Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 25: Zielumsetzung ------------------------- Noch vor Mittag erschien tatsächlich Bernard. Oscar und Andre hatten seine Kutsche auf dem anderen Weg überholt und Andre erwartete ihn bereits, als er eintraf. Oscar dagegen suchte schnell Rosalie bei Sophie in der Küche auf und gab ihr wegen des Besuchs einige Anweisungen. Bis das Gewünschte erledigt war, hatten sich die Gemüter abgekühlt. Es wurde alles in Ordnung gebracht, jegliche Zweifel beseitigt und alle verdächtigen Spuren verwischt. In Oscars Zimmer herrschte wieder die Ordnung, dank Rosalies flinkem Einsatz von heute Morgen. Ihr Salon war wieder vorzeigbar. Bernard betrat ihn dennoch achtsam, vorsichtig und auf der Hut. „Du brauchst keine Angst haben. Hier frisst dich niemand auf!“ Andre führte ihn freundlich herein und zeigte in Richtung des Kaminzimmers. „Komm, da entlang.“ „Ich habe keine Angst“, brummte Bernard unbehaglich und folgte Andre – er war auf alles gefasst. Vor dem Kamin stand ein kleiner Tisch, eingerichtet mit vier Tassen Tee und einer Schale mit kandierten Früchten in der Mitte. Um ihn herum, im halben Kreis, befanden sich vier gepolsterte Sessel. Wie aus dem Nichts kam Rosalie auf ihn zu. „Schön, Euch wiederzusehen, Bernard.“ „Ganz meinerseits.“ Bernard freute sich über diese Wiederbegegnung von Herzen. „Wie geht es Euch? Ihr wart damals so plötzlich verschwunden.“ „Mir geht es ausgezeichnet!“ Rosalies Augen glänzten verzückt und ihre Wangen bedeckte ein rötlicher Hauch. „Lady Oscar hat mich bei sich aufgenommen. Sie ist so ein lieber Mensch und ich verdanke ihr vieles.“ „Aber wo ist sie jetzt?“ Bernard schaute sich verwundert um, aber entdeckte nirgends die gestrige Frau in Männerkleidern. „Ich werde sie holen“, empfahl sich Andre hinter ihm schmunzelnd und im nächsten Augenblick ließ er die zwei alleine. Oscar spazierte derzeit irgendwo im Garten und er sollte zu ihr kommen, sobald Bernard da war. Während Andre weg war, schwärmte Rosalie über Oscar. Sie erzählte Bernard, wie sie her kam, wie Oscar sich ihrer annahm und vieles anderes. Bis auf die Liebesbeziehung zwischen Oscar und Andre – das behielt sie natürlich für sich. Bernard wusste später nicht, wie er in einen der Sessel gelangt war, wann er begonnen hatte an dem Tee zu schlürfen und wie lange er Rosalie gebannt zugehört hatte. Ihre freundliche Art, ihre unschuldige Ausstrahlung und ihr hübsches Äußeres faszinierte ihn immer mehr. Als Oscar und Andre hereinkamen, machte er ihr schon Komplimente und Avancen. „Seid gegrüßt, Bernard“, hieß ihn Oscar knapp, aber freundlich willkommen. „Gleichfalls, Lady Oscar.“ Bernard sprang unbeholfen vom Sessel auf. „Rosalie hat mir gerade über Euch erzählt.“ „Aha.“ Oscar musterte ihn eindringlich. „Rosalie ist ein ehrliches Mädchen und steht unter meinem persönlichen Schutz.“ Das verblüffte Bernard. Nach allem, was er über diese Aristokratin von Rosalie erfahren hatte, bekam seine Meinung über sie mehr Risse als noch gestern in der Gaststube. Ihn plagten langsam Zweifel und Gewissensbisse. „Ich muss mich bei Euch über mein gestriges Misstrauen entschuldigen, Lady Oscar. Ich habe Euch falsch eingeschätzt.“ Bernard reichte ihr als Zeichen der Versöhnung seine Hand. „Und wenn Ihr gestattet, würde ich gern öfters kommen.“ „Meine Türen stehen für Euch immer offen, Bernard“, meinte Oscar und besiegelte die Versöhnung mit einem festen Handdruck. „Falls ich jedoch nicht anzutreffen bin, könnt Ihr ruhig auf mich warten. Rosalie ist immer hier.“ „Das erfreut mich. Ich werde Ihr gerne meine Aufwartungen machen.“ Bernard warf einen kurzen Blick auf die junge Frau und sah dann wieder Oscar an. „Jetzt muss ich aber gehen“, verabschiedete er sich sogleich in die Runde. „Ihr bleibt nicht zum Mittag?“, fragte Oscar höflich und ohne zu zeigen, ob sie verwundert war oder nicht. „Mir ist etwas dazwischen gekommen, Lady Oscar“, entschuldigte sich Bernard genauso vornehm. Oscar hielt ihn nicht weiter auf und verabschiedete ihn: „Schade. Aber danke trotzdem, dass Ihr da ward, Bernard.“ Bernard wollte sich schon abwenden, als urplötzlich Rosalie sich freundlicherweise erbot: „Ich begleite Euch zu Eurer Kutsche, wenn es Euch genehm ist.“ „Gerne“, erwiderte ihr Bernard und sie führte ihn aus Oscars Gemächern. „Wie es aussieht, hast du jetzt auch Bernard auf deiner Seite“, sprach Andre, nachdem Rosalie und Bernard gegangen waren. „Nicht ganz, aber fast“, kommentierte Oscar schmunzelnd. „Hauptsache ist, dass Rosalie wieder glücklich ist – ganz im Gegensatz zu heute früh.“ „Ach, ja...“ Andre erinnerte sich peinlich berührt daran und versuchte das Thema zu wechseln: „Wie geht es nun weiter? Ich meine, ob du heute Abend mit der Königin tanzen würdest? Und ob du nicht versuchst, Graf von Fersen davon abzuhalten, nach Amerika zu gehen?“ Die Fröhlichkeit verschwand schlagartig aus Oscars Gesicht. „Das weiß ich alles noch nicht, Andre.“ Andre biss sich auf die Zunge. Er wollte nicht, dass sie betrübt wurde. Zärtlich fasste er sie bei den Händen. „Mach dir keinen Kopf, Oscar. Es wird alles gut. Du wirst es sehen.“ „Wenn ich das nur glauben könnte, Andre.“ Oscar lehnte sich an ihn, als wären ihr plötzlich die Kräfte ausgegangen. „Ich will nicht die Revolution erleben und meine Soldaten in den Tod führen müssen...“ Sie presste eine Faust gegen ihre Brust und umfasste fest den Kragen ihrer Weste. Ihren freien Arm schlang sie um seine Mitte und hielt sich an ihm fest. „Das ist alles so verworren... Ich habe gerade im Garten über vieles nachgedacht und mir kam es so vor, als würde ich nichts mehr ändern können...“ „Höre ich da Zweifel? Und das aus dir?“ Andre versuchte sie mit allen Mitteln aufzumuntern und legte um sie seine Arme. Sie wirkte zerbrechlich, hilflos und war gar nicht mit dem selbstgerechten und stolzen Kommandanten zu vergleichen, zu dem sie eigentlich erzogen wurde. Er spürte, wie ihr Körper sich in seinen Armen ein wenig entspannte und fuhr nachsichtig fort: „Hör zu, Oscar: Du hast schon einiges verändert, aber manches steht halt nicht in deiner Macht. Da kannst du machen, was du willst, aber es wird trotzdem geschehen. Das siehst du schon bei Graf von Fersen und Marie Antoinette. Und was die Revolution angeht... nun, die können wir vielleicht doch verhindern, durch Bernard... und wenn wir uns mit dem Volk selbst mehr befassen, als mit dem Adel...“ „Der Adel ist mir gleich, Andre. Ich kann nur Marie Antoinette nicht im Stich lassen...“ „Das verlangt auch keiner von dir, Oscar. Besonders ich nicht...“ „Das weiß ich doch. Du wirst meine Entscheidung nie beeinflussen wollen...“ „Ganz recht und du kannst auf mich immer zählen.“ „Ja, das weiß ich auch und ich danke dir dafür.“ Oscar verstummte für eine kurze Weile und versank in Grübeleien. Sie schloss ihre Augen, horchte seinem gleichmäßigen Herzschlag und ließ seine Wärme auf sich wirken. Es war ein angenehmes und wunderbares Gefühl - so tröstend und erholsam. Sie würde gerne eine Ewigkeit in seiner Umarmung verweilen, aber es gab noch einiges zu tun. Sie traf ihre Entscheidung: „Andre. Ich werde heute Abend und die ganze Nacht nur mit Marie Antoinette tanzen. Und ich ziehe eine neue Garderobe an, wie im früheren Leben.“ Andre erinnerte sich noch genau an diese neue Garderobe. Oscar hatte sie nur ein einziges Mal getragen: Für Marie Antoinette. So war es auch mit dem Kleid, das sie allerdings für von Fersen angezogen hatte, um mit ihm zu tanzen und zu erfahren, wie er zu ihr stand. Das war für sie ein bitteres Erlebnis und brach Andre noch mehr das Herz. Andre verstärkte unbewusst seine Umarmung, als würde ihn das immer noch quälen. Er vergrub sein Gesicht in ihr weiches Haar, atmete ihren milden Duft ein und verfiel der Melancholie: „In der neuen Garderobe hast du bezaubernd ausgesehen, Oscar. Aber in dem Kleid warst du tausendfach schöner. Ich war davon wie geblendet. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich war in dich noch verliebter gewesen und habe mir eingebildet, du hättest das für mich getan. Ich habe danach oft geträumt, wie du in diesem Kleid mit mir tanzen würdest...“ „Bitte höre auf, Andre...“, unterbrach ihn Oscar kaum hörbar. Es tat ihr nicht gut, daran zu denken. Und es schmerzte ihr zutiefst, dass Andre im früheren Leben ihretwegen soviel gelitten hatte. An diesen Abschnitt wollte sie nicht erinnert werden. In ihrem jetzigen Leben hatte sie ihre Gefühle zu Andre noch frühzeitig erkannt und wollte nur mit ihm ihr Leben zusammen verbringen. Sie drückte sich fester an ihn. „Es tut mir aufrichtig leid, dass ich in unserem früheren Leben für Gefühle blind war. Aber ich habe dich schon immer geliebt. Ich habe das nur nicht gemerkt... Kannst du mir das verzeihen?“ „Schon gut, Oscar...“ Jetzt unterbrach er sie sanft. Er wollte nicht, dass sie ihre alten Wunden auffrischte. „Ich habe immer gewusst, dass du mich liebst. Uns hat das Schicksal füreinander bestimmt. Es hat uns eine zweite Chance auf ein neues Leben gegeben und wir nutzen das jetzt aus.“ „Ach, Andre...“ Oscar entrann ein tiefsinniger Seufzer von den Lippen. „Ich schwöre dir, es wird der Tag kommen, an dem ich nur für dich ein Ballkleid anziehe und mit dir tanzen gehe!“ „Das will ich sehen“, neckte er sie gerührt. „Glaubst du mir nicht?“, ertönte es von ihr leicht verdutzt. Andre vernahm aus ihrer Stimme, dass sich ihre Gemütsverfassung zum Besseren änderte und neckte sie weiter: „Oh, doch! Ich glaube dir und wie ich dir glaube!“ „Das hoffe ich, sonst fordere ich dich heraus!“, brummte Oscar scherzhaft in seine Kleider. „Degen oder Pistole?“ „Such dir was aus“, wedelte Oscar knapp ab. „Ich bevorzuge Degen.“ „Dann nimm deinen Degen und komm mit mir raus auf den Hof!“ „Oscar!“ Andre schob sie von sich, aber er lachte. „Willst du mich etwa jetzt schon herausfordern?“ „Bis zum Mittagessen ist noch Zeit und wir haben ohnehin nichts zu tun.“ Auch Oscar lächelte. Das tat gut und brachte sie auf andere Gedanken. „Na, schön, wie du willst. Ich werde aber mein Bestes geben“, meinte Andre entrüstet, aber der feurige Funke in seinen grünen Augen verriet die Freude in ihm. Es war wieder alles in Ordnung. Oscar war wieder sie selbst und das machte ihn glücklich. Bevor sie losgingen kam er nicht umhin, ihr einen flüchtigen Kuss zu schenken, was Oscar ihm überrascht erwiderte. Aber nur für kurz - um nicht schon wieder erwischt zu werden. - - - Graf Hans Axel von Fersen begab sich noch am nächsten Abend mit tausenden anderen Soldaten nach Amerika, um Frankreich und Österreich im Freikampf gegen England zu unterstützen. Oscar hielt ihn diesmal nicht auf. Zusammen mit Andre befasste sie sich mehr mit dem einfachen Volk. Durch Bernard erhoffte sie mehr zu erreichen als es ihr durch Grafen von Fersen gelungen war. Und Andre traf sich oft mit Alain in einem Gasthof auf ein Bierchen und freundete sich mit ihm weiter an, mit dem gleichen Ziel. Auch Oscar war manchmal dabei und Alain gewann immer mehr Vertrauen zu ihr. Rosalie blühte mit jedem Tag regelrecht auf, wenn Bernard sie aufsuchte und schon bald bat er um ihre Hand. Das eine Ziel war also erreicht! Rosalie heiratete demnächst Bernard und zog zu ihm nach Paris. Es war eine Feier im engen Kreis und von da an festigte sich die Freundschaft zwischen den vier jungen Leuten immer mehr. Parallel zu dem Volk beschäftigte sich Oscar auch mit Marie Antoinette - mit großem Erfolg. Bis die Königin im Jahr 1781 den Thronfolger Prinz Louis Joseph gebar. Ganz Frankreich feierte, aber nur für kurze Dauer. Nach der Geburt des Prinzen begann Marie Antoinette ihre königlichen Pflichten gegenüber ihren Untertanen zu vernachlässigen. Sie fühlte sich oft erschöpft und fand wenig Zeit für ihre Kinder. Obwohl Oscar dafür Verständnis hatte, arbeitete sie weiter mit Nachdruck. „Majestät, ich bitte Euch! Die Menschen sind von weither angereist, um Euch ihre Aufwartungen zu machen...“ „Das weiß ich doch, Oscar.“ Marie Antoinette hatte soeben einen dieser Empfänge abgesagt und lief mit ihr durch die prachtvoll glänzenden Säle von Versailles, zu den Gemächern des kleinen Prinzen. Ihr hinterher folgte eine Traubenmenge Hofdamen. Zum Glück war Madame de Polignac nicht dabei. Sie betätigte sich jetzt als Gouvernante der königlichen Kinder, was Oscar einerseits missfiel, aber andererseits verschaffte sie ihr damit mehr Zugang zu der Königin. „Ich verstehe Euch sehr gut, Majestät. An Euer Stelle würde ich auch mehr Zeit mit den Kindern verbringen wollen. Aber Pflichten sind Pflichten und die würde ich als erstes befolgen.“ Oscar merkte selbst kaum noch, wie ihr Redefluss immer energischer wurde. Sie war es langsam leid, immer nur drum herum zu reden und zu hoffen, dass die Königin sie endlich verstand. Irgendwann sollte Schluss damit sein. Sie achtete nicht mehr darauf, dass es Zuhörer gab und wagte mehr von sich zu geben, als es sonst ihre Art war: „Vor allem solltet Ihr die Not der einfachen Bürger anhören und Euch dann entscheiden, wie ihnen helfen könntet! Vielleicht durch die Senkung der Steuern oder durch eine Verdopplung der Löhne. Oder Ihr lasst Heime bauen für die Waisen und die Ärmsten der Armen - wie eine Suppenküche. Oder Ihr sorgt für mehr medizinische Versorgung - aber ihnen muss geholfen werden!“ „Oscar!“ Marie Antoinette blieb abrupt stehen und starrte sie unfassbar an. Ganz beiläufig klatschte sie für ihre Hofdamen in die Hände und scheuchte sie damit weg: „Meine Damen! Geht ohne mich weiter! Ich komme gleich nach.“ „Sehr wohl, Majestät“, sprachen die Hofdamen im Chor, vollführten ehrerbietig einen Knicks und rauschten davon. „Kommt mit“, beschied Marie Antoinette Oscar und führte sie zum nächst gelegenen Salon. Sie wusste zwar schon längst von Oscars Schwäche für das einfache Volk und wurde öfters von ihr gebetet, sich mehr darum zu kümmern. Aber so detailliert und offenkundig hatte sie von ihr bisher noch nicht zu Hören bekommen. Es klang, als würde Oscar lieber heute als morgen die Seiten wechseln und sie im Stich lassen. „So, jetzt sind wir unter uns“, teilte Marie Antoinette Oscar aufweisend mit. Sie begab sich würdevoll in die Mitte des Gemaches und wandte sich zu Oscar um, die gerade hinter ihr die Tür schloss und auch dort stehen blieb, als leiste sie ihren Dienst und schob die Wache. „Ihr macht mir Sorgen, Oscar.“ „Das war nicht meine Absicht. Deshalb bitte ich um Verzeihung, Majestät.“ „Ich verzeihe Euch alles, Oscar, das wisst Ihr. Aber ich verstehe nur nicht, warum Ihr mir so etwas sagt?“ „Damit Ihr Euch bemüht, vom Volk geliebt und geachtet zu werden.“ Oscar sah Marie Antoinette offen ins Gesicht. Ihr Tonfall war selbstsicher und ihre Haltung aufrecht. „Wollt Ihr damit sagen, ich werde von meinem Volk nicht geliebt und nicht geachtet?“ Marie Antoinette faltete ihre Hände vor sich übereinander, hob anmutig ihr Kinn und machte kurze Schritte auf Oscar zu. Diese zuckte weder mit dem Wimper, noch verlor sie ihre aufrechte Haltung. Sie spürte, dass sie auf einem gefährlichen Terrain balancierte, aber das machte ihr nichts aus. Genug, war genug. Die Zeit der Revolution rückte immer näher, obwohl es noch acht Jahre bis dahin waren. Oscar wollte endlich die Früchte ihrer Zielumsetzung sehen. Vielleicht lag es auch an der langjährigen Freundschaft und dem Vertrauen zwischen den beiden Frauen, dass Oscar unter vier Augen so offen mit Marie Antoinette umging. „Ihr werdet von vielen Menschen geschätzt und geliebt, Majestät. Aber damit das auch weiter so bleibt, solltet Ihr es nicht nur auf einer Sache beruhen lassen, sondern weitere Schritte machen.“ Marie Antoinette blieb zwei Schritte vor Oscar stehen. So etwas hatte noch kein Mensch gewagt ihr zu sagen. Oscar war eben direkt und ehrlich und das schätzte sie an ihr sehr. Sie vertraute ihr am meisten, dass hatte sie ihr schon einmal offenbart. „Wisst Ihr, Oscar, ich frage mich gerade, was Ihr tun würdet, wenn Ihr Königin wärt? Natürlich abgesehen davon, was Ihr mir bereits gesagt habt.“ „Das wollt Ihr lieber nicht wissen“, Oscar verkniff sich bei dieser Frage und Vorstellung ein hämisches Grinsen. „Oh doch, Oscar, das will ich! Wir sind doch Freunde!“, bestand Marie Antoinette hartnäckig darauf. „Nun, gut.“ Oscar räusperte sich in die Faust, bevor sie wieder mit einem eindringlichen Blick auf Marie Antoinette sah. „Wenn ich die Königin wäre, hätte der Adel bei mir nichts zum Lachen. Ich würde ihn auf die gleiche Höhe stellen, wie den einfachen Bürger Frankreichs. Ich würde einige Gesetze abschaffen und neue erlassen, wie zum Beispiel die Heiratsregeln ändern. Man sollte nicht zwangsweise vermählt werden oder den König um Erlaubnis bitten müssen, heiraten zu dürfen. Man sollte auch den heiraten können, den man liebt. Denn ich finde, jeder Mensch auf Erden ist gleich.“ „Ist das Euer ernst, Oscar?“ Marie Antoinette weiteten sich die Augen vor Stauen. „Ja, Majestät“, erwiderte Oscar ohne zu zögern. „Aber Ihr seid doch selbst vom Adel!“, staunte Marie Antoinette immer noch überrascht. „Für die Umstände meiner Geburt kann ich nichts, Euer Majestät“, flog es prompt aus Oscars Lippen. Oscar imponierte Marie Antoinette seit langem. Die Frau in Uniform war ein Geheimnis für sich. Jetzt offenbarte sie ihr etwas Fremdes, was keiner weltlichen Ordnung entsprach, sich dennoch aber interessant anhörte. Jemanden zu heiraten den man liebte, hätte Marie Antoinette auch gerne getan. Aber Frauen und Mädchen hatten in dieser Hinsicht kaum etwas zu sagen. Es sei denn man war Königin, aber auch da gab es eine bestimmte Ordnung. Und warum sprach ausgerechnet Oscar von Liebesheirat, wenn sie selbst wie ein Mann erzogen wurde und jegliche Frauengefühle nicht zulassen durfte?! Es musste bestimmt einen Grund dafür geben! „Oscar, könnt Ihr mir verraten, warum Ihr so etwas machen würdet, wenn Ihr Königin wäret?“ „Nein, das kann ich nicht. Sonst könnte dem Mann, den ich überaus liebe, etwas Schreckliches zustoßen.“ „Ich verstehe...“ Also war der Mann nicht ihres Standes, begriff Marie Antoinette sogleich. „Und Ihr werdet mir sicherlich nicht verraten können wer er ist?“ „Das stimmt, Euer Majestät. Ich würde nicht einmal auf dem Sterbebett oder unter Folter etwas von ihm verraten.“ „Und ich werde Euch nicht mehr über ihn ausfragen. Er soll Euer Geheimnis bleiben, Oscar. Aber falls Ihr diesbezüglich einen Wunsch habt, werde ich ihn Euch erfüllen.“ Während Marie Antoinette sprach entstand in ihrem Kopf ein Bild von Oscars Freund und Gefährten, der schon immer an ihrer Seite zu sehen war. Er musste ganz bestimmt ihr Geliebter sein! Denn sonst fiel ihr kein anderer junger Mann der unteren Schicht ein, mit dem sich Oscar sonst abgab. „Ich danke Euch, Majestät“, hörte sie Oscar sagen und kehrte aus ihren Gedanken zurück. Zeitgleich wurde ihr bewusst, dass sie vom eigentlichen Thema abgewichen waren. „Ihr würdet bestimmt eine hervorragende Königin abgeben, Oscar“, fand Marie Antoinette wieder den Leitfaden: „...aber dann würde ein Chaos ausbrechen. Man würde versuchen Euch zu stürzen, weil Ihr die seit hunderten von Jahren geltende Ordnung aus der Welt schaffen würdet. Das würde kein Adliger dulden und mitmachen. Besonders die hohen Herren nicht. Deswegen kann ich in diesem Falle nichts unternehmen, so leid es mir auch tut. Ich will damit nur Kriege vermeiden.“ „Das verstehe ich vollkommen, Euer Majestät.“ Oscar verstand es in der Tat vollkommen, aber das brachte sie trotzdem nicht von ihrem Ziel ab. „Und Ihr habt womöglich in der Hinsicht recht, aber dennoch dürft Ihr nicht das Volk vergessen. Für die einfachen Menschen könnt Ihr einiges tun, ohne jemanden oder gar Euch selbst zu schaden. Und Ihr würdet auch keine Kriege herauf beschwören.“ „Das glaube ich Euch gerne, Oscar, aber ich will nicht nur meinen Pflichten als Königin nachgehen. Ich will auch eine gute Mutter für meine Kinder sein. Ich möchte mehr Zeit mit ihnen verbringen und deswegen überlege ich, den König zu fragen, uns in ein abgelegenes Schloss zurückziehen zu dürfen. Ein paar Wochen werden schon niemandem schaden.“ „Wie Ihr meint“, sagte Oscar darauf knapp. Sie verstand mit einem Mal, dass es keinen weiteren Sinn mehr gab, mit der Königin zu diskutieren. Was hätte sie ihr noch sagen können? Es führte zu nichts! Marie Antoinette war genauso ein Dickschädel wie sie selbst. Das war also das Ende der Unterhaltung. Marie Antoinette bekam natürlich wenig später die Erlaubnis ihres Gemahls. Sie verließ Versailles mit ihren Kindern in Richtung des abgelegenen Schlosses Trianon, das nur ihre engsten Vertrauten betreten durften. Und seitdem hörte man praktisch nichts mehr von ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)