Thesedays ... von whitePhobia (*KaRe*) ================================================================================ Kapitel 1: Eine Momentaufnahme ------------------------------ Kai, eine Momentaufnahme Das Feuer im Kamin des Arbeitszimmers war fast erloschen. Rot und Orange glomm die letzte Glut zwischen den verkohlten Holzresten und warf ein mattes Licht in den spärlich eingerichteten Raum. Ein junger Mann mit auffallend grauem Haar, das eher zu einem Greis gepasst hätte, saß an einem großen Eichenschreibtisch. Bis auf einen schweren Silberring am linken Zeigefinger war seine Kleidung schlicht aber stilvoll. Ein schwarzer Pullover betonte seine hageren aber muskulösen Züge. Das schulterlange Haar fiel ihm ins Gesicht wann immer er sich nach vorn beugte, sodass er es sich aus den rotbrauen Augen streichen musste. Ein Bewegung, die er so oft wiederholt hatte, dass sie schon unbewusst geschah. Hohe Wangenknochen zierten ein schmales Gesicht, das angespannt und übermüdet aussah. Die dunklen Augenringe, die auf der hellen Haut deutlich zu sehen waren ließen den achtundzwanzigjährigen deutlich älter erscheinen, als er war. Das auf Hochglanz polierte Holz des Schreibtisches schimmerte matt im weißen kalten Licht der zwei nebeneinander aufgestellten Computerbildschirme. Tabellen mit hunderten von Zahlen und Daten liefen über einen der Bildschirme, während auf dem Anderen die neusten Börsennachrichten angezeigt wurden. Der Blick des jungen Mannes huschte aufmerksam zwischen den beiden Bildschirmen hin und her. Ab und zu tippt er ein paar Zahlen in ein Feld am unteren Bildschirmrand. Der Ledersessel knarrte leicht, als sich Kai nach vorn lehnte. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar. Der Silberring blitzte im fahlen Licht der beiden Computerbildschirme kurz auf. Kai hielt seine Hände vor sich ausgestreckt um sie zu betrachten und sein Blick blieb an dem Ring hängen. Ein Phönix war, wie in einem alten Siegelring, in das Metall hinein geprägt worden. Der Vogel stieß mit ausgebreiteten Schwingen auf einen imaginären Feind hinab. Kai drehte den Ring einige Momente an seinem Finger. Dann drückte er mit drei Fingern an verschiedene Stellen des Rings und das Bildnis des silbernen Vogel klappte auf und gab ein Geheimfach frei. Ein kleiner runder Chip, auf dem ein in bunten Farben schillerender Zwillingbruder des silbernen Phönix zu sehen war, kam zum Vorschein. „Dranzer.“, sagte Kai und strich fast liebevoll über das bunte Abbild. Für einen Moment schien es als leuchtete der Chip auf, doch ein Klopfen an der Tür des Arbeitszimmers ließ Kai hochschrecken und das Geheimfach des Rings schnappte wieder zu. „Herein.“, sagte er und eine rundliche ältere Dame mit mausgrauen Locken betrat das Zimmer. Sie blinzelte mehrmals heftig, als müsse sie sich erst an die schwache Beleuchtung in dem Raum gewöhnen bevor sie sprach. „Ich habe jetzt alles erledigt und wollte ihnen nur Bescheid geben, dass ich gehe.“ Kai nickte nur stumm. „Sie sollten auch nicht mehr arbeiten Kai, es ist fast einundzwanzig Uhr. Sie sind zu jung um sich an der Arbeit aufzureiben.“ Die ältere Frau lächelte Kai mütterlich an. Natascha war eine fünfzigjährige liebenswürdige Frau. Ihre eigenen Kinder waren schon lange aus dem Haus und ihr Mann verbrachte mehr Zeit mit seiner Angel, als mit seiner Familie. Kai hatte sie als seine Putzfrau eingestellt. Doch nach und nach hatte sie immer mehr Aufgaben für ihn übernommen. Inzwischen kaufte sie auch für ihn ein und kochte hin und wieder für ihn, da sie der Meinung war: Kai sein viel zu dünn. Kai nahm ihre Fürsorge wortlos hin. Manchmal genoss er sogar die Bequemlichkeit, die solch eine mütterliche Umsorgung mit sich brachte. Natascha hatte einen großen Vorteil, den er auf keinen Fall verlieren wollte. Sie war uneingeschränkt loyal. Sie stahl weder, wie Kai es schon bei früheren Hausmädchen erlebt hatte, noch tratschte sie. Diese beiden Eigenschaften machten sie so ungeheuer wertvoll als Hausangestellte, sodass Kai auch ihre fürsorglichen Ratschläge über sich ergehen ließ. „Ich habe mir erlaubt ihnen ein Stück von dem Geburtstagskuchen meines Mannes in den Kühlschrank zu stellen. Wir hatten noch soviel von der Feier übrig. Arbeiten sie nicht mehr zu lang. Gute Nacht.“ Kai wünschte ihr ebenfalls eine gute Nachte bevor Natascha wieder verschwand. Er arbeitete noch einige Minuten bevor er den Computer ausschaltete. Nachdem das rhythmische Surren des PCs verklungen war, war es totenstill im Haus. Dunkle Schatten der letzten Glut tanzten durch das Zimmer. Er hörte den Wind um das Haus heulen. Vielleicht war es nicht klug ganz allein in dem viel zu großen Haus zu leben, überlegte Kai. Doch er hatte sonst niemanden. Sein Großvater war vor ein paar Jahren gestorben und er selbst hatte sich ganz allein ein ziemlich erfolgreiches Unternehmen hier in Moskau aufgebaut. Er hatte nicht viel Zeit für sein Privatleben. Meist fuhr er früh ins Büro und kehrte erst spät abends nach Hause zurück. Wenn er nicht noch mit Geschäftspartnern Essen ging, arbeitete er zu Hause noch ein paar Stunden weiter. Das war eben der Preis, den man für den Erfolg zu zahlen hatte. Kai stand auf und verließ das dunkle Zimmer. Er ging gemächlich die langen holzvertäfelten Gänge in Richtung Küche. Hohe Fenster ließen das graue Licht der Nacht hereinfallen und erhellten schwach die Gänge. Er wurde bereits erwartet. Zwei giftgrüne Augen, mit zu senkrecht stehenden Schlitzen verengten Pupillen sahen ihn erwartungsvoll an. Kai streichelte sanft über den Kopf der Katze, die sich sogleich schnurrend im Kreis drehte. Kai lächelte und zupfte ihr liebevoll am Ohr. Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Wodka aus dem Gefrierfach. Kai goss sich zwei Finger breit in ein Glas und stellte die Flasche zurück, dann sah er sich nach etwas Essbarem um. Natascha hatte den Kühlschrank gut gefüllt und einige Sachen bereits für ihn vorgekocht, die er sich nur noch aufwärmen musste. Sein Blick blieb an dem Stück Kuchen hängen. Er nahm den Teller aus dem Kühlschrank. Der Kuchen duftete angenehm nach Honig und Sahne. Kai überlegte kurz, dass man wohl einen ganzen Kuchen in höchstens acht Teile zerschneiden konnte um solch große Stücke zu bekommen, doch ein nahm sich einen Löffel aus der Besteckschublade und ging mit Kuchen und Wodka ins Wohnzimmer. CNN fing gerade einen neuen Nachrichtenblock an als er den Fernseher einschaltete. Eine junge Nachrichtensprecherin verkündete soeben, dass die Brown University sich ab kommendem Semester mehr auf den Schwerpunkt der Ingenieurswissenschaft stützen wolle und eigens dafür ein neuer Lehrstuhl eingerichtet werden sollte. „Sport und Technik heißt der neue Studiengang, für den sich Studenten ab kommendem Semester einschreiben können. Er soll zunächst als Bachelor- später auch als Masterstudiengang angeboten werden.“, verkündete die Nachrichtensprecherin „Um Studenten für den neuen Studiengang zu interessieren wurden Sportstars wie der ehemalige Beybladeweltmeister Max Tate als Gastdozenten engagiert. Weitere Informationen und ein Interview mit Mister Tate finden sie auf unserer Website. In New York streiken seit heute die U-Bahn-Fahrer, nachdem keine Einigung in dem Schlichtungsverfahren am Freitag erzielt wurde, …“ Kai stockte kurz als Max Name erwähnt wurde. Er hatte schon seit einiger Zeit nicht mehr an seine alten Freunde gedachte. Max unterrichtete also. Kai dachte kurz darüber nach ob er sich das Interview von Max auf der Website ansehen sollte, doch er entschied sich dagegen. Er hob sein Wodkaglas an seinen Mund, als ein scharfer Schmerz seine linke Hand durchzuckte. Um ein Haar hätte er sein Glas fallen lassen. So schnell wie der Schmerz gekommen war verschwand er auch wieder. Er betrachtete seine weiße Hand und sein Blick blieb wieder an dem schweren Silberring hängen. Kai runzelte die Stirn… *** Tyson, eine Momentaufnahme Er sprintete die letzten zwei Häuserblocks zurück zum Dojo. Das lange blaue Haar flatterte im Wind. Er wollte auf keinen Fall zu spät zu dieser Unterrichtsstunde kommen. Heute war die erste Unterrichtsstunde der neuen Anfängerklasse. Obwohl er sonst, als Leiter des Dojos, nur die Besten der Abschlussjahrgänge unterrichtete, nahm er sich jedesmal Zeit die Anfänger in den Unterricht einzuführen. Tyson hatte vor einigen Jahren die Kampfkunstschule seines Großvaters übernommen, nachdem er selbst den Titel eines Kendomeisters errungen hatte. Nachdem er dem Beybladesport den Rücken gekehrt hatte, hatte er seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Kampfsport gerichtet und damit die Familientradition fortgeführt. Sein Großvater streifte noch durch das Dojo und Tyson musste sich trotz seiner Erfolge im Schwertkampf noch immer Belehrungen vom ihm anhören. Tyson grinste und legte die letzten Meter zurück. Sein Großvater würde sich nie ändern. Er schob die Tür des Dojos auf und trat ein. Eine kleine Gruppe von Jungen und Mädchen wartete dort bereits. Im Hintergrund standen ein paar Mütter und Väter der Kleinen, die beim ersten Training ihrer Schützlinge dabei sein wollten. Er schälte seinen muskulösen Oberkörper aus der Lederjacke. Der Sprint hatte ihn kaum Kraft gekostet. Das grüne Shirt, das mit dem Zeichen der Kendoschule bestickt war, spannte sich um seine Oberarme, als er seine Haare mit einem Haargummi zusammenband. Das jahrelange Training hatte Tysons Körper geformt. Er wusste dass er gut aussah. Die Blicke der anwesenden Mütter und älteren Schwestern der Erstklässler verrieten es ihm. Er lächelte freundlich zu der kleinen Gruppe von Schülern, die nervös zu ihm aufblickten. „Willkommen bei eurer ersten Trainingsstunde. Ich bin Tyson Granger, Kendomeister und Leiter dieser Schule.“, begrüßte er sie herzlich. „Um euch einen kleinen Einblick von dem zu geben, was ihr hier lernen könnt, wenn ihr immer fleißig trainiert, gebe ich euch eine kleine Kostprobe der Kampfkunst.“ Tyson streckte seine rechte Hand zur Seite aus und die Gestalt eines älteren Schülers, der unauffällig an der Wand gelehnt hatte, legte ein Schwert hinein. Tyson nickte ihm zu, es war immer derselbe Ablauf. Tyson ließ das Schwert umher wirbeln und Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, glitt über die Klinge. Die Umstehenden traten ein paar Schritte zurück um ihm Platz zu machen. Elegant bewegte er sich durch den Raum und glitt dabei von einer Schwertkampffigur in die nächste. Er erkannte noch wie ein anerkennendes Raunen durch den Raum ging ehe alles andere aus seinem Kopf verbannte. Er wurde eins mit seinem Schwert. Doch etwas war dieses Mal anders. Tyson spürte wie sich in seinen Händen, die das Schwertheft hielten, ein warmes Kribbeln ausbreitete. Das Kribbeln kroch ihm die Arme hinauf, floss in seinen Brustkorb und breitete sich in den letzten Winkel seines Körpers aus. Ein merkwürdiges Gefühl von Euphorie durchflutete ihn. Er spürte wie ein Wind aufkam, ein Wind der eindeutig von ihm erzeugt wurde. Ein Wind, der die Kleidung der Anwesenden flattern ließ. Er beendete seine Vorstellung und der Wind flaute sofort ab. Es war so schnell vorbei wie es gekommen war. „Was war das denn, Meister? So etwas hab ihr uns noch nie gezeigt.“, fragte der junge Mann, der Tyson das Schwert gereicht hatte. Ein weiterer älterer Schüler verteilte derweil Holzschwerter unter den Erstklässlern. „Ich weiß es nicht genau.“, antwortete Tyson abwesend. Er strich mit den Fingern über das Heft des Schwertes. In den Griff war das Symbol eines Drachen eingelassen. Das Symbol glühte merkwürdig blau. Dragoon war damals aus dem Familienschwert in seinen Beyblade gewandert. War er jetzt in die Waffe zurück gekehrt? Tyson nahm sich vor nach seinem alten Beyblade zu sehen und zu überprüfen ob der Chip mit dem Bitbeast noch da war. „Muzuo, du hältst heute den Unterricht für die Erstklässler.“, sagte er zu dem jungen Mann, der neben ihm stand. „Ich muss noch einmal weg.“ Er steckte das Schwert in eine lederne Scheide und hängte es sich über die Schulter. „Natürlich Meister.“ Tyson verließ das Dojo und er machte sich auf in Richtung seiner Wohnung in der Innenstadt. Er lebte schon seit einiger Zeit nicht mehr im Dojo. Er war zu alt um sein Haus noch mit seinem Großvater zu teilen. Außerdem war die Schule gewachsen seit Tyson sie leitete und bot kaum noch Platz, damit zwei Leute in ihr wohnen konnten. Die Menschen auf der Straße warfen ihm neugierige Blicke hinterher. Sie sahen wohl nicht jeden Tag jemanden mit einem Schwert auf dem Rücken durch die Straßen eilen. In seiner Wohnung angekommen trat er in sein Schlafzimmer und kramte in seinem Kleiderschrank nach einer kleinen braunen Kiste. In ihr fand er neben ein paar Medaillen seinen alten Beyblade. Der Chip, in dem das Bitbeast sich befinden sollte, war verblasst und grau… *** Max eine Momentaufnahme „So das war`s für heute. Ich wünsche ihnen allen schöne Semesterferien. Vergessen sie bitte nicht dass nächste Woche noch ein Tutorium zur Prüfungsvorbereitung gehalten wird. Die Termine finden sie im Internet“, beendete Max seine Vorlesung. Ein hundertfaches Klopfen auf Holz erfüllte den Hörsaal, als sich die Studenten beim Professor bedankten und verabschiedeten. Max grinste als er seine Sachen zusammenpackte und die Studenten beobachtete, die aus dem Hörsaal strömten. Ein paar von ihnen kamen auf ihn zu um ihm Fragen zu seiner Vorlesung zu stellen. Ab nächstem Semester hätte er endlich seine eigene Juniorprofessur und war nicht mehr nur eine Vertretung. Er wusste jetzt schon, dass seine Vorlesung im nächsten Semester sehr gut besucht sein würde. Bereits jetzt während seiner Vertretung war der Hörsaal sehr gut besetzt, obwohl seine Vorlesung keine Pflichtveranstaltung war. Er beantwortete die Fragen der Studenten, ließ seinen Laptop in die Tasche gleiten und ging in sein Büro. Max hatte sich gerade an seinem Schreibtisch niedergelassen und tippte die Termine für die Tutorien in eine Exceltabelle, als die Tür zu seinem Büro geöffnet wurde. Eine junge Frau mit rostrotem Haar und einem etwas fleckigem Laborkittel betrat den Raum. „Max. Wie geht’s dir? Ich habe gerade dein Interview gesehen. Ich muss schon sagen das war sehr professionell.“ Sie streifte den Kittel ab und ließ sich in den Stuhl gegenüber vom Schreibtisch sinken. Max grinste und wuschelte sich verlegen durch sein blondes Haar das ihm sogleich in allen Richtungen vom Kopf abstand. „Na ja.“, sagte er gedehnt und suchte nach Worten. „Haben sie dein Auto eigentlich schon mit Klopapier eingewickelt? Schließlich machen sie das mit jedem neuen Professor.“, plapperte die junge Frau weiter und schielte zu der Schale mit Bonbons, die auf Max Schreibtisch stand. „Nein. Das machen sie wahrscheinlich erst nächstes Semester. Im Moment bin ich ja noch nicht offizieller Dozent… Ich hoffe sie vergessen es.“ „Hmm.“, stimmte die junge Frau ihm zu und fischte sich ein gelbes Bonbon aus der Schale. „Sag mal sind die Forschungsmittel für die neue Anlage eigentlich schon bewilligt worden?“ Max stöhnte. Er hatte schon jetzt mehr Arbeit, als ihm lieb war. „Ich werde nachher noch anrufen. Ich hatte heute noch keine Zeit dazu.“ „Mit deinem Charme wirst du die Gelder für uns schon bekommen.“, sie zwinkerte ihm lächelnd zu. Das Handy der jungen Frau klingelte und nach einem kurzen Gespräch verabschiedete sie sich von Max, nachdem sie sich noch ein paar Bonbons in die Tasche ihres Laborkittels gesteckt hatten. Max stöhnte erneut, als er den Posteingang seines Emailpostfaches öffnete und die Zahl der neuen Mails sah. Er freute sich schon auf das nächste Semester, wenn er einen Mitarbeiter für solche Büroarbeiten haben würde und er sich endlich seinen Forschungsvorhaben widmen konnte. Max stand auf und goss sich ein Glas Wasser ein, bevor er sich an die Beantwortung seiner Emails machte. Er nippte an seinem Glas und dachte über das kommende Semester nach als sein Telefon plötzlich klingelte. Heftig schreckte er aus seinen Gedankengängen. Während er zusammenzuckte kippte sich die Hälfte seines Mineralwassers über sein Hemd. Genervt stöhnte er aus und strich sich ein paar Mal über den dunklen Wasserfleck auf seiner Brust bevor er zum Hörer griff. Doch als er sich am Telefon meldete hatte der Anrufer schon wieder aufgelegt. Max ging zu dem Spiegel der neben einem schmalen Stahlschrank in seinem Büro hing und betrachtete den Fleck. Ein spürte ein merkwürdig heißes Gefühl auf seiner Brust und knöpfte die obersten Knöpfe seines Hemdes auf. Eine schmale silberne Kette mit einem bläulich schimmernden Anhänger kam zum Vorschein. Der Anhänger zeigte das Bild einer Schildkröte. Max besah sich den Anhänger im Spiegel. Ihm war als würde sich das Bild der Schildkröte auf dem Anhänger bewegen. Er nahm die Kette ab und betrachtete die Plakette. Die Hitze, die von ihr ausging, schien sich stetig zu steigern. Aus dem kleinen Anhänger in seiner Hand brach plötzlich ein blaues Licht und Max machte einen Satz nach hinten. Das helle blaue Licht blendete ihn so stark, dass er seine Augen mit den Händen abschirmen musste. Dabei ließ der den Anhänger fallen. Das Licht verblasste und als Max die Hände von den Augen nahm stand Draciel vor ihm. In allen Grün- und Brauntönen schimmerte der Panzer der Schildkröte im hereinfallenden Sonnenlicht. Die glänzenden schwarzen Augen schauten Max sanft aus dem schuppigen Kopf heraus an. Max stockte der Atem. Draciel reichte ihm bis zur Hüfte. Unsicher streckte er eine zittrige Hand nach der Schildkröte aus. Wie lange war es her seit sich Draciel das letzte Mal materialisiert hatte? Jahre? Konnten ein paar einfache Tropfen Wasser so etwas verursachen. Mit seinen Fingerspitzen berührte er den rauen, geschuppten Kopf des Tieres. Langsam schlossen sich die Augen der Schildkröte und sie streckte den Kopf in seine Richtung als ob das Tier die Berührung genoss. „Hi.“, stammelte Max mit belegter Stimme. *** Ray eine Momentaufnahme Die Rasenfläche um die kleine Pagode im Park war festlich geschmückt. Große Vasen mit roten und weißen Rosen umstanden einen weißen Pavillon, dessen Außenwände zurückgebunden waren um den Gästen der Hochzeit genug Platz zu bieten. Girlanden aus schimmernden Laternen säumten die Kieswege und kleine Tische waren über das smaragdgrün des Rasens verteilt. Der Wind trug den süßlich schweren Geruch der blühenden Fliederbüsche über die Wiese. Die weißen Stuhlreihen vor dem Altar waren voller Gäste. Männer in schwarzen Anzügen und Frauen in pastellfarbenen Kleidern tuschelten aufgeregt miteinander. Auf einer kleinen Bühne spielte eine Jazzband im nachmittäglichen Sonnenlicht. Alle warteten auf die Ankunft der Braut, damit die Zeremonie beginnen konnte. „Sie verspätet sich.“ Lee sah auf erst auf seine Uhr und reckte dann den Kopf über die Stuhlreihen hinweg. Er wartete bereits, wie es sich für einen guten Traumzeugen gehörte, vorne am Altar. Nervös spielte er mit der kleinen schwarzen Samtschachtel in der Tasche seines Jacketts. In dieser Schachtel befanden sich die Ringe, die sich das Brautpaar später anstecken würde. „Lass Mariah doch ihren Auftritt. Sie ist schließlich nur heute eine Braut und in Zukunft nur noch Ehefrau. Komm mal wieder runter“ Ray, der neben Lee am Altar wartete stieß seinem Freund einen Ellenbogen in die Rippen. Sein Grinsen zeigte eine Reihe blendend weißer Zähne, gerade und scharf, wie die einer Raubkatze. Das lange schwarze Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, der ihm bis zur Hüfte reichte. Er trug wie Lee einen schwarzen Anzug. „Bist du denn gar nicht aufgeregt?“ „Natürlich bin ich aufgeregt. Ich war nicht mehr so nervös seit …“ Ray bis sich auf die Unterlippe und überlegte kurz „ … seit meinen ersten Schultag.“ Lee schnaufte empört. „Seit deinem ersten Schultag? Fällt dir denn kein anderes Ereignis ein? Wer erinnert sich denn schon an seinen ersten Schultag?“ Ray grinste, auch sein Herz hämmerte vor freudiger Erregung, aber er war kein solches Nervenbündel wie Lee. „Wenn dir mein Vergleich nicht gefällt, dann nenn mir einen besseren.“, forderte er seinen Freund auf. „Die Abschlussprüfung in Chemie für die Oberstufe vielleicht. Oder, unseren ersten internationalen Beybladekampf vor großem Publikum…“ Lee schwieg einige Moment und versuchte angestrengt einen passenden Vergleich zu finden, musste sich aber schlussendlich eingestehen, dass er keinen fand. „Es gibt einfach nichts.“, sagte er schließlich „Sie ist meine Schwester und sie heiratet heute. Da kommt einfach nichts heran.“ Lee zupfte ein paar imaginäre Fusseln von Rays Anzug. „Sie wird dich dafür umbringen.“, sagte er und zog Rays gelbe Fliege zu Recht. „Wieso?“, fragte Ray scheinheilig und grinste diabolisch. „Ich habe genau das an, was Mariah gesagt hatte: Anzug und Fliege.“ „Aber deine Fliege ist gelb, nicht schwarz. Sie wollte ausdrücklich Nichts, was aus der Reihe tanzt.“ „Na und? Ich finde gelb passt sehr gut zu meinen Augen.“ Autoreifen knirschten auf Kies und Lee sah sich wieder nervös um. „Na endlich.“, er seufzte erleichtert auf. Ray rückte auch Lee die Fliege zurecht und umarmte dann seinen Freund. Sie grinsten sich gegenseitig an und schauten dann zu der schwarzen Limousine, die gerade vorfuhr. Mariah entstieg der Limousine und alle Augen richteten sich auf sie. Ihr pinkes Haar wurde von einem weißen Haarreifen zurück gehalten, fiel ihr locker über die Schulter und bewegte sich leicht im Wind. Das weiße Seidenkleid, das sie trug umschmeichelte ihre Gestalt und floss in sanften Falten zu Boden. Sie strahlte über das ganze Gesicht und ob der vielen Aufmerksamkeit legte sich ein leichter Rotschimmer über ihre Wangen. Zwei Brautjungfern stiegen nach ihr aus der Limousine, richteten sich die Kleider und gaben Mariah ihren Brautstrauß. Die Band spielte die ersten Takte des Hochzeitsmarsches an und Mariah begann auf den Altar zuzuschreiten. Ein strahlendes Lächeln bedeckte ihr Gesicht, als sie an den Stuhlreihen vorbeischritt. Am Altar küsste sie Lee und Ray auf die Wangen. „Du siehst wunderschön aus.“, flüstert Ray ihr ins Ohr. Mariah lächelte und ging dann an ihren zwei Freunden vorbei, um sich neben ihren zukünftigen Ehemann zu stellen. *** Rays Augen brannten und er hielt sie angestrengt offen um nicht zu weinen. Mariah war für ihn immer wie eine Schwester gewesen und dass sie jetzt heiratete berührte ihn sehr. Die Zeremonie ging nahtlos in die abendliche Feier über und die Laternen verbreiteten mit den kerzenbeleuchteten Beistelltischen ein angenehmes Licht. Er tanzte an diesem Abend gerade zum zweiten Mal mit Mariah. „Wann wirst du heiraten?“, fragte sie ihn sanft und ließ sich vom ihm herumwirbeln. „Ich brauche erst einmal jemanden, der lange genug bleibt.“, Ray lächelte traurig und dachte an die vielen gescheiterten Beziehungen zurück. Vor vier Jahren hatte er angefangen, nur noch mit Männern auszugehen. Doch leider waren diese Beziehungen zwar in sexueller Hinsicht sehr viel erfüllender gewesen, doch sie waren dennoch zerbrochen ehe sich eine richtige Vertrautheit aufbauen konnte. „Du hast zu hohe Ansprüche, Ray. Was war an dem letzten falsch gewesen? Wie hieß er noch, Johann?“ „Ich weiß nicht.“, wich Ray ihr aus. Er wollte sich heute nicht mit Mariah über seine Beziehungsprobleme zanken. Ray erinnerte sich an Johann, an seine verblüffend rotbraunen Augen, das warme Lächeln, sein braunes ständig zerzaustes Haar. Die Erinnerung machte ihn traurig. „Wir können nicht alle soviel Glück haben wie du.“, er lächelte sie versöhnlich an und hoffe dass sie das Thema wechselte. „Ach Lee ist ja auch nicht besser. Als ob er auch nur einen Blick auf eine meiner Brautjungfern geworfen hätte. Er unterhält sich den ganzen Abend nur mit Gary.“ „Du hast zu hohe Ansprüche.“, imitierte Ray nun Mariahs frühere Aussage mit schelmischen Grinsen. Mariah streckte ihm die Zunge raus und sie tanzten schweigend weiter … http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 2: Die Geschichte der Schildkröte ----------------------------------------- 2. Die Geschichte der Schildkröte (a turtles tale) „Hi.“, sagte Max mit belegter Stimme und streichelte sanft über den Kopf der Schildkröte, er war noch immer fassungslos darüber was eben geschehen war. „Hallo Max, mein alter Freund.“ Der blonde Amerikaner zuckte zusammen, als er die Stimme in seinem Kopf hörte. Draciels Stimme. Sie klang ein wenig raschelnd, wie altes Pergament und hallte in seinem Kopf nach. Max wurde klar, das Draciel gar nicht wirklich mit ihm sprach, sondern ihre Worte nur in seinen Kopf projizierte. Ihre? Seine? Beides klang falsch. „Ich kann sein, was immer du willst.“, hörte er Draciels Stimme in seinem Kopf auf die unausgesprochene Frage antworten. Sein Bitbeast konnte also seine Gedanken hören. „Ja.“, antwortete Draciel und Max kam es vor als schwang ein entschuldigendes Lächeln in dieser Aussage mit. Max fragte sich ob sie wohl jeden Gedanken kannte, den er jemals gehabt hatte. Doch er schüttelte diese Überlegung ab und stellte eine viel näher liegende Frage. „Warum bist du hier?“, fragte er und setzte sich im Schneidersitz vor sein Bitbeast, sodass er sich auf Augenhöhe mit der Schildkröte befand. Draciel kam ihm anders vor als er es in Erinnerung hatte, irgendwie gealtert. Ihre schuppige Haut schien fahler zu sein, die schwarzen Augen glänzten nicht mehr so voller Elan und Stärke. Ein großes Gebäude, das langsam verfällt. „Wir haben uns eine Weile nicht gesehen.“, wieder raschelte die Stimme in seinem Kopf. Trocken und brüchig. „Ja.“ Max kicherte, obwohl ihn ein merkwürdig sorgenvolles Gefühl umfing. Er hatte Draciel Jahre nicht mehr in seiner materialisierten Gestalt gesehen. Jeden Morgen legte er sich die dünne Silberkette mit dem Bitchip um den Hals und jeden Abend bevor er zu Bett ging nahm er sie wieder ab. Sie war für ihn wie ein Talisman geworden, den er schon lange nicht mehr mit dem Bitbeast, das nun vor ihm stand, in Verbindung brachte. Draciel trat ein paar Schritte zurück und Max Blick fiel auf die Silberkette und den Anhänger daran. Er lehnte sich nach vorn, nahm sie und legte sie sich wieder um den Hals. „Warum bist du hier?“, wiederholte er seine Frage. „Ich muss mit dir sprechen. Die Dinge verändern sich.“ „Welche Dinge? Seit wann denn?“, Max war verwirrt von dieser Aussage. Er hatte keine Veränderungen mitbekommen. Jedenfalls nichts was Draciels Erscheinen rechtfertigen würde. „Ich verändere mich.“, sagte die Schildkröte und legte sich auf den Boden. „Seit zehn Jahren schon.“ „Was?“ Max verstand gar nichts. Wie sollte sich Draciel verändern? Sie sah doch noch fast so aus wie früher nur ein wenig … betagter halt. Und warum seit zehn Jahren ? Warum erschien sie ihm erst jetzt um ihm das mitzuteilen? „Eine Dekade ist für mich eine recht kurze Zeitspanne, wenn man bedenkt wie lange ich schon lebe. Aber ich werde schwächer, die Verbindung zu dieser Welt schwindet.“ „Was bedeutet das?“ Max verstand nicht was Draciel mit seiner Aussage meinte. „Ich werde nicht mehr Teil dieser Welt sein.“ „Warum?“, für Max kam das Alles viel zu plötzlich. „Die Welt besteht für uns aus fünf Elementen. Feuer…“, sagte Draciel bestimmt und Max zuckte erneut zusammen, als sein Büro für Sekunden um ihn herum verschwand. Er spürte noch den harten Fußboden auf den er saß, und fühlte den rauen Teppich unter seinen Fingern, doch seine Augen sahen etwas völlig anderes. Kais Dranzer, ein Phönix dessen Gefieder so rot und golden schimmerte, dass es in Flammen zu stehen schien, schwebte aus völliger Dunkelheit zu ihm heran und stieß dabei einen hohen, glockenhellen Schrei aus. Max lief ein Schauer über den Rücken. „…, Luft …“, hörte Max Draciel sagen und das Bild vor seinen Augen veränderte sich. Seine Umgebung hellte sich auf zu einem klaren Blau. Wolken zogen an ihm ihn vorbei und Dragoon schwebte heran. Den langen, schlangenartigen Körper in die Endlosigkeit gestreckt. Ein imaginärer Wind strich durch Mähne des Drachen und zerzauste sie. „…, Erde“, wieder wechselte das Bild vor Max Augen. Drigger, Rays weißer Tiger, jagte mit großen Sätzen über den staubigen Boden einer Steppe. Eine Wolke aus aufgewirbeltem Sand folgte ihm. „ …Wasser und Geist.“ Max blinzelte einige Male und war dann sehr froh in sein Büro zurückgekehrt zu sein. Draciel stand vor ihm und legte den Kopf schien, als ob sie sich fragte ob Max die kleine Vorstellung gefallen hatte. „ Während ich und die anderen, die ihr Bitbeasts nennt, die stofflichen Elemente vertreten“, fuhr Draciel nach einer kurzen Pause fort „ wird das Element Geist durch euch, unsere Mündel, repräsentiert. Wir sind verpflichtet euch zu beschützen und für euch zu kämpfen solange ihr unsere Hilfe braucht.“ Draciel machte eine kurze Pause um seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort. „Die Fäden die uns in dieser, eurer, Welt halten sind dünn geworden. Ihr benötigt uns nicht mehr. Ihr habt euch aus den Augen verloren. Eure Verbindung untereinander schwindet.“ Wieder verschwand das Büro um Max herum, doch diesmal war er darauf vorbereitet und zuckte nicht zusammen. Max fand sich an einem sonnigen Nachmittag in Mr. Dickens Büro wieder. Um ihn herum saßen Kai, Ray und Tyson. Max kannte diese Szene. Sie entstammte seinen eigenen Erinnerungen. Es war das letztes Mal gewesen, das sie alle vier zusammen gesessen hatten. Es war der Tag gewesen als sie beschlossen hatten sich als Team für immer zu trennen. Seit diesem Tag hatten sich die vier ehemaligen Bladebreakers in alle Himmelrichtung verstreut. Max hatte nur noch sporadisch mit Tyson den Kontakt gehalten. Eine Weihnachtskarte, ein Telefonanruf zum Geburtstag, nichts was man mehr Freundschaft nennen konnte. Die Szene löste sich auf und Max kehrte in sein Büro zurück. „Ich bin mit den anderen Bitbeasts verbunden und gleichzeitig mit dir. Ihr, vier Mündel, seid untereinander verbunden. Es ist ein kompliziertes Gewebe.“, setzte Draciel seine Geschichte fort, „Reißt ein Faden so besteht die Gefahr, dass sich das ganze Gewebe auflöst. Ich ziehe meine Energie aus der Verbindung mit dir. Bist du stark, so bin ich es auch. Bist du geschwächt, so lassen auch meine Kräfte nach …“ „… sterbe ich, so wirst auch du sterben.“, beendet Max angstvoll den Satz. Doch Draciel schüttelte den Kopf. „Nicht so hastig, mein allzu junger Freund. Ich sterbe nicht mehr. Die meiner Art existieren schon zu lange um noch sterblich zu sein. Dennoch ist unser Schicksal an das Schicksal unseres Mündels gebunden. Doch gerade weil wir so alt sind, sind wir träge. Ein Jahrzehnt ist für mich nur ein Wimpernschlag. Veränderungen, die sich in so kurzer Zeit vollziehen kann ich nicht aufhalten.“ „Was ist mit den anderen?“, fragte Max und dachte dabei an Tyson, Ray und Kai. „Die anderen der großen Vier sind schon zu schwach um ihre Mündel noch zu warnen. Dragoon hat eine Möglichkeit gefunden die Ewigkeit zu überdauern. Er wird schlafen, an einem Ort an dem er schon einmal geschlafen hat. Doch es wird ein langer traumloser Schlaf sein; und es ist ungewiss ob er je wieder aufwachen wird. Wir anderen drei werden einfach verschwinden, wie Nebel unter dem Einfluss der Morgensonne. Ich konnte dich nur warnen, weil ich mit meinem Element in Verbindung gekommen bin. Ich bin auch schon zu schwach.“ Obwohl es in seinem Büro sonst angenehm warm war, zitterte Max bei diesem Worten leicht. „Wie lange noch?“, fragte er Draciel und hatte Angst vor der Antwort. „Zwei, vielleicht drei Monate, bevor die Verbindung zu schwach ist um die Entwicklung noch umzukehren.“ „Umzukehren?“, ein Funke der Hoffnung keimte in Max auf. Es war noch nicht zu spät. „ Es gibt ein Ritual, das die Fäden neu verknüpft und das Gewebe wieder festigt. Ihr alle müsst es tun, zusammen, und ihr müsst einen Preis dafür zahlen, das wir in dieser Welt bleiben.“ „Was für einen Preis?“ Doch bevor Draciel antworten konnte ging die Bürotür auf und die Frau mit dem rostroten Haar steckte den Kopf durch die Tür. „Max ich wollte noch fragen ob du Lust hättest …“, sie brach in der Mitte ihres Satzes ab, als sie Max nicht an seinem Schreibtisch sitzen sah, sondern im Schneidersitz mitten im Raum. „Sie kann dich nicht sehen?“ Max formte die Worte in seinem Geist. „Ja.“, Draciel nickte „Sie glaubt nicht an mich, deshalb kann sie mich nicht sehen. Doch sie würde sicherlich über mich stolpern, wenn sie das Zimmer betritt. Ich bin nur ein Geist für sie.“ Max verstand. Er sah die Frau lächelnd an. „Was gibt’s?“, fragte er und tat als wäre es das normalste der Welt, das er ohne scheinbaren Grund mitten in Raum saß. „Ähm…“, die roten Haare schwangen sanft hin und her, als sie irritiert den Kopf schüttelte. „ Nicht so wichtig. Ich komm einfach später nochmal wieder.“, sagte sie und schloss hastig die Tür wieder hinter sich. Machte der Professorentitel die Menschen schrullig, oder wurden nur wunderliche Menschen Professoren, fragte sie sich? Draciel lächelte, als die Schritte der Frau auf dem Gang verklungen waren. „Du magst sie, nicht wahr?“, fragte die Schildkröte Max. „Ja schon“, Max druckste ein wenig herum und sah zu der Schale mit Bonbons, die auf seinem Schreibtisch stand. Er schüttelte den Kopf. „auch wenn sie manchmal viel zu unorganisiert ist und ständig Süßigkeiten klaut.“ „Welchen Preis müssen wir zahlen.“, fragte Max Draciel und nahm somit ihr Gespräch wieder auf. „Blut, und ihr müsst etwas opfern das euch etwas bedeutet.“ Max nickte. Er dachte bereits darüber nach, was dieses Opfer bei ihm sein könnte. Er musste über sich selbst schmunzeln, als er diesen Gedankengang bemerkte. Es kam für Max nicht in Frage einen Moment an etwas anderes zu denken, als Draciel um jeden Preis hier zu behalten. Es war gut nicht zu zögern. „Du musst die Anderen noch überzeugen, sie müssen mit dir das Ritual gemeinsam durchführen, sonst wird kein Bitbeast in dieser Welt bleiben.“ „Warum nur wir vier? Warum nur Tyson, Ray, Kai und ich? Es gibt doch noch mehr Menschen die Bitbeasts besitzen?“ „Kein Bitbeast gleicht einem anderen. Doch unsere Welt besteht nur aus fünf Elementen. Erde, Feuer, Luft, Wasser und Geist. Die vier stofflichen Elemente werden durch Drigger, Dranzer, Dragoon und mich repräsentiert. Der Geist seid ihr. Alle anderen Bitbeasts sind uns untergeordnet. Ein Bitbeast, das das Eis benutzt, greift auf die Elemente Feuer und Wasser zurück. Wenn die Hüter dieser Elemente nicht mehr in dieser Welt weilen, verliert es seine Fähigkeiten. Es wird auch verschwinden. Wenn wir vier Großen gehen, werden auch die, die uns untergeordnet sind, folgen.“ „Aus Wasser und Feuer wird Eis?“, fragte Max, der alles bis auf diesen Zusammenhang verstanden hatte. „Man kann die Kräfte der Elemente nicht nur addieren, man kann sie auch voneinander abziehen. Wenn du Wasser die Wärme entziehst, dann gefriert es. Deshalb gibt es so viele Bitbeasts, es gibt unendlich viele Möglichkeiten die Elemente miteinander zu verbinden.“ „Okay, wie sieht dieses Ritual nun genau aus?“, fragte Max Draciel. Er war fest entschlossen seine ehemaligen Freunde davon zu überzeugen an dem Ritual teilzunehmen, koste es was es wolle. Er war einfach nicht bereit Draciel aufzugeben. Eine Rolle vergilbt aussehenden Pergaments taucht plötzlich direkt vor Max auf. Draciel hatte sie erscheinen lassen. Die Gestalt der Schildkröte flackerte einige Male, verfestigte sich dann aber wieder. Dennoch blieb Draciel so durchscheinend, dass Max die Zimmerpflanze an der Wand durch das Tier hindurch sehen konnte. Max griff nach der Schriftrolle und öffnete sie vorsichtig. Mit dunkelblauer, bereits halb verblasster Tinte, waren die Anweisungen für das Ritual auf ihr vermerkt. Max studierte alles sorgsam, sah dann auf den Kalender an der Wand und nickte. Das Ritual musste bei Vollmond vollzogen werden. „Gut.“, sagte Max mit ruhiger Stimme. „ Das bedeutet: Ich habe noch drei Wochen bevor wieder Vollmond ist.“ „Ich werde jetzt gehen.“, sagte Draciel zu ihm „Ich muss mich ausruhen.“ Das Bitbeast verschwand. *** Max konnte sich den Rest des Tages nicht recht auf seine Arbeit konzentrieren, so machte er sich auch früher als gewöhnlich auf den Weg nach Hause. Er suchte in seinem Telefonbuch nach Tysons Nummer. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es in Japan wohl sehr früher Morgen sein musste, doch das kümmerte Max in diesem Moment nicht. Es läutete fünf Mal, ehe sich Tysons verschlafene Stimme am anderen Ende meldete. „Ja?“, gähnte eine müde Stimme in den Hörer. „Tyson, hier ist Max Tate. Ich muss mit dir reden.“ „Was? Hallo Max. Weißt du überhaupt wie spät es ist?“, Tysons Stimme klang halb ärgerlich, halb überrascht. „Sechs Uhr früh dürfte es bei dir sein, aber das ist jetzt unwichtig. Ich brauche deine Hilfe. Dragoon ist in Gefahr.“ Tyson war mit einem Mal hellwach. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 3: Briefe ----------------- 3. Briefe Ray hatte versprochen ab und zu in Mariahs Wohnung nach dem Rechten zu sehen, die Post hereinzuholen und die Blumen zu gießen, während sie und ihr Mann in den Flitterwochen waren. Maui . Ray beneidete seine Freundin, die sich sicherlich jetzt bei 30°C im Schatten am weißen Strand der Südseeinsel sonnte, während es bei ihm in Shanghai schon seit zwei Tagen ständig regnete. Ray schüttelte sich das Wassers aus den Haaren, bevor er mit der Post in der Hand Mariahs Wohnung betrat. Der böige Wind, der vom Meer her durch die Straßen der Stadt wirbelte, machte es fast unmöglich sich vor dem Regen zu schützen. Graue Wolken hingen am Himmel und versperrten den Blick auf die Sonne. Naja, hier in Shanghai blickte man sowieso nur selten in einen strahlend blauen Himmel. Meisten hing ein schwacher, grauer Dunst von den Abgasen der Autos über der Millionenstadt. Der Regen hatte somit wenigstens ein Gutes. Er spülte den Smog aus der Luft und den Abfall von den Straßen. Ray öffnete ein Fenster und der Wind wirbelte einen feinen Nebel aus Regentropfen zu ihm herein. Das stetige Rauschen, der auf der Straße vorbeifahrenden Autos drang zu ihm herauf. Er ließ seinen Blick über die Skyline schweifen. Ray liebte diese Stadt die niemals schlief, niemals zur Ruhe kam. In der um drei Uhr morgens in fast jeder Nebenstraße noch irgendeine kleine Küche offen hatte, die gedämpfte Spieße oder Dumplings anbot. Shanghai war die Schnittstelle zwischen traditionellem China und Moderne. Man sah Karren mit Maultieren neben Nobelkarossen aus Europa auf den Straßen. Auch wenn diese beiden Puzzelteile nicht immer passten, konnte er sich im Moment keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen. Ray sortierte die Briefe aus der Post und stapelte sie ordentlich auf dem weißen Küchentisch. Das meiste mussten wohl Glückwunschkarten zur Hochzeit sein, vermutete er. Er ging auf den Balkon und goss das Wasser aus ein paar Übertöpfen in denen durch den andauernden Regen zu viel Feuchtigkeit stand. Sein Handy klingelte. Ein Kunde wollte seinen Termin mit ihm vorverlegen. Ray willigte ein sich früher mit ihm zu treffen. Manchmal hasste er diese reichen Schnösel, die dachten Ray würde jeder Zeit zu ihrer Verfügung stehen. Zen war etwas, das man nicht nur praktizierte, weil man mal eben zwei Stunden Zeit hatte. Doch solche Kunden sorgten dafür, dass Ray sich ein großes Apartment mit Blick über die Stadt leisten konnte. Also gab er ihnen Lektion in Meditation, Lebensführung und Tai-Chi. Wenigstens hatte Ray durch diese Terminverlegung den Abend frei. Ray beeilte sich. Selbst wenn er sofort eine Metro erwischte, würde er fast ein Stunde durch die Stadt brauchen. Trotzdem die U-Bahn voller Menschen war schaffte es Ray noch einen Platz neben einer alten Dame mit runzeligem Gesicht und schlohweißem Haar zu bekommen. Ray kramte in seiner Tasche und zog ein Bündel Papiere heraus. Als er heute Morgen in sein Emailpostfach geschaut hatte, war er ganz überrascht gewesen eine Nachricht von Max, seinem alten Freund aus Teenagerzeiten, zu sehen. Ray hatte sich den vier Seiten langen Brief ausgedruckt und sich vorgenommen ihn im Laufe des Tages zu lesen. Er hatte lange keine Post mehr von seinen ehemaligen Teammitgliedern bekommen. Ray musste sich allerdings auch eingestehen, dass das vielleicht daran lag, das er ihnen auch schon sehr lange nicht mehr geschrieben hatte. Er ordnete die Blätter, die sein Drucker mal wieder in der falschen Reihenfolge ausgespuckt hatte und begann zu lesen. Ray las den Brief gerade zum dritten Mal, als ihn die alte Dame neben ihm bat aufzustehen, damit sie am nächsten Halt aussteigen konnte. Ray tat es wie in Trance. Er konnte nicht glauben was da schwarz auf weiß auf Papier vor ihm stand. *** Es war fast drei Monate her, seit Drigger sein letztes Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Seitdem trug Ray das Armband nur noch aus Gewohnheit. Der Chip war ganz langsam verblasst. Ray hatte sich eine Zeitlang schwach und ausgezehrt gefühlt, als hätte er eine schwere Grippe auszukurieren. Doch er wusste, dass der Schmerz daher kam, dass die Verbindung zu seinem Bitbeast langsam abriss. Ray hatte keine Ahnung wie er daran etwas ändern könnte. Hatte sich Drigger auf die Suche nach einem anderen Besitzer begeben? Rays Ideale hatten sich im Laufe der Jahre geändert. Vielleicht war es Zeit seinen ehemaligen Freund gehen zu lassen. Der Gedanke hatte Ray weh getan, er hatte ihn sogar zum Weinen gebracht, doch er hatte sich schließlich damit abgefunden. Nun schrieb ihm Max, dass das bei Draciel und Dragoon auch passierte? Das sie diesen Prozess umkehren konnten, durch ein schnödes Ritual? Warum hatte sich Drigger nicht materialisiert, wie Draciel es für Max getan hatte? Rays Verbindung zu dem weißen Tiger war immer sehr eng gewesen. Warum verlor er als erster sein Bitbeast? Die Welt war nicht fair. War es überhaupt noch möglich Drigger auch zurück zu holen? Drei Monate waren eine lange Zeit. Was war das überhaupt für ein Ritual? Ray war ein religiöser Mensch, doch er konnte sich nicht daran erinnern, dass eines seiner alten Teammitglieder jemals den Hang zum Okkultismus gezeigt hätte. Schon gar nicht Max. Hunderte von Fragen schossen durch Rays Kopf. *** Kai stellte seinen Wagen auf der Straße vor seinem Haus ab. Rotgoldenes Licht, das durch die Blätter der Bäume fiel, kündete von der hereinbrechenden Dämmerung. Er stieg aus dem Auto und ging zu seinem Gartentor. Die rostigen Scharniere verursachten ein leises Quietschen, als er die Tür aufstieß. Als er den Briefkasten öffnete fielen ihm die Tageszeitung und zwei Briefe entgegen. Einer der beiden trug seine Adresse mit lateinischen, statt kyrillischen Buchstaben. Kai runzelte die Stirn. Er bekam so gut wie nie Post aus dem Ausland an seine Privatadresse. Der Poststempel kam aus Amerika. Kai presste die Lippen missbilligend aufeinander, dann drehte er den Brief um den Namen des Absenders zu lesen. Max. Hatte er es sich doch gedacht. Kai hatte in den letzten zwei Wochen fünf Emails von Max gelöscht. Er konnte sich nicht erklären, wie Max an seine Adresse gekommen war. Nun schien der Amerikaner auf anderem Weg zu versuchen Kai zu terrorisieren. Kai warf Max Brief in eine der Mülltonnen neben dem Haus und schloss dann die Tür auf. In der Küche öffnete Kai den anderen Brief. Es war eine Einladung zur Ausstellungseröffnung von Tala. Tala hatte zwar an der Moskauer Universität Physik studiert, aber schon während des Studiums angefangen zu malen. Nach dem Ende seines Studiums hatte Tala es geschafft mit Hilfe einiger vermögender Gönner, zu denen auch Kai gehörte, ganz von seiner Kunst zu leben. Dies war nun schon die dritte Ausstellung die Tala zusammen mit einigen anderen Künstler organisiert hatte. Kai lächelte und zog den gelben Klebenotizzettel von der Einladungskarte. „Dein Bild ist fertig.“ , stand auf der Notiz in Talas hoher enger Handschrift. Tala hatte darauf bestanden Kai zu porträtieren, ohne das Kai auch nur einmal für ihn Modell gesessen hatte. Kai fragte sich allerdings ob er sich auf seinen Porträt wieder erkennen würde. Tala hatten einen ganz eigenen Malstil. Die Figuren auf Talas Bildern waren dünn und die Länge gestreckt, wie durch einen Zerrspiegel betrachtet. Düstere Bilder mit lasziven Motiven. Er fragte sich wie sein Porträt wohl aussehen würde, durch Talas Sichtweise der Dinge verfremdet. *** Max schaltete seinen Computer ein. Das rhythmische Surren erfüllte sein Apartment als der PC hochfuhr. Er schaute aus dem Fenster in die sternenfunkelnde Nacht hinaus. Hinaus auf die Bucht, die in den Atlantik mündete. Schiffe schaukelten als helle Lichtpunkte auf der unruhigen See. Max setzte sich an seinen Computer und öffnete das Programm seines Instant-Messengers. Er hatte sich mit Tyson und Ray zu einer Videokonferenz verabredet. Die Statusleisten der beiden standen bereits auf online. Sie warteten schon auf ihn. Max machte ein paar Klicks und Sekunden später tauchten Rays und Tysons Gesicht vor ihm auf dem Bildschirm auf. „Hi.“, begrüßte er seine alten Freunde. Er konnte erkennen, dass es bei Ray und Tyson bereits heller Tag war. „Hey Max. Hast du schon was von Kai gehört?“, grüßte ihn auch Ray. „Nein leider nicht. Dabei bin ich mir ganz sicher, dass ich seine richtige Adresse habe.“ Max seufzte. Sie alle wussten wie wichtig es war, das Kai an dem Ritual teilnahm. Dass er jetzt nicht auf die Versuche mit ihm Kontakt aufzunehmen reagierte machte Max stutzig. „Der ignoriert uns absichtlich. Ganz sicher.“ Tysons Stimme knackte etwas und Max sah wie der Japaner an seinem Mikrofon herumspielte um die Interferenzen zu beheben. Einige Sekundenlang knisterte es sehr laut, danach war Tyson Stimme wieder klar hörbar. „Ich denke es wird Zeit, dass wir dem werten Herrn Hiwatari mal ein wenig auf die Füße treten.“, fuhr Tyson fort. „An was hast du da gedacht?“, fragte Max und sah Tyson erwartungsvoll an. „Na wir statten ihm einfach einen kleinen Besuch ab.“ Tyson grinste. Ray wiegte seinen Kopf hin und her, als ob er nicht wusste ob er diese Idee gutheißen oder ablehnen sollte. Auch Max war sich nicht sicher ob so ein Vorschlag klug war. „Er wird es doch sicherlich als ziemlich anmaßend empfinden, wenn wir bei ihm einfach so aufkreuzen. Falls er unsere Nachrichten bekommen hat.“, wandte Ray ein, der wohl zu dem Schluss gekommen war, die Idee abzulehnen. „Komm mal wieder runter Ray. Was haben wir denn sonst noch so für Optionen? In einer Woche ist Vollmond. Wir können das Ritual genauso gut in Russland, wie sonstwo abhalten.“, versuchte ihn Tyson zu überzeugen. „Ich bin dafür.“, sagte Max und nickte ehe Ray etwas erwidern konnte. Max erinnerte sich, dass es besser war nicht zu zögern. „Okay.“, lenkte nun auch Ray ein. „Aber ich kann frühestens morgen Abend oder übermorgen fliegen. Ich muss noch ein paar Termine verschieben.“ „Ich muss mich auch noch um eine Vertretung kümmern.“, sagte Tyson. Max nickte und schaute auf seinen Kalender. „Ich buche für uns Hotelzimmer und schicke euch noch die Adresse. Wie sehen uns dann am Donnerstag in Moskau.“ Max verabschiedete sich von seinen Freunden und beendete das Telefonat. Er hatte selbst noch sehr viel zu erledigen. *** Der russische Zoll meinte es nicht gut mit Tyson. Der Japaner verbrachte geschlagene drei Stunden damit russischen Zollbeamten, die wenig Englisch verstanden und noch weniger sprachen, zu erklären, dass er als Kendomeister dazu berechtigt war ein Schwert nach Moskau einzuführen. Es war Tyson schon schwer gefallen die Waffe nicht als Handgepäck mit Flugzeug zu nehmen, sondern sie als ein normales Gepäckstück aufzugeben zu müssen. Es machte Tyson irgendwie nervös sich von dem Schwert zu trennen und sei es auch nur ein paar Stunden lang. Er fühlte sich Dragoon so nah, wie schon seit Jahren nicht mehr und wollte ihn am liebsten gar nicht aus der Hand geben. Tyson war erleichtert als er endlich das Büro des Zollbeamten mit seinem Schwert verlassen durfte, nachdem sein gesamtes Gepäck noch einmal einer gründlichen Durchsuchung unterzogen worden war. Er winkte sich ein Taxi heran und nannte dem Fahrer die Adresse des Hotels die Max ihm geschickt hatte. Tyson nahm auf dem Rücksitz Platz. Den langen, schmalen Kasten aus schwarzem lackiertem Holz, der sein Schwert beinhaltete, legte er neben sich. Er würde sich sicherlich nicht noch einmal von ihm trennen. Während der Fahrt zum Hotel spürte Tyson wie der Taxifahrer ihm immer wieder missmutige Blicke durch den Rückspiegel zuwarf. Tyson seufzte. Dieses Land schien nur Menschen mit Kais Temperament hervorzubringen. Wortkarge, griesgrämige Stoiker. *** „Wann fahren wir zu Kai?“, fragte Ray. Er hatte es sich auf dem Bett in Max Hotelzimmer gemütlich gemacht und spielte mit dem Zipfel der Bettdecke zwischen den Fingern. Tyson saß auf einem der Holzstühle neben den Fernseher und Max schritt langsam im Zimmer auf und ab. Sie hatte sich in Max Hotelzimmer getroffen um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. „So bald wie möglich würde ich sagen.“, beantwortete Tyson entschlossen die Frage. Der Japaner wäre sofort in das nächste Taxi gestiegen und zu Kai gefahren, er wusste nicht warum die anderen beiden noch zögerten. „Ja.“, Max nickte und ging weiter langsam durch das Zimmer. „Wie sollten vielleicht vorher nochmal bei ihm anrufen.“, sagte er gedehnt und zog einen kleinen weißen Zettel mit einer Telefonnummer aus seiner Hosentasche. „Ich mach das.“ Tyson war schon aufgesprungen hatte sich den Zettel geschnappt und griff zum Hoteltelefon. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 4: Wiedersehen mit Freu(n)den ------------------------------------- 4. Wiedersehen mit Freu(n)den Am frühen Abend brachen die drei zu Kais Anwesen auf. Das Taxi fuhr sie fast eine Dreiviertelstunde durch das enge Straßengewirr Moskaus, bis es endlich vor einer düster aussehenden, alten Villa hielt. „Vielleicht hätten wir doch vorher anrufen sollen.“, meinte Ray, dessen Blick über die vielen unbeleuchteten Fenster glitt. Das eiserne Tor quietschte leise in den Angeln, als sie es öffneten um durch den Vorgarten zu gehen. Der Kiesweg zum Haus war mit niedrigen immergrünen Sträuchern gesäumt, die im Abendlicht silbern schimmerten. „Wir haben doch vorher angerufen. Zweimal.“, erinnerte ihn Tyson und drückte den Klingelknopf. Gleich drauf hörten sie wie irgendwo im Haus ein altmodischer Gong ertönte. „Aber der werte Herr Hiwatari“, fuhr Tyson fort „hat ja gleich wieder aufgelegt, nachdem er mitbekommen hat wer ihn da sprechen wollte.“ Ray seufzte ergeben. Schritte erklangen auf der anderen Seite der Tür und sie wurde geöffnet. *** „Du meine Güte!“, sagte die Frau mit mausgrauen Locken auf Russisch, als sie den drei jungen Männern die Tür aufmachte. Sie erkannte die Gesichter wieder, in die sie da blickte. Sie hatte sie schon sehr oft gesehen. Eines der wenigen Fotos in Kais Anwesen zeigte sie alle im Teenageralter, wie sie mit lachenden Gesichtern an einem sonnigen Nachmittag auf einem grasbewachsenen Abhang eines Hügels saßen. Natascha hatte dieses alte Foto schon hunderte Male abgestaubt und sich jedesmal darüber gewundert, dass alle Personen auf dem Bild, bis auf Kai selbst, lächelten. „Hallo. Das sind Max Tate und Ray Kon. Und ich bin Tyson Granger.“, sagte der junge Mann mit dem einnehmenden Lächeln und dem dunkelblauen Haar und deutete nacheinander auf die Personen, deren Namen er nannte. „Wir sind alte Freunde von Kai Hiwatari und würden ihn gern sprechen, wenn er hier noch wohnt.“ Die Englischkenntnisse von Kais Haushälterin reichten gerade aus um zu verstehen, was Tyson zu ihr sagte. „Ja, kommen sie herein.“, sagte sie in etwas abgehacktem Englisch und bedeutete ihnen ihr zu folgen. Geschäftsmäßig wuselte die ältere Frau vor den drei Männern her und führte sie durch dunkle, holzgetäfelte Gänge in ein großes, sehr spärlich eingerichtetes Wohnzimmer. Eine große, dunkle Couch gruppierte sich mit drei Sesseln auf einem orientalischen Teppich um einen Flachbildfernseher. Zwei hohe Regale, vollgestopft mit Büchern und Holzkisten, waren an eine Wand gestellt. An einer anderen Wand gähnte die dunkle Öffnung eines kalten Marmorkamins. Die wenigen Möbel wirkten einsam und verloren in diesem großen, düsteren Zimmer. Es fiel kaum Licht durch die bodenlangen Fenster. Durch das Geäst der Bäume vor den Fenstern fiel nur dunkelgrüner Schein. Das dunstige Licht eines schmiedeeisernen Kronleuchters reichte kaum aus um die schwarzen Schatten aus den Winkeln des Raumes zu vertreiben. „Gemütlich hier.“, sagte Ray nicht ohne sarkastischem Unterton, als sein Blick durch den Raum glitt. „Bitte warten sie hier, ich hole Mister Hiwatari.“, sagte die ältere Frau in ihrem abgehackten Englisch und verbeugte sich halb, was ein Stirnrunzeln auf den Gesichtern der Besucher hervorrief. Natascha war es offensichtlich nicht gewohnt, dass Kai soviel Besuch bekam. *** Kai hob den Kopf von seiner Arbeit, als es an der Tür klopfte. Natascha trat mit einer seltsam freudigen Miene ein. „Sie haben Besuch.“, sagte sie. Kai hatte sich schon so etwas gedacht, als er die Türglocke gehört hatte. „Tala?“, fragte er, weil ihm sonst niemand einfiel der ihn heute besuchen konnte. „Nein, ein Mister Granger, Mister Kon und Mister Tate, Kai. Ihre alten Freunde.“, sagte sie mit einem Lächeln, das gefror, als sich Kais Blick bei ihren Worten verdüsterte. „Sag ihnen, dass ich heute leider keine Zeit habe. Ich habe zu viel zu tun.“ „Aber … aber sie warten bereits im Wohnzimmer.“, meinte die alte Frau, die Kais Reaktion auf seine alten Freunde nicht einordnen konnte. Eine Minute verging ehe Kai antwortete. „Ich komme.“, sagte er gepresst und Natascha verschwand wieder aus seinem Büro. Kai starrte auf die Papiere, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, doch er nahm sie nicht wahr. Seine Gedanken waren bei den jungen Männern, die in diesem Moment in seinem Wohnzimmer saßen. Seine ehemaligen Freunde. Sein ehemaliges Team. Sehr viel Zeit war vergangen seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich seitdem verändert. Sie alle hatten sich seit diesem Zeitpunkt verändert. Was machten sie hier in seinem Haus? Verstanden sie denn den Wink mit dem Zaunpfahl nicht, wenn er nicht auf ihre Mails und Briefe antwortete und bei ihren Telefonanrufen einfach auflegte? Sie waren nicht mehr Teil seines Lebens. Kai spielte mit dem Gedanken das Haus durch die Hintertür zu verlassen. Wie lange würden die drei schon auf ihn warten? Ein paar Stunden? Einen Tag vielleicht? Und dann konnte er zurückkommen und … Kai schollt sich selbst einen Feigling. Er würde doch nicht aus seinem eigenen Haus fliehen. Er würde nach unten gehen und sie einfach bitten ihn in Ruhe zu lassen. Sie bitten zu gehen. Schließlich war er ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er brauchte sich nicht vor einem Wiedersehen zu fürchten, er hatte in all den Jahren viel erreicht. Und doch ergriff ihn aus irgendeinem Grund latente Panik, als er sein Arbeitszimmer verließ und durch die Korridore ins Wohnzimmer ging. Es war die Angst, die man vor einem herannahenden Unwetter spürt. Seine Schritte schienen unnatürlich laut durch die holzvertäfelten Gänge zu hallen. *** Natascha hatte bereits Tee für sie alle bereit gestellt und ein Feuer im Kamin entfacht, als er in das trübe Licht des Wohnzimmers trat. „Hallo.“, begrüßte er seine Gäste und die Köpfe der drei Männer drehten sich zu ihm. Kai bemerke wie ausdruckslos und gefasst seine Stimme klang und war zufrieden damit, wie wenig man ihm seine Panik anmerkte. Er bemerkte, wie die Blicke der Anderen ihn unverhohlen musterten. Außer Max lächelte Niemand. Sie sahen ihn mit ernsten Gesichtern an. Max trug anders als auf dem Bild, das Kai vor ein paar Wochen im Fernsehen gesehen hatte eine Brille mit viereckigen Gläsern. Mit seinem blassblauen Pullover und seiner weißen Hose leuchtete er förmlich vor dem Hintergrund des dunklen Mobiliars. Wie er vor Kais Bücherregalen stand und die wenigen englischen Titel auf den Buchrücken studierte war er der Inbegriff des Akademikers. Kais Blick glitt weiter zu Tyson, der gemütlich in einem der Sessel lümmelte. Kai vermutete dass Tyson ihn jetzt um ein paar Zentimeter überragen musste, so hünenhaft wie seine Erscheinung jetzt wirkte. Das breite Kreuz und die muskelbepackten Oberarme ließen auf intensives Training schließen. Tyson trug das Haar jetzt länger als früher und der Pony seines blauen Haares fiel ihm frech in die Stirn, was ihm etwas Lausbubenhaftes verlieh. Die für ihn früher so markante Kappe fehlte. Die Frauen rannte Tyson sicher scharenweise hinterher. Ein langer, schmaler, schwarzer Kasten, der neben Tyson an dem Sessel lehnte zog Kais Aufmerksamkeit auf sich und er fragte sich was dieser Kasten wohl enthielt. Porzellan klapperte auf Porzellan und Kais Blick glitt weiter zu Ray, der an seinem Tee genippt hatte. Das lange schwarze Haar trug er noch immer als Pferdeschwanz, der von einem weißen Haarband zusammen gehalten wurde. Locker lag ihm der Zopf über der Schulter. Er strich sich mit der rechten Hand seinen Pony aus den Augen, der ihm ins Gesicht gefallen war, als er die Tasse zurück auf den Tisch stellte. Das rote Band mit dem Jing-Jang-Zeichen, das früher Rays Haar zurückgehalten hatte, war um seinen rechten Unterarm geschlungen. Ein breites schwarzen Lederband, an das Driggers Bitchip gebunden war baumelt von seinem Handgelenk. Kai tastete wie automatisch mit der Hand zu dem schweren Silberring an seiner linken Hand. Rays mandelförmige Augen blitzten als er Kais Bewegung bemerkte. Rays Bewegungen schienen Kai merkwürdig fließend, wie die einer Schlange. Die schmale Gestalt schien sehnig und angespannt. Ein Pfeil, kurz bevor er den Bogen verlässt. Kais Intuition sagte ihm, dass Ray trotz seiner schmächtigen Gestalt gefährlicher als Tyson war. Kai ging durch den Raum und setzte in den letzten freien Sessel. Seine eigenen Züge waren kalt und ausdruckslos, eine Maske, die er schon seit seiner Kindheit beherrschte und die Niemandem verriet in welchem angstvollen Takt sein Herz schlug. „Was wollt ihr hier?“, fragte er, als er sich gesetzt hatte. „Du hast nicht auf unsere Nachrichten reagiert, weder auf Emails noch auf den Brief, noch auf die zwei Telefonanrufe. Da haben wir gedacht, wir kommen einfach mal vorbei.“, sagte Tyson in einem sehr provokativen Tonfall. Tysons Stimme war tiefer geworden. Rauer und zugleich angenehmer, wie Kai feststellen musste. „Nett von euch.“ Kai goss sich nun selbst eine Tasse Tee ein. Sie würden sicher schneller wieder gehen, wenn er sich nicht auf Diskusionen mit ihnen einließ. Ein angespanntes Schweigen erfüllte den Raum das erst von Max Seufzen durchbrochen wurde. „Kai, hast du auch nur eine Zeile von dem gelesen, was wir dir geschrieben haben?“, fragte er. „Nein.“, antwortete Kai wahrheitsgemäß. Die Emails hatte er ohne zu zögern gelöscht und der Brief war ungeöffnet in den Papiermüll gewandert, nachdem er den Absender gelesen hatte. Kais Panik wuchs, eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich was wohl in den Nachrichten so Wichtiges gestanden haben musst, dass sie ihn hier besuchten. „Ich habe keine Lust auf eine Bladebreakers-Weihnachtsfeier, oder sonst einen sentimentalen Quatsch.“, fuhr Kai mit unberührter Stimme fort. Sein Blick glitt wieder zu dem schmalen schwarzen Kasten, der neben Tyson lehnte. Tyson lachte kalt auf. Er hatte so etwas erwartet. „Es geht um keine verdammte Weihnachtsfeier.“, sagte Max, wandte sich von den Bücherregalen ab und setzte sich auf die Couch. Kai lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust in dem Versuch möglichst genervt auszusehen. Er würde ihre Geschichte über sich ergehen lassen müssen bevor sie gingen. *** Max wollte sich eine neue Tasse Tee eingießen um seine Stimme zu befeuchten, doch die Kanne war leer. Er hatte die Geschichte viel ausschweifender erzählt, als er es vorgehabt hatte. „Ich mach schon“, sagte Ray und griff nach der Kanne. „Wo ist die Küche?“ Kai nickte in Richtung der Tür. „Zweite Rechts.“ Ray verschwand in dem Gang. Da er vom Wohnzimmer aus nicht mehr zu sehen war, schaute Ray auch in den ersten Raum an dem er vorbeikam. Er fand keinen Lichtschalter, doch das schwache Mondlicht, das durch das große Fenster fiel reichte für Ray aus um den Raum wahrzunehmen. Es handelte sich um ein Badezimmer. Grünglasierte Fliesen schimmerten sanft im Licht der Nacht. In der Mitte des Raumes stand eine ausladende Badewanne, deren Füße wie Löwentatzen aussahen auf einem hellen Teppich. Sie wirkte verloren in dem viel zu großen Raum. „Was für eine Platzverschwendung.“, dachte Ray und schloss die Tür wieder. Die Küche schien Ray der erste Raum in diesem Haus zu sein, der komplett eingerichtet war. Verchromte blank polierte Flächen blitzten im Licht einiger Lampen. Ray stellte die Teekanne neben einen kleinen weißen Zettel auf eine der Arbeitsflächen. Ray erkannte kyrillische Buchstaben. Die Haushälterin schien eine Nachricht für Kai hinterlassen zu haben. Ray studierte die Nachricht. Er konnte sie zwar nicht komplett entziffern, verstand aber dass im Kühlschrank Abendessen für sie alle stand und wohl auch Gästebetten für ihn und die Anderen hergerichtet worden waren. Ray grinste schelmisch, nach der warmen Begrüßung die Kai seinen alten Freunden bereitet hatte würde ihm diese Nachricht sicher gefallen. Er steckte die Nachricht in eine Hosentasche und ging dann hinüber zum Wasserkocher um diesen zu füllen. Ray durchsuchte die Hälfte der Schränke in der Küche ehe er Tee fand. Er war überrascht die Schränke nicht leer sondern gut gefüllt und aufgeräumt vorzufinden. Dies war eindeutig nicht Kais Werk. Ray goss das heiße Wasser über die Teebeutel in der Kanne und ging zurück ins Wohnzimmer. *** Ray stellte die Kanne auf den Tisch und warf Kai die Notiz zu. Dann ging er zum Kamin hinüber. Er nahm sich einen dicken Holzscheit von einem Stapel nahe dem Kamin und warf ihn in das heruntergebrannte Feuer. Ein Funkenregen aus Rot und Gold stob auf. Er spürte Kais Blick auf sich ruhen, nachdem dieser das Papier schnell überflogen hatte. Sicherlich fragte sich der Russe ob, und wie viel, Ray von der kurzen Notiz verstanden hatte. „Wir brauchen dich.“, sagte Max und goss sich heißen Tee in seine Tasse. Kais Aufmerksamkeit wandte sich wieder von Ray ab. Ray bemerkte, dass Max scheinbar mit seiner Geschichte geendet hatte, während er Tee holen war. „War´s das?“, fragte Kai mit ausdrucksloser Stimme. Max schaute ihn verständnislos an, nickte aber. „Gut. Ich werde euch ein Taxi rufen. Wie heißt euer Hotel?“ Max stammelte den Namen ihres Hotels und sah verständnislos zu wie Kai ein Handy aus der Tasche zog und eine Nummer eintippte. Hastig sprach Kai ein paar Worte auf Russisch in sein Handy und hörte dann demjenigen am anderen Ende kurz zu. Ärgerlich diskutierte eine weitere Minute bevor er auflegte. „Das Taxi ist in einer halben Stunde hier. Ihr wisst ja wo der Ausgang ist.“, sagte Kai kalt und ließ sein Handy zurück in seine Hosentasche gleiten. Er ging aus dem Wohnzimmer und ließ Tyson, Max und Ray allein zurück. Einige Minuten vergingen schweigend. „Ganz der Alte.“, sagte Tyson während er verständnislos den Kopf schüttelte. „Muss immer zweimal überzeugt werden. Er glaubt doch nicht wirklich, dass wir gehen? Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass ich Dragoon verliere.“, fuhr er fort und strich sanft mit der Hand über den schwarzen Kasten neben ihm. „Habt ihr Hunger?“, fragte Ray die anderen beiden und beugte sich über die Lehne der Couch. Sie sahen ihn abwartend an. „Die Haushälterin hat was vorbereitet. Stand auf dem Zettel, den ich Kai vorhin gegeben hatte.“, erklärte er ihnen. Sie gingen gemeinsam in die Küche. „Seit wann kannst du Russisch?“, fragte Max an Ray gewandt, während sie durch den Korridor gingen. „Hat mit einem Kerl zu tun, wegen dem ich mal 14 Tage in St. Petersburg gewohnt habe. Naja war keine besonders tolle Beziehung; eher eine lange deprimierende Geschichte.“ Max sah seinen Freund von der Seite her an. Hatte Ray ihnen gerade gesagt, dass er auf Männer stand? Sie wärmten sich in der Mikrowelle das vorbereitete Abendessen auf und Ray suchte Besteck für sie drei aus einer der Schubladen, als der altmodische Gong ertönte. „Ich schick den Taxifahrer wieder weg.“, sagte Ray zu den beiden und huschte schon in den dunklen Korridor davon. *** Ray sah dem wegfahrenden Taxi hinterher, bis seine Rücklichter um die nächste Straßenecke gebogen waren. Er huschte dann den kurzen Weg bis zum Haus zurück. Eine dunkle Gestalt, die im Türrahmen lehnte, erwartete ihn bereits. Ray wusste wer da auf ihn wartete. „Ihr seid noch da.“, Kais Stimme klang vorwurfsvoll. Sein ausgestreckter Arm versperrte Ray den Durchgang. „Ja, und wir plündern deinen Kühlschrank. Was willst du jetzt tun?“ http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 5: Eine lange Nacht --------------------------- 5. Eine lange Nacht „Stimmt es, dass du stirbst?“, fragte Kai und strich dabei zärtlich über den Silberring an seiner linken Hand. Nachdem er das Wohnzimmer verlassen hatte, hatte er sich in sein Arbeitszimmer im ersten Stock zurückgezogen. Nun saß er an seinem Schreibtisch, die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und betrachtete seinen Ring. Max hatte ihm erzählt, dass sich Draciel gezeigt hatte, nachdem er mit Wasser in Berührung gekommen war. Kai zog den alten dreiarmigen Leuchter zu sich heran und kramte in einer Schublade nach Streichhölzern. Er brauchte diese Antworten. Als er die Kerzen angezündet hatte tauchten sie den Raum in flackerndes, gelbes Licht. Kai zog seinen Ring vom Finger und führte ihn blitzschnell durch die Flamme der mittleren der drei Kerzen. Wenn es nicht funktionieren sollte wollte er auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass Dranzers Chip beschädigt wurde. Doch es funktionierte. Der Ring wurde heiß und einen Augenblick später erfüllte ein glockenheller Ton den Raum, der von überall zur gleichen Zeit zu kommen schien. Ein Phönix schwebte aus dem Nichts heran und ließ sich vor Kai auf dem Rand von einem der Computerbildschirme nieder. Kai war sich nicht sicher ob es am Licht der Kerzen lag, aber das Gefieder des Vogels schimmerte nicht so kräftig in allen Rot- und Goldtönen, wie er es in Erinnerung hatte. Die Gestalt des Phönixes war merkwürdig fahl und durchscheinend. Kai stand von seinem Stuhl auf und lehnte sich nach vorn. Auch der Phönix neigte seinen Kopf in Kais Richtung bis sich die Stirn des Tieres sanft an Kais Stirn lehnte. Einige Sekunden verharrten beide mit geschlossenen Augen in dieser Position, dann sprach Kai. „Ich habe dich vermisst.“ Wieder ertönte ein glockenheller Ton, doch diesmal schwangen Worte, die wie Gesang klangen in ihm mit. „Ich dich auch Kai. Und es ist wahr. Ich sterbe.“ Kai war erschrocken von der Endgültigkeit dieser Aussage. Es war etwas anderes es von Dranzer selbst zu hören. „Aber Phönixe werden wiedergeboren. Sie erstehen aus ihrer eigenen Asche wieder auf, wenn sie sterben.“, erinnerte er sie beide an diese uralte Legende. „Diesmal ist es anders. Meine Verbindung zu dieser Welt schwindet. Und du spürst es auch.“ „Nein!“, sagte Kai entschieden und ging zum Fenster. „Ich habe dich nicht vergessen, wie diese Trottel da unten. Ich habe an dich gedacht. Habe den Glauben an dich nicht verloren …“ Doch Stimme des Phönixes unterbrach ihn, ehe Kai weitersprechen konnte. „… und deshalb spürst du es auch stärker. Unsere Verbindung ist zu eng. Kannst du dich nicht daran erinnern, wie müde und ausgezehrt du dich in den letzten Wochen und Monaten gefühlt hast?“ „Doch,… aber ich habe einfach sehr viel gearbeitet.“, versuchte Kai diesen Umstand zu erklären. Die latente Panik wallte plötzlich blasenartig in ihm auf. Seine Kehle war wie zugeschnürt, er durfte Dranzer nicht verlieren. „Aber ich kann es auch allein tun. Ich kann dich beschützen.“, krächzte er. Der Phönix schüttelte traurig seinen schmalen Kopf. „Max hat es doch erklärt, ich bin zu stark an die Anderen gebunden. Wir werden gemeinsam verschwinden.“ Kai schwieg. Nach einer Weile sagte der Phönix dann, fast zu sich selbst: „Ich spüre den weißen Tiger fast gar nicht mehr. Es ist eher wie das Echo eines Flüsterns.“ Er schaute dabei in die Dunkelheit hinter sich. Wieder verging ein kurzer Moment der Stille. „Ich weiß warum du sie fürchtest“, fuhr er dann fort und blickte wieder Kai an „Sie bedeuten Chaos, wo du nach Ordnung strebst. Sie verursachen Unstetigkeit, wo dir Kontinuität lieber ist. Sie bringen Unsicherheit mit sich, für einen wie dich, der lieber kein Risiko eingeht.“ Kai wollte dem Phönix einen Moment lang wiedersprechen, schwieg dann aber doch. Dranzer hatte Recht. Er war nie Risiken eingegangen. Damals nicht: Er hatte immer das Beybladeteam gewählt, mit welchem er die größten Chancen hatte zu gewinnen. Heute nicht: Er ließ sich auf kein Geschäft ein, dessen Ausgang und Eventualitäten er nicht genau kannte. „Du hast Angst vor dem Menschen, den sie damals aus dir gemacht hatten. Doch gleichzeitig sehnst du dich auch nach jenem Menschen zurück.“ Kai hörte ein Rascheln von Federn. Dann spürte er einen leichten Lufthauch und ein Gewicht, das sich auf seiner Schulter niederließ. Er blickte zur Seite, Dranzer hatte sich auf seine Schulter gesetzt. Auf Kai wirkte der Phönix jetzt noch ein wenig durchscheinender. „Diese materialisierte Gestalt zu benutzen strengt mich sehr an.“, erklärt der Vogel auf Kais unausgesprochene Frage. „Ich kann nicht mehr lange bleiben, deshalb hör mir genau zu! Du musst dich fallen lassen. Vertraue ihnen, denn sie sagen die Wahrheit, auch wenn du diese Wahrheit vielleicht nicht hören willst.“ Kai spürte wie das Gewicht von seiner Schulter verschwand. Er war wieder allein im Zimmer. Ein dunkler Gong ertönte irgendwo im Haus. Das Taxi war da. Er ging aus dem Arbeitszimmer. Kai wollte sehen wie die Anderen gingen. Aus der Dunkelheit heraus beobachten, wie sie aus seinem Haus verschwanden. Er brauchte erst einmal Zeit um über alles nachzudenken. Allein. *** Ray sah dem wegfahrenden Taxi hinterher, bis seine Rücklichter um die nächste Straßenecke gebogen waren. Er huschte dann den kurzen Weg bis zum Haus zurück. Eine dunkle Gestalt, die im Türrahmen lehnte, erwartete ihn bereits. Ray wusste wer da auf ihn wartete. „Ihr seid noch da.“, Kais Stimme klang vorwurfsvoll. Sein ausgestreckter Arm versperrte Ray den Durchgang. „Ja und wir plündern deinen Kühlschrank. Was willst du jetzt tun?“ Kai war von soviel Dreistigkeit völlig überrumpelt. Ein Auto fuhr auf der Straße vorüber und das Licht der Scheinwerfer warf die schwarzen Schatten der umstehenden Bäume auf sie. Die Eiseskälte der Nacht schien mit ihren langen ausgehungerten Fingern nach Ray zu greifen, der nur in seinem dünnen Shirt hier draußen stand. Doch er konzentrierte seine volle Aufmerksamkeit auf die Gestalt vor ihm, und ignorierte die Kälte. Kais helle Haut leuchtete blass im Halbdunkel. Hätten seine Augen nicht in einem tiefen Rotbraun geschimmert wäre er Ray in diesem Moment wie eine zu scharf geschnittene Schwarz-Weiß-Zeichnung vorgekommen. „Du siehst nicht gut aus.“, sagte Ray nachdem Kai auf seine Frage nicht geantwortet hatte. Er hatte das Bedürfnis seine Hand nach Kai auszustrecken und seine so geisterhafte Gestalt zu berühren, nur um zu überprüfen ob er wirklich real war. Doch er hielt sich zurück. Kai schien es zu bereuen sich Ray in den Weg gestellt zu haben. Er blickte Ray nicht in die Augen, sondern auf einen Punkt direkt über seiner linken Schulter. Sie verharrten einige Minuten schweigend. „Was ist? Lässt du mich wieder vorbei?“ Kai sah Ray funkeln an. Zwei blutroten Planeten, die ihn aus der Dunkelheit heraus anstarrten. Ray musste fast lächeln. Früher hätte ihn ein solcher Blick sicherlich dazu gebracht sich Kai unterzuordnen. Doch sie waren schon lange keine Teenager mehr. Eine solche Zermürbungstaktik funktioniert heute bei ihm nicht mehr. Ray seufzte und schüttelte leicht den Kopf dann drängte er sich einfach an Kai vorbei, er konnte nicht ewig hier draußen stehen. *** Rays Essen in der Küche war bereits wieder kalt geworden und so erwärmte er es erneut, ehe er sich zu den anderen an den ausladenden Küchentisch setzte. Kai betrat einige Sekunden später die Küche. „Man deine Haushälterin kann echt gut kochen.“, lobte Tyson sein Essen. „Sie ist nicht meine Haushälterin. Sie ist nur meine Putzfrau.“, stellte Kai klar. „Die auch kocht und Gästebetten herrichtet, ja ja.“, sagte Max. „Woher wisst ihr das?“fragte Kai, fuhr langsam herum und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er geringschätzig in Rays Richtung blickte. Ray lächelte Kai nur wissend an, sagte aber nichts. Kai nahm sich den für ihn bestimmten Teller aus dem Kühlschrank und setzte sich zu den anderen an den Tisch, nachdem er sich sein Essen aufgewärmt hatte. Sie aßen schweigend. „Ihr könnt hier nicht bleiben.“, sagte Kai nachdem sie das Essen beendet hatten. „Ich möchte dass ihr spätestens Morgen mein Haus verlassen habt.“ „Kai du solltest wirklich noch einmal über …“, begann Max doch er wurde grob von Kai unterbrochen. „NEIN. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet ich gehe schlafen. Gute Nacht.“ Damit stand Kai auf und verließ die Küche. Ray, Tyson und Max sahen sich besorgt an. „Ziehen wir Streichhölzer, wer zuerst noch einmal probiert mit ihm zu reden?“ Tyson versuchte mit diesem Scherz eindeutig die gedrückte Stimmung zwischen ihnen ein wenig aufzulockern. „Ich gehe.“, schlug Ray vor, bevor sich einer der Anderen melden konnte. *** Der Flur im dritten Stock war schwach beleuchtet. Nur in jeder zweiten, dafür vorgesehenen Wandhalterung steckte auch eine Glühbirne, sodass man zwischen Stellen die von trübem gelbem Licht erhellt waren und tiefer Dunkelheit einherschritt. Durch diese spärliche Beleuchtung konnte Ray auch erkennen, dass unter einer der Türen ein schwacher Lichtschein in den Flur fiel. Er klopfte einmal, doch als er keine Antwort erhielt betrat er ungebeten das Zimmer. Es war ein großer Raum. Alle Räume in diesem Haus schienen unnatürlich groß zu sein. Wie konnte man nur allein hier leben? Der Fußboden war, wie im ganzen Haus, aus Holz. Ein schwerer dunkler Kleiderschrank stand nahe einem hohen Spiegel an der Wand. Daneben führte eine weitere Tür in einen angrenzenden Raum. Ein breites Bett mit geschnitzten Pfosten war an der anderen Wand aufgestellt worden. Schwere dicke Samtvorhänge umrahmten zwei große Fenster, die den Blick auf die dunkle Nacht freigaben. Auf einem Kissen im Fensterbrett lag eine große abessinische Katze, die Ray neugierig musterte. Kai lebte also doch nicht ganz allein hier. Zwei Sessel standen auf einem weichen Teppich vor einem der Fenster. In einem hatte Kai es sich gemütlich gemacht. Er schaute Ray mit ausdruckslosem Gesicht an. Scheinbar betrachtet er ihn als Eindringling. „Ich hoffe du kommst um mir zu sagen, dass ihr euch dazu entschieden habt sofort wieder abzufahren.“ Kai legte die Zeitung, in der er eben noch gelesen hatte, auf einem Beistelltisch neben sich ab. „Nein.“, sagte Ray und schlenderte ein wenig durch das Zimmer, um sich schließlich an einen Pfosten von Kais Bett gelehnt auf den Boden zu setzen. Ein leises Geräusch entstand, als die Katze ihren Platz auf dem Fensterbrett verließ und zu Boden sprang, um den Gast in Augenschein zu nehmen. Willig ließ sie sich von Ray streicheln. Kai schien es gar nicht zu gefallen, dass sein Haustier Ray so viel Zuneigung entgegenbrachte. „Was willst du dann?“, fragte Kai barsch und durchbrach so die andauernde Stille. Ray ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Er kraulte die Katze, die es sich neben ihm bequem gemacht hatte. An ihrem Halsband hing eine silberne Plakette auf deren einen Seite Kais Adresse und Telefonnummer in kyrillischen und lateinischen Buchstaben geprägt war. Ray drehte die Marke zwischen seinen Fingern und betrachtete die Rückseite. „MONSTER“ stand da in Blockbuchstaben. Ray lächelte. Ein merkwürdiger Name für ein so hübsches Tier. „Ich will dich überzeugen, Kai.“ Ray kraulte weiterhin die Katze „Ich hoffe dir ist klar, dass wir nicht gehen werden bevor wir haben, weshalb wir hergekommen sind.“ „Ihr geht mir auf die Nerven.“, knurrte der Russe und gab vor sich wieder in seine Zeitung zu vertiefen. Ray grollte innerlich. Kai war immer noch der alte Miesepeter. Er schwieg und streichelte weiterhin die Katze. Minuten vergingen. „Warum kannst du russisch?“, fragte Kai nach einer Weile. Ray zwang sich nicht zu lächeln. Geduldig zu sein zahlte sich immer aus. Wenn man lange genug vor einem Mauseloch wartete würde früher oder später auch eine Maus hinaus kommen. „Warum interessiert dich das? Du fragst nicht, wie gut mein Russisch ist, oder wann ich es gelernt habe, sonder warum?“ „Ich bin nur neugierig.“ Ray spürte dass Kai dieses Eingeständnis eine gewisse Überwindung gekostet haben musste. „Nicht um dich zu ärgern, falls du das glaubst. Die Welt dreht sich nicht nur um dich.“, sagte Ray und Kais Gesichtsausdruck ließ ihn erahnen, dass er genau das geglaubt hatte. Kai stand von seinem Stuhl auf und ging hinüber zu Ray. Er beugte sich hinab und nahm die Katze auf den Arm. „Sie hat heute noch nichts gefressen.“, sagte er und ging in Richtung Tür. Ray stöhnte innerlich auf. Kai war ganz schön empfindlich geworden, dass er nach so ein paar Sticheleien schon die Flucht ergriff. „Warte.“, rief Ray ihm nach und wollte Kai bereits nacheilen, als ihm die Ecke einer blauen Karte, die unter der Tageszeitung hervor lugte, ins Auge stach. Ray sah zur Tür, die Kai hatte offen stehen lassen. Düster und ruhig lag der Flur da, Kai war schon längst weg. Ray griff in einer merkwürdigen Vorahnung nach der Karte. Es war eine Einladung zu einer Ausstellungseröffnung in einer Gemäldegalerie. Ray überflog kurz den Text auf der Karte und blieb dann an dem Namen eines, der an der Ausstellung beteiligten, Künstlers hängen. „Tala Ivanow.“ Rays Augen weiteten sich vor Überraschung. Tala, ein Künstler? Das letzte was er von Tala gehört hatte war, dass er sich für ein Physikstudium eingeschrieben hatte. Die Ausstellungseröffnung war morgen Abend. Ray faltete die Einladung und steckte sie in seine Hosentasche. Ein hinterhältiges Lächeln glitt über seine Züge. Vielleicht hatte er soeben einen zusätzlichen Verbündeten im Kampf gegen Kais Sturheit gefunden. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 6: Eine überraschende Wendung ------------------------------------- 6. Ein überraschende Wendung Kai wachte am nächsten Morgen erst sehr spät auf. Er hielt die Augen geschlossen und dachte über die Geschehnisse der vergangenen Nacht nach. Es hatte alles sicherlich mit dem Streit zwischen ihm und Ray begonnen, nachdem sie zurück in die Küche gegangen waren. Diese Wut und dieser Zorn. Ray, der die ganze Zeit so kühl und überlegen gewirkt hatte, als würde er über den Dingen stehen. Ganz der Zen-Meister. Dann war Ray aus dieser Figur ausgebrochen. *** „Du bist ein Idiot.“, Ray fauchte die Worte mehr, als das er sie aussprach. „Wie kannst du nur so egoistisch sein. Hast du auch nur mal einen Moment daran gedacht, dass es hier nicht nur um dich geht?“ Max und Tyson hatten sich merkwürdigerweise in Luft aufgelöst und sie beide waren in der Küche allein. „Aber natürlich geht es hier um mich. Sonst wärt ihr doch wohl kaum alle hier.“ Ray schnaubte empört und betrachtete Kai von oben herab. Glaubte dieser russische Holzkopf etwa, dass sich das ganze Universum nur um ihn drehte? „Wenn ihr mich nicht brauchen würdet, damit das Ritual funktioniert, dann wärt ihr doch gar nicht gekommen. Ich möchte auch das Dranzer bei mir bleibt. Doch ich sehe nicht ein, warum ich euch helfen sollte.“ „Du kannst es diesmal nicht allein schaffen. Wir müssen die Verbindung zwischen uns wieder kitten.“, sagte Ray verblüfft, dass Kai diese Tatsache scheinbar noch nicht erkannt hatte. „Das weiß ich. Dennoch, ich habe Dranzer nicht im Stich gelassen. Die ganze Sache ist nicht meine Schuld.“ „Denkst du etwa ich hätte Drigger „im Stich gelassen“, wie du es nennst?“ Ray fühlte sich fast den Tränen nahe. „Ja.“ Kais Stimme war kalt und emotionslos. Er ließ die Katze, die sich immer noch in seinen Armen befand zu Boden gleiten. Das Tier huschte sofort davon. „Du hast dich gar nicht verändert. Immer noch der alte Egoist. Wie konnten wir nur so dumm sein und denken du hättest für all das Verständnis?“, sagte Ray und spuckte die Worte förmlich aus. „Ohne Max hättest du doch gar nichts davon gewusst, das die Bitbeasts diese Welt verlassen. Du hast doch gar keine Ahnung wie es ist seinen besten Freund zu verlieren. Wenn du plötzlich merkst, er antwortet nicht mehr auf dein Rufen, er wird immer schwächer, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Du hast keine Ahnung wie ich mich fühle. Dir wird aber das gleiche Schicksal blühen. Wie kannst du sagen, dass dich unser Schicksal nichts angeht, wenn du es doch teilen wirst?“ „Es ist deine eigene Schuld, was mit Drigger passiert ist. Er könnte noch hier sein, wenn du dich mehr um ihn gekümmert hättest.“ Kais Blick glühte vor Zorn. „Als würdest du irgendetwas von dem verstehen, was passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“, schrie Ray ihn trotzig an. Sie standen sich gegenüber, mit gespannten Muskeln und schwer atmend als wären sie beide vor kurzen noch sehr schnell gerannt, oder hätten bereits miteinander gekämpft. Ein vor Zorn funkelnder Blick traf einen Anderen. Die Luft zwischen den beiden schien sich verfestigt zu haben. Ein weiterer Funke und sie wären wahrscheinlich wirklich aufeinander losgegangen. Doch Kai senkte den Blick, wandte sich ab und ging. Ray blieb allein zurück und versuchte seine Wut zu zügeln. Er hatte einige Dinge gesagt, die er nicht so gemeint hatte. Naja vielleicht hatte er sie so gemeint, aber es war nicht sehr nett gewesen sie Kai direkt auf die Nase zu binden. Ray seufzte, sein Zorn war fast schon wieder komplett verraucht. Er hatte schon lange keinen solchen Gefühlsausbruch mehr gehabt. Kai hatte …. Ray wusste auch nicht, wie dieser Mann ihn so in Rage hatte bringen können. Ray atmete tief durch. Er würde sich entschuldigen müssen. Zögerlich begab er sich auf die Suche nach seinem Freund, was auch immer von ihrer Freundschaft noch übrig war. Er fand Kai in einem kleinen Salon nur drei Türen von der Küche entfernt. In der Dunkelheit des Raumes hätte er ihn fast übersehen, weil er regungslos neben dem Fenster lehnte und in den Garten hinaus sah. Nur das weiße fahle Mondlicht erhellte den Raum, der mit einem Ottomanen und ein paar kleinen Tischchen schon überdurchschnittlich gut eingerichtet aussah. Ray schloss die Tür hinter sich und machte ein paar Schritte auf Kai zu. Obwohl dieser sich nicht regte wusste Ray dass sein Eintreten doch bemerkt worden war. „Kai, es tut mir leid.“, sagte Ray und versuchte im Halbdunkel eine möglichste zerknirschte Miene aufzusetzen. „Ach wirklich?“ Sarkasmus triefte aus dem Tonfall des Russen und Ray wurde klar, dass es sich besser noch ein wenig Zeit mit der Entschuldigung gelassen hätte. Oder besser gesagt, Kai noch ein wenig Zeit gelassen hätte, damit dieser auch seine eigene überzogene Reaktion einsah. „Das hat eben aber noch ganz anders geklungen.“ „Ich habe vielleicht Dinge gesagt, die …“, begann Ray erneut, in der Hoffnung dass Kai ihm zuhören würde. „Denkst du wirklich es würde mich kümmern, was du gesagt hast? Oder was du jetzt sagst?“, Kais Stimme war kalt und er blickte noch immer irgendwo in den dunklen Garten hinaus. Ray ging noch ein paar Schritte nach vorn und stellte sich neben Kai an das Fenster. Er zwang sich zur Ruhe und kämpfte den neu aufwallenden Zorn in ihm nieder. „Kai kannst du denn nicht sehen, dass es das Beste für uns alle wäre, wenn du einfach einlenken würdest? Dann wären wir in vier Tagen hier wieder weg und du könntest die nächsten zehn Jahre wieder so tun als bräuchtest du niemanden.“ Kai wollte sich schon wieder abwenden und gehen, doch Ray hielt ihn reflexartig am Arm fest. „Du kannst nicht schon wieder einfach gehen, Kai. Wir sollten das jetzt ein für alle Mal klären.“, sagte Ray wütend, weil sich Kai schon wieder aus der Affäre stehlen wollte. Kai wirbelte herum und stieß Ray an die Wand hinter ihnen. Einen Arm hatte er neben Rays Schulter an die Wand gestützt. Drohend lehnte er sich nach vorn. „Na dann sag, was du noch zu sagen hast.“, knurrte er. Und dann war Kai sich auch nicht mehr sicher, was genau passiert war. In einem Moment waren Rays Lippen noch schmal, vor Missbilligung aufeinander gepresst, und im nächsten Moment hatten sie sich auf seinen eigenen befunden. Ray hatte ihn einfach … geküsst … und Kai … hatte es zugelassen. *** Kai drehte sich im Bett und besah sich seine linke Seite. An seiner Taille zeichnete sich ein frischer purpurfarbener Bluterguss ab. Er wusste noch dass er gestern an dieser Stelle einen Zusammenstoß mit der Türklinke seiner Zimmertür gehabt hatte. Doch er hatte den Schmerz kaum gespürt, ihn gedämpft wie durch einen Schleier wahrgenommen. Seine gesamt Wahrnehmung schien gestern Abend so verzehrt gewesen zu sein. Einerseits so getrübt, was die Zusammenstöße mit Möbelstücken betraf, andererseits waren ihm die Berührungen Rays so intensiv vorgekommen, so viel realer als alles andere. Kai wusste nicht mehr wie genau sie hinauf in sein Zimmer gekommen waren, all das war im Nebel des Verlangens versunken. Wenn die ganze Sache weiter so verlief, war Kai sich sicher, würde am Ende der Woche das Leben, das er sich bis jetzt aufgebaut hatte, in Trümmern liegen. Was er getan hatte, hätte der Kai von damals nicht getan. Das hatte Dranzer sicherlich nicht gemeint, als er gesagt hatte: Kai solle sich fallen lassen. Er lag noch immer in seinem Bett und spürte dass Ray von hinten einen Arm um ihn gelegt hatte. Warm und weich spürte er Rays Haut auf seiner. Sie waren beide immer noch nackt. Er bemerkte wie sich Ray sich vorsichtig regte. Scheinbar war der Schwarzhaarige gerade aufgewachte und glaubte dass Kai immer noch schlief. Ray strich sanft über Kais Seite und hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Schulter. Die Berührungen verursachten bei Kai eine Gänsehaut. Er gab kein Zeichen von sich wach zu sein. Er wollte diesen Moment noch ein wenig genießen, ehe er sich wieder der Realität zuwenden musste und vielleicht Dinge tat, die diesen Moment zu einem einmaligen Ereignis machten. Ray lehnte sich ein wenig zurück und zeichnete mit den Fingern, wie abwesend, feine Kreise auf Kais Rücken. Kai nahm ein leises Seufzen des Schwarzhaarigen wahr. Er hörte wie sich Rays Körper im Bett verlagerte und nackte Füße auf den Holzboden gesetzt wurden. Durch die Schlitze seiner Augen sah er, wie Rays nackte Gestalt im angrenzenden Badezimmer verschwand. Die bronzene Haut und das schwarze Haar schimmerten matt im Sonnenlicht. Die Dusche wurde angestellt und Kai setzte sich auf. Er griff nach seinem Handy. Sieben verpasste Anrufe aus dem Büro. Er würde wohl ein paar Tage Urlaub nehmen, bis die ganze Sache vorbei war. Kai schwang sich leise aus dem Bett und ging zum Schrank um sich frische Klamotten anzuziehen. Nachdem er sich vollständig eingekleidet hatte, verließ er ohne ein weiteres Wort das Zimmer. *** „Morgen.“, begrüße Max Kai, als dieser die Küche betrat, bekam aber nur ein unverständliches Gemurmel zur Antwort. Kai ging zu einem der Küchenschränke, holte sich eine Tasse heraus und goss sich etwas von dem frisch aufgebrühten Kaffee hinein. „Sag mal, “ begann Max „hast du noch einmal über das Ritual nachgedacht und ob du …“ „Ich mache mit.“, fiel Kai ihm ins Wort und hatte mit seiner Tasse in der Hand die Küche schon wieder verlassen. Tyson verschluckte sich fast an seinem Stück Toast und sah Max mit großem Augen an. „Hast du gerade dasselbe gehört, wie ich?“, fragte er den neben ihm sitzenden Amerikaner. „Ich denke schon.“, meinte Max verwirrt, ob des plötzlichen Einlenkens von Kais Seite aus. *** Als eine Viertelstunde später Ray die Küche betrat, hatten Max und Tyson ihr Frühstück gerade beendet. „Morgen Ray. Es gibt Toast und Rührei zum Frühstück, wenn du magst.“, begrüßte ihn Tyson. „Morgen.“, begrüßte auch Ray seine Freunde und tat sich die Reste des Frühstücks auf den Teller. „Kai hat dem Ritual zugestimmt.“, informierte Max ihn. „Ich frage mich wer oder was ihn aus seiner Verbohrtheit geholt hat? Was er wohl getrieben hat, dass ihn umgestimmt hat?“, fragte Max in den Raum hinein. Ray verschluckte sich, als er Max Worte hörte und musste husten. Tyson klopfte ihm auf den Rücken. „Ja, ja.“, sagte dieser jovial „ich war auch erst mal völlig baff. Aber ich denke, wenn man über so eine Sache eine Nacht schläft, dann kann das schon Meinungen ändern.“ „Wenn du wüsstest.“, dachte Ray und griff nach seinem Glas Orangensaft. Er hatte auf einmal das dringende Bedürfnis mit Kai zu reden. Er war nervös gewesen, als Kai nicht mehr da gewesen war, als er vom Duschen wieder ins das Schlafzimmer gekommen war. Er fragte sich wo Kai jetzt wohl steckte. Er wollte zu ihm und mit ihm über die Geschehnisse von letzter Nacht sprechen. Doch er rief sich selbst zur Ordnung und blieb sitzen. Ray wusste aus eigener Erfahrung, dass Männer sehr schnell in die entgegengesetzte Richtung davon liefen, wenn sie zu viel Druck gemacht bekamen. So war es schließlich auch bei ihm selbst gewesen. Er hatte in der Vergangenheit einen netten jungen Mann kenngelernt. Zwei, drei Wochen hatte sie sich super verstanden. Bis auf einmal der Tag kam, da der Mann Ray immer seine Liebe gestand. Mit dem Satz „Ich liebe dich.“, hatten die Männer immer auch gedacht Ray Vorschriften machen zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ray meist das Weite gesucht. Oh ja, wie er es hasste in die Ecke gedrängt zu werden. Ray würde bei Kai nicht den gleichen Fehler begehen, den so viele Ex-Freunde bei ihm schon gemacht hatten. „Ob er mit Dranzer gesprochen hat?“ Tysons Stimme riss Ray aus seinen Gedankengängen. „Schon möglich.“, mutmaßte Max. „Wo hast du eigentlich geschlafen?“, fragte er Ray, der sich fast schon wieder verschluckt hätte. Doch ehe Ray sich eine Antwort überlegen konnte, fiel Tyson ihm schon ins Wort. „Wir haben uns ja aus dem Staub gemacht, als ihr euch gestritten habt und haben dann oben fast zwanzig Minuten in alle Räume geschaut bis wir die Gästezimmer gefunden hatten. Man, da ist ein Raum, da steht nur ein alter Lehnsessel drin. Ansonsten ist er komplett leer. Gruselig ist dieses Haus hier schon.“ „Habt ihr euch eigentlich wieder versöhnt?“, fragte Max an Ray gewandt „Oder geht ihr euch das nächste Mal wieder fast an die Gurgel, wenn ihr euch über den Weg lauft. Ich will nur vorbeireitet sein.“ „Ich denke ähmm …,“, sagte Ray und suchte nach Worten, die alles verbargen, aber nicht zu weit von der Wahrheit entfernt waren. „Ich denke ich habe meinen Standpunkt klargemacht.“ Dabei wusste selbst nicht so Recht, was sein Standpunkt zu Kai eigentlich war. Er hatte gestern Abend Dinge getan, die ihm jetzt so unwirklich vorkamen. „Na dann sag, was du noch zu sagen hast.“ , dieser Satz von Kai spukte ihm wieder im Kopf herum. Er hatte alles ausgelöst. Da war plötzlich soviel auf einmal passiert. Er hatte die Nähe von Kais Körper so intensiv wahrgenommen. Die Wärme, die von ihm ausging. Die dunklen Augen die ihn fast fiebrig vor Zorn angestarrt hatten. Kais weiches Haar, das auf seiner Haut gekitzelt hatte, weil sich ihre Gesichter so nahe gekommen waren. Ray hatte seinen eigenen Pulsschlag in seinen Ohren rauschen gehört und plötzlich war ihm klar geworden, dass alle seine bisherigen Liebschaften irgendeine Eigenschaft von Kai gehabt hatten. Seine Augen, seinen Akzent, sein Haar… Ray hatte Kai in diesem Moment einfach küssen müssen. Den Streit hatte er komplett vergessen. Ihm kam es vor als hätte er sich Kai eher wie ein wildes Tier aufgedrängt, wenn er an die darauffolgenden Ereignisse dachte. Doch Kai hatte es zugelassen, ihn sogar mit sich mitgezogen… „RAY! Hallo bist du noch da?“, Tyson schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht und riss ihn unsanft aus seinem Gedanken. „Was?“ Ray hatte gar nicht mitbekommen, dass das Gespräch zwischen Max und Tyson weitergeführt worden war, während er seinen Träumereien nachgehangen hatte. „Ich habe gerade vorgeschlagen, dass wir ins Hotel fahren und unsere Koffer holen. Es wird ja nicht das Problem sein, wenn wir die restliche Zeit hier verbringen. Außerdem sollten wir ja noch das ein oder andere vorbereiten.“, erklärte Max noch einmal den Sachverhalt für Ray. „Gute Idee.“ „Willst du mit? Sonst fahren Tyson und ich allein und bringen deinen Kram mit. Einer sollte ja mindestens hier bleiben im Falle Kai überlegt es sich doch noch anders.“ „Nein, nein. Fahrt ihr ruhig. Ich lasse euch später wieder rein.“ Ray war es nur recht für eine Weile mit Kai allein gelassen zu werden. „Bleibt nur noch die Frage, wie wir an ein Taxi kommen.“, schloss Tyson. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 7: Entscheidungen ------------------------- 7. Entscheidungen Ray durchsuchte das gesamte Erdgeschoss ehe er Kai im Wintergarten fand. Der große Glasbau erstreckte sich über zwei Etage und die alten großen Scheiben brachen das Licht in eigenartiger Weise. Große exotische Pflanzen wucherten in ihren Töpfen. Eine Kletterpflanze hatte fast die gesamte schmiedeeiserne Treppe in den zweiten Stock umwunden. Wild rankten sich ihre Lianen auch an den Scheiben entlang. Ein schwerer süßer Duft hing in der Luft, der von einer rosa blühenden Pflanze stammte, an der Ray vorüber schritt. Alles machte einen ungezähmten und verwilderten Eindruck. Kai saß auf dem Steinboden halb verborgen durch das Gewirr der Pflanzen. Ray sah zu ihm hinüber. Er liebte diesen Mann in einer Weise, die fast schon körperlich weh tat. Wie hatte er das all die Jahre übersehen können? Rays Hände sehnten sich danach wieder über Kais bloßen Rücken und seine Hüften zu gleiten. „Du versteckst dich?“, fragte er und ließ sich neben Kai zu Boden sinken. Der Boden aus grauen Natursteinen war rau und kühl. „Ich denke nach.“, Kai sprach langsam, seine Stimme klang als wäre er mit seinen Gedanken sehr weit weg. „Worüber?“, fragte Ray. Er sah sich neugierig um. Von dieser Position aus hatte man einen wunderbaren Blick in den Garten, der genau wie der Wintergarten einen Eindruck machte, als wäre er schon seit Jahren sich selbst überlassen worden. „Das was passiert ist.“ Ray stockte bei Kais Worten. Er wollte am liebsten nicht weiter fragen, denn er war sich sicher dass Kai mit seiner Aussage die Dinge meinte, die zwischen ihnen beiden geschehen waren. Kai hatte Ray nicht angelächelt, noch nicht einmal angesehen, als er sich zu ihm gesetzt hatte. Das gesamte Verhalten ließ Ray nichts Gutes ahnen. Es versetzte ihm einen Stich ins Herz, er hatte Angst vor dem was Kai gleich sagen würde. „Ich denke es war ein Fehler.“ Ray hätte am liebsten wie ein getretener Hund aufgejault. Er hatte einen Kloß im Hals und seine Finger fühlten sich plötzlich eiskalt an. Er zwang sich einmal tief einzuatmen. „Es tut mir leid Ray. Ich habe keine Ahnung was gestern in mich gefahren ist. Ich …“ Kai schwieg kurz, als suche er nach den richtigen Worten. „Ich …ich denke wir sollten das einfach vergessen.“ Ray wollte soviel erwidern. Kai sagen, dass er nicht so dachte, dass er das Ganze nicht für einen Fehler hielt. Das er diese Nacht auf keinen Fall vergessen wollte. Doch seine Kehle war wie zugeschnürt, er brachte keinen Ton heraus. Kai sah ihn nicht an, als er aufstand und sich langsam von ihm entfernte. „Nein.“ Mehr gehaucht als gesprochen entfuhr dieses Wort Rays Lippen. Kai hörte es nicht mehr, er war schon gegangen. Ray rührte sich nicht von seinem Platz. Er beobachtete, wie die Sonne im Laufe des Tages über den Himmel glitt, die Bäume sich sanft im Wind bewegten und es schließlich dämmerte. Die Zeit verstrich ohne dass Ray es wahrnahm. Der schwere süßliche Duft der blühenden Pflanze benebelte angenehm seine Sinne. Er konnte nichts anderes tun als vor sich hin zu starren und nachzudenken. Er bemerkte kaum wie die Landschaft um ihn herum langsam in Dunkelheit versank, als er endlich einen Entschluss gefasst hatte. Er würde Kai auf keinen Fall so einfach gehen lassen. Ray war sich sicher, dass Kai auch etwas für ihn empfinden musste. Er hatte mit genug Männern geschlafen um unterscheiden zu können ob es sich um bloßen Sex handelte, oder um Sex bei dem Gefühle im Spiel waren. Bei ihm und Kai hatte es sich gestern eindeutig um Letzteres gehandelt. Warum war dieser verbohrte Sturkopf nur nicht in der Lage sich das einzugestehen? Ray kannte die Antwort auf diese Frage nicht. Er wusste nur dass er Kai noch Zeit geben musste und ihm zeigen musste, dass er ihn liebte. *** Max hatte, seit er und Tyson aus dem Hotel zurück gekommen waren, die anderen Zwei nicht mehr gesehen. Ray schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein und Kai hatte sich seiner Meinung nach irgendwo verbarrikadiert um nicht gestört zu werden. Max hatte an diesen Nachmittag beschlossen seine eigenen Vorbereitungen für das Ritual zu treffen. Er hatte von seinem Fenster aus im Garten einen kleinen, von hohen Ulmen umstandenen Teich entdeckt. Von diesem wollte Max sich Wasser für das Ritual besorgen. Es war schon dunkel als er den Garten betrat. Nebelbänke glitten über die dunkle Grasfläche dahin. Der Garten sah sehr verwildert aus. Scheinbar hatte Kai sich nicht die Mühe gemacht einen Gärtner zu beschäftigen. Max ging ein paar Schritte durch das hohe, von der Nacht bereits taufeuchte Gras. Seine dünnen Stoffschuhe waren innerhalb weniger Schritte komplett durchnässt. Der Nebel umwaberte seine Füße. Merkwürdig schwer und dicht lag er in der Luft. Er suchte sich einen Weg zwischen den dunkelgrünen Büschen und alten Bäumen hindurch. Nebel hüllte seine Umgebung ein, er konnte kaum bis zum Haus zurück sehen, so dicht war die dunstige Wand. Die Statue einer Frau mit Kapuze, fast völlig mit Algen und Moos bewachsen stand im Schatten einiger alter Ulmen. Aus einem Krug in ihren Armen ergoss sich klares Wasser in einen tiefschwarzen Teich zu ihren Füßen. Das herunterströmende Wasser glitzerte seltsam im Licht des gerade aufgegangenen Mondes. Wie seit Jahren vergessen lag dieser Ort da. Max zog ein kleines Fläschen aus seiner Hosentasche und ließ das Wasser des Springbrunnens in es hineinlaufen. Es war kristallklar, obwohl der Teich zu seinen Füßen so tiefschwarz und fast tot wirkte. Er hätte auch Leitungswasser für das Ritual nehmen können, doch irgendwie schien ihm das hier besser, echter, zu sein. Er verschloss die volle Flasche wieder und ließ sie zurück in seine Hosentasche gleiten. Für ihn als Wissenschaftler war diese Situation immer noch seltsam bizarr. Doch er hatte sich entschieden, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Max ging zu dem Seiteneingang des Hauses zurück, über den er den Garten betreten hatte. Im Haus war es dunkel und still. Max tastete nach dem Lichtschalter. Die Lichter flammten auf und er schrak heftig zurück, weil Ray direkt vor ihm aus der Dunkelheit auftauchte. „Oh Gott hast du mich erschreckt.“, keucht Max und drückte eine Hand auf sein Herz, das heftig schlug. Ray brauchte scheinbar keine Beleuchtung um sich zu orientieren. „Entschuldige. Ich dachte du wüsstest dass ich da bin. Ich war schließlich direkt vor dir.“ Max schüttelte den Kopf und er musste grinsen. Sein Herzschlag beruhigte sich wieder. „Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“, fragte er Ray. „Oh ich habe nachgedacht… über das was auf mich jetzt zukommt.“ Ray hatte diesmal wieder die Wahrheit gesagt. Aber die Bedeutung, die in seiner Aussage mitschwang war für ihn selbst wohl eine andere, als die Bedeutung, die Max verstand. Ray wurde langsam richtig gut in sowas. „Ja, ich habe auch über das Ritual nachgedacht und Vorbereitungen getroffen.“, sagte Max und zog das wassergefüllte Fläschen aus seiner Hosentasche um es Ray zu zeigen. „Ist es wichtig, wann ich einen Teil meines Elements mir besorge?“, fragte Ray und spähte hinaus in den mondbeschienenen Garten. „Nein. Es ist egal wann und wo du es tust, oder was es für Erde ist. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich habe das Gefühl eine solche Atmosphäre … macht es stärker.“ Ray nickte. Er dachte darüber nach, wo er sein Element her bekommen könnte, während sie gemeinsam durch die Gänge schritten. Vielleicht hätte er ein wenig Heimaterde aus China mitbringen sollen. *** Das Büro seines Anwalts war geräumig. Ein großer hölzerner Schreibtisch mit zwei Sesseln für die Mandanten davor, stand in der Mitte des Raumes. Die hohen holzvertäfelten Wände waren zum Großteil mit Bücherregalen und Aktenschränken verstellt. Ein hohes bodenlanges Fenster gab den Blick auf eine belebte Straße frei. Alles machte einen geschäftsmäßigen aber gemütlichen Eindruck. Kai war nach seinem Gespräch mit Ray mit dem Auto in die Stadt gefahren. Er hatte eine ganze Weile darüber nachgedacht was sein Opfer für das Ritual sein konnte. Er besaß einfach nichts von wirklichem Wert … außer seinem Vermögen. Kai setzte seine Unterschrift auf einen Stapel von Papieren, die ihm sein Anwalt gerade reichte. Kais Anwalt war ein stoischer, gesetzesteuer Mensch, der nie viele Fragen stellte. So war er zwar überrascht von Kais Auftauchen und dessen Bitte gewesen: Kais gesamtes Vermögen, sowie die Immobilien Tala zu überschreiben, hatte sich jedoch ohne Zögern ans Werk gemacht. Kai lächelte vor sich hin. Tala würde sicher aus allen Wolken fallen, wenn er erfuhr, was Kai heute Nachmittag in die Wege geleitet hatte. Doch Kai wusste nicht was er sonst für das Ritual hätte opfern können. Jahrelang hatte er nur für seinen beruflichen Erfolg gelebt. Geld angehäuft, das ihm ein gewisses Maß an Sicherheit verlieh. Doch eigentlich bedeutete es Kai rein gar nichts. Geld konnte wieder verdient werden. So kam es wenigstens einem anständigen Zweck zugute. Kai zog seine Geldbörse aus seiner Hosentasche. Er besah sich den Inhalt und lächelte erneut. Zwei Scheine und etwas Kleingeld befanden sich darin. Wenn er das Büro seines Anwalts verließ würde er sich wohl zum ersten Mal von Tala etwas borgen müssen. Kai steckte seine Geldbörse zurück und ließ seinen Blick aus dem Fenster hinaus auf die Straße schweifen. Menschen eilten in kleinen Gruppen oder allein die Straße entlang. Die Tüte eines vorbeieilenden Mädchens riss und es verteilten sich die Einkäufe über den Fußweg. Hastig sammelte sie ihre Habseligkeiten wieder zusammen. Der Wind ließ das lange schwarze Haar des Mädchens flattern während sie sich nach einem Milchkarton bückte. „Was wird Ray wohl von mir halten, wenn er erfährt, dass ich jetzt nichts mehr besitze?“, dachte Kai, der bei dem Anblick des Mädchens unweigerlich an den Chinesen erinnert wurde. Kai schüttelte den Kopf um die Gedanken an Ray zu vertreiben. Es konnte ihm egal sein, was Ray dachte. Ray war nicht Teil seines Lebens und was zwischen ihnen beiden passiert war würde sich nicht wiederholen. Kai goss sich eine frische Tasse Kaffee ein und sah sich die Unterlagen noch einmal an um seine Gedanken abzulenken. *** Das Haus lag still und dunkel da, als Kai am frühen Abend mit dem Auto aus der Stadt zurückkehrte. Er hatte den ganzen Nachmittag in dem Büro seines Anwalts verbracht um alle Überschreibungen von ihm tätigen lassen. Kai parkte den Wagen auf der Straße und nahm sich das Bündel Papiere vom Rücksitz. Er betrat das Haus so leise wie möglich. Vielleicht gelang es ihm heute Abend den anderen Drein aus dem Weg zu gehen. Kai schaltete das Licht ein und legte den Hausschlüssel mit einem leisen Klirren in eine Kristallschale neben den Eingang. Er lauschte, dann ging er leise den Flur entlang. Kai fluchte gedämpft als er Stimmen hörte, die sich schnell in seine Richtung bewegten. Im nächsten Moment bogen Max und Ray um die Ecke des Flures und standen Kai gegenüber. Einen Augenblick lang sahen sich die drei nur an. Dann durchbrach Max die aufgekommene Stille. „Hey Kai, wie geht’s? Ich habe dich den ganzen Tag nicht gesehen. Wo hast du dich rumgetrieben?“, fragte Max freundlich und betrachte das Bündel Papiere unter Kais Arms neugierig. „Ich war unterwegs.“, beantwortete Kai die Frage um einiges höflicher als er es beabsichtig hatte. Kai sah Max nicht an. Sein Blick haftete auf Ray, der ihn offen ansah. Das spärliche Licht fing sich in den goldgelben Augen und ließ sie funkeln. Ray strich sich abwesend ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und lächelte Kai an. Er lächelte. Kai konnte nicht fassen, dass Ray ihn noch anlächeln konnte, nach allem was er heute Morgen zu ihm gesagt hatte. Ray hätte traurig oder wütend sein sollen, aber ihn keinesfalls anlächeln sollen. Kai hätte fast den Kopf geschüttelt. Er riss sich von Rays Anblick los und drängte sich an den beiden vorbei zur Treppe. Er musste aus Rays Nähe verschwinden. *** „Warte mal!“, Kai war gerade am oberen Treppenabsatz abgekommen, als Ray Stimme ihn sich umwenden ließ. Der Schwarzhaarige war allein. „Was ist denn noch?“, fragte Kai barsch bereute es aber sofort Ray so grob angefahren zu haben. Ray konnte ja nichts dafür, dass er …, Kai schnitt den Gedanken ab. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was Ray für ihn war. „Ich dachte du könntest mir zeigen welches mein Zimmer ist.“, sagte Ray und schloss zu Kai auf. „Was?“, Kai blinzelte überrascht. „Naja, ich hab ja gestern nicht darin übernachtet und ehe ich ewig suche und Max oder Tyson irgendwelche Fragen stellen. Ich denke nicht dass du das möchtest. Da dachte ich …“ „Ja, ja . Komm mit.“, knurrte Kai. Er hatte doch Ray eigentlich aus dem Weg gehen wollen. „Hast du eigentlich noch zu Tala Kontakt?“, fragte Ray in betont beiläufigem Tonfall während sie weiter gingen. „Ab und an.“, murrte Kai, der sich nicht auf Plauderrein mit Ray einlassen wollte. „Was macht denn Tala so beruflich?“, bohrte Ray weiter und Kai warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu. Ihm kam eine solche Frage doch sehr verdächtig vor. „Warum?“ Kai ahnte etwas, soviel wusste Ray, also ging er in die Offensive. „Naja, wenn er zum Beispiel Künstler wäre und sagen wir in den nächsten paar Tagen eine Ausstellung in der Stadt hätte, dann könnten wir doch gemeinsam hingehen. Also wir alle vier.“ Ray konnte sich ein verschlagenes Lächeln nicht verkneifen, als er Kais Stirnrunzeln sah. Kai grollte verärgert. Er fragte sich, wo er die Einladung unvorsichtigerweise hatte liegen lassen, sodass Ray sie gefunden hatte. Kai dachte darüber nach, wie er sich noch aus dieser Situation herauswinden konnte. Sich unwissend stellen schied schon mal aus, da Ray gerade die blaue Einladungskarte aus seiner Hosentasche zog. Kai überlegte Ray einfach anzulügen („Das ist gar nicht meine.“), allerdings erschienen ihm seine Lügen viel zu leicht durchschaubar. Er konnte Ray auch einfach klipp und klar sagen, dass er ihn und die Anderen nicht mitnehmen würde … Kai konnte das nicht. Nicht zu Ray, der ihn hier im Halbdunkel mit leicht schief gelegten Kopf anlächelte. Ein sehr sinnliches Lächeln, wie eine leise Stimme in Kais Kopf feststellte. Hätten nicht Tyson oder Max ihn fragen können? Kai grollte erneut. Wann war er nur so weich geworden? Vor allem da Ray so hinterlistige Tricks bei ihm versuchte. „Ja, meinetwegen.“, murrte er unter schlurfte weiter. Ein lächelnder Ray folgte ihm. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 8: Die Sicht der Dinge ------------------------------ 8. Die Sicht der Dinge Ray wachte am nächsten Morgen schon sehr früh auf. Ein dunkelblauer Himmel mit purpurfarbenen Wolkenfetzen kündigte den Sonnenaufgang an. Er rollte sich in seinem Bett auf den Rücken und versuchte erneut einzuschlafen, aber es gelang ihm nicht. Er öffnete die Augen und starrte zur Decke. Dort oben, wenige Meter von ihm entfernt, lag Kai in dem Bett, das sie sich gestern noch geteilt hatten. Gestern Nacht schien Wochen her zu sein. Ray starrte einige Minuten hinauf. Ihm fiel auf, dass der Stuck an der Decke an einigen Stellen feine Risse aufwies. Er seufzte. Morgen Nacht, kurz nach Null Uhr, wenn der Vollmond im Zenit stand, würden sie das Ritual durchführen. Und dann? Würde Kai sie am nächsten Morgen alle wieder vor die Tür setzen, ihn eingeschlossen? Ray spürte, wie ihm die Zeit davon rannte. Noch zwei Tage. Äußerst kurze Tage. Er hatte sich ja noch nicht einmal richtig auf das Ritual vorbereitet. Ray raufte sich die Haare. Er fuhr sich mit dem Fingern durch die Mähne, nahm sich eine Strähne seines schwarzen Haares und wickelte sie um seinen Zeigefinger. Das Haar glänzte sanft im Licht der Morgensonne, die sich gerade über den Horizont schob. Morgen Abend würde er sich seine geliebten Haare abschneiden. Er hatte lange darüber nachgedacht, was er für das Ritual opfern sollte. Haare konnten wieder wachsen. Aber es bereitete ihm doch Unbehagen daran zu denken. Seine Haare waren ja auch irgendwie ein Teil von ihm. Ray seufzte erneut und stand auf. Er würde auf keinen Fall wieder einschlafen können. *** Der Tag verging ruhig. Jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, so brach der Abend nur zu schnell herein. Ray hatte sich bereits für die Ausstellungseröffnung umgezogen und klopfte leise an Kais Zimmertür. „Herein.“, bat die gedämpfte Stimme des Russen Ray in das Zimmer. Ray lächelte als er das Zimmer betrat. Kai stand vor dem bodenlangen Spiegel und war gerade dabei sich die Krawatte zu binden. Scheinbar mit nur mäßigem Erfolg. Kai warf Ray durch den Spiegel einen griesgrämigen Blick zu, als ob Rays Erscheinen an der Widerspenstigkeit des Stück Stoffs Schuld war. Ray trat an Kai heran und nahm die beiden Enden des Schlipses aus der Hand um sie für ihn zu binden. „Wie machst du das sonst?“, fragte er Kai lächelnd und knotete mit geübten Bewegungen den Stoff ineinander. Ray war froh endlich wieder einen Grund zu haben Kai nahe zu kommen. „Die hängen sonst immer schon fertig gebunden im Schrank. Aber Tala hat mir die Krawatte vor kurzen erst geschenkt, da muss ich sie doch heute mal tragen.“ Ray nickte und zupfte den Schlips ein wenig öfter zu Recht als es eigentlich notwendig gewesen wäre. Die Nähe zu Kai auf diese Weise auszukosten war einfach zu verlockend. Ray sah die Gänsehaut die sich auf Kais Hals ausbreitete, als er ihm den Hemdkragen zurechtrückte und dabei sanft seinen Nacken entlang strich. Er leckte sich nervös über die Lippen. Alles in ihm schrie danach Kai noch näher zu kommen, ihn zu küssen und …. „Ahh Ray, ich dachte mir schon dass du sowas kannst.“ Max stand in einem hellblauen Sakko in der Zimmertür und hielt eine passende Krawatte mit Rautenmuster in die Höhe. Kai zuckte bei Max Erscheinen von Ray weg, als hätten sie etwas Verbotenes getan. Ray seufzte innerlich auf und ging zu Max um auch ihm die Krawatte zu binden. *** Kai hatte während der Autofahrt in die Innenstadt kaum zwei Worte gesagt. Stumm hatte er sie durch das Straßengewirr der Stadt gefahren und Ray, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, immer wieder flüchtige Blicke zugeworfen. Ray hätte sich gefreut, wenn er einen Moment mit Kai allein hätte sprechen können, doch der Russe verschwand sofort im Getümmel der Besucher der Ausstellung, sobald sie die Galerie betreten hatten. Die Galerie schien früher eine Art Lagerhalle oder Industriegebäude gewesen zu sein, deren Wände man weiß getüncht hatte. Ray konnte das Backsteinmuster unter der weißen Farbe noch erkennen. Die Decken waren hoch und von ihnen hingen lange Leuchtstoffröhren hinab, die den Komplex in weißes klares Licht tauchten. Menschen standen in kleinen oder größeren Gruppen zusammen, tranken Wein, unterhielten sich oder betrachteten die Bilder. Die hohen nackten Wänden warfen das Echo ihrer Stimmen zurück, sodass sich das Stimmengewirr noch verstärkte wie sich wie das Summen eines großen Bienenschwarms anhörte. Ray betrachtete die ganze Szenerie eine Weile lang. Er hatte nicht vermutet dass die Ausstellung so groß sein würde. Als er sich von dem Anblick losreißen konnte und sich umsah, merkte er dass auch Max und Tyson sich unter die anderen Besucher gemischt hatten. Ray nahm sich ein Weinglas von einem Tablett, das ein Kellner ihm anbot. Vorsichtig schob er sich durch die Menge und sah sich dabei aufmerksam nach seinen Freunden um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Er ging zu einer freien Fläche vor einigen, an der Wand aufgehängten Gemälden. Er blieb vor einem der Bilder stehen und betrachtete es eine Weile. „Gefällt es ihnen?“, fragte ihn die tiefe melodische Stimme eines Mannes, der sich neben ihn gestellt hatte. „Ja schon, denke ich.“, sagte Ray und lächelte den jungen Mann höflich an. Er musste lauter als gewöhnlich sprechen um seine Stimme über die Geräuschkulisse des Raumes zu erheben. „Das freut mich. Ich habe es gemalt. Mein Name ist Sergej.“ „Ray.“, stellte er sich ebenso vor und schüttelte die Hand, die der andere Mann ihm gereicht hatte. „Du verstehst nicht viel von Kunst, oder?“ Ray schüttelte den Kopf und lächelte entschuldigend. „Nein, wirklich nicht.“, sagte er „Ich bin nur als Begleitung eines Freundes hier.“ Ray betrachtete sein Gegenüber genauer. Sergej war ein großgewachsener junger Mann. Mitte zwanzig, schätzte Ray, der eine wunderbare schokobraune Hautfarbe hatte. Er besaß schwarzes, sehr kurz geschnittenes, krauses Haar und ebenso dunkle Augen, die Ray fröhlich anfunkelten. Sergej strahlte eine freundliche Wärme aus, der man sich nur schwer entziehen konnte. „Hast du meine anderen Bilder schon gesehen?“ Ray verneinte und wurde darauf sogleich durch den Raum geführt. Sergej überschüttete Ray förmlich mit Details zu den Bildern und Ray gab sich Mühe die Gemälde entsprechend zu würdigen. „Hast du ein neues Opfer für deine Ausführungen gefunden, Sergej?“ Kais spöttische Stimme ließ Ray sich von dem Bild abwenden, das sie gerade betrachteten. Sergej bedachte Kai mit einem gespielt beleidigten Blick und grinste dann breit. „Ray, darf ich dir den Finanzier des Ganzen hier vorstellen?“, fragte Sergej an Ray gewandt. „Das ist nicht nötig.“, unterbrach ihn Kai „Wir kennen uns bereits. Wir sind gemeinsam hergekommen.“ „Oh.“ Sergejs Blick huschte verblüfft von Ray zu Kai, als ob ihn die Bekanntschaft zwischen ihnen beiden mehr als überraschte. „Ähm naja, dann habt ihr sicherlich nichts dagegen wenn ich euch allein lasse und mir noch etwas zu trinken hole.“ Sergej hob demonstrativ sein leeres Glas hoch und ließ sie dann allein. „Ich hoffe er hat dich nicht zu sehr in Beschlag genommen. Sergej hört sich selbst gern reden.“, sagte Kai als der Maler außer Hörweite war. „Nein, nein. Es war schon irgendwie … lehrreich.“ Ray musste lachen und merkte dass auch Kai in sein Lachen einstimmte. Er bemerkte wie schön es klang wenn Kai lachte. Einen Moment lang sahen sich beide direkt in die Augen. Das Stimmengewirr um sie herum verschwamm für Ray zu einem Rauschen. Die Nähe zu Kai verwirrte seine Sinne. „Ich liebe dich!“, sagte Ray unvermittelt, ohne dass er wusste, was er da aussprach. Er hatte einfach gesagt, was er in diesem Moment fühlte. Kai, dessen Lächeln zu ihm herunter strahlte, der sanfte Blick in seinen Augen. Es war ein perfekter Augenblick für Ray und er hatte nicht darüber nachgedacht, als er es aussprach. Kais Herz dagegen stolperte in diesem Moment und sein Lächeln gefror zu einer Grimasse, als er diesen kurzen Satz hörte. Mit fast allem hatte er gerechnet nur nicht damit dass Ray ihm in diesem Moment seine Liebe gestand. Was dachte Ray sich eigentlich dabei? Das er, Kai, hier und jetzt „ich liebe dich auch.“ sagen würde? Das war zu viel für ihn. Kai stolperte ein paar Schritte nach hinten, ließ Ray dann wortlos stehen und verschwand in der Menge. „FUCK!“ Rays Lippen formten das Wort ohne es laut auszusprechen. Er starrte zu der Stelle an der Kai soeben im Getümmel verschwunden war. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wie hatte er nur so tollkühn sein können sowas laut auszusprechen? Er hätte sich denken können, dass Kai so reagierte. Wie war das noch gewesen mit: wenn man einen Mann zu sehr bedrängte …? Ray kippte den Inhalt seines Weinglases in einem Zug hinunter und stellte es auf dem Tisch neben sich ab. „Hey Ray.“, begrüßte ihn eine vertraute Stimme. Ray wandte sich widerwillig um, er hatte im Moment eigentlich gar keine Lust sich mit irgendwem zu unterhalten. Vor Ray stand Tala, das feuerrote Haar gekonnt verstrubelt, blickte er ihn mit seinem jungenhaften Grinsen an. „Hey Tala, wie geht’s dir? Ist ja großartig dass du malst. Deine Bilder sind … großartig.“ Ray war sich darüber im Klaren wie hohl sich seine Worte anhören mussten, aber er war einfach nicht in Plauderstimmung. Talas eisblaue Augen blickten Ray durchdringend an und glitten dann zu der Stelle wo Kai in der Menge verschwunden war. „Ob er eins und eins zusammengezählt hat?“, fragte sich Ray. Doch eigentlich war es ihm egal. „Na, wenn dir die Bilder schon gefallen, dann zeige ich dir mal mein Meisterwerk.“, sagte Tala, der Rays trübsinnigen Tonfall einfach überging und ohne eine Erwiderung abzuwarten schlossen sich seine langen dünnen Finger um Rays Handgelenk und zogen ihn hinter sich her. Tala sagte ein paar Worte zu Sergej, als sie an ihm vorbeikamen, und schob Ray dann durch eine Seitentür in einen düsteren Gang, dessen Wände aus Ziegeln in allen Rottönen bestanden. Das Stimmengewirr aus dem Ausstellungsraum erstarb als Tala die Tür hinter ihnen schloss. „Ich stelle das Bild nicht mit aus.“, erklärte Tala und bedeutete Ray ihm den Gang entlang zu folgen. Sie gingen ein paar Schritte, bevor Tala Ray unvermittelt ansprach. „Ich habe auch schon Tyson gesehen. Ich hätte nicht gedacht dass Kai euch mitbringt. Ich wusste ja noch nicht einmal dass ihr in der Stadt seid. Wie kommt es dass ihr beschlossen habt euch mal wieder zu treffen?“ „Ähm…“, Ray zögerte er wusste nicht ob es klug wäre Tala von dem Ritual zu erzählen. Obwohl dieser ja auch die Auswirkungen auf sein eigenes Bitbeast gespürt haben musste. Ray grübelte, wieder einmal auf der Suche nach einer Antwort die nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt war, aber dennoch genug Spielraum ließ und falsch interpretiert werden zu können. Ihm war bewusst, dass sein Zögern eigentlich bereits zu lange dauerte. „Schon gut. Es ist eure Sache.“, sagte Tala milde, doch der Blick aus seinen Augen verriet Ray, dass ihn seine Verschwiegenheit in gewissem Maße beleidigte. „Tyson hat auch so merkwürdig reagiert als ich ihn darauf angesprochen habe, warum sich euer Team nach so vielen Jahren plötzlich wieder sieht. Ich freue mich ja dass ihr da seid. Darf ich dir einen gut gemeinten Rat in Bezug auf Kai geben?“, fragte Tala, während sie gemeinsam weiter durch den Gang schritten. Die Backsteinwände verbreiteten eine feuchte Kühle. „Klar.“, Ray nickte knapp, er war froh das Tala ohne große Umstände das Thema wechselte, auch wenn sich Ray gewünscht hätte nicht gerade über Kai sprechen zu müssen. „Ich weiß nicht, was du vorhin zu Kai gesagt hast. Aber nimm dir seine Reaktion nicht allzu sehr zu Herzen. Kai ist ein riesengroßer Feigling was sein Privatleben angeht. Er benutzt seine Arbeit, um vor seinem Privatleben zu flüchten. Es gibt sogar Situation, da würde er noch nicht einmal zugeben, dass er eines hat.“ Tala lächelte bei seinen Worten, als ob er sich an eine konkrete Situation erinnerte und fuhr dann fort. „Aber er braucht Freunde und hängt auch nach all den Jahren irgendwie an euch. Er fürchtet sich nur in gewisser Weise davor, dass jemand ihm zu viel bedeuten könnte. Er hält das für eine Schwäche. Wenn er das merkt, dann geht er zehn Schritt zurück und richtet eine Mauer um sich herum auf, um niemand zu nahe an sich heran zu lassen. Naja die Freundschaft zwischen mir und ihm mal ausgenommen. Er könnte wirklich einem Stein noch Lektionen über Sturheit erteilen, was das angeht.“ „Ich weiß“, unterbrach Ray Talas Redefluss und lächelte traurig „ das habe ich bereits bemerkt.“ Ray hätte am liebsten offen mit Tala über Kai gesprochen und sich dessen Rat erbeten. Da Tala den Russen scheinbar soviel besser einschätzen konnte als jeder andere. Doch etwas hinderte ihn daran und Ray musste sich eingestehen, dass dieses etwas den schalen Geschmack von Neid auf seiner Zunge hinterließ. Neid über die Nähe, die zwischen dem Rotschopf und Kai scheinbar herrschte und die trotz Kais nach außen hin kühlen Temperaments, doch tief und innig zu sein schien. Das Kais zu Schau gestellte Maske, manchmal sehr wenig mit dem zutun hatte, was in seinem Inneren brodelte, hatte Ray ja schon während der gemeinsamen Nacht gespürt. Dennoch der Geschmack auf seiner Zunge hielt ihn davon ab, mehr zu sagen. Tala sah ihn mit einem merkwürdig forschenden Blick an, der Ray zu röntgen schien, während sie den restlichen Weg bis zu einer Metalltür zurück legten. Er öffnete die Tür und sie betraten einen hohen Raum, in dem mehrere Leinwände, einige mit Tüchern bedeckt, andere unverhüllt, an den Wänden lehnten. Ein leichter Geruch nach Firnis lag in der Luft. „Ist das dein Atelier?“, fragte Ray und sah sich neugierig um. Jede Art von Ablenkung kam ihm gelegen. „Nein.“, Tala schüttelte den Kopf und schritt zu einem großen düsteren Gemälde, das aufrecht an einer Wand lehnte. „Mein Atelier ist im Westen der Stadt, auf der anderen Seite des Flusses. Da sind die Mieten billiger.“ „Das ist es.“, sagte Tala und Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er vor einem Gemälde inne hielt. Ray betrachtete das Bild vor dem sie standen und bereute sofort mit Tala mitgekommen zu sein. Er war von Regen in die Traufe gelangt. Blutrote Augen starrten ihm aus einem schneeweißen Gesicht von der Leinwand aus entgegen. Die Gesichtszüge von Kais Porträt waren seltsam in die Länge verzerrt. Der gemalte Kai lümmelte lasziv und halbnackt in einem Sessel. Ein Bild das Rays Meinung nach, mehr ins Schlafzimmer als über den Kaminsims im Salon gehörte. „Ich bin sprachlos.“, hauchte Ray und Tala neben ihm lächelte, scheinbar zufrieden mit seiner Reaktion. Das leise Quietschen der Metalltür ließ Tala und Ray ihre Blicke von dem Gemälde abwenden. Kai und Sergej betraten nacheinander den Raum. Ray seufzte leicht. Heute war wirklich nicht sein Glückstag. Kais Gegenwart verfolgte ihn wie ein Poltergeist und das Aufblitzen von Unsicherheit in diesen roten Augen erinnerte Ray wieder daran, dass er sich noch nicht einmal vor einer halben Stunde wie ein kompletter Idiot benommen hatte. Er konnte einfach nicht in Kais Nähe bleiben, nicht jetzt, nicht nachdem er sich wie ein Volltrottel verhalten hatte. Ray ging ohne ein weiteres Wort zur Tür und vermied es dabei in Kais Richtung zu schauen. Er wusste genau, dass er es war, der sich diesmal feige aus der Situation davon stahl, aber es war einfach zu viel für ihn. Sergej zwinkerte Tala noch einmal zu und folgte dann Ray in den Gang hinaus. *** Als die Tür hinter Ray und Sergej ins Schloss gefallen war, verschwand das Lächeln von Talas Gesicht und machte einem wütenden Ausdruck Platz. Er ging zu Kai, packte ihn grob am Arm und zog ihn zu sich. „Und jetzt sagst du mir bitte, was mit dir los ist.“, forderte Tala seinen Freund auf. Seine Augen waren wie blaues Eis, durch das das Sonnenlicht fiel: kalt, klar, unnahbar. „Was meinst du?“, fragte Kai und wusste nicht auf welche Tatsache Tala genau anspielte. „Ich habe heute einen Anruf von einem Anwalt bekommen. Er hat mir mitgeteilt dass ein größerer Geldbetrag auf meinem Konto eingehen soll und dass er das noch eine Unterschrift von mir braucht. Kannst du dir vorstellen wie groß die Summe war und von wem sie kommt?“, Talas Stimme klang bedrohlich, als er diese Frage stellte. Kai lächelt seinem Freund entschuldigend zu. Er war ein wenig erleichtert, dass Ray nicht mit Tala darüber gesprochen zu haben schien, was zwischen ihnen beiden passiert war. „Ich denke, ich bin dir wohl eine Erklärung schuldig.“, setzte Kai an doch Tala unterbrach ihn barsch. „Oh ja, das bist du! Falls du irgendwelche Probleme mit dem Finanzamt hast oder in zwielichtige Geschäfte verwickelt bist, fände ich es nett wenn du mich vorher fragen würden ob du dein Geld bei mir verstecken darfst.“ Kai lachte bei Talas Unterstellung leise auf und die blauen Augen seines Freundes wurden noch eine Spur kälter. „Nein, nein du verstehst das ganz falsch.“, sagte Kai und hob die Hände vor die Brust, als ob Tala ihn mit einer Waffe bedroht hätte. „Das Geld ist ein Geschenk.“ „Was?“ Tala entgleisten die Gesichtszüge. „Aber da ist doch … aber“, stammelte er ohne recht zu wissen was er eigentlich sagen wollte „Wieso?“ „Ich habe dir ja schon gesagt: Ich bin dir eine Erklärung schuldig.“, sagte Kai und begann Tala eine Kurzfassung der Geschichte zu erzählen, die Max ihm vor zwei Tagen in seinem Wohnzimmer erzählt hatte. Kai kam es wie eine Ewigkeit vor, seit seine Teamkameraden bei ihm aufgetaucht waren. Tala hörte Kai schweigend und mit gerunzelter Stirn zu. „Deshalb sind die also hier. Und ich kann nicht an dem Ritual teilnehmen?“, fragte Tala nachdenklich und tippte sich mit dem Finger an die Lippen. „Ich weiß nicht. Max hat gemeint, dass es nicht notwendig ist. Eigentlich solltest du nicht einmal von dem Ritual wissen.“ Tala nickte langsam und zog eine silberne Taschenuhr aus seiner Hosentasche. Sie war einmal ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Tala klappte sie auf und betrachtete die Uhr. Auf der Innenseite des Deckels war das Wort Freundschaft eingraviert. Neben der Gravur war ein Bitchip an der Innenseite des Uhrdeckels befestigt. Tala strich über den Chip. „Und danach wird alles wieder wie früher sein?“, fragte er abwesend. „Wir wissen nicht genau was passieren wird. Aber wenn alles gut geht, denke ich … ja.“ *** Ray seufzte, als er und Sergej in den Ausstellungsraum zurück gekehrt waren. Seine Gedanken kreisten um Kai. Ray verfluchte sich selbst. Er hatte es versaut, schlichtweg versaut. Vielleicht konnte er jetzt einfach nach Hause fahren und sich in sein Bett legen, um morgen früh festzustellen, dass der heutige Abend nur ein böser Traum gewesen war. Oder besser noch: Wie der Kerl in dem Film über den Murmeltiertag, den ganzen Tag einfach noch einmal von vorn beginnen und alles richtig machen. *** Weit nach Mitternacht verließen Kai, Max, Ray und Tyson zusammen die Ausstellung. Kai fuhr sie in seinem Wagen durch das Netz der Seiten- und Nebenstraßen Moskaus zurück zur Villa. Dunkle Häuserfassaden zogen an ihnen vorüber. Kai warf einen Blick in den Rückspiegel, während er den Wagen durch die von der Nacht leer gefegten Straßen lenkte. Nur ein paar versprengte Gestalten waren jetzt noch unterwegs. Kais Blick fiel auf Ray, der zusammen mit Max auf der Rückbank saß, und den Kopf an Max Schulter gelehnt, die Rückfahrt zu verschlafen schien. Kai hatte Ray den restlichen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen. Nicht das es ihn gestört hatte, er hätte nicht gewusst wie er sich Ray gegenüber verhalten sollte. Einerseits zog es ihn zu Ray hin, andererseits machte ihm dieses Bedürfnis nach Nähe auch Angst, die ihn unwillkürlich Abstand halten ließ. „Was mache ich nur mit dir?“, dachte Kai reumütig während er Ray beobachtete und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 9: Rituale ------------------ 9. Rituale Nebelschwaden heißen Wasserdampfes hingen in der Luft und ließen einen schwerer atmen. Ein Gefühl wie nach einem Regenguss in den Tropen, nur dass die Luft hier im Badezimmer nicht erdig und klar sonder angenehm nach Seife duftete. Ray stand frisch geduscht mit noch nassem Haar vor dem Spiegel. Er wischte die kondensierten Wassertropfen mit der Hand von dem beschlagenen Glas um sich selbst besser sehen zu können. Sorgsam kämmte er sein Haar bevor er zu der Schere griff, die auf dem Rand des Waschbeckens lag. Kalt lag der Stahl in seiner Hand, merkwürdig fremdartig fühlte er sich an. Ray lachte kurz nervös auf. Er hatte doch tatsächlich Angst davor sich die Haare abzuschneiden. Er atmete einmal tief durch um die Nervosität abzuschütteln. Dann nahm er die erste Strähne zwischen die Fingen und setzte die Schere an. Es dauerte keine zwanzig Minuten und Ray hatte sein Werk vollendet. Er legte die abgeschnittenen Haare zu einem Zopf und fasste sie mit einem weißen Band zusammen. Danach wischte er erneut den beschlagenen Spiegel ab und betrachtete sein Werk. Sein Haar endete jetzt auf Schulterhöhe, ein Bild das er nur von frühen Kinderfotos kannte. Nur damals hatte er noch kurze Haare gehabt. Zumindest erkannte er sich noch wieder. Ray nahm die Schere und das Bündel abgeschnittener Haare und verließ das Badezimmer. *** „Die Schale wäre ideal. Denkst du Kai leiht die uns für heute Nacht?“, fragte Max Tyson und tippte gegen eine ausladende flache Silberschale unter dem Arm. „Ich denke nicht, dass er etwas dagegen haben sollte.“ Max und Tyson hatten nach dem Abendessen das Haus nach Kerzen und weiterem Zubehör für das Ritual durchforstet. Sie waren dabei auch auf eine flache Silberschale gestoßen, die ihnen mehr als geeignet schien, um sie als Opferschale zu benutzen. „Wir sollten ihn dennoch besser fragen, nicht dass die Schale heute Nacht irgendwie beschädigt wird und dann stellt sich heraus, dass sie ein unbezahlbares Familienerbstück war.“, überlegte Max laut, während er und Tyson gemeinsam die Treppe in den ersten Stock hinaus stiegen. „Du willst wirklich dein Familienschwert opfern?“ „Ja, ich meine Stahl lässt sich doch neu schmieden, oder? Ich kann das neue Schwert ja dann weitervererben und Dragoon kann erst einmal in seinen alten Bitchip zurückkehren.“, sagte Tyson und klopfte sich mit der flachen Hand auf seine Hosentasche, in der er den Chip aufbewahrte. Beide bogen um eine Ecke des Flures und verlangsamten ihre Schritte. Auf halben Weg den Gang entlang standen Ray und Kai, in eine Unterhaltung vertieft zusammen. Ray hatte scheinbar soeben erst seine Haare abgeschnitten, denn sein schwarzes Haar reichte ihm nur noch bis zu den Schultern und er hielt die Reste seines langen Haares, zu einem Zopf zusammen gebunden, in der Hand. Irgendetwas sagte Max, dass sie beide jetzt besser nicht in Kais und Rays Unterhaltung hineinstolperten. Max hielt Tyson reflexartig am Arm zurück und legte sich den Finger auf die Lippen um seinen Freund zu bedeuten, dass er sich still verhalten sollte. Ray und Kai schienen so fixiert aufeinander, dass sie nichts von ihrer Umgebung mitbekamen. Max schob Tyson dennoch ein Stück tiefer in den Schatten einer nicht funktionierenden Wandlampe. „Du hast sie schon abgeschnitten.“, stellte Kai gerade fest und fuhr Ray fast liebevoll mit den Fingern durch das kurze Haar. „Ich wollte das nicht auf den letzten Drücker machen. Ich will nachher noch packen.“ Rays Worte waren leise, aber dennoch deutlich zu verstehen. „Packen?“ Kais Hand zuckte zurück und er trat einen Schritt nach hinten. Max kam es vor, als hatte dieser letzte Satz von Ray Kai zutiefst erschreckt. „Ich habe meinen Rückflug nach Shanghai für morgen Abend gebucht.“ „Morgen Abend schon.“, flüsterte Kai und Max musste sich anstrengen um seine Worte überhaupt zu verstehen. „Ich dachte es wäre klar, dass ich wieder fliege.“ Ray fixierte Kai auf eine Weise, als würde er jede noch so kleine Reaktion seines Gegenübers genau beobachten. „Ich dachte du bleibst noch eine Weile.“ „Willst du denn dass ich bleibe? Schließlich hast du gesagt, dass ich vergessen soll was geschehen ist. Auch wenn du weißt, dass ich nicht auf dich hören werde.“ Max wurde auf einmal peinlich bewusst, dass er und Tyson hier wahrscheinlich eine sehr private Unterhaltung belauschten. Er sah den Flur hinunter, sich im Klaren, das sie beide besser gehen sollten. Allerdings siegte seine Neugier und ließ ihn weiterhin lauschen. Ray war näher an Kai heran getreten, der schweigend mit sich selbst zu ringen schien. Momente vergingen. Der Abstand zwischen Kai und Ray schien dahin zu schmelzen, obwohl ich keiner von beiden zu bewegen schien. „Ja, bitte bleib.“, sagte Kai dann in einem Ton, den Max noch nie von ihm gehört hatte. So sanft und brüchig, Max blinzelte überrascht. Kai beugte sich zu Ray hinüber, zögerte, und küsste ihn dann. Tyson keuchte vor Überraschung auf, auch er hatte dem ganzen Gespräche gebannt gelauscht. Max legte seinem Freund eine Hand auf den Arm um ihn daran zu erinnern, dass er sich lieber still verhielt. Max verlagerte unangenehm berührt sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er zupfte an Tyson und gab ihm ein Zeichen, dass es besser war, wenn sie sich jetzt leise davon stahlen. Ehe sie doch noch entdeckt wurden. *** Es war kurz nach Mitternacht. Der Himmel war klar und der Vollmond strahlte bleich und weiß zu ihnen herab. Kai, Max, Tyson und Ray hatten sich kreisförmig um die flache Silberschale im Garten aufgestellt. Max las die Anweisung von der Pergamentrolle vor, die Draciel ihm gegeben hatte, ab. „Zuerst kommt das Blut, dann die jeweiligen Gegenstände, die wir opfern, dann der Teil des Elements von jedem von uns.“, erklärte er. Dann legte Max die Pergamentrolle ab und nahm einen schmalen Dolch, mit dem er sich in die Handfläche schnitt. Dicke Tropfen dunkelroten Blutes flossen in die Schale … *** Sie standen zitternd im Regen und sahen einander an. Windböen peitschten den Regen voran, der ihre Kleidung durchnässte. Ein Feuer loderte noch in der flachen Metallschale, die zwischen ihnen stand. Der Boden vibrierte immer noch leicht. Sie hatten es vollbracht. Ray fühlte sich völlig erschöpft. Der schmale Schnitt in seiner Handfläche blutete noch immer. Das Blut vermischte sich mit dem Regen und tropfte in einem hellroten Rinnsal zu Boden. Doch sie hatten es geschafft. Er konnte Drigger wieder spüren. Der weiße Tiger schien gleich außerhalb seines Sichtfeldes zu lauern. Kraftvoll und voller Elan, wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Ray schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die Regentropfen glitten über sein Gesicht. Er war sich seltsam der Anwesenheit seiner Freunde bewusst. Ray war sich sicher, dass man ihn ein paar Mal mit verbundenen Augen im Kreis hätte drehen können, und er hätte immer noch mit dem Finger auf genau die Stellen deuten können, wo sie standen. Es war eine groteske Art von Verbindung, die das Ritual zwischen ihnen geschaffen hatte. Ray öffnete die Augen wieder und sah zu seinen Freunden. Regentropfen liefen in seine Augen und ließen sie brennen. Sein kurz geschnittenes Haar klebte ihm am Kopf. Nach dem Ende des Rituals hatten dunkle Wolken innerhalb weniger Minuten den sternenklaren Himmel verdunkelt und Regen war auf sie herab gerauscht. Der Regen hatte die aufgestellten Kerzen gelöscht. Nur die flackernden Flammen in der Schale erhellten noch die Dunkelheit. Ray wandte sich zu Kai um. Er lächelte ihn erleichtert an. Ray wollte gerade etwas über das Rauschen des Regens hinweg sagen, als er aus dem Augenwinkel sah wie Max zusammen brach. Ray konnte gerade noch einen erstickten Laut hervorbringen, bevor auch ihm schwarz vor Augen wurde. Seine Knie gaben nach, die Dunkelheit umfing ihn vollends. *** Der Morgen brach grau und trist über Moskau herein. Menschen, die zur Arbeit wollten, strömten in die noch verschlafene Stadt. Sie sprangen über die Pfützen, die der nächtliche Regen hinterlassen hatte und wurden dann sofort wieder eins mit der grauen Masse aus dahineilenden Leibern. Der Geruch nach Benzin und frisch aufgebrühtem Kaffee erfüllte die Luft. Ein Morgen wie jeder andere, der in dem langsamen Takt begann, in dem das Herz dieser Stadt schlug. Ray regte sich mühsam. Er fühlte sich als wäre ihm jeder einzelne Knochen in seinem Körper letzte Nacht gebrochen worden. Der Regen hatte den Boden durchweicht und Ray spürte, wie eiskalter Schlamm seine Hände bedeckte als er sich langsam hochstemmte. Seine kalten Muskeln protestierten bei jeder Bewegung. Ray öffnete die Augen und betrachtete den Morgenhimmel, dessen Grau in ein blasses Blau überging. Er konnte nicht fassen wie lange er bewusstlos gewesen war – sein Blick glitt über seine Freunde, die auch alle bewusstlos da lagen – wie lange sie alle bewusstlos gewesen waren. Er setzte sich schwerfällig auf und Ray zitterte leicht als der kühle Morgenwind ihn streifte. Er hörte ein Stöhnen neben sich und sah wie Tyson sich langsam aufrichtet. „Alles okay?“, fragte Tyson ihn mit brüchiger Stimme. „Ich denke schon.“ Ray bewegte vorsichtig seine Finger und Zehen und nickte dann. Rays Blick fiel auf die flache silberne Schale zwischen ihnen. Das Feuer war erloschen und die Schale war komplett leer. Wie frisch poliert glänzte das Silber im Licht der aufgehenden Sonne. Alles das, was sie letzte Nacht geopfert hatten, war restlos verschwunden. Selbst von Tysons Familienschwert fehlte jede Spur. Tyson kroch zu Max hinüber, der rechts von ihm im durchnässten Gras lag. Er griff nach dem Handgelenk seines Freundes und fühlte dessen Puls. „Ich denke, er wird wieder. Zumindest ist er nur bewusstlos.“ Tyson schleppte sich weiter zu Kai und fühlte auch dessen Puls. Ray konnte nicht anders als seinem Freund bei dessen Bemühungen zuzusehen. Es hatte ihn alle Kraftreserven gekostet sich überhaupt aufzusetzen. Ray hätte heulen können, er fühlte sich so hilflos nichts für Kai tun zu können, aber selbst zum Weinen war er im Moment nicht im Stande. „Kai ist auch in Ordnung.“, sagte Tyson und ließ sich sichtlich erschöpft zurück ins feuchte Gras sinken. „Was ist überhaupt passiert?“ „Ich weiß es nicht.“ Max Stimme klang schwach, doch auch der blonde Amerikaner setzte sich auf. Sekunden später regte sich auch Kai. Sein sonst so sorgfältig zerzaustes Haar klebte ihm feucht am Kopf. Er war noch blasser als sonst und zitterte leicht. Die Sonne, die gleisend hell wie geschmolzene Bronze durch das Geäst der Bäume fiel, erwärmte die Luft nur wenig. „Wir sollten hinein gehen.“, sagte Max und erhob sich mit erschreckender Langsamkeit. Er schwankte wie ein junger Baum im Wind, als er endlich stand, doch er hielt mühsam sein Gleichgewicht ohne sich irgendwo festzuhalten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie alle ins Haus gelangt waren und die klamme Feuchtigkeit der Nacht durch eine heiße Dusche vertrieben hatten. *** Kai zog sich einen frischen Pullover an und betrachtete kurz seine bandagierte Hand. Das er ein paar Tropfen seines Blutes und sein Vermögen für das Ritual geopfert hatte kam ihm jetzt lachhaft wenig vor, er hatte soviel mehr gewonnen. Das Haus kam ihm auf einmal nicht mehr viel zu groß und viel zu leer vor. Ein Gefühl das sicher nicht nur daraus resultierte, dass die Anspannung des Rituals von ihm abgefallen war, die sich über die letzten Tage immer stärker in ihm aufgebaut hatte, oder von der warmen Dusche, die die letzten Reste der nächtlichen Kälte von ihm abgewaschen hatte. Es war viel mehr der Eindruck, dass er jetzt nicht mehr allein und abgeschnitten von allen anderen war. Da war Dranzer, dessen Wärme durch den Ring hindurch in seinen Körper zu strömen schien. Eine Flut von Glück und Zuneigung, die jeden Moment seines wachen Daseins durch seine Adern rauschte und ihn in fast schon ausgelassene Stimmung versetzte. Kai lachte leise auf. Er und ausgelassen, ein Paradoxon erster Klasse. Doch da war noch mehr, es waren die anderen. Er spürte sie, als hätten sie einen Teil von sich selbst für immer an ihn gebunden. Er war sich ihrer Gegenwart bewusst, als würden sie in diesem Moment vor ihm stehen. Und da war Ray, … der ihn liebte. Nur daran zu denken, dass Ray so für ihn fühlte ließ ihm schon einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Ray gehörte ihm. Die Vorstellung, dass sie beide wohl jetzt ein Paar waren, ließ Kai wieder lächeln. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so aufgedreht gefühlt hatte. http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/audiobooks/30/ Kapitel 10: Ein Blick nach vorn ------------------------------- 10. Ein Blick nach vorn Kai hatte sich die kommende Woche mit Ray ursprünglich anders vorgestellt. Er hatte die restliche Zeit, die ihm mit Ray blieb, bevor dieser endgültig zurück nach China flog, eigentlich mit ihm auf bestimmte Weise im Bett verbringen wollen. Kai hatte auch einen Großteil der Woche in seinem Bett verbracht, allerdings ohne, dass zwischen ihm und Ray mehr als nur ein paar Zärtlichkeiten ausgetauscht worden waren. Eine heftige Erkältung hatte der romantischen Woche mit Ray einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kai hatte mit Fieber das Bett hüten müssen. Rays Konstitution hatte die Nacht in der Kälte weniger geschadet. Er verbrachte die Woche damit, Kai mit amüsierter Beharrlichkeit davon zu überzeugen, dass dieser sich schonen sollte. Das Tala einen Tag nach Max und Tysons Abreise, die die Tatsache, dass Ray noch ein paar Tage blieb, überraschend gelassen und mit einem merkwürdigen Lächeln auf den Lippen zur Kenntnis genommen hatten, vor der Tür stand, machte die Sache für Ray nicht einfacher. Kai schien überzeugt davon zu sein, dass ja mehr Leute von seinem schlechten Befinden wussten, desto eher musste er den Eindruck vermitteln, dass er sich bester Gesundheit erfreute. Die letzte Nacht von Rays Russlandaufenthalt brach an, ehe sich Kai der so schnell vergehenden Zeit bewusst wurde. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich wieder annähernd gesund genug um die verpassten Zweisamkeiten mit Ray nachzuholen. *** Kai wachte langsam auf. Wie automatisch glitt seine Hand auf die andere Seite des Bettes hinüber, auf der Ray eigentlich liegen sollte. Doch da war niemand. Es schien als setzte Kais Herzschlag für einen Moment aus. Kai schlug jäh die Augen auf und setzte sich auf. Sein Blick glitt zu Ray, der völlig in seine Decke eingewickelt am Fenster stand und in den Garten hinaus sah. Kai hätte am liebsten erleichter aufgeatmet. Es war seltsam, wie sehr er sich an Rays Anwesenheit gewöhnt hatte, wie sehr er sich vor dessen Weggang fürchtete. Ray drehte sich um und lächelte als er sah, dass Kai wach war. Kai schlug, wie beiläufig seine Bettdecke zurück. Er war nackt und sah Ray provokant an. Der jedoch schüttelte immer noch lächelnd den Kopf. Es war mehr als offensichtlich, dass Kai versuchte ihn zurück ins Bett zu locken. „Ach komm schon.“ knurrte Kai in gespielt gekränktem Tonfall, als Ray keine Anstalten machte seiner Aufforderung nachzukommen. Er schwang sich aus dem Bett und ging zu Ray hinüber. Ray hielt die Decke fest um sich geschlossen und sah ihm zu. „Dann wickele ich dich eben selbst aus und wir machen da weiter, wo wir gestern Abend aufgehört haben.“, sagte Kai und das lüsterne Grollen in seiner Stimme ließ Ray einen Schauer über den Rücken laufen. Kais Finger schoben sich unter die Decke um sie Ray aus der Hand zu nehmen und er ließ sie zu Boden gleiten. Ein enttäuschter Ausdruck machte sich auf Kais Gesicht breit, als er sah dass Ray bereits komplett angezogen war. Er hätte ihn sich eindeutig genauso nackt gewünscht, wie er selbst auch war. „Tut mir leid.“, sagte Ray und konnte ein Kichern nicht unterdrücken als er Kais enttäuschten Gesichtsausdruck sah. „Ich muss spätestens in einer halben Stunde zum Flughafen.“ Ray lehnte sich nach vor und küsste Kai einen langen Moment. Kai knurrte leise, als sich Ray wieder von ihm löste. Seine Küsse waren weich genug um darin zu versinken. Ray kicherte erneut. „Ich werde dich vermissen.“ Rays Kichern verwandelte sich in ein trauriges Lächeln und strich liebevoll über Kais Wange. *** 1 ½ Jahre später… Ray saß vor seinem Laptop am Tisch in der Küche und überprüfte die, für die nächsten Tage anstehende, Termine. Eine abessinische Katze schlief gleich neben dem Computer, mit auf den Kopf gelegten Pfoten, auf dem Tisch. Gelegentlich zuckte eine Tatze des Tieres im Schlaf, als ob sie von einer Jagd träumte. Ray lächelte jedes Mal, wenn er es bemerkte. Nach einem hellen Signalton blinkte eine Benachrichtigung über eine neue Email am unteren Bildschirmrand auf. Ray speicherte seinen Terminkalender und schloss die Datei. Er sah in sein Emailpostfach. Max hatte geschrieben. Ray lächelte, als er das Foto öffnete, das Max an die Email angehängt hatte. Er verbrachte den restlichen Nachmittag im Internet. Der Himmel vor dem Fenster verdüsterte sich und die Dämmerung brach herein. Die Katze, die neben Rays Laptop geschlafen hatte, erwachte plötzlich und spitzte die Ohren. Offenbar hatte sie ein Geräusch wahrgenommen, das Ray entgangen war. Ray lauschte aufmerksam, konnte aber bis auf das rhythmische Surren seines Laptops keine anderen Geräusche hören. Die Katze erhob sich, streckte sich genüsslich und sprang dann vom Tisch um in den dunklen Flur zu huschen. *** Der Schlüssel wurde geräuschvoll im Schloss der Haustür gedreht und nur einen Moment später wurde die Tür aufgestoßen. Kai trat ein, streifte die Kapuze seines Anoraks von seinem Kopf und hängte ihn an einen Haken neben die Tür. Eine abessinische Katze mit giftgrünen Augen kam elegant den Flur entlang getänzelt um ihn zu begrüßen. Kai lächelte und streichelte das Tier ein paar Mal bevor er es hoch hob, und mit ihr auf dem Arm den Flur entlang in die Küche schritt. „Du kommst spät.“, sagte Ray und streckte sich. „Ich weiß. Entschuldige.“, sagte Kai und setzte die Katze auf dem Küchentisch ab und ging um den Tisch herum zu Ray. Er umschlang von hinten Rays Nacken und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Max hat uns ein Foto von seinem Sohn geschickt.“ Kais Blick fiel auf das Bild, das auf Rays Laptopbildschirm geöffnet war. „Das ist er also?“, fragte er und sah sich das Bild genauer an. Es zeigte einen übernächtigt aussehenden Max mit zerknittertem Hemd, der freudestrahlend in die Kamera lächelte und dabei stolz ein Baby hoch hielt. Die großen hellblauen Augen, mit denen es erstaunt zu seinen Vater hinauf starrte, standen in deutlichem Gegensatz zum rostroten Haarflaum, der bereits seinen kleinen Kopf bedeckte. „Niedlich.“, sagte Kai in einem Tonfall, der jedem Nachrichtensprecher, der eine Massenkarambolage auf der Autobahn kommentierte, alle Ehre gemacht hätte. „Er heißt Tom, nach seinem Großvater.“, erklärte Ray ungefragt „und er wird in einem Monat getauft. Max hat uns eingeladen und ich habe uns bereits Flüge gebucht. Tyson ist übrigens Taufpate.“ „Du hast uns Flüge gebucht? Müssen wir denn da hin? Waren wir nichts erst Weihnachten da?“ „Tja, du hättest mich ja noch daran hindern können, wenn du früher Zuhause gewesen wärst. Ich fliege auf jeden Fall.“, sagte Ray in gespielt beleidigtem Tonfall, doch er lächelte Kai liebevoll an. Kai knurrte aber Ray wusste dass er gewonnen hatte und Kai mit ihm in die USA fliegen würde. *** „Kommt noch ein Stück weiter nach vorne.“, forderte Max seine drei ehemaligen Teamkameraden auf und winkte sie zu sich heran, während er auf das Display der Digitalkamera schaute. „Ja, und jetzt noch ein Stück weiter nach links.“ Die drei Angesprochen rutschten alle ein Stückchen in die angegebene Richtung. „Max, was machst du denn da? Das soll doch nur ein ganz normales Foto von uns werden.“, knurrte Kai, der sich nur zu einem Gruppenfoto bereit erklärt hatte, weil Max etwas von „ganz kurz“ gesagt hatte und nun benahm sich Max wie ein Profifotograph und dirigierte sie quer über die Wiese, auf der Suche nach der perfekten Einstellung. „Ja ja, ich bin sofort fertig.“, sagte Max und stellte den Selbstauslöser auf 15 Sekunden ein. „Denk daran, dass du diesmal lächelst.“, flüsterte Ray Kai ins Ohr und schmiegte sich an seine Schulter, als Max gerade den Auslöser drückte und zu ihnen lief. Der blonde Amerikaner stellte sich zwischen Kai und Tyson. „Cheese!“, sagte Tyson mit einem breiten Grinsen. Und dann schoss die Kamera das Foto. - Ende – Das wars. Ich hoffe die Geschichte hat euch gefallen. Vielen Dank an alle, die immer mal wieder ein Kommentar hinterlassen haben. Es hilft mir immer sehr, wenn ich weiß in wie weit meine Geschichte die Erwartungen von euch erfüllt, oder auch nicht. ^^ Auch einen lieben Dank an die, die die Geschichte in ihre Favoriten aufgenommen haben oder sich einfach nur mal die Zeit genommen haben die Geschichte zu lesen, bzw. zu hören. Ich hoffe wir sehen uns auch bei kommenden Projekten wieder. Grüße eure whitePhobia Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)