Yoyogi von Harulein (Tsuzuku & Meto) ================================================================================ Kapitel 14: Tsuyu ----------------- Wieder sahen sie sich fast eine Woche lang nicht. Bis Samstag. Obwohl das Wetter mäßig war, ziemlich warm und dicht grau bewölkt, trafen Tsuzuku und Meto sich auch an diesem Samstag im Yoyogi. Schließlich wollten sie heute wieder mit Dis:Hana auftreten, hatten mit MiA alles abgesprochen und freuten such natürlich auch darauf. Meto hatte das schwarze Lolita-Kleid von ihrem ersten Treffen an, dazu eine kurzärmlige weiße Bluse, schwarze Kniestrümpfe und flache, schwarze Schuhe. Da NHK für den Nachmittag den ersten Regen der Regenzeit angekündigt hatte, hatte er auch den Schirm dabei, dazu die große, schwarze Lacktasche, aus der Ruanas Köpfchen herausschaute. „Mal wieder mit Locken?“, fragte Tsuzuku lächelnd und strich vorsichtig über die sorgfältig eingedrehten, hellblonden Locken seines Freundes. Meto lächelte zurück. Sie gingen an der Bank vorbei, auf der Tsuzuku gesessen hatte, als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. „Weißt du noch?“, fragte Meto leise. „Das ist noch gar nicht lange her.“ „Ja, stimmt. Fast nicht zu glauben, oder?“ Meto nickte, wieder mit diesem kleinen Leuchten in den Augen, das zeigte, dass er wieder etwas Ungewöhnliches vorhatte. Er griff Tsuzukus Hand, verhakte seine eigene, kleine, mit der größeren, schlanken des Älteren und drückte sie fest. Auf einmal blieb er stehen, stellte sich vor Tsuzuku, dessen Hand immer noch fest im Griff, und küsste seinen besten Freund hier, in aller Öffentlichkeit, auf die Wange. „Ich bin so froh, dass ich dich hab, Tsuzuku. Weil ich hab dich nämlich ganz, ganz furchtbar lieb“, flüsterte er. „Weiß ich“, antwortete Tsuzuku. „Ich dich doch auch.“ Die Leute, die ihnen im Vorbeigehen irritierte Blicke zuwarfen, waren ihnen beiden so ziemlich egal. Das war ein Vorteil davon, am Rande der Gesellschaft zu stehen: Man hatte mehr Freiheit, zu tun, was man wollte, ohne dass es etwas bedeuten musste. Weil solche freundschaftlichen Küsse sowieso kaum jemand verstand. Warum sich also um die Gedanken völlig fremder Menschen kümmern? Hand in Hand gingen sie weiter bis zum Platz, wo Dis:Hana gerade ihre Instrumente aufbauten. Genauer gesagt MiA und Hiroaki. Von Shun und Akio war weit und breit nichts zu sehen. Hiroaki baute gerade das Schlagzeug auf. „Hey, ihr“, begrüßte MiA sie. „Ihr kommt gerade richtig heute. Shun hat eben abgesagt und Akio hat nur wenig Zeit, der macht nur zwei Songs mit.“ Meto bemerkte es im selben Moment wie Tsuzuku: die Stimmung zwischen MiA und Hiroaki war nicht die beste. Es lag eine dünne, aber spürbare Eisschicht in der Luft. Anscheinend waren die Probleme innerhalb der Band größer geworden. MiA hatte ja schon durchblicken lassen, dass es Schwierigkeiten wegen des gemeinsamen Zeitplanes gab, und dass Shun und Akio heute ausfielen, verdeutlichte das unübersehbar. „Aber Ausrüstung ist alles da, oder?“, fragte Tsuzuku. MiA nickte. „Hiro und ich haben heute alles allein hergeschafft, der Van steht bei der Brücke.“ Er hob den Kopf und sah zum Himmel. „Hoffentlich wird’s uns heute nicht verregnet oder so. Sieht ja nicht gut aus, die Wolken.“ „Wird wohl die Regenzeit sein. Sie ist dieses Jahr aber spät dran“, sagte Tsuzuku und erst jetzt fiel es ihm auf, wie leicht es ihm fiel, sich mit MiA zu unterhalten. Es war ähnlich wie mit Koichi. Als hätte Meto bei Tsuzuku eine Art Tor geöffnet. Und dass er mit seinem Freund auch endlich über den Grund seiner Schwierigkeiten gesprochen hatte, das hatte eine große Last von seinen Schultern genommen. „Das ist aber nicht gut. Wenn wir jetzt wegen Regen pausieren müssen, dann…“, sagte Hiroaki. MiA sah ihn an, sagte aber nichts dazu. Stattdessen wandte er sich an Meto. „Na, Metochen, wie geht’s dir?“, fragte er. Meto war kurz in Gedanken versunken gewesen, doch als er merkte, dass MiA mit ihm sprach, lächelte er. Was für Gedanken waren das gewesen? Sie bezogen sich auf den blonden Gitarristen, beziehungsweise auf dessen Wort bei ihrem Zusammenspiel in Metos ‚Probenraum‘. „Vielleicht muss ich MiA einfach noch ein wenig besser kennen lernen“, dachte er. „Mal sehen, ob ich dann mit ihm reden kann. Er scheint mich ja irgendwie gern zu mögen.“ MiA bedeutete Meto und Tsuzuku, sich zu ihm auf die Decke auf dem Boden zu setzen. Auf der anderen Seite des Platzes baute eine zweite Band gerade ihre Instrumente auf, es war eine gemischte Band und die Sängerin winkte zu Dis:Hana hinüber. Hiroaki lächelte zurück, stand auf, sagte: „Ich geh mal eben zu Sayuri rüber“ und ging in Richtung der anderen Band. „Habt ihr Streit?“, fragte Tsuzuku leise, als der Bassist außer Hörweite war. „Nicht direkt, aber irgendwie… na ja, das mit der Zeit und so… und er weiß halt, dass ich ehrgeizig bin und nicht wirklich dran glaube, dass aus Dis:Hana mal was wird“, antwortete MiA. „Dann… steht ihr kurz vorm Disbanding?“ „So würd ich’s noch nicht sagen, aber ich weiß nicht, was passiert, wenn es demnächst so richtig knallt. Zwischen Shun und Hiro sieht’s nicht gut aus.“ MiA sah zu Hiroaki hinüber und fügte hinzu: „Die da drüben heißen Flower und sie haben vor drei Wochen ihren Bassisten verloren, der ist aus Tokyo weggezogen. Und Hiro mag die Sängerin. Kann sein, dass er irgendwann da einsteigt.“ Es sah also wirklich nicht gut aus mit der Band. Meto fand es furchtbar, so die Träume anderer zerbrechen zu sehen, doch er fand keine mitfühlenden Worte, nicht mal geschrieben. Auch das bekam er nur bei Tsuzuku wirklich hin. MiA nahm seine Gitarre und ließ seine Finger über die Saiten hasten, fast als wäre das eine Gewohnheit. „Aber heute sind wir noch eine Band, auch wenn Shun nicht da ist. Wir haben ja einen echt guten Ersatz.“ Er lächelte Tsuzuku an. „Fangen wir ohne Akio an?“, fragte dieser. „Ja, der kommt erst später. Und wir sollten uns ein bisschen beeilen, denn wer weiß, wann es zu regnen anfängt. Bereit, Metochen?“ Meto nickte begeistert. Er ging zum Schlagzeug, stellte seine Tasche dahinter ab, nahm Ruana heraus und setzte sie vorn auf das Gestell, als eine Art Glücksbringer. „Hiro, komm rüber, wir fangen an!“, rief MiA dem Bassisten zu. Dieser kam zurück, hängte sich seinen Bass um und Meto begann schon, auf das Schlagzeug einzuhämmern. MiA kündigte den ersten Song, ein Gazette-Cover, an. Für Tsuzuku war es wie das Eintauchen in seinen liebsten Tagtraum. Er sah, wie sich die Bangya von der Wiese auf dem Platz sammelten, wie sie sich freuten, dass die Musik losging, die Arme hochrissen und vom ersten Ton an mitfeierten. Und er ging voll darin auf, gab alles und fühlte sich dabei so gut, dass er fast völlig in der Musik versank. Doch nicht so weit, dass er es sich nehmen ließ, das tanzende Publikum zwischen den Zeilen des Liedes weiter anzufeuern. Auf einmal ging alles ganz leicht, seine frühere Befangenheit war wie weggelöscht und er hatte das Gefühl, zu schweben. Und dann sah er hinten im Publikum jemanden wild winkend auf und ab hüpfen, den er sofort erkannte: Koichi. Er drehte sich zu Meto um und sah, dass dieser den pinken Haarschopf ebenfalls bemerkt hatte und Koichi schon eine ganze Weile anstrahlte. Dass Koichi da war, gab Tsuzuku nochmal einen Schubs und er zog seine Jacke aus, sodass das engmaschige Netzhemd, welches er darunter trug, offen zu sehen war. Alles war ganz einfach, ohne Angst und vor seinem inneren Auge sah er sich wieder auf einer echten Bühne stehen, diesmal mit Meto, MiA und Koichi zusammen. Und er wusste: diesen Traum zu verwirklichen, lag bei ihm selbst. Er musste sich selber darum kümmern, das kam nicht von allein. Koichi rief ihm irgendetwas zu, das er jedoch nicht verstand, doch zum Zeichen, dass er es bemerkt hatte, riss er den linken Arm hoch und winkte zurück. Nach dem dritten Song war er total erschöpft, aber glücklich. Er schrie dem Publikum ein lautes „Thank you“ zu, verbeugte sich und warf dann einen kurzen Blick zum Himmel. Die grauen Wolken waren dichter und schwerer geworden und enthielten nun sicherlich eine Menge Regen. „Akio müsste gleich da sein“, sagte MiA und stellte seine Gitarre ab. „Meto, alles klar?“ Meto nickte. Er war ebenfalls ziemlich erschöpft und konnte eine Pause gebrauchen. Aber vor allem freute er sich unheimlich darüber, wie offensichtlich leicht Tsuzuku dieser Auftritt gefallen war. Schließlich tauchte Akio auf und sie spielten noch ein Lied. Denn gerade, als sie das zweite anfingen, fielen die ersten Regentropfen. Zuerst machte ihnen das noch wenig aus, doch der Regen wurde schnell stärker und das mehr zufällig zusammen gekommene Publikum löste sich langsam auf, zumal das Lied eher eins der ruhigeren Sorte war. „Aus, Ende, Schluss für heute“, rief Hiroaki, was dann auch die letzten Leute dazu brachte, sich einen Unterstand zu suchen. Nur einer blieb da: Koichi. Er trug eine schwarze Sweatjacke, deren Kapuze er schon bei den erste Tropfen aufgesetzt hatte. Mit einem strahlenden Lächeln kam er auf sie zu und sagte: „Wow, ihr seid ja echt Wahnsinn!“ „Danke.“ Tsuzuku fühlte sich immer noch schwebend. Trotz des Regens hielt seine gute Laune an, einfach weil dieser Auftritt einer der besten Momente seines Lebens gewesen war. „Hey, Meto-chan, heute mal in Schwarz?“ Meto nickte und strahlte Koichi an. Irgendwie hätte er jetzt sogar gern etwas gesagt, doch seine Stimme fühlte sich an wie festgeklebt und er traute sich auch nicht. „Beeilung, Leute, wir müssen jetzt schnell abbauen, sonst geht noch was kaputt!“, kommandiere MiA. „Ich helfe mit“, sagte Koichi und deckte einen der Verstärker vorsichtig mit der Schutzhülle ab. Zu sechst bauten sie die Instrumente ab und trugen alles nacheinander zum Van, der hinter der Brücke in Richtung Takeshita am Straßenrand geparkt war. Akio verschwand, als fast alles eingeladen war, und so zog MiA für die letzten Kleinigkeiten noch einmal allein los, während Hiroaki Zigaretten holte. „Meto?“, fragte Tsuzuku, als sie zusammen hinten im Van saßen und gedankenverloren den Regen draußen beobachteten. „Hm?“ „Während des Auftrittes eben… da hatte ich so eine Vorstellung. Ich hab mich gesehen, auf einer richtigen, großen Bühne. Du warst auch da und MiA und Koichi. Und ich will, dass das was wird. Das ist nämlich das, was ich schon immer tun wollte.“ Meto nickte und strahlte Tsuzuku an. „Ich auch.“ In dem Moment kam MiA mit den letzten Sachen aus dem Park. Er war klatschnass und griff sich ein Handtuch aus dem Kofferraum. „Aber dafür… muss MiAs Band kaputtgehen“, flüsterte Meto. „Ja, und das tut mir auch leid. Aber ich will das einfach so sehr.“ „Dann…“ Meto sah sich um, ob MiA in Hörweite war und flüsterte dann noch leiser: „…darf MiA das erst mal nicht wissen, oder?“ Hiroaki stieg ein, setzte sich auf den Fahrersitz, sah sich suchend nach MiA um und als er ihn entdeckte, fragte er: „Wen soll ich denn noch mit rumfahren? Wo wohnt ihr?“ „Ichigaya“, antwortete Tsuzuku. „Und Meto wohnt in Adachi.“ „Okay, dann machen wir jetzt Tokyo Tour in the Rain. Unser Probenraum ist in nämlich in der Nähe von Akiba. MiA, fährst du mit oder nimmst du den Zug?“ „Ich komm auch mit.“ MiA stieg ebenfalls ein und zwinkerte Meto zu. Als wollte er sagen „Ich krieg dich schon noch zum Reden, Schatz!“ „Ich brauch noch ein bisschen Zeit“, dachte Meto. „Weil ich ja auch selbst nicht weiß, warum ich nicht mit jemandem reden kann, den ich eigentlich mag. Und ich mag MiA wirklich gern.“ Hiroaki startete den Wagen. „Okay, zuerst nach Adachi!“ Meto war immer noch müde, der Auftritt war wirklich anstrengend gewesen, und so lehnte er sich an Tsuzukus Schulter und hätte am liebsten die Augen für eine Weile geschlossen. „Bist du müde?“, fragte der Ältere leise. „M-hm“ „Bist ja bald zu Hause.“ „Das kann noch ‘ne Weile dauern“, sagte Hiroaki. „Hier sieht’s nämlich gleich nach Stau aus.“ „Nee, oder?!“, kam es von MiA. „Schaut euch das doch mal an, ich sag‘s euch, das wird ein fetter Stau.“ Der Bassist deutete auf die Straße vor ihnen, wo sich hinter den Regenschlieren auf der Windschutzscheibe abzeichnete, wie immer mehr Autos auf die Stadtautobahn drängten. MiA drehte sich zu Tsuzuku und Meto um und sagte: „Nimm doch deine Linsen raus und schlaf, wenn du müde bist.“ Meto schüttelte den Kopf. Ohne Linsen, das war fast wie ohne Make-up! „Ach, Metochen, du machst es dir auch was kompliziert! Hast du nicht ‘ne Sonnenbrille oder so dabei? Setz die doch auf und dann nimmst du dir ein Handtuch als Kissen oder so.“ Meto kramte in seiner Tasche, fand aber seine große Sonnenbrille nicht. Ausgerechnet heute hatte er sie nicht dabei! Und ihm fielen wirklich fast die Augen zu. Kurzentschlossen schnappte er sich eines der Handtücher, die über der Lehne der Rückbank hingen und versteckte sein Gesicht darunter, während er die Kontaktlinsen herausnahm und dabei feststellte, dass sein Make-up durch den Regen ziemlich schauerlich aussah. Mit dem Handtuch über dem Gesicht lehnte er sich anschließend wieder an Tsuzuku, der seinen Arm um ihn legte und unter dem Handtuch kurz die Wange des Jüngeren streichelte. Fast augenblicklich schlief Meto ein. „Gott, seid ihr süß!“, rief MiA aus. „Aber, Tsuzuku, du kennst ihn ohne Make-up, oder?“ Tsuzuku nickte. MiA grinste. Meto sah mit dem Handtuch auf dem Gesicht und wie seine blonden Locken darunter hervorschauten, auch einfach zum Quietschen komisch aus. Auch Tsuzuku musste sich ein Kichern verkneifen, um seinen Freund nicht zu wecken. Während sich der Van langsam auf der Straße vorwärtsschob und Hiroaki einige stumme, jedoch von wildem Gestikulieren untermalte Ungeduldsausbrüche hatte, sah Tsuzuku aus dem Fenster. „Mach ich was falsch?“, fragte MiA plötzlich leise in die Stille. „Ich meine, ich bin doch nett zu Meto, wieso redet er dann nicht mit mir?“ „Meto spricht mit niemandem außer mir“, flüsterte Tsuzuku. „Nicht mal mit seinen Eltern, obwohl er sich sehr gut mit ihnen versteht.“ „Aber… ich möchte gern, dass er mit mir redet, verstehst du?“ „Warte einfach noch ein bisschen ab. Meto braucht seine Zeit für so was. Aber ich denke schon, dass er dich sehr mag, sonst würde er nicht so gern mit dir zusammen spielen.“ Irgendwann kurz darauf kamen sie in Adachi an. „Aufwachen, Meto“, flüsterte Tsuzuku unter das Handtuch. Ein kaum hörbares „Mh“ kam durch den Stoff, Meto setzte sich wieder gerade hin und zog sich verwirrt das Handtuch vom Gesicht. „Soll ich die Augen zumachen?“, fragte MiA grinsend, doch Meto schüttelte den Kopf. „Das nenn ich doch mal einen kleinen Fortschritt, Metochen. Du siehst auch mit Pandalook und ohne Linsen süß aus. Und, hey, mach dir keinen Druck, ja? Rede mit mir, wann du magst.“ Meto nickte nur, dann öffnete er die Autotür, nahm seine Tasche und hauchte Tsuzuku noch einen Abschiedskuss auf die Wange. Als er die regennasse Straße überquert hatte und wieder im Flur seines Elternhauses stand, noch nicht ganz wach, überkam ihn kurz das Bedürfnis, das Erlebnis des heutigen Auftrittes mit seinen Eltern zu teilen, richtig mit ihnen zu reden. Doch ebenso schnell verschwand das wieder, er ging in sein Zimmer, zog sich aus, legte sich ins Bett und schlief fast sofort wieder ein. Und zum ersten Mal träumte er wirklich von sich selbst auf einer Bühne, von einer blitzenden Lichtershow, einem echten Konzert… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)