Knastbrüder von Ray-chan (Harte Jungs) ================================================================================ Tag 1 ----- Es war ein heißer Sommertag, als der Transporter mit dem neuen Häftling am Gefängnis ankam. Er trug Handschellen und die Kette seiner Fußfesseln schleifte über den asphaltierten Boden. Zwei Wärter begleiteten ihn und hielten ihn fest, während sie zum Eingang des Gebäudes gingen. Schleifend glitt das schwere Eisengitter aus der Halterung. Der Schwarzhaarige drehte den Kopf, um einen letzten Blick auf die Sonnenstrahlen außerhalb des Gebäudes zu werfen. In Zukunft würden Maschen- und Stacheldrahtzäune, weitere Eisengitter, nackter Beton und Backsteingebäude diese Aussicht schmücken. "Weiter!", sagte einer der Wärter und der Chinese richtete seinen Blick wieder geradeaus, lief den letzten Schritt in Freiheit hinüber auf die andere Seite. Die Seite, die in Zukunft seine neue Heimat werden würde. Die uniformierten Personen rechts und links neben Ray verstärkten ihren Griff um die Oberarme des Schwarzhaarigen. Anscheinend vermuteten sie, dass er in letzter Minute umdrehen und weg rennen würde - was allerdings durch die Fußfessel ziemlich erfolglos wäre. Dennoch war der Drang zu wenden und zu rennen in Ray groß, denn er gehörte hier nicht her. Er wurde verurteilt, lebenslänglich. Für ein Verbrechen, welches er nicht begangen hatte. Ein Verbrechen, welches ihm angehängt wurde und dessen Beweislast so genial geplant worden war, dass eine Freisprechung ins Unmögliche rückte. Selbst sein Verteidiger zweifelte an seinen Worten. Und wie soll man das Gericht überzeugen, wenn nicht mal die Person, die einem helfen soll, von den Aussagen des Angeklagten überzeugt ist? Das laute Krachen des Eisengitters, welches zurück in die Halterung gezogen wurde, holte Ray aus seinen Gedanken zurück. Hier war er nun. Ohne Aussicht darauf, jemals in sein altes Leben zurückzukehren. Der Schwarzhaarige seufzte resignierend und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die drei passierten nach ein paar Metern die gläserne Tür des Gebäudes und betraten einen kleinen Raum am Eingang. "Jetzt werden schicke Bilder gemacht", grinste einer der Wärter und wies Ray an, sich vor die Wand zu stellen. Ray folgte der Anweisung und bekam ein Schild mit seiner Sträflingsnummer in die Hand gedrückt. Weggetreten nahm er das Schild entgegen und hielt es hoch. Ein helles Blitzlicht signalisierte dem Schwarzhaarigen, dass der erste Schritt seiner Aufnahme getan war. Nachdem die Fotos gemacht wurden verließen sie wieder den Raum und setzten ihren Weg fort. Bald darauf erreichten Ray und seine "Bodyguards" einen Schalter. Der Mann dahinter warf ihm einen müden Blick zu, stand von seinem unbequemen Stuhl auf und trat näher an das wahrscheinlich schusssichere Glas mit Gegensprechanlage. "Ich hätte gern alles, was du noch bei dir trägst, Kumpel", sagte er und kaute gelangweilt auf seinem Kaugummi herum. "Das ist nicht viel", antwortete der Chinese. Er lächelte traurig und legte seine Geldbörse, seinen Ausweis und ein paar einsame Münzen in die Schublade. Der Aufseher, auf der anderen Seite der Glaswand, zog den Schieber zu sich, packte die Habseligkeiten in eine Box und beschriftete diese. Danach schob er einen Bogen, auf welchem seine ganzen Daten notiert waren und ein Stempelkissen zu Ray. "Deine Fingerabdrücke müssen da drauf", sagte der Wärter und hielt eine Kopie in die Luft, wo er auf das untere Drittel deutete. "Größe?", fragte er beiläufig, stand auf und nahm ein Kleiderbündel aus dem Schrank heraus, ohne auf die Antwort zu warten. "Wird schon passen! Ansonsten kommst du noch mal wieder." Er zwinkerte Ray zu und schob das Bündel dem Schwarzhaarigen auf die andere Seite zu. "Ich hab’ gleich Pause..." Die anderen beiden Wärter fingen an zu gackern und auch der Mann hinter der Glasscheibe fing an dreckig zu lachen. Ray starrte den Wärter angewidert und verwirrt an und entnahm dem Schieber das Bündel. Seine Augen waren darauf gerichtet. Das würde also sein neuer Name sein ‘A-690‘. Ein Räuspern riss den Chinesen aus seinen Gedanken und er blickte zu dem Wärter hinter der Glasscheibe, der ungeduldig auf die Rückgabe des Steckbriefes wartete. Die zwei anderen Wärter machten derweil noch ein paar eindeutige Gesten, die Ray versuchte zu ignorieren. Er legte den Bogen mit den Fingerabdrücken zurück in das Schubfach. "Schluss mit dem Unfug!" Eine fremde Stimme ertönte auf einmal neben dem Chinesen, welcher sich erschrocken umdrehte. Die Wärter verstummten sofort und räusperten sich verlegen. Vor Ray stand ein gutaussehender Mann, welcher einen Kopf kleiner war als er. Seine Miene wirkte genervt aber überzeugend. Er hatte eine Frisur, wie sie Ray sonst nur von Bildern kannte. Das Unterhaar war abrasiert, das Oberhaar lang gelassen so dass es aussah, als hätte er einen Deckel auf dem Kopf. Der Chinese musste sich ein Schmunzeln verkneifen und machte sich den Ernst der Lage klar. Die grauen Augen sahen die Wärter kalt an und dem Chinesen lief ein Schauer über den Rücken. Sein Gegenüber schien ein ziemlich ranghohes Tier zu sein. Jedenfalls vermutete Ray das anhand der drei Sterne am Halskragen sowie des vollen Schlüsselbundes an der rechten Hüfte des Kleineren. "Gentleman? Ab jetzt übernehme ich!" Der Fremde hatte eine monotone und gelangweilte Stimmlage, wirkte aber dennoch bestimmend. "Würdest Du mir bitte folgen?" Ohne Ray eines Blickes zu würdigen drehte sich der Fremde um und wies dem Gefangenen mit einer Handgeste, ihm zu folgen. Die beiden anfänglichen Begleiter blieben zurück. Sie waren bereits ein paar Schritte gelaufen, bis der Mann die Stille durchbrach. "Mein Name ist Levi. Ich bin Chefaufseher dieses Gefängnisses und habe leider das Vergnügen, jeden unserer Neuankömmlinge persönlich begrüßen zu müssen", ratterte er unmotiviert herunter. Wahrscheinlich zum hundertsten Mal. "Würdest Du vielleicht einen Schritt zulegen? Ich hab auch noch anderes zu tun!", sagte Levi genervt. Ray nickte stumm und versuchte, etwas schneller zu laufen, hielt sein Kleiderbündel fest im Arm. Der Weg durch den langen Korridor schien kein Ende zu nehmen. Immer wieder bogen die beiden in neue Gänge ab. Das ganze ähnelte einem ewigen Labyrinth. Jeder Schritt hallte unnatürlich laut in Rays Ohren wieder und das Klappern des dicken Schlüsselbundes am Gürtel des ebenfalls Schwarzhaarigen machten den Chinesen fast verrückt. Er schwitzte, aber ihm war eiskalt. Sie liefen immer noch, aber wenigstens zierten jetzt gleichaussehende, metallene Türen die Wände rechts und links neben ihnen. Ray nahm nicht wirklich davon Kenntnis, sondern stierte verzweifelt geradeaus in den mit Kunstlicht erhellten Gang. Dann stoppte Levi plötzlich und riss den Chinesen aus seiner mentalen Abwesenheit. Die Lampe über ihnen flackerte, surrte in einem nervigen Ton und verlieh der Szene eine düstere Atmosphäre. Ohne in das komplizierte Schlüsselgewirr zu blicken, fischte der Aufseher auf Anhieb den richtigen Schlüssel hervor und befreite sein Gegenüber von den Fuß- und Handfesseln. Dann schloss er die Tür auf, welche die Aufschrift ‘A-690‘ hatte und trat zur Seite. Ray starrte gedankenverloren in den Raum vor sich, ehe sein Blick Levi traf. "Was bedeutet das ‘A‘ vor der Ziffer?", fragte der Chinese, als er endlich den Mut wiederfand. "‘A‘ ist der Trakt, in den Mörder und andere abscheuliche Arschlöcher wie Dich gehören!", gab der Kleinere zähneknirschend zurück. Ray schluckte und wollte noch zum Sprechen ansetzen, überlegte es sich aber anders. Widerwillig betrat er sein neues ‚Reich‘, welches von demselben kalten Licht wie auf den Gängen erhellt wurde. Sogleich wurde hinter ihm die schwere Metalltür zugeknallt und die Klappe, die die Kommunikation mit Personen im Gang ermöglichte, wurde geöffnet. Ray erblickte seinen charismatischen Begleiter, welcher ihm einen kalten Blick zuwarf. Er runzelte die Stirn. Durch das kleine Gitter, welches vorher von der Klappe bedeckt war, konnte er direkt in die erbarmungslosen Augen Levis sehen. Er wunderte sich, da der Andere einen Kopf kleiner war als er und Ray selber gerade so durch das Gitter sehen konnte. "Bekomme ich noch eine Einweisu-", begann der Chinese, wurde aber sofort unterbrochen. "Klappe halten, umziehen, brav sein!", schmetterte ihm Angesprochener ohne Pardon entgegen. Dann machte dieser auf dem Absatz kehrt und ging. Ray schritt zur Tür und blickte durch das kleine Fenster in den Gang. Und tatsächlich, bei der Tür schräg gegenüber beobachtete er, wie Mr.Obercool sich auf die Zehenspitzen stellte und durch das Gitter in die andere Zelle spähte. Da war er nun also. Mutterseelenallein in einem Gefängnis. Eingesperrt als einer der schlimmsten Verbrechern des Landes - und das alles, obwohl er absolut nichts verbrochen hatte. Er hatte sich zwar die ganze Zeit über nichts anmerken lassen, zerbrach aber in diesem Moment seine Fassade und einsame Tränen kullerten seine Wangen herunter. Der Schwarzhaarige legte sein Kleiderbündel auf einen Stuhl und ließ sich aufs Bett fallen. Er kauerte sich zusammen und befreite leise schluchzend seine Füße von den Schuhen. Dabei bewegte er sich nicht groß. Eine ganze Weile lag er so da, er musste wohl eingeschlafen sein. Ray drehte sich um und betrachtete das Kleiderbündel, welches er auf den Stuhl gelegt hatte. Mit Entsetzen bemerkte er erst jetzt, welche abartigen Farben seine Kleidung hatte. Zögernd setzte er sich auf und entpackte das Bündel, um es auf dem Bett auszubreiten. Das T-Shirt, mit seiner Zellennummer drauf, war in einem leuchtenden Giftgrün gehalten, was aber das kleinere Übel war. Die Hose, die in einem ähnlichen Grünton hatte, besaß zudem grelle pinke Streifen. Weitere Tränen stiegen ihm beim Anblick in die Augen und er schlug die Hände vor das Gesicht. Der Chinese versuchte sich zusammenzureißen, würde es doch alles nichts bringen. Da musste er nun wohl oder übel durch. Auch, wenn er zu Unrecht hier war, musste er sich an die hier geltenden Regeln halten, um nicht noch mehr Ärger zu bekommen. Und so, wie Levi auf ihn wirkte, war er nicht für Späße zu haben. Widerwillig begann er sich auszuziehen und hoffte, dass die fremde Kleidung ihm passen würde. Den Kerl am Schalter wollte er so schnell nicht wieder sehen. Außer dann, wenn ein Wunder geschehen und er freigelassen würde. Nach und nach zog er die Gefängniskleidung an und musste leider feststellen, dass sie ihm etwas zu groß war. Er rollte mit den Augen, hatte es sich schon fast gedacht. Dennoch wollte er die Sachen wegen dem Wärter nicht umtauschen gehen. Nachdem er sich umgezogen hatte, sah er sich etwas genauer in der Zelle um. Sie war nicht sehr groß, aber viel Platz würde er eh nicht benötigen. Es befand sich dort neben dem Bett ein kleiner Tisch und ein Stuhl, ein Schrank und außerdem ein Bücherregal. Desweiteren eine eigene Toilette und ein Waschbecken. Durch das kleine, vergitterte Fenster kamen die letzten warmen Sonnenstrahlen und ließen den Raum durch das rötliche Licht freundlicher wirken. Für einen kurzen Moment verlor sich Ray in dem Licht, bevor er wieder von der Realität eingeholt wurde und sich resignierend auf dem Stuhl fallen ließ. Er stützte seinen Kopf in seine Hände und musste weitere Tränen unterdrücken. In diesem Moment empfand er Wut und Trauer in einem. Gerade, als er eine Hand zur Faust ballte, meldete sich jemand vor der Tür. "Mr. Ray Kon?", tönte es gerade noch hörbar in den Raum. Der Angesprochene erschrak und wandte seinen Kopf zur Tür. Durch das kleine Fenster spähten zwei grüne, neugierige Augen und fixierten Ray. Der Schwarzhaarige runzelte die Stirn. "Ja?", gab er zögerlich von sich und ging zur Tür. "Ich habe hier etwas für Sie." Der braunhaarige Wärter hielt eine durchsichtige Plastiktüte in die Luft, in der ein kleines Buch war. "Wir mussten Ihre Sendung leider öffnen, weil wir den Inhalt überprüfen mussten", gab der Wärter von sich und sah betreten zur Seite. Ihn ließ der Anblick von Ray rot werden und er konnte ihm nicht in die Augen schauen. "Danke, aber das ist nicht so schlimm", murmelte der Chinese und betrachtete die Tüte. "Wo ist der Stift?" Erstaunt hob der Braunhaarige den Kopf. "Sie wissen, dass ein Stift in der Sendung war?" "Ja, denn ich habe mir das Päckchen hierher geschickt", antwortete der Gefangene und lächelte den Kleineren an. Der Wärter runzelte die Stirn. "Äh… ach so." Ihm fehlten die Worte. "Sowas hat noch keiner gemacht…" "Wo ist der Stift?", fragte Ray ein weiteres Mal und ging nicht weiter auf das Gestammel ein. Der Chinese blickte dem Wärter direkt in die Augen und sah ihn fordernd an. Der Andere wirkte sehr nervös und wich seinem Blick aus. "Weil… äh… du weißt schon...mit dem Stift könntest du…", er brach ab und blickte ertappt in den Gang. Er erstarrte. "Was?" Der Schwarzhaarige blinzelte verwirrt. "Was kann ich mit dem Stift?" "EREN!", donnerte es durch den Gang. Angesprochener zuckte zusammen und sah hilfesuchend zu Ray. "Du kannst anscheinend noch nicht mal einfachste Anweisungen ausführen!" Levi schien näher zu kommen, denn seine Schritte waren deutlich zu hören. Eren senkte den Blick und wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, doch Levi unterbrach ihn sofort. "Habe ich dir nicht gesagt, dass du nur diese Kladde mit dem emotionalen Dünnschiss zu dieser Person bringen sollst?", begann er abfällig und monoton. "Und nun veranstaltet ihr hier einen Kaffeeklatsch! Soll ich euch vielleicht noch Kuchen vorbeibringen?" Der Chefaufseher blieb vor Eren stehen, verschränkte die Arme und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Weder Eren noch Ray trauten sich etwas zu sagen, beide sahen betroffen zu Boden. Levi seufze genervt und entriss Eren die Tüte, feuerte diese durch das Gitter direkt vor die Füße des Chinesen. Er warf Ray einen warnenden Blick zu, drehte sich um und entfernte sich von der Zelle. "Kommst du?", forderte er Eren genervt auf und ging weiter, ohne sich umzudrehen. Erens Blickt huschte wieder zu Ray. "Was ist nun mit meinem Stift?" "Ich kann Ihnen den Stift nicht überlassen, weil Sie sich selber oder andere damit verletzen könnten. Essen bringe ich Ihnen übrigens gleich vorbei." Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. "Aber ich möchte doch einfach nur Tagebuch schreiben, um mir diesen beschissenen Aufenthalt angenehmer zu gestalten!" Ray klang leicht verärgert und verzweifelt. Ohne ein weiteres Wort schloss Eren die Luke der Tür und verschwand. Eine halbe Stunde später - Ray lag gerade auf dem Bett und starrte in die Luft - wurde die Luke wieder geöffnet. "Hier kommt Ihr Fünf-Gänge-Menü", witzelte die Person vor der Tür und schob ein in Folie gewickeltes Sandwich und eine Flasche Wasser durch das Gitter. Der Chinese stand auf und nahm sein Essen mit einem kritischen Blick entgegen. "DAS hat jetzt so lange gedauert?", sagte Ray und deutete auf das trockene Etwas in der Folie. "Seien Sie froh, dass Sie das Essen auf die Zelle gebracht bekommen und nicht in den Speisesaal müssen - am ersten Tag." "Oh welch Luxus", sagte der Schwarzhaarige mit einem ironischen Unterton und grinste Eren an. "Das Lachen wird Ihnen noch vergehen", nuschelte der Braunhaarige kaum hörbar und schloss die Luke. Ray setzte sich an den Tisch und begann, dass Sandwich auszuwickeln. Da es schon äußerlich nicht sehr appetitlich aussah, biss er einfach hinein. Den warnenden Gedanken, dass Sandwich genauer zu untersuchen, ignorierte er. Nachdem er den ersten Bissen heruntergewürgt hatte, biss er auf etwas hartes und undefinierbares. Der Schwarzhaarige kniff angewidert die Augen zusammen und ließ das pappige Sandwich entsetzt fallen. Vorsichtig hob er mit zwei Fingern die obere Brotscheibe an. Ein angespitzter Bleistift thronte auf dem schlappen Salatblatt. Ein kleiner Zahnabdruck befand sich darauf. Erstaunt nahm er ihn in die Hand und wischte ihn mit der Serviette sauber. Sein Sandwich achtlos liegen lassend griff er zu seinem Buch und setzte sich aufs Fensterbrett. Sein Blickfeld beschränkte sich auf die Hauswand gegenüber und ein Stückchen vom beleuchteten Innenhof. Dort erkannte er Bänke und einen angerosteten Basketballkorb. Über das Gebäude auf der anderen Seite ragte ein Wachturm, dessen Flutlicht weite Teile des Gefängnisses erhellte. Ray widmete sich wieder seinem Buch und schlug es auf. Die ersten Seiten waren bereits beschrieben. Nachdem er bei einer leeren Seite angekommen war, begann er zu schreiben. »Liebes Tagebuch« Der Chinese musste schmunzeln und begann alles niederzuschreiben, was er an diesem Tag erlebt hatte. Nachdem er die Hälfte aufgeschrieben hatte, meldete sich sein Magen durch ein lautes Knurren. Ray stand auf und holte sich sein angebissenes Sandwich, setzte sich danach wieder auf die Fensterbank. Während er aß forderte ein plötzlich aufkommendes und dumpfes Geräusch an der Wand seine Aufmerksamkeit. Ohne weiter drüber nachzudenken, versuchte er das Geräusch zu ignorieren und griff wieder zu seinem Bleistift. Allerdings hielt sein Schreibfluss nicht lange an, denn ein stumpfer Schrei aus der Nachbarzelle unterbrach ihn dieses mal. Der Schwarzhaarige rollte mit den Augen und legte Tagebuch und Stift beiseite. Da nun neben den Schreien auch wieder die vorangegangenen Geräusche zu hören waren, konnte er sich nicht mehr konzentrieren und setzte sich genervt aufs Bett. Sein Blick fixierte die Wand gegenüber in der Hoffnung, dass sein Zellennachbar bald mit dem Terror aufhören würde. "Verflucht noch mal! Was ist das für ein scheiß Lärm?", dachte der Chinese. "Geht das nun die ganze Zeit so weiter? Das ist ja nicht auszuhalten!" Ray dachte, dass es nicht schlimmer werden könnte, als zusätzlich zu dem Krach noch ein Quietschen hinzu kam. Entsetzt riss er seine Augen auf und seine Gedanken überschlugen sich. Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und versuchte seine Hirngespinste zu ignorieren. Er wollte lieber nicht wissen, was sein Zellennachbar dort trieb. Als die Geräusche nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht aufhörten, rollte er sich entnervt auf seinem Bett zusammen und versuchte sich die Ohren zuzuhalten. Er schloss die Augen und war erstaunt, als kurze Zeit später das Licht ausging. In der Hoffnung, dass nun Schlafenszeit war und so die Geräusche aufhören würden, zog er seine Hose und Hemd aus und deckte sich zu. Für kurze Zeit verstummten die Geräusche tatsächlich und Ray atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Leider hielt diese Ruhe nicht lange an und sein irrer Nachbar begann abermals seine Nerven mit dem vorherigen Lärm zu strapazieren. Der Schwarzhaarige blickte verzweifelt in die Dunkelheit und fragte sich, wie er die Nächte so überstehen sollte, bis auf einmal Licht in den Raum fiel. "Hey Barbie, sitzt die Frisur noch? ", ertönte es gehässig von der Tür. Ray setzte sich auf und musste sich kurz an das Licht gewöhnen, das durch die geöffnete Klappe seiner Gefängnistür hereinfiel. Zwei kalte, graue Augen stierten angestrengt in die Dunkelheit der Zelle. Der Chinese griff schnell zum Hemd und zog es sich über, bevor er aufstand und zur Tür ging. "Anstatt mich mit dummen Sprüchen zu beleidigen, sollten Sie sich lieber den Bekloppten in der Zelle neben mir vorknöpfen", sagte der Schwarzhaarige aufgebracht und deutete mit dem Finger in die Richtung. Levis Augenbrauen zogen sich amüsiert nach oben. "Der Schreihals wird gleich ans Bett gefesselt und bekommt sein Maul gestopft." "Gut zu wissen", entgegnete Ray trocken. "Wenn so was ähnliches nicht schon längst passiert ist…", murmelte er leise. Er beschloss in Zukunft lieber nicht aufzufallen. Der Kleinere wandte sich ab und setzte seinen Rundgang fort. Zufrieden ging Ray wieder ins Bett und die Geräusche verstummten abrupt. Nachdem er sich ein weiteres Mal das Hemd ausgezogen hatte, klopfte er sich sein durchgelegene Kissen zurecht und deckte sich zu. Erst jetzt bemerkte er, dass die Luke immer noch offen stand und das Licht der flackernden Lampe vom Flur weiterhin in seine Zelle fiel. Es war, als ob die ganze Zeit jemand das Licht in seinem Zimmer an- und ausknipste. Mit einem jammernden Laut drehte er sich zur Wand und drückte sein Kissen auf das Gesicht. Doch es half alles nichts, das Licht störte ihn zu sehr. Gereizt verließ er sein Bett und griff zu seinem Hemd, wollte es irgendwie am Gitter befestigen. Vielleicht würde es das Licht etwas abschirmen. Er begann nach einer Möglichkeit zu suchen, sein Hemd anzubringen. Auf einmal vernahm er leises Gelächter und Murmeln, welches aus der Nachbarzelle zu hören war. "Ich schließe eben die Zelle ab", hörte Ray die eine Person sagen und erkannte die Stimme. Es war Mr. Deckelfrisur. Gebannt starrte der Chinese in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Er vernahm das Klirren des Schlüsselbundes, während die Tür abgeschlossen wurde. "Okay. Komm mit", sagte die bekannte Person in üblicher monotoner Stimmlage und setzte sich in Bewegung - der Fremde knapp hinter ihm laufend. Ray runzelte die Stirn, bis sich ihm auf einmal zwei eiskalte, rubinrote Augen näherten und ihn mit seinem Blick fesselten. Er stand dort wie erstarrt, als sich ihre Augen trafen. Erbarmungslos und hämisch sahen sie den Schwarzhaarigen an. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, aber es dauerte alles nur wenige Sekunden, bis sich ihre Blicke wieder trennten. "Er wird der nächste sein!", gab die Person beiläufig und völlig kühl von sich. Ray riss geschockt seine Augen auf und einen Augenblick später hörte er beide Personen trocken lachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)