Icecube von RedSky (Fortsetzung zu "Sugarcube") ================================================================================ Kapitel 9: bloodstained reflection ---------------------------------- Rasant steigender Geräuschpegel. Man musste schon deutlich lauter als Zimmerlautstärke reden, um sich seinem Gesprächspartner klar verständlich zu machen. Das unregelmäßig einsetzende Gelächter und gelegentliche Gegröhle nahm mit der Zeit immer mehr zu. Die Stimmung war ausgelassen, locker, fröhlich. Man begrüßte in dieser Nacht das neue Jahr........ - oder hing noch seinen alten Gedanken nach. Taiji beugte sich kurz nach vorne, setzte sein Glas auf dem Tisch vor sich ab und ließ sich anschließend wieder zurück in die Sofapolster sinken. Vorhin auf der Bühne hatten sie noch die Sekunden bis zum Neujahrswechsel gezählt. Er selbst zählte immer noch. Denn sein eigener Countdown bezog sich nicht auf den Neujahrswechsel, sondern auf die Zeit, die ihm noch mit X verblieb. Eine Woche. 7 Tage. Etwas mehr als 160 Stunden. Er hatte mit Yoshiki gesprochen und mit ihm vereinbart, dass er das dreitägige Konzert im Tokyo Dome noch mitmachen würde. Danach sei er endgültig draussen. Taiji schloss die Augen. Der Partylärm umhüllte ihn, er kam sich vor wie in einem Kokon. Überall hörte er Menschen lachen....hörte deren Freude aus dem Gelächter heraus.......die Luft begann allmählich nikotinisiert zu werden...........er spürte, wie der Alkohol langsam aber sicher durch seine Adern floss, in sein Blut überging................jemand war gegen ihn gesunken........... Taiji machte keine Anstalten diesem Jemand mitzuteilen, dass er´s sich gerade irgendwie halbwegs auf seinem Schoß gemütlich zu machen schien; warum sollte er auch......dieser Jemand war schön weich....und warm........... Taiji öffnete plötzlich ruckartig die Augen, sein Blick fiel sofort auf die Person, die es sich neben ihm, bzw. mittlerweile schon eher auf ihm bequem gemacht hatte. Yoshiki. Der erschlaffte Oberkörper des Leaders war zur Seite gekippt und parkte nun halb auf seinem Bauch und halb auf seinem Schoß. Eine Hand hatte es sich auf Taiji´s Schenkel gemütlich gemacht, zwischen ihren schlanken Fingern klemmte eine halb abgebrannte, glimmende Zigarette. Der Blick des Bassisten ruhte einige Momente stumm auf diesem Bild. Dann hob er ansatzweise sein, von Yoshiki´s Hand in Beschlag genommenes, Bein um auf sich aufmerksam zu machen. „Yoshi...hey....“ Seine Stimme klang nach wie vor sanft und weich bei der Aussprache des so vertrauten Namens. Yoshiki reagierte nicht sofort, erst nach einigen Sekunden drehte er seinen Kopf wie in Zeitlupe Richtung Bassistenbrust, um darüber das von einer warm-braunen Lockenmähne eingerahmte Gesicht des Jüngeren zu erblicken. Der Leader grinste ihn an. Taiji konnte in dessen Augen erkennen, dass der Drummer die Auswirkungen eines gesteigerten Alkoholpegels genoss. Er war betrunken und womöglich begriff er gar nicht, was er hier gerade tat. Für einige Momente gab er sich dem verschleiertem Blick des Anderen hin. Doch dann holte ihn die Gegenwart wieder ein – trotz Alkohol. „Was machst du da?“ Yoshiki blinzelte. „Kuscheln...“, kam die lallende Antwort und das Grinsen wurde noch ein bißchen breiter. Der Lockenkopf seufzte innerlich. Kuscheln....ja, kuscheln würde er jetzt auch zu gerne....kuscheln und getröstet werden.... Warum tat Yoshiki das? Warum strich er ihn erst aus der Band, aus seinem Privatleben – und kam nun an um zu 'kuscheln'? Natürlich ist es der Alkohol, dachte Taiji sich. Wäre der Andere in diesen Momenten stocknüchtern, würde er bei Weitem mehr auf Abstand gehen, dessen war er sich sicher. Gottverflucht, dieser Blick..... - machte der Kerl das doch mit Absicht? Der Jüngere war völlig hin und her gerissen. Herz gegen Verstand. Sehnsucht gegen Vernunft. Verstand und Vernunft gegen Alkohol. Yoshiki schien gerade überhaupt keinen inneren Kampf mit sich selbst auszuführen. In aller Seelenruhe drehte er seinen teils betäubten Körper auf den Rücken, richtete seinen Oberkörper etwas auf, kam mit seinem Gesicht dem Gesicht des Jüngeren immer näher... War es spätestens jetzt nicht Zeit dafür, etwas zu sagen? Taiji´s Gedanken überschlugen sich schon beinahe, doch ihm fielen keine passenden Worte zu dieser Situation ein. Und eigentlich wollte er auch gar nichts sagen, wenn er sich die Lippen betrachtete, die da langsam immer näher auf ihn zukamen. Doch irgendwo tief in sich vernahm er soetwas wie eine Stimme. Vielleicht sein Verstand, der ihm etwas mitteilen wollte..... KÜSS IHN NICHT! Seine Finger bewegten sich wie von selbst zum Gesicht des betrunkenem Kuschelbedürftigen, strichen zärtlich und liebevoll über die leicht gerötete Wange... Küss ihn nicht! ...glitten von dort aus gleich zu den Lippen hinüber.....zu diesen wunderschönen, weichen Lippen....... ...küss ihn nicht...!.... .....so weich....und vertraut.......... ......küss.....ihn nicht........ Taiji´s Gesicht näherte sich die wenigen Zentimeter bis zu seinem ersehntem Ziel, bis sich ihre Lippen berührten..... ..........nicht........ni........... ......und ihre Zungen Eins zu werden schienen........ Etwas kitzelte ihn an der Nase. Taiji wackelte mit Selbiger wie ein Kanichen. Doch es verschaffte keine Abhilfe. Das feine, sensible Gekitzele hielt an. Träge öffnete er seine schweren Augenlider. Ebenso träge schaffte es seine Hand sich Richtung Nase zu bequemen und dem Störenfried einen Strich durch die Rechnung seiner zukünftigen Taten zu machen. Eine seiner eigenen Haarlocken war es, die ihm ungünstig ins Gesicht gefallen war und bis eben mit seiner Nase geflirtet hatte. Er strich sie sich flüchtig und auch eher abwesend hinter´s Ohr, nur damit sie im nächsten Augenblick wieder hervor rutsche und abermals sein Gesicht ansteuern konnte. Der junge Lockenkopf schmatzte ein paar Mal leise, bevor er seine Sicht klarer blinzelte und seinen Kopf hob. Sein Kopfkissen hatte eine merkwürdige Form heute....bis ihm im nächsten Moment auffiel, dass sein Kopfkissen, um dessen ungewöhnliche Wärme er sich schon bereits gewundert hatte, eine Männerbrust war. Sofort riss er seinen Blick zur oberen Partie, die sich überhalb besagter Brust befand und aus einem Kopf mit friedlich schlafendem Engelsgesicht bestand. Yoshiki. Taiji konnte für einen Augenblick nicht beurteilen, ob sein Herzschlag rasant zu nahm oder sich drastisch verlangsamte. Yoshiki........warum lag er hier? Was war geschehen, dass er mit Yoshiki in einem Bett lag? War sein Rauswurf aus X etwa nur ein mieser Traum gewesen? Für schier endlose Sekunden starrten seine Augen auf die entspannten Züge des Anderen. Schemenhaft traten schließlich wieder die Erinnerungen vom letzten Geschehen in sein Gedächtnis. Doch dieser Rückblick reichte nur bis zum Abend, als sie alle was getrunken hatten....und irgendwann kam der Kuss.......und dann war Sense. Was danach geschah bekam Taiji nicht mehr zusammen gepuzzlet. Hatten sie etwa Sex gehabt...? Sie konnten sich schon beide nicht beim küssen voneinander abhalten – was sollte sie dann also daran gehindert haben, es wieder miteinander zu treiben? Der junge Bassist fuhr sich leise stöhnend mit der Hand über´s Gesicht. Wie sollte das nur weiter gehen? Yoshiki wollte sich von ihm trennen – und das nicht nur als Bassisten – aber voneinander ablassen gelang ihnen beiden nicht....? Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er griff nach der Bettdecke und hob sie vorsichtig an. Sein Blick fiel sogleich auf seine Boxershorts, die unversehrt seine untere Körperregion umhüllte. Sein Atem ging flacher. War dieses unscheinbare Kleidungsstück jetzt ein Indiz dafür, dass es doch nicht zum Sex zwischen ihnen gekommen ist in dieser Nacht? Er hob die Decke behutsam noch ein Stückchen mehr. Yoshiki´s Unterleib sah genauso aus wie Seiner: bedeckt. Zwar war dessen Shorts schon ein bißchen verrutscht, aber dennoch haftete sie an seinem Körper. Taiji seufzte leise und fast schon erleichtert auf. Dennoch stellte er sich die Frage, wie er mit Yoshiki in einem Bett landen konnte. Endlich hob er seinen Blick und schaute sich im Raum um. Sein Hotelzimmer war das hier eindeutig nicht, also musste es Yoshiki´s sein. Er hatte bloß keinerlei Erinnerungen daran, wie er hierher gekommen war. Filmriss. Gottverflucht, ausgerechnet jetzt. Taiji wischte leise stöhnend mit der Hand über sein Gesicht. Fast gleichzeitig ertönte ein zweites Stöhnen – nein, eigentlich war es ein verschämtes Seufzen. Das leise Seufzen von jemandem, der gerade aufwachte. Sofort richtete der Wuschelkopf seine volle Aufmerksamkeit auf seinen Bettpartner. Yoshiki´s Augenlider öffneten sich träge und das Erste was er erblickte war Taiji. Im ersten Moment schien er daran nichts Ungewöhnliches zu finden – doch nach wenigen Sekunden legte sich in seinem Kopf ein Schalter um und er schnellte hoch. Mit aufgerissenen Augen starrte er sein Gegenüber an. „Was machst du hier in meinem Bett??“ Seine Stimme klang unerwartet schrill. Der Angesprochene starrte perplex zurück; er hatte sich zwar schon gedacht, dass Yoshiki heftig reagiert sobald er ihn in seinem Bett vorfindet, doch insgeheim gewünscht, er täte es doch nicht.... „Ich hatte gehofft das könntest du mir sagen....“, antwortete er mit belegter und, im Gegensatz zu der des Drummers, ruhiger Stimme. Der Ältere blickte ihm verständnislos in´s Gesicht. „Bitte? Das hier ist mein Bett und du bist hier der Eindringling! Also erklär´ du mir gefälligst, was du hier verloren hast!!“ 'Eindringling'.......das Wort klang so distanziert....so feindseelig.... Taiji seufzte leise. „Ich weiß es nicht...“ „Wie, du weißt es nicht?“ Ruckartig stand Yoshiki auf – nur um sich im nächsten Moment stöhnend und mit leichtverzerrtem Gesicht den Kopf zu halten. „Genau deswegen“, entgegnete der Jüngere und schaute zu ihm hoch. „Wegen dem Alk. Ich hab ´nen Filmriss.“ Yoshiki stöhnte erneut, ließ sich wieder auf die Bettkante nieder sinken. „...und du offensichtlich auch....gepaart mit einem hübschen Kater....“, fügte er gedämpft hinzu. Der Leader von X erhob sich abermals – diesmal jedoch sichtlich bedachter als beim vorherigem Male – und steuerte auf den Tisch zu, der ihm wenige Meter schräg gegenüber stand. Seine Hand griff nach der 1,5-Liter-Mineralwasserflasche, entledigte ihr den Plastikdrehverschluss, führte ihre Öffnung zu seinen Lippen und trank mehrere, demonstrativ große Schlucke. Als wolle er zusammen mit dem Wasser auch seine Gedanken und Sorgen hinunter spülen.... Als er die Wasserflasche kurze Zeit später wieder abstellte, sagte er noch immer nichts. Statt dessen verschwand er im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Ohne Taiji auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Yoshiki starrte ihm unentwegt in die Augen, hielt den Blicken des Anderen stand. Versuchte mit seinen Augen regelrecht die braunen, glänzenden Tiefen des Anderen zu durchbohren. Doch der Andere schien eine genauso große Ausdauer und Verbissenheit zu besitzen denn er starrte unentwegt zurück. Sein Spiegelbild. Was um alles in der Welt hatte er vergangende Nacht nur getan? Hatte Taiji seine alkoholisierte Situation ausgenutzt? Yoshiki´s Finger strichen durch die zerzausten Haare, um sich selbst die ins Gesicht gefallenen Strähnen zurück zu kämmen und die Sicht auf die Augen seines Spiegelbildes wieder frei zu geben. Nein...Taiji wirkte vorhin im Bett selbst zu verloren und orientierungslos, als dass er es auf diese Art von Erwachen gezielt angelegt haben könnte. Traute er ihm so eine Tat überhaupt zu.....? Er wusste es nicht. Jedoch traute er jemand anderem diese Tat zu: Sich selbst. Er konnte sich selbst gegenüber nicht mehr leugnen, dass er imense Schwierigkeiten hatte, bei Taiji konsequent auf Abstand zu gehen. Obwohl er diese Schwäche nie jemandem gegenüber zugegeben hätte. Er wusste, dass es auf Dauer mit X immer größere Probleme geben würde, würde sich keine Änderung einstellen. Doch seine Empfindungen für Taiji konnte er nicht einfach so abstellen wie hide den Verstärker für seine Gitarre. Taiji und X zusammen liefen so, wie es im Moment war, volle Geschwindigkeit Richtung Sumpf. Wenn nicht bald eine Änderung eintraf, würde alles mehr und mehr feststecken und der Kampf, da wieder raus zukommen, würde immer erschwerlicher werden. Taiji und X getrennt, aber parallel – konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Wie sollte das gehen? Zudem glaubte er, Taiji damit das Herz endgültig in tausend Teile zu zerschlagen, würde er die Beziehung mit ihm aufrecht erhalten, ihn gleichzeitig aber von allem, was mit X zu tun hat, ausschließen. Wie ein Tornado kamen ihm seine Gedanken vor, ein Tornado der rasch heran wuchs und sein Gehirn zu einem Schlachtfeld umwandelte. Alles riss er mit, jede kleinste Überlegung, jeden Fetzen Zweifel! Er liebte X und er liebte Taiji, aber beides gleichzeitig konnte er nicht Aufrecht erhalten! Sein Herz und sein Verstand lieferten sich einen erbitterten Kampf miteinander...! - Bis das laute, helle Klirren von Glas durch den Raum erklang, in dem Moment wurde alles ruhig. Für wenige Sekunden. Taiji vernahm das Klirren hinter der Tür zum Badezimmer und den dazu fast parallel zu hörenden, grellen Aufschrei. Sofort sprang er vom Bett auf, hastete zum Badezimmer und riss die Tür auf. Sein Blick fiel ohne Umwege sofort auf Yoshiki. Wie er leicht über dem Waschbecken gebeugt dastand, zitternd. Seine rechte Hand war blutüberströhmt. Die rote Flüssigkeit bahnte sich ungehindert ihre Wege über die helle Haut, bis sie irgendwann immer mal wieder ein bißchen Halt verlor und als Bluttropfen in die schier endlose Tiefe fiel, um zum Schluss auf der weißen Keramikoberfläche zu zerspringen. Taiji starrte fassungslos auf das Szenario, kurz darauf ebenso fassungslos in das Gesicht des Drummers. Yoshiki´s Gesicht war ein reines Gemälde der Verzweiflung. Seine Augen waren glasig, fast bis zum Anschlag mit Tränen gefüllt, wie es schien, und sie schauten den jungen Bassisten ebenso geschockt an, wie Dieser sie anschaute. Als könne er selbst nicht begreifen, was soeben passiert war. Die glatte Spiegelfläche war halb zertrümmert und blutbefleckt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)