Icecube von RedSky (Fortsetzung zu "Sugarcube") ================================================================================ Kapitel 27: The truth that breaks the day ----------------------------------------- Seine flache Hand trommelte im hektischem Rhythmus gegen die Tür, zeitgleich verweilte sein Finger scheinbar dauerhaft auf dem Klingelknopf. Jede weitere Sekunde in der ihm nicht geöffnet wurde kam hide wie eine Ewigkeit vor. „Hiroki, mach auf!!“, hallte es durch das Treppenhaus. „Hiroki!“ Er hatte gerade so viel Energie in sich, so viel Wut, dass er nicht einmal still stehen konnte sondern andauernd von einem Fuß auf den anderen trat. Dass er mit seinem Überfallkommando zunehmend bei den Nachbarn für Aufmerksamkeit sorgte, registrierte er gar nicht. Auch die schlurfenden Schritte, die von der anderen Seite der Tür immer näher kamen, nahm er nicht wahr. Erst als sich die Tür vor ihm plötzlich nach innen öffnete und er mit seiner Hand beinahe in das Gesicht der ihm nun gegenüberstehenden Person geschlagen hätte, anstatt weiterhin gegen die Tür, wurde er mit einem Mal sofort still. Aus purer Überraschung aufgrund der Tatsache, wer da gerade, nur mit Boxershorts bekleidet, vor ihm stand. „Mensch, bist'e bekloppt oder was so-“ Taiji hielt abrupt inne, sah nur ungläubig in hide's Augen, die genauso ungläubig zurück schauten. Es brauchte einige Sekunden, bis der Gitarrist, dem noch regennasse Strähnen ins Gesicht hingen, seine Sprache wieder gefunden hatte. „Was machst du hier?“ „Ich wohne hier... So halb...“, gab Taiji zur Antwort und fuhr sich mit einer Hand durch das noch ziemlich zerwühlte Haar. „Mensch hide, was ist los dass du hier so' Aufstand machst?“ hide bekam tellergroße Augen als er diese Auskunft erhielt und ging auf Taiji's Frage gar nicht erst ein. „Du wohnst hier?“, wollte er wissen und seine Stimme überschlug sich dabei fast. Er stand hier doch vor Hiroki's Wohnungstür – oder? „Ja, verdammt. Hab ich doch eben gerade gesagt...“ Dem Basser war anzusehen dass er hide's Aufregung absolut nicht verstand. Seit wann hatte er ein Problem mit Hiroki? „Ouh Taiji, was hat er mit dir nur gemacht....“, nuschelte hide mit leicht verzweifeltem Unterton, schob sein Gegenüber aber gleichzeitig zur Seite und drängte sich in die Wohnung. „Hiroki!“, brüllte er durch die ganze Wohnung, sah sich kurz um und trat dann orientierungslos ins Schlafzimmer. Taiji's aktuelle Garderobe hatte ihn irgendwie zuerst an dieses Zimmer erinnert. Und er lag damit auch nicht falsch – vor ihm auf dem Boden lag der Gesuchte, oder besser vor ihm auf dem Futon, sicher eingehüllt von weißen Decken und Kissen. „Aufstehen!“, fuhr hide ihn sogleich barsch an und griff ihm in die zerzauste Haarmähne – ungewöhnlich grob wenn man die Tatsache beachtete, dass hide keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte und somit völlig nüchtern war. Hiroki, der zuvor den Eindringling mit erschrockenen Augen von unten angestarrt hatte, kreischte gellend auf als er so brutal an den Haaren nach oben gezogen wurde. In Windeseile stand er auf seinen Füßen um den zu starken Schmerz an seiner Kopfhaut zu lindern. „Hör auf, verdammt!“, keifte er und versuchte verzweifelt hide's Hand von seinem Haar loszuwerden. „Warum hast du das gemacht?“, schrie hide ihn an. „Wem willst du damit mehr schaden?“ Taiji, der immer noch leicht neben sich stand und einfach zu überrascht war von dem Auftritt des älteren Gitarristen, fing sich nun endlich wieder als er feststellte dass er die Wohnungstür immer noch offen hielt, schloss Diese und eilte ins Schlafzimmer zu den anderen beiden. „hide, hör auf! Er hat schon eine Kopfverletzung!“ Energisch griff er nach der Hand des Freundes und zwang ihn Hiroki los zu lassen. „Was ist in dich gefahren, verflucht?“ Taiji's Blick war eindringlich, er hielt hide's Handgelenk weiterhin fest. „Er hat dir Koks untergeschmuggelt und dafür gesorgt dass Yo-chan dich aufgrund dessen feuert. Er hat behauptet du dealst!“ „WAS?“ Taiji blieb im ersten Moment beinahe die Luft weg und er starrte den Freund mit weit aufgerissenen Augen an, obwohl sein Verstand noch einige Sekunden mehr benötigte um die vollständige Bedeutung dieser Aussage zu verarbeiten. „Das kannst du nicht beweisen!“, blaffte Hiroki hide großschnäuzig an. „Ich hab die Aussage Toki's, das ist mir Beweis genug!“, fauchte hide zurück und funkelte den Jüngeren wild an. „Toki?“, erklang Taiji's Stimme zwischen dem Gezeter der beiden Streithähne und seine nun fragenden Augen sahen hide erwartungsvoll an. „Toki vom Staff“, begann der ältere Gitarrist. „Während unserer 'Violence in Jealousy'-Tour hat Hiroki ihn darauf angesprochen ob er wüsste dass du dealst. Er wusste natürlich nichts davon. Dann hat er sich mit ihm in die Garderobe geschlichen als wir schon längst auf der Bühne standen und geprobt haben und hat in deiner Jackentasche ein kleines Plastiktütchen mit weißem Pulver gefunden“, erklärte hide nun ausführlicher. „Hiroki hat behauptet dich damit gesehen zu haben, wie du kurz vor den Proben an einem der Seiteneingänge der Halle etwas von dem Zeuchs verkauft hast.“ Taiji kannte Toki; das war einer der Typen der ihn bei den letzten Konzerten ganz besonders missmutig angefunkelt hat. Und wenn diese Koks-Sache stimmte, dann konnte er dessen Missmut sogar verstehen. Hiroki ließ sich immer noch nicht beeindrucken. „Woher willst du wissen dass Toki die Wahrheit spricht? Er kann genausogut lügen!“ „Er würde ganz X mit so einer Aussage in Gefahr bringen und sich selber strafbar machen wenn sich seine Aussage als Lüge heraus stellen würde!“ hide wurde immer aufgebrachter je länger er sich mit Hiroki stritt. „Worte sind Lügen! Worte können alles behaupten, aber sie zeigen dir nicht die Wahrheit! Die einzige Wahrheit sind Taten! Aber du hast nur Worte!“ Hiroki's schreiende Stimme war nun die Lauteste im Raum und grenzte schon knapp an Hysterie, was einem die seltene Gelegenheit gab die Verbindung zwischen Yoshiki und Hiroki zu erkennen. Taiji, der inmitten dieser Streiterei noch immer versuchte zu realisieren, was hier gerade passierte, traf nun ein tiefer Stich ins Herz. Es tat weh das zu hören. Irgendwann rang er sich wieder zum sprechen durch. Dass dieses 'Irgendwann' keine zwei Sekunden nach Hiroki's Aussage statt fand, realisierte er nicht. „hide, würdest du bitte gehen?“ Der Blonde mit dem schwarzen Schlapphut wand seinen Kopf rasch vom Beschuldigten zu Taiji. „Was?“ Er schien überrascht von dieser Aufforderung. „Bitte“, wiederholte Taiji und ein Hauch von Schärfe lag in seiner Stimme. Der Freund blickte ihn noch einen Moment lang an, dann verließ er sichtlich widerwillig aber doch der Aufforderung nachkommend die Wohnung. Jedoch nicht ohne noch ein leises „Meld' dich mal bei mir“, im Flur verlauten zu lassen. Dann waren Hiroki und Taiji wieder allein. Standen sich beide im Schlafzimmer gegenüber, beide mit nicht mehr als ihren Boxershorts bekleidet. „Er hat trotzdem keine Beweise“, murmelte Hiroki verbissen und blinzelte durch seine zerzausten blonden Haare, die ihm zum Teil ins Gesicht hingen, den Älteren an. Taiji wusste dass Hiroki sich mit diesem wiederholten Satz selbst verraten hatte. Er fühlte sich sicher und beharrte deswegen immer wieder auf die Beweislage, die es seiner Ansicht nach ja nicht gab. Ein verheerender Fehler. „Er ist kein schlechter Mensch.“ Taiji saß auf dem Sofa in hide's Wohnzimmer, zupfte sachte die Saiten seiner Akkustik-Gitarre und starrte abwesend vor sich hin. hide, der ihm kommentarlos sein Instrument überlassen hatte, saß ihm in einem Sessel versunken schräg gegenüber und beobachtete den Freund. „Als was würdest du einen Menschen denn sonst bezeichnen, der Andere systematisch zu zerstören versucht?“ Taiji hielt in seinem Gezupfe inne und schaute langsam auf. Sein Blick haftete sich an hide's ruhige Augen. „Es ist nicht so stumpfsinnig und eingleisig wie es aussieht“, entgegnete er, „Hiroki ist kein hirnloser Irrer der nicht darüber nachdenkt was er tut.“ Er schwieg für einen kurzen Moment. „Okay, irre ist er vielleicht schon, aber er hat auch seine Gründe...“ Sein Blick driftete wieder unwillkürlich von hide's Augen ab ins Leere. hide legte die Fingerkuppen beider Hände aneinander, spreizte die Finger. „Dass er über seine Taten nachdenkt habe ich nie bezweifelt. Sonst würden sie nicht den gewünschten Effekt erzeugen.“ Er zögerte einen kurzen Moment. „Warum nimmst du ihn so vehement in Schutz?“ Die Augen des jungen Bassers fixierten wieder den Anderen. „Vielleicht weil ich Hintergründe kenne die euch unbekannt sind. Oder wusstest du etwas von einem Feuer im Hause Hayashi?“ Er sah wie sich hide's Augen bei der Bemerkung ein Stückchen weiteten. Das war ihm Antwort genug. „Ich auch nicht. Und ich habe die Story auch nie von Yoshiki erfahren, sondern von Hiroki.“ „Was für ein Feuer...?“ hide's Stimme war leise und seine Augen fixierten seinen Gesprächspartner. Taiji seufzte leise. „Hiroki war noch sehr klein als bei ihm und Yoshiki im Elternhaus ein Feuer ausbrach. Er wurde im Kinderzimmer von Flammen eingeschlossen und hatte wohl darauf gehofft, dass Yoshiki ihm hilft. Aber letztenendes war es ihr Vater der Hiroki gerettet hat.“ Er machte eine kleine, nachdenkliche Pause. „....ich glaube, Hiroki hing in seinen ersten Lebensjahren sehr an seinem großen Bruder. Bis zu diesem Ereignis. Dass Yoshi ihm damals nicht geholfen hat scheint ihn schwer enttäuscht zu haben....“ „Sie waren noch Kinder. Beide“, entgegnete hide zwar mit ruhiger aber auch betonter Stimme. „Das weiß ich auch, aber gerade als Kind hast du eine andere Sicht der Dinge. Und gerade Dinge die dir in der Kindheit widerfahren prägen sich um so stärker ein. Das weißt du doch selber am besten...“ hide senkte unwillkürlich seinen Blick; er wusste worauf Taiji damit ansprach und er hoffte innigst dass man ihm das Blut, das ihm gerade in die Wangen schoss, nicht ansah. „Und wenn du die Sichtweisen, die Enttäuschungen aus Kindertagen beibehälst und sie nicht deiner übrigen Entwicklung anpasst“, Taiji zuckte mit den Schultern was fast schon einen etwas hilflosen Eindruck machte, „.....dann passiert vielleicht soetwas...“ Der Blonde ließ sich die Geschichte kurz durch den Kopf gehen. Er hatte tatsächlich bis eben noch nie von so einem Feuer in Verbindung mit Yoshiki oder seiner Familie gehört. „Woher willst du wissen ob das nicht auch wieder eine Lüge von ihm war? Eine Lüge um dich einzuwickeln?“ Taiji schloss kurz die Augen und schüttelte behutsam den Kopf. „Ich hab ihn gesehen und gehört als er mir diese Geschichte erzählt hat. Und das waren keine Lügen, hide. Das waren keine Lügen.....“ hide versuchte ihm dies zu glauben, obwohl es ihm schwer fiel nachdem sich die Koks-Sache als riesige Intrige von Seiten Hiroki's heraus gestellt hatte. Er hätte dem jüngerem Bruder so einen großen Schlag gegen ihren Boss, oder vielmehr gegen X, bis zu diesem Zeitpunkt nie zugetraut, auch wenn er wusste dass es zwischen den beiden Brüdern nie wirklich rosig aussah. Mittlerweile fragte er sich schon was Hiroki in der Vergangenheit noch alles angestellt haben mochte, was bis heute nicht aufgedeckt worden war... „Hast du ihn geliebt?“ Taiji schwieg. Auch wenn er hide in der Vergangenheit schon so manche Sorgen und Gedanken anvertraut hatte, von denen er sich nie hätte vorstellen können sie überhaupt einer zweiten Person zu beichten, wollte er auch nicht sein gesamtes Gefühlsleben offen legen, auch hide nicht gegenüber. Der Ältere schien dies zu registrieren und bohrte nicht weiter nach. „Wirst du wieder zurück kommen?“ Der Bassist wusste schlagartig dass hide von X sprach. Und er hatte auch den sehnsüchtigen Unterton in seiner Stimme vernommen. Aber auch hier schwieg er im ersten Moment. „Weißt du...es ist viel passiert, hide. Ich spiel jetzt bei Loudness.“ „Na und?“, und es klang fast wie kindlicher Trotz, ohne dass hide sich dessen bewusst war. „Man kann doch auch in zwei Bands spielen.“ Der Jüngere senkte den Kopf. „Das ist es nicht allein.....“, murmelte er leise. „Ich weiß nicht.........ob ich nochmal zu X zurück gehen kann...“ hide trieb diese Aussage fast die Tränen in die Augen. All die Anstrengungen, Bemühungen und Hoffnungen sollten am Ende doch um sonst gewesen sein...? Er hatte stets an Taiji geglaubt und trotzdem wollte er ihnen den Rücken zukehren? Es herrschte sehr langes Schweigen und jeder der beiden hing seinen eigenen Gedanken nach. Bis irgendwann Taiji´s ruhige Stimme wieder im Raum erklang. „Woher wusstest du eigentlich, dass ich nichts mit dieser Koks-Sache am Hut hatte?“ hide schaute ihm in die Augen. Sein Blick war ehrlich. „Ich kenne dich, Taiji. Und ich weiß dass du uns nie in solche Schwierigkeiten gebracht hättest. Selbst wenn du es für notwendig befunden hättest zu dealen, hättest du es geschickter angestellt und X nicht mit reingezogen.“ Ein leises Seufzen vom Cowboy und er senkte den Blick abermals. „Und warum hat Yoshiki das nicht gewusst...?“ Seine Stimme war leise und traurig. „Yo-chan hatte Angst alles zu verlieren. Sowohl X als auch dich. Also hat er sich nur von einem getrennt, bevor ihm alles durch die Finger entwich – und das warst dann du.“ hide wusste dass diese Antwort nicht gerade aufbauend war. „Er hat unter der Trennung mehr gelitten als du dir vielleicht vorstellen magst, Taiji“, fügte er mit belegter Stimme hinzu. „Und er leidet noch immer.“ Auch wenn Taiji hide's Aussagen Glauben schenkte, tat es weh. Zu wissen, dass Yoshiki sich bewusst gegen ihn entschieden hatte. Dass Yoshiki nicht einmal den Mut besessen zu haben schien mit ihm über das Koks zu reden. Ihn zu fragen ob es wahr war, so wie es ihm berichtet wurde. Nein, Yoshiki bekam Torschusspanik und warf ihn hinaus, um X nicht zu verlieren.... Taiji wusste nicht ob er ihm deswegen böse sein konnte, aber er wusste was X für Yoshiki bedeutete. X bedeutete für ihn selbst etwas sehr Ähnliches. Nur stand er nicht an Yoshiki's Position – auch wenn er sich in der Vergangenheit oftmals in bandinterne Sachen eingemischt hatte, in die sich sonst kein anderer mehr einmischte. Vielleicht war es ein unbewusstes Handeln um Yoshiki nicht ganz allein in seinen Entscheidungen dastehen zu lassen, obwohl die Entscheidungen nach seiner Einmischung auch nicht unbedingt leichter zu treffen waren... Ihm ging eine Szene aus dem letzten Dezember durch den Kopf, als er mit Yoshiki nach einem ihrer Konzerte auf dem Vorplatz der NHK Hall in Tokyo stand. Es war nass und kalt und ungemütlich und Yoshiki wirkte so schrecklich bedrückt. “Sie haben mir gesagt, sie kommen mit dir nicht klar. Sie wollen, dass ich dich rausschmeisse.“ Dass hatte er ihm an dem Abend über den Staff erzählt. Ob Yoshiki zu dem Zeitpunkt schon von dem Koks gehört hatte wusste Taiji nicht. Doch was ihm im Nachhinein am meißten weh tat war nicht die Tatsache dass der Staff Yoshiki offenbar dazu gedrängt hatte ihn aus der Band zu werfen. Oder dass Yoshiki es tatsächlich getan hatte. Was am allermeißten weh tat war die Tatsache, dass er nicht mit ihm über die wahren Gründe gesprochen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)