Walk on the Edge von Yamato_ (Erste deutschsprachige Taito in Romanlänge) ================================================================================ Kapitel 3: Ookami no Uta ------------------------ Disclaimer: Die Didschis und Erabareta Kodomo gehören nicht mir, sondern Bandai und Toei Animation. Ich leihe sie mir nur aus, und gebe sie (hoffentlich unbeschädigt) wieder zurück. Dies ist eine Fanfiction und ich mache keinen Profit damit. Autor: Yamato Spoiler: Dieser Teil spielt während der Folgen 23-26, Yama und Jou müssen im Restaurant schuften, und endlich wird sich Yama so langsam seiner Gefühle bewußt. Aber Tai ist doch tot, oder? Archive: Ähnlich wie für Amicus Draconis, hab’ ich jetzt auch für WOTE einen kleinen Schrein in meinem LJ angelegt. ( http://yamato--ishida.livejournal.com/72604.html ) Dort gibt es die Story mit Bildern, Hintergrundmaterial und kleinen Spoilern für noch nicht gepostete Folgen * * * Ookami no Uta (Wolfslied) Uta wa ii, ne? Ein Lied ist immer gut, nicht? - PicoDevimon zu Yamato - Ich sag’s ja immer wieder, Jou ist doch echt 'ne Lusche! Außerdem ein DEUS, das ist kein Gott, sondern steht für Dickkopf, Eigenbrötler und Unverbesserlicher Schwarzseher. Tagtäglich labert er mich voll, daß wir in diesem Mac Donalds Verschnitt herumhängen werden, bis wir alt und grau sind. "Immer positiv denken," sag' ich dazu, "Mit etwas Glück und deiner Kocherei krepieren wir vorher am Rinderwahn." Wie wir hier gelandet sind, ist schnell erzählt. Jou und Gomamon haben sich vollgefuttert und konnten nicht bezahlen, weil die Trottel nur Dollars als Währung akzeptieren und wir uns unsere Yen sonstwohin schieben sollen. Wenn die wüßten, wie der Dollarkurs steht, würden sie weniger große Töne spucken, soviel ist sicher. "Du weißt doch überhaupt nicht, wie der Dollarkurs jetzt steht, "sagt Jou dazu, "schließlich ist es Monate her, daß wir in der realen Welt waren." Auch wieder wahr. Jedenfalls mußte Jou jetzt in der Küche schuften und ich konnte ihn ja wohl kaum seinem Schicksal überlassen. An Flucht war nicht zu denken, da diese Gegend nur so von Didschis aller Arten wimmelte, die sich die Bäuche vollschlagen wollten, und die Bosse von diesem Restaurant waren richtige Sklaventreiber. "Jedes Mal, wenn ich einen Fehler mache, brummen sie mir noch ein paar Tage mehr auf und ich werde so nervös, daß ich gleich wieder etwas falsch mache," jammerte Jou, "es ist eine richtige Sysiphos Arbeit." "Was für'n Fuß?" Jou redete mal wieder wie frisch aus dem Lexikon, aber er kam nicht dazu, mir zu erklären, was er meinte, denn die Küchentür flog mit einem Schwung auf und nahm gleich ein paar mit vollen Gläsern bestückte Tabletts mit, die daneben auf der Anrichte standen. "Paß gefälligst auf, Tolpatsch, das macht zwei Tage extra für jedes Glas! Jetzt räum' die Sauerei weg! Und beeil' dich, die Gäste wollen ihre Getränke!" Veggiemon! Level: Champignon! Gruppe: ätzendes Digimon! Typus: BSE-Virus! Attacke: Salmonellen! Man nehme etwas verrottetes Gemüse, reichlich Tentakel, rühre das Ganze kräftig um, und garniere es zum Abschluß mit einer Prise Pickel! Vegiemon ist jedenfalls der beste Beweis dafür, daß nicht einmal Digimon vor dem Rinderwahn sicher sein können, denn das bißchen Brain, was es noch hat, fault munter vor sich hin. Es ist der Geschäftsführer dieser Bruchbude und läßt uns und unseren Didschis keine ruhige Minute. So wie's aussieht, hat sich unser Frondienst gerade um volle zwei Wochen verlängert. Verdammt unfair, aber was will man machen? "Yamato-kun." Jou's Stimme klang sehr verlegen. "Ich find' es ja wirklich anständig, daß du mir hilfst, aber willst du nicht doch lieber erst deinen kleinen Bruder holen? Ich halte hier die Stellung, bis ihr wieder zurück seid!" Ich umklammerte den Topf, den ich gerade in den Händen hielt fester. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte ich Angst, ich würde ihn fallenlassen. "Es ist schon in Ordnung, mach' dir keine Sorgen." "Es ist keineswegs in Ordnung. Du solltest Takeru nicht so lange allein lassen, du solltest..." Mit einem lauten Rumms haute ich das Teil zurück auf den Herd. "Halt endlich deine blöde Fresse, okay?" "Tut... tut mir leid", stammelte Jou, "ich wollte nicht..." Er brach ab. Es war nicht fair, ich hätte ihn nicht anschnauzen sollen. Schließlich kann er ja nichts dafür, daß diese Viecher ihn zu Müsli verarbeiten, falls ich weggehe. Ich weiß nicht, was für ein Problem sie damit haben, daß ich Takeru hole, aber ich denke, es hängt damit zusammen, daß sie sich vor Angemon fürchten. Oder vielleicht ist es ihnen einfach zu gefährlich, wenn wir zu dritt oder genaugenommen sogar zu sechst sind. Takeru war nicht wirklich in Gefahr, in den Gegenden, die wir durchquert hatten, gab es abgesehen von den unvermeidlichen aber harmlosen Numemon, keine bösen Digimon. Das änderte nichts daran, daß ich mir höllische Sorgen machte. Er würde auf der anderen Seite des Sees auf mich warten und glauben, daß sein großer Bruder ihn im Stich gelassen hätte. Wenigstens war er nicht die Fänge dieser Widerlinge geraten. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es für ihn wäre, den ganzen Tag hier zu schuften, bei dem Gedanken allein wurde mir übel. Er könnte die schweren Töpfe gar nicht tragen, ohne sie fallenzulassen. "Was soll der Krach! Gibt es ein Problem, Veggiemon?" "Nein, Chef, alles bestens, Chef!" DigiTamamon! Level: Ultraboss von diesem Scheißschuppen! Gruppe: Ekelpacket! Typus: Kotzbroken! Attacke: Kinderüberraschung! Man nehme Spannung, schimmlige Schokolade und was zum Spielen und stecke das Ganze in ein faules Ei. Todsicheres Rezept. Ich hab' versucht, ihn zu überreden, wenigstens Jou gehen zu lassen. "Kommt nicht in Frage," lautete die Antwort in eisigem Tonfall. "Vier Hände sind besser als zwei." "Krieg's bloß nicht in den falschen Hals," sagte ich später zu Jou, der mich immer noch fassungslos anstarrte. "Ich hab's bloß gemacht, weil ich ohne dich schneller mit der Arbeit fertig bin." "Ich krieg's nicht in den falschen Hals, ich weiß warum du das getan hast." Jou's Stimme übertönte kaum das Klappern der Teller, die er gerade spülte. "Sag' mal," versuchte er das Thema zu wechseln, um die peinliche Situation zu überspielen, "woher hast du eigentlich so gut kochen gelernt." " Hab ich mir selbst beigebracht." Tolle Frage. Du würdest auch kochen lernen, wenn dir die Fertiggerichte zum Hals raushängen. Stell dir vor, ich kann sogar meine Hemden selber bügeln. Bin ich nicht reif und erwachsen? Wir redeten eigentlich nicht viel miteinander, wenn wir arbeiteten, außer dem üblichen Kram. Was sollte ich mit Jou auch groß reden? Wir sind beide keine sehr gesprächigen Typen und wenn Jou den Mund aufmacht, dann meistens nur, um wegen irgendeinem Blödsinn zu jammern. Wir haben wirklich überhaupt nix gemeinsam. Abgesehen davon, daß ich auch ein Dickkopf bin. Und ein Eigenbrötler. Und ein unverbesserlicher Schwarzseher. Einmal fragte ich ihn, ob er Mimi noch getroffen hatte. Er verneinte. Dann ließen wir das Thema, ich merkte, daß es ihm unangenehm war. Einmal fragte er mich, was meiner Meinung nach mit Taichi passiert wäre. "Ich glaube nicht, daß du das wirklich hören möchtest," gab ich ihm zur Antwort und er nickte. "Dann denkst du also dasselbe, wie ich." Ich wollte nicht reden, über Taichi am allerwenigsten. Es hatte mir so gelangt, daß Takeru die ganze Zeit über ihn babbeln mußte. Taichi dies, Taichi das, Taichi hätte das so gemacht, mit Taichi wäre das nicht passiert. Manchmal hatte ich ganz stark das Gefühl, er wolle mich irgendwie provozieren, und mich eifersüchtig machen. Aber ich ließ mich nicht provozieren, zumindest versuchte ich nicht auf seine Sticheleien zu reagieren. Vielleicht bin ich mal eifersüchtig auf Taichi gewesen, das war einmal. Was hatte er nun davon, daß mein kleiner Bruder auch in seinen Fanclub eingetreten war? Doch überhaupt nichts, da wo er jetzt war, würde er garantiert ganz andere Sorgen haben. Aber manchmal bin ich doch ausgerastet und hab' Takeru angeschnauzt. Geflennt hab' ich allerdings nur, wenn ich ganz sicher sein konnte, daß er auch schlief. Ich wollte nicht, daß er denkt, daß sein großer Bruder eine Heulsuse ist. Jedesmal wenn die Gedanken an Taichi zurückkommen, nehme ich einen großen, unsichtbaren Schöpflöffel und schöpfe sie aus meinem Bewußtsein, wie die Miso Suppe, die ich tagtäglich koche, aus ihrem Topf. Wieder und immer wieder. An manchen Tagen ist das einfach, wir werden eh' so herumgescheucht, daß ich überhaupt nicht zum Nachdenken komme. An anderen ist es schwierig. Aber am allerschlimmsten sind die Nächte. Obwohl ich eigentlich todmüde bin, kann ich nie sofort einschlafen, und dann fang' ich an zu grübeln. Darüber, wie es den anderen geht, was mein Brüderchen so treibt und ob wir jemals wieder hier wegkommen werden. Ich weiß, daß Jou auch grübelt. Einmal hörte ich ihn sogar weinen, aber ich hab' ihn nicht darauf angesprochen, weil es ihm sicher unangenehm wäre. Außerdem hätte ich gar nicht gewußt, was ich hätte sagen sollen. Wir schliefen in einem Schuppen hinter dem Restaurant, der natürlich abgesperrt war. Unsere Didschis durften nicht bei uns sein, irgendwie schien es so, als versuchte die Hamburgerbrigade uns immer mit Absicht voneinander zu trennen. Tagsüber schickten sie Gomamon und Gabumon meistens nach draußen, Gomamon sollte Fische fangen und Gabumon Gemüse ernten. Diesen hinterhältigen Wichsern war vollkommen klar, daß unsere Didschis ohne uns niemals einen Fluchtversuch unternehmen würden. Da es in dem Schuppen stickig war, hätten wir viel lieber draußen übernachtet, aber Fehlanzeige. Was das Pennen angeht, sind wir ja nun schon einiges gewohnt, seit wir in der Digiwelt sind. Wenn es sogar Mimi inzwischen nichts mehr ausmacht, auf dem Boden zu schlafen. Jou seufzte und mir wurde klar, daß ich besser nichts von Mimi gesagt hätte. "Tut mir leid," murmelte ich leise mit dem Gesicht zur Wand. "Muß dir nicht leidtun." Jou starrte zur niedrigen Holzdecke hoch. "Eigentlich will ich ja darüber reden, aber ich habe Angst, dir damit auf die Nerven zu gehen." "Red' doch keinen Quatsch!" Ich drehte mich zu ihm um. "Natürlich hör' ich dir zu, wenn du labern willst. Ich hab' nur gedacht, es ist dir unangenehm, über Mimi zu reden. Ich weiß ja daß sie dir nicht gerade... na ja, wie soll man das sagen... egal ist." "Sag's doch gleich," entgegnete er trotzig, "du glaubst, daß ich in sie verliebt bin." "Ich glaub‘ am besten gar nichts, weil ich von solchen Dingen nicht die geringste Ahnung hab'. Aber ich halt' nix vom Verlieben, weil es doch immer schiefläuft." "Und wie willst du das wissen, wenn du noch nie verliebt warst?" Und das sagt ausgerechnet unser Pessimist vom Dienst! So eine megabekloppte Frage! Weil ich seh‘ wie’s bei anderen Leuten zugeht, natürlich! Aber das sagte ich ihm nicht, weil er sonst vielleicht nachgehakt hätte. Das allerletzte worüber ich reden wollte, war die Sache mit meinen Eltern. Das ging niemanden etwas an und ich hab' auch noch nie mit jemandem darüber geredet. Nur einmal beinahe mit Taichi. An unserem ersten Abend in der Digiwelt. Ich hab' angefangen über meine Familie zu reden, und bin mittendrin weggerannt. Weil mir plötzlich klar geworden ist, was ich da tue. Daß ich mich kein bißchen cool verhalte, sondern wie ein Weichei. Zum Glück hat Taichi mich nie wieder darauf angesprochen. Das hätte ich nicht ertragen können. Taichi.... Ich glaub' ich sollte meinen Schöpflöffel wieder auspacken. Als Antwort auf Jou's Frage zuckte ich nur mit den Schultern. "Weiß nicht! Kann ich nicht beurteilen! Ich bin ein einsamer Wolf und deshalb verlieb' ich mich nicht." Davon, daß Takeru und ich vor vier Jahren sogar einen feierlichen Schwur abgelegt haben, daß wir uns nie verlieben werden, sagte ich ihm lieber auch nichts. Das hätte er sicher nicht abgecheckt, echt nicht. Er hat ja keine Ahnung. "Einsame Wölfe gibt's nicht," erklärte Jou bestimmt. "Das ist nur ein blödes Klischee!" "Als ob du eine Ahnung von Wölfen hättest, Jou!" Will der Kerl mein gesamtes Weltbild durcheinander bringen? Jou hatte Ahnung von Wölfen. Wahrscheinlich war er froh, daß wir endlich ein Gesprächsthema gefunden hatten, denn die nächsten Tage redete er über nichts anderes mehr. Er muß mindestens zwanzig schlaue Bücher über die Viecher gelesen haben. "Canis Lupus" zitierte er wichtigtuerisch, als er getrockneten Seetang in Streifen schnitt. Ich fand, das klingt eher nach einem von diesen italienischen Fertiggerichten als nach einem Wolf. "Fleischfressendes Säugetier aus der Ordnung der Raubtiere.“ Du wirst es nicht glauben, du Schlaumeier, das wußte ich! “Wölfe haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten, und gehören mit zu den geselligsten Tierarten der Erde. Sie leben und jagen in Rudeln und ziehen gemeinschaftlich ihre Jungen groß.“ Das wußte ich nicht. Ich dachte immer, sie würden meistens alleine leben, sonst würd‘ man ja nicht einsamer Wolf dazu sagen. “Was zum Teufel ist ein Sozialverhalten?“ wollte ich wissen. Wir formten Bällchen aus gekochtem Reis und umwickelten sie mit den Seetangstreifen. Jou’s Bällchen wurden wie immer hoffnungslos krumm und schief. Wenn Jou nichts auswendig Gelerntes runterleiern kann, muß er erst einmal scharf nachdenken. Er zog die Stirn in Falten, wahrscheinlich suchte er in den verschnörkelten Winkeln seines mit Schulkram vollgestopften Brains nach irgendeiner Definition, die ihm weiterhelfen konnte. “Na ja...“ kam die etwas zögerliche Antwort, “sie tun Dinge, die für die Gruppe gut sind. Sie wechseln sich beim Jagen ab, sie kümmern sich um die Jungen, auch wenn es nicht ihre eigenen sind und sie pflegen sich gegenseitig das Fell.“ Das Fell? Das ist ja schlimmer, als Mädchen, die sich gegenseitig kämmen! “Aber das machen sie doch nur, damit es sauber bleibt, oder?“ “Nein, eher weil... weil...“ stotterte Jou herum. Er kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn ein tentakelstrotzendes BSE-Didschi hatte was dagegen. Es kam brüllend durch die Tür gestapft und blaffte uns an, daß wir bei der Arbeit nicht einschlafen sollten. Eins zu null für uns, denn wir schafften es rechtzeitig, alles Klump in Reichweite festzuhalten und nichts ging zu Bruch. Wir waren inzwischen runter auf anderthalb Tage, so gut waren wir noch nie. Ich überlegte, ob ich Jou bitten sollte, besonders vorsichtig zu sein, aber das würde ihn sicher nur nervös machen. Wenn wir Glück hatten, war dies unser vorletzter Tag hier. "Das Verbreitungsgebiet des Wolfes erstreckt sich über das gesamte Nordamerika, Teile Europas und das gemäßigte bis arktische Asien bis hin zu Grönland.“ Jou mußte jetzt abspülen, und ratterte seine Weisheiten im dazu passenden Rhythmus runter. Wenn er sich ranhält, kann er später mal Rapper werden. "Grönland?“ fragte ich zweifelnd. “Die Viecher müssen sich ja den Arsch abfrieren!" "Nein, wieso? Sie haben erstens ein dickes Fell, zweitens sind sie viel in Bewegung und wenn sie ruhen, dann wärmen sie sich gegenseitig." Sie kuscheln? Wölfe kuscheln? Und ich dachte immer Kuscheln ist das unwölfischte, was man sich nur vorstellen kann! Das darf doch alles nicht wahr sein. Bisher waren Wölfe immer mein Inbegriff der Coolness! Und jetzt muß ich sowas erfahren, das ist wirklich eine Gemeinheit! Vielleicht sollte ich jetzt nicht mehr der einsame Wolf sein, sondern was anderes. Der einsame Bär vielleicht, oder Tiger, oh Gott, klingt das alles bescheuert. Eigentlich möchte ich viel lieber ein Wolf bleiben. Na ja, wenn es wegen der Kälte ist, ist Kuscheln, glaub' ich, okay. Und es war doch immer nur wegen der Kälte. Auf Whamon's Rücken oder damals auf der Schneeinsel. Taichi hat gefroren, nur deswegen hat er mich in den Arm genommen. Und ich hab‘ einfach so getan, als ob ich schon schlafe. Er wird mich nie wieder in den Arm nehmen. Er hat zu mir gesagt, daß er mich cool findet und ich, ich Trottel hab‘ ihm nie eine Antwort darauf gegeben. Ich mußte ja unbedingt beleidigte Leberwurst spielen, jetzt werd‘ ich nie erfahren, was er von mir wollte. Und er wird nie wissen, daß... In dieser Nacht helfen keine Schöpflöffel und keine anderen Spielchen, es tut einfach nur weh und ich kann nichts dagegen machen. Ich hab‘ Jou den Rücken zugedreht, damit er nicht sieht, daß ich heule, es wäre zu peinlich. Wenn doch nur mein Didschi hier wäre! “Wenn ich morgen nichts falsch mache, müssen sie uns gehen lassen,“ sagt Jou leise in die Dunkelheit. “Vielleicht sind wir morgen abend schon frei, und können Takeru und die anderen suchen gehen.“ Er dreht sich zu mir um und legt eine Hand auf meine Schulter. Ich versuche, sie abzuschütteln und bin kurz davor, ihn anzuschnauzen, aber ich tu’s nicht. Er hat das nicht verdient, er will mir nur helfen. “Bitte nicht, okay?“ Er kann ganz sicher hören, daß ich flenne, meine Stimme klingt nicht normal, aber es ist mir in diesem Moment auch vollkommen gleichgültig. “Ich weiß, du meinst es gut, aber bitte faß‘ mich nicht an. Ich kann das nicht haben.“ “Entschuldige bitte.“ Er zieht seine Hand zurück. “Ein sehr guter Freund von mir ist unglücklich, und ich hab‘ keine Ahnung, was man in einem solchen Fall tut. Manchmal bin ich einfach ein schrecklicher Tolpatsch.“ “Was den Tolpatsch angeht, kann ich dir wohl kaum widersprechen.“ Meine Stimme klingt ruhiger, auch wenn ich mich eigentlich nicht besser fühle. “Aber was den sehr guten Freund angeht, auch nicht.“ Ich weiß, daß er sich jetzt geschmeichelt fühlt, aber dazu gibt es überhaupt keinen Grund, denn er ist wirklich mein Freund. Dafür brauchen wir auch keine blöden Schwüre und Superkickersprüche. Wenn die echten Wölfe Freunde haben, dann darf ich das auch. Und wenn sie nicht allein sind, muß ich es auch nicht sein. “Morgen werd‘ ich dir helfen, Takeru-kun zu finden,“ Jou’s Stimme klang zuversichtlich. “Und wir suchen Mimi,“ setzte ich den Satz fort. “Sorry, das ich neulich gesagt hab‘, sie wär‘ ‘ne Zicke, hab’s nicht so gemeint.“ “Tut mir leid wegen der Ohrfeige. Und – ja, du hattest recht, ich bin in sie verliebt.“ Das braucht ihm überhaupt nicht leidzutun, ehrlich gesagt, fand‘ ich die Aktion sogar ziemlich mutig. Schließlich hätt‘ ich Kleinholz aus dem Kerl machen können, wenn ich gewollt hätte, und das wußte er auch. Aber es war ihm egal, weil es um Mimi ging. In dem Moment hab` ich zum erstenmal gemerkt, daß Jou vielleicht doch nicht so eine Lusche ist. Aber das sagte ich ihm nicht, sonst wäre unser Gespräch eine einzige Beweihräucherungssession geworden. “Sag‘ mal, woher weißt du das eigentlich?“ Es gab da etwas, das mich schon eine ganze Weile interessierte. “Daß du in sie verliebt bist, mein‘ ich! Woran erkennt man sowas?“ “Das kann man nicht richtig erklären.“ Jou hatte wieder seinen ‘Hilfe, das hab‘ ich nicht in der Schule gelernt‘ Blick drauf. “Ich glaub‘ man muß es einfach merken.“ So eine intelligente Antwort aber auch! “WIE merkt man das denn, das will ich doch wissen?“ “Na ja..“ Jou zuckte mit den Schultern. “Man möchte am liebsten die ganze Zeit mit der betreffenden Person zusammen sein.“ Tolle Definition. Ich bin auch gerne mit Takeru, Jou oder meinem Vater zusammen. Und mit meinem Didschi. “Man kann doch nicht gleich in jeden verliebt sein, mit dem man gern zusammen ist.“ “Nein, das allein ist es auch nicht.“ Der arme Jou wurde immer hilfloser. “Man möchte mit ihr zusammensein, aber man traut sich nicht, mit ihr zu reden. Man hat so einen Kloß im Hals wie ein großer Reiskuchen, und kriegt kein Wort mehr raus. Und wenn sie einen anschaut, dann kribbelt es im Bauch. Wie kleine Käfer.“ “Igitt, das ist ja widerlich“. Ich stellte mir einen Haufen Tentomon in Miniaturgröße vor, die in Jou’s Bauch munter auf- und abflatterten. Das war ja noch schlimmer wie in einem Horrorfilm. Hoffentlich passiert mir sowas nicht. “Überhaupt nicht wahr,“ protestierte Jou. “Es ist ein sehr schönes Gefühl. Es wird ganz warm innendrin, als ob im Herzen die Sonne scheint ... ach, ich hab‘ dir doch gesagt, man kann es nicht erklären.“ Ich raffte immer noch nicht so ganz ab, was er meinte, aber das mit der Sonne hörte sich richtig kawaii an. Nein, nicht kawaii, das ist eins von diesen kitschigen Mädchenwörtern. Aber besser als die Käfer auf alle Fälle. “Wenn man in jemanden verliebt ist,“ fragte ich vorsichtig, “will man ihm dann in den Haaren rumwuscheln?“ “Woher weißt du das?“ rief Jou überrascht. “Natürlich, die ganze Zeit! Mimi-chan hat wunderschöne Haare, sie sind wie eine Wolke und sie leuchten, wenn die Sonne darauf scheint. Und sie hat richtige Sternchenaugen. Die glitzern, wenn sie sich freut. Und wenn sie lacht, dann kriegt sie diese Grübchen in den Wangen.“ “Aber,“ fügte er hinzu, ich würd‘ mich das nie trauen, so einfach ihre Haare anzufassen.“ Ich überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, was ich gesehen hatte und entschied mich, daß es nichts schaden konnte: “Damals, an dem Abend, als Sora verschwunden ist, haben du und Mimi am Feuer geschlafen und du hattest den Arm um sie gelegt.“ “Wirklich.“ Er versuchte angestrengt, sich zu erinnern. “Davon weiß ich gar nichts. Aber dann hat sie sicher schon geschlafen, sonst hätte sie mich weggeschubst. Sie hätte das bestimmt nicht gemocht.“ “Aber das kannst du doch überhaupt nicht wissen,“ protestierte ich. Etwas leiser fügte ich hinzu: “Außerdem könnte es doch genausogut sein, daß sie nur so getan hat, als ob sie schläft, weil sie es doch mochte und es nur nicht zugeben wollte.“ “Aber das ist doch Unsinn, Yamato, niemand würde so etwas tun.“ Damit hatte Jou sicher recht. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde so etwas tun. Ich beschloß ihm lieber nichts von der Schneeinsel zu erzählen. “Hast du ihr das eigentlich schon mal gesagt? Das mit ihren Haaren und den Sternchenaugen und so. “Nein, das würd‘ ich mich nie trauen.“ Jou zog erschrocken die Luft hoch. “Sie würde mich doch auslachen.“ Zuerst gab ich ihm keine Antwort, denn ich wußte wirklich nicht, ob Mimi das tun würde. Ich kann sie schwer einschätzen, sie kann manchmal echt nett sein und dann wieder total zickig. Ehrlich gesagt check‘ ich sie einfach nicht. Jou kennt sie sicher besser, er hat sich ja auch mehr mit ihr beschäftigt. “Ich weiß auch nicht, wie sie reagieren würde,“ sagte ich ehrlich, “aber ich denke, du solltest es ihr trotzdem sagen. Sonst hast du vielleicht irgendwann keine Gelegenheit mehr dazu.“ Jou sah mich entsetzt an, aber ich redete weiter, das mußte jetzt einfach gesagt werden.“ Ich meine, wir sind in dieser durchgeknallten Welt und wissen nicht, was noch alles auf uns zukommt. Und es würde dir sehr leid tun, wenn du dir irgendwann denken mußt: ‘Hätt‘ ich doch nur! Hätt‘ ich es ihr nur gesagt!‘ Du würdest es ganz schrecklich bereuen...“ Die Stimme versagte mir, ich konnte nicht mehr weiterreden. Verdammt noch mal, wieso kann ich nicht endlich mit der Flennerei aufhören? Irgendwann müssen die blöden Augen doch leergeweint sein. Ich weiß, daß sie das nicht sind, ich hab‘ schon ganze Nächte durchgeheult. Ich hab‘ nur immer gut aufgepasst, daß es niemand mitkriegt. Aber jetzt hab‘ ich keinen Bock mehr. Wozu das Ganze? Jou ist mein Freund, verdammt nochmal, und er wird mich nicht für einen Schwächling halten. Eine Weile war es ganz still, dann brach Jou das Schweigen. “Wahrscheinlich hast du recht,“ sagte er leise. “So hab‘ ich noch nie darüber nachgedacht. Sogar wenn sie mich auslacht, ist das nicht so schlimm wie...“ Er brach ab. Wahrscheinlich wollte er den Gedanken nicht zu Ende führen, das könnt‘ ich echt verstehen. “Yamato?“ “Hm?“ “Darf ich dich was fragen? Du mußt nicht antworten, wenn du nicht willst!“ “Was ist denn?“ Nachdem ich ihn den ganzen Abend mit Fragen bombardiert hatte, durfte ich eigentlich nicht zimperlich sein. Jou holte tief Luft. “Sag mal, bist du in jemanden verliebt?“ Die Frage kam so zögerlich, als ob er Bammel vor einem meiner Wutausbrüche hätte. Na ja, er hat auch so einiges abgekriegt die letzten paar Wochen. “Wie kommst du darauf?“ fragte ich zurück.. Mir war nicht nach Ausflippen. “Du hörst dich irgendwie danach an. Die ganze Art, wie du redest und so.“ “Meinst du wirklich?“ Mann, bin ich froh, das es hier drin so dunkel ist. “Ich hab‘ dir schon mal gesagt, daß ich keine Ahnung von so was hab‘. Wenn ich‘s wüßte, würd‘ ich’s dir sagen.“ Aber wie soll ich es denn wissen? Ich kann keine Reiskuchen im Hals haben und keine Sonne im Herzen und auch keine Krabbelkäferdidschis im Bauch. Denn er wird mich nie wieder anschauen. In dieser Nacht träumte ich von Wölfen. Von einem hellen Wolf und einem dunkelbraunen, die sich gegenseitig im Fell rumwuscheln. Was für ein bescheuerter Traum! Am nächsten Tag lief alles schief, was nur schieflaufen konnte. Es fing schon mal damit an, daß ich zum erstenmal seit meiner glücklichen Kinder- und Windelzeit mit einer nassen Hose aufwachte. “Du hast nicht in die Hose gemacht, falls du das jetzt denkst,“ informierte mich Jou. So schlau bin ich selber, du Angeber. Auf jeden Fall mußte ich das Ding auswaschen und kam etwas später in die Küche, wo Jou schon wieder Chaos anrichtete. Er hatte versucht, Gemüse zu schneiden und jetzt sah es aus wie nach einem Battle gegen sämtliche fiesen Didschis der Digiwelt. Zwei Stunden später schaffte er es beinahe die komplette Küche in Brand zu stecken, weil er aus Versehen den Herd angelassen hatte. Die Putztücher fingen Feuer, und der Salat verkokelte samt Plastikschüssel. Wir konnten alles löschen, bevor irgendein wirklicher Schaden entstand, aber der Gestank vom verbrannten Plastik war so schlimm, daß Pickelmon den ganzen Saftladen für die nächste Stunde schließen mußte. Manchmal stellt Jou meine Geduld schon auf eine harte Probe. Was mich noch viel mehr erschreckte war, daß er vehement bestritt, den Herd überhaupt angerührt zu haben. Er hat schon oft Mist gebaut, okay, aber er hat mich noch nie angelogen. Seit ich ihn kenne, hat Jou noch niemals die Unwahrheit gesagt. Aber wer soll es denn gewesen sein, es war doch außer uns niemand in der Küche? Pickelmon wurschtelt im Restaurant umeinander und das fette Ei läßt sich vor Mittag sowieso nie blicken. Ich glaub‘ ja kaum, daß irgendein teuflisches Didschi in die Küche geflattert kommt, den Herd anstellt und dann wieder verschwindet. Wahrscheinlich hatte Jou Angst, daß ich sauer auf ihn bin und hat sich deshalb nicht getraut, die Wahrheit zu sagen. Trotzdem fand‘ ich‘s scheiße. Nicht nur, weil wir jetzt noch ‘ne Woche bleiben müssen, sondern vor allen Dingen, weil ich wirklich angefangen hab‘, ihm zu vertrauen. Ich will nicht glauben, daß Jou ein Lügner ist, aber wie soll das sonst passiert sein? Wie denn? An diesem Abend brauchte ich echt ‘ne Pause. Ich schnappte mir meine Mundharmonika und marschierte zum See runter. Allein. Mit meinem Didschi zusammen, lassen die mich nicht weg, die mißtrauischen Schweinehunde. Und Jou wollte ich aus dem Weg gehen. Kein Bock mit ihm zu reden, ich hab‘ ihm schon viel zu viel gesagt. Ich hab’s irgendwie mit den Seen. In der Abenddämmerung an einem See zu hocken und aufs Wasser hinaus zu schauen, das ist meine Vorstellung vom Glück. Ich glaube, selbst wenn ich kurz vorm Ausrasten wäre, bräuchte man nur irgendwie einen See aus dem Ärmel zu zaubern und ihn mir unter die Nase halten, und ich würde mich auf der Stelle in ein sanftes Lämmchen verwandeln. Das ist wohl so ähnlich wie mit Taichi und was zu Essen. Ich flackte mich also ans Ufer und spielte Mundharmonika. Es half nicht mehr so gut wie früher, die trüben Gedanken wollten nicht verschwinden. Wahrscheinlich war einfach zuviel passiert. “Ein Lied ist immer gut, nicht?“ Ich dachte zuerst, es wäre vielleicht Gabumon, als es neben mir im Gras raschelte, aber er war es nicht. Neben mir war ein Digimon gelandet, das ich noch nie gesehen hatte. Ein kleiner schwarzer Mini-Batman, der ein bißchen so aussah, wie eine Bowlingkugel mit Ohren und Flügel. “Du spielst wunderschön.“ Das fremde Digimon verneigte sich und faltete die Zackenflügel zusammen. “Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.“ “Nein“ Natürlich hatte die Bowlingkugel mich gestört, aber es wäre verdammt unhöflich gewesen, so etwas zu sagen, nachdem es schließlich nur meinem Spiel zuhören wollte. “Wer bist du eigentlich?“ Das Schlauste scheint es ja nicht gerade zu sein, dieses Batmon. Wenn es nicht gerade frustierten Digirittern auf den Sack geht, modelt es wahrscheinlich für Taucher.... na ja, lassen wir das Thema. Jedenfalls hat es eine ganz einfache Frage nicht gecheckt, und fängt stattdessen an, mich über Musik zuzutexten. “Dein Lied ist sooo traurig“, seufzte es. “Kein Wunder, bei dem, was du alles durchmachen mußt. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.“ Ja, aber klar. Das möcht‘ ich sehen, wie der mit seinen Krallenfüßen Geschirr spült. Und wenn er etwas kochen will, muß er über den Töpfen herumflattern. “Ich finde es wirklich beeindruckend, was du tust.“ Das Flatterdidschi sah mich mitleidig an, “Du bist jemand, der sich für einen Freund aufopfert. Aber dein sogenannter Freund treibt ein falsches Spiel mit dir. Er hat wahnsinnige Angst, du könntest ihn alleine lassen, deshalb macht er einen Fehler nach dem anderen, damit ihr auch weiterhin gezwungen seid, hierzubleiben.“ Moment mal! Auszeit, Auszeit, was labert der da? “Willst du behaupten, mein Freund macht seine ganzen Fehler mit Absicht? Von woher weißt du überhaupt darüber Bescheid?“ “Das hast jetzt du gesagt,“ erklärte das Didschi mit wichtigtuerischer Miene. “Ich dachte eher daran, daß es vielleicht eine unbewußte, psychologische Reaktion ist, wenn du verstehst, was ich meine. Nein? Entschuldige bitte, wenn ich mich unklar ausgedrückt habe. Du meinst also, er macht seine ganzen Fehler mit Absicht? Glaubst du wirklich, daß jemand so hinterhältig sein könnte?“ “Nein, so hab‘ ich das nicht gemeint“ Das Gelaber von dem Vieh verwirrte mich echt. “Jou würde sowas niemals tun, er ist der ehrlichste Mensch den ich...“ Aber das mit dem Ofen heute, das war schon ziemlich strange. “Du bist ein so gutherziger Mensch,“ sagte die Fledermaus bewundernd. “Wie schön, daß du dein Vertrauen in die anderen noch nicht verloren hast. Wenn man soviele Erfahrungen gemacht hat, wie ich, kann man leider nicht mehr so unschuldig sein. Ach, ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen!“ Unschuldig? Naiv meint er wohl! Er denkt, daß ich noch keine Erfahrung habe. Wenn der wüßte! Dem könnt‘ ich aber echt was erzählen! Nein, besser nicht. Es reicht schon, daß ich Jou soviel über mich erzählt hab‘. Wie ein bescheuertes Kleinkind, das sich an den Nächstbesten klammert, der nett zu ihm ist. Am nächsten Tag gelang es Jou einen Stapel Teller runterzuschmeißen, von dem er mindestens einen halben Meter weit weg stand. Natürlich war er wieder nicht schuld, jemand hatte ihn geschubst. Daß niemand da war, der ihn hätte schubsen können, störte ihn nicht weiter. Ich weiß nicht mehr, was ich Wütendes plärrte, als ich aus der Tür stürmte. Das Vieh hat recht gehabt, ich bin wirklich naiv. Ich hab‘ mich einlullen lassen, von seinen ganzen Stories über Wölfe und seiner albernen Rumjammer-Mitleidstour. Meine tiefste Seele hab‘ ich dem Kerl ausgeschüttet, einem Typen, den ich nicht einmal kenn‘! Freundschaft? Was ist das schon? Wie oft muß ich denn noch auf die Schnauze fallen, um zu kapieren, daß das alles nix bringt? “Onii-chan!“ Mein Brüderchen stand vor mir und versuchte gerade ziemlich verzweifelt, mich zu knuddeln. Da ich aber im Gras flackte und er mich mit seinen dünnen Ärmchen nicht hochkriegt, landete er auf mir drauf und ich hatte erstmal sein Kinn im Hals. “Was machst du hier?“ brachte ich raus, als ich ausgewürgt hatte und wieder Luft kriegte, “wie bist du hierhergekommen?“ Ich setzte mich auf und drückte ihn erstmal so fest, daß, der Abwechslung halber, er mal nach Luft schnappen mußte. “Entschuldige bitte, daß ich mein Versprechen nicht halten und dich nicht abholen konnte.“ “Aber das macht doch nichts, jetzt sind wir ja wieder zusammen!“ Überglücklich preßte er das Köpfchen an meine Backe. “Und ich hab‘ Taichi-san getroffen, er ist auch hier!“ “Oi, Yamato!“ Das kann einfach nicht wahr sein. Ich muß träumen! Entweder bin ich eingeschlafen, oder der Rinderwahn hat mich am Ende doch noch erwischt. Vor mir steht Taichi, komplett mit Taucherbrille, und bescheuertem Grinsen, so als ob er nie weggewesen wäre und ich mir nicht nächtelang die Augen nach dem Kerl ausgeheult hätte. “Ich hab‘ gedacht, du bist tot,“ sagte ich langsam. Ich war noch zu geschockt, als daß ich irgendwie groß reagieren konnte. Als wir uns auf der Schneeinsel wiedergetroffen hatten, waren wir ohne lange zu überlegen, aufeinander zugerannt und hatten uns bei den Händen gefaßt. Jetzt käme das total peinlich. Irgendwie war es eine verdammt ungemütliche Situation. Ich wollte noch etwas sagen, aber irgendwas stimmte nicht mit meiner Stimme. War das jetzt so, als ob mir ein Reiskuchen im Hals stecken würde? Ich weiß nicht. Es war einfach nur fürchterlich bescheuert, das war alles! “Tot? Davon bin ich weit entfernt, ich hab‘ noch viel vor! Es ist keiner in der Nähe, kommt, laßt uns die Gelegenheit nutzen und abhauen!“ Ich raff‘s nicht! Kaum ist er wieder da, will er mir schon wieder Vorschriften machen. Die altbekannte Wut steigt in mir hoch. Und er hat auch keine Ahnung, was Jou in Wirklichkeit für ein hinterhältiger Mistkerl ist. “Abhauen, okay, aber ich will auf keinen Fall, daß Jou dabei ist.“ Wenn man vom Teufel spricht! Mit Gomamon im Schlepptau kam Jou aus der Küche. “Häh?“ Eine Runde Taucherbrillenbrainhochfahrblick! “Was redest du da für ‘nen Blödsinn? Habt ihr euch gestritten?“ “So würde ich es nicht nennen!“ Ich sprang auf, und ballte die Fäuste. Mit einem wie dem hat man nichts als Schwierigkeiten!“ Die anderen sahen mich entsetzt an, aber das war mir echt scheißegal. Die hatten ja keine Ahnung von gar nichts. Nur Jou machte mal wieder einen auf Mitleidstour, er glotzte mich an wie ein krankes Kalb. Aber das zieht bei mir nicht! Nicht mehr! “Hör auf, so einen Mist zu labern und komm endlich!“ plärrte Taichi. “Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, die anderen müssen wir schließlich auch noch suchen!“ Das ist wieder einmal so typisch! Er kommt her, brüllt Befehle und meint, daß alles nach seiner Pfeife tanzt.. “Deine Rumkommandiererei kannst du dir sonstwohin stecken, mach‘ doch was du willst, aber nicht mit mir! Komm Takeru, wir gehen!“ Aber anstatt mir zu folgen, zerrte mein Brüderchen an meinem Arm. “Warum bist du so böse? Wir sind doch alle Freunde!“ “Halt endlich die Klappe und komm!“ Nur weil Taichi mal kurz auf ihn aufgepaßt hat, muß er sich wieder so aufführen und dem Kerl nach dem Mund reden! Das kennt man ja schon, es ist doch immer dasselbe! “Ihr wollt doch nicht etwa gehen, ohne euch zu verabschieden?“ Die Hamburgerbrigade in Person! Pickelmon wedelt mit seinen Tentakeln und die fette Kinderüberraschung kommt uns auf häßlichen Dinobeinen entgegengestapft. Beide scheinen nicht gerade in Feiertagsstimmung zu sein. “Dafür hätten wir nämlich sehr wenig Verständnis!“ Die Batman-Bowlingkugel! Was hat der mit den beiden zu schaffen? Steckt er etwa mit ihnen unter einer Decke? Das würde ja bedeuten, daß... “PicoDevimon!“ schrieen Taichi, Takeru, Patamon und Agumon wie aus einem Munde. “Du widerliches kleines Lügenmonster!“ “Lügenmonster?“ Ich schätze, jetzt war ich mal dran mit Brain hochfahren. Nur so zur Abwechslung! “Du darfst ihm kein Wort glauben,“ rief Takeru aufgeregt und Taichi fügte hinzu: “Es lügt, wenn es nur den Mund aufmacht!“ Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir hoch. Hatte dieses PicoDevimon etwa mit Absicht versucht, mich gegen Jou aufzuhetzen? Zum Nachdenken blieb wie immer keine Zeit, denn dieser Eierverschnitt machte Ernst und griff an. Mein Didschi mußte wohl irgendwie spüren, daß ich in Gefahr war, denn Garurumon war rechtzeitig zur Stelle, um die Angriffe abzuwehren. Mehr als abwehren konnte er jedoch nicht, das Ei war viel zu stark für ihn. Auch Ikkakumon konnte nichts ausrichten, und Agumon hatte noch nicht einmal genug Energie für die Digitation aufs Bonzlevel. Daß das pickelige BSE-Didschi auch noch da war, merkten wir erst als wir Takeru um Hilfe schreien hörten. Es hatte ihn gepackt und mein Brüderchen zappelte hilflos in seinen Tentakeln. Verzweifelt versuchte ich, zu ihm zu gelangen. “Gebt auf, sonst geht es dem Kleinen hier schlecht!“ Digitamamon lachte höhnisch und mein Magen krampfte sich zusammen. Takeru war vollkommen unschuldig in diese Sache hineingezogen worden, um nichts in der Welt durfte ihm etwas zustoßen! Wenn sie ihn gehenlassen, bin ich bereit, aufzugeben. Auch wenn ich dann von hier nicht mehr wegkomme. Im nächsten Moment stürzte sich Jou vom Dach des Restaurants auf Veggiemon, das vor Schreck Takeru losließ. Er landete etwas unsanft auf dem Boden, schien sich aber nichts getan zu haben. “Du bist ein dummer, kleiner Narr!“ Die Tentakel wickelten sich um Jou. “Du glaubst doch nicht etwa, deine sogenannten Freunde interessieren sich dafür, was mit dir passiert!“ “Meine Freunde würden mich nie im Stich lassen!“ schrie Jou. “Ohne Yamato hätte ich die Zeit hier niemals überstanden! Er hat mich immer unterstützt und mir Mut gemacht, er ist der beste Freund, den man sich nur wünschen kann!“ Kann sich irgendwo ein Erdloch auftun und mich verschlucken? Während Jou’s Worten hatte ich das Gefühl immer kleiner und kleiner zu werden, um schließlich vor Scham im Boden versinken zu wollen. Er hat Takeru das Leben gerettet. Ohne Rücksicht auf sein eigenes. Wie hab‘ ich nur jemals, jemals an ihm zweifeln können? Ich hab‘ ihm nicht vertraut, hab‘ mich von diesem fiesen Lügendidschi beschwatzen lassen. Jetzt weiß ich auch, wer den Herd angestellt und Jou gegen die Teller geschubst hat. Und ich hab‘ geglaubt, er hätte mich angelogen! Das Wort eines fremden Digimons hab‘ ich über das von meinem Freund gestellt! Manchmal bin ich schon wirklich verdammt naiv. Immer muß ich in allem nur das Schlechte sehen! Bei jedem kleinsten Problem fall‘ ich um, und lande wieder in meinen alten schlechten Gewohnheiten. Alles ist scheiße, keinem kann ich vertrauen, keiner hält zu mir, wenn’s drauf ankommt. Mit einem Satz: Keiner mag mich! Das ist so dumm und so kindisch! Und ausgerechnet Jou, unser Oberpessimist mußte mich mit der Nase draufstoßen. Ausgerechnet Jou und seine Stories von den Wölfen, die zusammen jagen und zusammen kuscheln, und sich bei Gefahr gegenseitig beschützen. Oh Mann, ich geb‘ wirklich einen verdammt miesen Wolf ab! Wird‘ echt langsam Zeit, ein paar schlechte Gewohnheiten über Bord zu werfen. Wenn wir hier lebend rauskommen, werd‘ ich so einiges ändern. Ach Quatsch, natürlich werden wir hier lebend rauskommen und ich werd‘ jetzt gleich damit anfangen etwas zu ändern. Takeru, Jou, Sora, Mimi, Koushirou und Taichi sind meine Freunde! Wenn ich von ihnen erwarte, daß sie zu mir steh‘n, muß ich bereit sein, dasselbe für sie zu tun. Freundschaft ist das stärkste Band! Es lebe die Freundschaft! Das Licht ist so hell, daß es mich blendet und ich für einen Moment die Augen schließen muß. Es kommt nicht vom Himmel und auch nicht vom Digivice, sondern vom Wappen. Von meinem Wappen! Mein Wappen leuchtet. Garurumon ... choushinka ... WereGarurumon! Mein Didschi steht jetzt auf zwei Beinen und sieht aus wie ein Werwolf, der in einem Piratenschinken mitspielt. Schiff ahoi! Überall Nieten und Leder, er könnte sich damit auf jedem Heavy Metal Konzert sehen lassen, oh Mann ist das cool! Ich hab‘ ein Ultrabonzleveldidschi!!! Jetzt gibt’s Saures! Das Mac Donalds Personal nimmt die Beine in die Hand und Jou, die Landratte, kriegt wieder festen Boden unter den Füßen! Und dann erst die Fresse von Taichi! Das ist doch das Beste von allem! Taucherbrillenbrain kriegt die Klappe nicht mehr zu und seine Glubschaugen machen gleich auch eine Ultradigitation! Seins ist nämlich lang nicht so cool wie meins! Einfach ultragenial! Ein gehauchtes “Wow!“ ist alles, was aus seinem Plappermaul rauskommt. Leider hält das Ultrabonzlevel nicht lange an, kaum daß der Kampf vorbei ist, wird mein Didschi schon wieder winzigklein. Es ist zu Tsunomon zurückdigitiert. “Jou?“ Das Allerschwerste vom Kampf stand mir noch bevor. “Ich wollte mich bei dir bedanken. Du hast meinem Bruder das Leben gerettet.“ “Ja, das war für deine Verhältnisse ganz schön mutig,“ pflichtete Taichi mir bei. Jou zog die Augenbrauen hoch und sah ihn an: “‘Für deine Verhältnisse‘ kannst du dir sparen!“ Und zu mir gewandt fügte er hinzu: “Ich bin froh, daß ich auch endlich mal etwas für dich tun konnte.“ ‘Du hast genug für mich getan‘, dachte ich, aber das sagte ich natürlich nicht. Aber einfach drüberweg schweigen konnte ich auch nicht, schließlich war ich ganz schön fies zu ihm gewesen. “Entschuldige bitte, ich hab‘ vorhin ziemlichen Mist verzapft.“ “Vergeben und vergessen,“ grinste Jou. “Aber nun sollten wir uns echt auf den Weg machen. Unsere Digivices werden uns sicher helfen, die anderen zu finden.“ Taichi war zurück in die reale Welt geschleudert worden, das erzählte er uns, als wir dem Weg in eine Gebirgslandschaft folgten. Er war nur für ein paar Stunden in der realen Welt gewesen, allerdings lief die Zeit dort anders als hier. Eine Stunde dort, war für uns beinahe ein ganzer Monat. Was noch schlimmer war, auch in der realen Welt waren plötzlich Digimon aufgetaucht. Also wieder nix mit heimgehen. Auf uns würde noch einiges an Abenteuern warten. Manchmal hab‘ ich mir vorgestellt, wie es wäre, Taichi wiederzusehen. Ich hab‘ nicht dran geglaubt, aber manchmal hat man solche Gedanken eben und sie wollen einfach nicht aus meinem Kopf. Aber so hab‘ ich es mir bestimmt nicht vorgestellt! Es ging alles viel zu plötzlich, kaum daß wir uns getroffen hatten, gingen wir uns schon wieder an die Gurgel. Ich weiß, daß er es nicht böse meint, wenn er seine Sprüche los läßt, aber es macht mich einfach so wütend. Müssen wir denn die ganze Zeit so rennen? Können wir nicht mal anhalten und nachdenken? Es ist, wie ich’s Jou an jenem Abend gesagt hab‘, ich hab‘ wirklich absolut keine Peilung, was mit mir abgeht. Ich weiß nur, daß da irgendwas ist. Da war schon lange irgendwas. Aber jetzt ist es noch mehr irgendwas als früher. Soll ich einfach mit ihm darüber reden? Aber wenn ja, was soll ich ihm sagen? Wenn ich’s selber nicht check‘, dann checkt es Taucherbrillenbrain gleich dreimal nicht. Er wird mich nur auslachen und einen seiner blöden Sprüche ablassen und darauf hab‘ ich echt keinen Bock. “Taichi?“ “Was denn?“ “Kann ich dich was fragen?“ “Was denn?“ “Nein nicht jetzt. Irgendwann später, wenn wir mehr Ruhe haben! Vielleicht heute abend, wenn wir campen!“ “Ach so. Und warum fragst du mich jetzt, ob du mich heute abend was fragen kannst? Du bist ja echt komisch drauf!“ “Was willst du Taichi-san denn fragen,“ mischte sich mein Brüderchen ein. Ich winkte ab: “Nicht so wichtig.“ Mein Gott, bin ich ein Volltrottel. Ich glaub’s selbst nicht, daß ich das gemacht hab‘. Jou sagte nichts, ich bin sicher, er macht sich seine eigenen Gedanken. Aber er hatte recht behalten, was die Digivices anging. Schon nach kurzer Zeit begannen unsere Piepsdinger zu fiepen und zu leuchten. Sie zeigten allerdings in zwei verschiedene Richtungen, also beschlossen wir, uns aufzuteilen. Wir machten aus, uns am nächsten Tag an der Wegkreuzung wiederzutreffen. Natürlich wollten mein Brüderchen und ich zusammen bleiben, also bildeten Taichi und Jou die andere Gruppe. Erstmal würde ich also keine Gelegenheit haben, mit Taichi allein zu sprechen. War vielleicht ganz gut so, dann konnte ich nochmal in Ruhe drüber nachdenken. Am Abend gabelten wir Koushirou auf, der vor Erleichterung fast das Flennen anfing, als wir ihm erzählten, daß es Taichi gut ging. Aber um Sora machte er sich nach wie vor wahnsinnige Sorgen. Wir verbrachten die Nacht mehr oder minder damit, uns gegenseitig zu erzählen, was wir erlebt hatten. Auch Koushirou’s Wappen hatte geleuchtet, also hatten wir schon drei Ultrabonzdidschis. Nicht schlecht. Damit standen wir etwas besser da, wenn wir auch immer noch keine Ahnung hatten, in wessen Auftrag das Lügendidschi handelte. Erst gegen Morgen schliefen wir ein paar Stunden und kamen natürlich prompt zu spät zu unserem Rendezvous mit dem Rest der Bande. Jou und Taichi hatten Mimi gefunden, aber von Sora fehlte immer noch jede Spur. Mimi behauptete zwar, sie wäre ihr im Traum erschienen, aber das hörte sich alles reichlich unlogisch an. Auch Agumon behauptete steif und fest, ihre Stimme gehört zu haben, die ihn davor gewarnt hatte, gefährliche Pilze zu essen. Erst einen weiteren Tag später hatten wir Gewißheit: In einem Wald wurden wir angegriffen, und wie aus dem Nichts tauchte Birdramon auf und half uns. Genauer gesagt, das Vieh rettete uns so ziemlich den Arsch, denn unsere Didschis waren zum Kämpfen viel zu ausgepowert. Diese Ultradigitation scheint doch eine ziemlich stressige Angelegenheit zu sein. Wir beobachteten, wo das Licht verschwand, als Birdramon zu Piyomon zurückdigitierte und rasten wie vom wilden Affen gebissen durch den Wald. Nach einer Endlossuche gelang es Taichi, meinem Brüderchen und mir, Sora zu finden. Aber offensichtlich wollte sie gar nicht gefunden werden. “Bitte, laßt mich!“ keuchte sie völlig außer Atem vom Rennen, als wir sie schließlich eingekreist hatten. Neben ihr hüpfte Piyomon aufgeregt hin und her und flatterte wild mit ihren kurzen Flügelchen. “Laßt mich in Ruhe,“ wiederholte Sora “ich gehöre nicht mehr zu euch!“ Taichi, Takeru und ich sahen uns an. Was mochte das widerliche Lügendidschi ihr erzählt haben? “Hör auf, so einen Blödsinn zu reden!“ schimpfte Taichi, “du bist unsere Freundin und ohne dich können wir einpacken! Wir müssen noch so viele Kämpfe bestehen, also hör‘ mit der Spinnerei auf und komm endlich!“ Sora gab keine Antwort, sondern brach in Tränen aus. Es war ein richtiger Weinkrampf. Erschrocken und hilflos sah Taichi sie an. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, was er machen sollte. Geschah ihm aber auch recht. Ich fühlte wieder die Wut in mir hochsteigen. Der Kerl ist einfach so wahnsinnig unsensibel. Genauso hat er mich angemotzt, als wir vor dem Restaurant standen. Er versteht einfach nicht, daß nicht jeder von einem Abenteuer ins nächste rennen will, und daß die Leute manchmal einfach fertig sind und ihre Ruhe brauchen. Sora war definitiv fertig, und wenn Taichi’s Gelaber auch hundertmal gut gemeint war, für den Augenblick half es ihr nicht das Geringste. Wenigstens weiß ich jetzt, daß ich nicht der einzige bin, der damit nicht klarkommt. Sora kriegt zwar keine Wutanfälle, so wie ich, aber auch ihr macht es manchmal zu schaffen, wenn Taichi sich so aufführt. “Yamato, was soll ich machen?“ fragte Taichi verzweifelt, “ich will, daß sie aufhört! Ich will nicht das sie traurig ist. Bitte sag‘ mir, was macht man, wenn Mädchen so weinen.“ Das fragt der ausgerechnet mich! Ich hab‘ doch keine Ahnung vom Trösten, verdammt noch mal! Takeru will in den Arm genommen werden, wenn er weint, vielleicht will Sora das auch. Vielleicht will sie aber auch in Ruhe gelassen werden. Wenn ich weine und jemand versucht, mich in den Arm zu nehmen, kriegt er eins in die Fresse, das ist sicher. “Ach, du weißt neuerdings, daß ich ein Mädchen bin“, schluchzte Sora, “hast ja sechs Jahre gebraucht, um das zu merken.“ Sechs Jahre? Das ist ja seit der ersten Klasse! Kennen sich die beiden wirklich schon so lange? Wie lange sind sie schon Freunde? Ist Koushirou auch schon so lange mit Taichi befreundet? Da kann jemand wie ich wohl nicht mithalten. “Was redest du da jetzt schon wieder! Natürlich bist du ein... ach, was soll das! Yamato, bitte sag‘ mir doch, was ich machen soll!“ Warum kennt er sie so wenig, wenn sie schon so lange befreundet sind? Kann es sein, daß sie sich verändert hat? Daß sie nicht mehr nur die Sora ist, die mit ihm rumtobt und mit ihm über Fußball labert? Das ist eine Seite von ihr, die noch keiner von uns kennt. Immer war sie die Vernünftige, die große Schwester, die sich um alle kümmert. Daß sie auch mal fertig ist und Hilfe braucht, hat sie noch keinem von uns gezeigt. Auch Taichi und Koushirou nicht. Sie wollte nie, daß irgendjemand merkt, wie sie sich wirklich fühlt. Woher kommt mir das alles nur so verdammt bekannt vor? “Als erstes solltest du aufhören, sie so dumm anzulabern. Wenn du sie ständig zuquatschst, kann sie sich überhaupt nicht beruhigen.“ “Aber ich hab‘ ihr doch nur gesagt, daß wir sie brauchen....“ “Aber nicht so, verstehst du, nicht auf diese Weise! Du mußt ihr das anders sagen, du mußt...“ Es gab anscheinend jemanden, der genau wußte, was zu tun war. Mein Brüderchen lief zu Sora hinüber, nahm ihre Hände und sagte leise. “Danke, daß du uns beschützt hast!“ Unter Tränen lächelte sie. “Ich konnte euch doch nicht im Stich lassen.“ Als der Rest der Truppe da war, erzählte sie uns endlich was los war. Das Lügendidschi hat ihr verzapfen wollen, daß ihr Wappen, das Wappen der Liebe niemals leuchten würde. Sie habe keine Ahnung was Liebe sei und könne auch überhaupt nicht lieben. Ich raffte nicht, wie sie auf den Blödsinn reinfallen konnte, aber ich hielt meine Klappe. Ich hab‘ mich auch nicht grad intelligent verhalten, als das Lügendischi mit seiner Scientologyrhetorik daherkam. Es sollte eine Anwaltskanzlei aufmachen, damit könnte es fett Kohle scheffeln. Oder gleich ab in die Politik! Natürlich hatte es auch diesmal gelogen. Sora’s Wappen leuchtete. Und auch die Wappen von Mimi, Jou und Takeru würden eines Tages leuchten, da waren wir uns ganz sicher. Hundertpro! Dieser Abend war der friedlichste seit langer, langer Zeit. Wir campten an einem Fluß, und machten erstmal Planschsession. Diesmal kriegten wir sogar Mimi dazu, mitzuplanschen. Weil Prinzessin eben Prinzessin ist, behielt sie auch das Oberteil an, obwohl sie da oben kein bißchen anders aussieht als der Rest von uns. Jou, dieser Schlappschwanz traute sich aber nicht, sie unterzutauchen. Sie dagegen schien ihn ganz besonders auf dem Kieker zu haben. Auch die Didschis plantschten fröhlich mit, bis auf Gabumon. Keine zehn Pferde bringen den Kerl ins Wasser. Später grillten wir Fische und Gemüse, und Taichi stellte sich dabei mindestens genauso dumm an wie Jou. “Von diesen Typen ist echt einer blöder wie der andere,“ sagte Mimi zu Sora, die ihr eifrig beipflichtete. Als Taichi und Koushirou auch noch anfingen, damit rumzuprahlen, wer das coolere Ultrabonzleveldidschi hat, kriegten sich die Mädels vor Lachen gar nicht mehr ein. “Jedenfalls hätte ich mir wegen meines Wappens überhaupt keine Sorgen machen brauchen,“ sagte Sora vergnügt, “es hat ja nun geleuchtet.“ “Weil du mich sooo lieb hast,“ quietschte Piyomon, und Taichi kreischte dazwischen: “Ich will auch was von Sora’s Liebe abhaben!“ So ein blöder Volltrottel! Aber ich hab‘ keinen Bock mehr auf Streß. Jetzt, wo wir endlich alle wieder zusammen sind und wir endlich, endlich mit der ewigen Streiterei aufgehört haben, werd‘ ich nicht mehr damit anfangen. Ich werd‘ nicht mit Taichi reden, es ist alles okay, so wie’s jetzt ist. Er würd’s ja eh nicht checken, also was soll’s? Er hat mir nie gesagt, was er damals in der Wüste von mir wollte und er hat auch nicht nachgefragt, was ich von ihm wollte, also kann das alles so wichtig nicht gewesen sein. Nein, es muß einfach nicht sein. Er ist mir nicht egal, ich kann mir nix mehr vormachen. Aber deswegen muß ich mich noch lange nicht wie der letzte Idiot aufführen. Das überlaß ich gerne den ganzen anderen Leuten, die immer an Taichi drankleben. “Na, willst du nicht ein bißchen Liebe von mir, Jou-sempai?“ Mit einer koketten Geste überreicht Mimi Jou eine Handvoll Samenkörner. Als der im Gesicht knallrot anläuft und an seinem imaginären Reiskuchen rumwürgt, kriegt sie die reinsten Kicheranfälle. Aber die Klappe macht er natürlich nicht auf, der Feigling. Das Feuer ist schon ziemlich weit runtergebrannt, aber noch denkt keiner ans Schlafen. Nur mein Brüderchen ist auf meinem Schoß weggepennt. Neben mir am Flußufer hockt Jou, und wir unterhalten uns leise, um Takeru nicht aufzuwecken. So ein Fluß ist irgendwie fast so cool wie ein See. “Stör‘ ich euch?“ Ohne großartig eine Antwort abzuwarten, pflanzt sich Mimi neben uns. “Die labern nur wieder über Fußball, da kann ich eh nicht mitreden!“ Mit einem Kopfnicken deutet sie zum Feuer hinüber, wo Taichi, wie üblich, zwischen Sora und Koushirou flackt, und große Reden schwingt. “Odaiba Super Kickers!“ grinst Jou. Wußte ja gar nicht, daß sich das schon so rumgesprochen hat. Mimi kichert schon wieder “Mach doch auch ‘nen Club auf, großer Anführer! Die Super... hm, was könnte man da nehmen?“ “Weiß ich nicht! Es müßte etwas sein, was wir alle gemeinsam haben. Da gibt’s nicht so viel.“ “Ich glaub‘ ja nicht, daß sie uns dazu kriegt, pinke Sachen zu tragen, also ist das Einzige, was mir einfällt...“ “Ja, was?“ Mimi und Jou sehen mich erwartungsvoll an. “Rummotzen! Ich glaub‘ das können wir alle drei ganz gut!“ Wie auf Kommando setzt Jou seine Jammermiene auf, und Mimi stößt ein weinerliches “Huäääh!“ aus. Ich versuche, einen meiner Wutanfälle aus dem Ärmel zu zaubern, der mir leider jämmerlich mißlingt, da ich mich gleichzeitig vor Lachen kringele. Mein Brüderchen murmelt irgendwas Unverständliches im Schlaf und dreht sich auf die andere Seite. “Was macht ihr denn da?“ Ganz ungewohnt für Taichi, daß es auch mal lustig zugehen kann, wenn er nicht im Mittelpunkt steht. “Wir führen Gespräche für Erwachsene,“ erklärt Jou und wirft sich wichtigtuerisch in die Brust. “Spiel‘ dich nur nicht so auf!“ Mit beleidigter Miene dreht Taichi sich um und marschiert davon. Ich seh‘ ihm nach, als er zu Sora und Koushirou zurückgeht. Obwohl, gehen ist nicht so ganz der richtige Ausdruck, er hüpft wieder mal über Stock und Stein wie ein besoffener Geißbock. Jede Menge Wuschelhaare, die mal wieder aussehen wie Kraut und Rüben, hüpfen auf seinem Taucherbrillenbrain mit. Es wird ganz schön schwer werden, nicht die ganze Zeit an ihn zu denken. Tsuzuku... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)