Icecube von RedSky (Fortsetzung zu "Sugarcube") ================================================================================ Kapitel 12: the morning after / the postcard -------------------------------------------- Er hielt das dünne Stück Pappe ruhig zwischen seinen Fingern. Seine Augen überflogen die wenigen per Hand geschriebenen Zeilen wieder und immer wieder. Bis sich schließlich die erste Träne aus den überfüllten Augen löste, über die Wange ronn um schließlich am Kinn abzutropfen und binnen kürzester Zeit auf der hellen Pappe zu zerspringen. Die schwarze Tinte verrmischte sich sofort mit dem Tropfenopfer. Dieser unglücklichen Träne sollten noch Mehrere folgen. Bald schon konnten die Finger nicht mehr ganz so still halten und sie begannen sachte zu zittern. Taiji hatte, während er lustlos darauf wartete dass die Kaffeemaschine ihm das fertige Gebräu ausspuckte, eher nebenbei seine Blicke ziellos über etlichen Krempel in seiner Wohnung wandern lassen. Irgendwann fing sein Blick eine Karte ein, die Yoshiki ihm mal geschrieben hatte. Als sie noch zusammen waren. Eine einfache Karte mit Rosenmotiv. Typisch Yoshiki. Auf der Rückseite standen nur zwei Sätze, dass er ihn liebte und wie glücklich er mit ihm sei. Zwei Tage darauf hatten sie wieder einen ihrer Streitereien. Es war zu der Zeit, als ihre Streitereien und Meinungsverschiedenheiten begannen deutlich zu zunehmen. Wieso hatte er damals nicht schon etwas gemerkt, wieso hatte er damals nicht schon begonnen, den drohenden Riss zwischen ihnen zu umgehen, zu kitten? Warum war er mitten in den Abgrund gerannt und hatte Yoshiki mitgerissen? Warum war er so ein verquerter Hohlkopf, der nie nachgeben konnte und immer seinen Dickschädel durchsetzen wollte? Warum hatte er seine impulsiven Gefühle nicht besser unter Kontrolle halten können? Warum konnte er sich nie zurück halten, sich nie zusammen reissen? Warum hatte er nie gesehen, was er damit für einen Schaden anrichtete? Die beschriftete Seite der Karte zierten mittlerweile schon eine ganze Reihe von Tränen, manche der geschriebenen Worte waren schon fast bis zur Unleserlichkeit verwaschen. Sie verlor ihren Halt zwischen Taiji´s Fingern und segelte haltlos gen Boden. Der junge Musiker lehnte sich mit dem Rücken zur Wand, nur um sich gleich darauf an Selbiger runter rutschen zu lassen und schluchzend zusammen zu sacken. Wie konnte er nur allen ernstes glauben, Yoshiki würde diese stetig steigenden Strapazen zwischen ihnen beiden ewig mitmachen? Warum war er nur so unachtsam mit dieser Person umgegangen? Wie konnte er riskieren, alle Blütenblätter seiner Rose im Wind zu verlieren? Erst jetzt wurde ihm so wirklich bewusst, was er in der Vergangenheit alles für Fehler begangen hatte, Fehler die in zu häufiger Ausführung ein schmerzhaftes Ergebnis übrig ließen. Diese langsam aber sicher zum Vorschein kommende Erkenntnis zerriss ihm innerlich das Herz. Es war die Türklingel, dessen störender Ton durch den Raum hallte, der bis eben nur mit dem leisem Gebrodel der Kaffeemaschine und einem ungleichmäßigem Schluchzen gefüttert war. Taiji blickte auf, lauschte für einen Moment. Bis er das eben gehörte Geräusch auch wirklich als Türklingel identifiziert hatte. Besuch... Oder der Postbote. Beides wollte er nicht. Zumal ihm nicht einfiel, wer ihn ausgerechnet heute besuchen wollen würde. Also blieb nur noch der Postbote übrig. Sein Kopf sank zurück in seine, auf den Knien ruhenden, verschränkten Arme. Abermals ein Klingeln. Taiji schloß die Augen, biss sich auf die Unterlippe. Kein Postbote der Welt sollte ihn in seinem Selbstmitleid stören. Doch das Klingeln ertönte ein weiteres Mal. Diesmal aber war der Klingelton in einem bestimmten Rhythmus zu vernehmen. Taiji kramte kurz in seinem Gedächtnis, dann hatte er es. Er kannte nur eine Person, die in solch einem Rhythmus eine Türklingel betätigen würde. hide. Der Lockige erhob sich, schwankte zur Wohnungstür und öffnete durch Knopfdruck dem unten Wartenden die Haustür. Seine eigene Tür öffnete er erst, als er den erkennenden Hall von hide´s Stiefeln im Treppenhaus die letzten Stufen bis zu seiner Wohnung hochsteigen hörte. Durch den entstehenden Spalt sah er schon hide´s schwarzen Mantel. Zögerlich öffnete er seine Tür ein bißchen weiter. Der blonde Gitarrist stand vor der Wohnung des Anderen und blinzelte Diesen durch den Türspalt fragend an. „....darf ich rein kommen?“ Anstatt zu antworten ließ er den Freund hinein. Kaum dass hide den Flur betreten hatte, schloss er die Tür auch schon wieder. Die Begrüßung ließ er aus. hide wandte sich sogleich zu Taiji um. Betrachtete ihn erst nur stumm. Im schummrigem Licht des Flures konnte er die Tränenspuren und die geröteten Augen nicht erkennen. Nachdem Taiji aber nur ohne viele Worte und scheinbar etwas unschlüssig an der geschlossenen Wohnungstür stehen blieb, machte hide ein paar Schritte zur Seite um in die Küche zu gelangen. Der Andere würde ihm schon folgen. Die meißten Leute folgten ihrem frisch eingetroffenem Besuch, wenn Dieser ohne Aufforderung ein Zimmer betrat. Sein erster Blick fiel auf die Kaffeemaschine, die, wie es aussah, gerade mit ihrer Arbeit fertig war. „Wie geht’s dir?“, fragte er den Bassisten und nahm sich wie selbstverständlich zwei Becher, um Diese mit der tiefdunkelbraunen, heissen Flüssigkeit zu füllen. „Hervorragend“, krächzte Taiji, der ihm nun in die Küche gefolgt war, und wischte sich mit der Hand notdürftig den größten Anteil der Tränen vom Gesicht. Aus den Augenwinkeln sah er wie hide ihnen beiden Kaffee einschenkte. hide schwieg. Er wusste, dass Taiji log. Er wusste auch, dass seine eigene Frage eigentlich völlig überflüssig war. Seine Hände ergriffen die nun gefüllten Becher, er wand sich zu Taiji um und hielt ihm einen Becher anbietend entgegen. Jetzt erst sah er in das Gesicht seines Gastgebers. In die geröteten, verquollenen, glasigen Augen. „Taiji.....“ Der Jüngere nahm den Kaffeebecher wortlos an und wand sich wieder ab. Fast schon schüchtern wirkte diese Handlung. Warum lag plötzlich dieser erstaunte Ton in hide´s Stimme? War es wirklich so verwunderlich, dass er weinte? War es nicht verständlich, heute, hier und jetzt? Er merkte wie sein ganzer Körper plötzlich schwerer wurde und er setzte sich auf einen Stuhl an den Küchentisch. Neue Tränen bahnten sich ihren Weg aus seinen Augen. Er wollte sie jetzt nicht spüren, versuchte ihnen den Weg über seine Wangen zu verwehren und strich sich mit den Fingern über die geschlossenen Augen, doch die Gegner waren in der Überzahl. hide kniete sich vor Taiji, sah wie Dieser seinen Kampf gegen die Tränen verlor. Fürsorglich streichelte er dessen Oberschenkel. Seinen Becher stellte er abwesend auf dem Tisch ab. Seine Augen waren auf Taiji´s Gesicht gerichtet, doch sehen tat er gerade den letzten Abend. Das letzte Konzert....Taiji´s herzzereissender Anblick.... Er hatte ihm die Traurigkeit, die Verzweiflung und Enttäuschung die ganze Zeit über angesehen. Doch stand er ihm bei? Hatte er ihn getröstet? Hatte er ihn auch nur ein Mal herzlich in den Arm genommen, wie er es ganz offensichtlich brauchte? Nein. Er war ein feiger Hund gewesen, der seine Trauer in sich reinstopfte, sie in sich festhielt und einen Korken drauf drückte, bevor seine Gefühle nach aussen dringen konnten. Und trotz dieser Anstrengung hatten sie hier und da ein kleines Schlupfloch gefunden..... Der, der sich das ganze Konzert über am meißten um Taiji gekümmert hatte war Toshi. Niemand war während des gesamten Auftrittes über so oft an Taiji´s Seite gewesen, hatte ihn so oft animiert wie Toshi. hide selbst hatte sich die ganze Zeit über nur hinter seiner Gitarre versteckt.......versteckt und sich in sicherer Entfernung aufgehalten. Als Taiji ihn gebraucht hätte, war er nicht da. Und jetzt war vieles schon zu spät.......... Das leise, ungleichmäßige Schluchzen Taiji´s riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Kurzerhand schlang er seine Arme um den Bauch des Anderen und drückte ihn sanft an sich. Taiji gab nun endgültig auf, ließ seinen Oberkörper etwas nach vorne sinken und stützte sich somit auf dem vor ihm knienden hide. Aus seinem leisen Schluchzen wurde lautes Weinen. Nie wieder würde es so werden wie früher. Nie wieder. Toshi stand im Bad vor dem Spiegel und ließ seinen Blick über sein Gegenüber wandern, während er mit einem weißem Frottée-Handtuch seine noch leicht rosaverfärbten, langen Haare halbtrocken rubbelte. Diese Tönung, die hide ihm angedreht hatte, schien wohl doch ein bißchen hartnäckiger zu sein als er angenommen hatte. Aber das Gröbste der Farbe war draussen und der Rest würde sich nach ein paar weiteren Malen Haare waschen auch erledigt haben. Er ließ schließlich von seiner feuchten Mähne ab und hang das ebenfalls feuchte Handtuch ordentlich über den Handtuchhalter neben sich. Nachdem er seine Haare mit Hilfe eines wiederständigen Kammes mehr oder minder gebändigt hatte, verließ er das Badezimmer, schlüpfte in den Rest seiner Klamotten und machte sich auf zum Frühstückssaal. Wen von den anderen er heute morgen dort noch zu erwarten hatte wusste er nicht so genau. Und als er den Raum betrat durfte er etwas ernüchternd feststellen, dass er der einzige aus der Band war. Diese Tatsache registrierend setzte er sich an den leeren Tisch und gab bei der zierlichen Bedienung, die sofort zu ihm hoppelte, seine Bestellung auf. Während er auf Diese wartete faltete er drei Mal seine Serviette anders, bevor er seine Blicke aus dem Fenster schweifen ließ. Von hier aus hatte man den direkten Blick auf die Hotelterasse. Und trotz sorgfältigster Pflege Selbiger, sah es draussen grau und ungemütlich aus. Der Himmel war bedeckt, man konnte die bedrückende Kälte beinahe schon sehen. Bei diesem Wetter mochte man sich nicht lange draussen aufhalten. Seine Gedanken glitten unwillkürlich zum Bassisten. Wo er sich jetzt wohl gerade aufhielt? In seiner Wohnung? Oder ob er die Nacht durchgetrunken hatte und jetzt im Bett irgendeiner Stripperin oder eines Freundes lag? Letzten Abend musste er sich jedenfalls recht früh von der Party gelöst haben, denn er hatte den Jüngsten schon bald nicht mehr ausfindig machen können. Auch Yoshiki war irgendwann verschwunden und Toshi hatte irgendwie das Gefühl, dass der Leader diese Nacht nicht im Hotel verbracht hatte. Über hide´s und Pata´s Verbleib hatte der Sänger ebenfalls keinerlei Ahnung. Wenn sie die Nacht noch im Hotel verbracht haben sollten, würde es zumindest noch bis zum Vormittag dauern, bis hide sich bemerkbar machen würde. Als er gerade wieder die nahenden, tippelnden Schritte der Bedienung vernahm, wand er sich vom Fenster ab – und erblickte plötzlich einen Pata neben sich sitzen. Und eben dieser Pata grinste ihn auch noch breit an, als Dieser Toshi´s überraschten und verdutzten Gesichtsausdruck erblickte. Der Gitarrist musste sich klammheimlich angeschlichen haben....oder war er so tief in seinen Gedanken versunken gewesen...? „Gut geschlafen?“, nuschelte Pata, während er nach der Kaffeekanne griff und sich seine Tasse füllte. Toshi blinzelte, bevor er antwortete. „Nicht erwähnenswert. Aber zumindest bin ich nicht wieder davon wach geworden, dass hide den Flur vollkotzt.“ Er schenkte sich nun auch Kaffee ein und platzierte eine Toastscheibe auf seinen Teller. „Ist der überhaupt noch im Hotel?“ „Wer, der Flur?“ Bevor Pata den Brotkorb mit den Toastscheiben auch nur anrührte, führte er seine Kaffeetasse zu seinen Lippen und nahm ein paar heiße Schlucke. „hide.“ Toshi schaute ihn von der Seite an. „Als ich auf mein Zimmer ging, drang aus Seinem kein Laut und von den Türen auf dem Gang war auch keine Einzige beschädigt.“ Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen angelten nun auch nach einem Toast und gleich darauf nach dem gefüllten Marmeladenglas. „Entweder er hat die Nacht auf´m Klo verbracht oder er ist vorzeitig gegangen.“ hide hatte sich ganz offensichtlich wirklich schon aus dem Staub gemacht, denn sein Hotelzimmer war leer. Pata und Toshi hatten sich nach dieser Feststellung entschlossen, sich jeweils ein Taxi kommen zu lassen und ließen sich nach Hause chauffieren. Dort angekommen entleerte Toshi das bißchen Gepäck, das er dabei gehabt hatte und begab sich anschließend ins Wohnzimmer, wo er versuchte das Buch zu lesen, Welches er sich kürzlich erst gekauft hatte. Doch er schaffte es nicht über die dritte Seite hinaus – er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Schon seit dem Frühstück herrschte eine innere Unruhe in ihm, Welche sich nicht einfach so abschütteln ließ. Seine Gedanken kreisten um die Band, um Taiji, um Yoshiki. Und darum, wie es nun ohne Bassisten weiter gehen sollte. Nachdem er bei dem Satz mit dem Gartenbrunnen nun schon ein viertes Mal ansetzte und immer noch nicht so richtig begriff, was er da eigentlich las, klappte er das Buch seufzend wieder zusammen und begab sich zum Telefon. Automatisch wählten seine Finger Yoshiki´s Nummer, während er den Hörer an sein Ohr hielt. Doch ausser dem monotonem Freizeichen drang kein Laut aus der Hörmuschel. Als auch nach dem einundzwanzigstem Tuten niemand abnahm, legte Toshi wieder auf. Obwohl es immer noch die Option gab, dass Yoshiki sich arbeitswütig ins Studio verzogen hatte, beschloss der Sänger zu Yoshiki´s Wohnung zu fahren. Es dauerte nicht lange, bis er vor der Wohnungstür seines besten Freundes stand und auf den Klingelknopf drückte. Er konnte es sich nicht recht erklären, aber irgendwie hatte er ein mulmiges Gefühl in der Magengegend – und das lag sicherlich nicht am Frühstück. „Yoshiki?“ Er klopfte an die Tür. Mit jeder Sekunde, die er länger vor der Tür stand, bekam er mehr und mehr das Gefühl, Yoshiki müsse sich in der Wohnung befinden. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären wieso, aber er wurde immer überzeugter von diesem Gedanken. „Yoshiki, ich bin´s, Toshi!“ Nochmal klopfen, nochmal klingeln. Irgendwann, Toshi hatte aufgehört auf die Zeit zu achten, vernahm er hinter der Tür zögerliche, leise schlurfende Schritte, kurz darauf das Umdrehen eines Schlüssels im Schloss und im nächsten Moment wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet. Toshi blinzelte. Doch es fiel nicht genügend Licht durch den Türspalt um Genaueres zu erkennen. Lediglich ein Auge blinzelte ihm entgegen. Als eben dieses Auge sein Gegenüber scheinbar eingeordnet bekam, öffnete sich die Tür weiter und Toshi konnte schließlich die vollständige Person vor sich erkennen. Und der Anblick war übel: Die Haltung des sehr schlanken Körpers war eingeknickt, das Sweatshirt hing völlig auf halb acht, die Haare waren total zerzaust und hingen seinem Besitzer teils wirr im Gesicht rum und Selbiges war aschfahl und eingefallen. Die Augen waren kraftlos, erschöpft und stumpf. Toshi kannte diesen Blick nur zu gut und anhand Yoshiki´s derzeitigem Erscheinungsbild konnte er sich ziemlich bildhaft ausmalen, was Dieser zuletzt getan hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)