☾ Mikadzuki von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 21: Neumond ------------------- Kagome war sich absolut sicher, noch nie so glücklich über eine mondlose Nacht gewesen zu sein. Den ganzen Tag über war sie nur von einer Seite der Ebene zur anderen marschiert, hatte keine Ruhe finden können. Alles in ihr war in Aufruhr, die Sorge um InuYasha wurde immer größer. Was, wenn er schon zu lange unter dem Bann stand? Was, wenn er nicht wieder der Alte sein würde? Was, wenn es Kirin nicht gelang, ihn zu befreien? Unzählige Fragen schwirrten ihr durch den Kopf und auch die anderen konnten sie nicht beruhigen, egal was Shiori, Shippô, Kyoko und Kohaku versuchten. Und dann endlich versank die Sonne am Horizont, verblasste der letzte Sonnenstrahl. Augenblicklich wich die weiße Farbe aus InuYashas Haar, seine Hundeöhrchen verschwanden und vermutlich waren auch seine Augen dunkel geworden, aber davon konnte man nichts sehen, waren seine Lider doch geschlossen. Dennoch war keine Regung von ihm auszumachen. Kagome schluckte nervös, sprang aber sofort auf, als Kirin sich näherte. Auch er hatte zugesehen, senkte nun ein wenig den Kopf. „Junge Miko… meine Magie muss seinen Körper direkt berühren… tu mir den Gefallen und zieh ihm den Suikan aus.“ Kagome zuckte zusammen. Ihr wurde heiß und kalt zugleich und sie konnte nur mühsam verhindern, dass sie errötete. Sie… sie sollte InuYasha… Verlegen zögerte sie. „Schon gut. Es reicht, wenn du ihm den Kragen etwas auseinander ziehst, damit ich seine Brust berühren kann“, lenkte das Einhorn ein, seine großen Ohren zuckten leicht. Daran hatte er nicht gedacht. Er musste die junge Miko in eine ziemlich peinliche Situation gebracht haben. Jetzt tat sie jedenfalls, worum er bat. „Ich weiß nicht, was gleich geschehen wird. Ich habe noch nie versucht, einen Hanyô wieder zu heilen. Es kann sowohl passieren, dass er durchdreht, als auch das er zwar wieder geheilt ist, aber für immer menschlich bleibt. Ich muss zugeben, ich habe keine Ahnung“, warnte das Einhorn vor, erhielt jedoch keine direkte Reaktion von den Umstehenden. Nur die Anspannung lag beinahe greifbar in der Luft. Er hielt noch einmal kurz inne, hörte, wie die ganze Gruppe den Atem anhielt. Dann berührte er mit der längsten Spitze seines Hornes InuYashas Brust. Er konnte nicht ahnen, dass die Gruppe sich mehr wegen der zweiten Möglichkeit der Nebenwirkung sorgte, als wegen der ersten. Schließlich gab es da Tessaiga. Aber jetzt achteten sowieso alle auf das sanfte Glimmen, dass Kirins Hornspitze erfasst hatte, sich nun auf InuYashas Haut ausbreitete. Das hellweiß leuchtende Muster, das dort entstand, erinnerte beinahe an einen magischen Zirkel oder ähnlich esoterische Symbole, aber sie alle hofften, dass es wirklich helfen würde. Plötzlich überlief ein Schauder den Körper des Halbdämons, er zuckte zusammen und stöhnte auf, dann verschwand das Zeichen und Kirin hob den Kopf. Sein Blick war Antwort genug auf die stumme Frage, die sich alle stellten: sie würden warten müssen. Kagome hatte sich über den Hanyô gebeugt, wartete nervös auf ein weiteres Lebenszeichen. Und endlich, nach endlosen Sekunden flatterten seine Augenlider, er schlug sie langsam auf. Erneut verließ ein Stöhnen seine Lippen, als er blinzelte. Das erste, was InuYasha wieder hörte, war ein Schluchzen, dann fühlte er etwas Feuchtes auf seiner Wange. Nur seltsam schwach konnte er den Salzgeruch vernehmen. Tränen. Etwa seine? Nein, er weinte nicht. Wäre ja auch noch schöner gewesen. Er blinzelte, versuchte seinen Blick etwas zu schärfen, erkannte schimmernde, moorbraune Augen über sich, ein blasses Gesicht. „Ka-Kagome…“, wisperte er heiser, schluckte, als er merkte, dass die Tränen von ihr stammten. Was war geschehen? Er konnte sich nur noch an den bestialischen Schmerz in seinem Rücken erinnern. „Kagome… warum… warum weinst du?“, fragte er mit fast tonloser Stimme, sein Hals fühlte sich trocken an. Die junge Miko sah ihn nur aus tränennassen Augen an, unfähig, etwas zu sagen. Wieder schniefte sie, dann fiel sie plötzlich über ihm zusammen, ihre Hände schoben sich unter seinen Körper, umarmten ihn. Und ganz kurz spürte er ihre Lippen auf den seinen. Ehe er reagieren konnte, hatte sie sich wieder von ihm gelöst. „InuYasha… du… du lebst… alles ist gut…“, schluchzte sie, während sie sich wieder ins Sitzen stemmte und mit einer Hand über die Augen rieb, die Tränen verscheuchte. „Ich… ich bin so froh…“ Etwas verwirrt sah InuYasha zu ihr auf, wollte sich erheben, sie trösten, doch eine eiserne Schwäche hielt seinen Körper am Boden. Stattdessen hob er eine Hand und wischte ihr vorsichtig eine verbliebene Träne von der Wange. „Ich weiß zwar nicht, was passiert ist… aber ich habe doch versprochen, dass ich dich niemals alleine lasse…“, wisperte er leise. Sesshoumaru schnappte unwillkürlich nach Luft, als er wieder zu sich kam. Das Durchdringen des Bannkreises musste selbst ihn kurz das Bewusstsein gekostet haben. Apropos Bewusstsein, war Natsu wieder zu sich gekommen? Und wo befanden sie sich überhaupt? Er sah sich um. Noch immer war es eine Höhle und noch immer befand er sich im Wasser, aber dieses hier war nur eine Handbreit tief und das Ufer war kaum zwei Meter entfernt. Dort lag auch Natsu auf dem rauen Fels und jetzt hörte er auch das leise Husten. Sie musste genauso wie er gerade eben erst wieder wach geworden sein. Vorsichtig erhob er sich, trat ans Ufer und ließ sich dort wieder ins Sitzen sinken. Er hatte viel Kraft verbraucht und selbst er hatte nun etwas Ruhe nötig. Außerdem kam er erst jetzt dazu, Bakusaiga wieder weg zu stecken. Für einen Moment schloss er die Augen, gönnte sich einen Augenblick der Ruhe um sich zu sammeln und mit der Regeneration zu beginnen. Erst Natsus Stimme holte ihn wieder zurück. „Gomen nasai, Sesshômaru-sama. Ich nehme an, Ihr musstet mich retten?“ Ihre Stimme klang matt und noch rau vom Husten. Er sah auf, erkannte, dass sie noch immer auf der Seite lag, sich aber auf die Unterarme gestützt ein wenig erhoben hatte und ihn zögerlich ansah. Jetzt versuchte sie sich zu erheben, fiel aber wieder zurück, als sie ein Bein anwinkeln wollte und zog scharf die Luft ein. „Lass es. Es wird dauern, bis das verheilt ist“, sagte Sesshômaru emotionslos und wandte den Blick ab. Der Kristallaal hatte Natsus Beine ordentlich malträtiert, da würde selbst sie als starke Dämonin eine Weile flachliegen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es würde heilen. Tatsächlich blieb sie nun ruhig liegen. Da mischte sich plötzlich eine dämonische Aura in seine Wahrnehmung, die er nicht kannte. Augenblicklich witterte er, vernahm den Geruch einer Pantherdämonin. Er konnte sich denken, dass es Kuraiko war. Er sah in die Richtung, aus der die Witterung kam und erkannte die Silhouette, die sich am Ende der Höhle in einem Höhlengang abzeichnete. Als sie näher kam, wurde aus dem Schatten eine Gestalt, die ihn durchaus an die Panthergeschwister erinnerte. Zwar waren ihre Haare nachtblau und in einem streng geflochtenen Zopf zusammengefasst, aber die deutlich schräg liegenden, tiefgrünen Raubtieraugen erinnerten deutlich an die von Tôran und Shunran. Sie trug einen zwar mehrlagigen, aber nicht sonderlich aufwendig gearbeiteten, hellen Kimono mit traditionellem Kirschblütenmuster und hielt einen einfachen Yari in der Hand, von dem keinerlei Magie ausging. Ihr Blick ruhte auf den beiden Neuankömmlingen, streifte jedoch nur kurz über Sesshômaru hinweg, um dann auf Natsu zu treffen. „Ich wundere mich, dass du all die Strapazen auf dich nimmst, Natsu. Ich bin die letzten zweihundertvierzig Jahre ohne Dienerin ausgekommen, warum sollte ich jetzt jemanden benötigen?“ „Um es genau zu nehmen, sind es nur zweihundertachtunddreißig Jahre, Kuraiko-oba-sama“, erwiderte die junge Löwendämonin und hob den Blick. Obwohl sie mit ihren verletzten Beinen eindeutig nicht in der Lage war, sich mit jemand so starkem anzulegen, funkelten ihre Augen aufsässig, wie eh und je. Und Sesshômaru, der momentan noch geflissentlich ignoriert wurde, hatte das dumpfe Gefühl, dass Natsus Unhöflichkeiten gegenüber ihm gerade einmal ein Bruchteil ihrer tatsächlichen Spitzzüngigkeit beinhaltet hatte. Jeder, der Natsu näher kannte, würde das aus vollem Herzen bestätigen. Doch noch ehe Kuraiko reagieren konnte, zuckte plötzlich aus heiterem Himmel ein Blitz durch die Höhle und die Luft wurde etwas verzerrt, als aus dem Nichts eine braune, dreiäugige Kuh vor der Pantherdämonin stand. Die trat mehr aus Skepsis, als aus Überraschung einen Schritt zurück und musterte die seltsame Gestalt, die im Schneidersitz auf dem Rücken des Tieres hockte, einen langstieligen Hammer über der Schulter haltend, das schüttere graue Haar zu einem schmalen Zöpfchen zusammengefasst und dennoch etwas angekokelt. Sie erkannte einen Dämonenschmied, wenn sie einen sah, aber dieser hier kam ihr doch etwas suspekt vor, zumal er sie nicht beachtete, sondern von seiner Kuh sprang und sich Natsu zuwandte. „Gib mir dein Schwert“, forderte er brüsk und ohne ein Wort der Begrüßung. Perplex sah die Löwendämonin zu ihm auf. „Und warum sollte ich das, Alterchen?“, fragte sie spitz. „Gib es mir!“, wiederholte er nur und winkte diesmal auffordernd mit der Hand. „Ich denke ja nicht daran. Ashai-Ha ist mein Schwert, seit ich denken kann. Wer bist du überhaupt, dass du so etwas forderst?“, konterte die Schwarzhaarige und runzelte etwas die Stirn. Der Alte schnappte nach Luft. „Unerhört! Was geht es dich an, wer ich bin? Ich will bloß dein Schwert ha-" „Tôtôsai!“ Sesshômaru war es zu dumm geworden und er hielt es für besser, sich einzumischen. Kaum hatte er dessen Namen ausgesprochen, zuckte der alte Schmied zusammen und Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. „Sess…Sesshômaru-s-sama…“, stammelte er und blickte sich hektisch um. „Du wirst hier keinen InuYasha finden, hinter dem du dich verstecken kannst“, hielt Sesshômarus kühle Stimme ihn von seinem Vorhaben ab. Natsu stieß einen Laut aus, der entfernt an ein Husten erinnerte, hielt sich vermutlich gerade noch zurück, nicht loszulachen. Die Situation war auch einfach zu komisch. Sesshômaru ignorierte sie. „H-hai…Sesshômaru-sama“, stotterte der arme Schmied derweil und ließ den Blick nun einzig zwischen Natsu und dem weißhaarigen Inuyôkai hin und her wandern. „W-was tut Ihr h-hier, Sesshômaru-sama?“, fragte er dann vorsichtig. Sesshômaru zog eine Augenbraue hoch, worauf der alte Dämon sicherheitshalber einen Schritt rückwärts machte, dann überrascht die Augen aufriss, als er doch Antwort bekam. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, aber ich habe Natsu-hime begleitet. Mich würde allerdings interessieren, was du hier suchst.“ Es war das erste Mal, dass Sesshômaru Natsu mit dem ihr eigentlich zustehenden Titel als Hime ansprach und er tat es auch nur, um Tôtôsai zu ärgern, das konnte die junge Dämonin sich denken, aber irgendwo war das schon ein seltsam angenehmes Gefühl, so als würde er sie endlich ernst nehmen. „I-i-ich? G-garnichts!“, beteuerte Tôtôsai derweil, aber es klang falsch. Der Hundedämon warf ihm einen eisigen Blick zu, sodass der Alte sich seiner Gesundheit zuliebe besser doch erinnerte. „Ich… das Schwert hat mich gerufen… n-nein, eher die Schwertscheide.“ Dabei zeigte er mit einem zitternden Zeigefinger auf Natsu. Die blickte überrascht an sich herunter und erkannte erst jetzt den tiefen Riss, der die Schwertscheide beinahe spaltete. Das musste das Werk dieses Kristallaals sein. „Ich verstehe…“, murmelte sie und zog die Scheide aus dem Tuch um ihre Hüfte, vorsichtig darauf bedacht, ihre Beine nicht zu viel zu bewegen. Das bereitete ihr immer noch höllische Schmerzen. Mit ihrer Äußerung lenkte sie alle Blicke auf sich. Sie hielt die gesplitterte Scheide etwas hoch. „Hier, Schmied… Tôtôsai war dein Name? Kannst du sie reparieren?“ fragte sie mit hoch gezogenen Augenbrauen. Der Alte gab seine verschreckte Haltung sofort auf und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. Mit einer ruckartigen Bewegung riss er ihr die Scheide aus der Hand und betrachtete sie. „Natürlich“, antwortete er dabei. „Deswegen bin ich ja gekommen!“ „InuYasha!“ Shippôs weinerlicher Ruf war das Erste, das die erneute, diesmal fast andächtige, Stille nach dem Aufwachen des Hanyô brach. Der junge Kitsune klammerte sich an den Suikan des momentan Schwarzhaarigen und jammerte vor sich hin. Nun getrauten sich auch die anderen heranzukommen. Bloß Kirin und Yutaka hielten sich im Hintergrund. Kagome hatte ihre Hand auf die InuYashas gelegt, blickte ihn einfach nur an, ehe sie zu sprechen begann. Sie brauchte seine Frage nach dem Geschehenen nicht abzuwarten, sie wusste, dass er das erfahren wollen würde. „Zuerst einmal, es ist Neumond. Deswegen macht dir das, was geschehen ist, wohl auch mehr zu schaffen. Jedenfalls… dich traf vor etwas mehr als einem Tag hochkonzentrierte, reine Energie, reiner noch als Mikokraft. Sie hat dich lahmgelegt, ähnlich Kikyôs Bann damals. Aber wir konnten den Urheber ausfindig machen und er heilte dich, sobald es ihm möglich war. Das heißt, sobald du zum Menschen wurdest.“ Sie war wenig verwundert, als der Halbdämon sich sofort erneut erheben wollte, es ihm aber erneut nicht gelang. „Lass es, InuYasha. Du wirst dich noch regenerieren müssen.“ Der Hanyô verzog das Gesicht, gehorchte aber. Er merkte ja, dass er nicht vom Boden hoch kam, sein Rücken war noch wie gelähmt und außerdem hatte er Schmerzen. Bloß, dass er das niemals zugegeben hätte. „Miko?“, mischte sich da jemand ein. Es war Yutaka, der näher gekommen war. Kagome sah auf. „Auf ein Wort.“ Die junge Priesterin erhob sich und kam zu ihm. Aus irgendeinem Grund meinte Yutaka offenbar, dass das, was er zu sagen hatte, nicht an InuYashas Ohren gelangen sollte. Der Pferdedämon knete leicht seine Hände. „Kirin sagte mir gerade, dass etwas offenbar verhindert hat, dass dein Freund durchdreht. Aber… es ist noch immer nicht sicher, ob er die reine Energie so gut verarbeiten kann, dass er am Morgen wieder in seinen halbdämonischen Körper zurückwechselt. Es… es könnte sein, dass er tatsächlich für immer menschlich bleibt“, murmelte er vor sich hin. Da Kirin das ja vorhin schon einmal angedeutet hatte, erschreckten diese Worte Kagome wenig, sie nickte bloß. „Ich… ich weiß, Yutaka-san. Es täte mir Leid für ihn, aber wenn es so ist, dann ist es eben so“, flüsterte sie leise und lächelte den Pferdedämon beruhigend an. Der nickte ihr erleichtert zu und wandte sich wieder ab. Kagome kehrte zu ihrer Gruppe zurück und da das Lagerfeuer noch fröhlich vor sich hin flackerte, legten sich bald alle etwas zur Ruhe. Die seelische Aufregung der letzten zwei Tage machte nun großer Erschöpfung Platz und bald waren alle eingeschlafen, selbst InuYasha. „Sesshoumaru. Ein Hund in meinem Territorium. Das ich das noch erlebe…“, meldete sich Kuraiko da wieder zu Wort und kam wieder einen Schritt näher, den alten Schmied etwas skeptisch musternd, ehe sie sich an den weißhaarigen Inuyôkai wandte. „Als ob Ihr das nicht schon gewittert hättet, als Ihr her kamt“, wisperte Natsu, doch diesmal wurde sie weitestgehend ignoriert. Sesshômaru hatte sich erhoben. „Ich grüße Euch, Kuraiko. Allerdings sollte ich wohl darum bitten, dass Ihr mich mit mehr Respekt behandelt. Da Ihr abgedankt habt, ich aber amtierender Fürst bin, stehe ich wohl über Euch.“ Seine Stimme klang nach wie vor emotionslos. Die grünen Katzenaugen vor ihm verengten sich zu Schlitzen. „Sieh an, Euren Vater hat also das Zeitliche gesegnet?“, fragte sie spöttisch zurück. Sesshômaru sparte sich eine Antwort, knurrte nur kurz auf. Kuraiko öffnete die Augen wieder. „Kühl wie eh und je. Ihr habt Euch seit Eurer Kindheit wenig verändert“, bemerkte sie, ehe sie sich umsah. „Also, was sucht Ihr hier?“ „Den Ursprung Eures Bannkreises. Die Dämonenfürsten interessieren sich dafür“, gab Sesshômaru schlicht zurück, ohne sich weiter zu rühren. „Die Sekai no Tia. Ich verstehe. Deswegen ist Natsu hier. Also gut. Kommt mit.“ Die Stimme der Pantherdämonin ließ nicht verlauten, wie sie über die Sache dachte. Und ob sie überhaupt vorhatte, das Artefakt zu zeigen. Aber immerhin wiegelte sie nicht gleich ab. „Kuraiko-oba-sama? Euer Wächter hat mich böse erwischt, ich kann noch nicht wieder laufen“, mischte sich Natsu ein und ihr Ton klang diesmal ernsthaft unsicher. So eine Schwäche gab man nicht gern zu, aber es entsprach der Wahrheit. Ihre ‚Tante‘ ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Nun, Euer Begleiter wird Euch sicherlich tragen. – Nicht wahr, Sesshômaru-sama?“ Diesmal nutzte sie zwar die Ehrenanrede, ihr Zungenschlag blieb allerdings spöttisch. Sesshômaru beantwortete das mit einem kaum merklichen Heben des Kopfes, trat allerdings an Natsu heran und nahm sie auf. Die junge Löwendämonin sog erneut zischend die Luft ein, weniger weil Schmerz durch ihren Körper jagte, ging er doch nicht gerade zimperlich mit ihr um, sondern mehr weil seine plötzliche Bereitwilligkeit – und die Nähe – sie kurz aus dem Konzept brachten. Aber sie wusste, dass sie schon froh sein musste, dass er sie tatsächlich mit sich nahm. Das hätte er freiwillig sicher nie getan. Aber der Ehre zuliebe trug er sie vermutlich lieber, als unhöflich zu erscheinen. So verkniff sie sich einen weiteren Schmerzenslaut und hielt still. Ihre Hüfte und ein Teil der aufgeschlitzten Oberschenkel drückten schmerzhaft gegen seine Rüstung, da half es auch nichts, dass ihre Schulter in dem weichen Fell ruhte, das er trug, aber was sollte sie machen. Tôtôsai blieb zurück, während die drei anderen Dämonen auf den Höhlengang zuschritten, aus dem Kuraiko gekommen war. Es wurde Zeit, dass Sesshômaru seinen Auftrag endlich erfüllte. Sie wanderten ein gutes Stück durch den dunklen Gang, ehe der sich zu einer weiteren Höhle öffnete, deren Decke an mehreren Stellen durchbrochen war und Sonnenlicht hinein ließ. Trotz des harten Bodens wuchs hier ein wenig Gras und als Sesshômaru näher hinsah, erkannte er, dass der raue Fels hier natürlichem Marmor gewichen war. Das verlieh dem Kessel trotz der Abwesenheit jeglicher Einrichtung ein wenig edlen Anschein. Kuraiko drehte sich um, eine Hand flach ausgestreckt deutete sie auf eine Stelle an der Felswand. Sofort wich dort der Steinboden auseinander und Erde tauchte auf, auf der sich direkt ein Moospolster ausbreitete. Sesshômaru verstand die stumme Aufforderung und setzte Natsu dort ab, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Sein Gesicht war eine reine Maske, in der nicht einmal Kuraiko mehr Anlass zum Sticheln fand. Nichts wies darauf hin, ob der Missbrauch seiner selbst als Transportmittel ihn störte oder irgendeine andere Regung in ihm wach rief. Zum Glück… , stellte Sesshômaru für sich fest, denn er wollte wirklich nicht wissen, welche Sprüche Kuraiko wieder eingefallen wären, hätte sie gewusst, wohin seine Gedanken wanderten, wenn er nicht aufpasste. Natsus Witterung so nah, das war eine Tortur für ihn gewesen. Aber jetzt konzentrierte er sich auf die Pantherdämonin, die sich auf einen aus dem Nichts erschienen Baumstumpf gesetzt hatte und nach einer filigranen, silbernen Kette griff, die um ihren Hals hing. Die etwas dickere, grüne Kordel, die sie ebenso trug, rührte sie nicht an. Sesshômaru erinnerte sich, dass Natsu davon gesprochen habe, Kuraiko besitze je einen Reißzahn ihrer vier Kinder und vermutete zu Recht, dass die dort aufgefädelt waren. Was ihn aber eigentlich interessierte, war der Anhänger an der silbernen Kette, den Kuraiko nun hervorzog. Er war eisblau und tatsächlich wie eine Träne geformt. In dem halb durchsichtigen, kristallartigen Material brach sich das Sonnenlicht und ließ den Anhänger erstrahlen. Eine konstant hohe, magische Macht ging von dem Stein aus. „Das ist sie, die Sekai no Tia. Zufrieden, Sesshômaru?“ Er ignorierte geflissentlich, dass sie das –sama schon wieder vergaß und sah sie ausdruckslos an. „Die Dämonenfürsten sind sich einig, dass man ein Rifugium schaffen sollte, in das die Fürstentümer verlegt werden. Die Menschen werden zu häufig, als das es nicht nerven würde. Die Tia erscheint da als passendes Mittel, das zukünftige Rifugium abzuschirmen.“ Natürlich verschwieg er, dass die anderen Fürsten vom Voranschreiten der Angelegenheit bisher noch keine Ahnung hatten. Immerhin war er der Beauftragte, wenn man nach Fürst Gin ging. Aber das war etwas gänzlich anderes. Kuraiko zog eine Augenbraue hoch. „Mir scheint, es hat sich viel verändert. Nun, wenn ich theoretisch bereit wäre – und das heißt noch lange nicht, dass ich es bin – also, wenn ich bereit wäre euch die Träne der Welt zu überlassen, so müsste es jemanden geben, der die Tia hüten und über sie befehlen kann. Sonst ist sie für Euch nutzlos.“ „Wo ist das Problem?“, fragte Sesshômaru lauernd nach. „Kein Dämon kann das, kein Wesen mit Yôki. Ich bin eine Ausnahme, weil es mein ureigenes Artefakt ist und es mich anerkannt hat. Aber jeder andere Dämon würde nicht über es befehlen können. Es wäre ein schöner, aber leider völlig wertloser Stein.“ Innerlich verzog der Hundedämon das Gesicht. Das war in der Tat ärgerlich. Aber wenn kein Dämon… „Wer kann es hüten?“ „Das Gegenteil vom dunklen Yôki. Helle Kraft.“ Diesmal war sein Stirnrunzeln nicht zu übersehen. „Genki?“ Die Kraft der Götter? Na das könnte heiter werden. Kuraiko schüttelte allerdings den Kopf. „Nein. Schon Mikokraft würde vermutlich ausreichen.“ Auch nicht viel besser. „Welche Miko würde sich dem Wohle der Dämonen zur Verfügung stellen? Und was wäre, ginge ihre Lebenszeit zu Ende?“ „Wenn die Tia ihren Träger anerkannt, wird sie vermutlich dafür sorgen, dass er nicht wegstirbt“, erwiderte Kuraiko, ohne auf die erste Frage einzugehen. „Vermutlich“, wiederholte der Hundedämon eisig. „Ihr habt selbst keine Ahnung“ „Woher sollte ich. Aber ich kenne die Tia besser als jeder andere. Das ist das einzige, was ich mir vorstellen kann“ Sesshômaru verkniff sich ein resignierendes Schnaufen und konzentrierte sich auf das Wesentliche. „Welche Miko?“ Diesmal war seine Stimme beinahe wieder ein Knurren. Kuraiko zuckte die Schultern, undamenhaft, unhöflich, aber passend der Situation. Da meldete sich eine andere Stimme zu Wort. „Ich weiß nicht, was Euer Problem ist, Sesshômaru-sama. Was ist mit der Miko eures Bruders?“ Es war Tôtôsai, der nach getaner Arbeit hinter den dreien hermarschiert war und soeben den Höhlenkessel betrat. Er purzelte blitzschnell wieder von seinem buchstäblich hohen Ross, als Sesshômaru ihn anfunkelte. „Niemals!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)