Der blaue Stern von _Delacroix_ (Türchen Nr. 8) ================================================================================ Der blaue Stern --------------- Er strahlte nur für ihn, oder zumindest kam es ihm so vor, als er, den Kopf in den Nacken gelegt, in den Nachthimmel hinauf starrte. Die dunklen Wolken hatten sich aufgelöst und waren einem Sternenhimmel gewichen, der seines gleichen suchte. Vielleicht lag es an den fehlenden Lichtern in den Ruinen der Stadt, vielleicht war es auch der Charme der Wüste, der seine ganz eigene Magie entsandte oder vielleicht war er auch einfach übermüdet und bildete sich Sachen ein. Kouen wusste es nicht. Er wusste nur, dass es Jahre her war, seit er zuletzt so helle Sterne gesehen hatte. Ein kleiner, neugieriger Teil in ihm wäre am liebsten wieder zurück ins Zelt gerannt und hätte Koumei geschüttelt, bis er aufgewacht wäre und sich mit ihm die Sterne angesehen hätte. Aber er wusste, das konnte er ihm nicht antun. Schon die Nacht im Zelt stellte seinen Bruder vor eine Herausforderung. Eine, die durch die Strapazen des letzten Tages genauso wenig leichter wurde, wie durch Kouhas seliges Schnarchen. Es war das einzige Geräusch das in dieser Nacht zu hören war, aber es war laut, penetrant und hatte ihn erfolgreich daran gehindert, ebenfalls ins Land der Träume einzutauchen. Unter anderen Umständen hätte er Kouha einfach aufgeweckt, aber der Tag hatte sie alle an ihre Grenzen gebracht und Kouha hatte sich seinen Schlaf genauso hart erarbeitet wie Koumei und er. Nachdenklich blickte er wieder hinauf, suchte mit den Augen einen besonders hellen Punkt am Firmament und kramte in seinem Kopf nach einem Namen dazu. „'Suhail Hadar' ist hell heute Nacht“, durchbrach es die Stille und obwohl die Stimme leise war, war sie klar und warm wie eine Tasse grünen Tees. „Suhail Hadar?“, wiederholte er, halb in der Erwartung einen schlaftrunkenen Wachposten aufgeschreckt zu haben, der noch nicht ganz wusste, mit wem er da eigentlich sprach. Eine Hand schob sich an ihm vorbei und zeigte in den Himmel hinauf. „Die 'Sterne des Wassers' scheinen nicht auf Kou, nicht wahr? Aber wenn Ihr genau hinseht, dann könnt Ihr das Schiff erkennen, das dort oben segelt. Ich habe es über die Jahre oft gesehen, aber es hat mir nie verraten, wohin es eigentlich will.“ Kouen blickte nach oben und zwang sich die Sterne in Bildern zu sehen. Er war nicht sehr gut darin, aber langsam, ganz langsam, formten sie sich vor seinen Augen. Er sah den „Himmelswolf“, der glühte als hätte Jemand ein Feuer in ihm entfacht, „Pfeil und Bogen“, die wie ein böses Omen über ihm thronten und er sah ihn, den strahlend weiß-blauen Stern. „Suhail Hadar“, wiederholte er noch einmal, während er versuchte das Schiff um den Stern herum zu erkennen. Er glaubte Achtern auszumachen und etwas, was man hier potentiell als Segel sah. Ob es richtig war, er hatte keine Ahnung, aber vielleicht konnte sein Bruder es ihm sagen, wenn er irgendwann aus seinem komatösen Schlaf erwachte. „Eventuell hat das Schiff es auf die 'Tore des Palastes' abgesehen“, mutmaßte er spontan und als eine Antwort ausblieb, hob er seinerseits die Hand in Richtung Himmelszelt, um dem Anderen das schwach leuchtende Dreieck zu zeigen, das mit einigen anderen Sternen die Tore bildete, die er sich gerade als Ziel ausgeguckt hatte. „Vielleicht flieht es auch vor ihnen“, erklang es jetzt näher an seinem Ohr. Leiser und gleichzeitig so warm wie die Mittagssonne. Es lag Schalk in diesen Worten und vielleicht eine kleine Spur von Hoffnung, die sich in ihm festsetzte, als müsste sie die nächtliche Frische irgendwie vertreiben. Langsam drehte er sich um, gerade noch rechtzeitig um aus den Augenwinkeln ein amüsiertes Schulterzucken wahrzunehmen und zu registrieren, dass er keiner dreisten Wache aufgesessen war. High King Sinbad blickte in die Sterne hinauf, als erzählten sie ihm eine besonders spannende Geschichte. Er musste den Turban irgendwann abgelegt haben und auch seinen Schmuck, denn gerade hätte er ihn auch für einen Seemann halten können. Sinbad, Matrose auf dem himmlischen Schiff. Leuchtendster Stern am Himmelszelt. Was für ein Blödsinn. Dennoch, wie er da im Licht der Sterne stand, schien er zu glühen. Ein bisschen wie 'Suhail Hadar' und ein bisschen als wäre er nicht von dieser Welt. Es war ihm schon früher am Tag aufgefallen, aber auch da hatte er nicht den Finger darauf legen können, was genau an diesem Mann so ungewöhnlich war. Vielleicht war es das Glühen, das ihn auch bei dem Stern anzog. Vielleicht war es sein Auftreten. Er konnte es nicht sagen aber wenn er ganz ehrlich war, wollte er es auch nicht. Nicht jetzt; nicht hier. Nicht wo Magnostadt gerade erst einer Katastrophe entkommen war und seine Knochen immer noch vom Kampf schmerzten. Nicht wo er gerade so etwas wie Ruhe zu empfinden begann und der Frieden kaum mehr als ein dünnes Seidentuch zwischen ihnen war. Und dennoch ... „Wir müssen miteinander reden.“ Stille. Dann endlich nach Sekunden des Wartens, ein Nicken. „Das müssen wir wirklich.“ Es war nur ein Satz, aber er rollte über ihn hinweg wie ein Sandsturm und hinterließ ein seltsames Glühen in ihm, das einfach nicht mehr vergehen wollte. „Bald?“ „Bald.“   ★ ★ ★ ★ ★   Als er das Zelt betrat, spürte er seine Augen auf sich, noch bevor er ihn richtig zu Gesicht bekommen hatte. Es wäre nicht Koumei gewesen, hätte er seinen Ausflug nicht doch irgendwie bemerkt. Kouha schnarchte in seiner Ecke, sein Bruder starrte und er – Er fühlte sich erschöpfter denn je. „Mein Bruder und König?“ Die vertraute Anrede verklang zwischen eilig aufgebauten Kissen und Decken, aber da war kein Glühen, dass ihn wie ein wärmender Mantel umfing, nur die alte Vertrautheit, die immer dann präsent war, wenn er seine Geschwister um sich hatte. „Was ist passiert?“, fragte Koumei gähnend, während er sich schwerfällig von seinem Lager erhob um dann mit nackten Füßen zu ihm herüber zu tapsen. „Hast du Fieber?“ Eine Hand wurde ihm ins Gesicht gedrückt. „Du glühst.“ Glühte er wirklich? Nein. Sinbad hatte geglüht, da draußen unter den Sternen und die Sterne hatten geglüht, aber er, er glühte nicht. Er konnte gar nicht glühen. Nicht in einer Nacht wie dieser und nicht nach den vergangenen Ereignissen. Vorsichtig pflückte er die fremde Hand aus seinem Gesicht. „Weißt du, ich habe da draußen einen Stern gesehen.“ Koumei starrte ihn an. „Weißt du, ich glaube du solltest morgen mal nach deinem Leibarzt sehen.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)