Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 20: 6. Reise in die Zukunft ----------------------------------- Endlich war eine große Hürde hinter sich gebracht: Lyze und Siri konnten Erfolgreich die zwei fehlenden Teile für den altarcanischen Spruch mitbringen und hatten dabei sogar ein wenig aus der Vergangenheit gelernt. Nicht zu vergessen bekam die Familie Noshyru mehr oder weniger neuen Zuwachs, als Lyzes und Airas großer Bruder Akyu hinzu stieß. Er hatte eine selbstbewusste Art und etwas Weibliches an sich. Siri erzählte allen, als sie im Speisesaal zusammen saßen, von ihrem Abenteuer in der Vergangenheit. Dass sie, trotz aufgeflogener Tarnung, prima mit Mairon auskam und er ihr die fehlende Formel aus dem Schloss gestohlen hatte. Dies war auch der Grund, weshalb er später bei Nacht und Nebel Azamuth verlassen musste. Als alle glaubten, Siri sei fertig mit ihrer Geschichte, kam die Krönung: sie erzählte, Furah sei Mairons kleiner Bruder und somit ihr Onkel. Natürlich konnte ein Großteil der Anwesenden zuerst nicht glauben, was Siri da erzählte – nicht zuletzt hatte sich Avrial an seinem Tee verschluckt – jedoch fragten sie sich auch, warum ihre Geschichte nicht stimmen sollte. Akyu musste noch allerhand über seine Geschwister erfahren – vor allem Aira – weswegen sie sich nach dem großen Plan der Reise in die Zukunft zurückzogen. Auch Siri zog sich zurück – die heutigen Ereignisse hatten sehr an ihren Kräften gezerrt, weshalb sie zur gleichen Zeit wie Limiu ins Bett ging. Trotzdem konnte sie nicht schlafen. Wach lag sie in ihrem großen Bett und drehte sich in der Dunkelheit hin und her. Der Plan über die Reise in die Zukunft wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Nicht zuletzt war der Auslöser, dass Avrial und das Kind der Weißheit ganz klar erwähnten, dass Siri die Reise alleine antreten musste. Sie erinnerte sich noch genau an das Gespräch: „Zwei Personen in die Vergangenheit zu schicken ist keine große Sache.“, meinte Avrial, „Jedoch die Zukunft ist etwas komplizierter.“ „Etwas viel mehr komplizierter, um genauer zu sein.“, so Limiu, „Avirals Magie allein wird nicht reichen.“ – Und wenn die Magie eines Meisters nicht reichte, hieß es schon was. Avrial kam wieder zu Wort. „Wir haben darum beschlossen, dass mir Lyze dabei hilft. Es ist nicht sehr schwer, er muss sich rein nur darauf konzentrieren, seine Magie abzugeben.“ „Und schwupp – ist Siri in der Zukunft.“, fügte Limiu hinzu. In der Zukunft. Allein, ohne Hilfe an Siris Seite. Bei dem Gedanken daran kauerte sie sich klein zusammen und brauchte somit nur ein viertel des großen Bettes. Der nächste Harken daran war, dass sie, anders als in der Vergangenheit, nur einen Tag Zeit hatte. Was musste sie denn nun eigentlich genau tun? Limiu erklärte es ihr wie folgt: „Meine Mutter kennt die Antwort darauf, wie die schwarzen Kreaturen zu besiegen sind. Sie hat ein altes Relikt, eine Waffe, mit der dies möglich ist. Du wirst dich mit ihr treffen, dann wird dir alles genau erklärt.“ Noch schlimmer. Siri kaute an ihrem Kopfkissen, so sehr nagte die Eifersucht an ihr – sie wird sich verflixt zusammenreißen müssen, um der Mutter von Limiu und damit Lyzes zukünftige Liebste nicht die Augen auszukratzen. Es war einfach unmenschlich, so was von ihr zu verlangen. Doch wer, außer Siri, sollte in die Zukunft reisen? Akyu? Er war längst noch nicht vollständig in die Geschehnisse eingeweiht, um eine so große Verantwortung auf sich zu nehmen. Aira war zu jung dafür und Limiu würde, wenn man sie in ihre Zeit zurückschickt, vermutlich nicht mehr in die Gegenwart gelangen. So blieb die Aufgabe an Siri hängen. „Ah, verflucht!“, genervt von ihren Gedankengängen, hatte sie sich ruckartig aufgesetzt und dabei mit ihren Händen die Haare zerzaust. Kurz nachdem sie es festgestellte hatte, seufzte sie über sich selbst und trottete hinüber zum Spiegel. Sie sah sich zuerst ganz nah darin an, dann vorbei, zum rechts gespiegelten, breiten Fenster, aus dem das Mondlicht sacht ins Zimmer drang und ihr ein wenig Licht spendete. Siris Gedanken um die Reise ließen ihr selbst dann keine Ruhe, als sie die Bürste in die Hand nahm und sich mehrmals durch die Haare fuhr, bis diese wieder halbwegs glatt waren. Da sah sie einen Schatten. Nicht im Zimmer, sondern am Fenster. Die Augenbrauen überlegend zusammengezogen, blickte sie schief in den Spiegel und legte die Bürste zur Seite. Als sie dann Flügelschläge hörte und jemand auf dem Fensterbrett landete, drehte sie sich überrascht, die Hände vor die Brust geschlagen, um. Im nächsten Moment sanken diese und die junge Frau konnte beruhigt ausatmen. „Lyze…“ Er stand beim offenen Fenster, hielt sich dabei am Rand fest und blickte lächelnd in ihre Richtung. Sie kam näher zu ihm, fragte aber dennoch mit leicht schief gelegten Kopf: „Was machst du denn hier…?“ „Ich genieße die Aussicht auf Ikana.“, lächelnd hielt er anbietend seine freie, rechte Hand zu ihr. Die junge Frau war verunsichert und trat somit einen kleinen Schritt zurück. „Komm.“, er lächelte abermals; er schien sich im Gegensatz zu Siri seiner Sache sicher zu sein. „N-“, sie griff nach der Hand, „Na schön. Aber lass mich nicht fallen, hörst du?“ Sanft zog Lyze die junge Frau in seine Richtung, ans Fensterbrett. Siri dachte, er wolle ihr nur die Aussicht zeigen, stattdessen begann er mit den Flügeln zu schlagen. Aus Erinnerungen wusste Siri noch genau, dass der Halbengel nur alleine fliegen konnte – so schrak sie auf und wollte zurück in ihr Zimmer flüchten, doch Lyze ließ sie nicht vom Fensterbrett steigen. Er flog bereits und zog sie abermals nach draußen. „Gib mir deine zweite Hand.“, meinte er, „Vertraue mir. Ich lasse dich nicht fallen.“ Nur mit zögern ließ sie den sicheren Fensterahmen los und gab ihm die zweite Hand. Ihre Beine wollten den Boden nicht verlassen, die junge Frau war wie verwurzelt – sie schloss die Augen und versuchte ihr Wissen über die Schwerkraft zu vergessen. Lyze hielt sie dabei die ganze Zeit über an den Händen. Als sie schließlich einen Schritt aus dem hohen Schlossraum machte, zog er sie wieder, dieses Mal direkt zu sich. Leicht in Panik merkte Siri, dass sie jeglichen Grund hinter sich gelassen hatte und klammerte sich fest an den Halbengel. „Du kannst loslassen.“, lachte er ein wenig, „Dir passiert nichts.“ Lyze fasste sie um die Hüfte – kurz leuchteten seine Hände dabei hellblau auf, ehe er sie nun ein wenig von sich wegdrückte. „Hab keine Angst. Du kannst nicht fallen.“ „Huch…?“, ein wenig überrascht hatte Siri plötzlich das Gefühl, von einer unsichtbaren Macht in der Luft gehalten zu werden. Tatsächlich konnte sie, beim Blick nach unten, nichts als die weit entfernten Bäume und Klippen des Berges sehen. Erleichtert, doch gleichzeitig ziemlich verblüfft, blickte sie wieder auf zu Lyze, der langsam seine Hände von ihren Hüften nahm. „Ich… ich schwebe! Aber wie…?“ „Magie kann mehr, als verletzen oder nützlich zu sein. Auch ein wenig Selbstlosigkeit kann sie schaffen.“ „Lyze!“, nun blickte sie überwältigt um sich, „Das ist einfach fantastisch!“ „Besser als am Fenster zu sitzen?“ „Viel besser.“ Stumm schmunzelten die zwei einander zu. Die junge Frau sah von Lyze ab und spielte sich ein wenig verlegen mit ihren Fingern. Der Moment war magisch, nicht nur im wesentlichen Sinn – er hatte sich scheinbar viel Mühe gegeben, Siri mit dieser Nacht zu überraschen. Nach einem Moment der Stille blickte sie noch einmal um sich, in die Weite der Landschaft und anschließend zu dem fast sternenklaren Himmel. Sie traute sich nicht, sich von dem Halbengel zu entfernen, denn sie befürchtete, dass der Schwebe-Zauber dadurch nachlassen könnte. Dann griff Lyze nach ihrer Hand, „Komm. Ich weiß, wo die Aussicht am Allerbesten ist.“, und flog steigend mit Siri aufwärts. Windböen wurden in dieser Höhe nun stärker, die junge Frau hatte allein die Sorge, ihr Nachtkleid könnte nach oben wehen – so hielt sie es während des Fluges mit einer Hand fest. Oben angekommen, landete Lyze langsam auf dem höchsten Dach des Schlosses von Ikana. Gleichzeitig mit ihm spürte auch Siri wieder einen Grund unter ihren Füßen, der Halbengel zog sie dazu sacht hinab. Von dem Anblick des endlosen Himmels, der Sterne und dem Horizont überwältigt, setzten sich beide, auf die schiefe Ebene des Daches, nieder. Eine ganze Weile starrten sie stumm in die Weite. Zwar saßen beide direkt nebeneinander, doch mehr körperlichen Kontakt, als eine berührte Hand, gab es vorerst nicht. Mit der Zeit kehrten in Siri ihre Gedanken wieder. Als der Halbengel zu ihr blickte, konnte er klar erkennen, dass der morgige Tag kein leichter Brocken für sie darstellte. Auch wenn es nicht zum Thema passte, sprach Lyze die junge Frau darauf an. „Du machst dir Sorgen… wegen der Zeitreise, nicht war?“ Stumm sah Siri daraufhin in sein Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Es tut mir leid.“ „Das muss dir doch nicht Leid tun… an deiner Stelle wäre ich genauso besorgt.“ „Nein… es ist nur…“, nachdem sie den Kopf gesenkt hatte, sprach sie weiter, „Die alte Leier. Ich muss Limius Mutter gegenüber stehen. Was ist, wenn ich mich nicht beherrschen kann…?“ „Siri… ich kann es dir gerne noch einmal erklären.“, lächelnd legte er einen Arm um sie, „Darüber stimmt mir sicher auch Avrial überein: Zeit ist relativ. Zeit ist keine Linie, die sich gerade durch in die Unendlichkeit zieht.“, er lachte kurz, „Du glaubst doch nicht etwa, dass wenn ich beschließe, mit dir zu Leben, Limiu nie geboren sein wird?“ Nun sah Siri wieder zu ihm auf. „Keine Sorge, Siri. Limius Gegenwart wird unverändert bleiben. Das einzige, was sich ändert, ist unsere gemeinsame Zukunft.“ Darauf musste die junge Frau lächeln. „…Das hast du schön gesagt.“, sie legte den Kopf auf seine Schulter, ehe sie wieder in die Weite Airas blickten. Als kein Satz mehr kam, fiel Siri schließlich doch noch etwas ein, womit sie das Schweigen brechen konnte. „Lyze, darf ich dir eine Frage stellen?“ Interessiert drehte er sich zu ihr. „Wieso habt ihr… also Akyu und du, erst so spät Erfahren, dass eure Mutter ein Engel ist?“ „Nun ja… es ist so, dass meine Mutter nie Flügel trug.“, nebenbei setzte sich Lyze bequemer hin, „Ich nehme an, mein Vater half ihr per Magie die Flügel zu verstecken. Wahrscheinlich hätte sie auf dem Boden zuviel Aufsehen erregt.“ Kurz überlegte Siri und schaute anschließend gerade aus, in den Nachthimmel. „Verstehe…“ „Akyu wusste scheinbar noch länger nichts davon.“, er musste schmunzeln, „Als ich ihn nach seinen Flügeln fragte, antwortete er nur „Welche Flügel?“; scheinbar hat er mehr von unserem Vater geerbt, als Aira und ich.“ „Oh... das ist mal interessant.“, Siri hob den Kopf von seiner Schulter; sie fasste sich am Nacken, da ihr noch eine Frage zu dem Thema durch den Kopf ging. Doch weil sie den Abend nicht zerstören wollte, behielt sie die Frage für sich. „…Bedrückt dich noch etwas?“, so Lyze. „Nein, nicht direkt… ich weiß nicht, ob ich dich das Fragen kann. Es hat etwas mit deiner schweren Vergangenheit zu tun.“ „Du kannst mir die Frage ruhig stellen. Ich werde schon nicht davon fliegen.“ „Ok, uhm… du wirkst so fröhlich… obwohl du doch heute das selbe Trauma noch einmal durchleben musstest.“, sie sah ihn schief an, „Hat dich wirklich allein Akyus Auftauchen vergessen lassen, was da passierte?“ Kurz sah Lyze die junge Frau schweigend an, wobei sie schon dachte, sie habe den Moment ruiniert. Doch dann begann er lächelnd den Kopf zu schütteln: „Selbstverständlich habe ich nicht vergessen, was dieser Mörder meinen Eltern angetan hat. Aber… ich denke, ich habe mich mit dem ins Leben eingreifenden Ereignis endlich abgefunden.“ „Huh-?“, kurz wirkte Siri überrascht, als der Halbengel näher zu ihrem Gesicht kam und ihre Wange streichelte. „Wenn der Verlust nicht gewesen wäre… hätte ich all diese Abenteuer nie erlebt. Auch hätte ich Avrial und besonders Aira niemals getroffen. Aber vor allem würdest du mir in meinem sonst wohl langweiligen Leben fehlen.“ Die Reaktion von Siri war sowohl kurz, als auch lang zugleich: sie schloss die Augen und küsste ihn sanft auf den Mund. Ehe sie sich von ihm lösen konnte, erwiderte Lyze den Kuss, der somit lang andauerte. Die beiden hatten nicht gerade den besten Start in eine Beziehung. Seitdem sie sich ihre Liebe gestanden, hatten sie immer nur kurzweilig zeit für sich. So war es klar, dass sie selbst den kleinsten Kuss genossen. Gerade als die beiden die Augen wieder öffneten, wehten heftige Windböen vorbei, die Siri zum zittern brachten. „Ist dir kalt?“, Lyze hatte ein wenig für diese Reaktion gebraucht. „Ein bisschen…“ „Oh, wie konnte ich das vergessen…?“, schnell stand er auf und half Siri schmunzelnd mit einer Hand hoch, „Du sitzt im Nachtkleid da; es wundert mich nicht, dass dir kalt wurde.“ „Na ja…“, sie hob die Schultern, ehe sie die Arme eng an den Körper legte, um wärme zu sparen, „Ist eigentlich nicht so wichtig.“ „Und ob das wichtig ist.“, sogleich zog sie Lyze, dessen Flügel wieder erschienen, wieder mit sich. „Wenn du dich erkältest, können wir den Plan zur Rettung der Welt vergessen.“ Siri gab dem Halbengel wieder beide Hände und sprang, nun schon selbstsicherer, vom Dach aus zu ihm. „Übertreibst du nicht ein wenig…?“ Er überlegte kurz, „Nur ein wenig.“, ehe er sich aufmachte, Siri zurück in ihr Zimmer zu bringen. An dem Fenster angekommen, stieg sie zuerst zurück auf den sicheren Boden des Raumes, anschließend stand auch Lyze am Fensterbrett, ehe seine Flügel verschwanden und er ihr nachkam. Wie spät es war, konnten beide nicht sagen. Jedoch ging Avrial immer als letzter schlafen; auf dem Flug zurück konnten sie sein Fenster sehen, in dem das letzte Licht ausging. Natürlich war dem Halbengel klar, dass Siri für morgen ein wenig schlaf benötigte. So wartete er, bis sie sich auf die Bettkante gesetzt hatte, um dann zur Tür zu gehen und diese zu öffnen. „Gute Nacht.“, meinte er noch leise, während die junge Frau sich in ihre Decke eingewickelt hatte. „Lyze, warte…“, sie sah etwas enttäuscht in seine Richtung – sie hatte sich wenigstens einen Gute-Nacht-Kuss erwartet. „Komm noch einmal her.“ Ein wenig seufzend, doch auch mit einem lächeln, ließ er noch einmal von der Tür ab und trat zur jungen Frau, um ihr einen letzten kleinen Kuss auf den Mund aufzudrücken. Doch aus diesem kleinen Kuss wurde ein immer längerer. Es brauchte nicht lange und Siri legte sich zurück in ihr Kissen – mit ihr auch der Halbengel. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, Lyze wollte ihr genau aus diesem Grund keinen letzten Kuss geben. Vielleicht wusste er, dass dieser längst nicht der letzte, sondern der erste, einer langen Nacht werden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)