Thesedays ... von whitePhobia (*KaRe*) ================================================================================ Kapitel 9: Rituale ------------------ 9. Rituale Nebelschwaden heißen Wasserdampfes hingen in der Luft und ließen einen schwerer atmen. Ein Gefühl wie nach einem Regenguss in den Tropen, nur dass die Luft hier im Badezimmer nicht erdig und klar sonder angenehm nach Seife duftete. Ray stand frisch geduscht mit noch nassem Haar vor dem Spiegel. Er wischte die kondensierten Wassertropfen mit der Hand von dem beschlagenen Glas um sich selbst besser sehen zu können. Sorgsam kämmte er sein Haar bevor er zu der Schere griff, die auf dem Rand des Waschbeckens lag. Kalt lag der Stahl in seiner Hand, merkwürdig fremdartig fühlte er sich an. Ray lachte kurz nervös auf. Er hatte doch tatsächlich Angst davor sich die Haare abzuschneiden. Er atmete einmal tief durch um die Nervosität abzuschütteln. Dann nahm er die erste Strähne zwischen die Fingen und setzte die Schere an. Es dauerte keine zwanzig Minuten und Ray hatte sein Werk vollendet. Er legte die abgeschnittenen Haare zu einem Zopf und fasste sie mit einem weißen Band zusammen. Danach wischte er erneut den beschlagenen Spiegel ab und betrachtete sein Werk. Sein Haar endete jetzt auf Schulterhöhe, ein Bild das er nur von frühen Kinderfotos kannte. Nur damals hatte er noch kurze Haare gehabt. Zumindest erkannte er sich noch wieder. Ray nahm die Schere und das Bündel abgeschnittener Haare und verließ das Badezimmer. *** „Die Schale wäre ideal. Denkst du Kai leiht die uns für heute Nacht?“, fragte Max Tyson und tippte gegen eine ausladende flache Silberschale unter dem Arm. „Ich denke nicht, dass er etwas dagegen haben sollte.“ Max und Tyson hatten nach dem Abendessen das Haus nach Kerzen und weiterem Zubehör für das Ritual durchforstet. Sie waren dabei auch auf eine flache Silberschale gestoßen, die ihnen mehr als geeignet schien, um sie als Opferschale zu benutzen. „Wir sollten ihn dennoch besser fragen, nicht dass die Schale heute Nacht irgendwie beschädigt wird und dann stellt sich heraus, dass sie ein unbezahlbares Familienerbstück war.“, überlegte Max laut, während er und Tyson gemeinsam die Treppe in den ersten Stock hinaus stiegen. „Du willst wirklich dein Familienschwert opfern?“ „Ja, ich meine Stahl lässt sich doch neu schmieden, oder? Ich kann das neue Schwert ja dann weitervererben und Dragoon kann erst einmal in seinen alten Bitchip zurückkehren.“, sagte Tyson und klopfte sich mit der flachen Hand auf seine Hosentasche, in der er den Chip aufbewahrte. Beide bogen um eine Ecke des Flures und verlangsamten ihre Schritte. Auf halben Weg den Gang entlang standen Ray und Kai, in eine Unterhaltung vertieft zusammen. Ray hatte scheinbar soeben erst seine Haare abgeschnitten, denn sein schwarzes Haar reichte ihm nur noch bis zu den Schultern und er hielt die Reste seines langen Haares, zu einem Zopf zusammen gebunden, in der Hand. Irgendetwas sagte Max, dass sie beide jetzt besser nicht in Kais und Rays Unterhaltung hineinstolperten. Max hielt Tyson reflexartig am Arm zurück und legte sich den Finger auf die Lippen um seinen Freund zu bedeuten, dass er sich still verhalten sollte. Ray und Kai schienen so fixiert aufeinander, dass sie nichts von ihrer Umgebung mitbekamen. Max schob Tyson dennoch ein Stück tiefer in den Schatten einer nicht funktionierenden Wandlampe. „Du hast sie schon abgeschnitten.“, stellte Kai gerade fest und fuhr Ray fast liebevoll mit den Fingern durch das kurze Haar. „Ich wollte das nicht auf den letzten Drücker machen. Ich will nachher noch packen.“ Rays Worte waren leise, aber dennoch deutlich zu verstehen. „Packen?“ Kais Hand zuckte zurück und er trat einen Schritt nach hinten. Max kam es vor, als hatte dieser letzte Satz von Ray Kai zutiefst erschreckt. „Ich habe meinen Rückflug nach Shanghai für morgen Abend gebucht.“ „Morgen Abend schon.“, flüsterte Kai und Max musste sich anstrengen um seine Worte überhaupt zu verstehen. „Ich dachte es wäre klar, dass ich wieder fliege.“ Ray fixierte Kai auf eine Weise, als würde er jede noch so kleine Reaktion seines Gegenübers genau beobachten. „Ich dachte du bleibst noch eine Weile.“ „Willst du denn dass ich bleibe? Schließlich hast du gesagt, dass ich vergessen soll was geschehen ist. Auch wenn du weißt, dass ich nicht auf dich hören werde.“ Max wurde auf einmal peinlich bewusst, dass er und Tyson hier wahrscheinlich eine sehr private Unterhaltung belauschten. Er sah den Flur hinunter, sich im Klaren, das sie beide besser gehen sollten. Allerdings siegte seine Neugier und ließ ihn weiterhin lauschen. Ray war näher an Kai heran getreten, der schweigend mit sich selbst zu ringen schien. Momente vergingen. Der Abstand zwischen Kai und Ray schien dahin zu schmelzen, obwohl ich keiner von beiden zu bewegen schien. „Ja, bitte bleib.“, sagte Kai dann in einem Ton, den Max noch nie von ihm gehört hatte. So sanft und brüchig, Max blinzelte überrascht. Kai beugte sich zu Ray hinüber, zögerte, und küsste ihn dann. Tyson keuchte vor Überraschung auf, auch er hatte dem ganzen Gespräche gebannt gelauscht. Max legte seinem Freund eine Hand auf den Arm um ihn daran zu erinnern, dass er sich lieber still verhielt. Max verlagerte unangenehm berührt sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er zupfte an Tyson und gab ihm ein Zeichen, dass es besser war, wenn sie sich jetzt leise davon stahlen. Ehe sie doch noch entdeckt wurden. *** Es war kurz nach Mitternacht. Der Himmel war klar und der Vollmond strahlte bleich und weiß zu ihnen herab. Kai, Max, Tyson und Ray hatten sich kreisförmig um die flache Silberschale im Garten aufgestellt. Max las die Anweisung von der Pergamentrolle vor, die Draciel ihm gegeben hatte, ab. „Zuerst kommt das Blut, dann die jeweiligen Gegenstände, die wir opfern, dann der Teil des Elements von jedem von uns.“, erklärte er. Dann legte Max die Pergamentrolle ab und nahm einen schmalen Dolch, mit dem er sich in die Handfläche schnitt. Dicke Tropfen dunkelroten Blutes flossen in die Schale … *** Sie standen zitternd im Regen und sahen einander an. Windböen peitschten den Regen voran, der ihre Kleidung durchnässte. Ein Feuer loderte noch in der flachen Metallschale, die zwischen ihnen stand. Der Boden vibrierte immer noch leicht. Sie hatten es vollbracht. Ray fühlte sich völlig erschöpft. Der schmale Schnitt in seiner Handfläche blutete noch immer. Das Blut vermischte sich mit dem Regen und tropfte in einem hellroten Rinnsal zu Boden. Doch sie hatten es geschafft. Er konnte Drigger wieder spüren. Der weiße Tiger schien gleich außerhalb seines Sichtfeldes zu lauern. Kraftvoll und voller Elan, wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Ray schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die Regentropfen glitten über sein Gesicht. Er war sich seltsam der Anwesenheit seiner Freunde bewusst. Ray war sich sicher, dass man ihn ein paar Mal mit verbundenen Augen im Kreis hätte drehen können, und er hätte immer noch mit dem Finger auf genau die Stellen deuten können, wo sie standen. Es war eine groteske Art von Verbindung, die das Ritual zwischen ihnen geschaffen hatte. Ray öffnete die Augen wieder und sah zu seinen Freunden. Regentropfen liefen in seine Augen und ließen sie brennen. Sein kurz geschnittenes Haar klebte ihm am Kopf. Nach dem Ende des Rituals hatten dunkle Wolken innerhalb weniger Minuten den sternenklaren Himmel verdunkelt und Regen war auf sie herab gerauscht. Der Regen hatte die aufgestellten Kerzen gelöscht. Nur die flackernden Flammen in der Schale erhellten noch die Dunkelheit. Ray wandte sich zu Kai um. Er lächelte ihn erleichtert an. Ray wollte gerade etwas über das Rauschen des Regens hinweg sagen, als er aus dem Augenwinkel sah wie Max zusammen brach. Ray konnte gerade noch einen erstickten Laut hervorbringen, bevor auch ihm schwarz vor Augen wurde. Seine Knie gaben nach, die Dunkelheit umfing ihn vollends. *** Der Morgen brach grau und trist über Moskau herein. Menschen, die zur Arbeit wollten, strömten in die noch verschlafene Stadt. Sie sprangen über die Pfützen, die der nächtliche Regen hinterlassen hatte und wurden dann sofort wieder eins mit der grauen Masse aus dahineilenden Leibern. Der Geruch nach Benzin und frisch aufgebrühtem Kaffee erfüllte die Luft. Ein Morgen wie jeder andere, der in dem langsamen Takt begann, in dem das Herz dieser Stadt schlug. Ray regte sich mühsam. Er fühlte sich als wäre ihm jeder einzelne Knochen in seinem Körper letzte Nacht gebrochen worden. Der Regen hatte den Boden durchweicht und Ray spürte, wie eiskalter Schlamm seine Hände bedeckte als er sich langsam hochstemmte. Seine kalten Muskeln protestierten bei jeder Bewegung. Ray öffnete die Augen und betrachtete den Morgenhimmel, dessen Grau in ein blasses Blau überging. Er konnte nicht fassen wie lange er bewusstlos gewesen war – sein Blick glitt über seine Freunde, die auch alle bewusstlos da lagen – wie lange sie alle bewusstlos gewesen waren. Er setzte sich schwerfällig auf und Ray zitterte leicht als der kühle Morgenwind ihn streifte. Er hörte ein Stöhnen neben sich und sah wie Tyson sich langsam aufrichtet. „Alles okay?“, fragte Tyson ihn mit brüchiger Stimme. „Ich denke schon.“ Ray bewegte vorsichtig seine Finger und Zehen und nickte dann. Rays Blick fiel auf die flache silberne Schale zwischen ihnen. Das Feuer war erloschen und die Schale war komplett leer. Wie frisch poliert glänzte das Silber im Licht der aufgehenden Sonne. Alles das, was sie letzte Nacht geopfert hatten, war restlos verschwunden. Selbst von Tysons Familienschwert fehlte jede Spur. Tyson kroch zu Max hinüber, der rechts von ihm im durchnässten Gras lag. Er griff nach dem Handgelenk seines Freundes und fühlte dessen Puls. „Ich denke, er wird wieder. Zumindest ist er nur bewusstlos.“ Tyson schleppte sich weiter zu Kai und fühlte auch dessen Puls. Ray konnte nicht anders als seinem Freund bei dessen Bemühungen zuzusehen. Es hatte ihn alle Kraftreserven gekostet sich überhaupt aufzusetzen. Ray hätte heulen können, er fühlte sich so hilflos nichts für Kai tun zu können, aber selbst zum Weinen war er im Moment nicht im Stande. „Kai ist auch in Ordnung.“, sagte Tyson und ließ sich sichtlich erschöpft zurück ins feuchte Gras sinken. „Was ist überhaupt passiert?“ „Ich weiß es nicht.“ Max Stimme klang schwach, doch auch der blonde Amerikaner setzte sich auf. Sekunden später regte sich auch Kai. Sein sonst so sorgfältig zerzaustes Haar klebte ihm feucht am Kopf. Er war noch blasser als sonst und zitterte leicht. Die Sonne, die gleisend hell wie geschmolzene Bronze durch das Geäst der Bäume fiel, erwärmte die Luft nur wenig. „Wir sollten hinein gehen.“, sagte Max und erhob sich mit erschreckender Langsamkeit. Er schwankte wie ein junger Baum im Wind, als er endlich stand, doch er hielt mühsam sein Gleichgewicht ohne sich irgendwo festzuhalten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie alle ins Haus gelangt waren und die klamme Feuchtigkeit der Nacht durch eine heiße Dusche vertrieben hatten. *** Kai zog sich einen frischen Pullover an und betrachtete kurz seine bandagierte Hand. Das er ein paar Tropfen seines Blutes und sein Vermögen für das Ritual geopfert hatte kam ihm jetzt lachhaft wenig vor, er hatte soviel mehr gewonnen. Das Haus kam ihm auf einmal nicht mehr viel zu groß und viel zu leer vor. Ein Gefühl das sicher nicht nur daraus resultierte, dass die Anspannung des Rituals von ihm abgefallen war, die sich über die letzten Tage immer stärker in ihm aufgebaut hatte, oder von der warmen Dusche, die die letzten Reste der nächtlichen Kälte von ihm abgewaschen hatte. Es war viel mehr der Eindruck, dass er jetzt nicht mehr allein und abgeschnitten von allen anderen war. Da war Dranzer, dessen Wärme durch den Ring hindurch in seinen Körper zu strömen schien. Eine Flut von Glück und Zuneigung, die jeden Moment seines wachen Daseins durch seine Adern rauschte und ihn in fast schon ausgelassene Stimmung versetzte. Kai lachte leise auf. Er und ausgelassen, ein Paradoxon erster Klasse. Doch da war noch mehr, es waren die anderen. Er spürte sie, als hätten sie einen Teil von sich selbst für immer an ihn gebunden. Er war sich ihrer Gegenwart bewusst, als würden sie in diesem Moment vor ihm stehen. Und da war Ray, … der ihn liebte. Nur daran zu denken, dass Ray so für ihn fühlte ließ ihm schon einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Ray gehörte ihm. Die Vorstellung, dass sie beide wohl jetzt ein Paar waren, ließ Kai wieder lächeln. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so aufgedreht gefühlt hatte. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)