Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 19: Trauma ------------------ Fröhlich summte Akyu beim Spaziergang durch den Wald und schlug dabei mit einem Stecken an jeden Baum und Strauch, an dem die zwei Jungs vorbeikamen. Sein kleiner Bruder trottete ihm langsam hinterher. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, hinzu mischte sich ein erdrückendes Gefühl der Machtlosigkeit: Lyze wollte am Liebsten umdrehen und zurück zum Haus laufen, denn er wollte nicht wahrhaben, dass die letzte Stunde seiner Familie angebrochen war. Theoretisch hätte er seinen Vater warnen können. Zwar wäre er als Zeitreisender aufgeflogen, doch ein Treffen mit dem Vampir hätte es dann bestimmt nie gegeben – doch dies wäre eine grobe Veränderung der Zeit und könnte zur Folge haben, dass er Siri niemals kennen gelernt hätte und der Krieg vor zwei Jahren nie ein Ende gefunden haben könnte. So schluckte er einmal kräftig und versuchte den Gedanken an die nahe Katastrophe zu vergessen. Da im Laufe des Spazierganges ein immer größerer Abstand zwischen ihm und Akyu entstand, blieb der große Bruder schließlich stehen und wartete einige Momente auf ihn. Als Lyze schließlich zu ihm aufholte, stemmte sein Bruder die Hände in die Hüfte und verdrehte bei seinem Anblick den Kopf. „Alles okay? Du wirkst, als ob du gleich schrecklich losheulen würdest!“ „Tue ich das…?“, Lyze sah zu ihm auf und versuche, so gut es ging, seine Sorgen zu verheimlichen. „Quatsch, das bildest du dir ein.“ „So? Du lügst doch… Ja, du lügst! Ich sehe es ja, du bist schon den ganzen Tag so komisch!“, nun verschränkte er die Arme, „Hat Mama mit dir geschimpft? Oder ist dir schlecht vom Essen? Sag mir was los ist, oder ich erzähle es ihr!“ „Akyu…“, Lyze fiel es langsam wirklich schwer, in seiner Kinderrolle zu bleiben, „Schau, ich kann es dir nicht sagen. Es… es ist nicht so schlimm wie es scheint… na ja…“, er legte eine Hand auf seine Schulter, „Hör zu. Ich kann dir ihm Moment nicht sagen, was mich bedrückt. Kannst du das verstehen?“ „Uhm, dann sagst du es mir eben vorm Schlafen gehen.“ „Ja…“, der kleine Bruder musste über seine Antwort schmunzeln, „Wenn du willst, gerne. Aber…“ „Aber?“ „Du… du musst mir etwas wichtiges Versprechen…“ Inzwischen, in Azamuth, fiel auch allmählich Siri auf, dass der letzte Tag der Vergangenheit langsam sein Ende nahm. Sie saß draußen, auf den Stufen ihres Hauses und wartete auf Mairons Rückkehr. Er war heute unerwartet verschwunden, ohne der kleinen Tochter etwas zu sagen. So zog Siri seufzend die Knie an und blickte auf die am Horizont sinkende Sonne. Ein leichtes Gefühl von Kälte machte sich breit. Ob dies an der Temperatur lag, konnte sie nicht sagen – denn ihr ging zugleich durch den Kopf, dass sie, also ihr älteres Ich, bald aus dem kindlichen Körper verschwinden würde. Wenn es so wie die Reise in die Vergangenheit ablief, musste sie sich auf eine Achterbahnfahrt einstellen – so ihre Gedanken. Da: Mit der Sonne im Rücken, tauchte Mairon hinter den einfachen Behausungen des Dorfes auf und kam den Weg entlang. Siri setzte sich auf, als er näher kam und ihr ein zusammen gerolltes Stück Papier, gehalten durch ein Band, entgegen hielt. „Mairon, ist das…?“, überrascht blickte sie in sein Gesicht, ehe sie zögernd nach der Rolle griff. „Nimm sie. Ich will es so.“ Als sie schließlich aufgestanden war und die Rolle in den Händen hielt, lächelte sie traurig zu ihrem Erzieher. „Das ist die altarcanische Formel, nicht war? …Vielen Dank. Aber wie hast du-?“ „Verstecke sie, bis du in deiner Zeit zurück bist.“, dabei lächelte er, ganz gelassen und ohne reue. „Du hast sie gestohlen…!“ „Wenn es der Zukunft hilft? Außerdem würde sie im Schloss nur vergilben.“ „Mairon! Du- du wirst dafür gejagt werden! Wenn sie dich erwischen, dann-“ „Keine Sorge.“, er schmunzelte wieder, „Bis die Dämonen entdecken, dass da etwas fehlt, werden Jahre vergehen.“ „Jahre…?“, Siri senkte den Kopf. Traurig schaute sie auf die Rolle, denn ihr wurde klar, wohin Marions Tat eines Tages führen wird. „Was hast du?“, Mairon kniete sich zu ihr hinab legte sorgvoll die Hände auf ihre Schultern, „Deine Mission ist erfüllt – du solltest Glücklich sein.“ „Du wirst fortgehen.“, schluchzte sie leicht. „Was?“ „Du wirst wegen der Formel fortgehen, ehe die Dämonen dahinter kommen, dass du es warst.“, sie sah auf, „Es stimmt doch, oder!?“ „Siri…“ „Also doch.“, sie drückte die Rolle an sich, „Weißt du… eigentlich wusste ich es bereits. Aber… aber jetzt kenne ich den Grund dahinter.“, sie sah traurig lächelnd in sein Gesicht, „Irgendwie ist das eine Erleichterung.“ Zuerst fühlte sich Mairon aus Gründen, die noch gar nicht passiert sind, schuldig. Als er dann aber erkannte, dass sein Fortgehen unwiderrufbar geschehen wird, stand er seufzend auf und legte Siri seine Hand auf den Kopf. „Vielleicht muss es kein Lebwohl für immer sein?“ „Wie meinst du das…?“ „Ganz einfach, meine Kleine.“, er lächelte zu ihr hinab, „Wenn ich mir eine Nachricht schreibe, damit ich mich an unser Gespräch erinnere, könnte ich eines Tages-“ „Mairon, nein…!“, Siri schüttelte den Kopf, „Wenn du mich aufsuchst, veränderst du die Zukunft… lass es gut sein.“ „Hm, ich verstehe.“, er zog die Hand von ihrem Kopf und entfernte sich ein paar Schritte. Anschließend blickte er zur am Horizont verschwindenden Sonne. Im selben Moment schaute das Mädchen zur Seite und überlegte eine Weile. Sollte sie Mairon wirklich nie wieder sehen? Da durchfuhr Siri ein schauriges Gefühl. Erschrocken ließ sie in dem Moment die Rolle fallen, als sie auf ihre Hände starrte. Als sich dann Mairon sorgvoll zu ihr umdrehte, hob sie hastig die Rolle wieder auf. „Alles ok, mir geht es gut.“, sie lächelte verlegen, „Der letzte Tag geht nur zu Ende…“ Auf den fragenden Blick seines Erziehers hin, versuchte es ihm Siri zu erklären: „Avrial gab uns zwei Tage, um die fehlenden Teile der altarcanischen Formel zu finden. Wenn es finster wird, werden wir in unsere Zeit zurückversetzt. Also… bitte nicht wundern, nach Sonnenuntergang wird Siri wieder das achtjährige Mädchen sein, wie du sie kennst.“ „Ich verstehe.“ „Uhm, Mairon…“, sie fasste sich an die Stirn, „Bevor ich gehe, hätte ich da doch noch eine Bitte an dich…“ Hilflos irrte ein Junge im Wald, nahe seines Heimes umher. Lyze spürte im gleichen Moment wie Siri, dass die Zeit langsam knapp wurde. In seiner Panik hatte er Akyu aus den Augen verloren, obwohl er sich für dieses Mal geschworen hatte, seinen großen Bruder nicht allein im Wald zurück zu lassen. Immer wieder rief er nach ihm, blieb stehen, lauschte, lief weiter und rief erneut. Seine schallenden Worte schreckten Vögel und Waldtiere auf, doch sein Bruder war einfach nicht zu sehen. Als Lyze erneut stehen blieb und nach Akyu rief, wanderte sein Blick langsam nach links: eine alte, verwucherte Waldhütte kam zum Vorschein. Das musste sie sein. Das musste die Hütte sein, von der Avrial meinte, dass ein alter Arcaner einst die Formel hier liegen gelassen haben musste. Doch ging dem jungen Halbengel in diesem Moment für ihn wichtigere Dinge durch den Kopf. Sehrwohl wusste er, dass sein Geist bald in die Zukunft zurück reisen würde – doch vorher wollte er unbedingt noch etwas für seine Familie tun. Gerade, als er einen Schritt von der Hütte wegmachte, klingelte der Kommunikator in seiner Tasche. Lyze fühlte sich in seinem Handeln gestört, doch gleichzeitig war er froh, dass Siri endlich anrief. Er gab stumm den Anruf frei und lauschte. „Lyze, ich habe sie! Jetzt wird alles gut, Mairon hat mir die Formel gebracht!“ Kurze Zeit trat stille ein. „Wie sieht es bei dir aus? Hast du die Formel?“ „Ja… nein, ich stehe vor der Hütte.“ „Wunderbar!“, während Siri weiter sprach, wehte beißender Qualm in Lyzes Richtung, woraufhin er sich die Hand vor die Nase hielt. „Lauf schnell hinein und hol sie dir, dann kann nichts mehr schief gehen!“ „Nein.“ „Was?“ „Ich… ich kann nicht.“, Lyze tat sich immer schwerer beim Sprechen, „Ich werde umdrehen, den Rauch entgegen – noch ist es nicht zu spät…!“ „Nein!“, Siri schrie regelrecht in das Gerät, „Lyze, du wirst nur enttäuscht werden, außerdem reicht dafür die Zeit nicht aus! Du musst dich auf die Mission konzentrieren; bitte, die Formel ist entscheidend-“ Fest entschlossen von seiner Tat, senkte der Junge das Gerät in seiner Hand, ehe die Verbindung zu Siri völlig abbrach. „Lyze!“, Siri saß verzweifelt in der Wiese und schrie auf das Gerät ein, immer und immer wieder. „Lyze, bitte, antworte mir…!“ Währenddessen stand Mairon etwas abseits und hatte seiner Tochter aus der Zukunft zugesehen. Er verstand nichts von dieser Technik, doch wusste er genau, dass sich Siris Partner eindeutig für den falschen Weg entschied. Als dann kleine, funkelnde Sterne von Siri aus begannen aufzusteigen, richtete er seinen Blick noch ein letztes Mal gen Horizont: die Sonne war vollkommen verschwunden. „Es ist soweit.“, dabei trat der Arcaner näher an Siri heran. „Nein!“, sie schluchzte, „Lyze wird die Zukunft verändert haben! Ich kann noch nicht zurück!“ Nur mehr lächelnd schüttelte Mairon den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es so ist. Da bin ich mir ziemlich sicher…“, und wank ihr, als sich die Sterne vermehrten, noch einmal zum Abschied. Siri wollte sprechen, doch kamen keine Worte. Stattdessen fühlte sie leicht – federleicht. Nicht einen Moment später durchlebte sie noch einmal die gleiche Achterbahn, wie bei ihrer Reise in die Vergangenheit. Avrial und das Kind der Weisheit traten leicht zurück, als die Zeitreisenden wieder auf der Bodenmarkierung in der Bibliothek erschienen – für sie sind keine zwei Tage, sondern gerade einmal zwei Minuten vergangen. Taumelnd fasste sich die ausgewachsene Siri auf den Kopf, da sich alles drehte; Lyze fiel währenddessen auf die Knie und schlug mit einem „Verdammt!!“ kräftig auf die Holzdielen. Als die Umherstehenden aufschraken, schlug er abermals auf den Boden ein, ehe er sich krümmte und begann zu weinen. Auf diese Reaktion war keiner im Raum wirklich vorbereitet. Nicht einmal Limiu wollte etwas sagen und senkte stumm den Kopf. Schließlich setzte sich Siri zu ihm und schloss den schwer erschütteten Lyze fest in die Arme. Dabei hatte sie die Augen geschlossen – als ihr Blick dann doch kurz zu Lyze schweifte, sah sie die altarcanische Formel in seiner Hand. Verblüfft ließ sie daraufhin von ihm ab: „Du warst in der Hütte…?“ „Ich konnte nichts tun…!“, meinte er verzweifelt, „Ich war dort, aber-“ „Ach Lyze…“, sie nahm ihn wieder in die Arme, ehe er weiter sprach. „Aber… es war zu spät.“ „Das tut mir so Leid für dich…“ Lyzes Miene verzog sich wütend: „Doch ich konnte die Fratze des Mörders sehen.“, und senkte den Kopf. „Ich werde ihn finden. Ich schwöre, ich werde ihn finden und zur Strecke bringen…!“ Da fiel Avrial ins Gespräch: „Ehe du das tust… solltest du einen Blick zur Tür werfen.“, er stemmte dabei die Hände in die Hüfte, „Habe ich nicht gesagt, ihr sollt die Gegenwart nicht verändern…?“ Nun sahen sich Siri und Lyze gegenseitig fragend an. Beide glaubten in dem Moment, der andere hätte einen Eingriff vorgenommen. Tatsächlich aber war es dann der Halbengel, der verweint, mit großen Augen zur Tür sah, als der Mann, der dort Arme verschränkt stand, „Hallo Lyze.“, lächelte. „Akyu…“ Lyzes ungläubiger Blick war in dem Moment einfach nur Unbezahlbar. Der Mann trat näher: auf seinem Rücken trug er ein Schwert, sein Blick, der durch die blauen Augen fiel, war nach wie vor Frech und die blonden Haare etwas länger als bis zur Schulter. Siri half Lyze hoch, als sich sein – auch jetzt noch größerer Bruder – vor ihn Stellte und auf die Umarmung wartete. Auch Aira, die Abseits bei Limiu saß, hatte zuerst überlegend die Augenbrauen zusammengezogen, ehe sie hellauf lächelte: „Boah, wie cool ist das denn?! Ich habe zwei Brüder!“ „Ja aber-“, Siri deutete verwirrt zwischen den sich in den Arm geschlossenen Brüdern hin und her, „Wie ist das denn nun möglich?“ „Ach, das ist nicht schwer.“, erklärte Akyu, „Lyze bat mich bei unserer letzten gemeinsamen Zeit um ein Versprechen: er meinte, ich solle mich vom brennenden Haus fern halten. Als ich ihn im Wald verlor, suchte ich zuerst nach ihm – dazu kletterte ich auf einen Baum und sah, dass unser Haus tatsächlich brannte. Ich verstand zuerst überhaupt nicht wieso; bis ich diesen schwarzen Typen, mit dem Paps immer sprach, sah. Nach eifrigem Überlegen wusste ich, dass auch Lyze sicher weggelaufen war. So beschloss ich schweren Herzens das Versprechen einzuhalten und kehrte dem Haus und dem Mörder den Rücken… so klein wie wir waren, konnten wir sowieso niemals etwas ausrichten. Doch leider konnte ich auch danach Lyze nicht ausfindig machen und setzte mich im Sonnengebirge ab.“, Akyu seufzte, „Ich machte mich vor kurzem bei der Armee des Lichts, also bei den Engeln schlau, wo sich Lyze aufhielt und fand schließlich heraus, dass er sich des Öfteren mit einem Magier, wohnhaft in Ikana, trifft.“, er hob die Schultern, „Nur schade, dass mein Freund nicht mitreisen wollte. Es war ihm zu ‚gefährlich’.“ „Dein Freund?“, lächelnd wurde er von Siri angesehen, ehe sie ins Grübeln kam: „Moment… meinst du Freund-Freund?“ „Ja doch, Schätzchen.“, er stupste sie leicht. Ebenfalls perplex zogen sich die Stirn von Limiu und Aira zusammen. „Also, ganz ehrlich.“, Lyze umarmte seinen Bruder noch einmal, „Das ist mir so was von egal.“ „Ähem…“, nun räusperte sich Avrial, „Nun, der Tag scheint Erfolgreich gewesen zu sein… in jeder Hinsicht. Gebt Limiu und mir bis Morgen zeit; dann kann die Reise in die Zukunft beginnen.“, er drehte sich zu Akyu, „Das Schloss ist groß genug – wir haben sicher auch ein Gästezimmer für dich. Ich richte es dir gern neben Siri und Aira ein.“ „Ach, keine Sorge: du bist mir zu alt.“ Avrial trat zur Tür, in dem Wissen, dass Akyus Aussage ohne weiteres ignoriert werden konnte. „Kommt mir nach, in den Speisesaal, wenn ihr fertig mit der Begrüßung seid.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)