GAME OVER von Cosmo ================================================================================ Kapitel 1: Crystal ------------------ Die Straßen waren wie leer gefegt und es lag eine unheimliche Stille über der Stadt. Es war eine regnerische Nacht, weshalb sich niemand auf die Straße wagte, der nicht grade bis auf die Knochen durchweicht werden wollte. Hier und da huschten einige Ratten in ihre Nester und fraßen entstellte Kadaver von anderen Tieren.So war das Leben hier. Nicht der Stärkste gewinnt, sondern der Geschickteste. Nur mit lügen und betrügen konnte man überhaupt irgendwas erreichen. Jeder der auch nur einen Hauch Ehrlichkeit zeigte wurde sofort von der Gesellschaft verschlungen und landete auf der Straße, sofern er nicht längst ausgebeutet wurde und nun tot in einem Graben liegt,bloß darauf wartend von den gierigen Ratten gefressen zu werden, welche den widerlichen Kadaver mitten in der Nacht durch die Stadt schleifen, um sich dann in ihren Nestern daran zu laben. Fressen oder gefressen werden. Das war die Regel der Straße. Niemand kümmert sich um das Wohl anderer und es heißt Jeder gegen Jeden. Doch plötzlich wurde die Ruhe von einem lautem Geräusch durchbrochen, ein Auto, welches mit rasanter Geschwindigkeit über den Asphalt raste und dabei gefährlich schlingerte. "Mach dir keine Sorgen Crystal, bald ist alles vorbei", Tränen flossen ihre Wangen hinab, während sie versuchte durch die Straßen der Stadt zu lenken. Ihre Sicht war verschwommen und der Regen prasselte unabdingbar auf die Frontscheibe des Wagens, sodass jegliche Möglichkeit der Orientierung verwehrt war. Es war eine scheiß Karre, doch sie reichte für das, was sie vor hatte. "Nein Mama bitte!", das schrille Kreischen eines kleinen Mädchens durchbrach den prasselnden Regen. Sie saß auf der Rückbank, ihre Puppe in der Hand, zitternd und in Tränen aufgelöst. Ihr Name war Crystal Varis. "Wehr dich nicht, es wird ganz schnell gehen", sagte die Fahrerin und lächelte mit verheulten Augen in den Rückspiegel um das Gesicht des Mädchens zu sehen. Das Gesicht ihrer Tochter. Ihrer einzigen Tochter, welche sie kurz zuvor aus dem Bett gerissen und in ein Auto gezwungen hat. "Mama bitte...",das kleine Mädchen begann zu schluchzen,"Ich will noch nicht sterben", krampfhaft krallte sie sich an ihrer Puppe fest. Es war eine selbst genähte alte Puppe, welche eindeutig schon die beste Zeit hinter sich hatte.Doch ihre Mutter ignorierte ihre Worte und fuhr unbeirrt fort. Direkt auf einen Wald zu. "Gleich sind wir bei Papa", flüsterte sie leise, als sie in eine Nebenstraße abbog, "keine Angst mein Schatz, gleich ist alles vorbei". Sie fuhren immer tiefer in die Dunkelheit, kein einziger Lichtstrahl schaffte es durch die alles verschlingende Schwärze zu brechen. Dann wurde sie plötzlich langsamer und hielt an. Das Mädchen hatte sich mittlerweile in die hinterste Ecke des Wagens verkrochen und hielt weinend ihre Puppe vor sich, als ob diese sie vor ihrer eigenen Mutter beschützen könnte. Doch sie konnte es nicht. Langsam drehte sich ihre Mutter zu ihr um, weinend, doch mit einem breiten Grinsen im Gesicht, "Wir sind da", sie öffnete die Tür, langsam, so als hätte sie alle Zeit der Welt. Innerhalb von Sekunden war sie komplett mit Wasser durchtränkt, doch sie schien die beißende Kälte nicht zu spüren. Bald schon würde sie gar nichts mehr spüren. Sie hatte alles genau geplant, ist alles tausende Male im Kopf durchgegangen,es gab nichts was schief gehen könnte. Ihr Plan war perfekt, einfach bloß perfekt, sie wusste das, denn sie hatte dafür gesorgt, dass alles was dazwischen kommen könnte verschwand. Sie hatte Blut an ihren Händen, doch es machte ihr nichts aus, nein, gar im Gegenteil, sie war stolz darüber. Vorsichtig nahm sie eine Schaufel aus dem Kofferraum, blank poliert, ohne einen einzigen Kratzer. Sie mochte es nicht, wenn etwas nicht absolut ihrem Ideal entsprach. Die Schaufel im Anschlag haltend ging sie also zur hinteren Tür und wies ihre Tochter an heraus zu kommen. Ohne jegliche Gegenwehr gehorchte diese, denn sie wusste was passiert wenn sie ihrer Mutter nicht gehorchte. Kleine Tränen kullerten ihre weichen Wangen hinab und ihr schwarzes Haar lag klatschnass in ihrem Gesicht. Ihr Kleid triefte vor Wasser und sie spürte die Kälte der Nacht um sich herum. "M-mama.. I-i-ich f-friere..", weinte die Kleine leise in ihre Puppe hinein, welche ihre Stimme stark ab dämpfte. Sie schrie nicht mehr, denn sie wusste das es keine Hoffnung mehr gab. Sie war alt genug um zu verstehen, dass dies nun das Ende war und sie war alt genug um sich ihrem Schicksal zu ergeben. Sie war schon immer ein nachdenkliches Kind gewesen. Hat niemals herumgezickt und war immer gehorsam. Sie liebte ihre Eltern über alles, und sie würde alles tun für sie. Auch in den Tod gehen. "Komm mit", sagte ihre Mutter rau, während sie Crystal grob an der Hand zog. Diese schrie leicht auf, verwundert über die Brutalität ihrer Mutter und lies vor Schreck ihre Puppe fallen, "Warte, Mr. Snow!", sie versuchte sich zu wehren und griff vergeblich nach ihrer Puppe, welche schon vollkommen vom Schlamm verdreckt war. "Lass das Crystal!", das nächste was sie spürte war ein Schmerz in der Wange, gefolgt von einem lauten Knall. Ihre Mutter hatte sie geschlagen. "Komm jetzt", zischte diese durchdringend und zog das nasse Häufchen elend direkt auf ein Loch zu, in welchem bereits eine Kiste stand. "Ich will nicht sterben Mama, bitte ich habe Angst!!", beim Anblick der Kiste wurde dem kleinen Mädchen auf einem Schlag wieder bewusst warum sie hergebracht wurde. Sie wollte nicht in diese Kiste, sie wusste, dass es kein Entkommen daraus gab. Doch ihre Mutter war stärker. "Schau mich an", sagte diese, während sie sich zu ihrer Tochter runter kniete. Fast zärtlich strich sie ihr die nassen Strähnen aus dem Gesicht, "sssh, weine nicht. Gleich wirst du beim lieben Gott sein, er wird alle Qualen von dir nehmen meine Süße". Zitternd stand das Kind vor ihrer Mutter, hinter ihr der offene Schlund ihres Grabes, während der Regen weiterhin sintflutartig auf die Erde fiel. "Wird er mich da raus holen?", fragte sie mit zittriger Stimme, direkt in die klaren Augen ihrer Mutter blickend. "Er wird dich immer beschützen", sagte ihre Mutter lächelnd und umarmte ihre Tochter ein letztes Mal, "Ich liebe dich Crystal." Mit diesen Worten schubste sie ihre Tochter direkt ins Grab. Den panischen Schrei ignorierend warf sie den Deckel auf die Kiste und verdeckte damit das vor Angst entstellte Gesicht ihres einzigen Kindes, welchem sie nun das Leben stahl. Mit jeder Schaufel Erde welche sie in das Loch schüttete wurden die Schreie leiser. Niemand würde sie jemals hier draußen finden. Ihre Tochter, lebendig vergraben, unschuldig und jung. Doch sie musste sterben. Sie hatte die Augen eines Dämons, rot mit einem dicken schwarzen Ring darum. Kein Mensch hatte solche Augen, darum beneidete ihre eigene Mutter sie. Jetzt würde niemand sie jemals wieder sehen können, denn was sie nicht hatte sollte niemand haben. Sanft klopfte sie die Erde glatt, welche sofort vom Regen aufgeweicht und geebnet wurde, sodass man letzten Endes nicht einmal mehr erkennen konnte, dass die Erde jemals aufgelockert wurde, geschweige denn, dass darunter etwas vergraben liegt. Auch die Fußspuren waren vom Regen verwischt worden. Es war der perfekte Mord. Lächelnd, immer noch die Schaufel haltend, stand die Frau nun über dem Grab ihrer Tochter und sah auf ihr Werk hinab. "Perfekt", flüsterte sie leise, während sie etwas aus ihrer Jackentasche hervor holte. Langsam hob sie den Gegenstand an ihre Schläfe. "Ich folge dir mein Schatz...", brachte sie leise hervor, während eine einzelne Träne ihre Wange hinabrann. Das nächste was man hörte war ein Knall, welcher durch den gesamten Wald schallte, doch der Regen unterdrückte das Geräusche und lies bloß ein dumpfes Donnern in die Stadt. Niemand würde jemals wissen was geschehen war, niemand würde sie jemals finden. *** Es war dunkel. Alles war einfach bloß dunkel. Die ganze Welt um sie herum versank im ewigem Schatten. Sie war gefangen, gefangen in einer kleinen Holzkiste irgendwo im Wald. Sie atmete so flach es ging, denn sie wusste, dass es niemanden gab der noch auf ihre Schreie reagieren könnte. Sie hatte den Knall gehört und hatte eine Ahnung was das bedeutete. Sie erinnerte sich daran was vor einem Jahr war, da hatte sie nämlich schon mal solch einen Knall gehört. Damals war sie grade dabei im Flur zu spielen, als sie plötzlich eben jenen Knall aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters hörte. Schnell war sie dorthin gerannt um grade noch sehen zu müssen, wie eine vermummte Gestalt einige Akten aus den Regalen ihres Vaters stahl. Sie sah dem Mörder direkt in seine leuchtend orangenen Augen, bevor ihr Blick auf die Leiche ihres Vaters fiel, welcher in seinem Geschäftsanzug auf dem ehemalig ordentlichen Schreibtisch lag, die Augen weit geöffnet und glasig und ein Loch mitten auf der Stirn aus dem unglaublich viel Blut rann und innerhalb von Sekunden eine rote Lache auf dem Schreibtisch bildete. Das nächste woran sie sich erinnerte war der laute Schrei den sie Ausstoß beim Anblick ihres geliebten Vaters, welcher sie mit seinen toten Augen direkt anzustarren schien, direkt in ihre Seele, die eben durch diesen Anblick zerbrach. Sie hatte das nie verkraften können. Sie wusste nicht, was der Mörder überhaupt von ihrem Vater wollte und was er geklaut hatte, sie hatte oft ihre Mutter gefragt, doch diese Antworte immer nur irgendwas von "gewissen Geschäften" und sie wäre zu jung um das zu verstehen. Sie lernte schnell nur mit ihrer Mutter klar zu kommen, welche überraschend stark war und sich nicht unterkriegen lies. Alleine versuchte sie damals das Unternehmen der Familie Varis imstande zu halten, doch die Konkurrenz beutete sie aus wie hungrige Krähen die über ihre Beute herfielen. So kam es wie es kommen musste und das Unternehmen ging pleite. Eine Woche zuvor erhielt Crystals Mutter den verhängnisvollen Anruf, der eben all dies verursachte. Ihre Mutter verlor den Verstand. Eines Nachts, als sie grade fest eingeschlafen war wurde sie von ihrer Mutter geweckt und grob ins Auto gezogen. Sie hatte gefragt was denn los sei, woraufhin ihr ihre Mutter erzählte, dass sie beide nun zu "Papa" gehen würden. Crystal verstand was ihre Mutter damit meinte, sie würde jetzt sterben müssen, sie würde ihrem Vater folgen. Leise schluchzte sie in ihrer Kiste, vergraben irgendwo im Wald, ohne Hoffnung jemals gefunden zu werden. Ihr gesamtes Leben spielte sich vor ihrem inneren Auge ab, doch sie war zu jung, als dass es irgendetwas wirklich lebenswertes hätte geben können, woran es sich groß lohnte zu erinnern. Die bedeutendsten Momente waren die gewesen, in denen sie ihre beiden liebsten Menschen verloren hatte. Ihre beiden Eltern. Ihre Kleidung war klitschnass und die Luft war unglaublich stickig. Sie musste leise Husten, wobei sie dabei deutlich spüren konnte, dass die Luft bald zu neige ging. Sie wusste nicht wie lange sie in dieser Kiste lag, doch es kam ihr vor wie Stunden, eine Ewigkeit. Sie hatte schon längst aufgehört zu weinen, denn es gab nichts mehr wofür sie hätte weinen sollen. Das einzige was sie sich noch wünschte, wäre ihre Puppe Mr. Snow bei sich zu haben, ihren besten Freund, mit dem sie zusammen vor dem Mann stehen wollte, den ihre Mutter "Gott" nannte. Sie hatte keine Ahnung was ihre Mutter damit meinte, als sie von ihm sprach. Das einzige was sie wusste war, dass er sie von ihrem Leid erlösen würde, und so wartete sie. Ihr blieb auch nichts anderes übrig. Sie wartete auf ihren Gott und schloss die Augen, die sich mit der Zeit immer schwerer anfühlten. Sie wollte einfach bloß schlafen. Schlafen und warten. Warten auf ihren Erlöser. So fiel sie in einen ruhigen endlosen Schlaf, aus dem sie wohl niemals wieder aufwachen würde. *** Mirror News, Samstag, 14.10.2006 das Varis Massaker [...] am Freitag den 13.10.2006 wurde im Grenzgebiet die Frau vom ehemalig führendem Oberhaupt des Varis Unternehmens tot aufgefunden. Vermutlich wurde sie ebenso wie ihr Mann Opfer eines mysteriösen Massenmörders welcher sich "der Erleuchter" nennt, über den die Polizei jedoch nichts weiteres äußern will. Sie sind sich jedoch sicher, dass es sich um Mord handelt, da alle Anzeichen darauf hindeuten, dass eben besagter "Erleuchter" mitten in der Nacht in ihrem Anwesen eingebrochen sein soll, wo er ein wahres Blutbad anrichtete und alle Angestellte brutal exekutierte. Daraufhin soll er Frau T. Varis in sein Wagen gezwungen haben, woraufhin er sie vermutlich lebendig im Wald vergraben wollte, wovon man ausgeht, da sich zu den Füßen der erschossenen Frau Varis ein offenes Grab befand. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass der Täter wohl von einem Unbekannten gestört wurde, weshalb er kurzerhand seinen Plan änderte und seinem Opfer kaltblütig in den Kopf schoss. Daraufhin soll er die Tatwaffe in die Hand der Leiche gelegt haben, damit es wohl so aussehen sollte als wäre es Selbstmord gewesen, jedoch konnten keine Rückstände an der Hand des Opfers gefunden werden, weshalb man diese Theorie ausschließt. Über das nun verwaiste Kind der Familie Varis ist nichts bekannt, es heißt sie hätte noch rechtzeitig fliehen können, da sich ihre Leiche nicht unter den Opfern befand. Bedauerlicherweise gibt es auch weder eine Spur von ihr, noch von dem verbleib des Täters. Die Polizei rät den Anwohnern sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach draußen zu begeben und stets darauf zu achten, dass alle Türen und Fenster fest verschlossen sind [...] *** Schüchtern saß Crystal auf einem aufwändig verzierten, handgemachten, teuer wirkendem Stuhl. Den Rücken gerade und die Beine ordentlich angewinkelt, dabei das Kinn auf die Brust gesenkt haltend. Das Ticken einer antiken Uhr hallte durch den Raum. Alles in diesem Raum wirkte teuer, war aber dennoch so angeordnet, dass es nicht so aussah, als würde der Besitzer wahllos mit Geld um sich werfen. Nein, ganz im Gegenteil, es wirkte alles perfekt geordnet und spiegelte exakt wieder, was es darstellte: Wohlstand. Crystal kam selbst aus gutem Hause, doch dieser Anblick lies selbst sie ehrfürchtig werden. Schwere Schritte waren zu hören, sie kamen näher, direkt auf das Zimmer zu, in welchem sie saß. Er kam wieder, dachte sie, während sie ein kurzes Kribbeln im Magen spürte. Kurz vor der Tür stoppten die Schritte und alles wurde still. Ihr kleines Herz begann wild zu schlagen und sie wurde leicht nervös. Ein lautes Klopfen war zu vernehmen, woraufhin sich auch schon die Türklinke nach unten Bog und ein Mann eintrat. Er war groß und vornehm gekleidet; obwohl er im Haus war trug er einen Zylinder; in seiner behandschuhten Hand hielt er eine einzelne Untertasse, auf welcher eine kleine Tasse Tee stand. "Tee?", fragte der Mann, während er überraschend elegant zu ihrem Tisch ging. Sie wagte es nicht ihn an zu schauen sondern schüttelte bloß ehrfürchtig den Kopf. Er war der Besitzer dieses Anwesens. Es schien außerordentlich groß zu sein, da in jedem Flur und Gang unzählige Türen zu seien schien. Es wirkte wie ein riesiges Labyrinth, wobei ihr die Vorstellung daran sichtlich gefiel, da es ein Ort war, wo sie sich verstecken konnte. Wo niemand sie finden könnte, in ihrer eigenen kleinen Welt. Die Tasse auf den Tisch stellend setzte er sich ihr gegenüber und schlug die Beine übereinander. Er sah sie direkt an, und Crystal spürte, wie die Röte in ihre kleinen Wängchen schoss. Sie genoss seine Nähe, es war einfach unbeschreiblich was sie empfand. Ihre Mutter hatte ihr all die Jahre immer von einem großen mächtigen Mann erzählt, jedoch konnte sie sich damals nie vorstellen, was ihre Mutter damit meinte. Nun wusste sie es, seit dem ersten Moment wusste sie, dass ihre Mutter ihn meinte. Er, der sie aus ihrer Kiste befreit hatte. Er, der sie zurück ins Leben geholt hatte, nachdem sie schon längst ihr Leben ausgehaucht hatte. Er, der sie von all ihrem Leid erlöste, es war kein anderer als ihr Gott. "Wie heißt du?", fragte er sie, während er sie von oben bis unten musterte. Sie trug neue Klamotten, die Uniform eines Hausmädchens. Sie war ihr viel zu groß, doch es gab derzeit nichts anderes, was sie hätte tragen können, und in ihre alten Lumpen wollte sie nicht wieder zurück, da diese vollkommen durchnässt und beschmutzt waren. Zögernd hob sie ihren Kopf und sah ihm in seine alles durchdringenden gelben Augen. Sie spürte einen kleinen Stich im Herzen, da ihr vorher nicht bewusst war, dass es jemanden geben könnte, der in der Lage war ihr einzig und allein mit einem Blick in seine Augen die Sprache zu verschlagen. Sie respektierte diesen Mann, schon von der Sekunde an, wo er die Kiste aufgebrochen und sie aus ihrem Grab geholt hatte. Sie erinnerte sich bloß noch an einzelne Fetzen, es war, als hätte sie von oben auf sich selbst herab gesehen. Sie wusste noch, dass der Mann sie zu einem ungewöhnlichen Arzt brachte und es anscheinend äußerst schlecht um sie stand. Dann war wieder alles schwarz. Das letzte was sie wusste war noch, dass sie auf der Rückbank eines Autos lag und an einer prunkvollen Villa vorbei gefahren ist, bevor sie auch schon eben in jenen Raum aufgewacht war. Neben ihrem Bett hatte eben jene Kleidung gelegen die sie nun trug. Sie war errötet bei dem Gedanken, von einem fremden Mann umgezogen worden zu sein, da das einzige was sie anhatte ihre Unterwäsche war. Anscheinend wurde sie auch gewaschen, denn das erste was ihr in die Nase flog war der Duft von Vanille. Ihr eigener Geruch. "Crystal...", antwortete sie schüchtern, während sie irgendetwas im Raum suchte, wo sie hätte hingucken können. "Crystal also?", sagte der Mann, während er sich zurück lehnte und sich ein Zigarette anzündete. Sie nickte bloß. "Weißt du wer ich bin?", meinte er, während er sein Feuerzeug zurück in die Tasche seines schwarzen Sakkos steckte und genüsslich an seiner Zigarette zog. "Nein Sir", antwortete sie, wobei sie vergeblich versuchte seinem Blick auszuweichen. Er schien immer ernst zu gucken dachte sie sich, da sich seine Miene bei keinem seiner Worte auch nur ein wenig veränderte. "Sir? Anstand scheinst du wohl zu besitzen", meinte er und sah zum einzigem Fenster im Raum. Draußen ging grade die Sonne auf und die Aussicht war einfach atemberaubend. Noch rötlich schimmerte der Himmel, während die Sonne langsam hinter den Wolken aufging. Die ganze Landschaft war ein Waldgebiet, umgeben von Bergen, weshalb Crystal davon ausging, das diese Villa vermutlich auch auf einem Berg stand. Es wirkte wie ein riesiges Schloss, geschützt von der Außenwelt, komplett unabhängig. Eine komplett andere Welt. "Mein Name ist", er erhob sich von seinem Stuhl und stellte sich vor ein Gemälde, welches eben ihn in jüngeren Jahren darstellte, "Sir Raven Vales". Zum ersten Mal fiel ihr das Gemälde auf und sie bemerkte sofort, dass er sich in all der Zeit sehr stark verändert hatte. Was damals noch ein dunkelblonder ordentlich gestutzter Stoppelbart war, war nun ein fast schwarzer kurzer Bart, welcher von einer Seite des Kinnes zur nächsten verlief, mit vereinzelten grauen Härchen, die man aber jedoch kaum erkennen konnte. Zudem war der Bart so schmal angelegt, dass man trotzdem das meiste von seinem Gesicht sehen konnte. Auch sein Gesicht hatte sich ziemlich verändert, da die Falten deutlich ausgeprägter waren als zuvor. Eine war besonders auffällig, da sie äußerst dominant war, sie verlief von seinem Auge runter zur Wange, weshalb sie eher wie eine Narbe wirkte, sie wusste es nicht so genau. Das einzige was wirklich gleich geblieben war, waren seine katzenartigen gelben Augen. "Vales?", wiederholte sie zögernd. Sie kannte diesen Namen. Jeder kannte ihn. Das Vales Unternehmen war das größte Unternehmen der ganzen Stadt, selbst außerorts war es führend auf dem Markt. Es war ein gigantischer Konzern, der nahezu alles aufkaufte, wovon man Geld verdienen konnte. Alles was es in die Hand nahm wurde zu Gold, jeder noch so kleiner Laden übertrumpfte seine Konkurrenz bei weitem. So wurde das Unternehmen immer mächtiger, da keiner es mir wagte sich ihm entgegen zu stellen. Kein anderes Unternehmen hatte auch nur den Hauch einer Chance, nicht mal das der Familie Varis. "Du wirst dich sicherlich wundern was wir mit deiner Kleidung gemacht haben, nicht?", fuhr er einfach fort, ohne die Aussage des Mädchens zu beachten, "mach dir keine Sorgen, eine Haushälterin hat sich darum gekümmert. Sie war es auch, die dich gesäubert hat. Ich bat sie vorhin darum in die Stadt zu gehen und etwas neues für dich zu kaufen". Leicht überrascht schaute das kleine Mädchen auf und sah Sir Vales direkt an. Neue Kleidung? Extra für sie? Sie wusste nicht warum er das tat, es war doch wirklich nicht nötig, aber dennoch... freute es sie irgendwie. Ein leichtes Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen, "Die hier...gefallen mir eigentlich ganz gut". "Tatsächlich?", zum ersten Mal zeigte sich eine Regung in seinem Gesicht. Er hob eine einzelne Braue und sah sie mit einem fragendem Blick an, der Überraschung auszudrücken schien. Leicht erschrickt zuckte Crystal in sich zusammen und begann sich sogleich für ihre Aussage zu schämen, "N-natürlich bin ich ihnen sehr dafür dankbar u-und es ist okay wenn-", doch sie kam nicht mehr dazu ihre Aussage zu beenden, da Sir Vales sie mit einer knappen Handbewegung unterbrach, "Dann werde ich dafür sorgen, dass etwas ähnliches auch in deiner Größe zur Verfügung steht". Wieder nickte sie einfach bloß, während ihre Augen weiterhin leuchteten, wie die eines unschuldigen Kindes. Ohne irgendeine Vorwarnung ging Sir Vales plötzlich zur Tür und öffnete diese. Er hielt kurz inne und drehte sich noch einmal zu dem immer noch krampfhaft gerade am Tisch sitzendem Mädchen um, "Wie alt bist du eigentlich?", fragte er sie, weiterhin im Türrahmen stehend. "Ich bin... zehn", antwortete die Kleine leise, während sie den Mann beim hinausgehen beobachtete. Dieser nickte und begann sanft hinter sich die Tür zu schließen, "Vergiss nicht deinen Tee". Dann hörte man das Klicken der Tür. Schweigend sah Crystal auf ihre Füße hinab, denn sie wagte nicht auf zu schauen. Sie wagte es nicht sich vom Fleck zu rühren, ohne die Anweisung von ihrem Herren. Er war es, dem sie von nun an gehorchen würde. Sie verdankte ihm ihr Leben, weshalb sie ihm eben dieses gab. Unablässig konnte man das Ticken der Uhr hören, welche jedoch an einem solch zeitlosen Ort komplett überflüssig wirkte. Für Crystal zählte nur der Moment, ihr altes Leben war vorbei. Sie würde neu Anfangen müssen, komplett von vorne. Nur diesmal an seiner Seite. Sie schwor sich ihm immer zu dienen, ihrem Master, mit allem was sie hatte. Sich ihm komplett zu ergeben. Doch dafür musste sie von ihrem alten Ich los kommen, erwachsener werden. Sie hatte nie Zeit um Kind zu sein, sondern es war immer ihre Pflicht der Familie Ehre zu bringen, jetzt war einzig und allein Sir Vales ihre Familie. Der Mann der sie gerettet hatte, von ihrem Leid erlöst. Die kleine Crystal Varis war an jenem verhängnisvollem Tag in ihrem Grab gestorben, jedoch wurde in eben diesem Moment etwas anderes geboren, etwas, das aus ihrem eigenen Grab empor stieg und dessen einzige Aufgabe lautete für immer ihrem Gott zu dienen. Ein grausames Geschöpf welches über Leichen gehen würde. Ihr Name war... Crow. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)