Ecce equus niger von AomaSade (LV x HP) ================================================================================ Kapitel 4: Kriechtier --------------------- Unwillig streckte Nagini ihren fast fünf Meter langen Schlangenkörper, welcher eingerollt vor dem warmen Kamin im Master-Schlafzimmer lag. Sie hatte viel zu wenig geschlafen, war ja auch erst bei Sonnenaufgang heimgekehrt. Momentan hatte sie besonders üble Laune, weil sie müde und hungrig war. Eine Kombination, die für jeden tödlich enden konnte, der ihr an diesem Morgen begegnete. Und Schuld daran war einzig und allein dieses Pferd. Die Begegnung letzte Nacht hatte sie komplett aus der Bahn geworfen. Dabei fing gestern Abend alles ganz normal an. ~•~•~•~•~•~ Voller Vorfreude und bereits im Jagdfieber steuerte Nagini auf den Verbotenen Wald zu. Immer nur handzahme Ratten und Kaninchen im Manor zu erbeuten, war so langweilig und öde. Die sprangen ja beinahe freiwillig auf ihren Teller. Wie viel aufregender war da die Jagd auf saftige Wehrratten* im Verbotenen Wald. Allemal spannender als die Alternative: Allein daheim! Heute war ihr Meister nämlich bereits am frühen Nachmittag zu seiner monatlichen Haupt-Todesserversammlung aufgebrochen und kam erst spät mit seinem Gefolge zurück. Also war das Manor bis auf die Hauselfen und eine sehr gelangweilte Schlange leer gewesen. Es gab nicht einmal stupide Todesser zum Ärgern, denn die Teilnahme an der Hauptversammlung war Pflicht, selbst ihr Lieblings-Todesser-Schnösel hatte schon so zeitig Feierabend gemacht, dass er sich noch standesgemäß herausputzen konnte, anstatt ihr als Unterhaltung zu dienen. Das würde ein Nachspiel haben. In letzter Zeit ging es auf diesen Treffen nur um Politik und Regierungsgeschäfte, weshalb sie immer häufiger zu Hause blieb. Ach, waren dass noch Zeiten, als es ungehorsame Todesser und Feinde im Überfluss zum Fressen gab. Oft dürfte sie damals ihrem Meister bei den Bestrafungen helfen und Giftzähne in zuckendes Fleisch schlagen. Aber da seit etwa zehn Jahren Frieden herrschte und die neue Regierungspolitik einen etwas gemäßigteren Führungsstil verlangte, gab es für sie nur noch Kleingetier. Nun, wenn alle ausflogen, dann würde sie sich eben auch auswärts vergnügen und auf die Pirsch gehen. Gesagt – getan. Wehrratten konnten nur in den wenigen Stunden vor Mitternacht erfolgreich gejagt werden, später verzogen sich die Tiere in ihre sicheren Schlupfwinkel, um zu ruhen. Hmm, wo sollte sie sich auf die Lauer legen? Die Pilzgründe bei den Felsenhöhlen? Zu weit weg, dass schaffte sie nicht mehr rechtzeitig. Der alte Kyrith-Baum** auf der kleinen Anhöhe in der Nähe des Großen Sees am Waldrand? Die Früchte müssten Ende Juli schon alle faulend auf dem Waldboden liegen und würden Wehrratten unwiderstehlich anziehen. Ja, dort würde sie ihr Jagdglück versuchen. Die dummen Ratten wälzten sich mit Inbrunst in den herab gefallenen überreifen Kyrith-Früchten, um sich mit deren speziellem Schalengeruch zu parfümieren und gleichzeitig die schmackhaften Kerne freizulegen. Dabei achteten sie überhaupt nicht auf ihre Umgebung und waren somit leichte Beute. Vorsichtig, fast lautlos glitt Nagini zu einem halb vermoderten Baumstamm, um sich in der kleinen Senke darunter zu verstecken und auf ihr Abendessen zu warten. Während die Zeit verstrich, beobachtete sie träge die Gegend. Durch das Blätterdach der Bäume funkelten vereinzelnd Sterne, der Mond spiegelte sich im Großen See. Es war eine traumhafte Nacht, nur leider kamen darin keine Wehrratten vor. Wo blieb ihre Jagdbeute? Es war bald Mitternacht! Dann sah sie es! Regungslos stand das Tier dort, schien versunken in den Anblick von Hogwarts zu sein. Allmählich erkannte sie die Silhouette eines Pferdes, welche sich nebulös im Schatten des Waldrandes abzeichnete. Was machte ein Pferd nachts in diesem für nichtmagische Tiere gefährlichen Wald? Es musste vom Gestüt sein. Aber ihr Meister hatte gar nicht erwähnt, dass er eines seiner Rassepferde vermisste. Natürlich könnte es auch erst heute Abend ausgebrochen sein, nachdem ihr Herr den gemeinsamen Wohnsitz verlassen hatte? Aber das war eigentlich ausgeschlossen, starke Schutzbanne hielten die Vollblüter auf den Riddle-Ländereien fest. Wenn es nicht vom Riddle Gestüt war, wem gehörte es sonst und wie kam es hierher? Oder war es eines dieser freilebenden Wildponys und hatte seine Herde verloren? Nein, Ponys waren doch diese zwergenhaften Pferdchen und das stattliche Tier vor ihr war alles andere, aber auf keinen Fall klein. Hatte es überhaupt einen Herrn? Es kam ihr so frei und ungezähmt vor. Plötzlich spürte Nagini eine hauchzarte, irgendwie suchende Berührung, die sehr vertraute Magie strich federleicht über ihren gesamten Körper. War ihr Meister schon zurück von seiner Versammlung und auch hier? Unmöglich, er mied den Wald wie die Pest. Sie schwelgte noch in der unverhofften Streicheleinheit, dass sie beinahe nicht bemerkte, wie sich der Pferdekopf langsam in ihre Richtung drehte und leuchtende grüne Augen direkt in ihre gelben starrten. Die Zeit schien still zu stehen. Nagini war wie gebannt von diesen hypnotischen Augen, die sich nun wieder abwendeten und noch einmal fast wehmütig zum Schloss blickten, bevor das Tier sich umdrehte und nah an ihr vorbei tiefer in den Verbotenen Wald lief. Ein Pferd ohne Schlangenphobie und anscheinend mit Zauberkräften? Nagini war verblüfft. Das konnte kein normales Pferd sein! Aber was war es? Auf jeden Fall männlich, sie hatte überdeutlich seinen … also sein … es war hundertprozentig ein Hengst, ein schwarzer Hengst. Und ganz sicher kein Animagus! Das hätte sie gerochen, denn ein klitzekleiner Rest des menschlichen Geruches blieb immer haften, auch wenn Animagi Wochen oder sogar Monate in ihrer Tiergestalt verblieben. Ein Einhorn? Kein Horn, falsche Fellfarbe! Ein Dämonenpferd? Keine glühenden eisblauen oder orangeroten Augen, keine Schwefelrauchschwaden! Ein Zentaur? Einen männlichen Oberkörper hätte sie garantiert nicht übersehen! Welche Wesen mit Pferdegestalt gab es sonst noch? Der schwarze Hengst besaß Magie. Ein magisches Pferd! War es wie sie an einen Zauberer gebunden? Unwahrscheinlich, nur ihr Meister war mächtig genug, um ein schwarzmagisches Tier-Bindungsritual durchzuführen und er war schon mit ihr verbunden, Doppelbindungen waren nicht möglich! Ein Zauberpferd? Ein geheimnisvolles Zauberpferd! … Stundenlang verharrte sie wie eingefroren an gleicher Stelle und grübelte vor sich hin, vergaß sogar ihren Hunger und die Jagd nach Wehrratten, lies die ganze Begegnung immer wieder Revue passieren. Ergebnislos und ziemlich frustriert machte sie sich schließlich im Morgengrauen auf den Heimweg. ~•~•~•~•~•~ Zurück im Hier und Jetzt grummelte ihr Magen hörbar. Da hatte sie doch glatt über die nächtliche Begegnung ihren eigentlichen Ausflugsgrund vergessen. Dann gab es eben doch nur wieder Hausmannskost zum Frühstück, dachte sie mürrisch. Und sie brauchte bei diesen deprimierenden Aussichten sofort eine Aufmunterung, wusste auch genau, wer ihr da unfreiwillig behilflich sein würde. Mit neuem Elan verließ sie das Schlafzimmer. Wachsam kroch Nagini den Flur entlang, hielt sich dabei immer in den Schatten verborgen. Sie war auf der Jagd nach einer ganz besonderen Beute. Schon vernahm sie die bekannten Schritte und duckte sich tiefer in den Wandschatten. Freudige Erwartung lies ihr Herz höher schlagen. Als die Person in Reichweite war, schnellte sie hoch und fauchte dem entsetzten Mann mit weit geöffnetem Maul, die Giftzähne sehr dekorativ ausgefahren, mitten ins Gesicht. Malfoy Junior schrie in Panik auf und stolperte mehrere Meter zurück. Nagini konnte ganz deutlich den süßen Geruch der Angst auf ihrer Zunge riechen. Ja, Rache konnte so befriedigend sein, warum musste er auch gestern früher als nötig gehen, selbst Schuld, wenn sie es heute etwas übertrieb. Als Draco bedrohlich zu schwanken begann, wickelte sie geübt ihren Hinterleib um seinen Körper, hob ihn hoch und stellte den reglosen Mann fast liebevoll an die Wand. Er hatte sich bei ihren vorherigen Zusammenstößen einmal sehr arg den Kopf aufgeschlagen und musste danach seine Gehirnerschütterung auskurieren. Über eine Woche war ihr bevorzugter "Spielkamerad" ausgefallen, niemand konnte sie so gut mit seiner schreckhaften Reaktion auf ihre Streiche aufheitern wie eben der Blondling. Seitdem "sicherte" sie ihn immer bei ihrem schon beinahe rituellen Morgenspaß, damit er sich nicht wieder verletzte und nochmal so lange ausfiel. Mit schockgeweiteten Augen und einem keuchend aufgerissenen Mund starrte Draco seiner Panik-Auslöserin direkt in die Augen. Sehr zufrieden, wenn Schlangen lächeln könnten, hätte sie schadenfroh gegrinst, machte Nagini sich weiter auf den Weg zu ihrem Meister. Wie nebenbei schloss sie mit ihrer Schwanzspitze noch den Mund des Blonden und tippte zum Abschied neckisch an seine Wange. Der junge Malfoy würde wie gewohnt noch eine ganze Weile dort stehen bleiben, um sich von dem Schreck zu erholen. Er hatte panische Angst vor Schlangen und Nagini nutzte das fast jeden Früh schamlos aus. Morgen würde er natürlich wieder einen anderen Weg zum Arbeitszimmer einschlagen, verschlafen und ängstlich um jede Ecke spähend, als ob ihm das etwas nützen würde. Nagini kannte Riddle Manor in- und auswendig, jeden noch so kleinen Schlupfwinkel hatte sie erforscht. Ihr Meister hatte extra auf eine "schlangenkonforme" Bauweise geachtet. Alle Räume, auch sämtliche Ausgänge waren nur für sie mit verzauberten Schlangenklappen ausgestattet. Ein kurzes Berühren der Klappe und sie gelangte überall hin. Da konnte ihr der blonde Schnösel auf keinen Fall entkommen, egal wo er sich versteckte. Malfoy Junior und sie hatten eine sehr ambivalente Beziehung. Die Schlange liebte ihre kleinen Zusammenstöße am frühen Vormittag. Der Blonde sah das sicher völlig anders. Er war absolut kein Morgenmensch und so schlich er vor Arbeitsbeginn meist noch nicht ganz wach durch die Flure, war dadurch ein perfektes Opfer. Nagini konnte ihn dann jedes Mal überrumpeln und erschrecken. Danach lies sie ihn meistens den Tag über in Ruhe, es sei denn, er verfiel in diese Malfoy-typische Blasiertheit. Das konnte sie absolut nicht leiden und ergriff Gegenmaßnahmen. Fünf laufende Meter Schlange wickelten sich dann spiralförmig um den Blondling, zogen sich immer enger um ihn zusammen, während Nagini mit ihrem Kopf seine gestylte Frisur durcheinanderbrachte, ihm ins Gesicht züngelte und sich danach langsam von seinem erstarrten Körper ringelte. Diese "Erziehungsmaßnahme" hielt Wochen an. Ha, auch Schlangen konnten eingebildeten Zauberern Benehmen beibringen. Ansonsten tolerierten sie sich stillschweigend, dass hieß, sie nahm keine Rücksicht auf seine Befindlichkeiten, schließlich war sie hier zu Hause und er machte riesige Umwege, hielt größtmöglichen Abstand zu ihr, ging immer äußerst vorsichtig durch das Herrenhaus, überall ihren Hinterhalt erwartend. Ja, sie hatte ihn gut erzogen, dachte Nagini zufrieden. Bevor sie um die nächste Ecke verschwand, sah sie noch einmal zurück. Malfoy lehnte nach wie vor bewegungslos an der Wand und atmete hektisch, war völlig aus der Fassung gebracht. Zwar immer noch hungrig, jetzt aber viel besser gelaunt, fast fröhlich setzte Nagini ihren Weg fort und gelangte durch ihren persönlichen Schlangeneingang in das Arbeitszimmer ihres Herrn, der wie jeden Morgen an seinem Schreibtisch saß und zuerst seine Korrespondenz durchsah. Eine Tasse mit dampfendem Kaffee stand auf einen Tablett bereit, daneben lagen die aktuellen Tageszeitungen. Nagini kroch zum Schreibtisch, schlängelte sich um die Rückenlehne des Ledersessels und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Herrn, gut gelaunt raunte sie ihm ins Ohr: „Guten Morgen, Meister. Dein Sekretär kommt wie immer etwas später.“ „Dir auch einen schönen guten Morgen“, antwortete Voldemort während er kurz zu ihr blickte und dann weiter ein Schreiben zu Ende korrigierte. „Was hast du wieder mit ihm gemacht, meine Liebe?“ „Nichts!“, sagte Nagini, ganz die Unschuld in Person. „Vielleicht habe ich ihn ein wenig angefaucht und sein Gesicht etwas gekitzelt“, gab sie dann aber zu. Langsam legte Voldemort das fertig berichtigte Schreiben beiseite und schaute sehr ernst zu seiner Schlange: „Nagini, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst meinen Sekretär nicht schon vor Arbeitsbeginn erschrecken sondern erst nach Feierabend. Jetzt ist der gute Draco wieder den halben Tag nicht zu gebrauchen.“ Verschwörerisch beugte er sich näher zu ihr: „Hat er wieder den Mund auf- und zugeklappt wie ein Fisch auf dem Trockenen?“ Nagini zischelte amüsiert: „Ja, und dazu seine weit aufgerissenen Augen – herrlich. Der Blondling war heute wieder besonders schreckhaft.“ Voldemort zwinkerte ihr zu, während er schmunzelnd nach der Kaffeetasse griff und sich den Zeitungen zuwandte. „Soll ich dir noch ein paar Ratten zum Frühstück zaubern, meine Liebe?“ Naginis Magen knurrte laut als Antwort und kurze Zeit später huschten drei schöne, fette Ratten durchs Arbeitszimmer. Aber bevor sie sich auf ihre Beute stürzte, genoss sie noch die Magie ihres Meisters, welche ihr wohlige Schauer über den Körper schickte. Noch in angenehmen Nachwirkungen gefangen, fing sie ihr Frühstück ein und verspeiste es gemütlich. Es war immer so, wenn ihr Herr zauberte und sie in der Nähe war. Als magisch gebundenes Tier reagierte sie empfindlich auf die Magie ihres Meisters, konnte sie mit ausgeprägten Sinnen fühlen, die nur sie aufgrund ihrer engen Bindung besaß. Die gleichen wunderbaren Gefühle hatte sie auch gestern Abend im Verbotenen Wald gespürt, fiel ihr jetzt wieder ein. Und ihr Meister war überhaupt nicht dort gewesen, überlegte sie weiter. Er betrat nie den Wald, hielt deutlich Abstand und hatte auch seinen Untergebenen unter Todesandrohung den Zutritt verboten. Seltsam! Sehr seltsam! Als wenn dort etwas wäre, das ihr Meister verscheuchen würde, wenn er sich näherte. Wo kam dieser Gedanke auf einmal her? Im Verbotenen Wald gab es ihres Wissens nichts, was ihren Meister interessieren würde, nur unbedeutende magische Kreaturen wie Einhörner, Riesenspinnen, Zentauren, Werwölfe ... und neuerdings ein Zauberpferd, welches die absolut gleiche Magie besaß wie ihr Meister. Sie hatte es mit allen ihren Sinnen gespürt und geschmeckt. Irrtum ausgeschlossen! Wie war das möglich? „Nagini, alles in Ordnung?“ Voldemort blickte besorgt zu seiner mitten in der Bewegung erstarrten Schlange. Entschlossen beendete diese gerade ihre verwirrenden Überlegungen. Sie brauchte dringend eine Gedankenpause. „Ich werde ein Sonnenbad nehmen“, verkündete Nagini zusammenhanglos und glitt durch die Fenstertür nach draußen. Stirnrunzelnd widmete sich der Dunkle Lord wieder seiner Zeitung. Die Sonnenterrasse war einer ihrer Lieblingsplätze. Sie umfasste die gesamte Fensterfront des Arbeitszimmers und wurde gartenseitig von einer extrabreiten Mauer und einer großen Freitreppe begrenzt. Mindestens eine Fenstertür war die meiste Zeit des Jahres tagsüber offen oder angelehnt, weil es der kürzeste und bequemste Weg für jeden zu den Gärten, Koppeln und Ställen war. Faul und nach dem ausgiebigen dreiteiligen Frühstück endlich satt ruhte Nagini lang ausgestreckt auf der Terrassenmauer und sonnte sich. Die Sonnenstrahlen hatten die Steine unter ihr wunderbar erwärmt und tanzten jetzt über ihren Schlangenkörper, brachten ihr smaragdgrünes Rautenmuster wie Edelsteine zum Funkeln und Glitzern. Langsam schlummerte sie ein, nahm kaum noch war, wie ihr Meister auf die Terrasse trat, an ihr vorbei die Treppenstufen hinablief und seinen täglichen Rundgang begann. Gegen Mittag wurde sie von eiligen Schritten geweckt, die stockten, dann einen großen Bogen um ihren Schlafplatz machten und anschließend zu den Koppeln weiterliefen. Ah, der gute Draco hatte sich von ihrer morgendlichen Tuchfühlung erholt und wollte seinen Lord sicher an das bevorstehende Treffen mit diesen Ausländern erinnern. Noch nicht ganz wach beobachte sie wie der blonde Sekretär auf ihren Meister zuging und ihn ansprach. Voldemort nickte ab und zu, wobei er weiter bequem am Koppelzaun lehnte und seinen Jährlingen beim Herumtollen zuschaute. Ihr Meister war schon immer ein großer Pferdeliebhaber gewesen und hatte sich hier mit der Zucht und Haltung von Rassepferden seinen großen Wunschtraum erfüllt. Nagini hatte nie verstanden, was ihr Herr an Pferden so anziehend fand, für sie waren es nur hochbeinige heufressende wankelmütige Biester mit kurzem Fell und scheinbar angeborener Schlangenphobie. Aber nun war alles anders, nun kannte sie ein Zauberpferd, von dem niemand wusste und war völlig von ihm fasziniert. Sie würde dieses Geheimnis noch eine Weile für sich behalten und ihrem Meister vorläufig nichts erzählen. Der Hengst schien seine Freiheit zu lieben und sie kannte Voldemort gut genug, um zu wissen, dass er schöne und edle Dinge liebte und "sammelte". Und so ein prachtvolles Tier würde er sofort einfangen lassen. Es tat Nagini weh, nur daran zu denken, dieses wundervolle Pferd eingesperrt zu sehen. Hmm ... andererseits wäre es dann immer nah bei ihr und in Sicherheit. Der Dunkle Lord beschütze sein Eigentum, dem Hengst würde es hier gut gehen und die Ländereien von Riddle Manor waren riesig, der goldene Käfig dementsprechend groß. Aber es wäre immer noch ein Käfig! Nein, dass konnte sie ihrem Zauberpferd nicht antun. Sie würde seine Existenz geheim halten und nur im Notfall preisgeben. Punkt! Allerdings konnte es nicht schaden, das Tier im Auge zu behalten. 'Wie sah es wirklich aus?', fragte sie sich neugierig. Heute Nacht hatte sie die Pferdegestalt nur schemenhaft gesehen. Plötzlich schoss Nagini ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. War ihr Zauberpferd überhaupt noch da? Vielleicht war es nur auf der Durchreise und längst verschwunden? Nagini brauchte unbedingt Gewissheit. Sofort! Sie würde selbst nachschauen. Das Spionieren und Auskundschaften hatte sie an Voldemorts Seite im Krieg perfektioniert und sie hatte ein Heer von Verwandten, die ihr wie immer helfen würden. Aufgrund ihres magischen Bundes mit dem mächtigsten Zauberer der Welt verehrten alle Schlangen Nagini wie eine Königin, ihr Wort war Gesetz unter den schlangenartigen Kriechtieren. Voller Tatendrang verlies sie die Terrasse in Richtung des Verbotenen Waldes, wobei ihre Gestalt immer mehr schrumpfte, bis sich nur noch eine knapp zwei Meter lange, dünne unscheinbare Schlange mit dunkelgrünem, fast schwarzem rautenförmigen Muster im Gras fortbewegte. Nagini im Kleinformat hatte absolut nichts von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt, statt auf Muskelkraft und Gift konnte sie nun auf Schnelligkeit und hochkonzentriertes Gift vertrauen, bei ihr traf auch die Faustregel des Tierreiches zu: Je kleiner, desto giftiger. Blitzschnell konnte sie jemanden überwältigen, nur ein kleiner Ritz mit ihren Giftzähnen und Derjenige war schon tot, bevor er noch einmal blinzeln konnte. Wo sollte sie mit ihrer Suche beginnen? Der Verbotene Wald erstreckte sich über hunderte Quadratkilometer, manche Gebiete im Inneren waren so dunkel und böse, da traute nicht einmal sie sich hin, sicherlich auch kein Pferd. Sie würde einfach am Anfang beginnen! Ihr Zauberpferd hatte vom Waldrand auf den Großen See und Hogwarts geblickt. Vielleicht wussten die Wasserschlangen etwas. Schnell huschte sie davon. Am Seeufer angekommen, erfuhr sie nur, dass ein schwarzes Pferd seit ungefähr einem Jahrzehnt einmal um die Jahresmitte am Waldrand auftauchte und dann wieder für ein Jahr verschwand. Nun, auf jeden Fall wusste sie jetzt, wo sie ihren Hengst in einem Jahr finden würde, dachte sie ironisch. Dann eben auf die altmodische Methode, sie würde einfach ihren Instinkten vertrauen und folgte der Richtung des Weges, auf welchem das Zauberpferd in den Tiefen des Waldes nach ihrer Begegnung verschwunden war. Missmutig sah Nagini sich um. Sie war nun schon unzähligen Hinweisen von hilfsbereiten Nattern und Schleichen nachgegangen. Es wurde langsam Abend und auch hier auf dieser Waldlichtung – nichts! Die Schlange wollte schon weiterkriechen, als sie Vibrationen wahrnahm und sich abermals tiefer ins Gras am Rande der Lichtung duckte. Nur eine Herde Einhörner, dachte sie enttäuscht, als sich die scheuen Tiere auf der Waldwiese verstreuten. Und dann war er da, der schwarze Hengst stand plötzlich inmitten der grasenden Einhörner, schien sich mit ihnen zu unterhalten, während er aufmerksam seine Umgebung beobachtete. Endlich hatte sie ihr Zauberpferd gefunden! Nagini war begeistert von seiner Schönheit. Im verblassenden Tageslicht glänzte sein Fell rabenschwarz, seine schimmernde Mähne reichte bis zu den Knien, wehte sanft im Abendwind und die Augen waren tatsächlich samtgrün. Wunderschön. Dann spürte sie es wieder, das kaum wahrnehmbare suchende Tasten von bekannter Magie. Wie fixiert starrte sie auf ihr Zauberpferd, nahm nichts anderes mehr wahr. Und schrie plötzlich voller Qual auf, weil sich die messerscharfen Zähne einer Werhyäne* tief in ihren Hals bohrten, immer wieder nachfassten, sie praktisch aufzuschlitzen begannen. Das Raubtier kannte genau den einzigen Schwachpunkt einer Schlange, um sie wehrlos zu machen. Nagini konnte ihren Kopf nicht drehen, somit ihr Gift nicht einsetzen. Ihre Sicht begann zu verschwimmen. Dann hörte sie das ohrenbetäubende Trommeln von Hufen, wurde hin und her geschleudert und fiel kurz darauf kraftlos zu Boden, als die Zähne der Hyäne sie losließen. Sie vernahm Kampfgeräusche, die in einem grauenvollen Heulen und Kreischen endeten. Sehr undeutlich sah sie ihren Angreifer besiegt auf drei Pfoten weghumpeln. Sie konnte sich kaum bewegen. Besorgt trat das schwarze Pferd neben sie und äußerte bedauernd: „Ich kann dir nicht helfen, die Wunde ist zu groß. Du brauchst einen Heiler. Die Zentauren …“ Angestrengt und unter Schock versuchte sie die richtigen Worte zu formen: „Da-danke … rettt-ten … m-mein … Meister … hilft … heilen.“ In ihrem geschwächten Zustand fiel Nagini gar nicht auf, dass sie sich mit jemandem unterhielt, der weder eine Schlange noch Voldemort war. Verwundert fragte der Hengst: „Dein Meister, du hast einen Meister? Wer?“ „ ...Vol-Voldemort“, antwortete sie unter Schmerzen. Ihr Retter schluckte krampfhaft: „Nagini? Du bist Nagini!“ Die Schlange sah ihn erstaunt an und nickte. Der schwarze Hengst schien unschlüssig, was er nun tun sollte. Nein, er schien eher Angst davor zu haben, was er tun musste. Schließlich resignierte er kopfschüttelnd und kniete sich mit den Vorderbeinen nieder und senkte den Kopf auf die Erde: „Du musst versuchen auf meinen Rücken zu kommen, damit ich dich nach Hause tragen kann.“ Nach mehreren mühsamen Anläufen hatte Nagini es geschafft, sich über den Pferderücken zu hieven und ihr Schwanzende um den Pferdehals zu schlingen, damit sie nicht herunterrutschte. Der Hengst stand behutsam wieder auf und lief vorsichtig mit seiner Last durch den Wald in Richtung Voldemorts Anwesen. Die Wärme des Pferdekörpers und die Reste der verwendeten Magie taten ihr gut und die schaukelnde Tragebewegung lullte sie langsam ein, daran könnte sie sich direkt gewöhnen, aber dann stutzte sie irritiert: „Woher kennst du mich und weist, wo ich wohne?“ „Die Bewohner des Waldes reden und ich höre zu“, war die kryptische und leider abschließende Antwort ihres Wegbegleiters, obwohl ihr Wissensdurst nicht gestillt war. „Warum bist du eigentlich so kurz und dünn?“, fragte ihr Reittier nach einer Weile. Nagini hob den Kopf und schielte zum Pferdekopf. Wie viel konnte sie verraten? Unerklärlicherweise vertraute sie „ihrem Zauberpferd“, fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, es war genauso wie sonst nur in Gegenwart ihres Meisters. Daher fing sie nach kurzem Zögern an zu erzählen: „Ich bin das Seelentier von Lord Voldemort. Vor vielen Jahren habe ich ihm das Leben gerettet. Wir kamen ins Gespräch, verstanden uns auf Anhieb und aus Dankbarkeit machte er mir den Vorschlag, mich magisch an ihn zu binden. Ich war davor so lange einsam gewesen genau wie er. Durch den Bund wurde ich ein magisches Tier und kann unter anderem meine Körpergröße nach Belieben ändern. Das ist manchmal äußerst praktisch.“ „Ja, für das Ausspionieren von Gegnern, um sie dann in einen tödlichen Hinterhalt zu locken“, meinte der Hengst verächtlich. Sie sah alten Schmerz in seinen Augen aufflackern. Danach schwiegen beide betroffen und hingen ihren Gedanken nach. Am Waldrand zögerte ihr Lebensretter, als wenn er Schwierigkeiten hätte, aus dem Wald heraus ins Licht zu treten. Er drehte den Kopf zu ihr, sah auf ihre großen blutenden Wunden. Dann überwand der schwarze Hengst seine Scheu und betrat die Ländereien von Riddle Manor, folgte dem Hauptweg bis zum imposanten Eingangsportal. Lord Voldemort in legerer Freizeitkleidung, der gerade von einem der Nebengebäude kam und auf die Eingangstreppe zuschritt, drehte sich um, als er das Hufgetrappel hörte und starrte mit seinen blutroten Augen den schwarzen Hengst an, der sich ebenfalls der Treppe näherte. Nagini bemerkte, dass ihr Retter urplötzlich stehen blieb und dann so ruckartig kehrt machte, dass sie durch den Schwung herunterfiel und fasst noch von den Hufen des davon Galoppierenden getroffen wurde. Unter Schmerzen sah sie sich um und erblickte Voldemort, der wütend seinen Zauberstab zog und damit in Richtung des fliehenden Pferdes zeigte. Nagini wollte nicht, dass „ihrem Zauberpferd“ etwas Schlimmes passierte. Erschrocken fauchte sie: „Meister, nein! Nicht! Er wollte mir nichts tun. Er hat sich nur erschreckt als er Euch sah und dabei bin ich runtergefallen.“ Der Dunkle Lord wusste aus Erfahrung, dass seiner Schlange eine Sache sehr wichtig war, wenn sie in die respektvollere "Ihr"-Anrede verfiel, was nicht sehr oft vorkam. Ein wenig verwundert, da Nagini sonst nur so emotional und beschützend bei ihm reagierte, senkte Voldemort seinen Zauberstab, während er dem entschwindenden Hengst nachblickte. Anschließend kniete er sich zu seiner Schlange hinunter, streichelte liebevoll ihren Kopf und sprach einen komplexen Heilzauber aus. Als dieser anfing zu wirken, begann sie zu berichten: „Meister, es war irgendwie seltsam. Ich war jagen als mich eine Werhyäne aus dem Hinterhalt angriff und verletzte. Wie aus dem Nichts kam er plötzlich angeprescht, verjagte meinen Angreifer und überredete mich, auf seinen Rücken zu klettern, um mich nach Hause zu bringen.“ Nagini schwieg grüblerisch, dann fiel ihr endlich ein, was ihr an der ganzen Begegnung so seltsam vorgekommen war und rief erstaunt aus: „Er sprach die ganze Zeit Parsel mit mir!“ Langsam erhob sich ihr Meister aus seiner knienden Position und sah nachdenklich zum Verbotenen Wald, schließlich verzog sich sein Mund zu einem Lächeln: „Herzlichen Glückwunsch, Nagini! Du hast Harry Potter gefunden!“ Der Schlange hatte es erst einmal die Sprache verschlagen, ähnlich wie Malfoy Junior heute Vormittag klappte sie ihr Maul auf und zu. „Jetzt ergibt alles einen Sinn“, flüsterte Voldemort fast ehrfürchtig. Abrupt drehte er sich um und eilte ins Haus. Nagini sah perplex von dem einen Weglaufenden zur übrig gebliebenen Staubwolke des anderen. Harry Potter war endlich wieder aufgetaucht und ihr Meister, der bisher nichts unversucht gelassen hatte, um seiner habhaft zu werden, lies ihn einfach entkommen und tat nichts, um ihn aufzuhalten. Sie verstand die Welt nicht mehr. Aber sie kannte jemanden, der die Antworten wusste. Flink folgte sie diesem. _________ * Auszug aus „Lexikon der magischen Tiere und Wesen“, Seite 1.246 und 2.391, M.&Boyle Verlag 1894 Wehrratten (Rattus pugnator) sind drahtige, katzengroße Raubtiere, die im Aussehen Ratten ähneln und sehr wehrhaft sind. Der Name leitet sich von den Wörtern „wehren“ und „Ratte“ ab. Diese Tiere sind keine Therianthropen (Mensch-Tier-Wandler; Beispiele: Werwolf, Werpanther, Werhyäne), wie oft irrtümlich angenommen. Nahrung: Kleingetier, Gelege, Pilze, Früchte, Beeren Vorkommen: Große Populationen gibt es im Verbotenen Wald und in den Elfenmooren von Lanara. Werhyänen (Virhyaenidae) sind Therianthropen (Mensch-Tier-Wandler), ähneln im Aussehen einer normalen Tüpfel- oder Fleckenhyäne Nahrung in Tierform: Schlangen und andere Kleintiere, Aas _________ ** Auszug aus „Lexikon der magischen Pflanzenwelt“, Seite 837, M.&Boyle Verlag 1843, überarbeitete 2. Neuauflage 1896 Kyrith-Bäume (Cyrithea) sind den Kastanien ähnliche Riesenbäume mit neunfingrigen Laubblättern. Ihre nichtstacheligen Früchte mit der dicken weichen Schale und dem nahrhaften Doppelkern locken mit ihrem betörenden Duft Kleinnager an, die durch das Ausscheiden der unverdaulichen Innenkerne für den Fortbestand und die Ausbreitung der Baumart sorgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)