Traum vom Tod von Flordelis (Custos Mortis) ================================================================================ Epilog: Epilog: Freunde ----------------------- Nach einem weiteren hellen Lichtblitz, fand Nolan sich in einer Gegend wieder, die er am Liebsten als seine eigene unterbewusste Welt gehabt hätte. Ein makellos blauer Himmel spannte sich über eine saftige grüne Wiese, die bis in die Unendlichkeit zu reichen schien, lediglich von vereinzelten Bäumen oder einem klaren Fluss unterbrochen. Nolan atmete tief ein, wunderbar klare Luft, würzig angereichert von dem frischen Gras, erfüllte seine Lungen und beruhigte sein aufgeregtes Herz, das von den vergangenen Ereignissen noch ein wenig mitgenommen war. „Das hier ist der Ort, auf den sich drei Verstorbene geeinigt haben“, erklärte Charon. „Möglicherweise wirst du aber nur einen davon treffen.“ Er musste nicht weiter erklären, von wem er sprach, Nolan verstand sofort, sein Herz schlug augenblicklich wieder schneller, als er in freudiger Erwartung den Blick schweifen ließ. Tatsächlich konnte er auf einem Felsen, nahe des Flusses eine Gestalt ausfindig machen und selbst auf diese Entfernung erkannte er die Person. Lächelnd lief Nolan auf ihn zu. Je näher er dem Felsen kam desto klarer wurde die Gestalt und desto sicherer wurde er sich darin, dass es tatsächlich derjenige war, den er die ganze Zeit über hatte sehen wollen. „Landis~“ Die Gestalt drehte sich um, als Nolan diesen Namen aussprach – und da war er sich endgültig sicher, es war wirklich Landis. Er glich die letzten Meter Distanz mit einem kurzen Sprint aus und drückte seinen Freund an sich. Landis lachte leise, als er die Umarmung erwiderte. „Ich dachte, das machen wir nicht mehr.“ „Nur nicht in der Öffentlichkeit“, erwiderte Nolan, ohne ihn wieder loszulassen. „Und davon gibt es hier ziemlich wenig.“ „Das ist natürlich wahr~“ Doch als Landis ihm schließlich auf die Schultern klopfte, ließ Nolan doch wieder von ihm ab und setzte sich stattdessen neben ihn auf den Felsen. Ein Baum spendete dem Flecken ausreichend Schatten für sie beide. „Wie ist es so, tot zu sein?“, fragte Nolan. Landis hob eine Augenbraue. „Wir sehen uns wieder und das ist das erste, was dir einfällt?“ Als der Gefragte nickte, lachte der Braunhaarige amüsiert. „Das sieht dir ähnlich. Aber nun, es ist ganz... in Ordnung.“ „Ist es nicht langweilig, den ganzen Tag nur hier rumzusitzen?“ Nolan machte eine ausholende Bewegung, die alles, was zu sehen war, einschloss. Zwar sah das alles sehr schön aus und es beruhigte mit Sicherheit, aber er konnte sich auch gut vorstellen, dass es mit der Zeit äußerst langweilig wurde. „Ich wünschte, ich würde hier nur die ganze Zeit herumsitzen“, erwiderte Landis murmelnd. Sein Blick ging zu einem anderen Baum in der Entfernung, doch er sah direkt wieder zu Nolan. „Die nette Dame, die dich auf meinen Wunsch hergelockt hat, quält mich jeden Tag mit Unterricht.“ „Du kennst sie?“, hakte Nolan nach. „Natürlich kenne ich sie. Aber du würdest die Erklärung eh wieder vergessen – du weißt nicht mal mehr wie sie aussieht, oder?“ „Woher weißt du das?“ Dieses Mal war es Nolan, der überrascht eine Braue hob, Landis lachte leise. „Du solltest eher fragen, warum ich dich hergerufen habe. Aber bevor du es tust“ – er hob seine Hand – „lass mich dir eine Gegenfrage stellen: Wie fühlst du dich?“ Nolan wollte direkt antworten, dass es ihm wie immer gut ging, doch stattdessen hielt er doch zuerst inne, um darüber nachzudenken. Zwar stimmte es, er fühlte sich gut – aber viel besser als sonst, wenn er das sagte. Normalerweise antwortete er das ja stets nur, um unangenehmen Folgefragen aus dem Weg zu gehen oder seinem Gegenüber keine Sorgen zu machen. Aber im Moment fühlte er sich seltsam befreit, obwohl er kein Ereignis aus seiner Vergangenheit ausblendete, wie er es sonst so gerne tat. Alles schien gut zu sein, so kitschig es auch klingen mochte und so unglaubwürdig er diese Enden in Büchern bislang gefunden hatte. „Im Moment geht es mir wunderbar“, antwortete er schließlich wahrheitsgemäß. Landis lächelte glücklich. „Ich wusste doch, dass dir das helfen würde. Deine Depressionen waren ja nicht mehr auszuhalten.“ Sein folgendes Lachen entkräftete seine harschen Worte. „Und außerdem hast du mir auch irgendwie gefehlt~ Und ich habe mich nie bei dir entschuldigt.“ Nolan neigte den Kopf. „Wofür?“ „Dass ich dir nie gesagt habe, dass ich die praktische Prüfung hab sausen lassen, dass ich mich sieben Jahre nicht gemeldet habe, dass ich auch danach kaum mit dir gesprochen habe...“ Er zählte die Dinge an seinen Fingern ab und seufzte schließlich leise. „Und ich kann dir das alles nicht einmal vernünftig erklären. Nach der Sache mit Ria und Fredi wollte ich einfach kein Kavallerist mehr werden, sieben Jahre gehen verdammt schnell vorbei und ich hatte ein wenig die Befürchtung, dass du mich hassen würdest...“ „Du musst mir nichts erklären.“ Landis sah Nolan fragend an, doch dieser hatte den Blick bereits wieder in die Entfernung gerichtet. „Ich dachte immer, ich bräuchte Erklärungen oder Entschuldigungen von dir, aber ich denke, alles, was ich wollte war, dass alles wieder so wird wie früher. Natürlich funktioniert das aber nicht so einfach von heute auf morgen.“ Als Landis bereits bedrückt den Blick senken wollte, lächelte Nolan ihm aufmunternd zu. „Aber ich bin überzeugt, dass wir dennoch immer noch Freunde waren – und es auch jetzt noch sind. Deswegen schlage ich dich jetzt auch nicht, selbst wenn du es verdient hättest.“ Landis lachte nervös, was aber sofort wieder abflaute, als Nolan ihn ernst ansah. „Wenn du weiterlachst, schlage ich dich doch noch.“ Der Braunhaarige wich ein wenig zur Seite, sein Gegenüber schmunzelte. „Das funktioniert tatsächlich, Ria hatte recht.“ Gespielt verärgert stieß Landis ihm in die Rippen. „Hör auf, mir so einen Schrecken einzujagen. Als Kommandant der Kavallerie solltest du ein wenig erwachsener sein.“ Nolan kam eine Idee, weswegen er, trotz der geringen Chance auf eine vernünftige Antwort, endlich die Frage stellte, die ihn schon eine ganze Weile interessierte: „Du weißt nicht zufällig, warum Fredi mich als Vize-Kommandant und als seinen Nachfolger bestimmt hat, oder?“ Landis lachte amüsiert. „Ich? Nein, natürlich nicht. Du solltest eher Frediano fragen.“ Nolan wollte ihm antworten, dass das wohl kaum möglich wäre, als er plötzlich eine andere Stimme hinter sich hörte: „Wie oft habe ich dich darum gebeten, mich nicht Fredi zu nennen?“ Überrascht fuhr der neue Kommandant herum und erblickte Frediano, der gelangweilt gegen den Baumstamm lehnte. Allerdings wirkte er keineswegs mehr verkniffen oder unterkühlt, stattdessen war er genauso gelöst wie Landis offenbar. „Was machst du hier?“, fragte Nolan verwirrt. Frediano hob eine seiner schneeweißen Augenbrauen. „Ich bin tot. Wo sollte ich sonst sein?“ Doch ließ er seinem Gegenüber keine Zeit für eine Erwiderung, stattdessen fuhr er direkt fort: „Es wundert mich allerdings, dass du dich immer noch fragst, warum ich dir derart viel Verantwortung eingeräumt habe. Ich dachte immer, es wäre offensichtlich.“ Er seufzte, was dazu führte, dass Nolan einen schuldbewussten Blick zu Landis warf, der die Szene allerdings nur mit einem Schmunzeln betrachtete. „Nachdem selbst Kenton und die Königin dafür waren, dass du der nächste Kommandant wirst, solltest du dich nicht mehr fragen, ob du überhaupt dafür geeignet bist. Du bringst alles dafür mit. Mut, Entschlossenheit, Charisma, Leidenschaft und Durchsetzungskraft – was will man mehr?“ Landis nickte zustimmend und verzog sofort verärgert sein Gesicht, als Frediano spöttisch fortfuhr: „Und im Gegensatz zu einem anderen Anwesenden hast du immerhin auch deine Ausbildung abgeschlossen.“ „Mach mich nur fertig. Meine Güte, ich hatte ohnehin was Besseres zu tun als Kavallerist zu werden.“ „Wusstest du da etwa schon, dass du gehen würdest?“ Nolans Frage unterbrach die kleine Neckerei zwischen Landis und Frediano, beide blickten den Schwarzhaarigen sofort an. Er merkte erst in diesem Moment, dass er offenbar äußerst bedrückt gewirkt haben musste und bemühte sich sofort wieder um ein Lächeln, auch wenn es nicht sonderlich echt wirkte. Doch Landis schüttelte den Kopf. „Nein, wusste ich nicht. Hätte ich was davon gewusst, hätte ich dich mitgenommen, damit wir nicht voneinander getrennt werden.“ Er schmunzelte, als Nolan darauf lachte. „Okay, im Ernst. Ich wusste damals noch nichts davon. Ich war nur nicht sonderlich interessiert daran, ein Kavallerist zu werden – deswegen hatte ich ein Vorstellungsgespräch für den Posten als Page. Damals wäre ich aber nicht genommen worden – nach meiner Rückkehr schon, welch Ironie...“ Landis lächelte bitter, weswegen Nolan ihm sofort aufmunternd auf die Schulter klopfte. „Vielleicht war das ja auch ein Teil des Schicksals... möglicherweise wärst du immerhin nie weggelaufen, wenn das mit dem Posten geklappt hätte.“ „So schlaue Worte von dir“, bemerkte Landis erstaunt, worauf Frediano seufzte. „Er ist nicht dumm, weißt du. Er ist schlauer als du.“ Nolan befürchtete, dass beide sofort wieder zu streiten anfangen würden, doch stattdessen hob Landis nur seufzend die Schultern. „Ja ja, ich bin dumm, ich weiß.“ Frediano schmunzelte darauf nur, statt noch etwas zu sagen. Als die Situation sich derart auflöste, lächelte Nolan mit einer tiefen Zufriedenheit in seinem Inneren. Warum auch immer sich die beiden zusammen in diesem Bereich befanden, offenbar verstanden sie sich nun um einiges besser als früher, was ihn trotz des traurigen Untertons der ganzen Sache doch irgendwie freute. Wenn sie sich früher derart verstanden hätten, wäre es möglicherweise nie so weit gekommen – aber andererseits war da auch dieser Schicksalsgedanke, den Nolan nun nicht mehr los wurde. Alles hatte irgendeinen Grund, so unsichtbar er auch für die Menschen sein mochte, davon war er überzeugt. Ein plötzlicher Windstoß ließ Nolan fragend den Blick heben. „Was ist los?“ „Deine Zeit hier neigt sich dem Ende zu“, antwortete Landis ein wenig bedrückt. „Das heißt, wir müssen uns wieder trennen.“ Frediano lachte leise, als auch Nolans Gesicht sich verfinsterte. „Ihr armen Liebenden~“ Beide schnitten ihm eine Grimasse und wandten sich dann wieder dem jeweils anderen zu. „Aber mach dir keine Sorgen“, sagte Landis. „Wir werden uns mit Sicherheit wiedersehen.“ „Wie das?“, fragte Nolan verwirrt. „Das wirst du noch sehen.“ Spöttisch lachend tätschelte Landis seinen Kopf. „Nun mach dir keine Gedanken, wir werden uns schon wiedersehen, das garantiere ich dir. Wahrscheinlich wirst du mich aber nicht erkennen.“ Während Nolan fragend eine Augenbraue hob, schien Landis diebisches Vergnügen an dieser Sache zu haben, auch als er seinen Freund schließlich umarmte. „Wir werden immer Freunde bleibe“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Immer...“ Lächelnd, die Worte verinnerlichend, schloss Nolan seine Augen. „Danke...“ Als er die Augen wieder aufschlug, bemerkte er sofort, dass er wieder in dem Zimmer lag, in dem er eingeschlafen war. Hastig richtete er sich auf und blickte sich um. Das Sonnenlicht, das hereinfiel, sagte ihm, dass es bereits wieder Tag war, der Spiegel in der Ecke... war fort als hätte es nie einen gegeben. War das alles nur ein Traum? Doch ob es nur einer gewesen war oder nicht, er hatte wirklich etwas gelernt, etwas Wichtiges, wie er sofort feststellte, als er daran dachte, dass er nun wieder nach Hause zurückkehren würde. Er freute sich sogar regelrecht darauf, wieder als Kommandant der Kavallerie aufzutreten – und er freute sich darauf, all seinen Freunden zu sagen, wie dankbar er ihnen war. Beschwingt wie schon lange nicht mehr, erhob er sich von dem Bett und packte hastig seine Tasche wieder beisammen. Er warf noch einen letzten Blick umher und ging dann hinaus, um das Gasthaus zu verlassen. Anders als am Abend zuvor war der Empfangsraum dieses Mal hell erleuchtet, die Pflanze auf dem Tresen blühte lebensfroh und auch der unangenehme Geruch war fort. Nichts erinnerte mehr an den trostlosen Anblick des Vortags. Charon, der hinter dem Tresen stand, lächelte, als er Nolan erblickte. „Guten Morgen, Sir Lane. Ich hoffe, Ihr habt Euren Aufenthalt bei uns genossen.“ Er schmunzelte. „Nun, es war ganz in Ordnung.“ „Dann hoffe ich, dass Ihr uns nie wieder beehrt.“ Der Wächter lächelte nach wie vor und Nolan konnte nicht anders als das zu erwidern. „Keine Sorge, mich seht ihr beide hier so schnell nicht wieder.“ Charon verneigte sich leicht. Der Kommandant fuhr herum und lief die Treppe nach oben. Als er die Tür öffnete und frische Luft und Sonnenlicht ihn empfingen, atmete er tief durch. Hatte er am Tag zuvor noch den Wunsch gehabt, einfach sterben zu können, freute er sich nun über sein Leben und die Tatsache, dieses vollends leben zu können. Und wenn Landis' letzte Worte stimmten und er ihn wiedersehen würde, gab es noch einen Grund mehr, weiterzuleben. Nun würde er aber erst einmal nach Hause zurückkehren – und sich die Geschichten von Nadia und Aurora anhören, um gemeinsam mit ihnen in Erinnerungen zu schwelgen. Mit beschwingten Schritten verließ er das Haus und lief die Straße entlang, ohne sich noch einmal umzublicken. Hätte er das getan, wäre es ihm aber möglich gewesen, zu sehen, wie gerade eine Taube auf dem Dach des Hauses landete und sich augenblicklich in eine Krähe verwandelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)