Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 12: Die Wahrheit (Teil 2) --------------------------------- „Weil ich dich liebe, verdammt!“, der Satz wiederholte sich scheinbar in einer Endlosschleife in Lyzes Kopf. Noch immer verstand er nicht. Weder, wieso Siri ihm erst so kurz vor dem Schloss von seiner scheinbar zukünftigen Tochter erzählte, noch, warum es ihr so Wichtig war, dies als Grund dafür anzugeben, es ihm nicht zu sagen. Dies wiederum machte ihn wütend und durcheinander. So durcheinander, dass er keine Lust hatte, ihr nachzulaufen. Sich entschuldigen? Er sah keinen Grund darin – immerhin sollte sie sich entschuldigen, ihm so lange Zeit vorenthalten zu haben, das Kind der Weisheit sei ausgerechnet seine Tochter. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, ebenso der letzte Satz, der zwischen den beiden stattfand. So schlenderte er voran im strömenden Regen, eine Gasse durch das Dorf von Ikana. Dass er pitschnass war, störte ihn nicht. Auch nicht, dass ihm Regentropfen von den Haaren über das Gesicht liefen. Der Halbengel lehnte sich gegen eine Hauswand und seufzte tief, als ihm der Gedanke aufkam, sie wären schon beinahe am Ziel gewesen: zurück im sicheren Schloss, bei Aira und Avrial. „Na mein Junge, warum so bedrückt?“, eine alte Stimme erklang von rechts. Lyze drehte den Kopf hinüber und sah einen alten, gebrechlichen Mann auf einer Holzbank, neben einer Haustüre sitzen. Der Mann mit grauem Langbart hustete einmal kräftig, ehe er sich wieder an seinen Wanderstock lehnte: „Du meine Güte, du bist pitschnass. Willst du denn den ganzen Tag im Regen stehen?“, der Mann rückte ein Stück und klopfte an die freie Stelle, „Komm mein Junge, setz dich doch.“ Zuerst durchfuhren den Halbengel die Worte „Nein Danke.“, doch ehe er sie aussprechen konnte, fand er nichts, dass gegen das Angebot des alten Mannes sprach. Was hatte er jetzt schon noch zu verlieren? Zeit? Welche Zeit…? So kam er wortlos hinüber und setzte sich bedrückt neben den alten Mann. Auch wenn dieser ihn immerzu ansah, war Lyzes Blick dem Boden zugerichtet. In seinem Gesicht spiegelten sich all sein Kummer, Verwirrtheit und Wut wieder. „Weißt du, mein Junge…“, begann der Alte, der seine Augen nach vorn gerichtet hatte, „Damals, vor vielen Jahren, als die Welt noch in Ordnung war, gab es für jedermann und jederfrau genug arbeit. Da gab es auch keine ‚Gesetze’ oder ‚Zwänge’. Natürlich hatte jeder klar seine Rolle verteilt bekommen, aber… die Arbeit war das A und O.“, der Mann schmunzelte in seinen Bart, „Da habe ich auch meine große Liebe, Klaris kennen gelernt.“ Bei seinen Worten wurde Lyze hellhörig. Der Mann wechselte seine Sitzpose. „Aber was schwafele ich schon wieder, einen jungen Hüpfer wie dich interessiert so eine alte Geschichte mit Sicherheit nicht.“ Zwar antworte Lyze nicht, doch sah er in diesem Moment den alten Mann mit einem Blick an, der sein Interesse verriet. „Nun…“, erzählte der Mann weiter, „Klaris war eine wunderschöne Frau. Neben ihren Kochkünsten war sie bei anderen Männern sehr begehrt. Doch eines Tages machte ich ihr den Hof und gewann ihre aufrichtige Liebe für mich allein.“, er hustete kurz, „Wir wollten Heiraten, doch dann brach Krieg über Desteral herein…“ Lyze sah wieder gen Boden, lauschte aber weiter der Lebensgeschichte. „Der Krieg brach Desteral in zwei Teile auseinander und zwang mich, in meinen jungen Jahren, quer durch das Land ans Schlachtfeld zu reisen. Klaris blieb zurück, mit einem alleinigen Abschiedskuss von mir.“, kurz seufzte der Mann, „Ich habe sie nie wieder gesehen. Als der Krieg nach vielen Jahren endete, war sie verschwunden. Ohne Spuren. Von vielen Leuten hörte ich, sie sei gestorben, als sie auf hoher See war; andere behaupteten, sie war es Leid zu warten und suchte sich ihr neues Glück.“ Nun seufzten sowohl noch einmal der alte Mann, als auch Lyze gleichzeitig. Dann senkte der Mann den Blick; „Ich hätte sie nicht verlassen dürfen. Niemals hätte ich meine Klaris aus den Augen verlieren dürfen.“, unerwartet legte er eine Hand auf Lyzes Schulter. „Eins sage ich dir, Junge. Solltest du je die Liebe gefunden haben, dann lasse sie nicht mehr los. Wenn du einmal gehst, kann es sehr gut möglich sein, dass du sie nie wieder siehst.“ Durch die Worte des alten Mannes konnte sich Lyze gut an seine erste Liebe erinnern. Limiu, das Mädchen von damals, ging samt ihrem Volk unter… er hatte sie verlassen und nie wieder gesehen. Und plötzlich – Lyze sah auf, als er genau in diesem Moment den Zusammenhang fand, den Siri als ihr Problem anerkannte: Ihr ging es nicht um Gegenwart. Das Kind der Weisheit, Lyzes Tochter aus der Zukunft, zeigte deutlich, dass es für sie scheinbar keinen Platz gab. Aber musste es wirklich so enden…? War die Zukunft denn hoffnungslos unformbar? Mit diesem Gedanken erhob sich Lyze von der Bank. Der alte Mann sah zu ihm auf, als er sich dankend verbeugte. „Ihr habt mir sehr geholfen.“ „Hab ich das? Oh, ich helfe gerne.“ Dann lief der Halbengel los, den verregneten Weg entlang, den er gekommen war. Leise lachend, stand danach der gebrechliche Mann auf. Er schüttelte den Kopf, als er, an seinen Wanderstock gelehnt, losschlenderte und dabei „Junge Liebe…“ in seinen Bart murmelte. Er bog in einen Trampelpfad ein, der über einen Umweg über den Berg führte. Im nächsten Moment richtete er sich auf und konnte ganz normal weitergehen. Mit jedem Schritt schneller, bis er den Wanderstock wegwarf, verwandelte er sich in seine wahre Gestalt, setzte sich noch seinen dunkelroten Zylinder auf und ging zurück ins abgelegene Schloss. Schnellen Schrittes lief Lyze durch das Dorf von Ikana. Er war aus der Puste, dachte aber nicht daran, stehen zu bleiben, ehe er nicht Siri gefunden hatte. Es war dumm, ihr nicht gleich zu Folgen. In der Zwischenzeit hätte ihr etwas zustoßen können, wenn dies nicht sogar der Fall war. Erst am anderen Ende der Ortschaft, nahe dem Berg, wurde Lyze langsamer und rief nach ihr. Es war gut möglich, dass sie bereits oben im Schloss war; doch ehe er dies glauben wollte, suchte er die ganze Umgebung nach ihr ab. Denn wenn sie wirklich bereits bei den anderen war, wäre es eine höchst peinliche Situation, das Geschehene vor allen zu erklären. Weder im Dorf, noch im Wald war sie gewesen; der Strand war zu weit weg, um dorthin in strömenden Regen zu laufen und so blieben nur noch wenige Möglichkeiten offen. Etwas verzweifelt machte er sich auf den Weg, die Straße zum Schloss abzusuchen; doch ehe es Bergauf ging, entdeckte Lyze eine Steinbrücke, die zwischen dem Dorf und einer alten Mühle lag - und darunter erkannte er die Umrisse einer weiblichen Person. Schweren Herzens atmete er einmal tief ein, ehe er sich der Brücke näherte. Beim herangehen erkannte man aus den Umrissen tatsächlich Siri heraus, die sich - als sie den Halbengel näher kommen sah - die Tränen aus dem Gesicht wischte und ignorierend gegen die Felswand lehnte. Natürlich bemerkte er das. Doch ging er weiter und hielt erst an, als er vor ihr stand. Ihre Kleidung war, genau wie seine, komplett durchnässt, ebenso die Haare. Man konnte leicht daraus schließen, dass Siri selbst eine weile umherirrte, ehe sie zuflucht unter der Brücke suchte. Immer noch sah sie Lyze nicht an. Sei es, weil sie ihn ignorierte, oder sie ihm einfach nicht in die Augen schauen konnte. „Siri...“, begann der Halbengel schließlich, als er sein Verhalten erklären wollte, doch redete ihm die junge Frau leise dazwischen: „Es ist ok. Ich verstehe es vollkommen.“, sie senkte ihren Blick etwas mehr, „Ich habe seit Anfang an damit gerechnet. Ich meine- Limiu, der Name sagt doch schon alles... es tut mir Leid. Ich hätte es dir nicht so spät sagen dürfen. Das war egoistisch.“, dann sah sie leicht zu ihm auf und lächelte traurig, „Es ist wohl nicht unser Schicksal, dass wir-“, unerwartet zog Lyze ihr Gesicht an seines. Er hatte die Augen geschlossen, während Siri erst verstehen musste, was gerade passierte; doch noch ehe sie es begriff, war der Kuss auch schon vorbei. Sie wollte reden, doch kamen keine Worte. Noch immer waren Lyzes Hände auf ihren Wangen gelegt. „Du Dummerchen. Es ist mir egal, wer in diesem Schloss wartet. Und wenn es fünf meiner angeblichen Kinder wären, ich will nur mit dir zusammen sein. Egal, was die Zukunft erzählt.“ „Lyze... du... aber...“ „Wer sagt, dass die Zukunft festgeschrieben steht? Gibt es nicht tausende Wege und Möglichkeiten, die das Leben beeinflussen? Die Zukunft wird immer anders aussehen. Das weiß ich genau.“ Er schaute kurz darauf etwas überrascht, als Siri anfing zu weinen. Im nächsten Moment breitete sich in ihrem Gesicht ein lächeln aus, ehe sie sich schwungvoll gegen ihn schmiss und fest umarmte: „DANKE!“ „Herr Avrial!“, die kleine Limiu verbeugte sich, als der Arcaner sein Schloss betrat, „Willkommen zurück.“ „Oh, vielen Dank. Das ist aber auch ein Unwetter da draußen. Heftiger, als ich erwartet habe.“, er hang seinen Mantel über einen Kleiderständer, „Wollen Aira und du einen Tee?“ „Uhm, darüber wollte ich gerade mit dir reden...“, verlegen verschränkte Limiu die Arme hinter dem Rücken. „...Aira ist aus dem Fenster gesprungen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)