Dei Gratia von Flordelis (Gottesgnadentum) ================================================================================ Kapitel 8: Noch mehr ungebetene Gäste ------------------------------------- Nach Asrics Worten hatte eine gespenstische Stille bei der Gruppe Einzug gehalten. Seline, die bislang nicht im Mindesten die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass Ladon ihnen folgen könnte, schauderte regelrecht und drängte sich ein wenig dichter an Russel. Dieser war im Moment auch nicht so selbstsicher wie sonst. Seine Stirn war gerunzelt, während er darüber nachdachte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung Ladons war – zumindest glaubte sie, dass es das war, was in seinem Kopf vorging und er für sich behielt. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie dunkel es in diesem Gang war, in dem sie sich gerade aufhielten. Kaum eine Lampe erhellte die Finsternis und wenn sie es tat, tauchte sie nur wenige Meter in ein unheimliches grünes Licht, durch das die Schatten noch undurchdringlicher schienen und allerlei Monster in sich beherbergen könnten, allen voran Ladon. Aber ihr wurde noch etwas bewusst: Weder Fileon noch Aurea schien es zu interessieren, um wen es sich bei ihrem Verfolger handeln könnte, beide warteten eher geduldig darauf, dass sie endlich weiterziehen könnten. Waren sie ungeheuer taktvoll oder wussten sie etwas? Nein, sie verwarf diesen Gedanken sofort. Woher sollten sie Ladon kennen? Außerdem schien Cronus zuvor keine Ahnung zu haben – und er wirkte wesentlich weiser und erfahrener als die anderen. Auch wenn das Aussehen natürlich täuschen kann, fuhr es ihr durch die Gedanken. Asterea dagegen schien sich nicht einmal für ihr Gespräch zu interessieren, sie blickte in die Dunkelheit als würde sie dort etwas entdecken, das allen anderen verborgen blieb. Ein Kopfschütteln von Russel holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück und lenkte ihre Aufmerksamkeit genau wie die der anderen auf ihn zurück. „Wir sollten nicht zu viel darüber nachdenken“, sagte er. „Wir wissen immerhin nicht, warum wir hierher gekommen sind. Und solange wir diesen Faktor nicht einberechnen können, bringt es nichts, wenn wir uns großartig Gedanken darum machen.“ „Klingt ja einerseits logisch“, erwiderte Asric mit zusammengezogenen Brauen, „aber ist es wirklich so einfach, wenn wir das ignorieren?“ „Wovor hast du Angst?“ Ambroses Frage hätte bei jedem anderen provozierend und sarkastisch geklungen, aber er klang ernsthaft verwundert und interessiert. Asric wirkte allerdings tatsächlich ein wenig angegriffen von dieser Frage, denn er ging sofort in eine Verteidigungshaltung über und knurrte sogar leise. „Ich habe keine Angst, klar? Es gibt ohnehin keinen Grund, dass er mir etwas tun sollte, immerhin habe ich nichts getan.“ Dass es seine Windmühle gewesen war – wo auch immer er sie versteckt hielt, wenn er sie nicht benötigte –, die verhindert hatte, dass Ladons Zauber Ambrose verletzte, war entweder bereits erfolgreich von ihm verdrängt worden oder er sah das wirklich nicht als große Sache. Seline war sich nicht sicher, ob sie das als Mut oder als Dummheit betrachten sollte. „Dann kannst du es ja einfach ignorieren“, schloss Ambrose daraus lächelnd, worauf Asric resignierend seufzte. „Fein, dann tun wir einfach so als wäre es vollkommen egal, dass der ein oder andere hier den Zorn eines Gottes auf sich gezogen hat und spielen heile Welt.“ Bei diesen Worten warf er Russel, Seline und auch Ambrose finstere Blicke zu, doch keiner der drei zeigte sich irgendwie schuldbewusst – letzterer lächelte sogar. „Ich wusste doch, dass du es verstehst.“ Was Seline nicht von sich behaupten konnte. Die Beziehung der beiden blieb ihr nach wie vor ein Rätsel. Sie wirkten einerseits wie Freunde, andererseits wie zwei Personen, die sich nur widerwillig miteinander abgaben – und Asric erschien manchmal wirklich nur wie ein resignierter Pfleger für einen Kranken. Aber da fällt mir ein... Sie warf erneut einen Seitenblick zu Russel, der zwar amüsiert die weitere Unterhaltung zwischen Ambrose und Asric beobachtete, aber immer noch die Stirn gerunzelt hatte, was, wie sie vermutete, wohl bedeutete, dass er sich immer noch Sorgen machte. Wie wirken wir beide wohl auf andere? Wirklich wie ein Liebespaar? Bei Gelegenheit, so nahm sie sich vor, würde sie einfach einen der anderen fragen, in der Hoffnung, dass keiner von ihnen es falsch verstehen würde. „Wir sollten weitergehen“, meldete Asterea sich plötzlich zu Wort, doch trotz ihres ernsten Tonfalls, schmunzelte sie auf einmal. „Ich muss Cronus nachher noch mehr auf die Nerven gehen.“ Keiner von ihnen hinterfragte, warum sie das tat, wenn er doch offensichtlich so viel Besseres zu tun hatte, stattdessen setzten sie allesamt ihren Weg fort, deutlich neugierig, was sie wohl in dieser Welt und dieser Zeit erwarten würde. Die wieder auf ihren Platz zurückgekehrte Diana musste derweil zum zweiten Mal an diesem Tag das Eindringen von Fremden in die Gähnende Schlucht bemerken – und dieses Mal spürte sie sofort den geradezu bösartigen Willen, diesen Hauch von Grausamkeit, der sie alle umgab. Das Schwert im Anschlag wartete sie darauf, dass die Neuankömmlinge sich zeigen und mit einem Angriff direkt einen bleibenden Eindruck hinterlassen würden – doch zu ihrer Überraschung kamen ihr alle drei gesittet und friedlich entgegen. Den Mann in der Mitte, mit dem silber-grauen Haar und der Brille, erkannte sie sogar wieder. „Du musst Ladon sein.“ Wenige Schritte vor ihr blieben die drei wieder stehen. Der Gott lächelte, wenngleich ein Hauch von Spott darin zu erkennen war. „Eilt mein Ruf mir etwa bereits voraus? Ah nein, ich weiß schon.“ Sein Lächeln wandelte sich zu einer Grimasse, als er sich an etwas zu erinnern schien, was sie gar nicht wissen wollte. „Jedenfalls will ich, dass du uns zu Cronus bringst – ohne Umwege, wenn ich bitten darf.“ Bevor sie etwas sagte, begutachtete Diana die beiden anderen, die bislang nur schweigend danebengestanden hatten. Der junge Mann mit dem moosgrünen Haar trug wertvoll aussehende Kleidung, die mit aufwendigen Goldstickereien verziert war, ein Hauch von Würde umgab ihn, weswegen es für sie umso unerklärlicher war, dass er gemeinsam mit diesem Gott hier war. Die junge Frau auf Ladons anderer Seite blickte derweil desinteressiert auf das Tor hinter Diana und fuhr sich dabei immer wieder betont gelangweilt durch das lange schwarze Haar. „Oh, wie unhöflich“, stellte Ladon plötzlich amüsiert fest. „Diese schweigsame Dame hier neben mir ist Melathosa und dieser Gentleman ist Phoibos.“ Als Reaktion auf diese Vorstellung verbeugte der junge Mann sich, während sie sich nur die Brille wieder auf ihren angestammten Platz zurückschob als wäre sie nicht einmal an dieser Unterhaltung beteiligt und nur zufällig gerade hier vorbeigekommen. „Bringst du uns jetzt zu Cronus?“ Ladons Blick wurde plötzlich finster. „Bitte?“ Wäre jemand anderes ihr mit diesem respektlosen Ton gegenübergetreten, hätte sie ihn ohne zu zögern abgewiesen, mit dem Ratschlag, erst wiederzukehren, wenn er Manieren erlernt hätte. Aber bei diesem Gegner wusste sie auch ohne jene Geschichten, die sie dank Kreios und Cronus von ihm kannte, dass es besser wäre, ihn nicht unnötig zu erzürnen. Er mochte hier nicht in seiner Welt sein, aber seine Kräfte waren dennoch nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen durfte. Also fuhr sie herum, um diesen Gästen ebenfalls den Weg in die Bibliothek zu zeigen, auch wenn ihr das gar nicht gefallen wollte. Nicht nur, weil Cronus über eine weitere Störung sicherlich nicht sehr erbaut wäre, er würde auch im Mindesten nicht gutheißen, wer diese Personen waren, die sie da zu ihm führte. Zu ihrer Erleichterung waren aber zumindest die vorigen Gäste nicht mehr in der Bibliothek, ihre Auren waren verschwunden, vermutlich waren sie bereits irgendwo in der Welt unterwegs, um Aurora zu suchen, was ein längeres Unterfangen werden könnte. Obwohl Diana ihn ermahnte, es nicht zu tun, griff Ladon in eines der Regale und zog zielsicher ein Buch hervor. Er lächelte ihr nur gütig entgegen, wie man es bei einem Kind tat, wenn dieses einen zu schelten versuchte und kümmerte sich dann nicht weiter um ihre Worte. Statt noch etwas zu sagen, führte sie ihn weiter zu Cronus, den sie dieses Mal nicht in die Arbeit vertieft vorfand. Er musste die Anwesenheit der weiteren ungebetenen Gäste bemerkt und sich deswegen entschlossen haben, sie ein wenig standesgemäßer zu empfangen. Der eisige Blick war aber nach wie vor derselbe. „Was willst du?“ „Begrüßt man so etwa den alten Freund seines Herrn?“, fragte Ladon amüsiert. „Aber, oh, ich habe gehört, ihr hättet den armen Kreios abgesetzt.“ „Was geht dich das an? Er hat nicht ohne Grund deine Welt verlassen.“ „Und mir ein trojanisches Pferd geschenkt“, ergänzte Ladon fast schon vergnügt. „Aber genug von der Vergangenheit, ich bin hier um deine Hilfe in Anspruch zu nehmen, um dieses Pferd wiederzufinden, weil es mir etwas sehr Kostbares gestohlen hat.“ Cronus presste die Lippen aufeinander, sichtlich unwillig zu antworten. Während weder Ladon noch Phoibos sich daran zu stören schienen, stieß Melathosa genervt Luft aus. „Warum diskutieren wir überhaupt so lange? Wir sollten ihm einfach gleich-“ „Ah!“, unterbrach Ladon sie. „Keine unnötige Gewalt, meine Liebe. Außerdem hat Cronus keine Angst vor Gewalt. Das stimmt doch, oder?“ Zur Bestätigung reckte der Custos das Kinn in die Höhe und fand nun endlich seine Stimme wieder: „Ich weiß nicht, von was für einem Pferd du sprichst.“ Ungeduld glimmte in Ladons Augen auf, Diana wich zurück, als sie bemerkte, wie die düstere Aura um ihn herum für einen kurzen Moment anschwoll, nur um direkt wieder unter Kontrolle gebracht zu werden, als dem Gott bewusst wurde, dass er seinem eigenen Ziel gerade schadete. „Du weißt sehr genau, wovon ich spreche“, erwiderte Ladon mit zusammengebissenen Zähnen. „Oder willst du mir sagen, du weißt nichts von dieser Chronik?“ Damit hob er das Buch empor, das er soeben aus einem der Regale gezogen hatte, ehe er fortfuhr: „Siehst du, das ist der Nachteil an eurem Bibliothekensystem: Es gibt immer einen verräterischen Beweis, den man euch unter die Nase reiben kann. Ich gehe davon aus, dass es auch das war, was euch auf Kreios' Spur brachte, oder?“ Cronus zog es erneut vor zu schweigen und Diana befand es ebenfalls für besser, nichts zu sagen – und im Moment war sie auch sehr froh darum, dass Fileon nicht da war. Der viel zu nette Custos hätte mit Sicherheit sofort alles gesagt, egal wie bedrohlich Ladon ihm erschienen wäre, zumindest schätzte Diana ihn so ein. „Also antworte mir lieber!“, forderte Ladon scharf. „Wo ist Levante?!“ Cronus schwieg noch immer, worauf Melathosa kurzentschlossen Ladon das Buch aus der Hand riss und es wahllos auf irgendeiner Seite aufschlug. „Sehen wir doch einfach nach, statt hier lange zu diskutieren, was ohnehin zu nichts führt.“ „Aber das hat doch keinen Stil“, warf Phoibos ein, wurde allerdings nicht weiter von ihr beachtet. Triumphierend hielt sie schließlich auf einer Seite inne. „Ich hab ihn! Lasst uns verschwinden.“ Damit schlug sie das Buch bereits wieder zu und reichte es Cronus, sie schien überzeugt zu sein, es nicht weiter zu gebrauchen und Ladon widersprach ihr auch nicht, sondern nickte stattdessen. „Gute Idee. Ich bin ja mal gespannt, was Kreios alles aus dieser Welt gemacht hat.“ Lachend fuhr er herum und ging gemeinsam mit Melathosa davon, während Phoibos sich erst kurz verbeugte, ehe er ihnen ebenfalls folgte. Diana blieb gemeinsam mit Cronus zurück, die Luft schien augenblicklich weniger Spannung zu enthalten. Der Custos drückte das Buch an sich, so als würde er es im Nachhinein beschützen oder vielleicht sogar trösten wollen. Sein Gesichtsausdruck verriet wie eh und je nicht, was er dachte oder fühlte, aber genau wie Diana ihn kannte, fasste er bereits einen Plan. Er wandte sich ihr zu. „Hör zu, vergiss die Gähnende Schlucht erst einmal, unsere größte Gefahr ist gerade in dieser Welt, das ist wichtiger. Ich will, dass du dieser Gruppe folgst und sie nicht mehr aus den Augen lässt. Ladon an sich ist schon gefährlich, aber seine beiden Begleiter...“ Sie nickte sofort, damit er diesen Satz nicht beenden musste. „Ich werde darauf achten, versprochen.“ „Am Liebsten wäre es mir, er würde Levante nicht treffen. Ich war ja schon erleichtert, dass er mir meine Schauspielleistung abgenommen hat.“ Missmutig blickte er auf das Buch hinab, das er gerade hielt. „Ich hätte es doch im anderen Bereich der Bibliothek aufbewahren sollen.“ „Hinterher ist man immer schlauer, so sagt man doch, oder?“ Er nickte seufzend und gab ihr dann zu verstehen, dass sie gehen sollte. Sie bemerkte, dass er genervt brummte, als sie sich leise kichernd von ihm entfernte, dann beschloss sie, ihn genug von seinen Bedenken abgelenkt zu haben und machte sich eilig auf den Weg, um Ladon und seine Begleiter einzuholen, damit sie die drei im Auge behalten könnte. Außerdem würde sie die drei auch ein wenig durch das Gängesystem ihrer Geisterkorridore lotsen können, um Fileon damit ein wenig mehr Zeit zu verschaffen, in der Hoffnung, dass er sie gut zu nutzen verstehen würde, auch wenn er nichts von dieser Bedrohung ahnte. Oh bitte, Fileon, sei wenigstens einmal professionell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)