Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 13: Erinnerungen ------------------------ Still lag Luca auf dem Rücken im Gras. Seine nackte, feuchte Haut wurde von der warmen Sonne getrocknet. Halme und Blüten strichen darüber und manches Mal fühlte er das eine oder andere Insekt, was über seinem Leib hinweg flog, den sanften Hauch ihrer kleinen, flinken Flügel. Der Duft von Erde, Gras, Bäumen und Blumen hing in der Luft. Die Erde unter ihm, kühl und klamm von dem nahen Bach, stellte einen angenehmen Kontrast zu dem sommerlichen Tag her. Der Wasserlauf brach sich an Steinen im Flussbett. Er nahm das Summen von Bienen wahr, das Rauschen der Blätter, wenn der warme Wind durch die Baumkronen strich, die Bachforellen, die nach Fliegen schnappten, aber auch die stolzen, schönen Libellen und das leise Krabbeln auf seinem Körper, wenn eine Ameise oder eine kleine Spinne über ihn hinweg krabbelte. Auf seiner Brust lag Tambren und schlief friedlich. In seinen Träumen jagte er offenbar Kuchen und süßen Tee, badete darin und ließ es sich schmecken, denn er sabberte teilweise leicht oder schmatzte zufrieden. Hinter Lucas geschlossenen Lidern flackerte das Sonnenlicht, wenn sich das nahe Blattwerk bewegte und grüne Schatten auf seine bleiche Haut zauberte. Neben ihm lag Ayco, nicht weniger träge und zufrieden. Die Finger beider Männer hatten sich ineinander verschränkt. Anhand der ruhigen Atemzüge Aycos war sich Luca fast sicher, das der Elf eingeschlafen sein musste. Diese verführerische Glückseligkeit gab Luca das Gefühl, dass sie sich nicht in der Zeit des Waffenstillstandes sondern in Zeiten des Friedens an einem der schönsten Plätze dieser Welt lebten. Er sehnte sich diese Tage mehr denn je herbei. Vielleicht würden sie hier zusammen leben können, Ayco als Künstler, er als Barde. Der Gedanke eines Kriegsfreien Daseins manifestierte sich immer weiter und gerann zu klaren, schönen Bildern, die fern aller Sorgen waren. Der endlose Streit zwischen dem Süden und dem Norden um Land und Handelsstraßen, der Krieg der Rassen untereinander und der Länder übergreifend, rückte in die Ferne. Luca lächelte versonnen und öffnete die Lider. Sein Blick strich über das weiche Gras zu Ayco, dessen Wärme er noch leicht spüren konnte. Mit einigem Erstaunen stellte er allerdings fest, dass der junge Mann wach war und ihn scheinbar schon eine ganze Weile betrachtete. Silbrig weiße Harrsträhnen fielen in seine Augen, als er seinen Kopf etwas weiter zu Luca drehte. Das Sonnenlicht fing sich in dem milden Jade-Ton seiner Augen. sie erschienen um so vieles heller als in den Höhlen. Luca allerdings wusste auch um die Besonderheit dieser Augen. Sie waren wie die einer Katze. Momentan erschienen sie als helle, vollständig grüne Sterne. Harmonie und Frieden fand sich darin wieder, allerdings auch tiefe Gefühle und Glück. Der Magier lächelte. Still rückte Ayco näher und bettete seinen Kopf auf Lucas Bauch, hob dann den dicken blauen Drachling von dem Magier herab und nahm ihn in seine Arme. Der Magier konnte nun sehr viel freier Atmen. Die Augen des Elfs fixierten ihn weiterhin. „Erzählst Du mir nun, was in den Höhlen geschehen ist, Ayco?“, bat ihn Luca, während er seine Finger in den dichten, langen Haaren des Elfs vergrub und seinen Nacken kraulte. Mit der anderen Hand strich er Tammy über den Kopf. Der Drachling schlief noch immer fest. Er schien nicht mitbekommen zu haben, dass er umplatziert worden war. Der Elf nickte leicht. „Das mache ich. Aber zuvor wollte ich dich etwas fragen.“ Neugierig und auffordernd sah Luca ihn an. Es dauerte einige Herzschläge, bis Ayco sich gesammelt und seine Worte zurecht gelegt hatte. „Zwei Dinge, Luca“, begann Ayco. Die Augen des Elfs verengten sich. „Was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst?“ „Das Feuer“, entgegnete er. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken. Viele konnten das Massaker kaum überlebt haben. „Woran genau?“, drang der Elf weiter in ihn. „Die Verbindung zwischen Dir und mir, und das Anschwellen des Zaubers. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nicht nur aus mir heraus brannte sondern dass sich die Energie von dir und mir vereinte um einen Zauber zu erschaffen. War das so?“ Ayco nickte leicht. „Das erzähle ich dir aber gleich im Zusammenhang.“ Luca hob fragend eine Braue, wurde aber von Ayco übergangen. Der Elf senkte die Lider, nagte eine Zeit unschlüssig an seiner Unterlippe und sah schließlich wieder zu Luca auf. „Wie sicher bist du dir, dass Antoine Veraldis dein Vater war?“ Die Worte kosteten Ayco sichtlich Mühe sie auszusprechen. Luca bog sich nun doch etwas hoch und richtete sich auf die Ellenbogen auf. Ayco erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung, bevor sein Kopf in Lucas Schoß glitt. Sein Leben lang hatte sich Luca darüber keine Gedanken gemacht. Das eine oder andere Mal hatte er sich zwar gewünscht, dass sein Vater nicht sein Vater war, aber den Gedanken ob des schweren Schicksals der Familie immer wieder von sich geschoben und lieber davon geträumt, dass er in einer glücklichen Familie gelebt hatte, was wirklich eine Lüge gewesen war. „Langsam beunruhigst Du mich etwas, Ayco“, flüsterte er. „Kann nicht auch ein anderer Dein Vater gewesen sein?“ bohrte Ayco weiter. „Darüber habe ich nie nachgedacht. Nach dem, woran ich mich noch erinnere, sehe ich aus wie meine Mutter.“ Aycos Blick hielt nun den Lucas gefangen und der Magier begann sich deutlich unwohl zu fühlen. „Bitte ergehe Dich nicht in Andeutungen, Ayco.“ Langsam erhob sich auch Luca in eine sitzende Position. Zeitgleich erwachte Tammy in Aycos Armen, blinzelte in das Sonnenlicht und krabbelte in Lucas Schoß, um sich erneut zusammenzurollen. Das Gefühl der warmen Drachenschuppen auf seinem nackten Gemächt war Luca im Moment mehr als unangenehm. Behutsam nahm er Tambren in seine Arme und bettete ihn an seiner Schulter und seiner Brust. „Du verstehst gleich meine Fragen, wenn ich es Dir erzählt habe, alles, woran ich mich erinnern kann.“ Der Magier sah Ayco still an. Im Moment war er nicht überzeugt genauer erfahren zu wollen, was in den Höhlen passierte. „Als Ihad seinen Befehl zur Vernichtung gegeben hatte, begann etwas Seltsames. Du hast eine Barriere niedergerissen, die mich bis dahin von allem was ich konnte, abgeschnitten hatte. Deine Magie weckte etwas in mir, meine Fähigkeiten mit Feuer. Erinnerst du dich noch? Als du ein Kind warst, habe ich immer irgendwelche Tricks mit Feuer und Flammen gemacht. Das war etwas, dass ich in den letzten zwanzig Jahren nicht konnte. Die Magie, die mir Ihad damals genommen hatte, war nicht zerstört, sondern versiegelt und mit dem Siegel hast du auch einiges Andere von mir genommen, zum Beispiel das, was meine natürliche Fähigkeit Feuer zu kontrollieren, blockiert hatte. Plötzlich wusste ich wieder, wie das funktionierte. Und dann wob sich dein Zauber in den meinen. Aber gleichzeitig damit, wurdest Du apathischer, als würde diese Magie, die du angewendet hattest, dich verändern. Ich begriff erst, als wir plötzlich mitten unter den von Ihad Verurteilten standen, dass du sie beschützen wolltest. Dein Körper begann sich dabei zu verändern.“ Als Luca einwerfen wollte, dass sich vermutlich das Erbe des schwarzen Engels durchsetzen wollte, hob Ayco die Hand und der Magier behielt seine Selbsterklärung für sich. „Es war eine Verwandlung, die sehr an die erinnerte, wenn du zu einem Seraph wirst. Aber du wurdest nicht dazu, sondern zu einem Celestial. Deine Haut bleib weiß, und deine Schwingen brachen ebenfalls weiß aus Deinem Körper.“ Lucas Herz setzte kurz aus. Um seine Brust zog sich ein eiserner Ring zusammen und nahm ihm die Luft zu Atmen. Verstört, fast entsetzt, sah er Ayco an. „Ich bin kein Celestial sondern ein Seraphin“, flüsterte er tonlos. Es erschien ihm sinnlos zu sagen, dass sich Ayco geirrt hatte. Der Elf sagte schlicht, was er beobachtet hatte, nicht mehr und nicht weniger. Luca glaubte ihm auch, allerdings begriff er nicht, wie das sein konnte. Seine Haut war von Geburt an schwarz, wie seine Flügel. In seiner Ahnenlinie, so weit er sie kannte, gab es nur einen Seraphin und Menschen. Aber was wusste er schon über seine Vorfahren? - gar nichts, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Von seiner Mutter kannte er nichts mehr als ihren Namen und die knappe Zeit von drei Jahren, die sie gemeinsam hatten. „Was passierte dann?“ presste er hervor. Ayco legte den Kopf schräg. Scheinbar bemerkte er den stummen Kampf in Lucas Seele. „Soll ich lieber aufhören?“, fragte der Elf zaghaft. Vehement schüttelte Luca den Kopf. „Nein, bitte rede weiter. Was ist passiert?“ Nachdenklich zog der Elf die Knie an den Leib und umschlang sie mit seinen Armen. „Du hast einen außergewöhnlich großen Schutzkreis erschaffen, durchwoben von Flammen, den selbst die gewaltige Magie Ihads nicht durchbrechen konnte.“ Luca schwieg. In ihm kehrte eine unheimliche Ruhe ein, die alles um ihn zu einem Teil seiner Selbst werden ließ, oder richtiger, als wäre er ein Bestandteil des Lebens um sich herum. Für einen Moment vergaß er sich als Person und wurde Bäume, Erde, Wasser, Licht und Tiere. Lediglich das Symbol, über dem sich sein Magiersiegel als Tätowierung befand, das Zeichen des Gottes, dem er geweiht war, pochte leicht und erinnerte ihn daran, dass er eine eigenständige Person war, nicht Teil eines Kollektivs aus Leben, Bestand und Tod. Allerdings zwang er dieses Gefühl nieder und verschloss den Gedanken tief hinter seinem Bewusstsein. Aycos Finger lagen auf Lucas Wange. Offenbar musste der Elf mitbekommen haben, dass der Magier kurzzeitig nicht mehr er selbst gewesen war. „Mir geht es gut“, sagte Luca fast abweisend, was ihm sofort wieder leid tat, denn Ayco zog verletzt seine Hand fort „Entschuldige“, flüsterte der Magier. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete Ayco ihn nun. „Das was dann kam...“ er stockte. „Ihad beschwor das Feuer aus den Tiefen der Berge herauf, vernichtete alles. die Ordensmagier, selbst Cyprian, zogen es vor, so schnell es ging fort zu kommen. Einer nach dem Anderen teleportierte weg, um dem Inferno zu entgehen. Die Hitze war so gewaltig, dass die Wände schmolzen und wie Wachs herab troffen. Alles was brennbar war äscherte ein und du nahmst die Magie aus mir und verwendetest sie für deinen Zauber. Die Männer in dem Schutzkreis haben alle überlebt. Du bist lediglich von einem Ort an einen anderen Teleportiert. Es war dieser Ort hier, Night’s End. Als du materialisiertest, wurdest du ohnmächtig. Aber es ist dir gelungen alle Männer mit dir zu nehmen.“ Erleichtert atmete Luca auf. „Das ist das Wichtigste“, lächelte er. Ayco hob die Schultern. „So sicher bin ich mir da nicht“, sagte er zweifelnd. „Etliche von ihnen flohen in die Wälder und damit aus Ihads Fängen, andere blieben. Sie sind auf Thorns Hof.“ „Was ist mit Renard und Henrik?“, fragte Luca unsicher. „Geht es ihnen gut?“ „Ja“, entgegnete der Elf düster. Er wendete sich ab und sah hinüber zu dem Bach. „Sie sind in Sicherheit. Aber sie sind auch geflohen. Eigentlich war ich mir sicher, ehrenhaftere Männer vor mir zu haben.“ Luca lud seinen schlafenden Drachen auf einen Arm und streckte die Hand nach Ayco aus. Behutsam berührten seine Fingerspitzen das Haar des Elfs. Der junge Mann wendete Luca den Blick wieder zu und lächelte traurig. „So sehr ich meinen Vater verabscheue, aber er hatte mir als Kind andere Ehrenvorstellungen beigebracht.“ Die Lungen des Elfs füllten sich mit der nach Sommerwiese duftenden Luft und hoben den Brustkorb. Dann stieß er die Luft schnell wieder aus. Luca lächelte. „Sie wären dumm, würden sie bleiben, Ayco. Ihre Reise endet unwiderruflich mit ihrer Hinrichtung. So haben sie vielleicht noch eine Chance, ihren einstmaligen Heerführer zu finden und sich rein zu waschen. Ich halte Renard für einen ehrenhaften Ritter, der nichts im Sinn hat, was uns schaden würde. Seine Dankbarkeit wird sich sicher noch zeigen.“ „Hoffentlich“, kommentierte Ayco missmutig. Tammy regte sich wieder in Lucas Armen. Langsam dämmerte er aus seinem Schlaf in die Wirklichkeit zurück. „Auch schon wach, Schlafmütze?“, fragte Luca liebevoll und küsste den Kopf des kleinen Drachlings. Tambren gähnte herzhaft, schmatzte leise und blinzelte seinen Herren an. „Ich habe von einem herrlichen Rinderbraten geträumt, ganz für mich allein“, erzählte er selig. Bei seinen Worten lief ihm scheinbar schon wieder das Wasser im Maul zusammen. „In der Soße waren Nelken und Wacholderbeeren. Dazu gab es gestampfte Kartoffeln und zum Nachtisch Sauerrahm-Kuchen mit Zucker und Zimt.“ Er seufzte sehnsüchtig und leckte sich über die Lippen, als habe er noch den Geschmack des Essens darauf. Ayco hingegen lachte laut. „Allein vom Zuhören bekomme ich eine Magenverstimmung.“ „Du machst dich über mich lustig!“, beschwerte sich Tambren beleidigt. Luca nahm ihn hoch und drückte ihn sanft. „Wegen mir hast Du so viel durch gemacht und so lange auf etwas gutes zu essen verzichten müssen. Heute Abend wirst du ein Mahl bekommen, was du dir wünschst.“ Einen Moment später bereute Luca seine überschwänglichen Worte bereits. Tambren definierte sehr genau seine Wünsche, und Luca war sich sicher, dass der kleine Gasthof in Night’s End diesen Essensvorstellungen kaum gerecht werden konnten. Gedünsteter Fisch in einer Estragon-Weißweinsoße mit gekochtem Spinat konnte man in Valvermont in einem der großen Gasthäuser am Hauptmarkt erhalten, aber sicher nicht in dem Gasthaus zur Heckenrose. Luca hob hilflos die Arme. „Wenn ich etwas nicht kann, dann angeln. Vielleicht ist ja ein Fischhändler in Night’s End, der mir den Fisch verkauft.“ „Du kannst kochen?“, fragte Ayco neugierig. „Nachdem er fast in Manos Topf geendet wäre, hat ihm der Troll das Kochen beigebracht“, sagte Tambren rasch. „Irgendwie schaffst du es auch immer, mich bis auf die Knochen zu blamieren oder bloßzustellen“, tadelte Luca ihn. Ayco rückte näher. „Du hättest also fast ein Vollbad im Kochtopf des Heereskoches genommen?“, erkundigte sich der Elf neugierig. Luca lachte freudlos auf. „So kann man das nennen.“ Die grünen Elfenaugen leuchteten. „Erzähl schon!“, forderte er Luca auf. Der Magier legte den Kopf schräg. In seinen Blick schlich sich der Schalk. „Das war in den ersten Tagen, die ich bei Orpheu verbrachte“, begann er. „Ernst genommen hat mich am Anfang keiner. Unrühmliche Spitznahmen häuften sich, wenn sie dachten, ich würde nicht zuhören. Trollzahnstocher war wohl einer der beliebtesten.“ Die Lippen des Elfs zuckten und seine Mundwinkel bleiben nicht ruhig. Luca übersah die Reaktion lieber. „Damals war ich auch einfach nur dünn und hätte mein eigenes Schwert kaum vom Boden aufheben können. Heute bin ich nicht mehr ganz so schwach.“ „Aber dürr“, konterte Tambren lachend. „Unsere Aufgabe war es, einen hohen Adeligen aus dem Kaiserreich von Sarina nach Maiden Haven und von dort aus auf die Insel Gismonda zu geleiten, ihn auf seiner diplomatischen Mission zu beschützen und dafür zu sorgen, dass er sich auch sicher und gut aufgehoben fühlte. Das tat er auch. Er brauchte zum einen unseren Schutz in keiner Weise und zum anderen war genau ich es, an den der einzige, so unsäglich dämliche Attentäter, der den Versuch wagte diesem Mann zu nahe kommen zu wollen, geriet. Da mir an diesem Tag die Sticheleien aus dem Heer und die Anzüglichkeiten unseres Schützlings besonders auf den Nerv gingen, ließ ich meine gesammelte schlechte Laune an diesem armen Mann aus, nachdem ich ihn endlich in die Finger bekam. Er tat das einzig sinnvolle und floh schließlich vor mir. Die Jagd ging quer durch unser Lager und endete nach einem beherzten Sprung in eine Talsenke beiderseits direkt vor Mano, der durchaus nicht gewillt schien, sich die Suppe von einem Assassinen verschlechtern zu lassen. Im Gegensatz zu mir, endete sein Sprung tatsächlich in der Suppe.“ Ayco lachte jetzt erst recht. Luca hob die Schultern. „Der Attentäter von damals ist jetzt Thorns Schwiegersohn.“ Ayco verstummte. „Jaquand?“, fragte er unsicher nach. „Ja“, bestätigte Luca. Damals haben weder Mano noch ich etwas gesagt. Wir alle, inklusiv Jaquands, wurden zu Orpheu zitiert. Der Hauptmann sperrte den jungen Assassinen für einige Tage ein, genaugenommen unter Deck des Schiffes, dass wir bestiegen. Nach einer Weile schwor Jaquand ihm und mir seine Treue. Mano allerdings verzieh mir nicht, dass ein ganzer Mensch in seiner Suppe herumgeschwommen war und damit der Geschmack seines Essens verschlechtert worden war. Er gab mir die folgenden Tage an Bord Unterricht und verbot mir für den Rest meines Lebens irgendwelche Gegner in die Nähe seiner Töpfe zu jagen.“ „Ist das wirklich wahr?“, fragte Ayco. Luca nickte. „Bis auf die Tatsache, dass es damals alles andere als lustig für uns war, schon. Aber daher stammt die Freundschaft zu Jaquand und Mano. Und es war mein erster Tag, an dem die anderen Mitglieder des Heeres mich respektierten.“ Ayco schmunzelte. „Wer war eigentlich euer Schützling? Du sagtest, er hätte euren Schutz in keiner Weise gebraucht.“ Luca schloss die Lider und ließ den Kopf in den Nacken fallen. „Der höchste Ritter des Kaiserreiches. Kyle Trehearn.“ Der Elf erbleichte so plötzlich, dass Luca Tam fast aus den Armen verlor, als er nach seinem Liebsten griff. flatternd brachte sich der Drachling in Sicherheit. Die Reaktion erschreckte Luca nicht minder. „Was ist mit dir?“, fragte er vorsichtig, aber auch sehr besorgt. „Trehearn“, flüsterte Ayco heiser. „Das Monstrum hast du beschützt?“ Seine Stimme hatte allen Klang verloren. In Luca kroch eine vage Ahnung hoch. Aycos silbriges Haar, seine edlen und anmutigen Gesichtszüge, die hohe Stirn und der perfekte Körper erinnerten ihn sehr an Kyle. Besonders erinnerte sich Luca daran, dass Kyle ein Seraphin war, wie Aycolén und wie er selbst. Im Moment warnte ihn eine dünne Stimme Ayco mehr von seiner Beziehung zu Kyle zu erzählen. „Du kennst ihn?“, fragte Luca leise. Tiefe Angst und Sorge schwang in seiner Stimme mit. Die Antwort wollte er lieber nicht hören. Tambren allerdings teilte sie ihm mit, noch bevor Ayco die Lippen öffnete. „Luca, dieser Mann ist der Mörder von Lea, meiner Mutter und so ziemlich jedem in der alten Siedlung von Night’s End. Aber schlimmer als das, er ist mein Vater.“ Luca spürte wieder die klaren, offenen Augen Trehearns auf sich, seine selbstbewussten und spöttische Art, mit der er ihn, den damals vollkommen unsicheren, jungen Zauberer aufzog, ihn aber immer freundlich und gut behandelte, ihn hofierte und ihm schließlich sein Herz darbot. Für eine kurze Zeit war er wieder der Junge von damals, der die Nähe Trehearns mochte und ihm sogar einige Jahre später kurzzeitig in sein Heer folgte, um ihm als Magier zu dienen. Trehearn liebte ihn und er fühlte sich sicher in der Nähe seines damaligen, kurzzeitigen Gefährten. Trehearn lehrte ihn, genau wie Justin ihn lehrte. Nach dieser Zeit mit Trehearn, war Luca nicht mehr derselbe. Das wusste er und das spürten seine Kameraden in Orpheus Heer. Trehearn wollte Luca besitzen, genau wie Justin, und dem entwand sich der Magier sehr schnell. Es kostete seinen Preis, aber Luca war genauso froh ihn kennen gelernt zu haben wie auch Justin. Beide Männer standen ihm sehr nah. Kyle allerdings nahm eine völlig andere Stelle für Luca ein. Nur wagte er im Moment nicht Ayco das zu gestehen. Vorsichtig zog er den Elf an sich. „Ich kann mir nicht vorstellen dass er ungerechtfertigt morden würde. Er ist ein sehr ehrenhafter Mann, so wie ich ihn kennen gelernt habe...“ „Dann hat er dich betrogen und dir etwas vorgespielt!“, unterbrach Ayco Luca rau. Allerdings klammerte sich der Elf nur noch enger an Luca fest. „Nein Ayco. Sicher nicht.“ „Willst du mir sagen, dass du den Mann besser kennst als ich ihn kenne?!“ Ayco stieß Luca von sich und starrte ihn hasserfüllt an. Der Magier wendete nur den Kopf und sah auf seine Schulter an der sich Ayco zuvor festgekrallt hatte. Die Abdrücke seiner Nägel waren noch deutlich zu sehen. Als sein Blick zurück zu dem Elf glitt, hatte sich das Mienenspiel des jungen Mannes verändert. Angst und Schrecken dominierten sein Gesicht. „Hast du gesehen, wie er das Dorf vernichtet hat?“, fragte Luca leise, wobei er einen sofortigen Gefühlsausbruch des Elfs erwartete. Allerdings blitzte nur kurzer Schmerz in den leicht glasigen Augen des jungen Mannes auf. Sehr leise – als koste es ihn massive Überwindung diese Erinnerungen auszusprechen – sagte er: „Kyle stand in den Flammen, als ich endlich ankam. Inmitten der zerfetzten Leichen...“ Seine Stimme brach und Luca konnte nichts tun außer ihn Nähe und Wärme zu geben. Auch Tam kam wieder herbei und kuschelte sich liebevoll an den Oberschenkel des Elfs. „Ayco, ganz egal was du von deinem Vater denkst“, begann der kleine Drachling mit ruhiger Stimme. „erinnere Dich an den Mann, den du aus deiner Kindheit kanntest.“ Der schlanke Elfenkörper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, bevor sich der Schmerz und seine Tränen endlich ihren Weg bahnten. Liebevoll zog Luca ihn fester an sich und wiegte ihn sanft. „Du bist sein verlorener Schatz, der, den er nie finden konnte“, flüsterte Luca, der sich sehr gut an den ruhelosen, unsteten Ritter erinnern konnte. Ayco versteifte sich in seiner Umarmung. Sein Leib zitterte. Erneut rannen Tränen Aycos über Lucas Schulter und versickerten in seinem Haar. Erleichtert stellte Luca fest, dass Aycos Anspannung tiefem Schmerz platz machte. „Ich kann mir nicht vorstellen“, setzte er leise hinzu, „dass ein Vater seine Kinder und seine Frau töten würde. Schon gar nicht der Mann, den ich kennen gelernt habe. Er ist hart, gerecht und sehr liebevoll.“ Ayco schluchzte nur noch. Langsam zwängte sich der dicke Drache zwischen die beiden Männer und richtete ich auf Aycos Schoß aus. Der junge Mann beschwerte sich halblaut und löste seinen Griff von Luca, um Tambren nun hoch zu nehmen. Luca betrachtete die Beiden. Der Elf saß auf seinen Fersen, die Wangen Tränenfeucht, die Augen gerötet und mit laufender Nase. Tambren lag wie ein Neugeborenes in seinen Armen, ließ sich drücken und spendete Trost mit seinen feuchten Drachenküssen, mit denen er Aycos Gesicht bedachte. In dem Moment hatte der Elf mehr von einem Jungen als von einem Mann. Er begriff plötzlich, dass - auch wenn er 120 Jahre jünger war als Aycolén - er nun die Rolle des erwachsenen und weisen Mannes zu tragen hatte. Ayco, durch sein elfisches Erbe, war jung geblieben, trotz aller Schicksalsschläge immer noch ein Knabe, im Körper eines jungen Mannes, Luca hingegen hatte seine Kindheit und Jugend so früh verloren wie seine Unschuld. Er war erwachsen und diszipliniert schon in Kindestagen, ein Mann, der wenig lachte, das Leben hinnahm wie es auf ihn zu kam und mit den Konsequenzen lebte. Der Magier kam sich für einen Moment unglaublich alt vor, als lasteten Tausende Leben in der gleichen Gestalt auf ihm, deren Wissen er nur verdrängt hatte. Er neigte sich zur Seite und ergriff das Bündel seiner Kleider, um für Ayco ein sauberes Taschentuch herauszusuchen. Der Elf hatte seine eigene Art mit Tränen und laufender Nase fertig zu werden. er schnäuzte sich in seine Finger und wusch sie im Bach rein. Luca musste lächeln. Ayco hatte wirklich noch viele kindliche Züge, und zusammen mit Tambren lebte er sie auch aus. Der junge Mann entspannte sich wieder vollkommen und sah dann zu Tam in seinen Armen. „Erzählt ihr mir von dem Kyle, den ihr zu kennen glaubt?“, fragte er leise. In seiner Stimme schwang immer noch tiefes Misstrauen zu dem Ritter mit. Luca setzte sich im Schneidersitz hin und zog sich sein Hemd über die Schultern. „Gerne“, entgegnete er, als er die Ärmelbünde zusammenzog, aber die Schnüre offen ließ. „Wenn du mir zuvor sagst, wer dir sagte, dass Kyle der Mörder deiner Mutter und deiner Schwester war.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)