Ecce equus niger von AomaSade (LV x HP) ================================================================================ Kapitel 11: Offenbarung ----------------------- Ein aufgebrachter Voldemort zwang sich regelrecht, einen Schritt nach dem anderen weg von seinem beinahe ertrunkenen Seelengefährten zu gehen. Es kostete seine ganze Willenskraft, diesen in Angus' Obhut zu lassen. Wie gern wäre er bei ihm geblieben. Aber der schwarze Hengst würde bald aus seinem Erschöpfungsschlaf aufwachen und sehr enttäuscht über eine weitere missglückte Flucht sein. Und wenn dann auch noch ein Dunkler Lord alias Todfeind an der Boxentür stand, würden die Emotionen nur unnötig hochkochen. Tom wollte nicht riskieren, dass Harry bei seinem Anblick gleich wieder in Panik ausbrach. Er sollte sich erst einmal vollständig von seinem waghalsigen, beinahe tödlichen Tauchmanöver erholen, ehe sie beide erneut aufeinandertrafen. Missmutig setzte Voldemort seinen Weg fort. So ging das einfach nicht weiter. Die Verletzungen häuften sich bei immer riskanter werdenden Fluchtversuchen. Eine neue Strategie musste her! War es wirklich ein kluger Schachzug gewesen, Harrys Versteckspiel mitzumachen und ihn so an die Gegenwart seines Seelengefährten zu gewöhnen oder sollte Tom doch endlich dessen „geheime“ Identität aufdecken? Aber würde es dann tatsächlich besser werden oder nur noch viel, viel schlimmer? Auf diese Frage hatte er keine Antwort parat und das wurmte ihn gewaltig. Zum Glück hatte er Angus gleich zu Beginn von Harrys „Einquartierung“ vom Fluch des Meldezwanges befreit. Er hatte gewusst, dass sein scharfsinniger Stallmeister irgendwann hinter das Geheimnis des schwarzen Hengstes käme. Aber das er es schon seit Monaten vermutete – Voldemort war beeindruckt und froh über seine weise Voraussicht. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Ministerium Wind vom Aufenthaltsort des meist gesuchten Zauberers der Welt bekäme. Harry Potters Rückkehr würde einschlagen wie eine Bombe und einen gewaltigen Aufruhr verursachen. Die Gerüchteküche würde brodeln und mit der Ruhe wäre es hier, in Hogwarts, nein im ganzen Land vorbei. Das konnte er im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Deshalb würde er alle Todesser und Besucher, einfach jeden, der auf den Riddle Ländereien zu tun hatte, von den Meldeflüchen befreien. Denn die Sicherheit seines Gefährten stand für ihn an oberster Stelle. Leider boykottierte Harry hartnäckig alle Bemühungen zu seinem Schutz und unternahm wie gerade eben selbstmörderische Ausflüge. Warum setzte er nur so leichtfertig sein Leben aufs Spiel? Das war nicht normal. Der gerade aufgegangene Mond spiegelte sich im Großen See ebenso wie die funkelnden Sterne wider und Riddle Manor erstrahlte herrschaftlich im silbrigen Licht. Aber der Dunkle Lord schenkte all dem keine Beachtung, sondern erklomm unwirsch die Terrassentreppe und betrat sein leeres Haus. Er stockte. Leer? Seit wann irritierte es ihn, allein zu sein? Das Innere des Manors war nur vom Mondlicht schattenhaft erhellt. Trotzdem durchschritt Voldemort zielsicher die Eingangshalle, erklomm die Treppe zum Obergeschoss und verschwand in den Räumlichkeiten der Herrschaft. Wie auf Kommando flammte das Feuer im Kamin auf und verbannte mit seinem Prasseln die Stille des Zimmers. Verdrossen ließ sich der Herrscher der Zaubererwelt in einen der Sessel nahe am Feuer fallen und sinnierte bei einem Glas Château Pétrus über die Geschehnisse des heutigen Abends.   Weil Nagini auf nächtlicher Pirsch war, hatte er im Arbeitszimmer noch ein paar Gesetzesentwürfe durchgesehen, als ein verzweifeltes Schattenpferd erstmalig seinen Geist betrat und verstört umherlief. Warum kam es – freiwillig – zu ihm? Das war nicht normal! Gleich danach stürzte eine Flut von beklemmenden Gefühlen auf ihn ein, schnürte ihm irgendwie die Luft ab. Mit seinem Seelengefährten stimmte etwas nicht, er war in Gefahr! Sofort sandte Voldemort seine Magie aus, um Harry zu lokalisieren, aber er konnte ihn nicht finden. Weder befand er sich auf den Riddle Ländereien noch irgendwo außerhalb davon. Das war unmöglich. Nur ein toter Seelengefährte wäre nicht auffindbar. Aber durch ihre Bindung spürte Tom ganz genau, dass Harry am Leben war. Auch das Schattenpferd irrte nach wie vor verzweifelt – aber nichtsdestotrotz putzmunter – durch seinen Verstand, suchte vermutlich sein Gegenstück. Was hatte Harry getan? Wo war er? Voldemort disapparierte auf der Stelle an den Rand des Verbotenen Waldes ganz in der Nähe des Gestüts und untersuchte den Bannkreis. Er war nicht durchbrochen oder berührt worden. Sein Gefährte befand sich also immer noch irgendwo auf dem Gelände. Die Koppel war leer, die Stalltüren offen. Suchten Angus und die Stallburschen bereits nach dem schwarzen Hengst? Der Dunkle Lord schickte seine Magie nach dem Stallmeister aus. Erst nach einer ganzen Weile konnte er ihn am Ufer des Großen Sees aufspüren und zu seiner großen Erleichterung auch den Vermissten. Der See! Natürlich! Im See wirkten keine Zauber! Harry war im Wasser, nein, unter Wasser gewesen. Darum bekam dieser keine Luft. Schnell disapparierte er zum See und atmete befreit auf, als er zwei klatschnasse Gestalten am Ufer sah. Harry keuchte schwer, aber war lebendig. Merlin sei Dank. Offenbar hatte Angus ihn aus dem Wasser gezogen und so vor dem Ertrinken gerettet. Voldemort versuchte, sich zu beruhigen, seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Gar nicht so einfach, wenn das Schattenpferd in seinem Kopf zusammen mit seinem wiedergefundenen Kameraden gerade seelenruhig in Richtung Nebelwand trabte, als sei überhaupt nichts passiert. Als hätte Voldemorts Seelengefährte nicht soeben einen Todeskampf um Atemluft ausgefochten. Die bedrückenden Gefühle von Harry waren jedenfalls verschwunden. Nur der Geist des Dunklen Lords blieb roh zurück.   Das Feuer knisterte vor sich hin. Ein immer noch aufgewühlter Voldemort trank einen Schluck von seinem Lieblingswein, aber dieser schmeckte schal. Wie wahrscheinlich alles, was er heute Abend zu sich nehmen würde. Er stellte das Glas beiseite. Unstet wanderten die Augen des Hausherrn durch das Kaminzimmer und blieben an den offenen Türen zu Harrys Suite hängen. Wenn sein Gefährte doch nur erst gemeinsam mit ihm hier leben würde. Seufzend rieb Voldemort sich die Stirn und wie immer, wenn ihn diese starke Sehnsucht ergriff, schlenderte er in Harrys Räume. Kleine Lampen glimmten bei seinem Eintritt auf, hüllten alles in sanftes Licht. Vor einem der großen Giebelfenster blieb er stehen und schaute gedankenverloren in die Nacht hinaus, bis sein Blick auf das hell erleuchtete Stallgebäude fiel. Ob der sture Ausreißer schon aufgewacht war? Mit Angus statt ihm an seiner Seite! Verdammt! Er sollte dort sein! Nicht jemand anderer. Das machte ihn so … so ... traurig, wütend, unglücklich, sauer? Am liebsten würde er … Unwirsch knurrend drehte Voldemort sich um. Ablenkung! Er musste sich ablenken, sonst würde er doch noch zu seinem Seelengefährten hinausstürmen. Krampfhaft hielt er sich am Fenstersims fest und atmete mehrmals tief durch. Dann zuckte er entsetzt zusammen. Aus dem großen Wandspiegel gegenüber starrte ihn ein Dämon mit rot glühenden Augen an. Eine dunkle unheilvolle Aura waberte um dessen Gestalt. Wild zerzaustes Haar rahmte das unnatürlich weiße Gesicht ein. Bei Merlin, zum Glück hatte er seinem Impuls nach draußen zu laufen nicht nachgegeben. Harry hätte sich bei seinem Anblick zu Tode erschreckt und wäre gleich nochmal in Ohnmacht gefallen. Frustriert fuhr er mit seinen Händen durch die Haare und strich sie nach hinten. Diese ganze Gefährtensache machte ihn noch ganz kirre. Er reagierte immer öfter völlig unlogisch und impulsiv, wenn es um seinen Seelenpartner ging. Eigenartige Gefühle drohten, ihn zu überwältigen. Was war nur mit ihm los? Voldemort atmete ruhig ein und aus, ließ seine Hände zurück auf die Fensterbank sinken. Allmählich schlug sein Herz wieder normal und die rätselhaften Emotionen ebbten ab. Auch sein Spiegelbild zeigte schließlich sein übliches Selbst – einen strengen beherrschten Dunklen Lord. „Deine Magie ist wundervoll. Ich habe dich lange nicht mehr so feurig wie eben erlebt, Meister“, zischelte eine Stimme wohlig. „Was?“ Voldemorts Kopf schnellte herum. Im Halbschatten verborgen erkannte er Nagini, die um den hinteren Pfosten von Harrys Bett gewickelt war. Ihr ganzer Körper zuckte noch in Ekstase, welche sein ungewollter Magieausbruch bewirkt hatte. Sie schaute ihn verzückt an. „So aufbrausend, so temperamentvoll. So lebendig! Die Gefährtensache tut dir gut“, erklärte sie und wiegte zustimmend ihren Kopf. „Worüber redest du?“, fragte Tom perplex. Nagini schlängelte sich elegant vom Pfosten herab und machte es sich auf der dunkelgrünen Bettdecke bequem, indem sie sich in einen riesigen Kringel verwandelte. Das würde ein längeres Gespräch werden. Ihr Meister war manchmal so blind, da musste sie ihm auf die Sprünge helfen. „Als wir uns kennenlernten, warst du jung, ungestüm und enthusiastisch, aber auch ein außergewöhnlich starker Zauberer. Deine Leidenschaft zur Magie beflügelte dich. Du hattest Spaß und Träume. Dann kamen die Rückschläge und Verunglimpfungen. Dumbledore verhinderte deine Karriere in Hogwarts. Wegen seiner Manipulationen wurdest du auch nicht im Ministerium oder woanders angenommen. Sie ließen dich an deinen Fähigkeiten zweifeln, trieben dich beinahe zur Selbstaufgabe. Rache ist ein kalter und dunkler Pfad. Aber es war der einzige Weg, den dir diese sogenannten „guten“ Zauberer übrig ließen. Im Laufe der Zeit wurdest du immer mächtiger, aber auch eiskalt, berechnend und verbittert. Deine Grausamkeit war legendär. Erst während des Krieges bist du etwas aufgetaut, warst mit Begeisterung bei der Sache. Obwohl ich eher denke, dass dein leidenschaftlicher Kampfgeist mit der Beteiligung von Harry und euren Scharmützeln zu tun hatte. Der Sieg hat dich nicht glücklich gemacht - wie auch, deine fehlende Hälfte hatte sich ja aus dem Staub gemacht und in Luft aufgelöst. Danach warst du nur ... zufrieden, hast in Ruhe dein neues Königreich aufgebaut und regiert. Erst jetzt, seit Harry hier ist, hast du endlich wieder Freude am Leben wie damals in deiner Jugend. Du sprühst wieder vor Energie und Tatendrang. Natürlich bist du immer noch der böse despotische Dunkle Lord. Aber nun ist da diese ... spielerische zarte Note, wenn es um deinen Gefährten geht. Du bist wieder Feuer und Flamme beim Intrigieren und Pläne schmieden. Auch deine nähere Umgebung profitiert davon. Angus, Blondling, Narzissa, Papa Blondie lasse ich mal außen vor, und selbst Snape agieren entspannter in deiner Gegenwart und erfüllen ihre Aufgaben viel effektiver. Du wirst kaum den Respekt deiner Todesser verlieren, wenn du ab und zu, sagen wir mal, etwas toleranter auftrittst oder gar einen Scherz machst.“ Ungläubig runzelte Voldemort die Stirn. „Du willst mir ernsthaft erzählen, dass diese seltsamen ... Stimmungsschwankungen gut für mich und meine Regentschaft sind? Nagini, hast du dir den Kopf gestoßen? Du weist ganz genau, wie sehr ich es hasse, die Kontrolle zu verlieren. Du erinnerst dich sicher noch daran, wie mir ein Kontrollverlust beinahe zum Verhängnis wurde?“ „Meister, damals warst du jung und unerfahren. Heute bist du der mächtigste Zauberer der Welt. Du bist unbesiegbar! Niemand kann dir mehr etwas anhaben. Was kann also groß passieren, wenn du manchmal die Führungszügel etwas lockerer lässt? Die Pferde werden deshalb nicht gleich durchgehen. Genieße endlich dein Leben. Du hast es verdient. Und Harry würde es auch begrüßen. Er steht, glaube ich, nicht so auf dominante Typen.“ „Er steht wohl eher überhaupt nicht auf mich, einerlei wie ich mich verhalte“, erwiderte Voldemort mit einem schiefen Lächeln. Er stieß sich vom Fensterbrett ab und ging zum Bett. Vorab seine Schuhe abstreifend streckte er sich, die Füße über Kreuz, einen Arm unter dem Kopf, neben Nagini auf der Tagesdecke aus. Abwesend starrte er vor sich hin, sprach erst nach einiger Zeit leise weiter: „Er hat immer noch panische Angst vor mir und es wird nicht besser, egal, was ich versuche.“ Die Schlangendame kroch näher und legte mitfühlend den Kopf auf den Brustkorb ihres Meisters. „Du wirst ihn für dich gewinnen. Ich habe ein gutes Gefühl bei euch beiden.“ Unbewusst begann er den Kopf seiner Freundin zu streicheln. „Ich bin am Ende meiner Weisheit und auch meiner Geduld. Was ist, wenn ich die Beherrschung in seiner Gegenwart verliere und ihn endgültig verschrecke?“ Selbstzweifel? Resignation? Ihr Meister war wirklich in seltsamer Stimmung. Da steckte mehr dahinter. „Was ist heute Abend genau passiert?“, fragte sie nach. Die Streichelbewegung hörte abrupt auf und seine Hand ballte sich zur Faust. „Ein erneuter Fluchtversuch“, zischte er. „Ein verdammter, neuer Fluchtversuch, der ihn fast das Leben gekostet hat.“ Er schlug wütend auf das Bett ein. „Weil er unter der Barriere durchtauchen wollte, wäre er heute fast im See ertrunken. Es war knapp, so verdammt knapp! Wenn Angus nicht ...“ Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Der See schluckt Magie. Ich konnte seine Not fühlen. Aber ich konnte Harry nicht finden. Er war einfach weg. Wenn Angus ihn nicht entdeckt hätte … Ich wäre zu spät gewesen, Nagini. Harry wäre gestorben! Er wäre ertrunken! Und ich war nicht da für ihn, konnte ihm nicht helfen. Mein Stallmeister hat ihn entdeckt und aus dem Wasser gezogen. Als ich ankam, war Harry bewusstlos, aber Merlin sei Dank unverletzt.“ Er räusperte sich bewegt. „Angus wird bis zum Aufwachen bei meinem Gefährten bleiben und auf ihn aufpassen, da er mich ja nicht in seiner Nähe haben will. So ein sinnloser Fluchtversuch. Und dabei ist dieses ewige Weglaufen so verdammt unnötig. Hier droht ihm doch keine Gefahr. Es gibt keinen sichereren Platz für ihn als hier auf Riddle Manor an meiner Seite. Aber er weiß es natürlich nicht besser und ich kann es ihm auch nicht erklären, weil ich mich auf dieses dumme Versteckspiel eingelassen habe. Ich bin es leid, so zu tun, als wüsste ich nicht, wer er ist. Ich will meinen Gefährten nicht länger verleugnen.“ Seine Magie fing wieder an, dunkel zu wabern, aber er unterdrückte den Ausbruch beiläufig. „Ich sollte jetzt bei ihm sein!“ Blaue Augen starrten ernst in gelbe, suchten und fanden Verständnis. Naginis Zunge schnellte heraus und stupste aufmunternd an die Wange ihres Meisters. Scharfsinnig wählte die Schlange ihre nächsten Worte: „Ah, ich verstehe. Jemand anderer hat deinen Gefährten gerettet und tröstet ihn nun, was eigentlich deine Aufgabe ist. Und du machst dir jetzt riesengroße Vorwürfe und bist gleichzeitig eifersüchtig. Darum vorhin der feurige Wutausbruch.“ Voldemort runzelte die Stirn und schmunzelte gleich danach. „Du kennst mich wirklich gut, meine Liebe und kommst wie immer gleich zum Kern des Problems.“ „Natürlich kenne ich die tiefsten Abgründe deiner schwarzen Seele, Meister. Ich bin schließlich dein Seelentier“, schnappte seine Freundin spielerisch. „Bist du?“, ging er auf ihre Neckerei ein und wurde mit einem entrüsteten Blick belohnt. „Ganz ruhig, meine Liebe. Du hast ja recht. Vom Kopf her weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war, Angus bei meinem Gefährten zu lassen. Aber ich kann meine Gefühle nicht abstellen, die das Gegenteil wollen. Harry erträgt mich nicht in seiner Nähe. Selbst als Dark habe ich keine Chance mehr. Er misstraut jedem und allem. Nur nachts, während er schläft, kann ich heimlich ein paar gemeinsame Momente stehlen – unterbewusst erlaubt Harry mir, ihn zu berühren und zu streicheln, seine Albträume zu vertreiben. Das bestärkt mich, lässt mich hoffen. Dennoch spüre ich, dass seine Verzweiflung wächst. Er will unbedingt von hier verschwinden, weg von seiner Nemesis, seinem Todfeind. Ich jage ihm nach wie vor panische Angst ein. Ihn mit der sanften 'Ich-weiß-nicht-wer-du-bist-Methode' an meine Gegenwart zu gewöhnen, funktioniert leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Andererseits will ich ihn auch nicht vor den Kopf stoßen, indem ich seine wahre Identität plötzlich enthülle. Das könnte zu noch mehr Problemen führen. Aber um Harry vor sich selbst und seinen riskanten Fluchtversuchen zu schützen, wird mir wohl am Ende nichts anderes übrigbleiben“, schloss er seine Überlegungen ab. Voldemort nahm das Streicheln wieder auf. In trauter Zweisamkeit hing jeder eine Weile seinen Gedanken nach. „Nagini?“, versonnen verfolgte Tom die Bewegungen seiner Hand. „Hm.“ Die Schlange genoss die Liebkosungen ihres Meisters. „Warum bist du eigentlich hier?“, fragte ein nun sichtlich entspannterer Dunkler Lord seine abgelenkte Freundin. „Was?“ „Ich meine hier, in diesem Zimmer. Du warst schon vor mir hier“, präzisierte Voldemort noch einmal seine Frage. „Warum sollte ich nicht hier sein?“, wunderte sich Nagini. „Du bist doch auch hier. Mir gefällt das Zimmer, trotz der Schwierigkeiten mit dem Reinkommen. Ich bin gern hier, seit der Blondling es so schön eingerichtet hat. Es passt zu Harry. Er wird es mögen und sich hier wohlfühlen. Ob er mich ...“ Sie verstummte geknickt. ‚Ob er mich hier haben will?‘, vollendete Voldemort den angefangenen Satz in Gedanken. Er verstand sein Seelentier auch ohne Worte, wollte das heikle Thema aber nicht weiter verfolgen und lenkte ab: „Ja, es ist schön geworden. Draco hat tatsächlich Talent – für einen Malfoy-Zauberadelsspross.“ Sein Sekretär hatte sich wahrlich selbst übertroffen. Er ließ den Blick anerkennend durch das Schlafzimmer schweifen. Es war wirklich geschmackvoll und funktionell eingerichtet, mit dem Hauptaugenmerk auf Behaglichkeit. Ein großer Schreibtisch, obwohl Harry im Erdgeschoss ein eigenes Büro bekommen würde. Mehrere Regale mit genug Büchern, um eine kleine Bibliothek zu füllen. Einige Schränke mit und ohne Schubladen, um alles Mögliche zu verstauen. Zwei Türen, welche in ein luxuriöses Bad und ein geräumiges Ankleidezimmer führten. Eine gemütliche Sofalandschaft mit vielen Kissen. Weiche Teppiche und Auslegware, die zum Barfuß gehen einluden. Das breite Himmelbett mit Deckenspiegel, auf dem er gerade lag. Gegenüber der imposante Kamin mit zwei bequemen Sesseln zum Entspannen und Lesen. Aber am eindrucksvollsten war das große verzauberte Gemälde von Hogwarts. Bäume und Äste des Verbotenen Waldes traten an den Rand und eröffneten einen fantastischen Ausblick auf das Schloss, welches majestätisch in all seiner Pracht hoch oben auf dem Felsen über dem See thronte. Je nach Tageszeit wechselten die Lichtverhältnisse, auch die Jahreszeiten änderten sich. Kreisende Vögel und vereinzelte Tiere belebten das Bild. Es zog den Betrachter unweigerlich in seinen Bann, vermittelte Ruhe und Harmonie. Obwohl Harry nur aus dem Fenster zu sehen brauchte, um das Original zu erblicken, hatte Voldemort das Kunstwerk in Auftrag gegeben. Ein sehr passendes Geschenk, wie er fand. Er wollte Harry eine Freude machen, ihn willkommen heißen, ihm das Einleben erleichtern. Sein Gefährte schien Hogwarts zu lieben. Nagini hatte ihm von ihrem ersten mitternächtlichen Treffen am Waldrand erzählt und auch, was ihr später die Wasserschlangen berichteten. Nämlich, dass ein schwarzes Pferd einmal um die Mitte des Jahres vom Waldsaum aus sehnsuchtsvoll auf Hogwarts schaute und sich wohl in Erinnerungen verlor. In den letzten Monaten hatte Tom oft selbst den schwarzen Hengst dabei beobachtet, wie er still auf der Weide stand, tief versunken in den Anblick des Schlosses. Er erinnerte sich an samtgrüne Augen, die melancholisch verdunkelt waren. Ja, Harry fühlte sich in der Umgebung seiner alten Schule heimisch. Sonst wäre er nach dem Krieg nicht nach Hogwarts zurückgekehrt und im Verbotenen Wald geblieben, trotzdem sein Todfeind in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte. Das Schicksal meinte es wirklich gut mit dem Herrscher über Zaubergroßbritannien. Denn es ermöglichte Voldemort, hier nach all den Jahren auf seine vermisste Nemesis zu stoßen und dabei ihre Seelenpartnerschaft zu entdecken. Er hatte verteufeltes Glück gehabt, dass Harry nicht ans andere Ende der Welt geflohen war, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Apropos Verschwinden? Ob Harry wohl die fünf geheimen Ausgänge in seiner Suite finden würde? Noch waren sie magisch versiegelt, aber sobald sein dickköpfiger Gryffindor hier richtig eingezogen wäre, würde er sie öffnen, damit Harry ungesehen nach Herzenslust das Manor erkunden konnte. Jeder vernünftige Zauberer, der etwas auf sich hielt und natürlich über das Wissen sowie die notwendigen Mittel verfügte, schützte sein Heim vor allen möglichen Angriffen und so gab es auch in Riddle Manor unter anderem zahlreiche Geheimgänge und ein Fluchttunnelsystem. Obwohl sie mehr dem Schein dienten, als tatsächlich notwendig zu sein. Voldemort brauchte keinen Überfall zu befürchten. Warum auch? Er war unsterblich. Nichts und niemand konnte ihm etwas anhaben. Außer er selbst, falls sein Dasein eines sehr fernen Tages seinen Sinn verlor. Ewiges Leben war nie ein Ziel gewesen, aber ein paar Jahrtausende schon. Darüberhinaus käme heutzutage niemand mehr auf die Idee, den mächtigsten Zauberer der Welt anzugreifen. Als Warnung dienten zusätzlich ein paar öffentliche Exempel, die er während des Krieges und kurz danach durchführen ließ. Jeder Untertan wusste, dass ein Angriff auf den Herrscher immer mit einem unvorstellbar qualvollen Tod endete. Darüber hinaus stürzte die gesamte Familie des Missetäters sowie alle seine Freunde und Bekannten ins Unglück. Wer nicht wegen Mittäterschaft hingerichtet wurde, musste lebenslang als Squib unter Todessern dienen. Der Verlust ihrer magischen Kräfte war für Zauberer und Hexen schlimmer als der Tod. Diese Strafe wollte keiner erleiden. Aber heute war Voldemort froh, Riddle Manor nach alter Zauberer-Tradition errichtet zu haben - einschließlich geheimer Gänge. Tom wusste um die Freiheitsliebe und Abenteuerlust seines Gefährten. Darum ließ er weitere verborgene Zugänge in Harrys Suite bauen. Die berühmte Potter-Neugierde würde ihn dazu verleiten, seinem „Feind“ im eigenen Hause ohne Angst nachzuspionieren und ihn dadurch – unbeabsichtigt – besser kennenzulernen. Denn freiwillig würde sein sturer Partner das ganz bestimmt nicht tun. Also griff Voldemort zu dieser List, um Harrys Neugier anzustacheln und ihn über die Geheimgänge in seine Nähe zu locken. Sicher hinter Wänden verborgen, könnte er durch die Gucklöcher in jedes Zimmer spähen. Voldemort würde seine versteckte Anwesenheit geflissentlich übersehen, um Harry nicht von seinem Beobachtungsposten zu verscheuchen. Grüne Augen würden durch den Raum und über seinen Körper wandern. Ihn ansehen. Wirklich ansehen. Und dabei vielleicht feststellen, dass er tatsächlich ein Mann war und kein mordlüsterndes Ungeheuer in Zauberergestalt. Ja, auch ein Dunkler Lord darf träumen. Unwillkürlich musste Tom schmunzeln. Ihm fiel wieder der Tag vor über einem halben Jahr ein, an dem Narzissa und Draco ihre Entwürfe für die Einrichtung und Ausstattung der Zimmer vorstellten. Die Augen des Sekretärs hatten sich ungläubig geweitet, als sein Herr gleich zu Beginn des Treffens den Einbau von mehreren Geheimtüren befahl. Ihm stand deutlich auf der Stirn geschrieben, wie bizarr er diese Idee hielt. Außer diesem leichten Stirnrunzeln bewegte Draco keinen Muskel. Ganz erstarrt saß er da und hüllte sich in Schweigen. Das konnte allerdings auch daran liegen, dass Nagini sich mehrmals um die Beine des Stuhles gewickelt hatte, wobei ihr Kopf auf den Schuhen ihres Lieblingsblonden ruhte. Wenn Schlangen blinzeln könnten, hätte sie ihm zugezwinkert. Voldemort amüsierte sich köstlich. Auch Narzissas Mundwinkel zuckten verräterisch. Schließlich erbarmte sie sich und begann mit ihren Ausführungen. Das Schlafzimmer war an diesem Tag leer gewesen, bis auf drei Stühle und einen großen ovalen Tisch, auf welchem Lady Malfoy Entwürfe und Stoffmuster ausbreitete. Während seine Mutter – männliche – Kleiderskizzen, Farben, Details und Materialien erläuterte, wurde Malfoy junior immer röter. Ah, Narzissa hatte ihren Sohn „aufgeklärt“ und scheinbar ohne Samthandschuhe. Der gute Draco wusste gar nicht, wo er hinschauen sollte, so peinlich war ihm sein Irrtum mit der – weiblichen – Braut. Schon die Vorstellung einer Hexe an der Seite seines Herrn war für ihn vollkommen abwegig. Aber ein Zauberer? Welcher Mann würde sich mit Voldemort verbinden wollen? Besser gefragt: Welchen Mann erachtete der Dunkle Lord als würdig genug, um neben ihm zu stehen und gemeinsam zu herrschen? Ihm fiel niemand ein. Wie auch? Kein Todesser hatte jemals in diese Richtung gedacht. Allein der Gedanke war absurd gewesen. Lord Voldemort und … Der dunkelste Magier aller Zeiten, zu dem alle in Angst aufschauten und … Wer? Wer war der Auserkorene? Und vor allem: Was würde er sein? Ein Begleiter, ein Geliebter, ein Ehemann, ein Prinzgemahl? Das überstieg das Vorstellungsvermögen des Blonden. Nein, das war jenseits aller Vorstellungskraft. Draco hatte arge Probleme, diese neue Entwicklung zu verarbeiten. Und wenn er erst herausfand, dass Harry Potter der Mann an der Seite seines Herrn war. Auf den er immer wegen seiner Herkunft in bester Malfoy-Manier herabblickte. Nun, das Blatt hatte sich gewendet. Aber damit wäre die alte Rivalität nicht verschwunden. Sie flammte sicher wieder auf und würde Harry gleichzeitig von trüben Gedanken abhalten. Und falls beide Zauberer es tatsächlich schafften, ihre vergangenen Differenzen zu begraben, könnten sie glatt Freunde werden. Welch unsinniger Gedanke. Oder vielleicht … doch nicht so absurd. Harry war mental schon aufgrund seiner PTBS in sehr schlechter Verfassung. Da waren zehn Jahre Einsamkeit garantiert nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Er hatte früher immer Freunde um sich gehabt und dann alle verloren. Jetzt hatte er niemanden mehr. Außer neuerdings einen Seelengefährten, von dem er leider noch nichts wusste und welcher ihn niemals allein lassen würde. Voldemort war äußerst besitzergreifend. Was er einmal als seins erachtete, würde auch immer sein Eigen bleiben. Doch nun besaß er den größten Schatz überhaupt, seinen Seelengefährten. Den er mit aller Macht hüten und beschützen würde. Harry Potter gehörte voll und ganz allein ihm. Und Tom wollte auch der einzige Fixpunkt, die Sonne, in dessen Leben sein. Jedoch zog er anhand der letzten Monate die Möglichkeit in Betracht, dass Harry in seinem sozialen Umfeld wahrscheinlich ein ganzes Sonnensystem – mit Planeten, Monden und kleinen Sternen – brauchte. Vielleicht müsste Voldemort seine eigenen Wünsche in dieser Hinsicht etwas anpassen. Eine erneute Isolation wäre sehr schlecht für seinen Gefährten und dessen depressive sowie panische Anwandlungen. Aber um die Freundschaftssache würde er sich später kümmern. Draco wäre ein guter Anfang. Und Snape fand sicher auch noch ein Paar von Harrys alten Freunden und Bekannten in Askaban wieder. Hoffentlich hatten die Dementoren nicht alle in den Wahnsinn getrieben, denn Verrückte würde er nicht in die Nähe seines Partners lassen. Hmm. Da Snapes Teil des Planes gewisse Unsicherheiten barg, sollte er vielleicht dafür sorgen, dass wenigsten Malfoy junior geistig gesund blieb. Er verdrehte jetzt so seltsam die Augen, als Nagini dem privaten Bereich seiner Körpermitte neckend näher kam. „Nagini, hör auf, Draco zu ärgern. Ich brauche ihn noch“, befahl Voldemort streng. Verwirrt drehte die Schlange ihren Kopf herum. Ein kurzer Blick genügte. Ihr Meister meinte es wirklich ernst. Wozu brauchte … „Ich erzähle es dir nachher.“ Bezeichnend sah er zur Tür. Was? Sie sollte gehen? Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihre Neugier war geweckt und Antworten bekam sie erst wer weiß wann. „Na gut“ maulte die Schlangendame und ließ von ihrem blonden Spielzeug ab. Vor sich hin zischelnd machte sie sich missgelaunt auf den Weg und verschwand im angrenzenden Kaminzimmer. Ohne Schlangen-Stalkerin erholte sich Draco zusehends von seinem kleinen Blackout. Konzentriert lauschte er bald darauf den Ausführungen seiner Mutter. Selbst an der Reihe fühlte der Blonde sich voll in seinem Element und erklärte überzeugend die von ihm zusammengefassten Entwürfe der Innenarchitekten. Sie gefielen Tom ausnehmend gut, entsprachen seinen genauen Vorstellungen. Edle Mahagonimöbel, deren dunkelrote Farbe mit den silber-goldenen Gravuren und kunstvollen Möbelbeschlägen harmonierte. Die rot-grüngemusterten Sitzmöbel waren gleichzeitig elegant und gemütlich. Cremefarbene Wände mit Goldschimmer sowie gut positionierte Lampen tauchten das Zimmer in warmes Licht. Grüne Seidenteppiche in floralem Design und hellgrüne Auslegeware rundeten das Ganze ab. Ohne den wahren Grund der geforderten Farbauswahl zu kennen, hatte der junge Malfoy die vollkommene Balance zwischen den Gryffindor- und Slytherin-Hausfarben gefunden. Das Zimmer würde perfekt zu Harry und seinem neuen Status passen, sein Zuhause sein. Wenn Draco nicht so eitel und voreingenommen aufgrund seiner Herkunft wäre, könnte er die Zauberer-Karriereleiter viel, viel höher klettern. Aber do wie bisher stellte er sich in seinem Leben die meisten Beine selbst. Voldemort war darüber nicht traurig. Er würde deswegen auf lange Sicht einen ausgezeichneten Sekretär haben. „Glaubst du, Harry lässt mich später hier bleiben?“, unterbrach Nagini Toms Rückblenden. So viel zu seinem Versuch der Ablenkung von schwierigen Themen. Hartnäckige Schlange. „Du hast hier keine Schlangenklappen einbauen lassen!“ Anklagend schaute sie ihren Meister an. „Willst du mich auch nicht hier haben?“ „Nagini, das ist Harrys Entscheidung. Die kann ich ihm nicht nehmen. Er soll sich hier heimisch fühlen und diese Suite als seinen Rückzugsort betrachten. Das wird er aber nur, wenn er selbst bestimmen kann, wer seine Räumlichkeiten betritt“, gab ihr Meister zu bedenken. „Und ab Harrys Einzug gilt für uns beide: Ohne Erlaubnis kein Zutritt.“ Er schloss die Augen, sein Körper begann sich zu entspannen. „Also genieße es hier, solange du noch kannst“, empfahl er seiner Schlangenfreundin und sich selbst. Tom wollte nur ein paar Minuten ruhen, für kurze Zeit die Welt ausblenden. Aber es ging nicht. Voldemort hatte ein seltsames Gefühl im Magen. Wie … wie eine Vorahnung. Etwas würde passieren. Ihm graute plötzlich vor den nächsten Tagen. Seit Harry hier war, fanden die Botschaftertreffen in London statt. Er wollte keine ausländischen Zauberer in der Nähe seines verletzlichen Gefährten haben. Selbst die Todesser-Versammlungen hatte er nach Malfoy Manor verlegt. Nur noch ausgewählte Untergebene dürften Riddle Manor betreten. Und nun erforderten zwingende Regierungsangelegenheiten in dieser Woche seine Anwesenheit in London, Paris und Rom. Die Verhandlungen würden sich stundenlang hinziehen. Morgen Abend fand ein Staatsempfang im Zaubereiministerium statt. Schon jetzt konnte Tom mit absoluter Sicherheit sagen, dass es einen neuen Fluchtversuch geben würde. Irgendwie wusste Harry immer, wann er die Riddle Ländereien für längere Zeit verlies. Also würde er Angus vor seiner Abreise warnen, die Überwachung von Aris zu verdreifachen, gleichzeitig alle Warn- und Bannzauber erneut kontrollieren und hoffen, dass nichts Schlimmes passierte. Denn die Hoffnung starb ja bekanntlich zum Schluss. Voldemort seufzte leise resigniert. Er war nicht mehr Harrys Feind. Aber sein Gefährte schien das nicht zu begreifen. Nein, so stur wie immer hielt er an seinem Feindbild fest, als wäre es sein einziger Halt. Verlust, Gewalt, Verrat, Einsamkeit. Seine Ängste spiegelten ein schreckliches Leben wider. Jede Panikattacke war eigentlich ein Hilfeschrei. Aber wie konnte er helfen? Wie? Bisher hatten alle defensiven Methoden versagt. Vielleicht blieb wirklich nur die Holzhammer-Methode übrig. Und das bedeutete Konfrontation! Harry Potter müsste sich Voldemort stellen – seinem Erzfeind, dem, der sein gesamtes Leben in einen nie endenden Alptraum verwandelt hatte. ‚Tolle Alternative!‘, dachte Tom sarkastisch. Morgen, morgen würde er eine Entscheidung treffen. Müde unterdrückte er ein Gähnen. Mit dem leichten Wink seiner Hand legte sich die dünne Decke vom Fußende über seinen Körper und das Licht erlosch. Seine Vertraute machte es sich unterdessen auf der anderen Betthälfte bequem und zischelte: „Gute Nacht, Meister.“ „Das wünsche ich dir auch“, erwiderte Voldemort mit geschlossenen Augen. Kurz vor dem Einschlafen kam er auf Naginis früheren Einwand zurück und meinte: „Bei einer Sache stimme ich voll und ganz mit dir überein: Wir sind beide gern in Harrys Zimmer.“ Noch besser wäre es natürlich zusammen mit Harry.   ~•~•~•~•~•~   Auf dem Hof einer Raststätte nahe Boroughbridge an der A1 road* stand ein moderner Pferdetransporter** mit offenen Fenstern, Abteilen und Laderampen. Fünf braune Pferdehintern mit grün-silbernen Schweifschonern schauten aus dem Innenraum heraus. Auf den ersten Blick – eine nett ausgebaute alte Poststation, etwas abseits gelegen, einige parkende Autos, kaum Verkehrslärm von der nahen Fernstraße, mildes Frühlingswetter – könnte alles in bester Ordnung sein. Wenn da nicht auf der anderen Seite des Transporters vier regungslose Pferdepfleger wären, die vollkommen entsetzt auf die Szene vor ihnen starrten, überzeugt davon, dass ihr Lord sie alle töten würde. Mit morbider Faszination beobachtete das Quartett Alexius Devaney, der vor einem ohnmächtigen schwarzen Hengst hockte und ihn untersuchte. Der gute Doktor ahnte nichts von den Befürchtungen seiner Begleiter. Für Todesser-Angelegenheiten hatte er sich nie richtig interessiert, auch wenn er widerwillig einer war. Für ihn zählte nur das Wohl seiner tierischen Patienten, alles andere blendete er einfach aus. Und bis jetzt war er mit dieser Ignoranz ganz gut durchs Leben gekommen. „Ich verstehe das nicht? Er ist kerngesund. Keine Verletzungen. Kein Gift. Auch keine Zauber. Warum wacht Aris nicht auf? Wieso ist er bewusstlos?“, grübelte er nach. „Was fehlt ihm? Wie ist er überhaupt in den Transporter gekommen?“ Alexius war ratlos. Hinter ihm war es verdächtig still. Fragend drehte er sich zu den Pferdepflegern um. Sie sahen zu Tode erschrocken aus. Unbehaglich stand er auf und trat auf sie zu. Sie wussten etwas, das konnte er ihnen ansehen. Aber niemand klärte ihn auf. Die Pfleger ignorierten ihn komplett, blickten sich gegenseitig ängstlich an. Endlich ergriff einer von ihnen stockend das Wort: „Jemand muss es tun.“ Die drei anderen nickten schicksalsergeben. Niemand rührte sich. Schließlich schob der Redner seinen linken Ärmel nach oben und entblößte das Dunkle Mal. Er schloss kurz resigniert die Augen, nahm seinen Zauberstab heraus und drückte ihn auf die magische Markierung, wobei er leise vor sich hin murmelte. Der Tierheiler wurde unsicher. Was war hier los? Das letzte Mal sah er den schwarzen Hengst vor ein paar Monaten, als er dessen schwere Verletzungen heilte und anschließend massive Mangelerscheinungen durch eine zweiwöchige Intensivbehandlung beseitigte. Danach hörte er einige Gerüchte über den unbändigen Hengst, hatte ihn aber selbst nicht mehr gesehen, obwohl er jetzt – Dank der Inkompetenz zweier Kollegen – als Oberster Tierheiler des Riddle Gestüts regelmäßig vor Ort war und alle Pferde dort betreute sowie auch für Transporte, Ausstellungen, Turniere et cetera verantwortlich war. Verflixt, er brauchte unbedingt einen fähigen Stellvertreter. Nein, besser zwei oder drei bei seinem enormen Arbeitspensum. Schließlich leitete er auch noch eine eigene Tierarztpraxis und lebte mit seiner Familie in Cardiff. Dieses ständige Hin- und Herpendeln … Aber seine persönlichen Probleme waren jetzt nebensächlich. Ein Tier litt an einer unbekannten Krankheit und seine Reisebegleiter rückten nicht mit der Sprache heraus. Bevor er jedoch Antworten einfordern konnte, ertönte eine markante Stimme und alle schauten sofort dem Neuankömmling entgegen, der auf sie zugeschritten kam.   „Ist er verletzt?“ Voldemorts Blick richtete sich beim Näherkommen auf den bewegungslos im Gras liegenden Aris. Er kannte den Übereifer seiner Untergebenen, um ihm zu gefallen. Wehe, sie hatten seinem Gefährten auch nur ein Haar gekrümmt. Waren das Fußfesseln? Sie hatten es gewagt, ihm Fesseln anzulegen? Eine Ader begann an seiner Schläfe deutlich zu pulsieren. Erzürnt ließ er die Hobbles*** mit einem Wink verschwinden, während er seine Untergebenen mit roten Augen fixierte. Während Alexius sich respektvoll verneigte, fielen die vier Pferdepfleger unterwürfig auf die Knie. Bevor der darüber verblüffte Devaney überhaupt auf die Frage seines Herrn eingehen konnte, ergriff einer der Todesser hektisch das Wort. „Nein, mein Lord! Nur durch den starken Bannfluch ausgeknockt. Er ist nicht verletzt“, krächzte er furchtsam, denn Voldemort verzieh keine Fehler. Banne? Doktor Devaneys Augenbrauen schossen ungläubig in die Höhe. Das war alte komplexe Magie, im Wirken so gefährlich, dass es zu vielen tödlichen Unfällen gekommen war und niemand Bannflüche mehr anwenden wollte. Im Laufe der Zeit ging das Wissen darüber gänzlich verloren und heutzutage konnte sie keiner mehr ausüben. Falsch, einer vielleicht doch. Voldemort kniete sich nieder und prüfte die Vitalfunktionen von Aris. Der Hengst atmete ruhig, schlief tief und fest. Die mächtige Bannbarriere rund um seine Ländereien hatte ihre Arbeit getan und seinen Gefährten erneut sehr effektiv an einer Flucht gehindert. Nun ja, zumindest teilweise. Denn Harry hatte es irgendwie geschafft, seine eigenen Todesser auszutricksen, damit sie ihm halfen, den Bannkreis zu überwinden und von Riddle Manor zu entkommen, währenddessen er selbst ein Nickerchen hielt. So etwas bekam auch nur er hin und es belegte nur wieder das sprichwörtliche Potter-Glück. Klug und einfallsreich hatte er den Bannkreis durchbrochen und es fast bis York geschafft - stolz tätschelte Tom den Pferdehals. Er war nicht allzu sehr verstimmt über den Fluchtversuch, hatte er doch damit gerechnet und im Voraus geplant. Ob Harry die Änderung seiner Situation gefiel, war zweifelhaft. Aber genug war genug. „Mein Lord, wir wussten nicht, dass der Hengst im Transporter war. Es ist uns unerklärlich, wie er dort hinkam. Wir sollten nur die fünf Vollblüter nach Addington bringen. Beim Zwischenstopp entdeckten wir den Hengst verrenkt schlafend im hintersten Abteil und informierten Euch sofort. Aber der Doc meinte, wir müssten ihn schnellstens aus seiner ungünstigen engen Schlafposition befreien. Wir bitten vielmals um Verzeihung für die Anwendung von Magie, aber ohne den Schwebezauber hätten wir ihn nicht bewegen können. Ihm ist dabei nichts passiert. Zur Sicherheit haben wir ihn aber noch gefesselt. Damit er beim Aufwachen nicht davonstürmt, wenn ihr ihn weckt“, erklärte ein anderer Todesser die Geschehnisse hastig weiter, da es seinem Vorredner die Sprache verschlagen hatte. Mit den Augen um Vergebung flehend schauten sie zu ihrem Lord und schrumpften gleichzeitig noch mehr in sich zusammen, als Voldemort sich geschmeidig erhob. Dieser blickte verächtlich auf seine unfähigen Todesser, die vor ihm auf dem Boden kauerten. Erst gelangte Harry durch ihre Unachtsamkeit in das Fahrzeug. Dann verstießen sie offensichtlich gegen seinen Befehl, alle Fahrzeuge vor Abfahrt zu kontrollieren, denn sonst wäre der Hengst sicherlich entdeckt worden. Anschließend schafften sie seinen schlummernden Gefährten über die Bannkreisgrenze, warfen einen ungenehmigten Zauber auf seinen Körper und fesselten ihn als Krönung. Ihr Versagen mit fadenscheinigen Erklärungen zu rechtfertigen, half ihnen nicht weiter. So viel Inkompetenz gehörte bestraft. Ihm juckte es in den Fingern, seinen Zauberstab zu zücken. Wie lange hatte er den Cruciatus-Fluch nicht mehr verwendet? Viel zu lange angesichts dieser Disziplinlosigkeit! Aber jetzt war weder die richtige Zeit noch der rechte Ort für Strafmaßnahmen. Er musste sich um Harry kümmern und die fünf Vollblüter im Transporter kamen auch nicht allein zur Brightwells Auktion nach Addington Manor. Unversöhnlich blickte er auf die knienden Gestalten, ihre Verfehlungen würden garantiert ein Nachspiel haben. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem boshaften Lächeln. Auf der nächsten Versammlung würden ihre qualvollen Schreie jeden Todesser daran erinnern, dass ihr Lord Nachlässigkeit nicht duldete. „Ihr werdet die Pferde wie geplant zur Auktion bringen. Ein anderer Tierheiler wird euch begleiten. Ihr wartet hier, bis er eintrifft. Jetzt geht mir aus den Augen“, befahl Voldemort mit kalter Stimme. Hastig standen die Vier auf. Sehr erleichtert, noch einmal davon gekommen zu sein, verschwanden sie Richtung Pferdetransporter. Alexius war bei dieser Ankündigung ganz mulmig geworden. War er abgesetzt worden? Gab sein Herr jetzt ihm die Schuld? Aber Schuld woran? Er hatte keinen blassen Schimmer, was hier los war. Ein Pferd war irrtümlich verladen worden und bei der ersten Rastpause wurde der Fehler bemerkt. Nichts Weltbewegendes. Nur ein Hengst im Tiefschlaf, Pferdepfleger mit Todesangst und ein extra herbeigeeilter verärgerter Dunkler Lord passten nicht ins Bild. „Dr. Alexius Devaney“, Voldemort verschränkte die Arme hinter dem Rücken, seine blauen Augen musterten den Mann vor ihm, „so begegnen wir uns endlich wieder. Ich meine mich zu erinnern, dass ich dich befördert hätte. Was war es noch gleich? Ah, richtig, Oberster Tierheiler meines Gestütes. Du scheinst eine sehr ungewöhnliche Arbeitsauffassung zu haben, was deine Anwesenheit betrifft. Oder gibt es eine andere Erklärung, warum ich dich bisher nie auf Riddle Manor gesehen habe?“ „Mein Lord, wenn ihr damit andeuten wollt, dass ich ... dass ich die mir anvertrauten Tiere vernachlässige ... ich würde niemals ... ich könnte niemals ...“, begehrte der Doktor auf. „Ich weiß.“ Voldemorts Mundwinkel zuckten. „Ihr ...“, ganz verdattert verstummte Alexius. Er kam nicht mehr mit. Sein Herr stand seelenruhig neben einem vom Bann getroffenen Aris, unternahm aber nichts deswegen, sondern führte stattdessen ein seltsames Gespräch mit ihm. Worauf wollte er hinaus? „Meine Pferde sind bei dir in guten Händen. Ich hatte nichts anderes erwartet, als ich dich zum Obersten Tierheiler ernannte. Deine Methoden und Arbeitszeiten mögen zwar ein wenig … unorthodox sein, aber für mich zählt das Ergebnis.“ Der Tierheiler war sprachlos und verwirrt. Ein Lob!? Das war doch ein Lob? Voldemort blickte an ihm vorbei zum Pferdetransporter, aus welchem fünf Pferdeköpfe neugierig herausschauten. „Du bleibst hier und behältst meine Vollblüter im Auge bis dein neuer Stellvertreter eintrifft.“ Die Pferdepfleger eilten herum, füllten Wasser und Heu auf. Wenigstens erinnern sie sich an ihre Aufgabe anstatt zu gaffen, wie vorhin. Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Doktor vor ihm. „Mein Stallmeister hat ein gutes Wort für dich eingelegt. Du bist ein viel zu beschäftigter Mann, immer in Eile, immer unterwegs, immer sofort da, wo du gebrauchst wirst – ohne Unterlass. Laut Angus wären Ruhepausen für dich ein Fremdwort. Deshalb will ich dich die nächsten zwei Wochen nicht auf Riddle Manor sehen. Erschöpft nützt du mir nämlich nichts.“ Der Dunkle Lord sah zu dem schlafenden Hengst herunter, streichelte ihn mit seinen Augen. „Ich habe nicht vergessen, dass du ihn damals geheilt hast. Wie du weist, ist Aris mein erklärter Liebling. Ich bin sehr auf seine Sicherheit und seinen Schutz bedacht.“ Voldemort schmunzelte. „Er ist ein echter Wildfang, unbezähmbar und stur. Leider hat er etwas gegen sein neues Zuhause und versucht ständig wegzulaufen. Was nicht weiter schlimm ist, denn seine Ausbruchsversuche enden stets an der Grenzlinie meiner Ländereien, weil ein Bannkreis Aris am Überqueren hindert, indem er ihn in Schlaf versetzt. Nur ich kann den Hengst aus dem Tiefschlaf wecken. Soweit jedenfalls die Theorie.“ Als seine Augen wieder die Pferdepfleger erfassten, sagte er mehr zu sich selbst: „Aber meine eigenen Todesser zu verleiten, ihn über die Grenze zu schmuggeln, war schon ein brillanter Schachzug von ihm.“ „Er ist sehr schlau … für ein Pferd“, sagte Alexius vorsichtig. Sein Verstand schrie laut ‚Animagus‘, aber der bedrohliche Blick von Voldemort warnte ihn eindeutig, diesen Gedankengang nicht weiterzuverfolgen, geschweige denn das Wort auszusprechen. „Ich schätze deine fachliche Meinung, aber wünsche keinerlei Spekulationen über meinen Hengst. Du wirst künftig mit Angus gemeinsam über Aris wachen. Mein Stallmeister wird dir alles Notwendige erklären. Ich vertraue dir, dass du gut auf meinen Liebling aufpasst und ihn mit deinem Leben verteidigst. Enttäusche mich nicht.“ Dann hockte sich der Dunkle Lord neben den Hengst und legte eine Hand auf seine Schulter. Schwarzer Rauch begann Herr und Tier zu umhüllen. „Noch eine Sache, Dr. Devaney.“ Ein rot glühender Blick fixierte ihn. „Niemand! Niemand außer mir legt ihm Fesseln oder Zaumzeug an“, knurrte er und dann waren beide weg. Alexius schluckte schwer, um den Angstkloß in seinem Hals loszuwerden. Er hatte das Pferd untersucht, um ihm zu helfen, aber die Pferdepfleger nicht aufgehalten, als sie dem schlafenden Hengst die Hobbles anlegten. Nur seine Unwissenheit über die Zusammenhänge, welche er heute erst erfahren hatte, bewahrte ihn vor Voldemorts Zorn. Doch plötzlich wurde ihm richtig schlecht, als ihn eine verblasste Erinnerung überfiel. Ein Déjà-vu! Er hatte so eine Situation wie eben schon einmal erlebt. Er war nicht unwissend! Nur war ihm auch dieses Erlebnis wie immer entfallen. Damals hatte sein Lord die Tierheiler höchstpersönlich nach Riddle Manor zwangsappariert, um seinen Hengst zu retten. Und als sie ihn einschläfern wollten, stand ihr Herr kurz davor, sie alle kaltblütig an Ort und Stelle niederzumetzeln. Er erinnerte sich wieder an den bösartigen Ausbruch schwärzester Magie, der alles und jeden niederschmetterte. Und an das, was dann passierte. Der Dunkle Lord, Herrscher von ganz Zaubergroßbritannien kniete vor seinem Pferd auf dem Boden nieder, bettete vorsichtig dessen Kopf auf seinen Schoß und beruhigte das Tier mit sanftem Streicheln. Wie konnte Alexius diese krasse widersprüchliche Begebenheit nur vergessen? Es fiel ihm jetzt wie Schuppen von den Augen: Aris bedeutete die Welt für Voldemort.   ~•~•~•~•~•~   Als Harry am Tag nach seinem Badeausflug etwas später als sonst aufwachte, wusste er, dass Voldemort fort war. Er spürte seine Präsenz oder was auch immer nicht mehr. Nagini besuchte ihn später auf der Weide wie jedes Mal, wenn ihr Meister sie nicht mitnahm. Auch diesmal beschwerte sie sich wieder lauthals über diese Gemeinheit. So erfuhr er, dass Voldemort mehrere Tage weit weg war, weil er seine Pläne zur Europaherrschaft vorantrieb und an wichtigen offiziellen Empfängen und geheimen Treffen in Frankreich und Italien teilnahm. Als die Schlange ihm dann auch noch von der Pferdeauktion und dem Transport dorthin erzählte, formte sich in Harrys Kopf ein neuer Fluchtplan. Mit Voldemort im Ausland konnte er es wagen, stärkere Zauber zu benutzen, ohne Angst zu haben, von seinem Erzfeind entdeckt zu werden. Wetterzauber hatte er das letzte Mal auf seiner Reise vor zehn Jahren verwendet, aber er erinnerte sich noch gut daran. Damit niemand die Manipulation des Wetters bemerkte, begann Harry langsam, am ganzen Vortag den klaren Frühlingshimmel mit Wolken zu füllen, bis am nächsten Morgen der ganze Himmel von grauen Regenwolken bedeckt war. Mit Hilfe eines Illusionszaubers schlich er sich aus seinem Stall und in die Nähe des Pferdetransporters. Alle Türen waren zum Durchlüften geöffnet worden, aber nur die vorderen fünf Rampen unten. Gerade wollten die Pferdepfleger die Auktionspferde holen, da ließ Harry kurzzeitig heftigen Starkregen auf Riddle Manor niederprasseln. Jeder – Mensch und Tier – flüchtete ins Trockene. Nur ein Pferdeanimagus lief im Schutz der Regenwand zum Transporter, kletterte in das letzte Abteil und schloss die Tür. Als die Pferdepfleger später die Vollblüter einluden, hatte er mit einem Projektionszauber das Trugbild eines leeren Abteils geschaffen, aber die übliche Kontrolle vor Abfahrt erfolgte nicht, so dass er den Zauber wenig später aufhob, um seine Kräfte zu sparen. Endlich setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Jetzt konnte Harry nur hoffen, dass sich der Schlafbann abschwächte, je größer die Distanz zum Bannkreis wurde und er irgendwann aufwachte. Zum Liegen war der Platz zu klein, also blieb nur das Sitzen, um einigermaßen bequem zu schlafen. Leider überfuhren sie die Grenze schneller als gedacht und der Tiefschlaf übermannte ihn. Unkontrolliert sackte er zusammen.   ~•~•~•~•~•~   Harry war erst vor kurzem an diesem neuen Ort aufgewacht, schnell auf die Beine gesprungen und hatte sich nach möglichen Gefahren und Fluchtmöglichkeiten umgesehen. Er stand in einer großen Pferdebox, die sich im Zentrum einer riesigen Höhle befand. Nein, eher in einer gigantischen Halle. Massive Steinsäulen stützten die Decke, weit oben über ihm. Torbogenartige Portale umrahmten offene Durchgänge, die scheinbar ein ganzes Höhlensystem verbanden. Bis auf seine Box war alles leer. War er überhaupt in einem Stall? Die Felswände im hinteren Bereich, die Säulen, die hohen Decken; die gesamte Architektur erinnerten ihn irgendwie an die Kammer des Schreckens. Dieser Ort musste sich unterhalb von Hogwarts im Bergmassiv befinden. Nun, ein wenig beruhigt durch die Nähe seiner alten Heimat, fühlte er die Spuren der uralten Magie, welche den ganzen Berg durchzogen, und die ihn zu trösten versuchte. Trösten? Warum wollte sie ihn trösten? Etwas stimmte nicht mit ihm. Er fühlte eine ungewohnte Leere in seinem Körper. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Seine Magie fehlte. Einfach weg. Verschwunden. Geraubt. Er war ein Squib****. Voldemort hatte ihn zu einem Squib gemacht. Ahnte er …? Wusste sein Todfeind ...?   Bevor er überhaupt richtig darüber nachdenken konnte, was das für ihn bedeutete und das ganze Ausmaß begriff, hörte er Schritte, die sich gemächlich, aber bestimmt seinem Standort näherten. Er kannte diesen Rhythmus, den selbstgefälligen Klang. Und genau wie in den letzten Monaten überrollte ihn die Angst, sein Puls fing an zu rasen. Wie selbstverständlich lehnte sich Voldemort kurz danach auf die unten geschlossene Halbtür, sah ihn ernst an, bevor er anfing mit tiefer, ruhiger Stimme zu sprechen. „Pferde sind Fluchttiere. Und bei Gefahr laufen sie davon. Ich hätte nie gedacht, dass deine Animagusgestalt in ihren Wesenszügen dir als Mensch so sehr ähneln würde. Du hast die Kunst, dich aus Gefahrensituationen zu retten sowie mir zu entkommen, perfektioniert. Aber damit ist nun Schluss. Du gehörst jetzt mir und ich werde dich behalten … Harry Potter!“, schloss der Dunkle Lord seinen Monolog und wartete gelassen auf die Reaktion seines kostbarsten Schatzes. Harrys Augen wurden bei jedem Wort seines Todfeindes immer größer und am Ende der Rede waren sie schockgeweitet. Voldemort wusste wirklich, wer er war! Das Versteckspielen war vorbei. Diesmal würde ihn kein Stellvertreter einkerkern, sondern sein Erzfeind selbst. Gegen den Dunklen Lord direkt, wenn dieser sich voll und ganz auf ihn konzentrierte, hatte er kaum eine Chance. In Pferdeform schrumpfte sie gegen Null, denn zurückverwandeln konnte er sich immer noch nicht. Und jetzt war er ein Squib. Absolut hilflos. Er saß in der Falle! Er war schon so gut wie tot. Zehn Jahre waren nicht lang genug, um die Monate der Folter, die Grausamkeiten der Todesser zu vergessen. Kalter Angstschweiß ließ seinen Körper frösteln. Harry geriet in Panik. Er fing an zu tänzeln, stieg, schlug abwechselnd mit den Vorder- und Hinterbeinen aus. Laut schnaubend, die Augen verdrehend näherte er sich der Rückwand, vergrößerte so den Abstand zwischen sich und seinem Feind. Der sollte sich ja nicht in seine Nähe wagen, Pferdehufe gut platziert auf einem Gegner, waren gefährliche Waffen. Vielleicht konnte er die Holzwände zerschlagen und fliehen, den Dunklen Lord niedertrampeln oder seine Todesser, die draußen wahrscheinlich lauerten. Harry war nicht mehr Herr seiner Sinne, die Gedanken wirbelten wild durcheinander, malten Schreckensbilder von Folter, Schmerz und Tod.   Plötzlich konnte er seine Hufe nicht mehr bewegen. Irgendein Zauber hielt sie am Stallboden fest. Ein weiches Halfter erschien, legte sich um seinen Kopf und zwei Halteleinen, an den gegenüberliegenden Holzwänden befestigt, hielten ihn ruhig. Mit Grauen bemerkte er, dass er sich nicht befreien konnte, so sehr er sich auch anstrengte. Schließlich am Ende seiner Kräfte blieb Harry nichts anderes übrig, als zitternd und schweißüberströmt stillzustehen. Voldemort öffnete die Tür und ging langsam auf das nun vor Angst erstarrte Tier zu. Samtgrüne Augen blickten ihm schreckgeweitet entgegen. Harry zuckte zurück als der dunkle Lord die Hand mit dem Zauberstab, welchen er eben erst für die Fesselzauber genutzt hatte, bis zu seiner Stirn hob, mit dem Stab die seidige Mähne zur Seite schob und seine Blitznarbe freilegte. „Deine Tarnung war brillant, Harry. Und dein Versteck erst. Zehn Jahre suchen alle vergeblich nach dir auf der ganzen Welt. Dabei warst du die ganze Zeit direkt vor meiner Haustür im Verbotenen Wald. Ich hätte es ahnen sollen, als ich den dringenden Wunsch verspürte, mich hier niederzulassen.“ Während er sprach, fuhr Voldemort langsam mit dem Zauberstab von der Blitznarbe hin zu den Nüstern und tippte ihm dann neckisch auf die Nase: „Da du immer noch in deiner Animagusgestalt bist, gehe ich doch recht in der Annahme, dass du Schwierigkeiten mit der Rückverwandlung hast? … Hm. Keine Antwort? Das ist ziemlich unhöflich von dir, Harry. Mit Nagini hast du dich doch auch auf Parsel unterhalten.“ ‚Elende Verräterin‘, dachte Harry. Da rettete er ihr das Leben und sie ging petzen. Voldemort schien in einer sonderbaren Stimmung zu sein. Verhöhnte er ihn? Machte er sich über ihn lustig? Scherzte er etwa mit ihm? Harry wusste nicht, wie er mit der ganzen Situation umgehen sollte, ihm wurde immer unwohler, seine Eingeweide waren ein einziger Knoten, sein ganzer Körper vor Angst verkrampft. Seine Muskeln fingen vor Anstrengung an zu beben. „Keine Widerworte? Ja, ich sehe schon. Stur wie eh und je. Da muss ich wohl zu anderen Mitteln greifen“, überlegte der Dunkle Lord laut. Er begann seine Jacke auszuziehen und hängte sie über die Boxwand, während er den Zauberstab in den hinteren Hosenbund steckte. Mit flinken Fingern öffnete er die Manschettenknöpfe seines schwarzen Seidenhemdes und krempelte die Ärmel hoch. Muskulöse Unterarme kamen zum Vorschein. Dann duckte er sich unter der Halteleine hindurch und ging zu einer großen offenen Kiste in der Ecke, die dort vorhin noch nicht gestanden hatte. Harry konnte nicht genau erkennen, was der Lord hinter ihm tat, da sein Kopf noch immer angeleint war. Aus den Augenwinkeln sah es so aus, als ob Voldemort ein langes, dickes Tau in die Hand nahm. Eine Peitsche?! Voldemort wollte ihn also nicht schnell töten, sondern langsam zu Tode peitschen? Pferde waren sehr furchtsame Wesen, ebenso Pferdeanimagi in ihrer Tiergestalt und vor allen unter PTBS leidende Zauberer. Harrys Zittern wurde noch stärker. Besorgt schloss er die Augen und bereitete sich auf den ersten Schlag und die darauf folgenden Schmerzen vor. Der kalte Wasserstrahl traf ihn völlig unvorbereitet, sein ganzer Körper wurde fein säuberlich abgespritzt, von Schmutz und Schweiß gereinigt. Voldemort ging sehr akribisch vor und hatte deutlich Spaß daran, ihn mit Wasser zu ‚quälen‘, zog die Prozedur, wie es schien absichtlich in die Länge. Nicht ein einziger Flecken auf seinem Körper wurde vergessen. Auch nicht die Bereiche, die niemanden etwas angingen. Harry spürte, wie er trotz Pferdegestalt puterrot wurde, zum Glück verdeckte sein Fell das Erröten. Als Voldemort mit der kalten Dusche endlich fertig war, zitterte Harry nicht nur vor Angst wie Espenlaub, sondern jetzt auch noch vor Kälte und Peinlichkeit. Überraschenderweise fegte anschließend ein Trocknungszauber über seinen Pferdekörper hinweg. Und dann begann sein Erzfeind ihn langsam und sorgfältig zu striegeln. Harry verstand die Welt nicht mehr.   ~•~•~•~•~•~   Stocksteif stand Harry da. Nur die jeweiligen Muskeln zuckten heftig, über die sein Todfeind gerade strich, irritiert von der ungewohnten Berührung. „Entspann dich, Harry. Heute werde ich dich nicht foltern oder töten. Mir ist gerade nicht danach“, gluckste der Dunkle Lord und bürstete ungestört weiter. Die Gefährtenmagie summte bei so viel Nähe erfreut in seinem Inneren. Sanft ließ Tom sie über den schwarzen Hengst streichen. Er empfand tiefste Zufriedenheit, seinen Seelenfährten zum ersten Mal so ausgiebig berühren zu können, massierend über seine verkrampften Muskeln zu fahren und langsam die Verspannungen herauszustreichen. Harrys Tiergestalt war wunderschön, genauso schön wie der junge Mann aus seiner Erinnerung und beide besaßen das gleiche hitzige Temperament. Einfach anbetungswürdig. Aber sein Gefährte hatte schreckliche Angst vor ihm, zitterte unter seiner Berührung, traute ihm nicht über den Weg, verständlich bei ihrer gemeinsamen sehr gewalttätigen Vergangenheit. Zum Glück war das Versteckspiel vorbei. Nun würde er Harry offen begegnen können und ihm helfen, sich in jeder Hinsicht an ihn zu gewöhnen und letztendlich als Lebensgefährten zu akzeptieren. Er nahm eine weiche Bürste und begann das Fell zu glätten, brachte es zum Glänzen. Zum Schluss kämmte er den Schweif und die seidige lange Mähne, entfernte jeden noch so kleinen Knoten. Seine Bewegungen waren fast hypnotisch und entspannten den Pferdekörper langsam, obwohl Harrys Gedanken sich ganz gewiss überschlugen, so wie das Schattenpferd vor der Nebelwand in seinem Geist konfus hin und her sprang.   ~•~•~•~•~•~   Sein Todfeind fuhr anerkennend mit der Hand über den Pferderücken und beendete deren Reise mit einem Klaps auf dem Po. „So fertig. Das werden wir ab heute regelmäßig machen.“ Voldemort war verrückt, das war die einzige Erklärung, die Harry für sein unheimliches Verhalten hatte. Und dadurch war er noch gefährlicher. Verrückte taten irrationale Dinge. War er am Ende selbst verrückt? Bildete er sich alles nur ein? War er in einem verdrehten Traum gefangen? Harry hasste es, angefasst zu werden, das war schon immer so und nach seiner Gefangenschaft auf Malfoy Manor war es richtig schlecht geworden. Aber er hatte da gestanden, erstarrt und ließ die Berührungen des Dunklen Lords über sich ergehen. Es gab keinen Schmerz. Die gleichmäßigen Bürstenstriche waren angenehm, entspannten ihn. Harry spürte ein zartes Prickeln, welches wie ein sanfter Hauch über seinen Körper glitt. Das konnte alles nicht wahr sein. Das passierte nicht. Er war verrückt. Es gab keine andere Erklärung. „Keiner ist verrückt, Harry, weder du noch ich“, flüsterte Voldemort ihm auf Parsel ins Ohr. Harry zuckte erschrocken zusammen, hatte er seine Gedanken gelesen? Und warum krochen ihm die gezischelten Worte so unter die Haut? Das war gruselig. Voldemort lachte: „Nein, Harry, kein Gedankenlesen, aber dein Gesichtsausdruck sprach Bände.“ Harry verdrehte die Augen. „Ich habe dir doch versprochen, dich zu zähmen“, federleicht ließ er seine Finger durch die Mähne gleiten, „und ich halte meine Versprechen. Immer! Anfangen werde ich mit täglichen Striegel- und Streicheleinheiten. Und bald wirst du mir aus der Hand fressen. Denn wir werden hier im Berg viel Zeit miteinander verbringen – nur wir beide.“ Die Box begann sich aufzulösen, Halfter und Fesselzauber fielen ab, die Kiste verschwand und Voldemorts Jacke landete in seiner Hand. „Schau dich in Ruhe um und mach es dir gemütlich. Du wirst eine Weile hierbleiben.“ Das ließ sich Harry nicht zweimal sagen, drehte sich abrupt weg und galoppierte davon als wäre eine Acromantula hinter ihm her. Er würde sein neues Gefängnis erkunden und einen Ausweg finden! Vorher trat er aber noch aus lauter Wut und Frust ordentlich auf Voldemorts Fuß. Das deutlich hörbar gezischte „Au!“ war Musik in seinen Ohren. Die Konsequenzen waren ihm in dem Moment egal. „Ehe ich es vergesse, Harry“, rief Voldemort ihm amüsiert hinterher, die riesige Halle verstärkte seine Stimme. „Es gibt kein Schlupfloch, durch das du diesmal entwischen kannst. Diese Felswände sind mit oder ohne Magie nicht zu durchbrechen. Und du bist kein Squib. Ich habe deine Zauberkraft vorübergehend gedämmt. Damit du hier unten garantiert keine Dummheiten anstellst. Bei deinem Geschick für desaströse Ausbruchsversuche bringst du ansonsten noch die Höhlen zum Einsturz und versenkst Hogwarts im Großen See.“ Voldemorts vergnügtes Lachen verfolgte ihn, bis Harry durch eines der Portale verschwand. Viele Höhlen und Gänge weiter blieb der schwarze Hengst schließlich keuchend stehen. Was war da eben passiert? Voldemort kannte seine echte Identität, trotzdem war Harry Potter immer noch unversehrt und am Leben? Warum? Ein Trick? Das war ein Trick! Sein Feind spielte Katz und Maus mit ihm! Aber Harrys Gedanken beschäftigte etwas ganz anderes. Er war vollkommen perplex. Noch nie hatte jemand ihn so intensiv von Kopf bis Fuß berührt … Voldemort hatte ihn so berührt. Dieses Berühren? Dieses eigenartige Gefühl? Es hatte ihm … gefallen. Und das machte Harry mehr Angst als die Androhung der schlimmsten Folter oder sein Tod.   _____ * A1 road Die A1 ist eine Muggel-Fernstraße zwischen London und Edinburgh. Mit 660 Kilometern ist sie die längste Hauptverkehrsstraße in Großbritannien. Sie folgt in weiten Teilen dem Verlauf der historischen Great North Road, der großen Nordstraße, welche London und Schottland verband. Entlang der Straße gab es zahlreiche Herbergen mit Poststationen, wo die Postkutschen ihre Pferde wechselten und Reisenden Verpflegung und Unterkunft boten. _____ ** Umgang und Haltung von nichtmagischen Tieren Nichtmagische Tiere vertragen keine Zauber und magische Transporte. Besonders Pferde sind anfällig, reagieren sehr sensibel auf Magie, sind tagelang nervös. Es kann zu Koliken, Durchfall und Gleichgewichtsstörungen kommen. Heilzauber werden daher nur in extremen Notfällen angewandt und eine notwendige Beförderung erfolgt auf Muggel-Weise per Pferdetransporter. Häufig werden dabei Schweifschoner (Schutzbezüge für den Pferdeschweif) verwendet, um ein Wundscheuern des Schweifansatzes zu verhindern. _____ *** Hobbles, auf deutsch Hobbel So werden Fußfesseln für Pferde genannt. Sie werden in freiem Gelände benutzt, wenn keine Anbindemöglichkeit besteht. Beim Hobbeln werden die Vorderbeine zusammengebunden, um die Pferde am Weglaufen zu hindern. _____ **** Squib So wird eine Person bezeichnet, die einer Zaubererfamilie entstammt, aber keinerlei magische Fähigkeiten besitzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)