, als er sich an das, was die Dame gesagt hatte, erinnerte. „Yasura...“, murmelte er leise. So nannte die Mutter das hübsche Mädchen. Kaname ging zumindest stark davon aus, dass es ihre Mutter war. Yasuras Mutter. Yasura. Nein, diesen Namen würde er niemals vergessen können. Es war langsam auch Kaname zu kalt hier draußen geworden. Er zog sich schnell seinen Mantel über und griff in Gedanken in die Manteltasche um den Schal daraus zu ziehen, doch... Yasura hatte seinen Schal noch! Er war zwar anfangs leicht erschrocken, doch dann musste er entspannt lächeln, denn es störte ihn gar nicht, dass sie jetzt etwas hatte, was sie an ihn erinnern würde. Es freute ihn. Kaname freute sich. An diesem Abend lernte Kaname, wie man sich freute. Yasura zog sich gerade um, als auch sie endlich bemerkte, dass sie seinen Schal immer noch bei sich hatte. Minutenlang verharrte sie mit Kanames Besitz in beiden Händen – Jederzeit bereit, ihn auszuziehen. Das tat sie nach einer halben Ewigkeit dann auch endlich. Nachdem sie sich ein dünnes Nachthemd angezogen hatte, ging sie noch schnell ins Bad und ließ sich anschließend im Zimmer auf die weiche Matratze fallen. Sie wollte ihn so unbedingt wiedersehen! Oder ihm zumindest noch einmal begegnen! Vorsichtig tastete sie nach dem dünnen Stoff, den sie neben sich aufs Bett gelegt hatte, und drückte ihn an sich. Es war zwar irgendwie seltsam, aber sie musste den Stoff einfach gegen ihre Nase drücken. Wenn dieser Schal wirklich von dem Mann war, dann musste dieser Mann ebenso wunderbar riechen, wie dieser Stoff. Yasura begriff endlich, dass sie gerade an einem Schal roch und wurde zum wiederholten Mal sehr rot. Doch wen störte es schon? Sie war ja allein. Nicht so, wie vorhin, wo er neben ihr-…! Und schon wieder war da dieser Drang ihn zu sehen. Wie sah er wohl aus? Hatte er dunkles Haar oder helles? Welche Augenfarbe mochte er haben? Auch wenn sie vielleicht ganz andere Vorstellungen von Farben und Formen hatte, so hatte sie doch ihre eigenen. Meistens stellte man sich Personen doch eh anders vor, als sie wirklich aussahen, nicht wahr? Mit diesen vielen Gedankengängen über Kaname, schlief Yasura dann endlich nach vielen, vielen Stunden ein. Kaname konnte die restliche Nacht über nur sehr schwer einschlafen. Um 5 Uhr suchten ihn dann aber doch so viele Gedanken heim, dass er darüber einfach nicht mehr wach bleiben konnte und in einen kurzen, aber sicheren Schlaf fiel. *** Am nächsten Morgen wachte Kaname wie gewohnt zwischen 9 und 10 Uhr auf. Er hatte eigentlich immer Zeit, noch länger zu schlafen, doch irgendwie fing er dann immer an faul zu werden und kam überhaupt nicht aus dem Bett. Das war ihm früher – Am Anfang seiner nun so erfolgreichen Karriere – andauernd passiert. Mittlerweile musste er ja sowieso nur noch Abends ins Studio. Denn er war ja jetzt der Star der Show und nicht irgendein anderer Heini, der sich eh nie an die von ihm geschriebenen Texte hielt. Zum Einen hatte es Kaname immer bis sonst wohin genervt, diese verdammten Dialoge zu schreiben und zum anderen fiel es um einiges einfacher seinen jetzigen Job zu erfüllen. Der junge Mann trank erst einmal eine Tasse Kaffee, die sein Hausmädchen, Miss Marble-Mii, wie gewöhnlich auf der Theke bereitgestellt hatte. Ein noch warmes Croissant lag daneben auf einem Teller, den er sich schnappte und damit in das Wohnzimmer ging. Kaname kannte seine Angestellte auf keinen anderen Namen. Ob das lediglich ihr Nachname war, konnte er nicht einmal sagen. Als er lethargisch Platz auf die Couch nahm nippte er nochmals an dem Kaffee und entschied sich, Fernsehen zu gucken. Die Idee ließ er dann aber auch sein, als er merkte, dass nur unnötiger Kram lief. Er schaffte es ja sowieso nicht, sich auf irgendwelche Sendungen zu konzentrieren. Statt des Fernsehers, der ihm eh eine Note zu protzig war, schaltete er das Radio ein und lauschte lieber irgendwelchen Charts und Sprechern. Während er sein Frühstück einnahm, wichen seine Gedanken ab. Er hatte sich den Abschied gestern zwar sehr leicht gemacht, aber Yasura konnte er einfach nicht vergessen. Obwohl es nur ein einziger Abend war, den er mit ihr verbracht hatte, fühlte es sich so an, als ob er sterben würde, wenn er sie nicht wenigstens noch einmal sehen dürfte. Einen Moment blieb er still so sitzen und stellte sich wieder ihr wunderschönes Gesicht vor. Er wollte sie so unbedingt wiedersehen. Irgendwann jedenfalls. Der Blonde seufzte. Alles was er hatte, waren lausige Erinnerungen. Nur Bilder in seinem Kopf, die langsam wieder zu verschwinden drohten. Da er selbst dem Gebrabbel im Radio nicht wirklich folgen konnte, erhob er sich von der Couch und trank mit wenigen Schlücken seinen Kaffee aus. Die leere Tasse und den Teller stellte er in die Spüle und wusch sich noch im selben Handgriff die Hände. Einen Moment verharrte er und musterte seine Finger. Wie hatte er ihre Hand noch gleich gehalten? Kapitel 5: ----------- Der junge Mann drehte und wendete ein paar Mal seine rechte Hand, schloss sanft eine Faust und öffnete sie wieder. Vollkommen in Gedanken, blieb er über die Spüle gelehnt und fing nach einer halben Minute an zu Tagträumen. ~ Kaname saß auf einmal in seinem Lieblingssessel, dieser stand in seinem Kaminzimmer. Oh, wie er dieses Zimmer liebte. Sein Sichtfeld war begrenzt, aber dennoch sah er ein Bild, das in einen leichten, samtigen Nebel getaucht war. Wäre es ein Foto gewesen, würde es als völlig überbelichtet durchgehen. Kaname hielt in der rechten Hand eines seiner Lieblingsbücher. Als der junge Mann jedoch vom Text aufsah, schlug er fassungslos das Buch zu und legte es beiseite. Nach einem kurzen Moment, in dem er einfach weiter schwieg, fing er an zu lächeln. Als wäre es ganz normal, dass gegenüber von ihm ein blauhaariges Mädchen auf der Fensterbank lag. Es war fast ein Keuchen, das dem Mann aus der Kehle kroch, als er sie ansah. Er schluckte ungläubig, ließ den Mund aber noch offen, bis er anfing zu lächeln. Auf einmal war es nicht mehr seltsam, dass ihm diese Frau so nah war – Nein, es war regelrecht beruhigend. Besonders, da sie friedlich schlafend auf rot-orangenen Kissen lag. Kaname schnaubte leise, stand verträumt auf und schlich zu ihr heran. Nun war er ihr ganz nah. So nah, dass er sie am liebsten an der Wange gestreichelt hätte. Doch wecken wollte er sie nur ungern, also ließ er sich leise neben ihr nieder und saß dann mit geschlossenen Augen auf dem Boden. „Kaname?“, drang die leise Stimme der Frau an sein Ohr, „Schläfst du?“ Er blinzelte irritiert und hob den Kopf an. Ihm war, als würde auf einmal ein Wind durch sein Zimmer wehen – woher dieser jedoch kam, konnte sich Kaname nicht erklären. Die Leere in seinem Kopf ließ es sowieso nicht zu, dass sich der junge Mann Gedanken darüber machen konnte. Er wollte die Frau ansehen und ihr antworten, doch… sie war weg, als er in ihre Richtung sah. Da gelassen hatte sie drei ordentlich aufgereihte Kissen und einen unerklärlichen Schmerz in Kanames Brust… ~ Ein Staubsauger ließ Kaname hochschrecken. Er nahm schnell die Hände von den Spülenrändern und bemerkte auf beiden Handinnenseiten jeweils eine breite Druckstelle. Der Blonde ballte - noch leicht verwirrt und benebelt von seinem Traum – ein paar Mal die Fäuste und betrachtete sie. Als der Staubsauger ausgeschaltet wurde, wollte er gerade die Küche verlassen. Natürlich kam es so, dass der werte Herr in sein Hausmädchen lief und noch verdatterter als eh schon war. „Ach Sie sind es…“, murmelte er nicht gerade höflich und musterte sie knapp. Sie verbeugte sich euphorisch und grinste ihn freudestrahlend an. „Guten Morgen, Herr Kaname de Jeicho!“ Sie zögerte nicht lange, schnappte sich wieder den Staubsauger und verschwand in der Küche. Darauf folgte wieder der Lärm, den Kaname nicht ausstehen konnte. Generell mochte er es nicht sonderlich, wenn jemand sein Haus putzte – Er war ja nun wirklich selbst fähig genug um die wenige Arbeit, die eine Person schaffte, zu beseitigen. Doch protestieren brachte nichts. Sein Chef blieb stur und bestand auf ein Hausmädchen. Damals hatte er darüber immer den Kopf geschüttelt, nun aber, war es ihm vollkommen egal. Sollten sie doch seine Heimat nach ihren Wünschen „schön“ machen... Kaname ging zur Gaderobe und warf sich seinen Mantel über. Anschließend verließ er ohne ein weiteres Wort das Haus und schlenderte durch seinen Garten. Der Gärtner schnitt gerade die große Hecke, die sein viel zu großes Grundstück umrandete, doch mit ihm redete Kaname ebenfalls nicht. Er sah ihm mit seinen blauen Augen nur einen Moment bei der Arbeit zu, wendete sich dann ab und ließ sich auf einer Bank, nahe eines schon geschnittenen Teils der Hecke, nieder. Das alte Holz knirschte ein wenig, als er sich hinsetzte, doch stören ließ sich Kaname davon nicht. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. Nun fing er an, über seinen Traum nachzudenken… Wie sehr er sich doch wünschte, dass sie bei ihm wäre. Wie schlimm dieser schmerzende Stich war, als sie auf einmal spurlos verschwunden war! Nein, diesen traum konnte er nicht so leicht verkraften. *** Yasura wachte erst gegen Mittag wieder auf – Aber auch nur, da ihre Mutter sie weckte. Den Schal hatte das blauhaarige Mädchen noch immer fest an sich gedrückt und der Geruch stieg ihr noch immer in die Nase. Sie schlüpfte wie gewöhnlich in ihre Sachen und tastete mit wenigen Berührungen den Weg zum Bad ab. „Möchtest du etwas essen, Yasura?“, fragte die nette Frau ihre Tochter, als diese an ihr vorbeilief. Sie war immerzu besorgt um Yasura gewesen und hatte sich tagtäglich bemüht, dass es dem blinden Kind gut geht. „Nein, nein. Danke!“, rief das Mädchen, als sie sich die Bürste schnappte und anfing mit ihren Haare zu kämpfen. Sie gab es schließlich auf, band sich einen Dutt und lief währenddessen wieder in ihre Zimmer zurück. Dort schnappte sie sich Kanames Schal und entschied sofort, dass sie ihn unbedingt waschen musste. Schließlich tat man das einfach, wenn man jemandem etwas zurück gab. Jedenfalls musste Yasura ihm den Stoff, der auf sie so kostbar wirkte, doch zurückgeben. Vielleicht ging es der jungen Frau dabei nicht nur um den Schal. Vielmehr könnte die Tatsache, dass sie Kaname dann wieder begegnen würde, ein Grund ihrer Entschlossenheit sein. Sie musste sicherlich einfach nur dort herum laufen, wo sie am vorherigen Abend herum gelaufen war. Aber erst einmal hieß es, den Schal zu waschen! Das tat sich dann auch, hing ihn zum Trocknen auf den Balkon und setzte sich geduldig in die Sonne. Mittlerweile war es warm geworden und Yasura fühlte regelrecht die starken Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Gegen Nachmittag war der feine Stoff auch schon trocken. Yasura steckte ihn seufzend in eine braune Papptüte, welche sie im Flur abstellte um sich ihre Schuhe anzuziehen. Der Schal roch jetzt wahrscheinlich nicht mehr nach ihm, sondern nach ihr. Sie fragte sich, ob ihn das stören würde. Dass Yasuras Mutter schon eine ganze Weile vor ihr gestanden haben musste, hatte sie nicht bemerkt. Erst als diese leise eine Frage stellte: „Triffst du dich mit diesem Mann?“ Sie war wohl ziemlich nachdenklich geworden, als sie am vorherigen Abend ihre Tochter in Begleitung eines Mannes gesehen hatte. Ob ihre Frage nun hoffnungsvoll oder eher aus dem Grund, dass sie eben nicht möchte, dass sich ihre Tochter verabredet, entstand, konnte man nicht direkt sagen. Beide Erklärungen hätten Grund zu ihrer Frage sein können, deswegen wusste Yasura auch nicht recht, wie sie reagieren sollte. Gut nur war, dass sie sich nicht direkt verabredet hatten. Nein, Kaname wusste ja nicht einmal, dass Yasura ihn unbedingt treffen wollte… Die Blauhaarige bekam zittrige Hände, wenn sie alleine an seine Stimme dachte. Was würde er wohl sagen, wenn sie auf einmal vor ihm stehen würde? Nichts? So könnte man ihn schließlich einschätzen, da er ja den ganzen Abend lang kaum etwas gesagt hatte. Genug jedoch, dass sie wusste, den Klang seiner Stimme nicht vergessen zu wollen. Nur das passierte leider schon. Je mehr sie sich zwang, eine Erinnerung zu behalten, verlor sie mehr und mehr seine Stimme aus ihrem Gedächtnis. „Ich treffe mich mit einer Freundin.“, äußerte sie lächelnd und öffnete die Tür. Ihren Satz führte sie in Gedanken aber noch weiter: „Um ihm dann ganz zufällig über den Weg zu laufen!“ Gelogen war ersteres nicht einmal, denn ihre Freundin Ayame war immer dazu bereit, mit Yasura ein wenig um den Block zu gehen. Das Mädchen, sie war ebenfalls neunzehn Jahre alt, wohnte im gleichen Haus und hatte wenige Freundinnen. Sie verbrachte viel Zeit vor ihrem Computer und kam wenig raus. Deswegen war es gut, dass es Yasura gab. Die Blinde war nämlich die einzige Person, die mit Ayame einfach mal spontan etwas unternahm. „Mit dem Essen brauchst du nicht zu warten, wir kaufen uns in der Stadt etwas, oder so…“, meinte Yasura noch eilig, und war schon aus der Tür. Sie sprintete wagemutig, egal ob sie fallen sollte oder nicht, die Treppen herunter, sprang in die Kurven und hielt sich dann immer am Geländer fest. Vor einer Tür blieb sie dann stehen und drückte in der Bremsbewegung die Klingel. Noch leicht außer Puste stand sie dann in der Tür und wartete darauf, dass sie jemand öffnete. Nicht lange später, war sie in Begleitung von Ayame, die, wie erwartet, Zuhause gewesen war. Beide überlegten noch, ob sie Céline abholen sollten, doch sie hatte sowieso nur noch eine Stunde Zeit, da sie dann zum Geigenunterricht musste. Das würde sich dann nicht lohnen, da der Weg zu ihr noch ein ganzes Stück gewesen wäre. Also blieben die beiden zu zweit. Während Yasura mit den Gedanken vollkommen bei Kaname war, textete Ayame sie eine ganze Weile zu. „…Und dann sind sie tatsächlich zu ihm gegangen! Kannst du dir das vorstellen? Obwohl er ja eigentlich keinen Tee mag! Das-… äh, Yasura? Hörst du überhaupt zu?“ Die Blauhaarige schrak nach dem Gerede ihrer Freundin auf und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich… äh… bin nur etwas in Gedanken.“, murmelte sie leise, nahezu flüsternd. Die Tüte mit dem Schal hatte sie mittlerweile schon an ihren Oberkörper gedrückt getragen. „Achso, das kenn ich!“, lachte ihre Freundin und klopfte ihr leicht auf die Schulter. Sie schien die Tüte irgendwie gar nicht zu bemerken oder es interessierte Ayame einfach nicht, was darin zu finden war. „Du kannst mir ruhig Bescheid sagen, wenn was ist“, meinte sie lieb und erzählte kurz darauf wieder munter weiter. Sie liefen zusammen in die Stadt und kauften sich etwas zu essen und begaben sich auf den Weg nach Hause, an dem Studio vorbei… Da sie dieses Mal niemanden nach Hause bringen mussten, außer sich selbst, konnten sie einen schnelleren Weg wählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)