Thesedays ... von whitePhobia (*KaRe*) ================================================================================ Kapitel 5: Eine lange Nacht --------------------------- 5. Eine lange Nacht „Stimmt es, dass du stirbst?“, fragte Kai und strich dabei zärtlich über den Silberring an seiner linken Hand. Nachdem er das Wohnzimmer verlassen hatte, hatte er sich in sein Arbeitszimmer im ersten Stock zurückgezogen. Nun saß er an seinem Schreibtisch, die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und betrachtete seinen Ring. Max hatte ihm erzählt, dass sich Draciel gezeigt hatte, nachdem er mit Wasser in Berührung gekommen war. Kai zog den alten dreiarmigen Leuchter zu sich heran und kramte in einer Schublade nach Streichhölzern. Er brauchte diese Antworten. Als er die Kerzen angezündet hatte tauchten sie den Raum in flackerndes, gelbes Licht. Kai zog seinen Ring vom Finger und führte ihn blitzschnell durch die Flamme der mittleren der drei Kerzen. Wenn es nicht funktionieren sollte wollte er auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass Dranzers Chip beschädigt wurde. Doch es funktionierte. Der Ring wurde heiß und einen Augenblick später erfüllte ein glockenheller Ton den Raum, der von überall zur gleichen Zeit zu kommen schien. Ein Phönix schwebte aus dem Nichts heran und ließ sich vor Kai auf dem Rand von einem der Computerbildschirme nieder. Kai war sich nicht sicher ob es am Licht der Kerzen lag, aber das Gefieder des Vogels schimmerte nicht so kräftig in allen Rot- und Goldtönen, wie er es in Erinnerung hatte. Die Gestalt des Phönixes war merkwürdig fahl und durchscheinend. Kai stand von seinem Stuhl auf und lehnte sich nach vorn. Auch der Phönix neigte seinen Kopf in Kais Richtung bis sich die Stirn des Tieres sanft an Kais Stirn lehnte. Einige Sekunden verharrten beide mit geschlossenen Augen in dieser Position, dann sprach Kai. „Ich habe dich vermisst.“ Wieder ertönte ein glockenheller Ton, doch diesmal schwangen Worte, die wie Gesang klangen in ihm mit. „Ich dich auch Kai. Und es ist wahr. Ich sterbe.“ Kai war erschrocken von der Endgültigkeit dieser Aussage. Es war etwas anderes es von Dranzer selbst zu hören. „Aber Phönixe werden wiedergeboren. Sie erstehen aus ihrer eigenen Asche wieder auf, wenn sie sterben.“, erinnerte er sie beide an diese uralte Legende. „Diesmal ist es anders. Meine Verbindung zu dieser Welt schwindet. Und du spürst es auch.“ „Nein!“, sagte Kai entschieden und ging zum Fenster. „Ich habe dich nicht vergessen, wie diese Trottel da unten. Ich habe an dich gedacht. Habe den Glauben an dich nicht verloren …“ Doch Stimme des Phönixes unterbrach ihn, ehe Kai weitersprechen konnte. „… und deshalb spürst du es auch stärker. Unsere Verbindung ist zu eng. Kannst du dich nicht daran erinnern, wie müde und ausgezehrt du dich in den letzten Wochen und Monaten gefühlt hast?“ „Doch,… aber ich habe einfach sehr viel gearbeitet.“, versuchte Kai diesen Umstand zu erklären. Die latente Panik wallte plötzlich blasenartig in ihm auf. Seine Kehle war wie zugeschnürt, er durfte Dranzer nicht verlieren. „Aber ich kann es auch allein tun. Ich kann dich beschützen.“, krächzte er. Der Phönix schüttelte traurig seinen schmalen Kopf. „Max hat es doch erklärt, ich bin zu stark an die Anderen gebunden. Wir werden gemeinsam verschwinden.“ Kai schwieg. Nach einer Weile sagte der Phönix dann, fast zu sich selbst: „Ich spüre den weißen Tiger fast gar nicht mehr. Es ist eher wie das Echo eines Flüsterns.“ Er schaute dabei in die Dunkelheit hinter sich. Wieder verging ein kurzer Moment der Stille. „Ich weiß warum du sie fürchtest“, fuhr er dann fort und blickte wieder Kai an „Sie bedeuten Chaos, wo du nach Ordnung strebst. Sie verursachen Unstetigkeit, wo dir Kontinuität lieber ist. Sie bringen Unsicherheit mit sich, für einen wie dich, der lieber kein Risiko eingeht.“ Kai wollte dem Phönix einen Moment lang wiedersprechen, schwieg dann aber doch. Dranzer hatte Recht. Er war nie Risiken eingegangen. Damals nicht: Er hatte immer das Beybladeteam gewählt, mit welchem er die größten Chancen hatte zu gewinnen. Heute nicht: Er ließ sich auf kein Geschäft ein, dessen Ausgang und Eventualitäten er nicht genau kannte. „Du hast Angst vor dem Menschen, den sie damals aus dir gemacht hatten. Doch gleichzeitig sehnst du dich auch nach jenem Menschen zurück.“ Kai hörte ein Rascheln von Federn. Dann spürte er einen leichten Lufthauch und ein Gewicht, das sich auf seiner Schulter niederließ. Er blickte zur Seite, Dranzer hatte sich auf seine Schulter gesetzt. Auf Kai wirkte der Phönix jetzt noch ein wenig durchscheinender. „Diese materialisierte Gestalt zu benutzen strengt mich sehr an.“, erklärt der Vogel auf Kais unausgesprochene Frage. „Ich kann nicht mehr lange bleiben, deshalb hör mir genau zu! Du musst dich fallen lassen. Vertraue ihnen, denn sie sagen die Wahrheit, auch wenn du diese Wahrheit vielleicht nicht hören willst.“ Kai spürte wie das Gewicht von seiner Schulter verschwand. Er war wieder allein im Zimmer. Ein dunkler Gong ertönte irgendwo im Haus. Das Taxi war da. Er ging aus dem Arbeitszimmer. Kai wollte sehen wie die Anderen gingen. Aus der Dunkelheit heraus beobachten, wie sie aus seinem Haus verschwanden. Er brauchte erst einmal Zeit um über alles nachzudenken. Allein. *** Ray sah dem wegfahrenden Taxi hinterher, bis seine Rücklichter um die nächste Straßenecke gebogen waren. Er huschte dann den kurzen Weg bis zum Haus zurück. Eine dunkle Gestalt, die im Türrahmen lehnte, erwartete ihn bereits. Ray wusste wer da auf ihn wartete. „Ihr seid noch da.“, Kais Stimme klang vorwurfsvoll. Sein ausgestreckter Arm versperrte Ray den Durchgang. „Ja und wir plündern deinen Kühlschrank. Was willst du jetzt tun?“ Kai war von soviel Dreistigkeit völlig überrumpelt. Ein Auto fuhr auf der Straße vorüber und das Licht der Scheinwerfer warf die schwarzen Schatten der umstehenden Bäume auf sie. Die Eiseskälte der Nacht schien mit ihren langen ausgehungerten Fingern nach Ray zu greifen, der nur in seinem dünnen Shirt hier draußen stand. Doch er konzentrierte seine volle Aufmerksamkeit auf die Gestalt vor ihm, und ignorierte die Kälte. Kais helle Haut leuchtete blass im Halbdunkel. Hätten seine Augen nicht in einem tiefen Rotbraun geschimmert wäre er Ray in diesem Moment wie eine zu scharf geschnittene Schwarz-Weiß-Zeichnung vorgekommen. „Du siehst nicht gut aus.“, sagte Ray nachdem Kai auf seine Frage nicht geantwortet hatte. Er hatte das Bedürfnis seine Hand nach Kai auszustrecken und seine so geisterhafte Gestalt zu berühren, nur um zu überprüfen ob er wirklich real war. Doch er hielt sich zurück. Kai schien es zu bereuen sich Ray in den Weg gestellt zu haben. Er blickte Ray nicht in die Augen, sondern auf einen Punkt direkt über seiner linken Schulter. Sie verharrten einige Minuten schweigend. „Was ist? Lässt du mich wieder vorbei?“ Kai sah Ray funkeln an. Zwei blutroten Planeten, die ihn aus der Dunkelheit heraus anstarrten. Ray musste fast lächeln. Früher hätte ihn ein solcher Blick sicherlich dazu gebracht sich Kai unterzuordnen. Doch sie waren schon lange keine Teenager mehr. Eine solche Zermürbungstaktik funktioniert heute bei ihm nicht mehr. Ray seufzte und schüttelte leicht den Kopf dann drängte er sich einfach an Kai vorbei, er konnte nicht ewig hier draußen stehen. *** Rays Essen in der Küche war bereits wieder kalt geworden und so erwärmte er es erneut, ehe er sich zu den anderen an den ausladenden Küchentisch setzte. Kai betrat einige Sekunden später die Küche. „Man deine Haushälterin kann echt gut kochen.“, lobte Tyson sein Essen. „Sie ist nicht meine Haushälterin. Sie ist nur meine Putzfrau.“, stellte Kai klar. „Die auch kocht und Gästebetten herrichtet, ja ja.“, sagte Max. „Woher wisst ihr das?“fragte Kai, fuhr langsam herum und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er geringschätzig in Rays Richtung blickte. Ray lächelte Kai nur wissend an, sagte aber nichts. Kai nahm sich den für ihn bestimmten Teller aus dem Kühlschrank und setzte sich zu den anderen an den Tisch, nachdem er sich sein Essen aufgewärmt hatte. Sie aßen schweigend. „Ihr könnt hier nicht bleiben.“, sagte Kai nachdem sie das Essen beendet hatten. „Ich möchte dass ihr spätestens Morgen mein Haus verlassen habt.“ „Kai du solltest wirklich noch einmal über …“, begann Max doch er wurde grob von Kai unterbrochen. „NEIN. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet ich gehe schlafen. Gute Nacht.“ Damit stand Kai auf und verließ die Küche. Ray, Tyson und Max sahen sich besorgt an. „Ziehen wir Streichhölzer, wer zuerst noch einmal probiert mit ihm zu reden?“ Tyson versuchte mit diesem Scherz eindeutig die gedrückte Stimmung zwischen ihnen ein wenig aufzulockern. „Ich gehe.“, schlug Ray vor, bevor sich einer der Anderen melden konnte. *** Der Flur im dritten Stock war schwach beleuchtet. Nur in jeder zweiten, dafür vorgesehenen Wandhalterung steckte auch eine Glühbirne, sodass man zwischen Stellen die von trübem gelbem Licht erhellt waren und tiefer Dunkelheit einherschritt. Durch diese spärliche Beleuchtung konnte Ray auch erkennen, dass unter einer der Türen ein schwacher Lichtschein in den Flur fiel. Er klopfte einmal, doch als er keine Antwort erhielt betrat er ungebeten das Zimmer. Es war ein großer Raum. Alle Räume in diesem Haus schienen unnatürlich groß zu sein. Wie konnte man nur allein hier leben? Der Fußboden war, wie im ganzen Haus, aus Holz. Ein schwerer dunkler Kleiderschrank stand nahe einem hohen Spiegel an der Wand. Daneben führte eine weitere Tür in einen angrenzenden Raum. Ein breites Bett mit geschnitzten Pfosten war an der anderen Wand aufgestellt worden. Schwere dicke Samtvorhänge umrahmten zwei große Fenster, die den Blick auf die dunkle Nacht freigaben. Auf einem Kissen im Fensterbrett lag eine große abessinische Katze, die Ray neugierig musterte. Kai lebte also doch nicht ganz allein hier. Zwei Sessel standen auf einem weichen Teppich vor einem der Fenster. In einem hatte Kai es sich gemütlich gemacht. Er schaute Ray mit ausdruckslosem Gesicht an. Scheinbar betrachtet er ihn als Eindringling. „Ich hoffe du kommst um mir zu sagen, dass ihr euch dazu entschieden habt sofort wieder abzufahren.“ Kai legte die Zeitung, in der er eben noch gelesen hatte, auf einem Beistelltisch neben sich ab. „Nein.“, sagte Ray und schlenderte ein wenig durch das Zimmer, um sich schließlich an einen Pfosten von Kais Bett gelehnt auf den Boden zu setzen. Ein leises Geräusch entstand, als die Katze ihren Platz auf dem Fensterbrett verließ und zu Boden sprang, um den Gast in Augenschein zu nehmen. Willig ließ sie sich von Ray streicheln. Kai schien es gar nicht zu gefallen, dass sein Haustier Ray so viel Zuneigung entgegenbrachte. „Was willst du dann?“, fragte Kai barsch und durchbrach so die andauernde Stille. Ray ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er kraulte die Katze, die es sich neben ihm bequem gemacht hatte. An ihrem Halsband hing eine silberne Plakette auf deren einen Seite Kais Adresse und Telefonnummer in kyrillischen und lateinischen Buchstaben geprägt war. Ray drehte die Marke zwischen seinen Fingern und betrachtete die Rückseite. „MONSTER“ stand da in Blockbuchstaben. Ray lächelte. Ein merkwürdiger Name für ein so hübsches Tier. „Ich will dich überzeugen, Kai.“ Ray kraulte weiterhin die Katze „Ich hoffe dir ist klar, dass wir nicht gehen werden bevor wir haben, weshalb wir hergekommen sind.“ „Ihr geht mir auf die Nerven.“, knurrte der Russe und gab vor sich wieder in seine Zeitung zu vertiefen. Ray grollte innerlich. Kai war immer noch der alte Miesepeter. Er schwieg und streichelte weiterhin die Katze. Minuten vergingen. „Warum kannst du russisch?“, fragte Kai nach einer Weile. Ray zwang sich nicht zu lächeln. Geduldig zu sein zahlte sich immer aus. Wenn man lange genug vor einem Mauseloch wartete würde früher oder später auch eine Maus hinaus kommen. „Warum interessiert dich das? Du fragst nicht, wie gut mein Russisch ist, oder wann ich es gelernt habe, sonder warum?“ „Ich bin nur neugierig.“ Ray spürte dass Kai dieses Eingeständnis eine gewisse Überwindung gekostet haben musste. „Nicht um dich zu ärgern, falls du das glaubst. Die Welt dreht sich nicht nur um dich.“, sagte Ray und Kais Gesichtsausdruck ließ ihn erahnen, dass er genau das geglaubt hatte. Kai stand von seinem Stuhl auf und ging hinüber zu Ray. Er beugte sich hinab und nahm die Katze auf den Arm. „Sie hat heute noch nichts gefressen.“, sagte er und ging in Richtung Tür. Ray stöhnte innerlich auf. Kai war ganz schön empfindlich geworden, dass er nach so ein paar Sticheleien schon die Flucht ergriff. „Warte.“, rief Ray ihm nach und wollte Kai bereits nacheilen, als ihm die Ecke einer blauen Karte, die unter der Tageszeitung hervor lugte, ins Auge stach. Ray sah zur Tür, die Kai hatte offen stehen lassen. Düster und ruhig lag der Flur da, Kai war schon längst weg. Ray griff in einer merkwürdigen Vorahnung nach der Karte. Es war eine Einladung zu einer Ausstellungseröffnung in einer Gemäldegalerie. Ray überflog kurz den Text auf der Karte und blieb dann an dem Namen eines, der an der Ausstellung beteiligten, Künstlers hängen. „Tala Ivanow.“ Rays Augen weiteten sich vor Überraschung. Tala, ein Künstler? Das letzte was er von Tala gehört hatte war, dass er sich für ein Physikstudium eingeschrieben hatte. Die Ausstellungseröffnung war morgen Abend. Ray faltete die Einladung und steckte sie in seine Hosentasche. Ein hinterhältiges Lächeln glitt über seine Züge. Vielleicht hatte er soeben einen zusätzlichen Verbündeten im Kampf gegen Kais Sturheit gefunden. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)