Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 18: Lyzes Tag --------------------- Der Tag in der Familie Noshyru begann früh. Lyze war in seiner eigenen Zeit fast immer der erste auf den Beinen, doch hier war er oftmals der Letzte. Zuminderst an diesem Morgen konnte man seine Mutter bereits um sechs Uhr durch die Flure schleichen hören. Keine Stunde später kamen Lyzes Vater und sein großer Bruder Akyu zurück – sie waren für zwei Tage unterwegs gewesen, hatten dabei Fische gefangen und Lebensmittel aus dem nahe gelegenem Dorf mitgebracht. Erst gegen acht Uhr wurde Lyze durch die Gespräche im unteren Stockwerk wach; nicht zuletzt kam Akyu eilig die Stufen herauf gelaufen, klopfte noch höflich an Lyzes Tür, bevor diese mit kraft aufgestoßen wurde: „Guten Morgen, Lyze!“ „Hey, was-“, wie immer musste der kleine Bruder erst registrieren wo er war – und dieses mal auch wann. „A-akyu.“, der Junge setzte sich verschlafen auf, „Ihr seid schon zurück?“ „Natürlich! Wir haben übrigens Fische gefangen.“, er hopste neben Lyze aufs Bett und sah ihm dabei ins Gesicht. „Schlafmütze.“ Allmählich konnte sich der Junge aus der Zukunft wieder einleben und grinste sogleich: „Das ist nicht fair! Das nächste Mal geh ich mit Paps Angeln!“ „Träum weiter.“, meinte sein Bruder, Arme in die Hüfte gestemmt, „Du fängst doch sowieso nichts!“ „Doch, tue ich wohl! Du wirst schon sehen, ich werde die größten fangen!“ „Jaajaa.“, nun hopste Akyu zurück auf den Boden und lief zur Tür: „Mama will, dass ich dir sage, du sollst frühstücken gehen.“ „So? Das hättest du aber auch gleich sagen können, anstatt anzugeben!“ „Ätsch!“, noch schnell die Zunge rausgestreckt, lief der große Bruder auch schon wieder hinfort, die Stiegen hinab. Akyu. Sein Gesicht hatte Lyze schon völlig vergessen gehabt. Seine blauen Augen hatten einen Ausdruck von Stärke, sein Mund immerzu ein freches Grinsen. Die Blonden Haare waren gleich der von Lyze, nur länger. Nach dem Umziehen folgte der Junge seiner Familie in die Küche, wo es erstmal Frühstück gab. Der erste Anblick des Vaters war für ihn nicht ganz Selbstverständlich – Lyze musste beim Essen immerzu in seine müden Augen sehen. Er konnte nicht verstehen, es nicht fassen, dass dieser freundliche und gutmütige Mensch, sein Vater, heute diesen enormen Fehler begehen wird. Auch wenn schwarze Haarsträhnen in sein Gesicht hangen, konnte er sehen, wie er von seinem Sohn immerzu angestarrt wurde. Nun, als sein Blick zu ihm fiel, sah Lyze es das erste Mal in seinen dunkelblauen Augen: den Hang zur Magie, welcher seit jeher die Arcaner zu den Wesen machte, die sie sind – auch wenn im Blut seines Vater nur zur Hälfte das eines Magiers floss. „Na, Lyze?“, fragte er freundlich, „Hattest du gestern einen schönen Tag?“ „Uhm- klar! Ich habe einen Teich entdeckt, mit Kaulquappen darin!“, der Junge drehte sich zu seinem Bruder, „Akyu, den muss ich dir unbedingt zeigen!“ „Ach, meinst du den, hinter den westlichen Hügeln? Den kennen wir doch schon…“ „Ehrlich?“ „Hast du es etwa schon vergessen?“, Akyu schüttelte den Kopf, „Dummkopf, das war doch erst letzte Woche!“ Bei diesen Worten sah der Vater wieder zu Lyze. Nun musste sich der Junge irgendwie herausreden… „Oh, wirklich?“, er kratze sich verlegen am Kopf, „Ich dachte, der von letzter Woche war der Teich im Süden.“ „Nee, du.“, so Akyu, der aufgegessen hatte, „Der im Süden war zu dem im Westen nur ne Pfütze. Hey, ich hab eine Idee! Lass uns heute doch den dicken Baum in der Nähe des östlichen Waldes beklettern – vielleicht können wir da oben ja ein Baumhaus bauen!“ Richtig, das Baumhaus. Lyze fiel es nun wieder ein: in seiner Zeit war es ein unfertiges Gestell am zerfallen. „Uh, klar. Warum nicht?“ „Dürfen wir, Paps??“, so Akyu, ganz aufgeregt. „Ja, dürfen wir?“ Der Vater sah zwischen seinen Söhnen hin und her, ehe er nickte. „Ja, warum eigentlich auch nicht?“ Da mischte sich die Stimme der Mutter aus dem Wohnzimmer hinzu: „Aber seit zum Mittagessen wieder hier!“ „…Aber seit zum Mittagessen wieder hier.“, so der Vater, lächelnd. „Bis Mittag schaffen wir aber kein Baumhaus…“ „Ach Lyze.“, Akyu klopfte ihm beim Vorbeigehen auf den Rücken, „Morgen ist auch noch ein Tag!“ „Stimmt ja…“, Lyze folgte seinem Bruder, nach einem seufzten, „Morgen…“ Nach einem Gehweg von etwa fünf Minuten war der besagte, dickte Baum erreicht. Er ragte riesig empor, weshalb die Jungs ihren Kopf weit nach oben richten mussten. Während Akyu fröhlich um ihn herum lief und eine geeignete Stelle zum Klettern suchte, ging Lyze durch den Kopf, wie alt dieser Koloss von einem Baum sein musste. Bestimmt war er bereits zu Zeiten seiner Ururgroßeltern hier. Der Bau des Baumhauses und somit der Vormittag verging ziemlich rasch. Die Brüder mussten fünf Mal hin und her laufen, um alle Materialien, wie zum Beispiel Holzbretter, beisammen zu haben. Nach dem Mittagessen – Lyze hatte das Gekochte seiner Mutter genossen – spielten die zwei Brüder vor dem Haus mit Holzschwertern. Akyu wunderte sich, wieso ihn Lyze plötzlich immer besiegen konnte, dachte aber nicht weiter drüber nach. Ihm waren diese Niederlagen eher ein Ansporn, um noch mehr zu trainieren; punkto Schwert wollte er so gut werden wie er nur konnte, so wie sein Vater einst. Kaputt vom vielen Kämpfen, ließen sich die Zwei schließlich ins weiche Gras, unter dem damals noch jungen Weidenbaum fallen. „Da!“, meinte Akyu beim Hochschauen, „Ein Eichhörnchen…“ „Mhm.“, müde drehte sich Lyze auf den Rücken; sein junger Körper konnte längst nicht so viel einstecken, wie in der Zukunft. Nach einigen Minuten des Schweigens – und des Wolken Betrachtens, blickte Lyze zu seinem Bruder. „Du, Akyu…“ „Hm?“ „Ist dir… jemals etwas Komisches an unseren Eltern aufgefallen?“ „Nein… warum fragst du so was?“ „Nur so… weil mir klar wurde, wie wenig wir eigentlich über ihre Vergangenheit wissen.“ „Stimmt.“, Akyu drehte sich seitlich zu ihm, „Ich habe Paps noch nie danach gefragt, wie er so gut mit dem Schwert wurde…“ „Und wie er Mama kennen gelernt hat…“ „Und wieso Oma uns nicht mehr besuchen kommt.“, bei Akyus Worten wusste Lyze die Antwort – mit Sicherheit war sie verstorben und die Eltern wussten einfach noch nicht, wie sie es ihren Söhnen am Besten klarmachen sollten. „Sag mal… auch wenn das jetzt etwas komisch klingt, aber ist dir aufgefallen, ob Mama in letzter Zeit an Gewicht zugelegt hatte?“ „Gewicht?“ „Ob sie dicker war.“ „Ach, ob sie fett war!“ „Akyu…“ „Ja, sorry. Weißt du, die letzte Zeit war sie wirklich etwas fett, jetzt wo du mich fragst… aber jetzt sieht sie wieder super aus!“ „Das tut sie, ja…“ „Eigentlich war sie, bevor wir Papas Freunde mit ihm besuchen waren, ziemlich fett – und als wir nach zwei Wochen wieder zuhause waren, wieder schön dünn.“ „Du meine Güte…“, Lyze hatte sich entsetzt aufgesetzt, als er dies hörte. „Alles okay?“ Auch wenn es ihm schwer fiel, nickte er. „Natürlich – mir wurde nur gerade klar, wie sehr Mama trainiert haben musste, während wir weg waren.“ „Ja!“, Akyu war stolz aufgestanden, „Nun weißt du, woher wir unsere Stärke haben!“ „Das wird es sein.“, schmunzelte Lyze, „Ganz bestimmt. Gehen wir hinein? Mama meinte vorhin, sie hat backt einen Kuchen!“ „Oh lecker – ich bin der erste!“, und schon war der große Bruder losgelaufen. Im nächsten Moment folgte ihm auch Lyze. „Nicht, wenn ich zuerst da bin!“ So verstrich allmählich der Nachmittag. Die Söhne halfen ihrer Mutter beim Backen, Lyze durfte sogar die Glasur vom Löffel lecken, bis Akyu meinte, er solle ihm etwas übrig lassen. Später folgte das Abendessen, die Nachspeise bildete natürlich der Kuchen. Ihre Mutter hatte an dem Tag einiges zu tun und war wieder mit dem Waschen der Kleidung beschäftigt, so kümmerten sich die Jungs auch noch um den Abwasch: Akyu spülte ab, Lyze trocknete das Geschirr. Schließlich war alles weggewaschen und der große Bruder lief nach draußen, um den Vater zu begrüßen, der gerade den Hügel hinauf kam. Auch die Mutter ging mit dem schweren Korb nasser Kleindung nach draußen. Lyze blieb noch eine Weile in der Küche und trocknete die letzten Gläser ab. Sein Blick fiel dabei aus dem Fenster vor ihm, auf die sinkende Sonne, die den Himmel und Hügeln in einen sanften orange hüllte. Schwer schluckte er, denn er wusste, dies war das Zeichen, dass der zweite und somit letzte Tag seiner Kindheit langsam verstrich. Als schließlich kein Geschirr mehr übrig war, schritt er langsam voran, zur Haustür. Er konnte das Lachen seines Bruders und der Mutter vernehmen – sie schienen Spaß zu haben, so senkte Lyze den Kopf. Trotz dem Wissen, die letzten Stunden seien angebrochen, legte er lächelnd eine Hand auf den Türknauf, ehe er, fröhlich wie immer, hinaus zu seiner Familie kam. „Lyze, da bist du ja!“, Akyu war zu ihm gelaufen und lachte, „Ich dachte schon, du bist beim Abtrocknen eingeschlafen!“ „Na, wirklich aufregend ist das auch nicht!“, so die lächelnde Antwort. „Kinder…“, der Vater kam überraschender Weise hinzu, sah langsam zu den beiden hinab. „Ich erwarte heute noch einen Besuch. Warum spielt ihr nicht in euren Zimmern weiter; euch würde bei unserem Gespräch nur langweilig werden.“ „Waaaas, jetzt schon?“, maulte Akyu, „Ich will aber noch draußen spielen!“ Der Vater schien zu überlegen. „Nun…“ „Was… ist mit dem Wald?“, Lyze sah zu seinem Bruder, „Den wollten wir doch noch erkunden, oder?“ „Ja richtig!“, er zupfte an der Hose des Vaters, „Dürfen wir? Dürfen wir noch ein wenig in den Wald!?“ „Akyu…“ „Ich pass schon auf Lyze auf! Dazu nehme ich meinen Stock und wenn ein Monster kommt – BUM!“ „Ich weiß nicht, ob mir das so Recht ist…“ „Na ja, wenn es zu gefährlich ist…“, Lyze sah zu seiner Mutter, die sich gerade zum Wäschekorb bückte, „Kann Mama doch mitkommen? Sie kann uns sicher sagen, welche Früchte schon Reif sind und welche erst im Herbst so weit sind.“ Der Vater wuschelte Lyze daraufhin durch die Haare. „Wie schlau du doch nicht bist.“ „Oh, liebend gern…“, so die Mutter, wobei in Lyze sogleich die Hoffnung aufkam, sie könne den Tag überleben, „Aber ich habe noch die ganze Wäscheleine vor mir. Geht ruhig; ich vertraue da Akyu. Aber seid bitte wieder beim Haus, wenn die Sonne untergegangen ist.“ „Jaaa!“, Akyu zog Lyze ein Stückchen mit sich, in Richtung Wald. „Das war eine großartige Idee! Vielleicht finden wir Tiere, die sich erst bei Dämmerung zeigen!“ „Ja…“, Lyze folge ihm mit einem kaum hörbaren Seufzen in Richtung Wald, „Vielleicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)