Ecce equus niger von AomaSade (LV x HP) ================================================================================ Kapitel 3: Erinnerung --------------------- Verträumt stand Harry im Schatten am Rande des Verbotenen Waldes. Heute war wieder so eine zauberhafte laue Sommernacht, wie er sie oft als Schüler zusammen mit seinen Freunden erlebte, wenn sie sich heimlich herausgeschlichen hatten. Der Himmel war sternenklar, der zunehmende Mond fast vollständig. Von seinem Standpunkt aus hatte er einen wunderbaren Blick auf Hogwarts und seine Umgebung. Alle Fenster des Schlosses waren hell erleuchtet und spiegelten sich im Großen See. Dort wurde sicher ein Fest gefeiert. Auserwählte Eliteschüler, besser zukünftige Elite-Todesser blieben seit ein paar Jahren noch den ganzen Juli in Hogwarts, um eine Sonderausbildung zu absolvieren. Wirklich clever von Voldemort, so gingen ihm nie leistungsstarke Untergebene aus. Am ersten August würden aber auch diese Schüler heimreisen und der Hogwarts-Express noch einmal fahren, dann würde für einen Monat Ruhe im Schloss sein. Ein wenig wehmütig dachte Harry an seine eigene Schulzeit zurück. Hogwarts war sein Zuhause gewesen. Ob er seine UTZs* geschafft hätte, wenn er das sechste Schuljahr nicht abgebrochen und bis zum Abschluss der siebenten Klasse die Schule besucht hätte? Warum dachte er heute nach so langer Zeit wieder an sein altes Leben? Das alles war jetzt Vergangenheit. Mit der Zeit änderte sich alles, nichts blieb wie es war. Das war der Lauf der Dinge. Auch hier hatte sich in den letzten Jahren viel verändert. Neben dem See war ein riesiges Anwesen errichtet worden, welches selbst Malfoy Manor mit seiner Eleganz und Pracht in den Schatten stellte. Das ganze Land südlich von Hogwarts gehörte jetzt zum neuen Manor und war mit mächtigen Schutzzaubern gegen Eindringlinge umgeben. Nur der Hauptweg und die Eingangshalle konnte von Gästen und Bittstellern betreten und über diese wieder verlassen werden. Hagrids Hütte existierte nicht mehr. Dort gab es jetzt ein Gestüt. Der Eigentümer züchtete in seiner Freizeit Pferde. Die großflächigen Koppeln und Weiden reichten bis an die ersten Ausläufer des Verbotenen Waldes heran. Rassepferde grasten friedlich überall auf den saftigen Gründen. Er beobachtete sie oft aus dem Schutz des Verbotenen Waldes heraus, hatte Pferde schon immer gemocht. Nun wusste er auch warum, eingedenk seiner Animagusgestalt. Wenn er den Lagerfeuergesprächen der Zentauren glauben schenken durfte, hatte sich der Dunkle Herrscher höchstpersönlich hier niedergelassen. Welche Ironie des Schicksals – zum einem mochte Voldemort tatsächlich Pferde und Harry konnte sich in eines verwandeln, zum anderen hatte Harry auf seiner Flucht fast ganz Großbritannien und Schottland durchquert, um möglichst viel Raum zwischen sich und seinen übermächtigen Feind zu bringen und dieser lies sich ausgerechnet hier in unmittelbarer Nähe von ihm nieder. Sein Karma hasste ihn wirklich. Aber woanders konnte er als Pferd nicht hin, denn auch nach zehn Jahren war es ihm nicht möglich, sich zurückzuverwandeln. Zum Glück traute sich kein Todesser in den Wald, jedenfalls hatte er noch nie welche hier gesehen oder gespürt und Waldhüter gab es nicht mehr, dadurch war die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden, ziemlich gering. Wenn er den Wald also niemals verlies, konnte ihm auch nichts passieren, war er vor Entdeckung sicher, an diese unsichere Logik klammerte er sich hoffnungsvoll seit seiner Ankunft hier auf vier Hufen. Harry wollte nicht wieder fliehen. Der Verbotene Wald war sein neues Zuhause geworden. Harry seufzte innerlich, heute war wieder diese eine Nacht. Nur einmal im Jahr lies er Erinnerungen an seine Vergangenheit zu. Zu schmerzhaft war immer noch alles, wenn er daran dachte, wen und was er verloren hatte. Alle und alles, was er liebte und kannte, war fort, ausgelöscht, genommen von der abscheulichsten und bösartigsten Person, die die magische Welt je hervorgebracht hatte. Lord Voldemort hatte sich zum dunkelsten Herrscher aller Zeiten aufgeschwungen. Sein Wort und sein Wille war Gesetz. Es gab keinen Widerstand mehr. Jeder hatte seinen Sieg akzeptiert und anerkannt sowie einen magischen Treueeid geschworen oder schwören müssen. Niemand konnte sich mehr widersetzten oder er verlor seine Zauberkraft und wurde ein Squib. Nur sehr wenige magische Personen hatten es geschafft, aus dem Land zu fliehen und würden nie zurückkehren, denn Widerstand wurde mit dem Tod bestraft, ohne Ausnahme. Flucht wurde gleichgesetzt mit Widerstand. Sollte also jemals ein Flüchtling seinen Fuß wieder auf britischen Boden setzten, unterschrieb er damit sein Todesurteil, dass sofort bei Gefangennahme vollstreckt wurde. Harry war wahrscheinlich der einzige Zauberer in Großbritannien, der seiner Lordschaft und seinen Anhängern entkommen war und noch im Land lebte. Sein Tod war demzufolge längst beschlossene Sache. Sollte er jemals entdeckt werden, war Ergeben keine Option, denn Gefangenschaft bedeutete sofortige Exekution und er würde niemals kampflos sterben. Der Verbotene Wald war seine Zuflucht und Heimat geworden, nur sehr ungern erinnerte er sich an den langen und beschwerlichen Weg hierher vor über zehn Jahren. Nachdem ihm seine Flucht aus Malfoy Manor geglückt war, kam für ihn nur ein Zufluchtsort infrage – der Verbotene Wald. Wieder versank Harry in Erinnerungen. ~•~•~•~•~•~ Harry schaute sich nach allen Seiten um, spitzte die Ohren. Nein, keine Gefahr. Vorläufig war er in dem kleinen Wäldchen sicher. Wieder blickte er auf das dunkle Wasser des Waldsees, beobachtete seine verschwommene, misshandelte Gestalt und dachte nach. Was hatte Hermine ihnen noch beigebracht? Ach Hermine! Liebe, tolle, wunderbare Hermine. Sie musste hellseherische Kräfte besessen haben, denn sie hatte darauf bestanden, dass Ron und Harry im fünften Schuljahr bei ihr einen Intensivkurs in Sachen Geographie von Zauberer- und Muggel-Großbritannien absolvierten. Harry hörte noch ihre Stimme: "Wenn ihr kämpft, gefangen genommen werdet, wenn ihr fliehen könnt, müsst ihr wissen, wo ihr euch befindet und wo der nächste sichere Ort ist. Ansonsten ist eure Flucht von vornherein zum Scheitern verurteilt und die Todesser können euch wieder mühelos einfangen, weil ihr dumm durch die Gegend rennt." Ein halbes Jahr hatte sie sie beide getriezt mit Orten, Flüssen, Bergen, Verkehrsmitteln, Wegen, Todesser-Hochburgen, sicheren Verstecken etc. Ein Lieblingsbeispiel für ein Fluchtszenario war für Hermine stets Malfoy Manor als Voldemort Todesser-Zentrale gewesen – wie recht sie doch damit hatte. In ihrem damaligen Fluchtbeispiel war immer Muggel-London das Ziel gewesen, um zwischen Millionen Menschen unterzutauchen. Aber nun war Harry ein Pferd. Schwarze herrenlose Pferde im Londoner Hyde Park würden irgendwie auffallen, dachte er in einem kurzen Anflug von Galgenhumor. Auch unter den Herden der wild lebenden britischen Ponys würde er wegen seiner Größe sofort Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie ein Riese unter Zwergen und leider konnte er in seiner jetzigen Form das Land nicht verlassen, um sich unter die Wildpferde in Frankreich oder Deutschland zu mischen. Der einzige Ort, der ihm einfiel, an welchem magische Tiere absolut sicher vor Muggeln und viel wichtiger vor feindlichen bösen Zauberern wären, war der Verbotene Wald. Dorthin trauten sich weder die Einen noch die Anderen. Und was noch viel wichtiger war, Hogwarts lag hunderte Meilen weit entfernt vom derzeitigen Todesser-Hauptquartier – sprich am anderen Ende von Großbritannien in Schottland. Niemand würde ihn dort vermuten, denn nur Tiere konnten im verzauberten Wald überleben. Kein Zauberer setzte freiwillig seinen Fuß dort hinein, es sei denn, er hatte den Wunsch als Tiermahlzeit zu enden. Selbstmörderische Tendenzen hatte Harry bisher nie gezeigt, Aufgeben gehörte einfach nicht zu seinem Wesen, also würde niemand auf die Idee kommen, ihn dort zu suchen, weil sie ihn nicht als suizidgefährdet einschätzten. Harry wollte unbehelligt leben und frei sein, das war schon immer sein größter Wunsch gewesen – und wenn er das nur als Pferd konnte, dann sollte es eben so sein. Und der Verbotene Wald wäre das perfekte Versteck für ihn in seiner Tiergestalt! Was hatten sie damals von Hermine noch gelernt? Harry rief sich ihre Unterrichtsstunden wieder ins Gedächtnis zurück. London war ungefähr 900 Kilometer von Hogwarts entfernt. Malfoy Manor in Wiltshire nahe Stonehenge lag westlich von London auf fast dem selben Breitengrad, also war ähnlich weit entfernt vom Schulschlossstandort. Wäre das machbar? 900 Kilometer durch Großbritannien nur auf sich allein gestellt? So angeschlagen, wie er derzeit war, würde das Wochen oder sogar Monate dauern. Seines Wissens verlief der Fluss Avon sehr lange in nördlicher Richtung. Wenn er also nachts eine ganze Weile dem Fluss stromaufwärts und dann weiter immer dem Nordstern folgte, sich tagsüber versteckte, könnte er es schaffen. Aber wie fand er Hogwarts und den Verbotenen Wald ohne Zauberkraft und in Tiergestalt? Das Schloss und die umliegenden Ländereien waren verzaubert, auf keiner Landkarte zu finden, wurden für Zauberer und magische Geschöpfe erst sichtbar, wenn sie die magischen Grenzbarrieren berührten. Es könnte Jahre oder sein ganzes Leben dauern, Hogwarts ohne Hilfsmittel zu finden. Nicht zu vergessen die Gefahren, vorher von Muggeln oder Todessern gefangen genommen zu werden. Beides keine guten Aussichten! Erreichen konnte man die Schule nur durch Zauberkraft mittels Apparieren, mit magischen Tieren oder mit verzauberten Mitteln wie Flohpulver, Portschlüsseln, Besen, Fahrzeugen … der Hogwarts-Express! Richtig! Jeden ersten September verlässt er London und erreicht abends Hogwarts. Aber zwischendurch passierte er das Schloss Edinburgh, welches in der Muggel- sowie in der Zaubererwelt existierte! Wenn Harry also pünktlich an besagtem Tag in der Nähe des Schlosses in Edinburgh sein würde, dann könnte er den Zug sehen und seine verzauberten Schienen finden, die sonst unauffindbar wären und dem Schienenstrang nach Hogwarts folgen. Damals, als er mit Ron im verzauberten Ford Anglia seines Vaters nach Hogwarts reiste, erschienen die Schienen auch nur, weil sie Zauberer waren und mit einem verzauberten Fahrzeug den Hogwarts-Express verfolgt und eingeholt hatten. Und Harry war ja trotz Pferdegestalt immer noch irgendwie ein Zauberer und ein magisches Tier. Ja, das könnte klappen, das war ein guter Plan. Er würde zu Fuß, falsch, auf vier Hufen nach Schottland aufbrechen. Es würde ein langer und sehr beschwerlicher Weg sein. Zum Glück war es nicht Winter. Harry hob seinen Kopf und schaute zu den Baumkronen hinauf, die mit ihren sommergrünen Blättern den leuchtenden Mittagshimmel verdeckten. Nach Aussehen der Natur müsste es Frühsommer sein. Aber konnte er sich auf seine Einschätzung noch verlassen? Seine Gefangenschaft hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen und sein Zeitgefühl total durcheinander gebracht. Zeit! Zeitzauber? Zauber! Er brauchte für seine Reise nicht nur Glück und Kraft, sondern auch Schutz. Nachdenklich beobachtete er eine Libelle, die über dem Wasserspiegel kreiste. Animagi konnten in ihrer Tiergestalt nicht zaubern und waren somit gegenüber Zauberern relativ schutzlos. Warum konnte sie nicht in ihrer Tiergestalt zaubern? … Die einfachste Erklärung für ihn wäre: sie konnten keinen Zauberstab halten und die Zauber wegen ihrer Tiersprache nicht ordnungsgemäß aussprechen! Aber Harry konnte in menschlicher Gestalt stablos und nonverbal zaubern. Dann sollte es ihm eigentlich auch als Tier gelingen. Harry sah wieder zur Sonne, die im Zenit stand. Es waren noch mehrere Stunden bis zum Abend, ausreichend für den Tag gefressen und getrunken hatte er auch schon im Morgengrauen und wartete nun auf die alles verbergende Dunkelheit. Er hatte also wieder einmal massenhaft Zeit zum Üben von Zaubern und wie schon gewohnt nichts anderes zu tun. Wie sich doch alles immer wiederholte. Das Erlernen von stablosen, ungesagten Zaubern in aufgezwungener Freizeit schien wohl die einzige Konstante in seinem bisher katastrophalen Leben zu sein. Also hieß es wieder als Zeitvertreib Üben! Er sollte mit einem einfachen, leichten Zauber beginnen, den er besonders gut beherrschte. Aber welcher Zauber? Natürlich, "Tempus" – sein erster gelungener Zauber in der Einsamkeit des Schrankes unter der Treppe ohne Zauberstab, mit diesem würde er beginnen. Dieser Zauber war damals sein „Lebensretter“ gewesen, denn seit er ihn perfekt beherrschte, konnte ihn sein Onkel nicht mehr wegen Unpünktlichkeit beim Verrichten der zahlreichen Hausarbeiten bestrafen. Ja, damit würde er anfangen. Wenn er den leichten Zeitzauber in seiner Animagusgestalt nicht meisterte, dann würde er die anderen Zaubersprüche erst recht nicht schaffen. Harry konzentrierte sich auf seine innere Magie und versuchte den ganzen Nachmittag, sie durch seinen Pferdekörper fließen zu lassen, damit er auf sie zugreifen konnte. Langsam ging die Dämmerung in Dunkelheit über. Die Ausbeute seiner Beschäftigung am Nachmittag war ein kurzes Aufleuchten von wirren Punkten und Strichen. Erschöpft fraß Harry das saftige Gras, welches üppig am Seeufer wuchs, naschte ein paar Waldbeeren und löschte seinen Durst im Waldsee. Er fühlte sich gestärkt, aber immer noch am Ende seiner Kräfte, sein ganzer Körper war eine große schmerzende Wunde. Die Todesser hatten ganze Arbeit geleistet. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wie sollte er verletzt und geschwächt die fast 900 Kilometer von Wiltshire bis nach Schottland schaffen und dabei noch auf seine Tarnung achten? Kurz übermannte ihn Hoffnungslosigkeit, die er aber schnell beiseite schob. Er musste es einfach schaffen. Das war seine einzige Chance um zu überleben. Mühsam begann Harry mit einem Schritt nach dem nächsten seine Wanderung. Er folgte dem Avon auf der westlichen Uferseite. Um nicht Muggeln oder Todessern in die Hände zu fallen, bewegte er sich nur nachts. Tagsüber versteckte er sich in Wäldern, lag flach in Kornfeldern, harrte in Höhlen oder Senken aus und übte das Zaubern. Nach drei Tagen intensiven Trainings beherrschte Harry den Zeitzauber auch in seiner Animagusgestalt, zwei weitere Tage und er hatte den Zauberspruch so angepasst, dass jetzt mit "Tempus dies" die aktuelle Zeit und der Tag vor seinem inneren Auge aufleuchtete, denn plötzlich auftauchende Leuchtziffern vor einem Pferdekopf würden doch irgendwie auffallen. Da könnte er gleich mit Feuerwerk verkünden: "Hier ist Harry Potter!" Deshalb hatte Harry den ursprünglichen Zauber abgewandelt, damit niemand auf ihn aufmerksam wurde und magische Hinweise fand, falls er beobachtet wurde, für jedermann zu sehen sein sollte nur ein harmloses, halbverhungertes Pferd, welches mit großer Wahrscheinlichkeit seinem Besitzer entlaufen war. Nach einem Monat waren seine Wunden verheilt, hier und da war noch Schorf vorhanden, aber dieser fiel auch bald ab, er hatte auch zugenommen, sah insgesamt nicht mehr wie eine elende Schindmähre aus. Nach sechs Wochen konnte er seine Hufspuren verschwinden oder umkehren lassen, das Wetter zu seinen Gunsten soweit beeinflussen, dass er bei plötzlich auftretendem Starkregen oder Stürmen im allgemeinen Durcheinander ungesehen verschwinden konnte, beherrschte Projektions- und Illusionszauber, wobei die Leute weiterhin eine schöne Landschaft oder Wunschbilder sahen, aber den schwarzen Hengst, der gerade an ihn vorbeilief, nicht wahrnahmen. Im Laufe der nächsten Monate hatte Harry diese und diverse andere Schutzzauber so gemeistert, perfektioniert und modifiziert, dass sie auch von außergewöhnlich starken Zauberern, falls sich welche in seiner Nähe aufhielten, nicht aufgespürt oder nicht auf ihn zurückgeführt werden konnten. Im Laufe der nächsten Jahre wurde er ein Meister in Abwandeln von bekannten Zaubern, konnte Zauber blitzschnell an seine Bedürfnisse anpassen oder ganz neue erfinden. Harry wollte nie mehr hilflos und wehrlos sein. Nun würden angreifende Todesser ihr blaues Wunder erleben und die Zauber nicht einmal kommen sehen, welche sie ausknockten. Im Sommer erreichte er die Midlands, durchquerte die North York Moors. Die Hochebene mit weiter Heidelandschaft und Farnflächen bot wenig Schutz vor dem hier herrschenden rauen Klima, aber Harry biss die Zähne zusammen und setzte seinen Weg fort. Als er die Cumbria Mountains hinter sich ließ und sich Edinburgh näherte, atmete er das erste Mal vorsichtig auf. Bis jetzt war er gut vorangekommen und nie in Gefahr geraten, keiner sah ein nachtschwarzes Pferd in der Dunkelheit. Zum Glück war seine Animagusgestalt ein Rappe und kein Schimmel. Harry wusste, dass der Hogwarts-Express sehr nah am Schloss Edinburgh vorbeifuhr, also suchte er mehrere Tage die Gegend rund um das Schloss ab, um den ungefähr gleichen Blick auf das Schloss zu haben wie aus dem fahrenden Zug und wartete an dieser Stelle als sein Zeitzauber den ersten September anzeigte. Endlich am späten Nachmittag hörte er die vertrauten Geräusche der Dampflok und plötzlich wurden die Schienen sichtbar. Dann dampfte auch schon der Eisenbahnzug mit der scharlachroten Lokomotive an ihm vorbei weiter in Richtung Norden und die Schienen begannen wieder zu verschwinden. Schnell betrat Harry das Gleisbett und der Schienenstrang blieb sichtbar. Von nun an war seine Reise viel entspannter, denn er hatte den richtigen Weg nun immer vor Augen, die Bahnstrecke führte durch die Central Lowlands von Schottland direkt ins Dorf Hogsmeade. Natürlich verschwanden die Gleise jedes Mal, wenn er sich tagsüber in der näheren Umgebung versteckte, aber sobald er nah an sie herantrat, waren die Schienen wieder da. Seine lange Reise hatte noch einen zweiten positiven Aspekt neben dem Erlernen von Zaubern in Animagusgestalt gehabt: er hatte viel über Animagi gelernt. Mit Pferden, welche seiner Tiergestalt entsprachen, konnte er sich unterhalten, bei allen anderen Tieren war keine direkte Unterhaltung möglich, nur eine Art von Telepathie, die ganz einfache Gefühle wie Hunger, Durst, Gefahr, Freude usw. übermittelte. Natürlich bildeten Schlangen wieder die berühmte Ausnahme, mit ihnen konnte sich Harry genauso gut wie mit seinen „Pferde-Verwandten“ unterhalten und scheinbar konnte nur er das als einzige „Nicht-Schlange“. Seine ominösen Parsel-Kenntnisse halfen ihm also auch in Tiergestalt weiter. Auf diese Fähigkeit hätte er gut und gerne verzichten können, erinnerte sie ihn doch an alles Schlechte in seinem Leben. Den Verbotenen Wald erreichte Harry Anfang Herbst. Er hatte es tatsächlich geschafft! Nun war er sicher. Niemand würde ihn hier vermuten und suchen. ~•~•~•~•~•~ Langsam kehrte Harry erneut in die Gegenwart zurück. War es schon soweit? 'Tempus dies' sprach er in Gedanken seinen modifizierten Zeitzauber aus und vor seinem inneren Auge erschien prompt die Anzeige „0:04 Uhr, 31.07.“, um kurz darauf wieder zu verblassen. Ergeben seufzend sah er zum Sternenhimmel hinauf. "Alles Gute zum Geburtstag, Harry!" gratulierte er sich selbst. Seinen 18. Geburtstag hatte er allein in Pferdegestalt irgendwo in den East Midlands von Derbyshire verbracht. Aber es war trotzdem der schönste Geburtstag, den er bis dahin erlebt hatte, weil es der erste ohne die Dursleys war, welche ihm sonst jedes Mal seinen Ehrentag vermiest hatten, kein vergebliches Warten auf Geschenke mehr, die doch niemals kamen. Von seinen Verwandten hatte er nie welche erhalten und seine Freunde hielten sich immer strikt an Dumbledores Nachrichtensperre während der Sommerferien und überreichten ihm seine Geburtstagsgeschenke erst später beim Wiedersehen im Hogwarts-Express. Nur Hedwig, seine Eule vermisste er schmerzhaft an diesem Tag. Sie war von einem Todesser getötet worden als sie ihn gerade noch rechtzeitig durch einen Warnschrei vor einem Hinterhalt warnte und dadurch allen Mitgliedern seiner Widerstandsgruppe das Leben rettet, doch das war nur ein kurzer Aufschub, gegen Voldemort und seine Heerscharen von Vasallen hatten sie keine Chance. Nun gab es schon seit Jahren keine Freunde und keine Hedwig mehr. Aber das war lange her. Genug der alten Erinnerungen! Seit vier Minuten war er 28 Jahre alt und wie jedes Jahr nach seiner spektakulären Flucht stand er hier am Waldrand, sicher verborgen in den Schatten des Waldes, schaute auf das vom Mondlicht und von den Sternen beschienene Schloss und hing seinen Erinnerungen nach. Und jedes Jahr wurde er sentimentaler. Er musste damit aufhören. Vergangenes kam niemals wieder. Aber zehn einsame Jahre hinterließen allmählich ihre Spuren. Plötzlich erstarrte sein ganzer Körper innerlich, äußerlich war ihm nichts anzumerken, das hatte er jahrelang trainiert. Irgendjemand beobachtete ihn, das konnte er deutlich spüren. Behutsam lies er seine Magie ihre Fühler ausstrecken, um herauszufinden, wer ihn beobachtete und wo der heimliche Lauscher sich versteckte. Da, beim umgestürzten Baum schräg links hinter ihm. Harry drehte langsam seinen Kopf und schaute seinem Gegenüber direkt in die Augen. Grün traf auf Gelb und für kurze Zeit schienen nur sie beide zu existieren. Dann war alles wieder normal. Aufatmen! Kein Zauberer, nur eine riesige Schlange, die sich ausruhte, nur ein weiterer Bewohner des Waldes genau wie er. Harry beruhigte sich wieder. Keine Gefahr! Noch einmal blickte er mit ein wenig Wehmut zurück auf Hogwarts, dann drehte er sich um und lief in die Tiefe des Waldes hinein. _________ * UTZ – Grad „Unheimlich toller Zauberer“ Nach erfolgreichen Abschlussprüfungen am Ende der siebenten Klasse erwerben Hogwarts-Schüler UTZs in ihren Oberklasse-Fächern, die für bestimmte Berufsausbildungen notwendig sind. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)