Yoyogi von Harulein (Tsuzuku & Meto) ================================================================================ Kapitel 5: Takeshitadori ------------------------ Der nächste Tag war wieder ein Samstag. Tsuzuku machte sich nachmittags auf den Weg nach Harajuku. Meto würde dort sein, dessen war er sich sicher. Und als er über die Brücke ging, sah er ihn. Er stand an der Mauer bei einem Fotografen, der offenbar ein Bild von ihm machen wollte, doch es sah nicht so aus, als wäre Meto damit einverstanden. Er schüttelte heftig den Kopf, während der Fotograf auf ihn einredete und wohl versuchte, ihn davon zu überzeugen, wie toll es doch sei, ein Foto von sich in einer Zeitschrift zu haben. Tsuzuku ging auf die beiden zu. „Alles okay, Meto?“, fragte er. Der Junge sah ihn stumm an, deutete dann auf die Kamera und schüttelte den Kopf. „Aber warum denn nicht?“, fragte der Fotograf verständnislos. „Ich bin von der KERA, ich mache die Streetsnaps. Im nächsten Monat könntest du da als Großaufnahme zu sehen sein!“ „Sehen Sie denn nicht, dass Meto das nicht möchte?“, fuhr Tsuzuku ihn an. „Sie können doch kein Foto von jemandem machen, der gar kein Interesse an einer Großaufnahme von sich in einer Zeitschrift hat!“ Meto warf ihm einen dankbaren Blick zu. „Hier sind genug andere Mädchen, die Sie fotografieren können“, sagte Tsuzuku zu dem Fotografen und zeigte auf eine Gruppe von sehr fantasievoll kostümierten Decora-Mädchen. „Komm, Meto, wir gehen irgendwo einen Kaffee trinken.“ Meto folgte ihm, ohne den Fotografen, der sich nun tatsächlich den Mädchen zuwandte, noch eines Blickes zu würdigen. Zusammen betraten sie ein kleines Café in der Nähe der Takeshitadori. Meto zog seinen Block und den Stift hervor und schrieb: „Danke, Tsuzuku.“ „Gern geschehen.“ Tsuzuku lächelte. Heute hatte er sich ein wenig mehr zurechtgemacht, trug ein schwarzes Oberteil, das zum Teil aus Netz bestand, und eine ebenfalls schwarze Hose, darüber einen eleganten dunklen Mantel, mehr Make-up und die Haare für Visual Kei typisch toupiert und mit Haarspray in Form gebracht. Er betrachtete Metos Outfit. Dieses Mal war es ein hellrosa-weißes Sweet Lolita-Kleid, darunter eine weiße Bluse, wieder mit langen Ärmeln, und weiße, mit einem Spitzenband verzierte Kniestrümpfe. Auf den blonden Locken saß eine rosa Haarschleife und er trug etwas dezenteres Augen-Make-up, dafür mit himmelblauen Kontaktlinsen. „Du siehst toll aus“, sagte er und zeigte auf das Kleid. „Danke. Das ist fast neu, ich hab es erst vor drei Wochen gekauft.“ „Und? Was hast du heute so vor?“ „Ich wollte mir noch ein paar neue Sachen kaufen.“ „Darf ich dich begleiten?“ Meto nickte und lächelte. Er wunderte sich ein wenig über sich selbst. Bei Tsuzuku fiel ihm alles so leicht, er schrieb flüssig und für seine Verhältnisse recht viel. So viele Worte machte er sonst nur seinen Eltern und Kasumi gegenüber. Tsuzuku kannte er erst seit einer Woche und trotzdem konnte er relativ leicht mit ihm kommunizieren. Vielleicht, so dachte er, vielleicht hatte er nur auf jemanden wie Tsuzuku gewartet, der in manchen Dingen genau so war wie er. Meto ahnte, dass Tsuzuku nicht gerade das sozialste Wesen war und allein deshalb fühlte er sich mit ihm verbunden. Nach dem Kaffee machten sie sich auf den Weg in die Takeshitadori, wo sich die vielen, kleinen Szeneläden dicht aneinanderdrängten und sich die samstägliche Menschenmenge an den Auslagen und Schaufenstern entlang schob. Meto machte große Augen angesichts der vielen Leute und auch Tsuzuku war das dichte Gedränge nicht geheuer. Als sie die tokyoter Filiale von Sex Pot ReVeNGe erreichten, hatten sie beide erst einmal genug von der dicht bevölkerten Straße und waren froh, einen Laden betreten zu können. „Das ist ja mal ganz was anderes“, sagte Tsuzuku im Hinblick auf Metos Lolita-Outfit und die punkigen, dunklen Sachen im Laden. Meto hatte seinen Notizblock jetzt ständig in der Hand und schrieb: „Solche Sachen mag ich auch.“ „Du magst alles, Hauptsache es ist anders als das, was man normal nennt, oder?“ Meto nickte und griff nach einem schwarzen T-Shirt, das auf der Vorderseite ein großer, mit kleinen Nieten besetzter Totenkopf schmückte. Es war weit und gerade geschnitten, würde so seine zierliche Figur sicher noch schmaler und niedlicher wirken lassen. „Willst du’s anprobieren?“, fragte Tsuzuku. „Erst mal suche ich noch andere Sachen, dann probier ich alles zusammen an.“ Eine rot-schwarz karierte Hose, einen schwarzen Minirock, zwei weitere T-Shirts und eine Anzahl punkiger Schmuckstücke später zog sich Meto mit den Sachen in eine der Umkleidekabinen zurück. Tsuzuku blieb davor stehen, bereit, eventuell abgewählte Kleidungsstücke wieder zurück zu bringen. Nach einer Weile öffnete sich der Vorhang ein Stück weit, Meto steckte seinen Kopf heraus und sah sich um, ob noch jemand anderes in der Nähe war. Als er feststellte, dass außer Tsuzuku niemand da war, kam er in der Hose und einem langärmligen T-Shirt aus der Kabine und sah ihn fragend an. „Sieht toll aus.“ Tsuzuku lächelte. „Aber du solltest die Haare dazu anders tragen.“ Meto nickte. Dann verschwand er wieder in der Kabine, zog das Totenkopf-T-Shirt und den Rock an, um sich Tsuzuku wenig später erneut zu zeigen. Das Shirt hatte kurze Ärmel und einen an den Schultern recht weiten Ausschnitt, und so war ein Stück von Metos unfertigem Tattoo zu sehen. „Wow, was ist das?“, fragte Tsuzuku. Meto holte seinen Block und schrieb: „Zeig ich nicht, ist noch nicht fertig.“ „Und was wird das mal?“ Doch Meto sah ihn nur geheimnisvoll an. „Verrate ich nicht.“ „Okay, dann bin ich ja mal gespannt.“ Tsuzuku lächelte und während Meto sich erneut umzog, dachte er ein wenig über ihn nach. Der Junge war ein lupenreiner Exzentriker, in jeder Hinsicht exotisch und in kaum einer normal. Hellblond gefärbte Haare, Piercings an Mund, Ohren und Wangenknochen, dazu offenbar noch unfertige Tattoos, deren Motiv sicherlich ebenso exzentrisch geplant war wie alles an Meto, dieser stummen, lebenden Kunstpuppe. Tsuzuku erkannte, dass der Kleine offensichtlich einer Art allumfassendem Selbstverwirklichungsprojekt folgte und dieses mit einer für sein Alter fast ein wenig ungewöhnlichen Entschlossenheit durchzog. Er schien ganz genau zu wissen, was er in Bezug auf sein Aussehen und Auftreten wollte und was nicht. Als Meto zum dritten Mal aus der Kabine kam, im dritten T-Shirt und der karierten Hose, da zog Tsuzuku seinen Mantel aus und legte die großen Tätowierungen frei, die er auf den Armen und der Brust hatte. Meto starrte ihn bewundernd an. „Wow, die sehen toll aus! Wenn meine fertig sind, zeig ich sie dir auch ^^ “ Während der einen Woche, die seit ihrer ersten Begegnung vergangen war, hatten beide ein paar Mal an den jeweils anderen gedacht, sich so ihre Gedanken darum gemacht, wie der andere wohl war, und fühlten sich dem anderen deshalb schon auf eine bestimmte Weise verbunden. Als Meto sich wieder umgezogen hatte, sie dann schließlich zusammen zur Kasse gingen und Meto die Sachen bezahlte, fiel ihm auf, dass sein Vater Recht hatte: Er besaß nicht mehr allzu viel Geld. In nächster Zeit würde er hier nicht mehr sehr oft einkaufen können, von den noch teureren Lolita-Läden ganz zu schweigen. Seine Laune sank, als ihn die über den Tresen gehenden Geldscheine daran erinnerten, dass er bald eine Geldquelle brauchen würde. Er brauchte einen Job und hatte noch immer keinen Plan, wie das gehen sollte. „Was ist los?“, fragte Tsuzuku, der Metos Stimmungsumschwung bemerkte, als sie den Laden verlassen hatten. Meto antwortete zuerst nicht, dann schrieb er: „Ich hab bald kein Geld mehr und ich weiß nicht, wie ich welches bekommen soll.“ „Hm… ja, ein Job ist wahrscheinlich für dich schwer zu finden, oder?“ Meto nickte. „Meine Eltern wollen, dass ich mir Geld verdiene. Bisher hab ich alles von meinen Ersparnissen bezahlt. Aber für einen Job müsste ich sprechen können.“ „Und das kannst du nicht? Redest du zu Hause denn auch nicht?“ „Nein. Nirgends. Auch nicht, wenn ich allein bin. Ich habe seit über zwei Jahren nicht mehr gesprochen.“ Fast hätte Tsuzuku „Und warum nicht?“ gefragt, doch er ließ es lieber. Das ging ihn noch nichts an. Vielleicht würde Meto es ihm irgendwann mitteilen, wenn sie sich noch besser kannten. „Und? Wo möchtest du als nächstes hin?“, fragte er stattdessen. Meto sah sich um, entdeckte dann ein unscheinbares Ladenschild und lief darauf zu. Tsuzuku folgt ihm und erkannte, als er ebenfalls vor dem Schild stand, dass es sich um ein Tattoo-Studio handelte. „Mein Geld heute reicht noch für eine Session.“ „Lässt du das immer hier machen?“ „Ja, der hat auch meine Piercings gestochen.“ „Ken Kawakami Tattoo-Shop“ stand auf dem schwarzen Schild, umgeben von weißen Flammen und Totenköpfen. Meto betrat den Laden zielstrebig und die junge, mit einem langen Lederkleid bekleidete Frau am kleinen Empfangstresen schien ihn schon zu kennen. „Na, Meto-chan, geht’s weiter mit dem Baby?“, fragte sie. Meto legte den Zeigefinger auf die Lippen und zeigte auf Tsuzuku. Dann schrieb er: „Das ist ein Freund von mir und er soll’s noch nicht wissen. Ist eine Überraschung.“ „Aha, heute bist du also nicht mit Kasumi-chan hier?“ „Kasumi-chan hat keine Zeit.“ „Na dann…“ Sie kam um den Tresen herum und führte Meto hinter einen Vorhang, hinter dem sich den summenden Geräuschen nach der Tätowierraum befand. Tsuzuku setzte sich auf einen der Stühle im Eingangsbereich und nahm sich eine der herumliegenden Zeitschriften. Vielleicht war darin ja eine Idee für ein neues Tattoo. Es war eine Weile her, seit er zum letzten Mal beim Stechen gewesen war und auf einmal bekam er Lust, den großen Tattoos auf Brust und Armen ein neues hinzuzufügen. Währenddessen setzte Meto sich auf die Liege im Tätowierraum und wartete auf Ken, der wenig später aus dem Hinterzimmer kam. „Meto-chan will an dem Baby weitermachen“, sagte das Empfangsmädchen. Das „Baby“ war die Abbildung eines teilweise stilisierten Embryos im Mutterleib, mit Piercings im Ohr, und in bunten Farben ausgemalt. Noch erstreckte sich der Anfang dieses Bild nur über Metos Schulter und einen Teil seiner Brust, doch geplant war, dass es sich noch ein ganzes Stück weiter nach unten ausdehnen sollte. Für Meto war dieses Tattoo eine Art Selbstbildnis mit der Botschaft: „Ich bin schon vor meiner Geburt anders gewesen und deshalb werde ich auch immer anders sein.“ Er hatte die Vorskizze zu diesem Motiv selbst gezeichnet und Akiko, das Mädchen im Lederkleid, die eine begabte Tattoozeichnerin war, hatte den Entwurf dann bis zu seiner jetzigen Form ausgearbeitet. Ken sah sich die Zeichnung noch einmal an, suchte dann die entsprechenden Farben zusammen und begann, die Nadel zu füllen. „Wie viel soll’s denn heute werden?“, fragte er. Meto zog sein Portmonee aus der Tasche, zeigte die letzten Scheine und schrieb: „So viel, wie ich hierfür bekomme.“ „Willst du Betäubung? Heute geht’s wieder über Knochen und du bist so dünn.“ Meto nickte. Bei seinem ersten Tattoo, dem schwarz-roten Anarchie-A auf seinem Brustbein, hatte er auch mit Betäubung stechen lassen. Damals, weil es sein allererstes Tattoo gewesen war. Und heute, weil er vor Tsuzuku nicht als jemand dastehen wollte, dem es von ein bisschen tätowieren wehtat. „Okay.“ Ken hatte die Nadel inzwischen fertig vorbereitet und schickte Akiko hinaus. Meto öffnete das Kleid, zog die Bluse aus und legte sich hin … „Dann kommst du nächste Woche wieder zum Colorieren, ja?“, sagte Ken, als er fertig war. Meto hatte während des Stechens die Augen geschlossen und öffnete sie nun langsam wieder. Er nickte. Ken hielt ihm einen Spiegel hin. „Ist gut so?“ Der neue Teil des Tattoos war noch ohne bunte Farben, doch es sah gut aus und Meto griff sich seinen Block und schrieb: „Ja, sieht toll aus ^^ “ Seine Schulter und Brust fühlten sich taub an und er musste sich ein wenig konzentrieren, um den linken Arm ganz natürlich zu bewegen. Ken warf einen Blick auf die Tunnel in Metos Ohrläppchen. „Willst du größere haben?“, fragte er. „Die kann ich dir dann gleich heute mitgeben.“ Meto nickte und zog sich Kleid und Bluse wieder an. Er stand auf, nahm seine Tasche und folgte Ken, der in den Hauptraum ging, dort zwei neue Tunnel aus einer Sortierkiste aussuchte und in einer kleinen Papiertüte verpackte. „4000 Yen sind das dann“, rechnete Akiko aus. Tsuzuku, der bis jetzt in der Zeitschrift geblättert hatte, stand kurzentschlossen auf und sagte: „Ich bezahle das!“ Meto starrte ihn ungläubig an. „Ich hab einen Job, du nicht. Bei mir kommt immer wieder neues Geld nach, während du langsam deine Ersparnisse aufbrauchst“, erklärte Tsuzuku, kramte seinen Geldbeutel hervor und legte vier 1000-Yen-Scheine auf den Tisch. Meto sah ihn erst noch etwas zögerlich an, dann lächelte er. Vorhin schon hatte er Tsuzuku als „einen Freund“ bezeichnet und jetzt, in diesem Moment, wurde ihm klar, dass sie sich längst angefreundet hatten. Schon am Sonntag, als sie den Nachmittag zusammen verbracht hatten. Seltsam, er hatte nicht gewusst, dass man sich so schnell anfreunden konnte, und sich selbst zugetraut hatte er das schon lange nicht. Ein plötzliches Hochgefühl erfüllte ihn und er strahlte Tsuzuku an. Sie verließen das Tattoo-Studio und als sie an einem kleinen Essensstand vorbeikamen, lud Tsuzuku Meto wieder zum Essen ein. „So, und jetzt kaufe ich mir auch ein paar Sachen“, sagte der Ältere schließlich und deutete auf einen Gothic-Laden gegenüber des Cafés. In dem Laden hatte er den Mantel gekauft, den er heute trug, und auch jetzt sah er im Schaufenster etwas, das ihn interessierte: Ein schwarzes Hemd mit applizierter, zerfetzter, ebenfalls schwarzer Spitze. „Hast du denn noch Geld?“ „Ja, mach dir darum keine Gedanken.“ Tsuzuku bezahlte, dann gingen sie beide über die Straße und betraten den Laden. Er war innen größer, als es von außen aussah, und in der oberen Etage wurde Musik von Moi dix Mois gespielt. Tsuzuku ging zielstrebig zur Kasse, um nach dem Hemd im Schaufenster zu fragen. Die Person hinter dem Tresen hatte hellpink gefärbtes Haar, das vorn in der typischen Visual Kei-Art das fein geschnittene Gesicht rahmte, und groß geschminkte, blau gefärbte Augen. Hätte er nicht in diesem Moment gefragt: „Was wünschen Sie?“, dann wäre der junge Mann von einer Frau kaum zu unterscheiden gewesen. Zwar gehörten feminin zurechtgemachte Männer zu Tsuzukus Alltag, doch einem mit hellpinken Haaren war selbst er noch nicht begegnet, deshalb fiel es ihm besonders auf. „Ich würde gern das schwarze Hemd anprobieren, das unten im Schaufenster hängt“, sagte er. Meto sah sich derweil bei den Gothic Lolita-Röcken um. „Warten Sie bitte einen Moment“, erwiderte Rosa-Haare-san, verschwand die Treppe hinunter und kam wenig später mit dem Hemd zurück. Tsuzuku warf einen Blick auf das Namensschild, wo in Kanji der Name „Koichi“ zu lesen war. Er zog sich in die Umkleidekabine zurück, probierte das Hemd an und rief dann nach Meto, der sofort vor der Kabine auftauchte. „Und? Steht mir das?“, fragte Tsuzuku und trat aus der Kabine. Meto lächelte, holte seinen Block heraus und schrieb: „Ja. Sieht echt toll aus! ^^ “ Während Tsuzuku sich wieder umzog, hörte er, wie der offenbar recht extrovertierte Koichi Meto ansprach: „Hey, du bist ja süß angezogen! Wie heißt du denn?“ Natürlich erhielt er keine Antwort. „Redest du nicht?“ Tsuzuku war fertig, öffnete den Vorhang und sah, wie Meto den Kopf schüttelte. „Macht nichts, du siehst trotzdem süß aus.“ Koichi lächelte strahlend. Meto erwiderte das Lächeln, jedoch sehr viel schüchterner, und wandte sich, ein wenig hilfesuchend, an Tsuzuku. „Er hat’s nicht so mit reden“, sagte Tsuzuku. „Er?“ Koichi strahlte immer noch. „Du bist ein Junge?“ Meto nickte zögerlich. „Herzlichen Glückwunsch, ich hätte dich glatt für ein kleines Mädchen gehalten! Hast du denn ‘nen Namen oder so?“ Meto schrieb seinen Nicknamen auf und hielt Koichi den Zettel hin. „Meto also, ja? Werd ich mir merken, falls du dich hier noch mal umsehen magst.“ Als Tsuzuku das Hemd bezahlte, kramte Koichi noch in einer Schachtel hinter dem Tresen. „Hier, für dich, Meto-chan, weil du so hübsch aussiehst.“ Mit diesen Worten drückte er Meto einen kleinen Anhänger mit Totenköpfen und Sicherheitsnadeln in die Hand. Als sie wieder draußen auf der Straße standen, strahlte Meto über das ganze Gesicht. Zwar bekam er hin und wieder Komplimente für seine Outfits, doch so direkt war bisher noch kaum einer gewesen. Und ein Geschenk hatte er bisher auch nicht dafür bekommen, dass er so aussah. Mal abgesehen von dem aufdringlichen Fotografen am Anfang hatte dieser Nachmittag die Chance, einer der besten in Metos Leben zu werden. Und das lag vor allem an Tsuzuku. Sie zogen noch ein wenig durch die Läden, sahen sich dies und das an, kauften jedoch nichts mehr. Schließlich gingen sie die Straße wieder hinauf, Richtung Yoyogi-Park, überquerten die noch immer von kostümierten und bunt gekleideten Mädchen (und vielleicht auch Jungen) bevölkerte Brücke und setzten sich im Park auf eine der Bänke. Auf einmal hatte Meto eine Idee: Er holte seinen Notizblock hervor und schlug die letzte Seite auf. Dann schrieb er auf die Innenseite des Kartonumschlages: „Menschen, die sehr nett zu mir sind“ und begann, diese einen nach dem anderen untereinander aufzulisten: „Mama, Papa, Kasumi, Tsuzuku, Ken, Akiko, Koichi vom Gothic-Laden“ Tsuzuku sah das und warf einen kurzen Blick auf diese Liste. „Wer ist denn eigentlich Kasumi?“, fragte er. Meto schlug wieder die aktuelle Seite in seinem Block auf und schrieb: „Kasumi kenne ich schon fast mein ganzes Leben lang. Sie ist so alt wie ich und wohnt gegenüber von meinem Zuhause. Sie ist wohl meine einzige Freundin… obwohl… jetzt hab ich ja auch noch dich… ^^ “ „Und der hier?“ Tsuzuku zeigte auf Ruana, die ihren flauschigen Kopf aus Metos Handtasche streckte. „Mit Ruana rede ich. Aber ohne Ton.“ „Kann er Lippenlesen?“ „Ja. Aber Ruana ist ein Mädchen.“ „Ach so. Dann hast du also zwei gute Freundinnen?“ „Ja, sozusagen.“ „Also bist du gar nicht so allein.“ „Und du? Hast du Freunde, auf deiner Arbeit oder so?“, fragte Meto. Tsuzuku überlegte kurz. Na ja, da gab es Hiroki und Miki. Immerhin war er gestern mit den beiden zum Karaoke gewesen, hatte ihnen einen Blick auf seine Liebe zur Musik erlaubt. Aber ob man das schon „Freunde“ nennen konnte? Das Wort passte irgendwie besser auf Meto. „Hm, ja, was man halt so für Bekannte hat. Wir verstehen uns ganz gut, aber im Grunde kennen sie mich nicht wirklich. Ich… na ja, ich kann nicht so gut mit Menschen…“ Meto sah ihn an, aufmerksam und verstehend. „Ich auch nicht. Aber mit dir kann ich gut.“ „Schon komisch, oder?“ Der Kleine nickte. „Menschen sind komisch, und wir sind auch welche, also müssen wir wohl auch komisch sein.“, schrieb er dann. „Eine gute Erkenntnis“, sagte Tsuzuku. Langsam ging die Sonne unter und tauchte den Park für kurze Zeit in goldene Strahlen. Es wurde ein wenig kühler und Meto begann, in seiner dünnen Bluse zu frösteln. Seine Schulter fühlte sich immer noch ein wenig taub an und er hatte keine Jacke dabei. Tsuzuku stand auf und zog seinen Mantel aus. „Hier, mir ist nicht kalt.“ Meto sah ihn zuerst zögernd an, dann lächelte er und zog sich den Mantel um die Schultern. „Wann musst du zu Hause sein?“ „Wann ich will. Und du?“ „Ich wohne allein, ich kann’s mir aussuchen“, sagte Tsuzuku und fragte dann: „Hast du ein Handy? Dann könnte ich dir schreiben und wir können uns wieder treffen.“ Meto nickte und kramte sein Handy aus der Tasche. Tsuzuku nannte ihm seine Nummer und als der Jüngere diese abgespeichert hatte, nannte er ihm seine. Als sie sich am Bahnhof voneinander verabschiedeten, hatten beide das Gefühl, wirklich einen neuen Freund gefunden zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)