Das Erbe der Drachen - Band 1 von Flordelis (Der Drachenkrieg) ================================================================================ Kapitel 8: Der letzte Götterdrachen ----------------------------------- Kai öffnete seine Augen und sah in das Gesicht eines seltsamen Tieres, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Mit einem Aufschrei fuhr er auf und erschrocken rannte das vogelähnliche Geschöpf in den Wald hinein. Nach seinem ersten Schreck betastete Kai seine Knochen. Nichts war gebrochen oder tat gar noch weh. Seine Hosenbeine waren jedoch zerrissen und sein rechter Ärmel fehlte. Aber seltsam war, dass keine Wunden zu sehen waren. Kai schrie, gefrustet über sein Hiersein in einem Tal ohne sichtbaren Ausgang, auf. Einige Vögel flogen erschrocken aus den Bäumen, aber die seltsame Geräuschkette brach nicht ab. Es hörte sich an, als ob etwas wirklich Großes durch den Wald lief. Kai wischte sich den Staub von der übrig geblieben Kleidung und sah sich danach seufzend nach einem Eingang in den dicht gewachsenen Dschungel um. >>Wie komme ich da nur rein?<< Ein kleiner, bunter Vogel landete auf einem kleinen Ast, der direkt aus dem Fels wuchs. Der Vogel sah Kai aus großen moosgrünen Augen an und fragte: >>Du willst in den Wald?<< Kai erschrak und fuhr herum. Als er den Vogel bemerkte fragte er: >>Du kannst sprechen?<< >>Natürlich. Haben deine Eltern dir denn nichts beigebracht?<< >>Ich habe keine Eltern.<< >>Dann musst du der Göttliche sein. Komm mit. Ich werde dir alles auf den Weg zum Tempel erzählen.<< >>Ähm... okay.<< Der Vogel flog vor Kai in den Wald hinein und begann dem ihm Folgenden zu erzählen: >>Ich erkläre dir erst einmal, warum die Tiere sprechen können. Im Jahr 2698 begann der vierte Weltkrieg. Die Menschen auf der ganzen Welt bekämpften sich und dann probierten sie eine neue magische Waffe aus. Die Magie war damals noch ziemlich jung und man konnte nichts gegen die Auswirkungen dieser Waffe tun. Sie probierten die Waffe an einem kleinen Land namens Japan aus. Eben dieses Land, das in eine Wüste verwandelt wurde. Dieser Wald zeigt dir die Instabilität dieser Magiewirkung, denn der Krater entstand beim Einschlag der Magiebombe. Die Energie die danach von diesem Land ausging, zog mächtige Meteoriten an, die Menschen fast völlig auslöschten. Die Drachen und Halbdrachen, die seit den frühen Zeiten in der Erde ruhten, erwachten und nahmen ihre Stellung auf der Erde ein. Durch den Einfluss dieser Energie können alle Tiere auf der Erde nun auch sprechen, wenn sie es wollen. Und sie leben ewig. Viele sind sogar grün geworden oder haben andere Farben angenommen, so wie ich.<< >>Was hat es mit diesem Göttlichen auf sich?<< >>In der Legende der Drachen heißt es, dass der Gott Ladon, der die Erde erschuf, zur Erde stieg, um den Menschen die Liebe näher zu bringen. Er und die anderen sieben Krieger versagten allerdings und starben. Wenn jedoch die dunkelste Stunde der Drachen schlägt, wird der Göttliche wiederkehren und sein gleißendes Licht über die Welt erstrahlen lassen.<< >>Was bedeutet das?<< >>Das bedeutet, dass du der Göttliche bist und mit dem Licht deines Herzens die Dunkelheit vertreiben wirst. Verstehst du Kai?<< Kai nickte zögerlich. >>Und was soll ich tun?<< >>Du wirst erst mal deine gesamte Macht zurückbekommen und dann wirst du nach Drakani reisen, um die anderen Lords aufzusuchen.<< >>Lords? Kann es sein, dass das die wiedergeborenen Krieger sind?<< >>Sehr richtig. Gut kombiniert. Willst du noch etwas wissen?<< >>Ja. Menschen bekämpfen die Halbdrachen doch oder? Warum tun sie das? Die Halbdrachen haben ihnen doch überhaupt nichts getan.<< Der Vogel sah nachdenklich geradeaus und antwortete zögernd: >>Die Menschen fürchten die Macht der Halbdrachen. Sie haben Angst, dass die Drachen sie eines Tages töten.<< >>Würden sie das denn tun?<< >>Aber nein. Drachen und Halbdrachen sind im Prinzip friedvolle Wesen. Sie kämpfen nur, wenn es unbedingt nötig ist.<< Kai konnte es sich nicht erklären, aber plötzlich war der Vogel ohne ein Geräusch verschwunden. Kai sah sich um und rief: >>Hallo?! He, Vogel, wo bist du?!<< Der Vogel antwortete nicht. Nur die normalen Geräuschen des Urwaldes waren zu hören. Plötzlich ertönte ein Klappern. Kai sprang erschrocken in die Luft und rannte in den Wald ohne sich umzusehen. Nach drei Minuten blieb er stehen. Ein Bach schlängelte sich vor ihm durch das Unterholz und kleine Fische und Kaulquappen schwammen darin. Kai beugte sich darüber und sah genauer hinein. Die Fische waren silbrig bis hellgrün, aber das Licht, das auf ihren Schuppen schimmerte, ließ die Fische in wunderschönem Glanz erstrahlen. Auf einmal erklang wieder dieses Klappern, aber diesmal drehte Kai sich um, um zu sehen, was hinter ihm stand. Das Geschöpf, das Kai aufgeweckt hatte stand hinter ihm und sah ihn fragend an. >>Äh... hallo.<<, sagte Kai schüchtern und nahe der Versuchung wieder wegzurennen. Das Wesen klapperte wieder mit dem Schnabel, aber sagte nichts. Es hatte ein rosa Gefieder, lange schwarze Beine, einen langen blutroten Schnabel und kluge moosgrüne Augen. Sein Schwanz hatte prächtige bunte Federn, die sich unablässig auf und ab bewegten. >>Raah!<<, rief das Wesen. >>Raah?<<, wiederholte Kai verdutzt. >>Ja, kannst du nicht sprechen?<< >>Raah!<< >>Anscheinend nicht.<< Kai ließ sich auf den Boden fallen, um nachzudenken, wie es weitergehen sollte. >>Kraah! Rah!<< >>Was ist denn?<<, fragte Kai verwirrt. Das Wesen lief den Fluss hinunter und sah Kai auffordernd an. Es wollte, dass Kai ihm folgte. Er verstand und folgte dem Wesen. >>Was bist du überhaupt?<< Das Wesen lief vor ihm her und antwortete nicht. Nach zwanzig Schritten blieb es stehen und zeigte mit dem langen Schnabel auf einen Baumstamm, der über den Fluss führte. >>Danke.<<, sagte Kai. Das Wesen blinzelte spielerisch mit den Augen. Kai lächelte müde und lief über den Stamm. Das seltsame Wesen folgte ihm weiterhin tapsig. Kai beachtete es nicht weiter und folgte dem Pfad. Nach weiteren zwanzig schritten lachte plötzlich ein Vogel über ihm und er sah auf. Es war der Führervogel von vorhin, der auf dem Ast über ihn lachte. >>Was ist so komisch?<<, fragte Kai. >>Das, was da hinter dir herläuft ist eine mutierte Mischung aus einem Flamingo und einem Pfau. Ein so genannter Pfaumingo. Es ist ein Weibchen und sie scheint in dich verliebt zu sein.<< >>Was?!<< Der Pfaumingo blinzelte wieder spielerisch, aber Kai ignorierte es und fragte den Vogel: >>Wohin bist du eigentlich vorher verschwunden?<< >>Hatte was Wichtiges zu tun. Der Götterdrache erwartet dich bereits. Komm mit mir.<< Der Vogel flog los und Kai folgte ihm. Nach kurzem Zögern kam auch der Pfaumingo nach. Alle drei schwiegen und folgten dem Pfad vor sich. Knapp vierzig Schritte später erhob sich der Tempel von einer Lichtung. Das geheimnisvolle Licht war immer noch zu sehen, obwohl die Sonne schon weit oben am Himmel stand. >>Wir sind da.<<, sagte der Vogel. >>Raah!<< Kai nickte. >>Da muss ich also rein?<< >>Ja. Dort drinnen lebt der letzte Götterdrache. Viel Glück für dich.<< >>Danke.<< Der Pfaumingo klapperte noch einmal mit dem Schnabel und blinzelte traurig. Kai sah es lächelnd an und ging auf die Tempeltreppe zu. Es waren nicht viele Stufen, aber jede war fast so hoch, wie Kai selbst. Mühsam zog er sich die erste Stufe nach oben und blieb erst einmal sitzen. >>Ich hasse Treppen. Besonders solche.<< Er stand auf und zog sich die nächste Stufe nach oben. So ging es zehn Stufen weiter, bis Kai vor dem Eingang stand. Er betrat den Tempel. Tonscherben und ausgerissene Buchseiten lagen im Halbdunkel. Kai hob eine der Seiten hoch und las: >>Öffne mir die Augen, dass ich sehe / die Wunder an deinem Gesetz. Ich bin ein Gast auf Erden; / verbirg Deine Gebote nicht vor mir.<< Kai bückte sich noch einmal und hob noch eine Seite auf. Sie schien aus einem Tagebuch zu stammen und Blut befleckte sie. >>Viel Zeit bleibt mir nicht mehr. Die Menschen werden bald kommen; wir können das Siegel nicht mehr lange halten. Aber wir werden Lord Nelon so lange wie möglich beschützen und hoffen, dass unser Lord sein Schild in der Zeit aufbauen kann. Er und der Göttliche sind die letzte Hoffnung für diesen zum Untergang verurteilten Planeten und seine Rasse. Dumme, dumme Menschen...<< Kai ließ die Seite, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte, fallen und betrat den nächsten Raum, wo er schockiert stehenblieb. Blut bedeckte die Wände und etliche Skelette in Rüstungen lagen hier. Äxte, Pfeile und verrostete Schwerter steckten in den Wänden und im Boden. Die Luft war stickig und verfault. Kai überkam ein Würgreiz und er lief wieder zur Tür, die nach draußen führte. Er sah über die Baumwipfel zur Kraterwand an der runtergefallen war und wunderte sich, dass er diesen Sturz unverletzt überstanden hatte. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass er der Göttliche war und etwas Praktisches musste das ja haben. Ein Geräusch ertönte. Kai drehte sich um. Ein hochgewachsener Mann in einer weißen Uniform und weißen Haaren stand hinter ihm und sah ihn unverwandt an. >>Wer bist du?<<, fragte Kai. >>Ich bin alles - und nichts. Ich bin ein Halbdrache und der letzte Götterdrache.<<, erwiderte der Mann. >>Ich bin Nelon.<< >>Du siehst anders aus, als die anderen.<<, sagte Kai gedankenvoll. >>Wie ich bereits sagte, bin ich ein Halbdrache. Meine Aufgabe war es auf Euch zu warten, Lord. Ich werde Euch mein Wissen und meine Macht geben und dann in die nächste Welt reisen.<< >>Wie meinst du das?<<, fragte Kai. >>Ich starb theoretisch schon vor über zweihundert Jahren, aber ich durfte solange leben, bis Ihr kommt, mein Lord und meine Macht übernehmt.<< >>War es nicht schwierig hier ganz allein zu leben - mit all den Toten?<< >>Ja. Manchmal schon. Aber man gewöhnt sich daran.<< >>Der Vogel sagte, ich soll die anderen Lords suchen, aber was hat es damit auf sich?<< >>Die jetzigen Lords sind die Reinkarnationen der damaligen Krieger. Sie hatten außergewöhnliche Fähigkeiten, weil sie die Götter der Elemente waren. Weil sie außerdem mehrere Armeen gegen das Böse führten wurden sie Lords genannt. Versteht Ihr, mein Lord?<< Kai nickte. >>Ich glaube schon.<< >>Gut. Ich werde Euch nun meine Macht geben. Passt auf.<< Ein Licht ging von Nelons Stirn aus und traf auf Kais Stirn auf. Er wuchs weiter und ein weißer Schlangendrachen, der sich in den Schwanz biss, erschien auf seiner Stirn. Nelon sank in die Knie und Kai bekam die selbe Uniform. >>Was ist los?<<, fragte er und wunderte sich über seine Stimme, die nun einiges tiefer klang. >>Mein Lord, Ihr seid in das Stadium eines Erwachsenen eingetreten. Ihr müsst mir nun genau zuhören: Geht von hier aus nach Westen. Dort gibt es einen Menschenhafen. Lasst Euch zum westlichen Kontinent bringen und geht dann nach Norden ins Drachenreich Drakani, um den Drachenkaiser zu treffen. Bitte, mein Lord, Ihr seid unsere letzte Hoffnung. Wir alle zählen auf Euch.<< Nelon stürzte vorüber und löste sich in kleine blassgrüne Funken auf. Kai schlug traurig die Augen nieder und trat wieder in die Tür. Wie sollte er aus diesem Tal bloß je wieder herauskommen? Als Antwort auf seine unausgesprochene Frage erschien ein fliegender Teufelsrochen neben ihm. >>Ein Manta? Warum nicht? Hauptsache er kann fliegen.<< Kai stieg auf den Rücken des stillen Mantas und der Teufelsrochen erhob sich in die Luft und flog davon. Kai wusste nicht warum oder gar wie er es erklären sollte, aber er war sich sicher, dass noch gewaltige Probleme vor ihm lagen. Besonders weil Ignis ihn immer noch jagte. Plötzlich fiel sein Blick auf seine Hände und erblickte den goldenen Ring an seinem Ringfinger. Ein blassgrüner Stein war darin eingefasst und seltsame Schriftzeichen waren darauf abgebildet. Kai lächelte. Nun sah er optimistisch in die Zukunft und versuchte sich auszumalen wie der westliche Kontinent wohl aussah, während der Manta über die schier endlose Wüste nach Westen flog. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)