Seelenjäger von Flordelis (Custos Mortis II) ================================================================================ Prolog: Brüder -------------- Die Stille lastete schwer auf seinen Ohren. Fast kam es ihm vor als wäre er das einzige Lebewesen in dieser felsigen Einöde und wüsste er nicht genau, dass jemand ihn erwartete, hätte er sogar tatsächlich geglaubt, als einziges zu existieren. Dies war kein Ort, an den Menschen oder jegliche andere Lebewesen sich hinverirrten. Meilenweit erblickten seine Augen nur einen mit Sternen übersäten grünlichen Himmel, zerklüftete Felsformationen, umgeben von grünem Sand, der unter seinen Füßen knirschte und dabei Geräusche entstehen ließ, die klangen als würde jemand zu ihm sprechen und versuchen ihn zu überzeugen, wieder nach Hause zu gehen. Ein klägliches Unterfangen, besaß er doch keinerlei Ort, den man Zuhause nennen könnte. Da er allerdings auch kein Mensch war, sondern nur wie einer anmutete, kümmerte ihn das auch nicht. Es war seine Bestimmung, seine Aufgaben zu erfüllen und nicht heimzukehren, wo ihn ein Ofen, ein Bett, etwas zu essen und möglicherweise eine Familie erwartete – er kannte das alles, aber er benötigte es nicht und sehnte sich auch nicht im Mindesten danach. Im Gegensatz zu Kreios' anderen Wächtern, die man in der Welt der Menschen als Naturgeister bezeichnete, war er ein Custos und als solcher spürte er kein Verlangen nach weltlichen Dingen. Alles, was er im Moment ersehnte, war- „Ah!“ Sein Blick fand schließlich die gesuchte Person, die einsam auf einem Felsen saß und konzentriert in eine andere Richtung starrte, das Kinn auf der Hand abgestützt als würde er gerade über elementare Fragen des Seins nachgrübeln, aber wie üblich zu keinem Ergebnis kommen. Er näherte sich dem Wartenden vorsichtig. „Charon...“ Die violetten Augen blitzten erfreut und belustigt auf, als er den Ankömmling bemerkte. Hastig stand Charon auf. „Cronus, ich dachte schon, ich müsste eine Ewigkeit auf dich warten.“ Der Angesprochene zog seine Brauen zusammen, worauf seine türkis-farbenen Augen ein wenig dunkler zu werden schienen. „Das nächste Mal solltest du mir einfach eine bessere Angabe geben als in der Seelenwüste. Hast du eine Vorstellung davon, wie riesig dieses Gebiet ist?“ Würde man den Durchmesser in Kilometern angeben, so käme eine derart hohe Zahl dabei heraus, dass sie das Vorstellungsvermögen eines Menschen glatt sprengen würden. Allerdings war diese Größe notwendig, war die Seelenwüste doch für alle miteinander verketteten Welten... nun, zuständig. Laut Kreios, der es bislang als einziger geschafft hatte, diesen Ort vollkommen allein zu durchqueren, war es der Inbegriff der Hölle und dementsprechend diente dieses Gebiet für den Totenwächter Charon auch, Sünder dort abzuladen. Die Wächter anderer Welten taten es ihm offenbar gleich, jedes einzelne Sandkorn stand immerhin stellvertretend für eine Seele, deswegen war die Überlegung, dass etwas hier mit ihm zu sprechen versuchte, gar nicht so verkehrt. Doch auf Cronus' Einwurf, winkte Charon nur ab. „Schon gut, nächstes Mal stelle ich dir Schilder auf, Bruderherz.“ „Ich hasse es, wenn du mich so nennst“, brummte Cronus. Dabei fuhr er sich mit der Hand durch das schneeweiße Haar, um Charons Blick darauf zu lenken und ihm vor Augen zu halten, dass sie nichts gemein hatten, um diese Bezeichnung zu rechtfertigen. Doch er ließ sich nicht davon abbringen und lächelte nur vielsagend, bis Cronus seine Hand wieder sinken ließ. „In Ordnung, warum wolltest du nun, dass ich herkomme?“ Charons Gesicht leuchtete förmlich bei dieser Frage. „Vor ein paar Monaten war ein junger Mann bei mir und Orphne.“ Er machte eine Pause, vermutlich, um die Worte auf Cronus wirken zu lassen, doch dieser blickte ihn nur unbeeindruckt an. „Und? Zu euch kommen oft junge Männer.“ „Es war aber ein Lane.“ Cronus' Augenbraue zuckte, doch er bewahrte die Fassung. „Es gibt mit Sicherheit noch mehr Familien in Kreios' Welt, die 'Lane' heißen. Wahrscheinlich war es ein Zufall.“ „Das dachte ich auch erst, besonders weil er den Nachnamen für seine Beförderung zum Kommandanten bekam“, erwiderte Charon. „Aber während seiner Erinnerungen habe ich seinen Vater gesehen. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass dieser junge Mann wieder den Namen 'Lane' trägt.“ Diese Worte weckten nun doch Cronus' Interesse. „Du meinst also, der Stammbaum geht doch noch weiter? Ich befürchtete bereits das Ende der Familie.“ Auch wenn befürchtete vielleicht das falsche Wort war, es war ihm nicht nahegegangen, da die Lanes für ihn nur eine Familie wie so viele andere waren. Aber er kannte jemanden, dem diese Familie sehr am Herzen lag und diese Person war auch Cronus sehr wichtig. „Nun, nicht ganz... aber wie auch immer, deswegen habe ich dich nicht gerufen.“ Charon schob seine Brille zurecht, die aber direkt wieder nach vorne rutschte. Es schien als wäre sein Gesicht inzwischen zu schmal für das Gestell geworden. „Ich bin dann hierhergekommen, um seinen Vater zu finden.“ Die Art, wie er dieses Wort betonte, ließ Cronus hellhörig werden, doch er kannte seinen Gegenüber gut genug, um zu wissen, dass er ihm ohnehin nicht antworten würde, sollte er Fragen in diese Richtung stellen. Also konzentrierte er sich eher auf die andere vor ihm liegende Tatsache: „Und? Hast du das geschafft?“ Falls ja, würde sein gesamter Respekt Charon gelten. Unter den unzähligen Seelen dieser Wüste, war es immerhin nicht einfach, eine bestimmte herauszusuchen. Doch der Gefragte schüttelte mit dem Kopf und gab ihm zu verstehen, dass er ihm folgen sollte. Sie umrundeten den Felsen, auf dem Charon zuvor gesessen hatte und schon nach wenigen Schritten entdeckte Cronus, was ihm gezeigt werden sollte. Im Sand waren Ketten verankert, die fest angespannt um den Felsen geschlungen waren – und zwar um einen Mann daran zu fesseln. Cronus beugte sich ein wenig vor, um ihm genauer zu mustern. Das schwarze Haar und das spitz zulaufende Gesicht kam ihm durchaus bekannt vor, die Person atmete nicht, das linke Auge war erblindet. Es war unmöglich, dass diese Gestalt aus eigener Kraft in diese Welt gelangt und sich an den Stein gebunden hatte, schon allein weil das gar keinen Sinn gemacht hätte. „Ich weiß nicht, warum oder wie er hierher kam“, meinte Charon nachdenklich, da ihm ebenfalls bewusst war, dass Menschen nicht einfach so in die Seelenwüste stolperten. „Aber so fand ich ihn.“ Für Cronus war zumindest das Wie nachvollziehbar. Von all seinen Naturgeistern besaß nur eine einzige die Möglichkeit, in die Seelenwüste zu reisen und dort so etwas zu machen, auch wenn er den Grund noch nicht verstand. „Das muss Yarahs Werk sein“, erwiderte er daher. „Seine Seele befindet sich auch noch in der Menschenwelt.“ Das war für ihn als Custos Vitae unschwer festzustellen. Allerdings war es ihm nicht möglich, den genauen Aufenthaltsort zu bestimmen oder Yarahs Motivation zu hinterfragen, ohne sie vor sich zu haben – und selbst dann hätte sie ihm mit Sicherheit nicht geantwortet. Charon neigte den Kopf. „Wir bräuchten sie aber eher hier, nicht wahr? Denkst du, sein Sohn weiß, wo seine Seele ist?“ Statt einer Antwort musterte Cronus den Körper und die Ketten genauer. Er überlegte, ob es ihm möglich wäre, die Fesseln zu lösen, um den Mann mit sich zu nehmen, aber als er die Kette berührte, glühte diese in einem weißen Licht auf, so dass er automatisch zurückfuhr und auf seine Hand hinabblickte. Eine Verbrennung zog sich quer darüber, verheilte aber noch während er diese betrachtete und verschwand dann wieder spurlos. Er hatte keine Schmerzen gespürt, so etwas war ihm nicht möglich, aber er wusste, dass sein Körper es nicht verkraften würde, wenn er versuchte, die Ketten zu lösen, also musste er einen anderen Weg finden. „In diesen Erinnerungen... oder Träumen... hat er da irgendwas von Fileon an sich genommen?“ Charon schloss die Augen, rief sich jeden einzelnen Traum mit all seinen Details ins Gedächtnis – Cronus war in diesem Moment froh, dass er sich all das merken konnte – und nickte schließlich. „Landis – das ist eines von Fileons Fragmenten – hatte ein besonderes Schwert und sein Vater hat es an unseren Besucher weitergegeben.“ „Gut, dann weiß ich, wo ich die Seele zu suchen habe.“ Es sah nicht nur Yarah, sondern auch diesem Mann ähnlich, dass sie die Seele an ein Schwert banden, für die eine war es ein Instrument für den Kampf, für den anderen ein Mittel zum Schutz. „Charon, bleib bitte so lange wie möglich hier und achte darauf, dass dem Körper nichts geschieht. Man weiß nie, wann hier bösartige Seelen auftauchen.“ Es war nicht unüblich, dass eine verstorbene Seele derart stark und verunreinigt war, dass sie sich nicht dem Tod beugen wollte und versuchte, aus diesem Gefängnis auszubrechen. Die zerklüfteten Felsformationen waren das Ergebnis eben dieser Versuche. Charon nickte zustimmend. „Geht in Ordnung. Aber beeil dich. Yarah wird bestimmt auch irgendwann mitkriegen, was du vorhast und versuchen, das zu verhindern – und von diesen ganzen anderen Leuten, die was gegen ihn haben, wollen wir gar nicht erst anfangen.“ Cronus überlegte, ihn darauf hinzuweisen, dass auch Fileon sicherlich nicht sonderlich glücklich wäre, wenn er wüsste, dass sie versuchten, diesem Mann zu helfen, egal wie sehr sie ihm erklären würden, warum es wichtig war, gerade ihn zu retten. Es war das erste Mal, dass Cronus über Fileons Abwesenheit nicht unglücklich war. „Ich werde mich beeilen, versprochen.“ Er wandte sich an den leblosen Körper, der stur geradeaus starrte und offenbar nichts von dem mitbekam, was gerade vor sich ging. „Und dir verspreche ich es auch... Kieran.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)