Seelenjäger von Flordelis (Custos Mortis II) ================================================================================ Kapitel 8: Gerissener Geduldsfaden ---------------------------------- Die Worte hingen, für Nolans Geschmack viel zu lange in der Luft, aber er schaffte es einfach nicht, zu reagieren. Im Gegensatz zu der starren Stille, die im Büro herrschte, rasten seine Gedanken in seinem Inneren. Kieran war ein Lane gewesen, er war ein Lane, also war er trotz des Briefs mit ihm verwandt gewesen und zu allem Überfluss waren sie auch noch Dämonenjäger... oder so etwas in der Art, er verstand es immer noch nicht und die ziependen Narben auf seinem Rücken halfen ihm auch nicht, sich zu konzentrieren. „Soll das bedeuten, du wusstest davon?“ Nolans Stimme zitterte ein wenig, während er das fragte, aber zu seinem eigenen Erstaunen schaffte er es, nicht allzu verärgert zu klingen. „Du wusstest es die ganze Zeit?“ „Als ich diesen Posten übernommen habe, hat mein Amtsvorgänger Nathan Greenrow mir von den Dämonenjägern erzählt, die man Lazari nennt. Jeder einzelne Lazarus ist ein Mitglied der Familie Lane und zu dieser gehörst du ebenfalls. Aber Sir Greenrow sagte mir auch, dass Kieran nicht wollte, dass du ein Lazarus wirst. Die Gründe konnte er mir auch nicht sagen, aber dieser Brief erklärt es.“ Nolan begann unwillkürlich zu zittern. „Du hast es die ganze Zeit gewusst! Und du hast mir nichts davon gesagt?!“ „Es war ein Geheimnis“, verteidigte Kenton sich mit wesentlich ruhigerer Stimme. „Ich durfte es niemandem verraten, nicht einmal dir – schon allein, weil ich damit gegen Kierans Wünsche verstoßen hätte. Ob richtiger Vater oder nicht, er war immerhin dein Erziehungsberechtigter.“ Doch diese eigentlich so vernünftigen Worte stießen bei Nolan auf taube Ohren. „Du hast es gewusst! Und genau wie bei der Sache mit Landis hast du einfach nichts gesagt!“ Kenton zuckte zusammen, als sein Gegenüber dies erwähnte, aber dieser ließ sich davon nicht abhalten, mit dem Fluchen zu beginnen. „Verdammt nochmal! Warum, zur Hölle, bist du so?! Warum verschweigst du uns dauernd Dinge?! Nein, nein! Warum verschweigst du mir dauernd Dinge, besonders, wenn sie so wichtig sind wie das hier?!“ Seine laute Stimme nahm das ganze Büro ein und ließ Kenton unwillkürlich zurückweichen, doch er glich den Schritt sofort wieder aus und stellte sich aufrecht hin, um Nolans Wut über sich ergehen zu lassen. „Hast du etwas gegen mich?!“, fauchte Nolan weiter. „Wenn das so ist, kannst du es mir, verdammt nochmal, sagen! Das würde die Sache für uns beide wesentlich einfacher machen! Dann würde ich nämlich nicht dauernd glauben, dass du mein Freund bist!“ „Lass mich doch-“, begann Kenton, wurde aber sofort wieder unterbrochen: „Nein! Hör zu, ich verschwinde jetzt erst einmal. Mir egal, wie wichtig dieser Staatsbesuch ist, der wird ja garantiert sowieso nicht heute stattfinden, habe ich recht?“ Kenton nickte, sparte sich aber weitere Worte, die im Moment ohnehin vergebens gewesen wären, da Nolan sich bereits umgedreht hatte. „Fein! Wenn du das Bedürfnis verspürst, mich endlich mal in dein ach-so-heiliges-Geheimwissen einzuweihen, findest du mich heute Abend zu Hause. Bis dahin will ich von dir nichts sehen oder hören!“ „Aber Nolan, warum lässt du mich nicht einfach jetzt sofort erklären, weswegen ich nichts gesagt habe?“ Er wusste offenbar, dass er sich damit auf gefährliches Gebiet begab, denn er wich wieder einen Schritt zurück, als er Nolans wütenden Blick auf sich zog, so als fürchtete er, dass dieser ihm jeden Moment einen heftigen Schlag verpassen würde. Doch stattdessen schnaubte er wütend. „Du kannst mich mal, Kenton!“ Mit diesen Worten ging er auf die Tür zu, riss diese heftig auf und schlug sie wütend hinter sich zu, kaum dass er auf den Gang getreten war. Ein Benehmen, das Kenton nicht im Mindesten passte und deswegen durchaus angebracht war, wie er fand. Sollte sein Freund ruhig einmal merken, dass er auf ihn wütend war und es sich nicht nur um eine Spinnerei handelte. Sein Zorn, geboren aus dem Unverständnis über Kentons Handlungen und Geheimniskrämerei, der schon seit Landis' Tod in seinem Inneren geschwelt hatte, überragte seine Neugier auf das, was er an diesem Tag über Kieran und sich selbst in Erfahrung gebracht hatte. Notfalls würde er auch ohne Kenton dahinter kommen, er brauchte keinen Freund, der jeden Tag und jede Nacht mit solchem Wissen verbringen konnte, ohne dabei anscheinend auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens zu entwickeln. Ja, er war sich sogar fast sicher, dass Kenton und seine Mutter beide mehr wussten, als sie zugeben wollten und es sich nur zur Aufgabe gemacht hatten, ihn mit ihrem Schweigen zu ärgern. Dass er selbst wichtige Dinge, wie den Mörder Kierans, verschwieg und das schon seit Jahren, ließ er dabei galant unter den Tisch fallen. Vorerst würde er erst einmal nach Hause gehen und wenn Kenton daran interessiert war, irgendetwas zu klären, könnte er zu ihm kommen. Sollte er nicht auftauchen, wüsste er immerhin woran er war und wieviel er von seinem Freund zu halten hatte. Das dachte er, während er wütend den Gang hinunterlief, nur um sich dann unwillkürlich zu fragen, ob Nel sich wohl in der Stadt zurechtfand. Das tat sie – allerdings nur mehr oder weniger. Sie wusste inzwischen ungefähr, wo Nolan wohnte und wo die reichen Bürger lebten und wo die Armen, denen es aber auch ohne jedes Geld erstaunlich gut zu gehen schien. Jedenfalls trug keiner von ihnen abgewetzte Kleidung, die Häuser sahen gepflegt aus und es roch nach köstlichem Essen, während vor den Gebäuden Menschen saßen und sich lachend unterhielten. Sie kam auch nur auf diese Annahme, dass es sich um das Armenviertel handelte, weil der Weg nicht asphaltiert war und die Häuser keinerlei ausgefallene Dinge trugen, wie bunte Blumenkästen oder besonders verzierte Gardinen. Trotz der vorherrschenden Fröhlichkeit ließ sie dieses Viertel schnell wieder hinter sich und kehrte in die Gegend zurück, in der Nolan wohnte, ehe sie sich vielleicht doch verlaufen würde. Während sie durch jenes Viertel schlenderte, wurde sie durch mehrere Stimmen plötzlich auf einen kleinen Pfad aufmerksam, der zu einem verborgenen Platz führte. Es roch nach Seife, was sich schnell dadurch erklärte, dass zwei Waschzuber neben einem Brunnen standen. Zwei Frauen knieten vor den Zubern und waren damit beschäftigt, Wäsche zu waschen. Nicht weit entfernt und mit ihnen plaudern, stand noch eine Frau – deren rosa Haar Nel sofort ins Auge stach, genau wie die Tatsache, dass sie schwanger war – und ein älterer Mann mit braunem Haar, das bereits durch graue Strähnen gezeichnet war und der ein Baby auf den Armen trug. „Eigentlich sollte ich heute gar nicht hier sein“, schnaubte eine der Frauen, die gerade mit Waschen beschäftigt war und schüttelte den Kopf heftig, damit einer ihrer braunen Zöpfe, der über ihre Schulter zu fallen drohte, wieder auf ihren Rücken zurückrutschte. „Ich war schon dabei, zu gehen, da kam Kenton zu mir und sagt, dass ich nicht zu gehen brauchen, weil er Nolan ohnehin gerade zurückholt. Aber was das alles sollte, wollte er mir nicht sagen.“ Nel wagte nicht, näher zu gehen und blieb im Pfad stehen, als sie hörte, wie sie von Nolan sprachen. Offenbar waren das Freunde von ihm, denn sie alle gaben ein leises Seufzen von sich. „Dabei könnte er Urlaub gerade so gut gebrauchen“, bemerkte die Frau, die ebenfalls wusch. Im Gegensatz zu der Braunhaarigen konnte sie von ihrem schulterlangen, schwarzen Haar nicht gestört werden, dafür fuhr sie sich immer wieder mit der Hand über die nasse Stirn und hinterließ dabei Seifenreste. „In letzter Zeit wirkt er immer reichlich gereizt.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen“, bestätigte der Mann. „Ich traute mich kaum noch, irgendwas zu ihm zu sagen, das nicht positiv gemeint war – und selbst da musste man aufpassen, wie es formuliert war, damit er sich nicht angegriffen oder an Lan erinnert fühlte.“ „Also ich habe das nicht bemerkt“, erwiderte die Braunhaarige, was bei der Schwangeren zu einem spontanen Lachanfall führte. „Ist ja auch kein Wunder, Nadia“, sagte sie dann. „Gegenüber Leuten, in die man verliebt ist, benimmt man sich ganz anders als gegenüber allen anderen. Besonders wenn man diese anderen Personen bereits seit seiner Kindheit kennt.“ Nadia hustete verlegen und senkte den Blick, statt noch etwas zu sagen. Was aber die schwarzhaarige Frau nicht davon abhielt, selbst noch einmal zu sprechen: „Wenn er sich – endlich mal – entschließt, dich zu heiraten, wärst du die nächste Kommandantenfrau und müsstest keine Wäsche mehr waschen.“ „Oh, na das wäre doch mal ein Grund, unbedingt heiraten zu wollen“, erwiderte Nadia sarkastisch. „Warum denkt ihr überhaupt dauernd, dass er das will?“ „Warum sollte er nicht wollen?“, fragte der Mann schulterzuckend. „Irgendwann sollte er schon daran denken, zu heiraten. Bei einem Posten wie seinen gibt es schon genug Frauen, die ihn nur wegen der Vorteile haben wollen, da wäre es wesentlich angebrachter, aus anderen Gründen zu heiraten.“ Nadia stöhnte genervt. „Toll, jetzt fühle ich mich, als müsste ich ihn auf Knien anflehen, mich zu ehelichen, damit er nicht von irgendeiner Trophäenjägerin in sein Unglück gestürzt wird.“ „Das wäre bestimmt ein interessanter Anblick“, bemerkte die Schwarzhaarige lachend. „Aber er würde sicher ablehnen, weil du ihn in seiner Männlichkeit gekränkt hast, immerhin muss er ja den Antrag machen.“ Nel konnte nicht verhindern, dass ihr ein leises Lachen entschlüpfte, als sie sich diese Szene vorzustellen versuchte und obwohl sie sich die Hand vor den Mund hielt, war es offenbar noch laut genug, dass alle Anwesenden auf sie aufmerksam wurden. Um nicht unhöflich zu sein, begab sie sich zu den Unbekannten. Der Blick, mit dem die Schwangere sie mit ihren goldenen Augen musterte, gefiel ihr allerdings gar nicht, weswegen sie versuchte, sich ein wenig von ihr fernzuhalten und sich lieber zu dem Mann stellte, von dem eine gewisse Sicherheit auszugehen schien. „Dich habe ich hier noch nie gesehen“, bemerkte die Schwarzhaarige. „Wohnst du in New Kinging?“ „Nein“, antwortete sie sofort, ein wenig verlegen. „Ich komme nicht von hier, ich bin heute erst in der Stadt angekommen. Mein Name ist Nel.“ Die Schwangere grinste. „Ah, Nel, so so. Ich bin Aurora.“ Sie wartete auf eine bestimmte Reaktion, die Nel ihr aber nicht liefern konnte, stattdessen nickte sie nur schüchtern und sah dann zu den anderen Frauen. Die Schwarzhaarige lächelte warm, was ihre blauen Augen glitzern ließ. „Mein Name ist Oriana, es freut mich, dich kennenzulernen.“ Die einstudierte Freundlichkeit wurde von ihrer aufrichtigen Freude begleitet, was Nel einigermaßen beruhigte, während sie zwischen all diesen Fremden stand. Da Nadia keine Anstalten machte, etwas zu sagen, übernahm Oriana das. Sie nickte mit dem Kopf zu ihr hinüber. „Das ist Nadia. Stör dich nicht an ihr, sie ist nur ein wenig schüchtern und redet nicht gern mit Fremden.“ Für diese Aussage erntete Oriana einen wütenden Blick, der sie allerdings nicht im Mindesten störte. Ja, Nel konnte sich durchaus vorstellen, dass sie gemeinsam mit Nolan aufgewachsen war. Zuguterletzt sah sie den Mann an, der noch nichts gesagt hatte, aber da niemand für ihn die Vorstellung übernahm, machte er das mit einem Seufzen selbst: „Richard. Und dieser Kleine hier ist Landis... Rias Sohn.“ Ihr entging das Zögern nicht, als wäre er eigentlich gewohnt, etwas anderes hinzuzufügen, aber sie war mehr an dem Kleinkind interessiert, das in Richards Armen schlief, wie sie bei genauerem Hinsehen erkannte. „Er ist wirklich süß~.“ „Aber natürlich“, sagte Oriana mit unverhohlenem Stolz in der Stimme. „Ich bin immerhin seine Mutter.“ Doch nach diesen Worten lachte sie bereits wieder amüsiert. „Ich glaube eher, viele Kleinkinder sind sehr süß... jedenfalls habe ich noch kein unsüßes gesehen...“ Sie neigte den Kopf ein wenig, als würde sie nun tatsächlich darüber nachdenken. Auroras Blick weitete sich derweil zu einem Starren aus, was dazu führte, dass Nel noch einen Schritt näher an Richard heranrückte. „Was führt dich nach New Kinging?“, fragte Aurora neugierig. „Sehenswürdigkeiten?“ „Uhm, nein, also... nicht direkt. Ich wollte zwar wirklich durch das ganze Land reisen, aber dass ich nun hier bin, liegt mehr daran, dass...“ Sie war sich aufgrund Nadias Anwesenheit nicht sicher, ob sie wirklich zugeben sollte, dass sie gemeinsam mit Nolan angekommen war, aber das wurde ihr auch bereits abgenommen, als Schritte erklangen und sich eine weitere Person zu ihnen gesellte. Immer noch wütend auf Kenton, lief Nolan durch die Stadt, auf dem Weg zu seinem Zuhause, wo er Nel bereits vermutete. Aber auch wenn sie noch nicht da wäre, könnte ihm das nur recht sein, da er gerade dringend etwas Alkohol vertragen könnte – oder auch viel – und er nur hoffen konnte, noch etwas in seinem Schrank zu haben. Doch mit jedem Schritt wurde er wieder ein wenig ruhiger und bereute sogar fast, Kenton angeschrien und dann zurückgelassen zu haben. Aber nur fast, denn der Zorn wollte einfach nicht verschwinden. Auch wenn er sich noch an Charons Worte erinnerte, die besagten, dass Landis' und Fredianos Schicksal immer auf einen frühen Tod hinausgelaufen wäre, so kam er nicht umhin, Kentons Geheimniskrämerei die Schuld daran zu geben, egal ob Landis ihn vielleicht sogar darum gebeten hatte, kein Wort zu irgendwem zu sagen. Je mehr er darüber nachdachte, desto düsterer wurden seine Gedanken. Seine Wut verflog allerdings augenblicklich, als er eine süße Stimme hörte: „Onkel No!“ Er blieb stehen und wandte sich der Stimme zu, die zu einem kleinen Mädchen mit kurzem schwarzen Haar und braunen Augen – die sie eindeutig von ihrer Großmutter Bellinda hatte – gehörte. Lächelnd kniete er sich vor sie, was sie ebenfalls mit einem Lächeln quittierte. „Hallo, Milly, wie geht es dir?“ „Total gut“, antwortete sie, mit Worten, die sie eindeutig von ihm kannte. „Ich war gerade bei Freunden spielen und suche jetzt Opa Richard. Er ist nicht zu Hause.“ Traurig ließ sie ihre Mundwinkel sinken, ein Anblick, den Nolan nie ertragen konnte. „Hör zu, ich habe gerade nichts vor, ich helfe dir, ihn zu finden.“ „Wirklich?“, fragte sie strahlend. „Das wäre voll super!“ Mit einem Schmunzeln erinnerte Nolan sich, wie Frediano bei dieser Wortwahl seiner Tochter stets leise und verzweifelt mit den Zähnen geknirscht hatte. Aber nun war er nicht mehr dabei und Oriana war wesentlich liberaler in der Erziehung, weswegen sie quasi sagen konnte, was sie wollte. „Na dann, komm.“ Er richtete sich wieder auf und reichte ihr dann die Hand, die sie lächelnd ergriff, ehe sie gemeinsam mit ihm loslief. Dabei stellte er wieder einmal fest, wie viele Blicke sie beide ernten, wenn sie dieses Bild boten – es musste wohl wirklich interessant aussehen, da war er fast schon unglücklich, dass er das nicht selbst betrachten konnte. Allerdings verwarf er den Gedanken wieder, um sich darauf zu konzentrieren, wo sich Richard befinden könnte, aber das war nicht schwer. Es gab nicht viele Orte an denen der Mann sich aufhielt, die könnte man schnell absuchen und der erste war der Brunnenplatz, auf dem so ziemlich alle, die er kannte, ihre Wäsche wuschen oder Wasser holten, wenn es sein musste. Dabei fand er es erstaunlich, dass es in New Kinging noch Brunnen gab, während es in Cherrygrove schon seit langem Wasserpumpen gab – allerdings war dort immerhin einmal ein Kind in einen Brunnen gefallen, hier war das offenbar noch nie geschehen. Zu Nolans Überraschung fanden sie auf dem Brunnenplatz nicht nur den gesuchten Richard, so wie Oriana, Aurora und Nadia, sondern auch noch Nel, die ihn sofort erleichtert ansah, als sie ihn erkannte. Milly ließ seine Hand los und huschte zu Richard hinüber. „Opa Richard! Da bist du ja. Ich habe dich überall gesucht.“ Offenbar sah er das als gute Gelegenheit, um das Kleinkind loszuwerden, denn er drückte es sofort dem überrumpelten Nolan in den Arm, ehe er sich Milly zuwandte. Was er allerdings mit ihr besprach, konnte der Kommandant nicht verstehen, da er seine Aufmerksamkeit bereits wieder Nel zuwandte: „Hast du dich schon mit meinen Freunden vertraut gemacht, hm?“ „Ein wenig“, bestätigte sie verlegen. Nadia hielt augenblicklich in ihren Bewegungen inne, aber dafür reagierte Oriana direkt: „Wir wussten nicht, dass sie eine Freundin von dir ist. Woher kennt ihr euch?“ „Wir haben uns unterwegs getroffen und beschlossen, zusammen zu reisen. Als ich dann zurückgerufen wurde, hat sie entschieden, mich zu begleiten.“ Dafür erntete Nel einen stechenden Blick von Nadia, der sie zurückweichen ließ. „Du machst auch dauernd neue Freunde, oder?“, fragte Oriana amüsiert. „Lan mag dich ja auch sehr.“ Diese Worte versetzten ihm wie immer einen leichten Stich. Er blickte auf das schlafende Baby in seinen Armen hinab, das sich nicht im Mindesten daran störte, nach seinem Vater benannt worden zu sein, im Gegensatz zu so ziemlich allen anderen. Was Oriana sich dabei gedacht hatte, würde Nolan niemals verstehen. Richard stellte sich wieder aufrecht hin und drehte sich um. „Ria, stört es dich, wenn ich Milly mitnehme? Sie sagt, sie hat Hunger.“ „Riesigen Hunger“, bestätigte das Mädchen und breitete die Arme aus, um ihr Argument zu unterstützen. Oriana lachte leise. „Natürlich nicht. Bring sie nur heute Abend wieder nach Hause.“ Er nickte bestätigend und nahm Milly dann bei der Hand, um mit ihr den Brunnenplatz zu verlassen. Doch bevor sie ging, zupfte sie noch einmal an Nolans Kleidung. Als er in die Knie ging, begann sie verschwörerisch zu flüstern: „Onkel No, du darfst doch nicht Tante Nadia traurig machen, das ist nicht in Ordnung. Papa hat immer gesagt, man darf Leute nicht traurig machen.“ Ja, Frediano hatte wirklich für eine gute Erziehung gesorgt, wie Nolan wieder einmal feststellte. „Keine Sorge, das war nicht meine Absicht. Ich will sie ja auch nicht traurig machen.“ Zufrieden mit dieser Antwort, zwinkerte sie ihm zu – wobei sie wie üblich beide Augen zusammenkniff, statt nur eines – und ging dann gemeinsam mit Richard weiter. Oriana schien derweil mit Waschen fertig zu sein, denn sie legte das letzte Kleidungsstück in einen Korb und stand dann auf. „Jetzt gib Lan mal lieber an Aurora weiter, damit sie und ich nach Hause gehen können. Ich nehme an, du hast jetzt was anderes zu tun.“ Freudestrahlend streckte Aurora die Arme aus. „Ja, gib her, gib her~.“ Ohne zu zögern, reichte er ihr den Jungen, der sich auch dadurch nicht wecken ließ. Zufrieden und ein leises Lied singend, ging Aurora mit ihm auf den Armen davon, gefolgt von Oriana, die den Wäschekorb trug und Nolan zuzwinkerte, als sie an ihm vorbeilief. „Kannst du vielleicht vorne auf der Straße warten, Nel?“ Sie zuckte erschrocken zusammen, dann nickte sie hastig und verschwand rasch aus seiner Sicht. Kaum waren er und Nadia allein, setzte er sich seufzend zu ihr. Jegliche Feindseligkeit fiel sofort von ihr ab und wurde durch Besorgnis ersetzt: „Was ist los? Du siehst so durcheinander aus.“ „Das bin ich auch“, bestätigte er. „Sag mal, wie hast du dich gefühlt, nachdem du herausgefunden hast, dass du eine Halbnymphe bist?“ „Ich fand es toll“, antwortete sie mit einem verlegenen Lächeln. „Aber Aidan war davon absolut nicht angetan. Er meinte, wir wären damit unnormal und Außenseiter. Er hat einfach nicht die Vorteile sehen können, die damit zusammenhängen und außerdem muss man das ja nicht jedem auf die Nase binden, den man trifft.“ Er nickte zustimmend, sagte aber nichts, weswegen sie nachhakte: „Warum fragst du? Hast du herausgefunden, dass du Naturgeister in deiner Ahnenreihe hast?“ „Ich wünschte, es wäre so“, seufzte er. „Nein, ich habe heute erfahren, dass mein Vater gar nicht mein Vater war – und dass ich ein Dämonenjäger oder so etwas bin.“ Vor Schreck ließ Nadia das Kleidungsstück fallen, dass sie gerade wusch. Es versank im trüben, seifigen Wasser, aber sie beachtete es erst einmal nicht weiter, sondern blickte ihn mit geweiteten Augen an. „Ein Dämonenjäger?“ „Ja... ein Lazarus oder so etwas in der Art. Und Kenton wusste das alles die ganze Zeit, seit er Berater der Königin geworden war – und wieder einmal hat er es mir nicht gesagt.“ „Hast du ihn angeschrien?“ Verwundert blickte er sie an. „Woher weißt du das?“ „Du wirkst so zerknirscht“, antwortete sie. „Das tust du auch immer, wenn du deine Kavalleristen anschreist. Also gehe ich davon aus, dass du Kenton zusammengestaucht hast.“ „Das ist richtig“, bestätigte er. „Ich bin auch ziemlich sauer auf ihn.“ Nadia griff ins Wasser und tastete nach dem Kleidungsstück, das sie fallengelassen hatte. „Du solltest vielleicht noch einmal in Ruhe mit ihm reden. Sicher hat er seine Gründe für das Schweigen und es ist ihm auch ganz bestimmt nicht leichtgefallen.“ Während er ins Nichts starrte, grübelte er ein wenig. Nadia hatte sicherlich recht, er musste mit Kenton darüber sprechen, ohne ihn wegen allem, was vorgefallen war, anzuschreien. Also konnte er nur hoffen, dass er am Abend wirklich auftauchen würde, denn er wollte das alles nicht im Büro des Beraters besprechen. Aber so wie er seinen Freund kannte, würde er mit Sicherheit kommen, um alles näher zu erläutern und zu besprechen. „Ja, du hast recht. Danke, Nadia.“ Er lächelte ihr zu, was sie genauso erwiderte, ehe sie weitersprach: „Aber vielleicht solltest du dich jetzt erst einmal um deine Freundin kümmern.“ „Beton das doch nicht derart. Nel ist eine Freundin, so wie Oriana. Was ist daran auszusetzen?“ „Nichts“, erwiderte sie spitz, so dass er wusste, dass sie schlechte Laune hatte. Aber er wusste auch, dass er nicht dagegen argumentieren konnte, so stur wie sie immer war – auch wenn das eine Eigenschaft war, die ihm durchaus an ihr gefiel. „Ich sollte jetzt aber wirklich gehen“, stimmte er zu und stand wieder auf. Doch schon nach wenigen Schritten hielt er wieder inne. „Sag mal... stört es dich nicht?“ „Was?“, fragte sie ratlos. „Diese ganze Dämonenjäger-Sache... mich stört das sehr.“ Er wagte es nicht, sie anzusehen, aber das musste er auch nicht, denn er merkte auch so, dass sie lächelte, als sie antwortete, da es in jedem ihrer Worte hörbar war: „Du bist und bleibst Nolan, egal, ob du auch noch ein Dämonenjäger bist oder nicht. Das ändert nichts an dir.“ Er lächelte ebenfalls, als er das hörte. „Danke, Nadia.“ Mit diesen Worten ging er weiter und blieb nicht noch einmal stehen, so dass er Nadias Flüstern nicht mehr hören konnte: „Keine Ursache...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)