Yoyogi von Harulein (Tsuzuku & Meto) ================================================================================ Kapitel 17: Ichiban no Rihaasaru -------------------------------- Am folgenden Samstag erlebte das Haus der Familie Maeda eine ungewohnt große Menschenansammlung. Ja, vier Leute zu Besuch, das kam selten vor. Gegen drei Uhr nachmittags stand Kasumi als Erste vor der Tür. Sie hatte wieder ein paar Zeitschriften gekauft, die sie Meto vorbeibringen wollte und erkundigte sich danach, wie es ihm ging. Meto war etwas unkonzentriert, denn er wartete aufgeregt auf das, was sich zur ersten echten Bandprobe entwickeln konnte. Da aus ihm deshalb nicht viel herauszubekommen war, wandte Kasumi sich an Minami und begann, dieser beim Abwasch zu helfen. Als Metos Kindheitsfreundin fühlte und verhielt sie sich bei ihm wie zu Hause, schließlich war sie hier schon immer ein- und aus gegangen. Um halb vier kam Tsuzuku als nächster und wurde von Meto freudestrahlend empfangen. Tsuzuku war Kasumi noch nicht begegnet und dementsprechend war er ein wenig aufgeregt, als sie auf ihn zu kam und sagte: „Schön, dich kennen zu lernen. Meto hat ja schon von dir erzählt.“ Sie lächelte und er bemühte sich, es zu erwidern, hatte jedoch wieder das Gefühl, nicht sozial genug zu sein, diese Unsicherheit. Meto legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. ‚Alles gut, das ist nur Kasumi, die ist nett‘ sollte das heißen und bewirkte auch, dass sich Tsuzukus Aufregung langsam legte. Kasumi wandte sich wieder der Küche zu, wo Minami begonnen hatte, ein paar Kleinigkeiten zuzubereiten. Als kurz darauf dann MiA und Koichi gemeinsam eintrafen, ging es gleich runter in den ‚Probenraum‘, von dem Koichi offenbar ziemlich beeindruckt war. „Wow, deine Eltern müssen ja echt toll sein, dass sie dir ein Schlagzeug kaufen und dann noch einen ganzen Raum dafür einrichten!“ Meto strahlte. Er hatte sich während der letzten zwei Tage viele Gedanken ums Sprechen gemacht und war schließlich, nach einem langen SMS-Gespräch mit Tsuzuku gestern, zu dem Schluss gekommen, es heute einmal zu versuchen. So schwer konnte es doch jetzt nicht mehr sein, oder? „M-hm…“, machte er leise. „…Meine…. Eltern sind… klasse…“ MiA sah ihn überrascht an. „Metochen, hast du gerade echt was gesagt?“ „M-hm…“ Er spürte, wie sich ein leichter, aufgeregter Rotton auf seinen Wangen ausbreitete, und sah Tsuzuku an, der ihm ein ermutigendes Lächeln schenkte. „Redest du jetzt mit uns?“, fragte Koichi. „…ich will’s …versuchen…“ „Das ist toll!“ MiA strahlte. „Und sag mal, Meto, du hast doch was mit deinen Haaren angestellt!“ „Er war beim Friseur, ich war mit“, berichtete Koichi. „Sieht echt gut aus.“ MiA stellte seine Gitarrentasche ab, nahm die Gitarre heraus und begann, so routiniert und schnell wie immer, auf ihr herum zu klimpern. Koichi sah ihn bewundernd an. „Ich hab ja neulich schon gesehen, wie du spielst, aber… wow!“ „Danke. Aber jetzt lass du mal hören.“ Der Pinkhaarige holte seinen Bass, ein hübsches, weißes Instrument, aus der farblich passenden Tasche und schloss es an den kleinen Verstärker an, der neben dem Schlagzeug stand. „Dann mal los.“ Und so machte Koichi den Anfang. Seine Art, Bass zu spielen, hatte etwas tänzelndes, sehr lebhaftes, das sich sofort auf die Stimmung im Raum auswirkte. Besonders auf Tsuzuku, dessen Aufregung sich dadurch legte und in eine gewisse Euphorie verwandelte. „Was wollen wir denn heute so spielen?“, fragte er, als er das Instrument wieder ablegte. „Ich hab ein Notenbuch von Gazetto dabei, davon kann ich eigentlich fast alles.“ „Zeig mal her“, sagte MiA und streckte die Hand nach dem Buch aus, welches Koichi soeben aus seiner Tasche hervorzog. Der Gitarrist blätterte das Buch kurz durch und sagte dann: „Na ja, uns fehlt eindeutig die zweite Gitarre… Das Problem hatten wir bei Dis:Hana auch. Die meisten Bands haben halt zwei Gitarren, da muss man beim Covern ganz schön improvisieren. Blöd, dass wir noch nichts Eigenes haben.“ Tsuzuku dachte: „Doch, haben wir“ und blickte auf seine Tasche, die an der Wand stand und einen komplett fertig geschriebenen Song enthielt. Es war einer von denen, an denen er in den letzten Tagen gearbeitet hatte. Meto hatte er gestern schon davon erzählt, beziehungsweise während ihres SMS-Gespräches geschrieben. Er war ziemlich stolz auf sich, dass er es geschafft hatte, ein Lied mal wirklich fertig geschrieben zu haben, doch gleichzeitig hinderte ihn noch irgendetwas daran, dieses Lied MiA und Koichi vorzulegen. Es war ein ziemlich persönlicher Song und er scheute sich ein wenig, den beiden so etwas von sich zu zeigen. Auch, wenn er in seinem Traum von der Bühne genau dieses Lied vor hunderten von Leuten sang. Meto sah ihn vielsagend an. Es sah aus wie ‚Komm, Tsuzuku, trau dich!‘ und das sollte es wohl auch heißen. Und so atmete der Schwarzhaarige einmal tief durch und sagte: „Ich hab was, also was Eigenes.“ „Was, echt?“, fragte Koichi. „Zeig her!“ Tsuzukus Hand zitterte ein klein wenig, als er die Blätter aus der Tasche zog und sie Koichi reichte. Meto lächelte ihm ermutigend zu. „Darf ich auch mal sehen?“, fragte MiA und als Tsuzuku nickte, beugte sich der Blonde ebenfalls über die dicht beschriebenen Seiten. „Mein Gott, Tsu, … das ist gut, das ist richtig gut!“ „Wow!“, bemerkte Koichi, als er Tsuzuku die Blätter zurückgab. „Das kommt ja gerade richtig. Können wir den Song mal proben?“ Die Entscheidung, heute gleich diesen so persönlichen Song zu proben, fiel Tsuzuku weniger leicht, als er zuvor geglaubt hatte. Objektiv gesehen bestand kein Grund zum Zweifeln, doch sein Gefühl war eine andere Sache. Er fühlte sich unsicher, da Koichi und MiA ja nicht ahnten, wie viel von diesem Song seinen persönlichen Erfahrungen entsprach. Ehrlich gesagt war Meto bisher der einzige, der von dem Problem namens Saeko und den verheerenden Folgen ihres Verhaltens wusste. Und Tsuzuku hatte keine Ahnung, wann der richtige Moment war, MiA und Koichi davon zu erzählen. „Tsuzuku?“, riss MiA ihn aus seinen Gedanken. „Darf ich dich mal was Persönliches fragen?“ „Hm?... Ähm, ja…“ „Dieser Song… wie viel davon hast du so erlebt? Ich meine… er klingt irgendwie ziemlich persönlich, so als ob du… na ja, als ob du das echt so erlebt hast, diese Angst und das alles…“ Tsuzuku hielt erschrocken die Luft an. Hatte MiA ihm seine Gedanken angesehen? Oder war dieser Song so offensichtlich persönlich, dass jeder es sofort bemerkte? „Tsu, du musst das nicht erzählen, aber…“, sagte Meto leise, „…wenn wir alle vier zusammen eine Band sein wollen, dann sollten Koichi und MiA davon wissen, oder?“ Tsuzuku brauchte eine Weile, um kurz darüber nachzudenken, dann sagte er: „Ich erzähl euch das später, okay? Meto weiß schon Bescheid, ich hoffe, ihr versteht das…“ „Klar, natürlich“, sagte Koichi. „Wir können warten, oder, MiA?“ Woraufhin MiA verständnisvoll nickte. „Also, was ist? Dürfen wir mit dem Song arbeiten?“ „Ja… klar“, antwortete Tsuzuku, etwas abwesend. Wenn er einmal darauf kam und an Saeko erinnert wurde, dann drehten sich seine Gedanken eine Weile um sie. Er war sich sicher, dass es sie, wenn sie davon wüsste, nicht mal im Ansatz interessieren würde, dass er gerade dabei war, seinen Traum zu verwirklichen. So, wie sie sich eben für nichts in seinem Leben wirklich interessierte. „Tsuzuku? Alles okay?“, fragte MiA und sah ihn von der Seite an. Er schreckte aus seinen Gedanken auf und als ihm wieder klar wurde, dass die Zeit seiner Einsamkeit vorbei war, dass Saeko ihm nichts mehr konnte, überschwemmte ihn eine kleine Welle voller Glücksgefühle. Er ging zu Meto hinüber, der sich inzwischen hinters Schlagzeug gesetzt hatte, und forderte ihn leise auf, kurz aufzustehen, um ihm dann um den Hals zu fallen und ihn einmal fest an sich zu drücken. „Tsu?“, fragte der Jüngere etwas verwirrt. „Ist was?“ „Nichts... Ich hab… dich nur so gern…“ „Himmel, seid ihr beiden süß!“ Koichi quietschte fast. MiA lächelte. „Ihr habt euch so richtig lieb, oder?“ Meto nickte enthusiastisch, soweit das bei Tsuzukus enger Umklammerung möglich war. Doch statt sich aus dieser zu befreien, legte er die Arme um den Körper des Älteren und erwiderte die Umarmung. „Ich hab ihn ganz furchtbar lieb“, sagte er leise. MiA lachte leise. „Tsuzuku, wenn du dann bitte unser Drummerchen wieder frei lässt, wir wollte doch proben und so, oder?“ Der Schwarzhaarige drückte Meto noch einen Kuss auf die Stirn, dann ließ er ihn wieder los. Der Jüngere setzte sich wieder hinters Schlagzeug, nahm die Sticks und begann, sich schon mal einzuspielen. Er sah, wie Koichi an dem einen kleinen Verstärker herumdrehte und wie MiA sich nach einem anderen umsah. „Der zweite ist da im Schrank“, sagte Meto und deutete auf den schmalen Schrank, aus dem Tsuzuku gerade das Mikro samt Zubehör herauskramte. „Woher hast du denn die ganze Ausstattung?“, fragte MiA. „Mein Vater hat früher mal Gitarre gespielt, daher der zweite Verstärker.“ „Dann hast du das Musikalische wohl geerbt“, bemerkte Koichi. Meto nickte und begann, zuerst langsam und dann immer schneller, sich einzuspielen. Jetzt, wo kein Druck da war, den er zerschlagen musste, war es die Zeit, die er in Stücke teilte, in Takt verwandelte, dabei improvisierte, Harmonien und Disharmonien erschuf, den Rhythmus gestaltete. Dieser kreative, künstlerische Teil des Schlagzeugspielens machte ihm unheimlich viel Spaß und so ließ er sich dabei ein Stück weit gehen, was den anderen aber zu gefallen schien. Koichi und MiA stiegen mit ihren Instrumenten in Metos Improvisation ein und Tsuzuku bewegte sich im Takt dazu, während er sich einsang. Ohne viel Planung und ohne Aufzeichnungen wurde so eine Art Lied daraus, ein Erstversuch zu viert von vier jungen Musikern, die heute den Grundstein einer eigenen Band legen wollten. „Das war doch schon mal gut“, sagte MiA am Schluss. „Nee, wirklich, ihr seid echt toll.“ „Du aber auch.“ Koichi grinste. Tsuzuku spürte sie genau, die Harmonie, die zwischen ihnen herrschte und die er zuvor selten erlebt hatte. Es passte einfach, sozusagen wie angegossen und er genoss das in vollen Zügen. Von solchen Menschen hatte er sein Leben lang geträumt und sie nun endlich um sich zu haben, machte ihn unbeschreiblich glücklich. Anscheinend hatten die Götter, oder was auch immer diese Welt aus dem Off lenkte, ein Einsehen gehabt und ließen ihn nun doch noch glücklich werden. Heute war ein wirklich guter Tag und er wollte alles tun, damit das so blieb. „Du strahlst ja so, Tsu!“, bemerkte Koichi und fügte dann grinsend hinzu: „Willst du wieder wen knuddeln?“ „Wenn ihr wüsstet….“, sagte Tsuzuku leise. „Wenn ihr wüsstet, wie toll das hier gerade ist.“ „Deinem Gesichtsausdruck nach schwebst du uns gleich davon“, sagte MiA. Meto strahlte ebenfalls. Er hatte sich vor einer Weile mal vorgestellt, wie Tsuzukus Leben wohl bisher ausgesehen hatte, und war zu dem Schluss gekommen, dass es ein recht einsames, oft sicher trauriges Leben gewesen sein musste. Die Lieder über Einsamkeit und Angst hatten ihn tief berührt und deshalb freute er sich jetzt sehr für Tsuzuku, weil dieser nun nicht mehr so allein war. „Dann… proben wir jetzt deinen Song, Tsu“, sagte er. „Du singst, wir improvisieren und dann wird da schon was draus.“ Und Meto behielt Recht. Sie arbeiteten den Rest des Tages daran, dem Song Stück für Stück eine gemeinsame Melodie zu geben, einen Takt, eine Seele. Tsuzuku hatte vieles schon vorgezeichnet, doch MiA hatte dazu eigene Ideen und so dauerte es bis sieben Uhr abends, bis sie sich über die Aufteilung und so weiter geeinigt hatten. Es fiel Tsuzuku ein wenig schwer, diesen Song aus der Hand zu geben und den anderen ihren Teil daran zu überlassen, denn er war es einfach nicht gewöhnt, mit jemandem zusammen so zu arbeiten. Doch, und da war er ein wenig stolz auf sich, es gelang ihm und das, was dann gegen halb neun Uhr dabei herauskam, hörte sich für den Anfang wirklich gut an. „Meto, hast du ein Aufnahmegerät hier?“, fragte Koichi. „Dann können wir das Ganze aufnehmen und jeder kann zu Hause seinen Part weiter üben und dran arbeiten.“ Meto stand auf und kramte einen alten Rekorder und eine Schachtel mit unbespielten Tonkassetten aus dem Schrank. „Mehr als den hier hab ich nicht. Geht das?“ Koichi grinste. „Hey, das ist wie bei Gazetto! Die haben doch auch so angefangen, mit Musikkassetten. Daher doch der Name.“ „Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen…“, sagte Tsuzuku leise. „Dass wir mal genauso berühmt werden wie die?“, fragte MiA. Allein diese Vorstellung, irgendwann einmal einen so großartigen Erfolg zu haben wie the GazettE… Tsuzuku mochte sich das kaum vorstellen, schon beim Gedanken daran, auf einer riesigen Bühne zu singen, vor tausenden von Fans, wurde ihm ein wenig schwindlig, vor allem vor Glück, doch ein wenig Angst war auch dabei. Er verbot sich jeden weiteren Gedanken daran, denn sonst wäre das verstrahlte Lächeln wohl nicht mehr von seinem Gesicht zu kriegen gewesen, und beherrschte sich wieder. Sie nahmen den Song vier Mal auf, gaben sich dabei Mühe, dass es möglichst immer gleich klang, und als Minami in den Probenraum herunter kam und zum Abendessen rief, waren sie fertig. „Na, wart ihr fleißig?“, fragte sie. Meto nickte. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, dass er wieder mit seiner Mutter sprach, doch irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. „Ich muss kleine Schritte machen“, dachte er. „Dann bin ich irgendwann so weit.“ Beim Abendessen war auch sein Vater da, der gerade von der Arbeit zurückgekommen war. Koichi und MiA stellten sich vor und sie aßen zu sechst zu Abend. Tsuzuku fühlte sich so glücklich und entspannt, dass es ihm unerwartet leicht fiel, sich am Tischgespräch zu beteiligen, mitzulachen und einfach ganz normal am Leben dieser Menschen teilzunehmen. Er wusste, ewig würde das nicht so gehen können, irgendwann kam die Angst und das alles sicher zurück, doch gerade deshalb genoss er diese Zeit so, in der sie nicht da war. Als er dann später im Zug nach Hause saß, schwirrte ihm der Kopf und er musste erst mal wieder ein wenig runterkommen. Meto, dessen Eltern, dazu MiA und Koichi, die ihn offenbar wirklich einfach so nahmen, wie er eben war, das war fast ein wenig zu viel für ihn, der es immer noch, auch nachdem er so viel mit Meto zusammen erlebt hatte, gewöhnt war, allein zu sein und mit Menschen nicht gut zurecht zu kommen. In dieser Nacht träumte er nicht von der Bühne, sondern einem Videodreh zu dem Song, den er heute mit den anderen geprobt hatte. Mitten in der Nacht wachte er auf und schrieb alles auf, woran er sich davon noch erinnerte. Vielleicht, wenn sein Traum irgendwann wahr wurde… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)