Dei Gratia von Flordelis (Gottesgnadentum) ================================================================================ Kapitel 7: Von Wächtern und Göttern ----------------------------------- Als seine Augen sich an das seltsame Licht gewöhnt hatten, glaubte Ambrose für einen Moment, er wäre durch die Tür direkt in einer Höhle gelandet. Die felsigen Wände waren uneben, als wären sie in großer Hast mit einer Spitzhacke bearbeitet worden, Wurzeln zogen sich an ihr entlang und gaben ihr offenbar genug Halt, um sie am Einsturz zu hindern. Das kunstvolle Rankenwerk führte zur Mitte des Raumes und verlor sich in einem unbearbeiteten Kristall, der von der Decke herabhing und das diffuse weiße Licht verbreitete, das kaum stark genug war, um die Dunkelheit zu erleuchten. Unterhalb des Kristalls stand ein gläserner Sarg, der ebenfalls ein sanftes Glühen verbreitete und in dessen Inneren eine Gestalt zu sehen war. Doch bevor Ambrose diese genauer betrachten konnte, fielen ihm zwei Personen auf, die vor dem Sarg standen. Es waren ein junger blonder Mann und ein, wie er schätzte, etwa vierzehnjähriges Mädchen mit langem weißen Haar in dem zwei rosafarbene Schleifen zu sehen waren, die zu ihrer Kleidung passten. Die blauen Augen des Mädchens waren von einem mysteriösen Schimmer umgeben, der es aussehen ließ als wären sie eigentlich violett, Ambrose mochte das Mädchen auf Anhieb, besonders da sie ihn als erstes bemerkte. „Hallo“, grüßte sie lächelnd. Der blonde Mann, der in grün gekleidet war und trotz der angenehmen Temperatur sogar einen Schal trug, war nicht sofort derart freundlich, seine grünen Augen musterten Ambrose für einen kurzen Moment misstrauisch, doch als er Diana bemerkte, lächelte er ebenfalls. „Willkommen. Wer ist dein Begleiter, Diana?“ Sie setzte gerade an, etwas zu sagen, doch Ambrose kam ihr direkt zuvor: „Ich bin Ambrose Lane. Meine Freunde und ich sind gerade in dieser Welt gelandet. Und ihr beide seid...?“ Die beiden Fremden warfen sich einen amüsierten Blick zu, ehe sie sich wieder an ihn wandten. „Ich bin der Wächter Fileon“, antwortete der Mann. „Das hier ist Aurea.“ Sie hob vergnügt lächelnd die Hand. „Wir haben nicht oft Besucher aus anderen Welten hier.“ „Das ist wahr.“ Diana seufzte. „Ich fürchte, wir sind nicht auf Besucher eingestellt.“ Ambrose schüttelte hastig mit dem Kopf. „Oh, das ist doch kein Problem. Cronus wollte uns doch ohnehin wieder nach Hause schicken.“ „Deswegen solltet ihr mich wohl holen“, schloss Fileon aus diesen Worten und die Enttäuschung war für Ambrose geradezu greifbar. Unwillkürlich fragte er sich, was der andere wohl sonst erwartet haben mochte. Aber er stellte diese Frage nicht laut, nicht zuletzt deswegen, weil Fileon ihm bereits zu verstehen gab, dass er sich wieder auf dem Rückweg machen könnte und er sich gleich anschließen würde. Ambrose bewegte sich allerdings nicht, stattdessen deutete er auf den Sarg. „Wer ist das?“ Er konnte spüren, dass die Person, die darin lag, nicht mehr lebte und das schon lange nicht mehr, aber der Leichnam sah aus als wäre er gerade erst tot umgefallen und hätte vor wenigen Sekunden noch gelebt, die ebenmäßige Haut war nur ein wenig blass, das silberne Haar ein wenig glanzlos. Er war davon überzeugt, dass der Kristall aus dem dieser Sarg geschaffen war, damit in Verbindung stand und daraus schloss er auch, dass die Person darin sehr wichtig sein musste, wenn man ihr eine solche Totenlade schuf und sie in diesem wundersamen Raum aufbewahrte. Fileons Blick verfinsterte sich sofort wieder, dennoch antwortete er: „Das ist Kreios, der Gott unserer Welt.“ Die Vorstellung eines toten Gottes direkt vor seinen Augen ließ Ambrose schaudern. Götter galten nicht umsonst als machtvoll, geradezu unsterblich, was immer sie umbrachte, musste also noch stärker sein. Möglicherweise war Cronus deswegen so abweisend gewesen? Vielleicht suchte ein solches Wesen gerade diese Welt heim und er überlegte fieberhaft, wie man dagegen angehen sollte? „Soll ich euch vielleicht helfen, seinen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen?“ Die Frage entschlüpfte Ambrose noch bevor er über sein Angebot hatte nachdenken können. Doch statt Dankbarkeit erntete er einen schockierten Blick von Aurea und ein scharfes Einatmen von Diana, beides schob er im ersten Moment darauf, dass sie nicht glaubten, dass er es mit einem Gottesschlächter aufnehmen könnte, doch Fileon verriet ihm den wahren Grund: „Das wird nicht nötig sein. Cronus, Aurea und ich haben Kreios getötet.“ Sein Gesicht verzog sich zu einer leidenden Grimasse, so dass Ambrose auf den ersten Blick erkannte, dass es ihm genausowenig gefallen hatte, ihren Gott zu töten. Er musste etwas wirklich Furchtbares angestellt oder geplant haben, was sie schließlich zu diesem radikalen Schritt bewog. Doch plötzlich hellte seine Miene sich wieder auf, er lächelte sogar wieder ein wenig. „Aber eines Tages, wenn alles in dieser Welt wieder gut läuft, werden wir ihn aufwecken und ihm beweisen, dass es eine gute Entscheidung von uns war, die Vernichtung der Menschen abzulehnen.“ Alles in Ambroses Inneren zog sich zusammen. Ein Gott, der die Vernichtung all seiner Untertanen plante, war in seinen Augen eher als Teufel zu bezeichnen, ganz gleich welchen Grund er dafür anführen würde. Es war mit Sicherheit die beste Entscheidung gewesen, ihn schnell auszuschalten und die Zerstörung zu verhindern. Auch wenn das die Verantwortung nun vollkommen neu verteilte, vielleicht war Cronus auch deswegen so abweisend erschienen, er stand einfach unter Stress. Zu akzeptieren, dass Cronus möglicherweise einfach so war, lag ihm nach wie vor absolut fern. Ambrose stellte keine weiteren Fragen mehr und kehrte mit Fileon und Aurea zu den anderen zurück, auch wenn er die mysteriöse Atmosphäre in diesem wundersamen Raum mehr genossen hatte als jene in der Bibliothek, wo die allgemeine Vorstellungsrunde direkt weitergeführt wurde. Aureas Augen glitzerten dabei vor Aufregung über all diese unbekannten Menschen. Doch Cronus ließ keinem von ihnen die Gelegenheit, das Mädchen in diesem Moment genauer kennenzulernen, er wandte sich direkt an Fileon: „Wir müssen diese Leute wieder in ihre Welt zurückschicken. Ich brauche dafür deine Hilfe.“ „Dachte ich mir bereits“, erwiderte er. „Was soll ich tun? Das ist das erste Mal, dass ich so etwas mache.“ „Ich brauche die Kraft deiner Kristallhälfte, um das Ausgangsportal zu konfigurieren und auch dauerhaft offen zu halten.“ Ambrose überlegte bereits, was das alles bedeutete und wieso es so viel Aufwand erforderte, sie wieder nach Hause zu bringen, wenn es doch so einfach gewesen war, hierher zu kommen. Doch seine Überlegungen wurden von Fileons „Oh“ unterbrochen. Es war der Laut, den man nur ausstieß, wenn man gerade bemerkte, dass man vor einem furchtbaren Monster stand und die einzig wirksame Waffe gegen dieses zu Hause gelassen hatte. Cronus' Reaktion darauf folgte auch prompt: „Was soll das heißen?“ Sichtlich verlegen, legte Fileon die Hand auf seinen Hinterkopf und senkte den Blick. „Na ja, ich hab Aurora meine Kristallhälfte gegeben. Sie hat mich darum gebeten und ich konnte einfach nicht ablehnen...“ Cronus' Körper zitterte leicht, während Asterea sich das Lachen verkneifen musste und sich hastig räusperte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und einen Vorschlag zu machen: „Fileon und ich gehen einfach los, suchen Aurora auf und holen den Kristall wieder. Das kann ja nicht lange dauern.“ Mit gerunzelter Stirn wandte Cronus sich ihr zu, sein Blick streifte dabei die für ihn unliebsamen Gäste und jeder von ihnen, selbst Ambrose, wusste sofort, was er nicht aussprechen wollte. Zu seinem Glück nahm Russel es ihm ab: „Wir könnten sie ja begleiten und uns die Welt ein wenig ansehen. Wir werden auch ganz sicher nicht irgendwo eingreifen und auch nichts kaputt machen.“ Die anderen Gäste nickten zustimmend, so dass er seufzend nachgab. „Fein, von mir aus. Aber nur eine Änderung in dieser Welt, die von euch verursacht wird und ihr seid sofort wieder in der Gähnenden Schlucht und wartet dort!“ Die Gäste nickten, aber dennoch wandte Cronus sich noch an Aurea: „Ich möchte, dass du mit ihnen gehst und auf sie und Fileon achtest. Du warst immerhin die Leibwache von Kreios.“ Nicht nur Ambrose, auch Seline hob eine Augenbraue bei der Vorstellung, dass dieses jung aussehende Mädchen eine Leibwache sein sollte. Aber sie trug tatsächlich zwei Schwerter an ihrem Gürtel, wie Ambrose in diesem Moment bemerkte und wenn sie tatsächlich mitverantwortlich für die Ermordung des Gottes war, machte es nur Sinn, dass sie mehr Macht in sich verbarg, als man auf den ersten Blick zu sehen vermochte. Er hoffte nur, dass sie während ihres Aufenthalts keinen Grund sehen würde, ihre Kräfte gegen die Gäste einzusetzen. „Keine Sorge, ich werde auf alle achten“, versprach Aurea mit einem derart süßen Lächeln, dass sogar Asric, den sie für einen kurzen Moment anstrahlte, mitlächeln musste. Cronus nickte sichtlich zufrieden und blickte dann zu Diana, die auch ohne seine Worte reagierte: „Ich werde wieder zur Gähnenden Schlucht zurückkehren. Also müssen wir vorerst voneinander Abschied nehmen.“ Ambrose schien für einen kurzen Moment, dass Asterea aufatmete, aber da sie schon einen Wimpernschlag später wieder genauso neutral wie zuvor blickte, glaubte er, sich das nur eingebildet zu haben. „Vielen Dank für deine Hilfe, Diana“, sagte Russel sanft lächelnd. „Ich hoffe, wir haben dir keine Umstände bereitet.“ Sie schüttelte mit dem Kopf, aber Ambrose hätte es auch gewundert, wenn es ihr möglich gewesen wäre, Russel zu widersprechen. Selbst Seline warf ihm gerade wieder einen bewundernden Blick zu. Er verstand offenbar, seinen Charme – und möglicherweise ein wenig Magie – einzusetzen, um Frauen damit zu begeistern und zu betören. Aber selbst Ambrose oder Asric fiel es schwer, finstere Gedanken gegen ihn zu hegen... wenn er wirklich ein Gott war, so wie Asric wegen des Kampfes gegen Ladon glaubte und ihm in der Gähnenden Schlucht anvertraut hatte, so verkörperte er alles, was Ambrose von einem solchen erwartete: Erhabenheit, Barmherzigkeit... und in gewisser Weise auch Menschlichkeit. Würde man Ambrose fragen, dann wollte Ladon ihn nur töten, weil er eifersüchtig auf Russel war. Würde man Asric fragen, würde er diese Theorie als Unsinn bezeichnen. Glücklicherweise wurde keiner der beiden gefragt. Diana ging nach einer kurzen Verabschiedung davon, während Fileon, Aurea und Asterea in die andere Richtung aufbrachen und die Gäste sich ihnen sofort anschlossen. Niemand verabschiedete sich von Cronus, der sich bereits wieder an die Arbeit machte und Bücher in die Regale einsortierte, auch wenn es nun viel weniger waren als zuvor. „Ihr habt hier ziemlich viele Wächter“, merkte Russel an, als sie Cronus' Hörweite verlassen hatten. Aurea nickte zustimmend. „Meister Kreios fand, es wäre besser, wenn er sich vier Wächter und ansonsten nur Naturgeister zur Unterstützung schafft.“ „Vier Wächter?“, hakte Seline nach und blickte bereits zu Asterea, die allerdings mit dem Kopf schüttelte. „Ich bin ein Naturgeist“, erklärte sie. „Eine Nymphe, die in den Sternen liest, um genau zu sein. Die Wächter sind Cronus und Fileon, die das Leben verkörpern und Orphne und Charon, die den Tod symbolisieren.“ Russels Augen flackerten amüsiert. „Eurer Kreios muss ein ganz schöner Griechenland-Fan sein.“ „Griechenland?“, fragten die drei Einheimischen einstimmig. Er erklärte ihnen, dass es in seiner Welt einmal ein Land mit diesem Namen gegeben hatte und Ambrose erinnerte sich daran, ihn einmal auf einer alten Karte gelesen zu haben, als er... als er... Die Erinnerung zerrann ihm wie Sand zwischen den Fingern, als er sie festzuhalten versuchte und war sofort wieder verschwunden und plötzlich wusste er nicht mehr, ob er den Namen wirklich einmal gelesen hatte oder ob er sich das nur einbildete. „Möglicherweise stammt euer Kreios aus unserer Welt“, schloss Russel den Bericht ab, dem alle drei begierig gelauscht hatten. „Ist das denn überhaupt möglich?“, wandte Seline zaghaft ein. Russel, der immer noch ihre Hand hielt, wie Ambrose plötzlich auffiel, wandte ihr den Blick zu. „Wir sind doch auch hier.“ Dieser Logik und diesem Blick gab sie sich geschlagen, so dass sie nichts mehr sagte und stattdessen das Gesicht abwandte, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. „Es gibt nur eine Sache, die mir zu denken gibt“, sagte Asric plötzlich, so dass sich alle ihm zuwandten. „Welche denn?“, fragte Ambrose neugierig. Asric hatte die Stirn gerunzelt als würde er angestrengt über ein Problem grübeln und dabei einfach nicht vorankommen. Als er den Mund öffnete, um die Frage zu beantworten, wusste Ambrose bereits, dass er es eigentlich gar nicht mehr hören wollte: „Wenn wir hier sind, muss das bedeuten, dass Ladon auch hierher kommen könnte, oder?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)