Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 22: Selbstgespräch (Teil 1) ----------------------------------- Es hatte also funktioniert. Vor Siri stand tatsächlich der nun elf Jahre ältere Avrial. Bis auf die langen, grauen Haare, sah er eigentlich aus wie immer. Nicht einmal mehr Falten hatte er im Gesicht, einzig etwas schwächlich wirkte er, mit seinem Gehstock. „Avrial?“, sie blinzelte ihn an, „Deine Haare... sie sind grau… werden Arcaner nach dem Hunderter etwa so schnell alt?“ „Der schnelle Alterungsprozess bei Arcanern liegt genau wie beim Menschen ab etwa fünfzig Jahren… bis auf den Unterschied, dass hundert Jahre dazwischen liegen.“ Siri zählte kurz mit den Fingern nach. „Demnach… he, du kannst noch gar nicht so alt sein!“ Schmunzelt ging der Arcaner einfach an Siri vorbei, den Flur hinaus. „Hach ja, das habe ich vermisst…“ „Warte doch auf mich!“, sie lief ihm nach, „Willst du mir nicht erzählen, was hier los ist? …Wo sind die anderen?“ „In Destercity.“ „Destercity – also existiert die Hauptstadt wieder?“, während sie neben ihm her ging, sah sie sich den Flur an: es waren Gemälde hinzugekommen und das Holz hatte sich dunkel verfärbt. „Limiu sagte, ich solle mit ihrer Mutter sprechen… so ungern ich es auch tue…“, schnell räusperte sie sich, „Wo ist sie?“ „In Destercity.“ „Hä, was? Heißt das, ich muss auch dorthin?“ „Ja, aber selbstverständlich.“ „Wie soll das denn gehen!?“, die junge Frau war stehen geblieben, worauf hin sich Avrial nach ein paar weiteren schritten zu ihr umdrehte. „Ich habe nur einen Tag zeit! Selbst wenn es in dieser Gegenwart einen Zug gibt, bin ich nicht schnell genug, um in der Großstadt Limius Mutter zu finden!“ Eigentlich hätte der Arcaner ihre Frage schnell und einfach beantworten können. Eigentlich. Stattdessen drehte er sich abermals schmunzelnd um und ging entspannt weiter. „Folge mir.“ Siri sah schon – es hatte keinen Sinn, mit dem älteren Avrial zu reden. Wahrscheinlich hatte er ebenso wie Limiu den Auftrag, ihr nichts zu verraten. So folgte sie ihm stumm durch das Schloss, auch wenn sie über sein Schweigen ein wenig beleidigt war. Schließlich betraten sie einen kleinen Raum, irgendwo im Erdgeschoss. Als Avrial zur Seite trat, um Siri hinein zu lassen, blickte sie fragend auf die markierte Stelle am Boden. Sie deutete darauf und wollte schon fragen, ob dies noch ein Zirkel sei – doch Avrial war schneller. „Es teleportiert dich in das Hauptgebäude von Destercity. Das Kind der Weisheit hatte die Idee, ein Portal, also eine Verbindung zu schaffen; schließlich ist sie nicht die Einzige, die hin und her reist. Außerdem wusste sie natürlich, dass du es noch benutzen würdest.“ „Oh…“, verblüfft starrte Siri darauf, „Uhm, danke.“, und trat in die Mitte der runden Bodenmarkierung. „Was ist sie? So eine Art Super-Kind? Limiu hat uns geholfen, mich in die Zukunft- äh, eure Gegenwart zu schicken. Wenn Lyze schon nur zum viertel Arcaner ist, dann dürfte sie gar keine Magie benutzen können – oder nur sehr wenig.“, sie drehte Avrial schief den Kopf zu. „Du weißt doch was darüber, nicht wahr…?“ „Ich sehe schon, du hältst dich mit deinem Gerede von der Mission ab.“, er klopfte kurz mit dem Gehstock auf den Boden, worauf hin sich das Portal, in dem Siri stand, öffnete. Alles, was sie zu ihm heraus bringen konnte, bevor sie darin verschwand, war ein verblassendes „Was? He, nein…!“ Was für ein merkwürdiges und kurzes Treffen. Siri verließ das Schloss von Ikana in der gleichen, gezwungenen Hektik, wie sie es betreten hatte. Nur einem Moment später tauchte die junge Frau auf der anderen Seite des Portals wieder auf. Ihr erstes Wort, das sie aussprach, als sie sich im großen Flur umsah, war ein starrendes „Woow…“ Alles hier war so hell und freundlich. Der Boden bestand aus weißen Marmor, ebenso die stützenden Säulen und großen Wände. Die vielen Teppiche, sowohl auf dem Boden, als auch zur Dekoration an den Mauern, waren blau-gold. Siri ging den langen Flur entlang und kam einfach nicht aus dem Staunen raus: alles hier war so friedlich. War das wirklich das Rathaus von Destercity? Ihr war bewusst, dass es einst ein Schloss war; jedoch nicht, dass es im inneren auch danach aussah. Schließlich blieb sie stehen, „An die Einrichtung könnte man sich gewöhnen…“, ehe sie sich begann zu fragen, wo sie denn nun eigentlich hin musste. Irgendwo in diesem Gebäude gab es doch sicher jemanden, der ihr eine Auskunft geben konnte. So schritt sie erstmals weiter, bis ans Ende des ewig langen Flures, ehe sie eine große, weiße Doppeltür aufstieß und einen ebenso hellen Raum betrat. Endlich stand da jemand, mit dem Rücken zu ihr gekehrt, den sie nach dem Weg fragen konnte. Es war eine Frau, mit langem, seidenen Kleid und einem Umhang, der noch über den Boden hinweg ragte. Siri wusste sofort, dass die Frau irgendein hohes Tier gewesen sein musste. So verbeugte sie sich höflich, ehe sie fragte, ohne auch nur einen Schritt näher in den Raum zu machen: „Ähm… Entschuldigung?“ Auf ihren Satz drehte sich die Frau langsam zu ihr um. Ihr goldbraunes Haar bewegte sich mit ihr, ehe die braunen Augen die junge Siri erblickte. Nun hatten beide ein seltsames Gefühl. Gleichzeitig schauten sie sich überrascht an, ehe die zwei Frauen auf einander zuschritten. Während die edle Frau mit ihrem erscheinen gerechnet hatte und nun lächelte, blickte Siri noch immer ungläubig in das ihr sehr, sehr vertraute Gesicht auf: in sich selbst. „Willkommen…“, ihre Stimme klang gleich und doch in einem sehr ruhigen Ton. „Das… glaube ich jetzt nicht…“, während die ältere Siri stehen blieb, ging die junge Frau einmal nach links und rechts, um sich selbst von oben bis unten anzusehen: sie war ihr perfektes, reiferes Ebenbild – bis auf die Größe, die sicher an den Stöckelschuhen lag. „Ich nehme an, dass du gerade die Welt nicht mehr verstehst…?“ „Das kann man wohl sagen, oh ja.“ „Lass es mich dir erklären-“ „Nein, nein, nein, warte.“, Siri massierte sich kurz die Hirnschläfen, ehe sie zu sich selbst aufsah. „Ok… beginn bitte von Null.“ „Du und ich… wir sind Salieri Desteral.“ Kurz blinzelte die junge Siri sie an. „Hä?“ „Der Unfall, vor achtzehn Jahren. Mit dem Tod deiner Eltern endete die Linie der Königsfamilie von Desteral. Du wolltest seit deiner Ankunft in Azamuth wissen wer du bist – nun habe ich es dir gesagt.“ „Aber das- ich meine, das- das ist doch-“ „Es ist nicht unmöglich, ganz und gar nicht.“, die ältere Siri schmunzelte, „Da niemand etwas von deinem Überleben wusste, wurde die Monarchie aufgehoben. Du hast deinen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron.“ „Den du dir scheinbar nahmst.“ „So ist es.“ „Also…“, Siri begann zu überlegen, „Wenn die schwarzen Monster Rache an der Königsfamilie ausüben will – dann suchten sie in Wirklichkeit mich? Haha, die Viecher sind ja saudämlich! Sie hatten mich bereits, wollten durch mich aber unbedingt an Limiu kommen, weil sie das Kind der Weisheit ist.“ „Oh, so unlogisch ist das gar nicht.“, die ältere Siri hielt sich leicht die Hand vor den Mund, um ein kichern zu unterdrücken. „Hast du dich denn nie gefragt, wieso sie hinter ihr her waren…?“ „Nein, wieso? Durch das Kind der Weisheit hätten sie erfahren können, wer die letzte Generation der Königsfamilie bildet.“ „Siri, sie ist die letzte Generation.“ „Uhm… was?“ „Na ja, sie wird es einmal.“ „Oh… OH.“, endlich begann die junge Siri zu verstehen und schlug sich die Hände ins Gesicht. „Nein… nein, das ist doch nicht wahr!? Das kann nicht sein!“ „Ja, freust du dich denn nicht…?“ „Doch, natürlich freut es mich, denke ich… wenn ich es erstmals ordentlich begriffen habe… und so…“ „Siri, beruhige dich…“, sie legte sanft eine Hand auf ihre Schulter, „Es ist wahr. Limiu ist deine und Lyzes Tochter.“ „Aber… aber…“, die Geschichte war für Siri einfach unbegreiflich. Langsam fühlte sie sich, als ob sie in einem einzigen Wunschtraum stecken würde – doch die Tatsache, dass sich alles um sie herum so echt anfühlte, einschließlich ihr älteres Ich, holte sie auf den Boden der Realität zurück, ehe ihre Hände zu den Augen wanderten, da sie begann vor Glück zu weinen. „Aber… wie kann das denn sein?“, schluchzte sie, „Limiu war doch der Name von-“ „Zu Ehren der verstorbenen ersten Liebe, entschieden wir uns für ihren Namen.“, nun nahm die ältere Siri ihr jüngeres in die Arme. „Oh, Siri… es tut mir leid, Limiu muss euch schrecklich verwirrt haben.“ „Na und wie…“, sie wischte sich Tränen weg, „Ich meine, sie hat schwarze Haare, verdammt.“ Nach einem Moment ließ die Frau von ihr ab. Ein trauriges lächeln zierte sich auf ihrem Gesicht, als sie kurz von dem jüngeren Ich absah und leicht den Kopf schüttelte. „Es ist uns bis heute unbegreiflich, doch zugleich ein Segen.“ „…Was denn?“ „Limiu war nicht lebensfähig. Noch bevor sie sich überhaupt im Bauch entwickeln konnte, wäre sie gestorben.“, langsam entfernte sich die Königin von Siri, ehe die junge Frau ihr nachkam. „Wir hätten unser Kind verloren, Siri.“ „Und… was ist geschehen?“ „Als wir vom Arzt die Nachricht hörten, machten wir uns sofort auf den Weg nach Ikana. Lyze und ich wollten einfach nicht wahrhaben, dass wir unser erstes Kind verlieren würden. Am Boden zerstört erzählten wir Avrial von der Tragödie. Wir wussten einfach nicht weiter, aber unser Gefühl sagte uns, dass Magie vielleicht die letzte Möglichkeit wäre.“ „Mit Magie…?“, Siri sah sie fragend an, „Aber ist das denn überhaupt möglich…?“ „Im eigentlichen Sinne – nein.“ „Verstehe…“ „Du weißt, Avrial ist ein Meister der Magie. Er hatte nicht umsonst in all seinen Jahren tausende von Büchern gelesen. Desteralische, dämonische, arcanische und auch alt-arcanische. In einem alt-arcanischen Buch las er von einem sehr waghalsigen Zauber. Avrial konnte uns nichts versprechen, doch tat er alles in seiner Macht stehende, um Limiu zu retten: Er legte seine Hände auf den Bauch und schenkte unserem Kind seine Lebensenergie. Dadurch veränderte sich sein Äußeres und er war nicht mehr in der Lage, Magie zu nutzen.“, die Königin drehte sich seitwärts zu Siri, „Was Avrial verlor, ging auf Limiu über. So auch sein Aussehen.“ „Er schenkte ihr praktisch seinen Körper…“, Siri sah dabei auf, „Limiu hat so zu sagen drei Gene… so verrückt das auch klingen mag…“, bei der Vorstellung musste sie schlucken, da ihr ein wenig schlecht wurde. „Na ja… jetzt wundert mich wenigstens nicht mehr, warum ausgerechnet sie das Kind der Weisheit sein soll.“ „So ist es. Und wir sind Avrial für dieses Geschenk ewig dankbar.“ Fortsetzung folgt - weiter gehts sofort in Teil 2 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)