Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 16: Gregories Diener ---------------------------- Justin saß noch eine ganze Weile an der Seite des Jungen, versorgte ihn vorsichtig mit heilenden Kräutern, Tee und warmer Suppe. Seine Verbrennungen und Brüche hatte er mit seiner Magie geheilt, aber die Angst in dem Jungen blieb, selbst vor dem schönen und sanften Heiler, der im Moment das Herzstück des Lebensquells zu sein schien. Als Justin Luca und Aycolén aus dem Zimmer des Gasthofs schicken wollte, klammerte sich der Junge mit aller Macht an seine beiden Beschützer. Tränen rannen über seine eingefallenen Wangen und seine Lippen formten stumme, flehende Bitten. Ayco hatte sich neben dem Knaben auf das Strohbett gesetzt und allein aus einer beschützenden Geste heraus, den jungen Seraph umschlungen, während Luca Justins Gemüt beruhigte. Auch Orpheu ließ sich nicht des Zimmers verweisen, was den Jungen eher wieder Schutz unter den Decken und hinter Aycos Rücken suchen ließ. Als Justin endlich seine Arbeit beendete, war es schon nicht mehr weit von dem nächsten Morgengrauen entfernt. Ayco konnte sich nur noch mit Hilfe Tambrens wach halten, der jedes Mal, wenn der junge Mann einnickte, ihn in die Seite kniff. Manchmal, wenn Orpheu sich unbeobachtet wähnte, gähnte auch er hinter vorgehaltener Hand und rieb sich seine leicht entzündeten Augen. Der Junge selbst war schon lange eingeschlafen. Luca, der zumindest einen Teil des Tages schlafend zugebracht hatte, hatte das Gefühl noch der zu sein, dem die Müdigkeit am wenigsten zusetzte. Sogar der Vampir streckte sich, gähnte ungeniert und rieb seine verspannten Muskeln im Rücken. „Wenn keine weiteren Einwende bestehen, ziehe ich mich für einige Stunden zurück“, murmelte er, wobei er ein weiteres mal gähnte, dann zu Ayco trat, ihm einen Kuss auf die Wange gab, dem Jungen noch einmal über das Haar strich und zu Luca ging. Den Magier umarmte er kurz, küsste sanft seine Lippen und hob Orpheu gegenüber eine Hand. „So gehabt euch denn wohl, meine lieben Freunde.“ Er lächelte schläfrig. „Und bitte, bei allem was ihr macht, seid leise und denkt an den müden Mann im Nebenraum.“ „Ruh’ dich aus, alter Freund“, lächelte Luca. Der Elf deutete eine sehr unelegante Verneigung an und schloss die Tür hinter sich. Nachdem der Riegel im Nachbarraum vorgeschoben worden war, wendete sich Ayco nicht weniger erschöpft an Luca. „Was glaubt er, tun wir heute noch, was Lärm verursacht?!“ Seine Stimme schwankte wie trunken. Der Magier hob die Schultern. „Rauschende orgiastische Feste, Zeremonien voll finsterster Lust, ich weiß es nicht; jedenfalls all das, was keiner von uns auch nur hinbekäme, wäre er halb so müde.“ Er scheuchte Orpheu vom Fenster weg und öffnete es, um die Läden vorzulegen. Der schwarze Elf reckte sich kurz und vergaß, dass dieser Gasthof nicht für schwarzhäutige, zu groß geratene, elfische Drachenmischlinge gedacht war. Seine Hände stießen unsanft gegen die Deckenbalken und holten Staub aus den Ritzen. Eine aufgescheuchte Spinne huschte aus dem Lichtschein fort und der Hauptmann nieste mehrfach. Luca legte den Finger über die Lippen. „Sei leise und wecke den Jungen nicht auf.“ Orpheu rollte ärgerlich mit den Augen. „Ich habe die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, den Knaben hier zu fragen, warum er uns belauscht hat. Nun ist er bestens versorgt, meine Gelegenheit auf eine schöne Nacht dahin und bald wird es schon wieder Morgen. Jetzt seid ihr mir auch eine Antwort schuldig, Lysander. Fragt euer Drachenvieh...“ Luca sah ihn strafend an. „In Ordnung“, revidierte Orpheu gereizt. Fragt Tambren bitte, warum der geflügelte Halbhohe uns belauscht hatte!“ In seiner Stimme schwang immer noch verhaltene Wut mit. An sich wollte auch Luca das zu gerne wissen, insbesondere weil er die Gefahr so deutlich gespürt hatte, und sich seien Ängste dann nur als lächerlicher Junge herausgestellt hatten. Er sah einige Sekunden auf den schlafenden Knaben herab. So unschuldig und sanft sah das Kind aus, einfach nur schutzbedürftig. Es gelang Luca kaum den Gedanken der Bedrohung in sich zu bewahren. Besonders weil Ayco nun endgültig eingeschlafen war und der Junge seinen Kopf an das Knie des jungen Elfen geschmiegt hatte, ihre Finger ineinander verschränkt und vertraut, als wären sie Brüder. Luca zog die Decken höher über beide und kniete sich neben sie auf den Boden. Für ihn war dort kein Platz mehr. Tambren allerdings kroch nun zu Luca. Er rollte sich neben seinem Herren zusammen. „Was der Junge wollte?“, fragte er Orpheu. Der Hauptmann nickte. „Ja.“ „Ich konnte aus seinen Erinnerungen herauslesen, dass er auch aus den Höhlen kam, allerdings war er ein völlig harmloser Diener, ein Hübscher Gespiele des Mannes, der das Lager leitete. Gregories Leibdiener eben.“ In den Augen Orpheus flackerte es. Er konnte seine Wut kaum zügeln. „Ich hätte das kleine Biest wie einen Käfer zertreten sollen!“, stieß er hervor. Luca sah über die Schulter zu seinem Hauptmann und schüttelte den Kopf. „Ein Kind ist ein Kind. Du kannst ihn nicht für das verantwortlich machen, was sein Herr verlangt. Ein Junge in diesem Alter ist noch recht naiv...“ „Wart ihr das auch, Luca?“, fragte Orpheu, wobei er sehr großen Wert darauf legte, den wirklichen Namen des Magiers zu verwenden. Luca legte den Kopf schräg, sah einen Herzschlag still in die schattige Ecke des Raumes und schüttelte den Kopf. „Nein, das war ich nicht“, gestand er leise und sehr nachdenklich. „Aber ich war da auch schon seit einigen Jahren ein Magier, kein Lehrling mehr, und hatte alles verloren, was mir Freunde und Familie waren. Davon abgesehen habe ich meinen Körper eingesetzt um zu erhalten was ich wollte. Nein, ich habe mich nicht wie ein Kind verhalten. Aber ich bin auch ein schlechtes Beispiel, Orpheu.“ Der Elf betrachtete Luca eingehend. Viel hatte ihm der Magier nicht von sich preisgegeben, aber er hatte dem Hauptmann einen Einblick in die Abgründe gegeben, aus denen er kam. „Seid bitte vorsichtig, Luca“, mahnte er den Magier noch einmal. „Ich traue dem Bengel da alles zu, nur nichts Gutes. Kind hin oder her, nicht alle müssen solche netten Kerle werden, wie ihr einer seid.“ Bevor Luca auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte sich der Hauptmann umgedreht und den Raum verlassen. Das Gespräch mit Orpheu hatte Luca durchaus nachdenklich gemacht. Der Magier saß auf dem Boden, mit dem Rücken gegen den Rahmen des Bettes gelehnt und grübelte über dem Gedankengang. Tambren, in seiner treuen Art, wachte mit ihm, half ihm alles noch einmal zu durchdenken. Luca hatte – wie so oft – viele unbeantwortete Fragen. Einiges konnte ihm nur der Junge sagen, in dem er eine mögliche Informationsquelle für sich sah, allerdings hatte er auch einige Fragen an Ayco. Er hoffte auf das Wissen des Elfs, denn er musste den Jungen, wahrscheinlich in anderer Gestalt, schon einmal gesehen haben. Über den Gedankengängen allerdings schlief auch er irgendwann ein. Allerdings kam der Schlaf nicht lange zu ihm. Sein Rücken und das Gesäß schmerzten irgendwann von dem harten Boden und der Stütze, und die nächtliche Kälte riss ihn immer wieder in den Wachzustand zurück. Er hatte hier leider weder ein weiteres Hemd, noch einen Mantel oder Decken. Schließlich zog er die Beine höher an den Leib und umschlang sie mit den Armen. Tambrens Versuche ihn zu wärmen scheiterten kläglich. Schließlich löste Luca seinen Zopf und verbarg sich unter dem dichten Haarmantel, der ihm zumindest einen Schutz vor der Kälte bot. Dann versank sein Geist wieder in unruhigen Träumen. Immer wieder schreckte Luca hoch, verfolgt von Bildern bei denen er nicht genau sagen konnte, ob sie Wirklichkeit oder Traum waren. Wieder waren es Fragmente, Erinnerungssplitter wie die, der er aus Leas Geist heraus gelesen hatte. Sie waren so unstet und verwirrend, dass er oft nur wirre Szenen sah, die durchsetzt von seinen Ängsten, noch bizarrer anmuteten. Ein Bild allerdings hielt sich immer und verfolgte ihn in den Dämmerzustand nah an den Rand des Erwachens. Die Szenerie klammerte sich fest in seinen Geist, die Spieler auf dieser seltsamen Bühne und das, was sie darstellten. Hintergrund war ein Flammenmeer, ein Vulkanischer Strudel, der feurige Gasfontainen irrsinniger Hitze ausspie. In dieser dampfenden Hitze, bis zu den Knöcheln eingesungen, stand der Findling, das Felsenkind, nur realer, fast ein humanoides Geschöpf, zusammengekrümmt wie ein Neugeborenes, nackt und hilflos. Ein Geschöpf, einer Gliederpuppe gleich, hing an einem Fuß an einer goldenen, in den flammen schimmernden Kette, fein wie Halsschmuck, aber schneidend wie Draht. Dieses Puppengeschöpf war ein kleines, entstelltes Elfenmädchen, ein Ding aus Fleisch, an dem die Gelenke mit Drähten verbunden waren. Seine – oder viel eher - ihre Augen, waren wie im Todeskampf erstarrt und verdreht, halb unter den Lidern versunken. Blut verklebte das graue Kleidchen und das silbrigweiße Haar. Ein anderes, noch sehr kleines Kind, schwarz und gefiedert, kauerte auf einem winzigen Flecken erstarrter Lava, die sich hinter ihm zu grauem, dunstigen Rauch und später zu einem wabernden Nichts verband und den Eindruck der Unendlichkeit erschuf. In seinen Fingern hielt er, es war ein Junge, einen Teil der Kette und zog das eine oder andere mal unschlüssig daran. Allerdings nicht die Fleischpuppe regte sich, sondern ein anderes Elfenkind mit Silberhaaren und weißen Flügelchen, das wie zufällig an der Szenerie, dem Flammenhimmel, aufgehängt schien, in der Taille umwunden von der feinen Goldkette, in beiden Händen ein Sonnenamulett eines Feuerpriesters. Na den unteren Flammen des Schmuckstückes hielt sich ein anderes Kind fest, auch gefiedert und schwarz, wobei sich die Kette leicht um seine Arme und Beine schlang, locker, nicht erdrückend. Während es an dem Amulett pendelte, spielerisch daran zerrte, zogen sich um die beiden Elfen die Glieder enger. Der Balg regte sich unkontrolliert und fiel auf den Rücken. Ihr Gesichtchen hatte man zerschlagen und dunkle Leere gähnte in ihrem Kopf. Das andere Elfenkind würge hilflos und erschlaffte unter dem Druck der Ketten. Allerdings hatte all das nur eines zur folge. Durch die Bewegung in dem Gewirr aus Gold, Blut und Flammen, verwoben sich die Ketten um den Findling, der scheinbar mehr als Stein war. Adern, Fleisch, Muskeln und Blut bildeten sich aus dem Felsenkind und gaben grob die Struktur eines Menschen preis. In seiner Brust klaffte ein gewaltiges Loch, dort wo sein Herz schlagen sollte. Dennoch lebte er und war bei Bewusstsein, als die Fesseln immer zahlreicher wurden und sein Fleisch mit den Knochen zusammen zermalmten. Das war immer das letzte, was Luca sah, bevor er Schweiß gebadet hoch schreckte. Nach dem vierten oder fünften Mal, wollte er endlich den letzten Rest Müdigkeit von sich streifen und richtig erwachen, doch es gelang ihm nicht. Und dieses Mal war kein kleines Mädchen da, was ihn die Nacht hindurch wach hielt mit ihren Geschichten und Wünschen. Allerdings war das auch nicht das Haus des Schmiedes. Luca hatte das Gefühl in seinen Alpträumen gefangen zu sein. Er begriff nicht mehr, was um ihn geschah und vor allem weshalb es geschah. Irgendwann, Luca konnte nicht sagen wann, weckte ihn Tambren auf seine ganz eigene Art. Die kleinen Drachenzähne bohrten sich tief in Lucas Haut und zerrissen endgültig die grauen Spinnwebennebel, die ihn gefangen hielten. Im Ersten Moment war Luca versucht wilde Flüche auszustoßen, weil der Drachling unbeabsichtigt tief in seinen Arm gebissen hatte, aber andererseits war er Tam, der sofort die Wunde zu lecken begann, sehr dankbar. Behutsam strich er dem Drachling über den Kopf und sah ihn an. Durch die Ritzen der verschlossenen Fensterläden drang etwas Tageslicht herein und der Magier konnte sehen, dass der kleine Drachling weinte. Luca nahm ihn sanft hoch und drückte ihn an sich. Tambren krallte sich ungewohnt heftig in Lucas Hemd und Haut, schlang sogar seinen langen Schwanz um den Nacken des jungen Mannes. ‚Ich hatte plötzlich keine Verbindung mehr zu dir!’, wisperte seine ängstliche Stimme in Lucas Geist. ‚Du warst weg, so als hätte es dich nie gegeben. Ich hatte so furchtbare Angst. Außerdem hat es so wehgetan. Und da war eine gewaltige Leere. Es kam mir so vor, als wenn du von einem Moment zum anderen gestorben wärest.’ Luca drückte ihn fest und kraulte ihn. Was er fühlte, an was er sich erinnerte, verheimlichte er Tam nicht. Der Drachling krallte sich mit Vehemenz an Luca. Seine Gedanken versuchten das, was Luca in seinen Träumen gefühlt und gedacht hatte, zu ordnen, sah sich aber selbst völlig überfordert damit. Resignierend gab er auf. Die einzigen für ihn und Luca klaren Punkte, waren die Symbolik der beiden Elfenkinder, Ayco und Lea und das Amulett. Es war sicher das Amulett ihrer Mutter. Besorgt drehte Luca den Kopf zu seinem Liebsten. Ayco lag ruhig in den Kissen und Decken, den Jungen eng an sich gedrückt und schlief fest. Die Träume dieser Beiden schienen weitaus angenehmer zu sein, denn Ayco lächelte glücklich und der Junge hatte sich mit dem süßesten Kindergesicht halb auf ihm zusammengerollt. Vorsichtig neigte sich Luca über die Beiden und hauchte jedem von ihnen einen Kuss auf die Wange. ‚Ich muss mich waschen, schon weil mein Ärmel voller Blut ist, Tammy. Meinst du, ich kann die beiden alleine lassen?’, fragte er seinen Freund vorsichtig. Tam krallte sich an Luca. ‚So lange du mich nicht alleine lässt...? Ich will bei dir bleiben!’ Der Magier betrachtete Ayco und den Jungen einige Sekunden unschlüssig. Allerdings war er sich nicht sicher, ob von diesem zauberhaften Kind nicht doch Gefahr ausging. Er hatte nicht vergessen, was er vor einigen Stunden in dieser Gasse gefühlt hatte. Das zusammen mit den Träumen und dem, was Tam sagte, ging er vielleicht ein wesentlich zu hohes Risiko ein. Das Gefühl als stünde der Tod selbst in seinem Rücken, und das, so musste Luca zugeben, hätte ihn weniger gestört, da er Aki wesentlich mehr Vertrauen entgegen brachte, manifestierte sich in Form eines eisigen Schauers. Lea stand hinter ihm. Sie sah ernst aus und betrachtete wechselweise Ayco mit dem Jungen und Luca. „Ich habe so viele Fragen, Lea, aber du würdest mir sicher keine einzige beantworten wollen und können, oder?“, flüsterte der Magier. Das Mädchen sah aus wachen Augen zu ihm, lächelte und hob die Schultern. Dann deutete sie auf Ayco. ‚Du und ich sind damals gestorben, nicht er. Du bist mir viel näher im Tot und dem Leben hinter den Barrieren“, entgegnete sie offen. ‚Du hast Seite an Seite mit unserer Mutter gekämpft und mit ansehen müssen, was sie ihr und mir antaten. Danach haben sie dich bei lebendigem Leib zerrissen, dein Herz heraus geschnitten und dich den Tieren zum Fraß vorgeworfen.’ Die Beiläufigkeit ihres Tonfalles ließ Luca mehr schauern als der Inhalt ihrer Worte. Sie erzählte es ohne die geringste Gemütsregung. ‚Du warst dabei; und mehr noch, du warst sein Grund. Es ging ihm nur um deine Vernichtung!’ Lucas Lippen formten still das Wort Wer, aber Lea hatte sich auf die Kante neben Ayco gesetzt und strich ihm mit ihren dünnen kleinen Kinderfingern über die Wange. Der Elf zuckte zusammen und erbleichte. ‚Er lebt. Das ist gut so. Aber ich musste sterben. Manchmal beneide ich ihn darum. Und ich beneide ihn um die Liebe, die er fühlt und die er bekommt.’ Tambren befreite sich rigoros aus Lucas Armen, sprang ungeschickt auf die Schulter des Magiers und machte einen uneleganten Satz hinüber zu den beiden schlafenden Jungen. Mit gefletschten Zähnen und ausgefahrenen Krallen, das Schuppenkleid aufgeplustert, baute sich der Drachling zwischen Lea und Aycolén auf. „Leandra, wage es nicht sein Leben zu rauben!“, zischte Tambren mit veränderter Stimme. Das war nicht mehr der oft so verfressene und niedliche Drache, den Luca so liebte. Tambren tat genau das, was auch er als seine Aufgabe ansah. Er beschützte, was er liebte. Die Stärke, die Tambren dabei bewies, machte Luca stolz und glücklich. Auch wenn er vielleicht nicht übermäßig beeindruckend aussah, gerade Katzengroß, zu dick und kurzbeinig, so versprühte er dennoch eine Aura, die jedem Eisdrachen Konkurrenz gemacht hätte. Lea schien das zu bemerken, denn sie wich, sichtlich bedrängt durch den Drachling. Dann sprang sie vom Bett und huschte durch die Wand. Innerlich rollte Luca mit den Augen. Sie hatte sich das Zimmer ausgesucht, wo ein Geist die wahrhaftig schlechtesten Chancen hatte. Justin bewohnte es und er zauderte nicht lange, zumindest so lange er wach war, was Luca im Moment ernsthaft bezweifelte. Durch das Gewicht des Drachlings auf seiner Brust erwachte der Elf recht schnell. „Tam, runter von mir!“, scheuchte er den kleinen Drachen. Eilig nahm Luca seinen Vertrauten auf den Arm und drückte ihn liebevoll an sich. ‚Gut gemacht, mein Schatz’, lobte er ihn wortlos. ‚Was, Ayco zu wecken?’, gab Tam spitz zurück. Still hob der Magier eine Braue. In seinen Armen beruhigte sich der Drachling sehr schnell wieder vollkommen und rollte sich zusammen. Augenscheinlich schlief er, aber unter seinen gesenkten Lidern beobachtete er den Jungen und Ayco. Gähnend setzte sich der Elf auf und betrachtete den jungen Seraphin auf seiner Brust. „So warst du auch mal, Luca.“ Der Magier senkte den Blick und nickte. „Jeder war mal jung, selbst die, bei denen es uns schwer fällt es zu glauben.“ „Spielst du auf dieses fanatische Ungeheuer an, auf Thorn?!“, fragte Ayco, dessen Stimme einen schneidenden Klang annahm. Luca trat zu den Fenstern, öffnete sie und schob die Läden zurück. Eilig brachte sich der Drachling auf Lucas Schulter in Sicherheit. ‚Fiesling’, schalt er den Magier. ‚Dabei war es gerade so schön bequem in deinen Armen.’ Luca ignorierte ihn in diesem Punkt. „Ja, ich meine Thorn“, bestätigte Luca. Helles Sonnenlicht durchflutete den kleinen Raum. Seine eigenen Augen protestierten schmerzhaft gegen die Behandlung. Aber der nahe Wald, der Duft nach frischem Brot, die Stimmen der Leute auf dem Marktplatz und die Geräusche der Tiere, der Packesel, der Hund, Vögel und Katzen, entschädigten ihn. Die letzten schwarzen Traumfäden zerrissen, und trotz des blutenden Armes, fühlte sich Luca nun endlich wohl und erleichtert. Der Alptraum lag hinter ihm. Eine leise, dünne und böse Stimme wisperte in seinem Hinterkopf: ‚Für den Moment ist der Alptraum verschwunden, aber warte nur bis zur Nacht.’ Luca drehte sich zu Ayco um und setzte sich auf das Fensterbrett. Der Elf kämpfte seinerseits noch immer mit der Helligkeit. Seine Iris hatte sich erweitert. Mit einer Hand schützte er sich gegen das Licht. Der Junge, der über ihm lag, gähnte herzhaft und streckte sich. Dank Justins heilender Hände und gesunder Kräuter, ging es dem Kleinen wieder gut. Er räkelte sich auf Ayco, rollte sich ganz auf den Schoss des Elfs und rieb sich an ihm. So lasziv, wie sich der Knabe bewegte, musste Luca mehrfach gallebittere Eifersucht hinunter schlucken. Aber er hatte nicht vor wie eine Glucke über den Elf zu wachen. Ayco konnte tun und lassen, was ihm gefiel. Er musste auch einiges einstecken können, wenn Justin Luca zu nahe trat, und der Magier bezweifelte, dass der Elfenvampir je damit aufhören würde, zumal Justin in Luca immer noch das Zentrum seiner Lust sah. Offenbar rückte der Junge allerdings Ayco auch zu nah und der Elf schob ihn unsanft von seinem Schoß in die Laken, um sich zu erheben. Unwillig knurrte der Kleine, hob die Lider und betrachtete Ayco sehr genau. Luca und der Elf folgten beide dem Blick. Ayco errötete, wendete sich rasch ab und verließ eilig den Raum, um den Abort zu suchen. Der Junge lächelte verlegen. Dann sah er zu Luca und wurde ernst. Er schob die Decken von sich und schwang seine Beine vom Bett. So wenig wie Luca störte es ihn scheinbar sich nackt zu zeigen. Der Magier verschränkte nur still die Arme vor der Brust. Die Reaktion schien dem Jungen zu verdeutlichen, das Luca nicht auf seine Spiele einging und keine Annäherungen duldete. Der Junge legte den Kopf in den Nacken, ließ ihn Kreisen, als sei seine Muskulatur stark verspannt, verharrte dann allerdings in einer sehr unbequemen, lauernden Pose. „Du hast mich doch gestern gebannt, oder?“, fragte er leise. Luca nickte still. „Und du hast mich gerettet, vor dem Pöbel.“ Seine Worte waren eine schlichte Feststellung, keine Frage. „Warum hast du nicht zugelassen, dass sie mich umbringen?“ Luca entging der lauernde Unterton in der Stimme des Jungen nicht. Er hob eine Braue. „Einer Leiche kann ich schwerlich Fragen stellen“, entgegnete er nach einigen Herzschlägen. „Und Fragen habe ich an dich.“ Der Junge zuckte mit keiner Wimper. Vielmehr schlug er interessiert die Beine übereinander, wobei er Luca einen tiefen Einblick zwischen seine Beine gewährte. Der Magier registriere es und ignorierte es zugleich. „Das zieht bei mir nicht, Junge. Diese Tricks habe ich schon einige Jahre früher und wesentlich besser beherrscht.“ Enttäuscht zuckte der Kleine mit den Schultern. „Schade. Es wäre sehr schön gewesen, wenn du darauf eingestiegen wärest. Vielleicht hättest Du meine Dienste gemocht und mich weiter ausbilden können.“ Über seine Lippen huschte ein verführerisches Lächeln. Tam seufzte hilflos und legte seinen Kopf auf Lucas Schulter. ‚Die Dienste dieses Jungen sollte jeder ablehnen, Luca. Er ist noch ein Kind!’ ‚Beruhige dich, Tam’, gab Luca zurück. ‚In einem hatte Orpheu allerdings Recht. Er ist so wenig ein kleiner Junge wie ich es war. Diener, sagtest du? Ich weiß, welche Dienste er für diesen Gregorius verrichtet hat.’ Nachdenklich setzte er hinzu: ‚Eigentlich ist er ein bemitleidenswertes Geschöpf. Seltsam. Wir sind Brüder im Geiste, oder?’ „Wie ist dein Name, Junge?“, fragte Luca. Seine Stimme klang ruhig und gefasst. „Gerome“, antwortete der Kleine. Über Lucas Lippen huschte ein warmes Lächeln. „Dir wird es sicher auch lieber sein, wenn man dich bei deinem Namen nennt, oder?“ „Bei meinem Herrn habe ich keinen Namen. Da bin ich nur der Schöne, oder sein Engel“, entgegnete Gerome leise. In seiner Stimme schwang leise Trauer mit. „Er weiß sicher nicht, wie ich heiße. Das ist aber auch für einen Leibdiener nicht wichtig, oder?“ Er betrachtete Luca aus großen, fragenden Augen. Der Magier legte den Kopf in den Nacken und überlegte. Mesallas Leibdiener hatten Namen und der Stadtprinz kannte sie alle sehr genau. „Dein Herr ist ein Monster, wenn er dir die Kraft deines eigenen Namens nimmt, Gerome. Mit deinem Namen, mein Kind, verbinden sich deine Seelenkräfte“, erklärte Luca leise und betrachtete ihn. Der Kleine senkte nachdenklich den Blick und nagte an seiner Unterlippe. Die Lider senkten sich halb über die großen Kinderaugen. Der Kleine hatte Lucas Schwachpunkt getroffen. Dieses hilflose, unschuldige, was er eben ausstrahlte, brach dem Magier fast das Herz. ‚Vorsicht, Luca!’, warnte Tam. Der Magier allerdings hatte sich bereits von seinem Sitzplatz gelöst und trat an das Bett heran. Die zierliche Gestalt mit den vier schwarzen Schwingen, saß dort, ganz in sich gekehrt und versunken in seine eigene Gedankenwelt. Ruhig kniete Luca sich vor dem Jungen nieder. Behutsam ergriff er die Hände des Knaben und drückte sie sanft. „Lass dich nicht von einem anderen benutzen, Gerome. Mach nicht die Fehler, die auch ich schon gemacht habe. Dieses Leid will ich dir ersparen können, kleiner Bruder.“ Die riesigen Augen des Jungen richteten sich auf Luca. Sie hatten die Farbe des Himmels, klar und blau, hell leuchtend. Luca sah in Gerome wirklich einen kleinen Bruder. Sie beide waren Seraphin, sie stammten aus Adelshäusern, sie dienten hohen, mächtigen und bösen Männern und boten ihre Körper an, um wenigstens halbwegs sorgenfrei durch das Leben zu kommen. Der Kleine umklammerte Lucas Hände nun fester. „Versprichst du mir, ehrlich zu sein, und dich mit deiner devoten Art nicht anzubieten, zurückzuhalten, Gerome?“, fragte Luca leise. „Deinen Körper wirst du nur der Person schenken, die du liebst?“ In beiden Fällen nickte der Junge. Luca lächelte. Hinter ihnen öffnete sich die Tür und Ayco trat ein. Eine Sekunde lang verharrte er reglos, versuchte das Bild einzuordnen, trat dann aber zu Luca hinüber. Tadelnd hob er den Finger. „Wenn du mir noch einmal so ungeniert zwischen die Beine schaust, besonders wenn ich gerade erst wach geworden bin, Kleiner, lege ich dich übers Knie und prügele dich durch, klar?!“, drohte er. Allerdings grinste er dabei unverhohlen breit. Luca atmete erleichtert auf. Allerdings entdeckte der Elf auch gerade die blutigen Bisswunden Tams in Lucas Arm. „Wie ist das denn passiert?!“ fragte Ayco leise nach und befühlte sanft den Arm des Magiers. Luca spürte die Wärme des Elfenkörpers, nahm den Duft Aycos wahr. Für einen Augenblick wollte er sich nur anlehnen und einfach alles andere, sogar Gerome, aus seinem Geist verbannen. Allerdings war ihm dieser friedvolle Moment nicht beschieden. „Tut das weh?“, fragte er ernst, ganz der erwachsene Elf. Luca schüttelte den Kopf. „Nein“, lächelte er. „Es war eine typisch Tam-Liebesbezeugung...“ „Gar nicht wahr!“, zischte der Drachling verärgert. „So was zäh Gammeliges würde ich nie anfressen!“ „Was ist passiert!“, bohrte Ayco mit wesentlich mehr Nachdruck. Gespielt gelassen sah Luca den Elf an, behielt aber Gerome in seinem Sichtfeld, sodass er den Jungen noch aus dem Augenwinkel beobachten konnte. „Ich bin schlicht aus meinem Alptraum nicht mehr erwacht, Liebster“, sagte er ehrlich. „Und wäre Tambren nicht gewesen, hätte sich meine Seele in den Träumen verloren.“ Erschrocken fuhr Ayco zusammen und sah Luca voll Sorge an. Was Luca bei Gerome wahrnehmen konnte, war milde Besorgnis, aber auch leiser Ärger in den schönen, hellen Augen. „In der kommenden Nacht wache ich über dich“, beschloss Ayco leise, aber mit extremem Nachdruck, der seitens Lucas keine Einwände gelten ließ. Der Magier ignorierte es vorerst. Er besah sich nachdenklich seinen Arm. Die Wunde blutete nur noch leicht. Bald würde es aufhören und nichts davon übrig sein, außer einigen kleinen Löchern in der Haut, die an den Traum erinnern konnten. „Ich fühle mich schmutzig...“ Ayco lächelte. „Das waschen wir aus und dann holen wir uns frische Kleider bei Thorn. Wir können ja schwimmen gehen und...“ Er unterbrach sich, lachte dann aber, als habe er einen Entschluss gefasst. „Ich kann euch beiden ja mal das alte Herrenhaus zeigen. Vielleicht ist es ja noch bewohnt. I’Eneels Haus. Da habe ich die erste Magie gelernt!“ Lucas Magen krampfte sich aus irgendeinem Grund schmerzhaft zusammen. Als er allerdings das Nicken Geromes und die leuchtenden Kinderaugen sah, behielt er all seine Einwände, die er sich bereits zurecht gelegt hatte, zurück. Scheinbar liebten Kinder allen Alters unheimliche, verwunschene, düstere Gemäuer. Etwas in ihm warnte ihn zwar erneut vor Gefahren, allerdings verschloss er den Gedanken genau so fest, wie das Gefühl, dass der Knabe wesentlich bedrohlicher war, als er erschien. ‚Du bist dumm’, schalt ihn Tam aus. Die Sorge des Drachlings erdrückte Luca im Moment fast, weil er sie wie seine eigenen Gefühle wahrnahm. ‚Und du bist wie eine Glucke, kleiner Freund. Wenn er für Ayco und mich gefährlich ist, reize ich ihn vielleicht zu unüberlegten Handlungen und er lässt seine Maske fallen.’ Tam antwortete nicht, zog sich aber auch nicht in weitere düstere Zukunftsgrübeleien zurück. Der Magier beobachtete wie Ayco den Jungen nachdenklich betrachtete. „In den Höhlen habe ich dich gesehen, aber da hattest du menschliche Gestalt. Der Körper jetzt ist etwas...“, er zögerte. „... provokant?“, beendete er seine Überlegung. Über Lucas Lippen huschte ein kurzes Lächeln. „Provokant ist eine leise Untertreibung. Das wäre wie mit einem blutigen Fleischstück vor hungrigen Wölfen zu wedeln“, erklärte er. „Davon abgesehen sind vier Flügel unmöglich unter einem Hemd unterzubringen.“ Ayco nickte nachdenklich. „Wie unsere Vorfahren wohl die kalten Jahreszeiten durchgestanden haben?“, fragte er nachdenklich. „Für die heiße Zeit wären fließende Tuchgewänder und Kleidung mit Bändern und Schnallen denkbar. Aber im Winter?“ Zweifelnd umrundete er den Jungen und schüttelte den Kopf. „Ich friere so schon jeden morgen und Abend.“ Luca musste leise lachen. Auch Gerome schien sich unheimlich zu amüsieren. Der Junge kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Was denn?!“, zischte Ayco gekränkt. „Ich bin nun mal fast nie in meiner Geburtsgestalt sondern fast immer ein Elf!“, erklärte er. Außerdem hat mir meine Mutter nichts dazu verraten und mein Vater war nie da, wenn ich darüber nachgedacht habe!“ „Vielleicht wart ihr mal von Kopf bis Fuß behaart?“, mutmaßte Tambren scherzhaft, wobei er genau wusste, dass ein Seraph gar keine Körperbehaarung hatte bis auf den Kopf. „Wozu, denkst du“, erklärte Luca, „haben wir solch dichte und fast porenlose Haut, die dicker ist und unseren Körpern einen natürlichen Schutz gegen Waffen gibt? Das lange Haar und die doppeltmannsgroßen Flügel sind keine Zierde. Sie dienen dazu uns zu wärmen.“ Gerome nickte altklug. Luca sah zu ihm. Momentan fühlte er sich wie ein Schulmeister. Aycos Ärger hatte er so auf alle Fälle auf sich gelenkt. In den Augen des Elfs funkelte es wütend. „Also läuft ein Seraph normal nackt herum?“, fragte er lauernd, offenbar in der Hoffnung Luca endlich verbal auszuhebeln. Allerdings hatte der Magier einige seines Volkes kennen gelernt und vieles über die Geschichte der Seraphin gelernt, wie sie zusammenlebten, was sie unterschied, dass es gefiederte aus den Waldtälern und solche mit Lederschwingen gab, die in den Bergen lebten, in ihren Felsenschlössern. „Wir tragen in unserer natürlichen Gestalt anliegende Kleidung, die unsere Freiheit während des Fluges nicht behindert, aber wärmt“, entgegnete er ruhig. „Hosenanzüge aus weichem, flexiblen Leder, gehalten mit Schnallen und Bändern. Das Haar wird zusammengebunden oder abgeschnitten. Binnen einer Woche ist es ohnehin wieder so lang wie zuvor.“ Sein Blick strich über Gerome, der sich gerade streckte und dabei die Gestalt veränderte, kleiner, zierlicher und noch unschuldiger wurde. Sein langes, weiches Seidenhaar fiel ihm in die blasses Stirn und die hellen Augen. Locken ringelten sich über seine schmalen Schultern und seine schlanken Arme. Dieses Kind war ausnehmend schön und in seinem menschlichen Körper noch weitaus zauberhafter als in der Gestalt des Seraphin. Luca langte nach seinem Hemd, mit dem er in der Nacht den verbrannten Körper des Jungen gekühlt hatte, reichte es ihm kommentarlos und reichte ihm das Lederband, mit dem er seinen Zopf zusammengebunden hatte. Der Kleine betrachtete das Leinen mit gerümpfter Nase und musterte Luca. „Bist du nicht ein Magier?“, fragte er. Luca hob eine Braue und erwiderte den Blick des Knaben. Als Gerome endlich verstand, dass Luca nicht vorhatte auf seine Spitze einzugehen, setzte er hinzu: „Du trägst solch einen schönen, teuren Armschmuck, hast überall auf deiner Haut eingeschnittene und eingestochene Zeichnungen und Symbole, aber dir fehlt das Geld für besseren Stoff als grobes Leinen?“ Luca verkniff sich den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag. „Du sagst es“, antwortete er. „Ich bin Magier. Mein Sold wird in Material und Zauberrollen, Waffen und Pferde investiert.“ Still setzte er hinzu: ‚Wäre ich ein reiches Jüngelchen, würde ich mir vermutlich davon edle Tuche leisten können, einen Leibschneider und Schmuck. Aber was nützt dieser Tand im Kampf? Der Schmuck behindert sinnlos, die Tuche würden die erste Nacht auf Felsboden nicht überstehen.’ In Lucas Geist bildete sich ein zustimmendes Nicken Tams. ‚Der Kleine ist zu verwöhnt für einen Leibdiener, der keinen Namen hat’, überlegte Luca still, sagte allerdings laut: „Zieh dich an, Gerome. Wir wollen gehen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)