Child of Wisdom von Ireilas (Fortsetzung von Lost Prince) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Die perfekte Zeit ------------------------------- Hallo und danke fürs Durchlesen! Im folgenden ersten Kapitel steht zuerst ein kleines ABC, dann die eigentliche Story. Wem also die Infos egal sind bitte ich zum runterscrollen/umblättern, bis zum Storyanfang. Vielen Dank und viel spaß beim Lesen! :) Wissenswertes über Desteral Planet: Aira Nachbarländer: Grenzt an Azamuth (Westen), Arcan (Osten) und Insel Palooza (Norden) - Azamut: Bevölkert von Dämonen und Fabelwesen, die die Sonne meiden. Immer Wolkenverhängter Himmel, ihre Technologie ist eher Primitiv (Monarchie – adelige Vampire führen die Reiche, Ritter, Bauern, Schlösser, Kutschen, einfache Behausungen). - Arcan: Ausradiert, Grund der Verwüstung ist derzeit unbekannt. War Bevölkert von Arcanern, menschenähnlichen Wesen, die zweimal älter werden und die Magie perfekt beherrschen. Es heißt, wer die Magie nutzen kann, hat einen Arcaner als Vorfahren. Ihre Technologie war beschaulich aber zugleich einzigartig, da meist Magie im Spiel war. - Palooza: Insel der Tiermenschen, sie werden von den Monden beeinflusst. Das Reich ist nochmals in 14 Nationen geteilt, ihre Technologie ist relativ Primitiv. (Pro Reich ein Herrscher, Bauern, Kutschen, Schmieden, Schlösser, recht einfache Behausungen). Desteral und Palooza haben ein nahes Verhältnis zu einander. Hauptstadt: Destercity, die größte und weit fortgeschrittenste Stadt am Kontinent, Bewohner und Besucher kommen von allen umliegenden Gebieten, um dort zu Arbeiten. Ihre Technologie basiert auf einer Energiequelle, benannt nach ihrem Entdecker, Fendus (Fenduskristall), der in der Nähe der Stadt abgebaut wird. Alle Gebäude und Geräte in Destercity sind komplett weiß-blau glänzend. Währung des Geldes: Nima. Sie hat einen hohen Wert, bereits 2 Nima kosten Kleidung und eine ordentliche Malzeit. 10 Nima kosten im Durchschnitt ein/zwei Übernachtungen im Gasthof; in Destercity ist der Wert etwas geringer – eine Übernachtung im Hotel kostet im Durchschnitt 20 Nima. Wahrzeichen: In der Mitte der Hauptstadt Destercity befindet sich noch immer ein Überbleibsel aus der Zeit vor der Entdeckung des Fenduskristalles – ein hohes Schloss ganz in weiß-blau. Von dort aus Regiert der Bürgermeister, es ist also Rathaus und Wahrzeichen in einem. Höchstes Gebirge: Sonnengebirge, im weiten Süden Desterals. Völker: Innerhalb des Landes gibt es die verschiedensten Völker, die zum Teil schon immer da waren, zum Teil aber auch eingewandert sind. Unter anderem gibt es die Engel und Dämonen, Fabelwesen wie Drachen und Nixen, Anthrotiere und Tiermenschen, Pangeschöpfe, Arcaner und Feen. Am häufigsten sind allerdings die Menschen anzutreffen. - Engel: Geschöpfe der Luft, die hoch über den Wolken Desterals ihre Gebiete haben. Sie leben auf schwebenden Inseln, die oftmals komplett unter einer Kuppel stehen (Schutz vor Windböen und starken Sonnenstrahlungen). Ihre derzeitige Herrin ist Alaphantasa; das Herrschen bleibt den adeligen Engeln innerhalb der Familie überlassen. Engel haben ein gutes, aber auch stures Wesen. Sie sind gleichzeitig naiv und sagen meist immer die Wahrheit. Ihre schwäche bezieht sich auf Alkohol: Schon ein Schluck kann zu Ohnmacht führen. Es gibt aber auch abgehärtete Engel, die etwas mehr Vertragen – aber auch sie fallen meist bereits nach einer Flasche um, was das Volk nicht gerade zu Partylöwen macht. - Tiermenschen: Leben auf der Insel Palooza, doch durch den Krieg teilten sie sich zum Teil auch in Desteral auf. Sie sehen meist Menschlich aus, haben aber immer gewisse Körperteile einer Tierart. (Ohren, Nase, Augen, Schwanz oder auch Flügel). Ihre Instinkte sind dadurch meist mehr ausgeprägt als die des Menschen, was sie schnell in Berufen voranbringen kann. - Arcaner: Das Magiervolk von Arcan hat sich nach der Verwüstung ihres Landes in allen umliegenden Länder verteilt, so auch nach Desteral. Spitze Ohren und Gelbstechende Augen zeichnen sie. Ihr Wesen ist stark, hinterlistig oder kühl, aber auch einfühlsam und charismatisch. Da ihre Genetik stark mit der des Menschen übereinstimmt, kreuzen sich die Rassen untereinander immer mehr. Mittlerweile gibt es kaum noch reine Arcaner, die Meisten sind bereits eher Menschlich, mit einem Hang zur Magie. Politik: Vor einiger Zeit war Desteral ebenso wie Azamuth eine Monarchie. Da die Linie der adeligen, menschlichen Familie jedoch an einem Punkt endete, hatte das Land lange Zeit nur innerhalb der einzelnen Völker eine Person, die sie Anführt und Leitet. Mittlerweile einigte man sich, jeden Herrscher innerhalb des Landes gemeinsam entscheiden zu lassen. Darunter befinden sich der Bürgermeister von Destercity, die Herrin der Engel Alaphantasa, der älteste und somit weiseste Arcaner des Landes und ein Löwenmensch aus der Königsfamilie, des Tiermenschenreiches Paloozas. ---- Los gehts mit 1. Die perfekte Zeit Über ihr der endlose, blaue Himmel. Unter ihren Füßen weiches, grünes Gras. Sanfte Sommerbrisen machten den alltäglichen Aufenthalt auf den weiten Feldern angenehm. Das Wetter war genau richtig um die frische Wäsche vor dem Haus auf die Leine zu hängen. Zwar war diese von einem Baum auf einen anderen gespannt, aber gerade diese Länge machte es praktisch, einen ganzen Waschgang in Windeseile getrocknet zu haben. Gerade war Siri aus dem Haus gekommen und hatte diesen großen, mit nasser Wäsche voll bepackten Korb dabei. Sie hatte ein wenig Mühe damit, hinter sich die Tür zu schließen, aber der Weg zur Leine war mit dem schweren Korb dann nicht mehr weit. Vorsichtig stellte sie diesen neben dem Baum ab, bevor sie sich bückte und das erste Gewandstück auf die Leine hing. Ihr langes, brünettes Haar wehte mit jeder Brise mit und versperrte hier und da die Sicht auf ihre Arbeit. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie sicher nicht die Erfahrung für diese Hausfrauenarbeit gehabt – damals gab es schließlich nicht zwei zusätzliche Personen, um die sie sich hätte kümmern müssen, dafür den schrecklichen Krieg zwischen Desteral und dem Nachbarland Azamuth. Was dabei geschah, war sowohl sinnloses Blutvergießen und Gewalt zwischen den Völkern der Menschen, Engeln und Dämonen, als auch das Treffen auf neue Verbündete, Freunde und Familie. Siri hatte damals ihr Gedächtnis verloren, dabei ihre gesamte Vergangenheit an ihre Heimat Azamuth vergessen; bis eine männliche Muse, genannt Mica – sowohl ein alter Vertrauter als auch Liebster – ihr half, ihre Erinnerungen wiederzugewinnen. Er ist durch den Krieg gestorben. Für den Frieden. Alles was der jungen Frau von ihm blieb, war ein gold verzierter Knopf seiner alten Robe aus Azamuth. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte alles Mögliche geschehen können – schließlich waren die Engel kurz davor den Thronfolger des Nachbarlandes, Prinz Vilior, zu erschießen. Für diese Tat, aber auch für das stetige Gefühl von Geliebtheit, wird ihn Siri nie vergessen. In Gedanken versunken, wurde der Wäschekorb leerer und die Leine immer voller und schwerer, bis schließlich alles an Kleidung aufgehängt war. Gerade als sie den Korb hochgenommen hatte, hörte sie eine junge Stimme ihren Namen rufen. Sie drehte sich dabei um und sah, wie Aira den Hügel hinaufgelaufen kam, mit einem Stück Papier hochgehalten winkend. „Siri, sieh mal!“, rief das blonde Mädchen, „Ich habe eine Eins in Mathe!“ „Wirklich?“, Siri beugte sich dabei ein wenig zu ihr hinab, „Das ist ja großartig! Dann hat das Lernen ja doch einen Sinn!“ „Ja… auch wenn es langweilig ist.“ „Du wirst mir eines Tages dafür danken, damit kannst du dich nämlich später ganz leicht für einen Job in Destercity bewerben.“ „Ja, aber…“, kommentierte Aira, „Lyze hat auch einen Job, ging aber nur kurz zur Schule!“ Siri musste schmunzeln als sie dies hörte. „Bei deinem Bruder ist das aber auch was anderes. Die Zeiten ändern sich – sie wird moderner, technischer und teurer. Und gerade weil sie sich so schnell verändert, müssen wir ihr zuvorkommen.“ „…Kann ich nicht einfach im Dorf arbeiten?“ „Huh? Warum willst du denn das?“ „Na ja – es ist zum einen tausend Mal näher als zwei Stunden Luftlinie, also vier Stunden nach Destercity zu latschen, zum anderen gibt’s da einen ganz tollen Süßigkeitenladen neben meiner Schule!“ „Aira!“, Siri konnte nicht anders, sie musste lachen: „Wenn du in ferner Zukunft arbeiten gehst, gehst du doch gar nicht mehr zu Schule, und Süßigkeiten wirst du auch nicht andauernd wollen!“ „Na, warten wir ab.“, das Mädchen nahm sich noch schnell die Träger von den Schultern, öffnete die Schultasche und wedelte mit den Hausübungen vor Siris Nase rum. Die junge Frau nahm diese entgegen und fragte noch, ob sie dabei Hilfe bräuchte, worauf Aira den Kopf schüttelte: „Ich werde sowieso erstmals zum Fluss gehen – auf dem Weg nachhause habe ich Fische und Krebse gesehen, die will ich noch versuchen zu erangeln.“ Siri nickte, dann nahm sie ihr die Schultasche ab. „In Ordnung. Ich rufe dich, wenn es Abendessen gibt.“ „Okay!“, und schon lief Aira los, den Hügel hinab. Da rief die junge Frau noch schnell nach, ehe sie ihr aus dem Blickfeld geriet: „Aber komm wirklich, sonst wird dein Essen wieder kalt!“ Sie sammelte nur mehr schmunzelnd den Korb auf, ehe sie zurück in das Haus schritt. Ob Aira ihre Worte gehört hatte, wusste sie nicht. Das Mädchen hatte viel durchgemacht, dachte sie sich, während sie den Korb zurück ins Badezimmer trug. Immerhin wurde sie, laut Erzählungen der Zieheltern, gleich nach der Geburt von ihrer Familie weggeben – und das nur um sie zu beschützen. Denn zu jener Zeit ereilte ganz Desteral die alte Legende von einem Kind, das die gesamte Weisheit vom Planeten Aira besitzen soll und angeblich genau dort, in ihrem Land Desteral, geboren werden sollte. Aus Angst ihr drittes Kind könnte dieses sein, beschlossen Airas Eltern sie in die sichere Obhut von Zieheltern, reinen Menschen, im nahe gelegenen Dorf zu geben. Lyze war damals zehn Jahre alt. Er wusste nichts von ihrer Existenz, genauso wenig wie sein verschollener, älterer Bruder Akyu. Die Legende hatte sich nicht erfüllt – bis heute, zwölf Jahre später. Und da fiel Siri ein, gerade als sie im Badezimmer fertig war, dass die Kleine in ein paar Wochen bereits ihren zwölften Geburtstag hatte. Wie schnell die Zeit doch nicht verging. Nicht nur die Tage, auch die Jahre. Am Ende angekommen, also während die Sonne langsam hinter den Hügeln verschwand, betrat der Hausherr das Grundstück. Müde vom langen Marsch schritt er noch eilig den Hügel zum Haus hinauf, ehe ihn die Kraft verließ und er langsamer wurde. Sehrwohl war er nicht die ganze Zeit von Destercity hierher gegangen. Als Halbengel hatte Lyze das große Glück, dass ihm in seiner Jugend Flügel gewachsen waren – keine gewöhnlichen, die einem Engel strafend wie er meinte, fest und immer sichtbar auf dem Rücken wuchsen, sondern Flügel, die einem in wichtigen Situationen erschienen, wie zum Beispiel fliegen oder kämpfen. Das Grundstück war bereits seit drei Generationen im Besitz der Noshyru-Familie, davor war es eine einfache Steppe, nahe gelegen eines Dorfes. Es heißt, sein Großvater habe das Haus erbaut, sein Vater hat es ausgebaut und vergrößert; daran konnte sich Lyze noch gut erinnern. Mit zehn Jahren wurde er Zeuge, wie ein Dämon das Haus samt Eltern nieder brannte – unternehmen konnte er nichts, er war viel zu Spät vom Wald zurück beim Haus gewesen. Fünf Jahre stand das Haus leer, abgebrannt. Erst mit der Zeit heilten die tiefen Wunden, die dieses Ereignis in Lyzes Leben gerissen hatte. Dann erst konnte er sich überwinden, in seine Heimat zurückzukehren und das Haus neu aufzubauen. Nur der große Weidenbaum, der links vom Haus stand, war schon immer da. Bot im Sommer Schatten, im Frühling einen schönen Anblick und für so manche Eichhörnchen Unterschlupf. Noch schnell den Schlüssel aus der Hosentasche gezogen, sperrte der blonde Halbengel die Türe auf und lehnte seinen Gitarrenkoffer daneben gegen den Beistelltisch. Im nächsten Moment blieb er stehen und schnupperte in die Luft – es roch gut nach essen, was die Annahme zufolge hatte, dass Siri im Haus war. „Hallo-o, ich bin wieder da!“, rief er, auf eine Antwort wartend. Nachdem nichts zurückkam, zog er sich erstmals die Schuhe aus und ging zu der Treppe, lehnte sich ans Geländer und sah hoch: „Hallo?“, fragte er, „Siri?“ „Ja, ja, ich komme schon! Ich bin hier.“, die Antwort der weiblichen Stimme kam nicht wie Erwartet von oben, sondern von rechts, aus der Küche. Siri trat eilig heraus, hatte dabei Ofenhandschuhe und eine Schürze umgebunden. „Das Abendessen braucht noch ein wenig… ich habe später angefangen, weil ich noch draußen Wäsche aufhängen war.“ Wie gut war es, dachte sie sich, dass Lyze nichts von ihren Gefühlen, ausgelöst von seinem ersten Anblick, mitbekam. „So?“, er schmunzelte leicht, „Wie fleißig. Aber das hätte doch Zeit… wo ist denn Aira?“ „Unten beim Fluss, sie wollte noch Angeln gehen.“ „Ah, das war keine so gute Idee.“, er seufzte, „Wieso hast du ihr das erlaubt, sie sollte doch zuerst ihre Hausaufgaben erledigen.“ „Na hör mal!“, Siri stemmte ihre Hände in die Hüfte, „Wer lernt mit ihr – du, oder ich?“ „Darum geht es doch garni-“, er schaute ihr nach, als sie um die Ecke ins Wohnzimmer bog und verschwand. „Siri?“ Als er ihr nachgehen wollte, kam sie wieder und war noch gerade so vor ihm stehen geblieben, hielt ihm ein Papier vor die Nase. „Aira hat eine Eins in Mathe geschrieben.“ Ein wenig ungläubig nahm er den Zettel in die Hände, als Siri weiter sprach: „Ich hielt es für gut sie darum, praktisch als Belohnung, einmal verschnaufen zu lassen.“ „Verstehe… in Ordnung.“ „In Ordnung?“ „Ja, in Ordnung. Wenn sie dafür gleich nach dem Abendessen ihre Hausaufgaben macht, ist es okay.“ „Gut!“, nun lächelte Siri wieder, ihm einig zunickend. Das Leben der drei hatte sich nach zwei Jahren endlich eingependelt. Es ergab sich unbewusst, langsam aber sicher, eine Ordnung, die einer „perfekten“ Familie glich. Während Lyze arbeiten ging, sorgte Siri dafür, dass alles im Haus am Abend erledigt war und das Essen – fast immer – pünktlich auf dem Tisch stand. Oftmals hatte sie schon darüber nachgedacht, wie es denn eigentlich dazu kam: eine eindeutige Antwort gab es allerdings nicht. Zuminderst hatte sie diese bis jetzt noch nicht gefunden. Aira machte wie besprochen nach dem Abendessen ihre Hausaufgaben, mit ein wenig Hilfe ihres großen Bruders, inzwischen holte Siri die trockene Wäsche von draußen herein. Nachdem alles erledigt war, Aira im Bett und das Geschirr abgespült, saßen die zwei Erwachsenen noch ein wenig vor dem Fernseher im Wohnzimmer, Siri nebenbei mit einem Pulli von Aira, der genäht werden wollte. Am linken Ende des Sofas angelehnt Lyze, sie auf der anderen Seite. Es lief nichts wirklich Interessantes im Fernsehen, immerhin gab es keine Sender und Nachrichten von außerhalb von Destercity; jedenfalls noch nicht. Nach einer Weile des Schweigens sah Siri ab und zu unbemerkt zu dem Halbengel rüber, als sie schließlich zu Sprechen begann: „Morgen ist Mittwoch.“ „Mhm.“, war die, vom Fernseher gelangweilte, Antwort von Lyze. „Triffst du dich wieder mit Avrial, zum Training?“ „Nein…“ „Nicht…?“, sie schaute zu ihm auf, „Wieso denn das?“ Schon ein bisschen weniger gelangweilt zog er ein kleines, rundes Gerät aus seiner Tasche: es war ein „Kommunikator“, praktisch die vorstufe in Desteral von einem Handy, wie wir es kennen. Der Empfang reichte nicht weit und es konnte nicht alle Personen im ganzen Land erreichen – auf Lyzes Gerät waren gerade mal die Nummer seiner Arbeit und die von Avrial, dem Arcaner eingespeichert. Lyze hatte ihm einen Kommunikator gegeben, damit sie sich einfach und schnell erreichen konnten. Das Gerät war nicht größer als eine zu groß geratene Armbanduhr, hatte ein großes Display und lediglich drei Knöpfe zum bedienen. „Wir haben es auf Übermorgen verschoben, es geht sich Zeitlich einfach nicht aus.“ „So…?“, ein wenig traurig sah sie ihn an, „Heißt das, du kommst morgen später?“ „Nein… doch- ach, wir werden sehen.“, er beugte sich zu ihr, „Das habe ich dir noch gar nicht erzählt: wir wurden zu einem Stadtfest eingeladen, wir haben unseren ersten Auftritt, Siri!“ „Was? Und das ist morgen?“, jetzt sah sie sauer aus, „Warum hast du uns nichts davon erzählt?“ Er musste wegen ihrer Voreiligkeit schmunzeln. „Nein, es ist nicht morgen. Wir proben nur noch einmal alles durch, darum weiß ich nicht, wie lange es dauern wird. Das Fest selber ist Samstagabend.“ „Ah, das ist gut.“, sie nickte fröhlich und legte das Nähzeug zur Seite, „Dann können Aira und ich Live bei deinem ersten Auftritt dabei sein!“ „Ja.“, er lächelte, „Das hoffe ich doch.“ Nach dem Gespräch wurde auch das letzte Licht im Raum abgeschaltet. Jeder hatte im zweiten Stock sein eigenes Zimmer; das musste sein, da Aira sehr bald das volle Ausmaß der Pubertät spüren würde und Siri dann nur schlecht mit ihr ein Zimmer teilen könnte. Umgekehrt ging es genauso wenig, da Lyze und sie nun einmal kein Paar waren… auch wenn es manchmal in dieser Familie danach aussah. Insgeheim wuchsen in Siri schon eine ganze Weile Gefühle, doch hatte sie bisher niemanden davon erzählt. Sie hielt es lange Zeit für unangenehm darüber zu sprechen, besonders da sie vor knapp zwei Jahren ihren Freund Mica verloren hatte. Nun aber, in dieser perfekten Zeit am perfekten Ort, hegte sie den Wunsch endlich darüber zu sprechen. Morgen, dachte sie sich, während sie sich im Bett drehte und die letzte Lampe ausschaltete, würde sie mit ihm darüber sprechen. Ganz bestimmt. Kapitel 2: Abendrot ------------------- Der nächste Tag hatte früh begonnen, die Sonne war noch nicht einmal bis zur Hälfte sichtbar, da verließ Lyze schon wieder das Haus. Mit einem weiten Weg von realistischen zweieinhalb Stunden musste er sehr früh los, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein. Der Bau an der ersten Zugverbindung von Destercity nach außen hatte bereits begonnen. Viele Strecken, zum Beispiel zu der Handelsstadt Comerence und zum nördlichen Meer, waren bereits existent – doch würde Lyze zu der nahest liegenden Zugstation gehen, würde sich der Weg wegen des langen Gehweges von realistischen zweieinhalb Stunden nicht wirklich viel verändern. Gerade fiel die Tür ins Schloss, da riss es Siri aus dem Schlaf: sie wollte doch eigentlich mit ihm sprechen! Noch schnell aus dem Bett gesprungen, lief sie die Treppe runter, öffnete die Tür und rief noch ein halblautes „Lyze!“ in die Weite. Es war zu Spät – der Halbengel war schon gar nicht mehr am Boden, er flog die erste Hälfte der Route und war bereits zu weit weg, um Siris Ruf zu hören. Schade; da stand sie nun, im Schlafkleidchen, in den Morgengrauen starrend. Zu gern hätte sie noch vor der Arbeit mit ihm geredet. Nur blöd, wenn man es einfach nicht gewohnt ist, so früh aufzustehen… und der Wecker nicht läutet. Mit Ausnahme eines Besuches am Vormittag, einer Nachbarin des nahen Dorfes, geschah Untertags nichts weiter Besonderes. Aira war in der Schule, die Wäsche von gestern fertig zusammengelegt und in den Schränken verstaut, das Essen war am kochen und die Nachbarin hatte auch noch einen guten Kirschkuchen mitgebracht. Siri hatte mit ihr Rezepte ausgetauscht und will nun in naher Zukunft mal selber einen backen. Gegen sechs Uhr Abends legte die junge Frau die Schürze beiseite und ließ sich in das Wohnzimmersofa fallen. So viel hatte sie geschafft. Zumindest was den Haushalt betraf. Sie legte den Kopf nach hinten und blickte an die Decke, als sie darüber nachdachte, dass Aira vor etwa einer halben Stunde hätte zu Hause sein sollen... Ihr wird schon nichts passiert sein, dachte Siri sich, wahrscheinlich war Aira wieder beim Fluss, oder trifft sich noch mit ein paar Freunden. Was ältere Kinder nun mal in ihrer Freizeit so machen. Da hörte man ein Summen. Kein summen von Insekten, wie Bienen etwa, sondern lauter. Irgendetwas kam auf das Haus zu und es konnte keine alltägliche Sache sein. So setzte sich die junge Frau erstmals fragend auf, ging dann zum Fenster und schob den weißen Vorhang zur Seite, bis sie beschloss vor das Haus zu gehen, nachdem man vom Fenster aus nichts sehen konnte. In der Abendröte die Türe hinter sich schließend, hielt sie sich eine Hand über die Stirn, um zu erkennen, was da den Hügel hochkam. Als dann eine weißblau glänzende Maschine über das Feld gefahren kam, wurden ihre Augen größer: zwei Räder, ein Sitz. Unmöglich ein Fahrzeug wie ein Auto… eher wie ein Fahrrad? Das Beste daran war, dass Lyze am Steuer saß – wo hatte er das Ding denn her? Ein wenig Abstand haltend ging Siri zwei Schritte zurück, als Lyze neben ihr hielt und fröhlich ein „Hallo Siri!“ rief. „Hallo…“, Siri deutete ungläubig auf die Maschine, ohne etwas dazu zu sagen. „Ist es nicht toll?“, begeistert stieg Lyze herab und klappte die Stütze des Gefährts aus, „Das ist ein Motorrad! Alle Bandmitglieder haben es mir gemeinsam geschenkt, damit ich nicht mehr so einen weiten Weg zur Arbeit habe!“ „Aber-“, die junge Frau sah immer noch verblüfft aus, „Aber du kannst doch fliegen? Wozu brauchst du dann so ein Ding?“ „Siri.“, war die Antwort, während er den Gitarrenkoffer hinab stellte, „Fliegen ist anstrengend und der kalte Wind macht einem nicht nur im Winter zu schaffen – mit einem Motorrad ist man schneller am Ziel, als man glaubt. Ich habe nur eineinhalb Stunden hergebraucht; es ist, als würde man Zug fahren!“ „Zugfahren?! Lyze, ich weiß wirklich nicht ob-“ „Es wird mit Fenduskristallen betrieben. Einmal in der Woche muss man den Motor erneuern, aber es gibt mittlerweile eigene Stellen dafür… ich glaube, man nennt sie ‚Tankstellen’.“ „Lyze, hör mal ich-“ „Die gibt’s zwar momentan nur in Destercity, aber wenn ich zur Arbeit fahre kann ich dort auch gleich-“ „Lyze!“, Siri packe ihn an den Schultern, damit er sich endlich wieder einkriegte. Als er sie dann so überrascht anschaute, wusste sie nicht mehr, was sie sagen wollte. Schließlich ließ sie von ihm ab und drehte sich ein wenig weg. „…Sei bitte vorsichtig.“ Alles, was Lyzes Reaktion hervorbringen konnte, war ein zartes Lächeln in seinem Gesicht. Er nickte und begann das Motorrad hinter das Haus zu schieben. „Keine Sorge, gleich morgen werde ich mir einen Helm kaufen. Ich weiß, dass es gefährlich sein kann.“ Wie seltsam es doch nicht war. Die modernste Stadt des Landes schien stetig mehr auf das umliegende Feld abzufärben, mit jedem Jahr und nun bald mit jedem Tag. Da fragte man sich, wie viel von dem Fenduskristall, der in der nahen Region von Destercity abgebaut wurde, in fünfzig Jahren übrig bleiben würde. Was würde aus der Stadt werden? Aus der Welt? Würde, wenn alle Vorräte verbraucht waren, die technische Entwicklung von vorne losgehen? Alles Fragen, über die scheinbar noch kein Mensch in Desteral nachgedacht hatte – und ob je einer darüber nachdenken würde, stand in den Sternen. Lyze hatte beschlossen, vor dem Haus auf Aira zu warten. Es war bereits kurz nach halb Sieben und er war sich nicht sicher, ob er sie später wegen dem Ärger schimpfen, oder wegen dem Glück sie wieder zu haben, umarmen sollte. Jedenfalls hatte er sich auf das Stückchen Holzgeländer gesetzt, welches eigentlich schon längst niemanden ans durchgehen hinderte, und übte ein paar Lieder auf seiner Gitarre. Der erste Auftritt seiner Band lag nicht mehr fern und es gab immer noch Stellen in Liedern, die ausgebaut werden mussten. Die letzten Sonnenstrahlen am Horizont schienen ewig zu wären, sie färbten Himmel und Erde rotorange. Siri war bereits ganz ungeduldig und begann sich sorgen zu machen. Es kam bisher nicht allzu oft vor, dass Aira, ohne bescheid zu geben, so lange Fehlte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus im Haus zu warten und kam hinaus zu Lyze. Er war abgelenkt, weshalb er erst ziemlich spät merkte, dass sie sich rechts zu ihm gesetzt hatte. Siri sagte im ersten Moment auch nichts, weil sie der Musik lauschen wollte. Erst, als das momentane Lied zu ende gespielt war, begann sie zu sprechen. „Das war schön.“ „…Danke.“ „Ich glaube wirklich, dass ihr am Fest erfolg haben werdet.“ Lyze lächelte, während er wieder zu spielen begann. „Daran hatte ich nie gezweifelt…“ „Aira… ihr wird doch nichts passiert sein, oder?“ „Nein. Nein, das glaube ich nicht. Sie kommt einfach in ein Alter, indem man beginnt auf eigene Faust zu erkunden.“ „Oh ja.“, Siri sah schmunzelnd zu Boden, „Was König Vilior, Mica und ich angestellt hatten… Mairon hatte mich nicht nur einmal geschimpft. Daran kann ich mich gut erinnern, aber es hatte auch spaß gemacht.“ „Na, hoffen wir, dass Aira nicht so unternehmungslustig ist, wie du warst.“, dies hatte Lyze Scherzhaft gemeint, brachte die junge Frau allerdings zum Nachdenken. Über die Familie und über das, worüber sie schon seit langem mit ihm sprechen wollte. „Uhm… da gibt es etwas, worüber ich mit dir reden möchte…“ Er sah kurz zu ihr auf, spielte aber anschließend weiter sein Instrument. „Nur zu.“ „Na ja, ich… ich habe nachgedacht… und so.“, sie wurde nervös und musste schlucken, versuchte jedoch die Fassung zu halten. „Lyze wir- also du, Aira und ich, wir… wir sind doch eigentlich eine richtige Familie.“ „Kann man so sagen, ja.“ „Auch wenn du Airas Bruder bist und ich eigentlich nur eine Freundin für sie, so… so scheint es doch, als wären wir in der Elternrolle…“ „…Da ist sicher etwas Wahres daran.“ Siri wollte endlich zum Punkt kommen. Doch wie sollte sie... seit langer Zeit existierte die Freundschaft zwischen ihm und ihr. Was ist, wenn er nicht das Selbe empfindet wie sie? Würden die Folgen des misslungenen Gespräches für immer auf die derzeitige Familienlage drücken? „Ich…“, sie schluckte wieder. Ein Glück für sie war es, dass Lyze die ganze Zeit aufs Spielen konzentriert war und sie darum nicht ansah. „Ich wollte dir nur sagen, dass… dass du mir-“ …eine Menge bedeutest. So hätte der Satz enden sollen, wenn da nicht plötzlich Airas Stimme zu hören gewesen wäre. „Aira!“, ohne weiteres auf Siri zu achten, legte er die Gitarre ins Gras und lief den Hügel hinab, der Schwester entgegen. Die junge Frau ließ nur mehr den Kopf hängen und seufzte tief. „…War ja klar.“ Nach einem Moment sprang dann auch sie vom Geländer und kam zu den Beiden. Gerade, als sie fragen wollte was geschehen sei, begann Aira zu erzählen: „Da war ein Mann im Wald, er hatte mich und meine zwei Freundinnen einfach überrascht!“ „Wie?“, Lyze beugte sich zu ihr, „Hat er dir etwas getan? Bist du verletzt?“ „Nein! Nein, er hat uns nichts getan! Er zeigte uns Zaubertricks und ließ uns erst weitergehen, nachdem wir ihm unsere Jausenbrote vom Vormittag gaben!“ „Hä?“, Siri hob eine Augenbraue, als sie dies hörte, „Wer macht denn so was?“ „Na wer schon…“, Lyze seufzte. Für ihn war klar, wer sich in den nahen Wäldern herumtrieb. „Meinst du etwa…“, da wurde es auch Siri klar. „Furah.“ Lyze stand aus der Wiese auf und nahm seine Schwester bei der Hand. „Ok, Aira. Folgendes gilt ab sofort: du wirst dich nicht ohne Begleitung von entweder Siri oder mir in den Wald begeben.“ „Was?“, warf Aira dazwischen. „Für heute verlässt du nicht das Haus – und Morgen wird dich Siri von der Schule abholen.“ „Was?“, diesmal fragten beide Mädels gleichzeitig. „Lyze-“, begann Siri, „Furah ist kein Mörder. Wenn ich Aira morgen zwei Brote mache, kann sie ihm eines geben und gut ist es…“, sie sah trocken Richtung Wälder, „Außerdem könnte dieser Idiot uns doch einfach mal besuchen kommen.“ „Aber das tut er nicht. Du sagtest selbst, wir müssen Vorsichtig sein – und wenn es um Aira geht, will und kann ich nicht Vorsichtig genug sein.“ Natürlich war Lyzes Sorge berechtigt. Seine Schwester war die einzige, die ihm von seiner Familie übrig blieb, und sie versuchte er mit all seiner Kraft zu schützen. Den heutigen Abend verbrachte der Haushalt ruhig miteinander, aßen zusammen und schauten ein Wenig Fernsehen. Kurz nach Elf schlug dann die Müdigkeit zu, wobei Aira als erstes ins Land der Träume reiste, dann Siri und als letzter Lyze. Er saß noch eine ganze Weile im Wohnzimmer und übte seine Lieder – wäre ihm bewusst gewesen, dass es nie zu einem Fest in Destercity kommen würde, hätte sich sicher auch er kurz nach Siri schlafen gelegt. Kapitel 3: 2. Der Anfang von Desterals Ende ------------------------------------------- Motorgeräusche schmissen Siri früh morgens aus dem Bett. Eigentlich war es nicht ihre Absicht mit Lyze aufzustehen, aber diese einfach ungewohnten Geräusche bei seiner Abfahrt ließen ihr keine andere Wahl. Es war später, als wenn Lyze zu Fuß zur Arbeit ging – die Sonne war immerhin schon voll, knapp über dem Horizont, zu sehen. Nicht nur sie wurde geweckt, sondern auch Aria. Sie hatte das Motorrad noch gar nicht gesehen und lief umso überraschter aus ihrem Zimmer, als sie dieses laute Geräusch hörte. Wenn sie schon zusammen wach waren, konnten sie genauso gut gemeinsam Frühstücken. Siri erklärte dem Mädchen nebenbei, was es mit dem Motorrad auf sich hatte. Ihre Reaktion war natürlich Begeisterung, sie wollte die Maschine am Liebsten sofort sehen – da musste sie sich allerdings bis zum Abend gedulden. Nach dem Frühstück begleitete Siri sie zur Schule. Zwar glaubte die junge Frau nicht, dass Furah für das Kind gefährlich werden könnte, aber vielleicht lief er ihnen ja über den Weg – und dann könnte man doch gleich fragen, ob er nicht mal zum Essen vorbeischauen möchte. Lyze würde dies sicher nicht gefallen. Aber wenn man es untertags macht, erfährt er davon vielleicht auch nichts. Auf dem Weg nach draußen bemerkte Siri, dass der Halbengel seinen Kommunikator auf dem Beistelltisch neben der Tür vergessen hatte. Wollte er sich nicht heute mit Avrial zum Magietraining treffen? Wenn er nun Lyze erreichen möchte, würde niemand reagieren; außer vielleicht Siri, die ihm sagen würde, er sei noch bei der Arbeit. Nachdem es auf dem Hinweg zur Schule keine Spur von Furah gab, holte sie Aira auch noch von der Schule ab. Der Magier ist immerhin auch letztens auf dem Nachhauseweg aufgetaucht. Doch auch dort kreuzte er nicht ihre Wege. Vielleicht war er gestern auch nur zufällig in der Nähe und hatte noch zufälliger genau Aira und ihre Freundinnen getroffen – und wusste dabei nicht, dass es sich um die kleine Schwester von Lyze handelte. Demnach könnte Aira ab übermorgen wieder alleine zur Schule gehen; Siri würde sie auch morgen zur Sicherheit noch einmal begleiten, Lyze würde es so wollen. Ihr Gespräch von Gestern hatte die junge Frau schon fast Vergessen gehabt. Wie peinlich es doch nicht war. Siri wollte ihm endlich sagen, was sie für ihn empfand, konnte aber nicht. Lyze schien auch gar nicht mitbekommen zu haben, worum es ging… ob er ihr überhaupt richtig zugehört hatte? Vielleicht war es auch einfach nicht der passende Moment. Gut, es war ein schöner Sonnenuntergang und Lyze spielte einsam Gitarre, aber dass Aira jeden Moment dazwischen platzen könnte, damit hätte Siri rechnen müssen… Endlich daheim angekommen, bereitete die junge Frau auch gleich das Abendessen vor. Aira beschloss dieses Mal gleich die Hausaufgaben in ihrem Zimmer zu machen, dann hatte sie den ganzen Abend zeit für spaßigere Dinge. Noch schnell bereitete Siri das Backblech vor, heute würde es endlich mal wieder einen Braten geben. Beim Gehen durch die Küche schweifte ihr Blick zum Fenster, an dessen Landschaftshorizont schon wieder die Sonne sank. Avrial hatte sich auch noch nicht gemeldet. Siri konnte nicht wissen, wie und wann sich die Jungs absprechen, doch war sie sich sicher, dass es immer gegen Nachmittag sein müsste, eigentlich. Den Braten fertig zubereitet, schob sie ihn in den Ofen, machte ihn zu und stützte sich erstmals, schweiß von der Stirn wischend, an die Küchentheke. Es kam unerwartet. Ohne Vorwarnung. Ein lauter knall in der Ferne, der nicht nur die Gewürze im Regal ins rütteln brachte. Völlig überrascht lief Siri zum Türstock und hielt sich fest – was war das? Ein Erdbeben? Nein, es war zu kurz dafür. Denn gerade als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, war es auch schon vorbei – nur ein tiefes Grollen raunte jetzt durch die Luft, es war Ohrenbetäubend. „SIRI!“, hörte man Aira durch obigen Flur rufen, „Siri, was ist das!?“ „Ich weiß es nicht-“, sie kam zu den Stufen, streckte Aira, die die Treppe hinab lief, die Hand entgegen. „Keine Angst, ich bin mir sicher, es ist gleich vorbei.“ Doch dem war nicht so. Noch Minuten lang raunte das Grollen durch die Luft, so gleichmäßig wie der Ton war, brachte er sogar die Fensterscheiben ins wellen. Nun mischte sich ein zweites Geräusch hinzu. Siri sah überrascht, mit Aira an sich geklammert, auf, als Vogelgeschrei lauter wurde. Sie konnte nicht anders und lief vor das Haus. Aira lief ihr nach und starrte genauso fassungslos wie sie gen westlichen Horizont, bis hin zu über ihren Köpfen, wo tausende Vögel vorüber flogen. „Wovor flüchten sie Siri!?“ „Ich…“, Siri schluckte, „Ich weiß es nicht…“, tatsächlich aber konnte man den Grund am Horizont sehr wohl erkennen. Es war undefinierbar und schwarz. Es war, als würde die Nacht hereinbrechen, obwohl am Ende des Horizontes die Sonne noch schien. Wie eine Nacht, die langsam dem Himmel zu verschlucken schien. Das gefiel Siri ganz und gar nicht. Zum einen deutete dieses Ereignis mit Sicherheit ein weiteres Unglück für Desteral an, zum anderen befand sich bekanntlich Destercity im Westen – und diese Finsternis schien sich von dort auszubreiten… „Lyze…“, begann sie laut nachzudenken, wobei sich Aira wieder an ihr Kleid klammerte. Dem Mädchen war sehr wohl bewusst, dass sich ihr Bruder höchstwahrscheinlich in mitten dieser eigenartigen Gefahr befand. „Keine Sorge Aira.“, meinte Siri und versuchte dabei zu lächeln, „Lyze ist sicher bereits auf dem Weg nachhause, ihm wird nichts geschehen.“, hoffte sie zumindest. Endlich war das tiefe Grollen vorbei. Es war auf einmal ganz still. So still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Die Tür zum Haus stand offen und knarrte im beginnenden Wind hin und her. Da hörte man einen elektronischen Ton. Siri sah dabei zum Haus, denn er kam eindeutig von drinnen. Mit ein wenig Mühe befreite sie sich aus Airas Griff, um in den Vorraum zu gelangen. Da es plötzlich so dunkel wurde, griff Siri nach dem Lichtschalter, doch er funktionierte nicht. „Keine Energie…?“ Der elektronische Ton meldete sich abermals, er war kurz und kam von dem Beistelltisch unter Siri. Sie erkannte schnell, dass es Lyzes Kommunikator war, der sich meldete – nicht umsonst blinkte das Display wie verrückt. Schnell nahm sie es in die Hände und probierte alle drei Knöpfe durch, um das Gerät in gang zu kriegen. Als es dann ein „Biep“ von sich gab und das Display dauerhaft leuchtete, war ihre erste Frage: „Lyze!?“ Auch wenn es in ihrer Panik war, war es blöd. Immerhin konnte sich Lyze doch nicht selbst anrufen, oder? „Siri?“, hörte man aus dem Gerät relativ undeutlich, „Siri, kannst du mich hören?“ Es dauerte ein bisschen, bis das rauschen am Display verschwand und das Gesicht eines schwarzhaarigen Mannes mit dunkelroten Zylinder zu erkennen war. „Avrial!“, freute sie sich, „Oh bin ich froh, dich zu sehen! Du glaubst nicht was bei uns passiert, der Himmel ist plötzlich-“ „Ja, ich weiß, ich weiß es. Bei uns auf Ikana geht es auch schon los.“ „Was geht los? Avrial, was ist das denn?“ „…Wo ist Lyze?“ „Er… er ist noch nicht zuhause. Aber wahrscheinlich ist er bereits am Heimweg.“ „Nein… das ist schlecht.“, Avrial murmelte etwas vor sich her, ehe er wieder aufsah, „Das ist egal. Siri, hör mir jetzt gut zu: Du musst auf der Stelle mit Aira den Zug nach Norden nehmen. Sprich mit niemanden und reise mit wenig Gepäck.“ „Aber sollten wir nicht auf Lyze-“ „Nein!“, Avrial schien es todernst zu meinen, „Er wird nicht kommen. Siri, du musst sofort von dort weg, ihr könnt nicht warten. Nimm den nördlichen Zug und komm zu mir ins Schloss, verstehst du mich?“ „Was ist hier eigentlich los?!“, ihr ging Avrials Satz „Er wird nicht kommen“ durch den Kopf, „Was passiert denn in Destercity?!“ „…Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, ich erkläre es dir im Schloss.“, im Hintergrund sah man ein Mädchen durch das Bild laufen. „Huh? Wer war das, Avrial?“ „Uhm-“, er bemühte sich, sich kurz zu halten, „Du wirst es mir nicht glauben – das Kind der Weisheit ist bei mir…“ „Das Kind der Weisheit!? Woher hast du-“ „Sie kommt aus der Zukunft.“ Siri sah nach der Antwort einfach nur doof aus der Wäsche. „Siehst du, ich sagte doch, du wirst es mir nicht glauben. Ich… ich erkläre dir alles Später, versprochen. Mach dich jetzt auf den Weg, uns bleibt nicht viel Zeit. Bis bald.“ Das Bild am Display verschwand und leuchtete nicht mehr. Noch immer ungläubig stand Siri da, im dunklen Zimmer und starrte auf den ausgeschalteten Kommunikator. Erst nach ein paar Sekunden sammelte sie sich und sah hinaus in die dunkle Weite. „Aira, komm zu mir!“ Im selben Augenblick, weit entfernt im Westen, konnte man selbst von hoch oben die brennende Hauptstadt erkennen. Es gab keine Energie, nur wenige Feuerwehrwagen fuhren durch die zerstörten Straßen, und überall konnte man Menschengeschrei vernehmen. Die wichtigste Stadt des Landes lag in Trümmern. Die, die weit genug entfernt waren, flüchteten aus der Stadt und wagten es nicht, sich umzudrehen. Im Zentrum der Stadt, im höchsten Gebäude und gleichzeitig ältesten Schloss, saß verängstigt der rundliche Bürgermeister in einer Ecke und bangte um sein Leben. Denn indem Moment kam eine riesige, pechschwarze Welle durch das Haupttor gekrochen und machte erst halt, nachdem es das ganze Schloss in sich verschlungen hatte. Kurz vor dem Bürgermeister hielt das glibberige Ding schließlich und stellte sich Deckenhoch auf. Es wellte sich abermals ganz wild, als ein Teil der Masse sich löste und vor ihm auf dem Boden die Gestalt einer unheimlichen Kreatur annahm. Ein wahnsinnig langer Körper. Drei Krallen an den Händen und Füßen. Der Körper schwarz wie die Nacht, sodass man eigentlich nur die Konturen erkennen konnte – bis auf die eisblau stechenden Schlitzaugen. Die Kreatur baute sich vor dem verängstigten Bürgermeister groß auf, bevor sein Arm nach ihm ausfuhr und ihn eng am Hals packte. Als der rundliche Mann zwei Meter über den Boden, dicht vor dem Gesicht der Kreatur baumelte, begann das Monster, mit tiefer, weiblicher Stimme zu Sprechen: „Wo sind eure Herrscher?“ „E-es ähm… i-ich bin der Bürgermei-“ „Wo ist die königliche Familie!?“, die Kreatur hatte überhaupt keine Geduld und drückte dem Mann den Hals zusammen, „Sprich!“ „Es gibt keinen König!“, der Mann versuchte den Griff der Kreatur zu lockern und rang nach Luft, „Die königliche Familie endete vor zwanzig Jahren, wir sind keine Monarchie mehr!“ „Unmöglich!“, die Kreatur wurde nicht gerade Glücklicher mit dieser Antwort, „Die Familie wird niemals Enden, es muss Nachkommen geben! Wo sind sie? Versuche sie nicht zu verstecken, oder du bezahlst mit deinem Leben!“ Ehe der Bürgermeister antworten konnte, brach ihm die Kreatur sein Genick. Sie drehte sich nur mehr zu der gewaltigen schwarzen Masse und ließ den leblosen Körper fallen. „Sucht die Nachkommen Desterals! Ich will unsere Rache. Und wir werden sie kriegen.“ Kapitel 4: Der altarcanische Plan --------------------------------- Wie plötzlich sich alles auf einen Schlag ändern kann. Keiner in Desteral war auf diese Finsternis und Kälte eingestellt, schon gar nicht konnte es jemand erahnen. Ein alter Feind des Kontinentes, so erzählen die Zeitungen, sei nahe Destercitys nach etlichen Jahren des Schlafes wieder aufgewacht, der Grund sei noch unbekannt. Der Bürgermeister hatte den Notstand ausgerufen und sofortige Evakuierung beantragt, doch es war zu spät. Desteral wurde seit zwei Jahren von den Herrschern der vier häufigsten Spezies gemeinsam regiert – einer davon war der menschliche Bürgermeister. Nun baten die verbliebenen Drei – die Herrscherin der Engel, ältester der Arcaner und der Löwenmensch-König – das Land Azamuth um Hilfe. Sie meinten, dass man gegen diese finsteren Kreaturen ankämpfen könne und man eine gemeinsame Armee auf die Beine stellen sollte. Siri legte die Zeitung beiseite und seufzte: Wie naiv das Land doch nicht war. Und die Dämonen hörten nur das Wort „kämpfen“ und spielten sofort mit. Nebenbei lehnte sie sich an ihr Fenster des Zugabteils und schaute in die dunkle Landschaft hinaus. Ob es nun finster wegen der Nacht, oder den angeblichen Monstern war, wusste sie nicht. Fraglich war auch, ob es jemals einen Morgen geben würde... Aira musste auf den jungen Mann gegenüber starren. Seine blasse Haut und pechschwarzen Haare ließen auf einen Vampir schließen – doch haben Vampire für normal nicht rote Augen? Was sollte ein Adeliger aus Azamuth überhaupt so weit von seinem Land entfernt machen? Als der bleiche Mann zu Aira aufsah, durchbohrten seine eisblauen Augen regelrecht ihren Körper. Das Mädchen rutschte nur mehr näher zu Siri und hielt sich an ihrem Kleid fest. „Es ist kalt geworden, nicht war?“, Siris Annahme für das Klammern war nicht Falsch, aber auch nicht ganz Korrekt. Für den Sommer wurde es in den letzten Stunden wirklich rapide kälter, vielleicht waren auch daran die finsteren Kreaturen schuld. „Wie weit ist es noch, Siri?“ Die junge Frau sah wieder aus dem Fenster, „Nicht mehr weit, hinter den Hügeln beginnt schon das nördliche Meer. Bist du müde?“ „Nein...“, Aira senkte den Kopf und sprach ein unangenehmes Thema an. „Ich mache mir sorgen um Lyze...“ „Das brauchst du nicht, es geht ihm sicher gut.“, Siri wollte ihrer Aufmunterung selbst gerne glauben, „Du wirst schon sehen, morgen ist er bei uns auf Ikana.“ „...Aber Lyze kann doch fliegen – müsste er uns nicht schon aufgeholt haben?“ „Uhm...“, das war schwierig zu beantworten. Eigentlich hatte Aira recht: selbst wenn sein Motorrad nicht funktionierte, hatte er immer noch seine Flügel. Wohl wissend, dass Siri auf ihre Frage keine Antwort wusste, legte Aira den Kopf auf ihren Schoß und seufzte. „Ich wünschte, ich könnte auch fliegen.“, sie schloss die Augen, „Dann würde ich Lyze einfach aus der Luft suchen gehen.“ Siri schwieg noch immer. Sie legte dem Mädchen ihre Hand auf den Kopf und lächelte sanft. Nach einer kurzen Pause öffnete Aira dann ihre Augen: „...Und mit den Vögeln würde ich um die Wette fliegen, und das Land aus der Luft erkunden und aus der Schule würde ich einfach wegfliegen!“ „Ja,ja-“, Siri lachte, „Träum weiter, auch wenn du fliegen könntest, würden wir dich in die Schule stecken!“ Die Fahrt dauerte noch eine Weile, aber großteils verlief sie angenehm ruhig. Am nördlichen Meer angekommen, kaufte Siri auch gleich zwei Tickets für eine Fähre nach Ikana. Es waren fast keine Leute zu sehen; wobei es auch untypisch ist, mitten in der Nacht ohne Pause zu reisen. Nur Siri und Aira warteten geduldig am Steg auf ihre Überquerungsmöglichkeit – als dann später der junge, blasse Mann hinzukam. Wieder musste Aira auf ihn starren, diesmal beachtete er sie aber nicht weiter. Siri verschwendete im Moment keine Gedanken an den mysteriösen Mann, der denselben Weg wie sie zu haben schien, sie war beim Blick auf das Meer in Erinnerungen versunken. Damals überquerte sie zusammen mit Lyze zum ersten Mal das nördliche Meer, als sie auf der Suche nach einem sehr alten und weisen Drachen waren. Der Gott des nördlichen Gebietes hatte zu der Zeit erst vor kurzem seine Frau, eine Meerjungfrau verloren – darauf hin hatte er das Meer verflucht. Auch das Boot von Lyze und Siri blieb nicht verschont und kenterte. Die junge Frau landete dadurch das erste Mal auf der Insel Ikana, wo sie den Arcaner Avrial kennen gelernt hatte. Inzwischen ist das Meer längst wieder normal und der Zorn der Gottheit verweht; wer weiß, ob das Meer heute noch verflucht wäre, hätte Siri nicht mit ihm über sein Leid gesprochen. Inzwischen hatte die Fähre im Hafen angelegt und Aira war auch schon auf die Brücke gelaufen. Das Wasser und die finstere Nacht blieben dauerhaft ruhig, den ganzen Weg über. Kaum hatten die zwei bei ihrer Ankunft einen Fuß auf die Insel gesetzt, schien der Himmel wieder ganz anders auszusehen. Zwar war es immer noch finster, aber der Blick zum Himmel zeigte: es gab einen sichtbaren Mond – und Sterne. Wenn man hingegen zur See schaute, wurde einem klar, dass Ikana von der dichten, finsteren Wolkendecke verschont geblieben war… Siri konnte sich bereits denken, dass sicher Avrials Magie im Spiel war. Beim durchqueren des relativ primitiven Dorfes schien alles so wie immer. Keine aufgebrachten Menschen. Keine Zeitungen, mit großer Überschrift „Das Ende der Welt ist nahe!“, nur ein einsamer Bettler am Wegesrand hielt ein Schild mit genau dieser Aufschrift vor sich… wobei er dies sicherlich schon immer tat. Während Siri bereits einmal in Avrials Schloss übernachtet hatte, war Aira noch nie zuvor auf dem Berg, geschweige denn in Ikana gewesen. Trotz dieser Tatsache, sahen alle beide sehr verdutzt drein, als sie vor dem gewaltigen Mauern standen: was damals alt und ruinenartig zu auseinander fallen schien, war neu bebaut und keines Wegs einem Geisterschloss ähnelnd, wie es Siri dem Mädchen immer beschrieben hatte. „Überrascht?“ Die zwei Gäste richteten den Blick wieder gerade aus, als gerade Avrial aus dem großen Schlosstor spaziert kam. Er sah nicht gerade fröhlich aus, nickte aber trotzdem lächelnd zur Begrüßung den beiden entgegen. „Seid willkommen. Ich habe das Schloss vor zwei Jahren angefangen neu zu renovieren, falls du es vergessen haben solltest, Siri.“ Die junge Frau blinzelte ihren zwei köpfe größeren Gegenüber schweigend an, einzig ein „Oh.“ entfleuchte ihrer Stimme. „Nun kommt-“, der Arcaner drehte sich eilig wieder um, richtete beim vorangehen seinen Zylinder. „Wir haben nicht viel Zeit, im Moment zählt jede wertvolle Sekunde.“ Siri, die mit Aira an der Hand dem Magier ins Schloss folgte, freute sich schon auf die bevorstehenden Antworten auf all die ungeklärten Fragen – doch schon im nächsten Moment blieb Avrial vor dem Tisch im ersten Raum stehen und griff nach einer Kanne: „Wo bleiben nur meine Manieren? Will einer von euch beiden Tee? Ich habe Früchtetee, schwarzen Tee, Pfeffermin-“ „Nein. Danke Avrial, aber es ist sehr spät.“, unterbrach Siri den Schlossherren, „Aira muss jetzt ins Bett, ich habe all ihre notwendigen Sachen in diesem Koffer hier.“ Dazwischen mischte sich ein maulendes „Ich will noch nicht ins Bett!“ von Airas Seite hinein. „Oh.“, Avrial deutete zur geradezu riesigen Treppe, „Im linken Flügel gibt es genug Gästezimmer.“, er lächelte zu dem Mädchen, „Du kannst dir aussuchen, welches du immer auch willst.“ Schon fröhlicher nickte die Kleine, bevor sie zur Treppe wanderte. „Gute Nacht, Siri, Avrial.“ „Lass deine Türe offen, damit ich weiß, in welchem Zimmer du liegst.“, meinte Siri. „In Ordnung!“, im nächsten Moment lief Aira die Treppen hoch. Noch eine Weile sah die junge Frau Avrial zu, wie er sich einen Tee einschenkte. Sagte er nicht, es gäbe nicht viel Zeit? Obwohl, ein wenig eiliger als sonst nahm er einen großen Schluck von seiner Tasse. „Avrial…“, Siri seufzte. „Ja?“ „Meine Fragen.“ „Was ist damit?“ „Meine Fragen! Was ist das da draußen, wo ist Lyze, was passiert mit Destercity und wer ist dieses ‚Kind der Weisheit’? Ich will, dass du sie mir endlich beantwortest!“ „Achso!“, er stellte seine Tasse recht unsanft ab und ging wieder eilig weiter, ohne Siri vorzuwarnen, um die linke Ecke. Sofort lief sie ihm fragend nach – wenn er in Hektik war, dann richtig. „Ich fange am Besten bei den Monstern an.“ „Bei den Monstern?“, Siri versuchte mit ihm schritt zu halten, dies schien aber beinahe unmöglich. „Desteral war eine Monarchie, ich weiß nicht, ob du das wusstest.“ „Nein, nicht wirklich-“ „Zu jener Zeit herrschte seit Generationen ein und dieselbe Königsfamilie über das Land, ganz ähnlich wie in Azamuth. Das letzte Königspaar starb vor knapp zwanzig Jahren und hinterließ angeblich keine Nachkommenschaft.“ „Und was hat das-“ „Drei Generationen davor, also als ihre Ururgroßeltern am Thron saßen – somit auch lange vor meiner Zeit – gab es eine schreckliche Katastrophe im Land. Was genau passierte ist nicht aufgezeichnet, aber es war dieselbe Finsternis und dasselbe Monster, was uns auch jetzt heimsucht.“ „Aha.“, Siri geriet außer puste bei dem langem Gang durch das Schloss. „Dem königlichen Paar gelang es mit Hilfe des alten Volkes der Arcaner, dieses Monster und deren Gefolgschaft zu versiegeln und somit in einen dauerhaften Schlaf zu verbannen – die Kreaturen zerstören kann man laut den Überlieferungen nicht, also war dies die einzige Möglichkeit.“ „Verstehe, also ist dieses Viech nach-“ Avrial blieb vor der letzten Tür auf diesem ewig langem Gang stehen: „Und jetzt kommt das Beste: Die Monster wurden knapp neben Destercity versiegelt – der Kristall hätte ihren dauerhaften Schlaf sichern sollen.“ „Der Kristall!?“ „Der Fenduskristall.“, Avrial drückte die Türklinke und überließ Siri den Vortritt in die Bibliothek. „Demnach…“, meinte sie beim Eintreten, „war die Kristallmine die ganze Zeit der Ort, an dem die Kreaturen versiegelt waren… und durch den ständigen Abbau nahm dann die stärke der Kristalle ab… bis die Viecher schließlich erwachten und es ihnen gelang auszubrechen…“ „Exakt.“ „Oh heiliger…“, Siri ließ sich in einen der Stühle sinken und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Eine ganze Weile fiel dann kein Wort mehr. Avrial hatte eine Tafel mit Kreiden und ein paar alten Bücher hergerichtet, ehe er eine Hand auf ihre Schulter legte. „Es gibt eine Möglichkeit, das Monster wieder zu versiegeln.“ Siri sah langsam zu ihm auf, „…Wirklich?“ „Ja. Wir haben einen Plan entwickelt und brauchen eure Hilfe.“ „Äh, mit ‚eure Hilfe’ meinst du sicher Lyze und mich, und mit ‚wir’ dich und das Kind der Weisheit? Wo ist die Kleine?“ „Nebenan, sie durchrechnet noch ein paar Kleinigkeiten.“, er schmunzelte, „Die Grundidee hat sie mitgebracht.“ Er trat an die Tafel heran und deutete auf ein paar für Siri unleserliche Zeichen: „Das ist Altarcanisch, ein Magiespruch. Einer, der uns bei der Verbannung der Kreaturen helfen wird.“ „Aha… da gibt es doch sicher einen Haken.“ „Ganz recht… der Spruch ist nicht komplett. Es fehlen zwei Teile, um den ganzen Spruch aufsagen zu können.“ „Was bewirkt der denn?“ „Mit allen drei Teilen öffnet sich das Tor in die Zukunft…“ „Ja was zum!?“ „Den Teil, den wir im Moment haben, führt nur in die Vergangenheit – und hierbei kommen Lyze und du ins Spiel.“ Siri hob eine Braue und wurde leicht unsicher. „…Wie meinst du das?“ „Die zwei benötigten Teile des Magiespruches existieren nicht mehr.“, Avrial zuckte mit den Schultern, „Ich würde sie ja gerne selber aus der Vergangenheit holen, aber der Spruch führt dazu, für kurze Zeit sein damaliges Ich anzunehmen – und bereits zu der benötigten Zeit war ich genau da, wo ich jetzt stehe: in Ikana.“, er deutete direkt auf Siri, „Du hingegen befindest sich genau dort, wo sich einer der beiden Sprüche gut behütet befindet.“ „…Und Lyze?“ „Lyze ist in der Nähe des zweiten Spruches, vorausgesetzt er wohnte in seiner Kindheit bereits in seinem Haus.“ „Tat er…“ „Na, fantastisch!“, Avrial schien erleichtert, „Dann kann nichts mehr schief gehen… vorausgesetzt, ihm ist nichts passiert…“, unerwartet beugte er sich hinab und nahm Siri an den Schultern. „Siri, wir müssen Lyze finden – und zwar schnell!“ „Ich… ich weiß-“ „Avrial?“, eine zarte Stimme klang vom Durchgang ins Nebenzimmer, als ein kleines, etwa neunjähriges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren hinzukam und dem Arcaner einige Papiere auf den Tisch legte. „Ich bin fertig.“ Stumm blickte Siri zu der Kleinen. Sie hatte blaue Augen und einen leicht vertrauten Blick. Sie deutete auf das Mädchen: „Ist sie das?“ Avrial nickte. „Und wie heißt sie?“ „Ich heiße Limiu.“, die Kleine verbeugte sich lächelnd, anschließend machte sie sich auf, einige Bücherregale zu durchstöbern. „L-Limiu?!“, Siri verstand die Welt nicht mehr. Bei dem Namen viel ihr nur eine einzige Person ein und diese hatte ebenfalls rabenschwarze Haare: Lyzes erste Liebe. „Hast du nicht gesagt, sie käme aus der Zukunft?“ „Das tut sie auch.“ „Ja aber wie-“ „Die Legende hatte sich um eine Generation geirrt.“ Siri sah den Magier nur mehr verwirrt an. „Nicht Aira ist das Kind der Weisheit, wie ihre Eltern dachten… sondern Lyzes Tochter.“ Genau in diesem Moment, in dem Siris Augen weit aufgerissen waren, brach gleichzeitig ihre Welt zusammen: wenn Lyze eine Tochter hatte, die Limiu hieß und noch dazu schwarzhaarig war, konnte dies nur bedeuten, dass es für Siri keine Zukunft in Lyzes Leben geben konnte… „B-bist du dir sicher?“, harkte Siri nach, „Ich meine, absolut sicher? Schau sie dir doch an – sie könnte genauso gut deine Tochter sein! Wer sagt, dass es nicht so ist?“ „Siri, als ich mit dir per Kommunikator sprach, fragte Limiu nach ‚Tante Aira’, sie hat sich damit selbst verraten. Eigentlich wollte sie beide Elternteile verheimlichen, aber… na ja, sie ist eben doch noch ein Kind.“ „Und wer ist die Mutter?“ „Das habe ich bis jetzt nicht herausfinden können. Als ich mit Limiu über sie sprach, hatte sie nur gemeint, sie darf sie zum Schutz ihrer Eltern nicht verraten.“ Leise, ganz leise säuselte Siri darauf ein „Ist auch besser so…“. „Nun…“, Avrial legte alle Bücher und Kreiden zur Seite, „Du musst müde sein, Siri. Lasst uns für heute ins Bett gehen. Morgen werden wir alles noch einmal durch besprechen… damit auch nichts schief gehen kann.“ „Ja…“, die junge Frau sah nur mehr seufzend in Richtung Limiu, „In Ordnung.“ Kapitel 5: Aufbruch ------------------- „Siri…!“, leise flüsternd rüttelte Aira an ihrer Bettdecke, die junge Frau lag mit dem Rücken zu ihr und schien tief zu schlafen. „Siri-“, die Kleine kletterte über sie, auf die leere Stelle des großen Bettes und rüttelte wieder: „Siri, wach auf!“ Endlich begann sie sich zu bewegen und murmelte unverständliches vor sich her. Aira wartete, bis Siri ihre Augen öffnete. „Aira…? Wie spät ist es denn?“, sie setzte sich auf, „Kannst du nicht schlafen?“ „Es ist draußen hell und alle außer dir sind bereits wach…“ „Was-“, Siri rieb sich das rechte Auge, „Was willst du dann?“ Rasch sprang das Mädchen vom Bett und lief zu den großen Fenstern des Zimmers. Sie zog an einem der beiden roten Vorhängen, sodass das grelle, weiße Tageslicht in den Raum schien: „Schau!“ Eben noch musste Siri ihre Augen verdecken, spähte aber dann mit einem zu den Fenstern. Kaum wollte sie „Es ist Tag, na und?“ sagen, sah sie den Grund für Airas Aufgeregtheit: „Schnee…?“, nun kam sie aus dem Bett und tapste zum weißen Licht. „Es schneit…“ Dies war in der Tat sehr eigenartig. Immerhin hatten sie gerade Sommer… „Schnee!“, wiederholte Aira Siris Worte und schien sich dabei sogar zu freuen. „Hm, tja.“, die junge Frau kratzte sich am Hinterkopf, „Wir wollten wissen, ob es jemals wieder einen Tag geben wird… ich glaube, dies hat unsere Frage beantwortet. Weiß Avrial etwas darüber?“ „Er sagte, die Wolken, die den Himmel seit gestern Nacht verdecken, umkreisen Desteral und lassen keine Sonne durch, das kühlt unser Wetter ab.“ „Wow… ich frage mich, wie es bei uns zuhause wohl aussehen mag…“ „Avrial sagte, es sei besser, nicht alles zu Wissen.“ „Sagte er das?“, Siris Blick wurde trocken, „Na großartig.“ Wenn der Arcaner einmal keine genaue Antwort gab, konnte man davon ausgehen, dass diese Negativ war. „Komm Siri!“, Aira zog an ihr, „Limiu will mit mir spielen und du sollst Frühstücken gehen!“ „Ist gut, okay! Ich will mich vorher wenigstens anziehen.“, sie ging zu ihren Kleidern, „Du kannst vorgehen, ich komme dann gleich nach.“ Für Aira schien der Aufenthalt im Schloss wie ein spontaner Urlaub zu wirken. Sie war gestern noch so bedrückt und heute spielte sie bereits mit Limiu. Selbstverständlich hatte auch das Mädchen Bauchschmerzen, wenn sie über die Katastrophe in Desteral nachdachte, aber den genauen Hintergrund der Geschichte kannte sie nicht. Vielleicht war dies auch besser so. Ganz im Gegensatz steckte Siri mitten drin. Schon während des Frühstücks dachte sie an das gestrige Gespräch zwischen Avrial und ihr nach. An diesen altarcanischen Magiespruch, der einen angeblich in die Zukunft bringt… doch wie sollte es bei diesem Monsterproblem helfen können? Sicherlich hatte es auch etwas mit Limiu zu tun, die ja immerhin aus der Zukunft kam. Und da wurde Siri nachdenklich. Sie stellte ihre Teetasse ab und musste den Kopf senken – ihre Gedanken schweiften um Lyze. Ob es ihm gut ging? Wo mag er jetzt wohl stecken? Vielleicht in Destercity, oder einem einsamen Dorf im Nirgendwo? Verletzt oder gesund? Na ja, am Leben musste er wohl sein. Ohne Lyze gebe es auch keine Limiu. Dies stimmte die junge Frau noch trauriger, worauf sie laut seufzen musste. Dass die Kleine existierte zeigt ihr deutlich, dass ihr Traum unerreichbar bleiben wird. „Was ist los, Siri?“, Avrial betrat den Esssaal, „Ich habe in der Bibliothek auf dich gewartet, aber du sitzt noch immer bei Tisch, wie ich sehe.“ Bedrückt hob Siri den Kopf. „Ich habe irgendwie keinen Hunger…“ „Aber du musst doch etwas essen – na, dann besprechen wir unseren Plan eben hier.“, der Magier hob einen Koffer auf den Tisch und klopfte kurz an ihm: „Lyze muss unbedingt gefunden werden. Der Zukunftswillen, als auch um unseren Plan durchführen zu können. Ich werde mich noch vor Mittag auf den Weg machen-“ „Nein.“, Siri erhob Einspruch, anschließend stand sie zögerlich von ihrem Platz auf. Tief atmete sie einmal durch, ehe sie den entscheidenden Satz sprach: „Ich werde Lyze suchen gehen.“ „Siri-“, der Arcaner schien überrascht, „Desteral ist nicht mehr das gleiche Land wie gestern, es ist sehr gefährlich… bist du dir sicher bei dem, was du sagst?“ Nur nach einem Schlucken konnte Siri weiter sprechen: „Ja. Ich will, dass du bei den Mädchen bleibst und das Schloss beschützt; ohne deine Magie ist doch auch die letzte Zuflucht gefallen… bitte, tue es für mich, Avrial.“ Nach einem kurzen Überlegen schmunzelte der Magier, schließlich stimmte er Siri zu. „Das sind weise Worte. In Ordnung, ich werde die Finsternis so lange es geht vom Schloss und der Insel fernhalten.“, Avrial warf ihr einen Kommunikator zu, den sie gerade noch so fangen konnte, „Trage den bei dir, bei Notfällen können wir uns verständigen.“ „Das ist eine tolle Idee – nur musst du mir zeigen, wie ich mit dir Kontakt aufnehmen kann.“, Siri griff sich verlegen auf den Kopf, „Tut mir Leid.“ „…Du liebst ihn, nicht wahr?“ Völlig überrascht blickte die junge Frau in seine Richtung. Wie kam der Arcaner denn jetzt auf das Thema? Es war klar, dass sie nicht sofort antworten konnte und erstmals den Kopf senkte. „Wie kommst du zu dieser Annahme?“ Avrial musste ein weiteres Mal schmunzeln. „Das kann ich doch deutlich sehen. Ich war selbst einmal verliebt, wenn du dich erinnerst.“ „Ach ja… das ist aber sehr lange her…“ „Zeit spielt da keine Rolle.“, Avrial legte eine kurze Pause ein. Er beobachtete Siri und konnte sehen, dass sie immerzu von ihm absah. „Was bedrückt dich...?“ „Ich…“, Siri ballte ihre Fäuste, „Es hat doch alles keinen Sinn! Ich meine, Limiu, sie-“ „Wegen einem Mädchen gibst du einfach auf?“ „Aber sie ist immerhin Lyzes Tochter…“ „In entfernter Zukunft, Siri. Dies hat nichts mit der Gegenwart zu tun, wie du weißt.“ Siri gab keine Antwort, da es ihr nicht nur um die Gegenwart ging. Darauf hin setzte sich der Magier ihr gegenüber: „Lyze kann wirklich sehr blind sein.“, er seufzte, „Manchmal muss man ihn direkt vor den Kopf stoßen.“ „Das habe ich versucht…“, sagte sie leise, „Aber er hört mir nicht zu.“ „Irgendwann wird er dir zuhören müssen. Es gibt für alles den passenden Moment.“ Tief seufzte die junge Frau noch einmal, „Das hoffe ich.“, anschließend fing sie endlich an zu Essen. Siri verabschiedete sich nach dem Frühstück schweren Herzens von Aira; beiden fiel es nicht leicht, sich eine ganze Weile nicht sehen zu können. „Wenn ich fliegen könnte, müsstest du nicht gehen.“, meinte das Mädchen nur. „Wenn das Wörtchen ‚wenn’ nicht währ… Außerdem müsste ich trotzdem gehen-“, Siri wuschelte ihr durch die Haare, „Du glaubst doch nicht, ich lasse ein Kind durch ein gefährliches Land fliegen?“ Aira konnte darauf nur protestieren: „Ich bin kein Kind!“ „Nein, natürlich nicht!“, sie lachte, „Immerhin wirst du bald Zwölf.“ Das Mädchen senkte den Kopf, ehe sie sprach. „…Werden Lyze und du an meinem Geburtstag dabei sein?“ Kurz schwieg Siri, „Ja.“, und legte ihr die Hände auf die Schultern, „Ich verspreche es dir.“ Von Limiu hatte sie sich eher knapp verabschiedet. Viel zu tief saß der Stich im Herzen, mit einer Prise Eifersucht. Einmal noch den von Avrial geborgten Wintermantel plus der Tasche kontrolliert, winkte Siri ihren drei Freunden vor dem Schloss zu, ehe sie sich aufmachte, die sichere Insel zu verlassen. Gleich auf dem Festland zurück, spürte sie das volle Ausmaß der Katastrophe: ein Schneesturm hinderte sie gleich mal am Anfang ihrer Reise am Vorankommen. Siri hatte ihre Kapuze total zugezogen und einen Schal über Mund und Nase, trotzdem wehte der kalte Wind bis auf die bloße Haut hinab. Noch dazu stieg der Schnee mit jedem Windstoß an, er reichte ihr bereits bis an die Schenkel. Die Umgebung war leer und düster. Über ihr graue Wolken, unter ihr weißer Schnee – durch den Sturm sah man auch nicht sehr weit, es könnte also leicht sein, dass Siri am Ende nicht mehr weiß, wo sie sich befindet. Avrial hatte ihr sowohl eine Karte als auch einen Kompass eingepackt, den sie auch Nutzen würde, sobald sie an einem Haus, einer Hütte oder einer Höhle vorbeikäme. Ihre Augen zu schlitzen zugezwängt, sah sie einen Baum oder Felsen immer erst, wenn er einen Meter vor ihr stand. Langsam wurde es echt kalt und ihr ging die Puste aus; wenn nicht bald eine Zuflucht auftauchte, musste sie sich eine bauen – denn ein Schneesturmsicheres Zelt hatte Avrial natürlich nicht eingepackt. Plötzlich konnte sie schwach die Umrisse einer Person erkennen. Egal wer es war, Siri war einfach nur froh, hier draußen jemanden zu sehen. Vielleicht könnte sie ihn nach einer Bleibe oder einer Wegbeschreibung zum nächstgelegenen Dorf fragen. Die Umrisse verschwanden und ergaben ein ganzes Bild von ein kreidebleichen jungen Mann mit eisblauen Augen – war das nicht der, der Siri und Aira bei der fahrt nach Ikana gegenüber saß? Doch Moment; ist ihm nicht kalt? Er hatte weder Mantel noch Stiefel an, nur ein leichtes Sommergewand, dass er bereits bei der Fahrt an sich trug. Siri schob den Schal aus ihrem Gesicht, sie musste laut reden, da der Sturm einen Lärmpegel von etwa einem Zug hatte. „Ähm, hallo!“ Der Mann starrte immer in eine Richtung, vielleicht hatte er sie nur nicht bemerkt? So ging Siri näher ran und sprach ihn noch einmal von der Seite an: „Hallo, entschuldigen Sie!“ Endlich schien der Mann zu reagieren und schaute nun langsam in ihre Richtung. Doch als sein kalter Blick sie direkt in die Augen durchbohrte, war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie noch eine Wegbeschreibung von ihm wollte. „Ähem-“, Siri räusperte sich und Fragte trotzdem, „Wissen Sie, ob hier irgendwo in der Nähe ein Dorf liegt? Mir ist kalt und ich-“ Der Mann ging stumm auf Siri zu, worauf hin sie einige Schritte zurück machte, „Verstehe, Ihnen ist selbst kalt- ähm, i-ich kann auch alleine weitergehen, hier ist doch bestimmt irgendwo-“ „Du hast das Kind der Weisheit.“ Auf seinen Satz hin stolperte Siri, konnte sich aber wieder aufrichten, ehe sie antwortete: „W-wie bitte? Nein, das muss ein Missverständnis sein, wir-“ „Kein Missverständnis. Ich war dort, konnte aber durch den Zauber nicht hinein.“, der Typ wurde Handgreiflich und packte sie am Arm: „Das Kind der Weisheit, bring es mir!“ „Woow- immer langsam!“, Siri riss sich los und musste durch den Schock schlucken. Ok, der bleiche Mann wusste über Limiu bescheid und war beim Schloss lauschen. Und was war das danach? Er konnte wegen Avrials Magie nicht hinein? Aber seine ausgesprochene Magie soll das Schloss doch nur vor der Katastrophe schützen… und den Monstern. Monstern – jetzt begann Siri zu verstehen und wieso der Mann so seltsam aussah; und wieso er im kalten Sturm ohne Mantel stehen konnte. „Sag mir wer du bist und was du von dem Kind der Weisheit willst, dann können wir vielleicht verhandeln…“, begann sie schließlich. „Keine Verhandlungen. Ich werde meiner Herrin das Kind der Weisheit bringen.“ „Deiner Herrin? Dann stimmt es also?“, Siri machte sich bereit wegzulaufen, „Du bist eine Kreatur der Finsternis, habe ich recht?“ Noch bevor sie sich von ihm wegdrehen konnte, stand plötzlich eine schwarze, große Gestalt mit eisblauen Augen hinter ihr, worauf hin sie erstmals einen Satz zurücksprang. Der unheimliche Mann packte sie an der Schulter, sodass Siri sich wieder zu ihm drehte. Er starrte ihr direkt in die Augen und ließ sie sich dieses Mal nicht losreißen. Siri konnte es nicht erklären, doch umso länger der Mann sie bis in die Seele hinein durchbohrte, desto mehr schien ihre Kraft zu schwinden. Sie konnte sich auch nicht abwenden, was umso tragischer war. Am Ende sank sie auf die Knie und fühlte sich der Ohnmacht nahe. Ein einzelnes Pergamentpapier kam angeflogen und traf die schwarze Gestalt hinter ihr, die es brüllend loszuwerden versuchte, ehe sie wie ein Eis im heißen Sommer zu einer Pfütze zusammenschmolz. Die Kreatur in Menschengestalt ließ seinen Blick von Siri ab und sah, dass sein Kamerad zu einem schwarzen Fleck im Schnee geworden war. Ehe er nachdenken konnte, flog abermals ein Pergament; da er es kommen sah, wich er dem Wurf aus. Der Mann zischte nur mehr zu Siri, ehe er hoch in die Luft sprang und scheinbar im Nichts verschwand; er wusste wohl, wann es Zeit war zu gehen. Siri musste sich von dem durchbohrenden Blick erstmals erholen und griff sich auf ihren schmerzenden Kopf. Der Schneesturm schien auch bereits nachzulassen, was zusätzlich eine Erleichterung brachte. Doch woher kam die Rettung…? „Die Dinger bauen sich wieder zusammen, wir sollten gehen.“, die Stimme erklang von direkt neben ihr, wo vor einer Sekunde niemand zu sehen war. Fragend wieder aufgestanden, wandte sie sich der Klang der Stimme zu. Nun war sie wirklich überrascht, von ausgerechnet ihm gerettet zu werden: „Furah?!“ Kapitel 6: 3. Suche ------------------- Es ist allgemein bekannt, dass man Leuten, die frei durch die Wälder streifen, kein Zuhause haben und sich irgendwie seltsam verhalten, nicht einfach so über den Weg trauen sollte. Und auch wenn Siri den dunklen Magier Furah schon eine Weile kannte und er ihr Leben rettete, so kann man hier nicht von Vertrauen sprechen. Furah hatte in der Vergangenheit ein paar schlimme Fehler begangen und sein Ruf als „Waldbandit“ lässt ihn auch nicht besser dastehen. Gut, Siri war am überlegen, ihn mal zu sich ins Haus einzuladen, dies aber nicht aus Vertrauen; vielmehr aus Mitleid. Immerhin hatte er nicht viele Freunde und sein Sozialverhalten war dadurch auch nicht gerade sehr ausgeprägt. Wie es nun einmal war, bedankte sich Siri für Furahs Rettungsaktion vor dem Monster in Menschengestalt, suchte sich dann aber ihren eigenen Weg durch den – vom Schnee vergrauten – tiefen Wald. Doch irgendwie war sie noch immer nicht alleine. Wenn man es genau nimmt, wäre es vielleicht sogar in Gegenwart von Furah sicherer gewesen. Geräusche, wie Schneemassen, die durch das starke Gewicht von den Ästen fielen, brachten Siri schon so manches Mal zum umdrehen. Früher, bevor der Friede zwischen Desteral und dem Nachbarland Azamuth herrschte, war Siri sehr flink und konnte sich dadurch oftmals aus schwierigen Situationen retten. Diese Gabe hatte sie dem damaligen Training in ihrer alten Heimat, mit ihrem Freund Mica zu verdanken. Nun aber, nach zwei Jahren Hausarbeit und kaum Sport, schien fast alles vergessen zu sein und machte sie unsicher. Als sie sich wieder einmal in ihrer Angst vor einem Angriff umdrehte und den gekommenen Weg zurückblickte, bemerkte Siri nicht, dass da jemand vor ihr vom Ast baumelte – das war ein schöner Schreck, als sie fast dem Arcaner von vorhin hineingelaufen wäre! „Furah!“, die junge Frau schien sauer über sein plötzliches Auftauchen zu sein, „Sagte ich nicht, ich gehe alleine weiter?“ „Wieso denn?“, er rieb sich, lässig verkehrt vom Baum hängend, sein linkes Ohr, „Ich verstehe nicht, warum du alleine sein willst.“ „Und das ausgerechnet von dir! Ich will gar nicht alleine sein, aber-“ „Aber?“ Da schob Siri den Arcaner seufzend zur Seite, ehe sie an ihm vorbeiging. „Geh aus dem Weg.“ Fragend sah er ihr einen Moment lang nach, bevor er von seiner Position verschwand und weiter vorne auf einem Ast saß, sodass Siri an ihm vorbeigehen musste. „…Irgendetwas ist anders an dir.“ „Ach ja?“, eigentlich versuchte sie den Magier zu ignorieren. Wieder war Siri vorbeigegangen, sodass er ihr nachrief: „Hast du einen neuen Haarschnitt?“ Da sie – schon völlig genervt – keine Antwort gab, musste ihr Furah schon wieder den Weg abschneiden. Er tauchte absichtlich wie vorhin einen Ast über ihr auf und schnippte dann mit den Fingern: „Jetzt weiß ich’s, jemand hat dein Herz gestohlen!“ Nun hatte Siri ihre Geduld verloren und blieb stehen. Sie starrte nur mehr stöhnend gen Himmel, bevor sie die Arme schwang: „Kann man das nen Kilometer weit gegen den Wind riechen, oder habt ihr Arcaner einen eingebauten Peilsender?!“ „Weder, noch.“, Furah ließ sich wieder Kopfüber vom Ast vor ihr hängen, „Aber wenn du dich nicht sicher fühlst, kannst du dein Herz auch mir schenken.“ Nur mehr trocken von seiner Ansage drehte sich die genervte Frau um. Siri versuchte erst gar nicht, auf seine idiotische Aussage einzugehen: „…Was tust du hier, Furah?“ „Das könnte ich dich genauso fragen; was ich hier mache, musst du eigentlich wissen. Aber was tust DU hier?“ „Oh ja, ich werde dir – ausgerechnet dir – von unseren Plan, die Welt zu retten, erzählen.“ „Schickt dich Avrial?“ „Nein, ich schicke mich selber. Oder glaubst du, Avrial würde eine wehrlose Frau in eine gefährliche Gegend schicken, da er zu faul ist, selbst die Drecksarbeit zu machen?“ Aus heiterem Himmel fing Furah an zu lachen, einfach so. Davon hatte sich Siri ein wenig erschreckt, da es die Frage aufwarf, was genau an ihrem letzten Satz so witzig sein gewesen könnte. „Pass auf-“, redete der dunkle Magier weiter, „Wenn du mir deine Geschichte erzählst, werde ich dir auch eine erzählen. Na, wie klingt das?“ Eine ganze weile sah Siri zu ihm hoch, ehe sie sich nach zögern bereit erklärte. Was könnte Furah wohl für Geschichten erlebt haben…? „Na gut… aber erzähl du zuerst.“ „Schön!“, Furah machte es sich auf seinen Ast bequem und begann zu reden: „Ich war im Süden bei den Quellen unterwegs und jagte nach Fischen, als da plötzlich Nixen aufgetaucht waren. Du weißt schon, die Dinger, die glauben, einen um den Finger wickeln zu können, um einen anschließend ins Wasser zu ziehen und selber aufzufressen. Aber nicht mit mir!“ Siri unterbrach ihn, sie musste dabei eine Braue hochziehen: „Du willst mir jetzt aber nicht sagen, du hast sie gegessen…?“ „Neeeiin, die wären ja auch viel zu groß. Ich bin weiter gezogen und habe sie Wut tobend zurückgelassen.“ „Verstehe, ihr Arcaner seid auch nicht leicht zu beeindrucken… tolle Geschichte, wirklich.“ „Aber das war doch erst der Anfang!“ „Dann komm zum Punkt, ich bleibe sicher nicht den ganzen Tag in diesem Monsterverseuchten Wald stehen!“ „Ok, ok! Also, ich hatte eben Hunger und habe darauf ein Wirtshaus überfallen, aber die hatten durch die Monsterplage kaum was zu futtern – und da war sie: lange, seidige Haare, hübsches Gesicht, gelbe Augen – die schwarze Hexe.“ „Schwarze Hexe?“ „Jetzt lass mich meine Geschichte erzählen!“, Furah suchte kurz nach dem Faden, „Sie hat mich zu sich eingeladen und mir Essen gebracht. Wohnen tat sie nicht weit entfernt, also kam es mir gerade recht. Allerdings konnte ich ja nicht ahnen, dass das freundliche Getue eine Falle von ihr war.“ „Du hast ein ernstes Problem mit Frauen, Furah.“ „Die schwarze Hexe ist ein gefährliches Biest, die ihre Magie dazu nutzt, Männer ihren willen aufzuzwingen. Wenn sie von ihm genug hat, zwingt sie ihn zum Selbstmord, auf diese Art klebt nie Blut an ihren Händen.“ „Ihre Magie?“, Siri wurde neugierig, „Gelbe Augen, starker Charakter… ist sie eine Arcanerin?“ „Jap.“ „Wie um alles in der Welt konntest du ihr entkommen?“ „Ihre Magie wirkt bei anderen Arcanern nicht.“, er zuckte mit den Schultern, „Ich habe sie per Magie an die Wand geklebt und bin getürmt. So dann – jetzt bin ich fertig.“ Siri schüttelte nur mehr den Kopf, „Warum erzählst du mir das?“ „Die schwarze Hexe ist sehr gefährlich für junge Herzen. Ich will nur, dass du auf deinen Glücklichen aufpasst.“, Furah schwang sich vom Ast und landete direkt neben ihr, „Übrigens, wer ist denn der Glückliche?“, dabei legte er ein sehr neugieriges Grinsen an den Tag. „Uhm…“ „Ach, nun sag schon! Ich werde ihm nichts tun; und dir auch nicht!“ „Das weiß ich doch du…“, sie seufzte, „Lyze.“ „LYZE!?“, Furah lachte, genauso wie vorher, laut auf und musste sich dieses Mal sogar den Bauch dabei halten, „Das ist aber eine Überraschung!“ „…Eh, also eigentlich nicht…“ „Ich weiß!“ „Hör auf zu lachen, das ist nicht witzig!“, sehr wohl wusste Siri, dass Furah nicht alle Tassen im Schrank hatte, aber durch sein Lachen stieg in ihr die Wut. Ehe noch etwas Schlimmes passieren konnte, ging sie ihren Weg weiter, wieder ohne auf den dunklen Magier zu warten. „Warte!“, hörte sie ihn rufen, „Willst du einfach so abhauen? Du hast mir noch gar nicht deine Geschichte erzählt!“ Da hatte er nicht ganz Unrecht; es war ausgemacht, dass Siri ihm von dem Plan erzählt, nachdem er von seinen Abenteuern erzählt hatte. Dies war ja schon fast ein Versprechen und Siri bricht solche in der Regel nur ungern. Nach einer Weile des Überlegens blieb sie schließlich stehen und drehte sich zu ihm um – als er verschwunden war. „…Außerdem könnte ich dir Tipps geben.“, Furahs Stimme kam mal wieder aus der völlig anderen Richtung. Was sollte die junge Frau nur tun? Loswerden konnte sie den Arcaner schlecht – selbst wenn er nicht sichtbar wäre, so könnte sie sich nicht sicher sein, ob er nicht noch immer in ihrer Gegenwart wäre. Irgendwo war es auch ganz nützlich, einen leicht wahnsinnigen Magier auf seiner Seite zu haben; Angst vor Kreaturen aus der Finsternis bräuchte Siri dann auch nicht mehr zu haben. „Also gut.“, meinte sie schließlich, leicht schnaufend, „Ich erzähle es dir unterwegs, ich will hier nicht stehen bleiben.“ „Wunderbar-“, Furah kam nicht richtig zu Wort, da Siri mit ihrem Finger vor ihm wackelte: „Aber was deine Tipps betrifft: nein danke! Was könntest du mir schon in Sache Beziehung helfen, soviel ich weiß, hattest du noch nie ne feste Freundin und selbst wenn, dann sicher nicht länger als zwei Tage!“ „Tss. Was kann ich dafür, dass Frauen so empfindlich sind?“, stolz stemmte Furah seine Hände in die Hüften, „…Außerdem bahnt sich da was mit einer Katzenfrau an.“ „Katzenfrau?“, Siri zog – wie schon so oft bei ihm – eine Braue hoch, „Das klingt ulkig.“ „Gar nicht so wie du denkst. Wieso denn auch nicht? Schließlich…-“, mitten im Satz hörte er auf zu Reden und sah sich um. „Furah?“, durch seine Reaktion musste auch Siri kurz um sich schauen, konnte aber nicht wirklich etwas Verdächtiges sehen. „Was ist denn los?“ „Psst.“, meinte er nur, leise, „Die Viecher sind wieder hier…“ Eine kurze Weile lang starrten beide in den grauen Wald, ohne etwas zu sagen. Als Profi auf dem Gebiet dunkle Magie konnte Furah sicher mehr und schneller wahrnehmen, als ein gewöhnlicher Mensch wie Siri. Plötzlich danach, schnappte er sie bei der Hand und zerrte sie mit den Worten „Komm mit!“ in eine bestimmte Richtung. Kapitel 7: Zwischenstopp in einem Geisterdorf --------------------------------------------- Vor etwa zwei Stunden hatte Siri die Erkenntnis, dass die finsteren Wesen menschliche Gestalt annehmen können, vor einer Stunde schloss sie sich mit dem Dunkelmagier Furah zusammen und seit einer halben Stunde flüchten die zwei durch den grauweißen Wald. Die Kreaturen der Finsternis waren ihnen dicht auf den Fersen, weshalb die zwei sich beeilen mussten, wenn sie einem Kampf entgehen wollten. Immerzu zog der Magier Siri an der Hand, wenn sie langsamer wurde. Ihre Fragen, wie „Musst du dauernd an mir ziehen?“ und „Wohin bringst du mich?“, ignorierte er eine ganze Weile. Lyze wäre da anders gewesen, dachte sie sich. Selbst wenn sie in Eile wären, würde er ihr wenigstens verraten, was er zum Schutz vor den Monstern geplant hatte. Dass sie bereits einmal zusammen flüchteten und Lyze dabei keineswegs stehen geblieben war, daran konnte sich Siri nicht erinnern – oder wollte es nicht. „Furah, halt an! Ich kann wirklich nicht mehr!“ „Das geht nicht!“, antwortete er endlich, „Nur noch ein Stück, wir sind gleich da!“ „Wo ist denn ‚gleich da’??“ „Das sage ich dir, wenn wir dort sind!“ „Hä?“, allerdings, das war verwirrend. Warum sollte man wissen wollen, wohin man geht, wenn man dort schon angekommen war? „Vorsicht!“, Furah schlug der jungen Frau mit Absicht ein Bein weg, damit sie zu Boden ging; als in diesem Moment eine schwarze Substanz über ihren Kopf hinweg schoss und den Felsen, auf den sie traf, schwarz färbte. „Auaa!“, meinte Siri beim Aufstehen und rieb sich dabei das Steißbein, „Hättest du nicht sagen können, ich soll runter gehen oder so was?“ Na ja, jeder hatte wohl seine eigene Methode zur Warnung von Mitmenschen. Als zwei der schwarzen Verfolger einen Baum hinauf krochen und feste Gestalt annahmen, ließ Siri ein verspätetes „Sie sind hier!“ von sich. „Wir aber auch.“ Siri konnte beobachten, wie der Arcaner ein Pergament aus seinen Ärmel zog und etwas vor sich her murmelte – wo er wohl all die Pergamente aufbewahrt…? Leider, bevor er fertig war, spuckten die finsteren Kreaturen erneut mit einer schwarzen Substanz. Siri wich der Einen aus, vor der Anderen packte sie Furah am Ärmel und zog ihn zur Seite, da er in seiner Konzentration nicht mitbekam, dass er angegriffen wurde. „Hast dus dann bald!?“, Siri wurde mit jeder Sekunde ungeduldiger. Und wenn sie in Panik war, konnte sie sehr ungeduldig sein. „Moment noch.“ Sie duckte sich, „Den haben wir nicht!“, und versteckte sich erstmals hinter Furah, auch wenn er sich im Moment nicht verteidigen konnte. Es folgten weitere finstere Kreaturen, als das Monster in Männergestalt einfach so aus dem Nichts hinter einem Baum hervor kam. „Gib mir das Mädchen.“, meinte er ernst, als er schrittweise auf die geduckte Siri zuging, die sich hinter dem halbverrückten Arcaner versteckt hatte. Endlich war Furah fertig und schaute den Mann vor sich einen Moment lang schief an. „Welches Mädchen?“, ehe er sich halb umdrehte und sein Pergament gegen einen dicken Baum warf – und Siri in dessen Richtung schuppste. „Schnell, geh hindurch, schnell!“ Die junge Frau sah verwirrt zwischen dicken Baum und Fruah hin und her – genau wie das Monster in Menschengestalt – und verzog die Mine. „Wo hindurch!?“ „Lauf einfach, ich komme nach!“, da sprang der Arcaner auf und davon, in die Bäume hinauf, sodass einige der Kreaturen auf ihn aufmerksam wurden. „Ihm nach!“, meinte der Mann, „Lasst ihn nicht entkommen!“, ehe er sich wieder Siri zuwandte. Nachdem sie nicht mehr mit eine vernünftige Antwort von Furahs Seite rechnen konnte, wo genau sie „hindurch“ laufen sollte, nahm sie ihren Mut zusammen, schaltete all ihre Zweifel und Wissen über physikalische Gesetze aus, und lief gerade aus auf den dicken Baum zu. Noch bevor der Mann bei ihr ankam, war sie verschwunden. Ein bisschen perplex starrte er den Baum an, bevor er, nach Zögern, die Rinde berührte – es aber nichts geschah. Erbost über das verschwinden der Gesuchten, drehte er sich kurzerhand um und jagte dem nach, der ihr bei der Flucht verholfen hatte. Auf der anderen Seite eines ganz anderen Baumes angekommen, musste Siri erstmals feststellen, wo sie überhaupt raus gekommen war – und was überhaupt gerade geschehen ist. Wie konnte man denn auch durch einen Baum hindurch laufen? Schon verblüffend, was Dunkelmagie so alles kann. Siri drehte sich noch einmal um und sah auf den grauen Wald, der hinter ihr lag, zurück. Anschließend blickte sie nach vorne, zum Dorf, das vor ihr lag. Unterwegs packte sie die Karte aus, die ihr Avrial auf den Weg mitgegeben hatte. Eigentlich wollte sie erst nachsehen wo sie sich befindet, wenn sie IN einem Dorf war, aber nachdem Furah sie an ein x-beliebiges Ende des Waldes katapultiert hatte, wollte sie ihren Standort bereits jetzt herausfinden. Eher sie mit dem Finger an der Karte ein Dorf fand, welches zu ihrem Standort passte, stand sie vor einem Schild mit dem Dorfnahmen. „Tasa.“, murmelte sie und suchte es auf der Karte. „Oh nein-“, sie seufzte, „Dann habe ich ja erst den halben Weg nach Destercity hinter mir…“ Es bereitete ihr sorgen zu wissen, dass sie dieselbe Länge, mit den vermutlich selben Problemen noch einmal vor sich hatte… Erstmals um Kräfte zu tanken, betrat Siri das Dorf und sah sich nach einem Gasthaus um. All die Straßen und Gassen waren wie leergefegt. Der kalte Wind raunte um die Häuser und Lampen herum, die scheinbar schon mit Elektrizität des Fenduskristalles gearbeitet hatten. Ob es noch Bewohner gab? Siri schritt über den menschenleeren Marktplatz und suchte nach versteckten Lebewesen. Rufen wollte sie nicht, da sie befürchtete, die schwarzen Monster wieder auf sich aufmerksam zu machen. Über den tiefen Brunnen in Marktplatzmitte gebeugt, sah die junge Frau hinab in die Tiefe, ob da vielleicht noch ein schluck Wasser übrig wäre. Sie hob einen Stein vom Boden auf und ließ ihn in den dunklen Brunnen fallen, um zu hören, ob es platscht. Doch statt einem Platschen hörte sie ein kaltes Aufschlagen des Steines, wie als würde er auf Eis treffen… Im nächsten Moment hörte sie nicht weit entfernt etwas krachen – es klang wie Holz, das umher geworfen wurde. Siri lief dem Geräusch nach und näherte sich langsam der engen Seitengasse, wo irgendwo der Ursprung sein musste. Es konnte nur drei Ursache haben: Menschen, hungrige Tiere, oder die schwarzen Monster, die Möbeleinrichtung bei der Suche nach Siri auf den Kopf stellten. Mit zögern ging Siri an den eng an einander liegenden Häusern vorbei. Es war wieder so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können – das bereitete ihr zusätzliche angst. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, dem Geräusch auf den Grund zu gehen; nur blöd, wenn man darauf immer erst dann kommt, wenn es schon fast zu spät war. Da flog ein Holzhocker quer durch ein Fenster, auf die Gasse, vor Siris Füße! Mit einem schreck sprang sie zurück und spürte ihr Herz bis in den Hals schlagen. Nun gab es kein zurück mehr. Wenn da etwas, oder jemand war, dann würde sie es jetzt herausfinden müssen. Vorsichtig presste sie sich an die Hauswand und lehnte sich weit genug rüber, um ins eingeschlagene Fenster sehen zu können. Ihrer Stimme entfloh nur ein leises „Uhm, hallo…?“ Im nächsten Moment riss Siri die Augen auf: nicht weil ein weiteres Möbelstück über ihren Kopf hinweg flog, sondern weil sie in ein ihr bekanntes Gesicht blickte! „Furah!?“ Na ja, das war weder Ursache Mensch, noch schwarzes Monster – kam also Ursache 2 am nächsten. „Oh, da bist du ja.“, war die Antwort des Arcaners, der Schränke und Laden nach Essbaren durchsuchte. „Was zum Geier tust du da? Und wie bist du so schnell hierher gekommen?“, Siri kletterte beim Fenster herein, „Bist du auch durch einen Baum gegangen? So bewegst du dich also fort…“ „Nein, das stimmt nicht.“, Furah machte eine Handbewegung, worauf hin ein Tisch zur Seite flog, „Würde ich mich nur so fortbewegen, wäre ich dann wohl unbeweglich und schwächlich.“ „Aha.“, Siri erkannte sich in seiner Aussage wieder, „Danke.“ Plötzlich fiel ein Schrank, in dem viele Teller gelagert waren, mit lautem Krach um. Siri riss es in dem Moment, während Furah über die Trümmer hinweg stieg und weitersuchte. „Musst du so einen Lärm machen!?“, beschwerte sie sich, „Wonach suchst du eigentlich?“ „Na wonach schon? Ich habe Hunger-“, er schmiss ein paar Bücher von einem Regal, „-und mir ist kalt.“ Tief musste Siri darauf seufzten. „Das wundert mich überhaupt nicht. Aber das hier ist kein Selbstbedienungsladen – das Haus gehört doch jemanden-“ „Gehörte.“ „Was?“ „Das Dorf ist leer, die Bewohner sind geflüchtet.“ „Mag sein, aber-“ „Hilf mir lieber, du hast doch sicher auch nichts im Magen.“ „Furah, es gibt so genannte Kleiderläden.“, sie deutete zur zertrümmerten Tür, „Wenn wir also schon ein Dorf ausrauben, dann sollten wir wenigstens in den richtigen Häusern suchen.“ Gesagt, getan. Tatsächlich fand Furah auf Siris Tipp hin in einem Kleiderladen einen schicken, wärmenden Mantel. Überraschend, wenn man bedenkt, dass die Leute aus dem Dorf sicher nicht ohne warmen Kleidern und Proviant geflüchtet sind. Nach dem Besuch im Laden trat bereits die Abenddämmerung ein. Die zwei gingen in ein verlassenes Gasthaus, dort gab es genügend Übernachtungsmöglichkeiten und sogar noch ein paar Dosen mit Essen darin. Fruah hatte keine Ahnung, wie man aus diesen metallischen Dingern etwas Essbares rausbekommen sollte; der Dunkelmagier war kurz davor, mit einem Fleischmesser auf die unschuldige Büchse einzustechen, glücklicher Weise konnte Siri ihm gerade noch rechtseitig zeigen, wie man sie ohne Gewalt aufbekommt. Beim Essen setzten sich die zwei an einen Tisch, Siri erklärte ihm schließlich dabei, wieso sie alleine Unterwegs war, was es mit dem Kind der Weisheit, der Zukunft, der Vergangenheit und mit Lyze auf sich hatte. Bei dem Gespräch verdrehte Furah den Kopf. Etwas schien ihm nicht ganz logisch: „Das Kind der Weisheit kommt aus der Zukunft, nicht aus der Gegenwart?“ Siri nickte. „Und Lyze ist verschwunden, ihr braucht ihn aber, um den altarcanischen Spruch komplett zu kriegen?“ „Ja – willst du uns dabei helfen?“ „Nö.“, Furah lehnte sich zurück, „…Wenn aber das Mädchen aus der Zukunft kommt und euch so gut kennt…“, er stockte kurz und überprüfte Siris Gesichtsausdruck, „Die kleine ist Lyzes Tochter, nicht war?“, die Frau senkte bei seinen Worten den Kopf: Volltreffer. Furah musste breit grinsen und lehnte sich zu Siri nach vor: „Ach so ist das! Dich zerfrisst langsam aber sicher die Eifersucht, hm? Weiß Lyze überhaupt was von deinen Gefühlen?“ Die junge Frau antwortete nicht. Nach einem Moment der Stille fing Furah mal wieder an zu lachen – ob es ihn amüsierte, oder er einfach nur endlich verstanden hatte worum es ging, weiß man nicht. „Das ist aber eine Zwickmühle. Du musst ihm sagen was Sache ist, bevor es zu spät ist.“ Da sprang Siri wütend auf und schlug auf den Tisch: „Vielen Dank, das weiß ich auch!“, ehe sie ihren Platz verließ und zu den Treppen wanderte. „Ich bin müde, gute Nacht.“ Schwer betrübt stampfte sie murmelnd die Treppe hinauf, in den langen Gang, mit den fünf Gästezimmern. Ehe sie den Flur betreten konnte, stand schon wieder Furah vor ihr. Siri wich einfach aus und öffnete die Tür ins erste Zimmer – doch als sie hinter sich die Tür schließen wollte, stellte der Arcaner den Fuß dazwischen. „Es kann gefährlich in einem verlassenen Dorf werden, in dem die Bewohner vor den schwarzen Viechern geflüchtet sind.“ Siri starrte ihn nur schnaufend an. „Vielleicht wäre es besser, sich ein Zimmer zu teilen – nur für den Fall, dass etwas passiert.“ „Nur für den Fall das etwas passiert –“, Siri schnauzte ihm ins Gesicht: „Dann schlaf von mir aus vor meiner Tür, aber nimm deinen Fuß da weg!“ Nur mehr die Schultern hebend, mit einem Ich-habs-dir-gesagt-Blick, nahm Furah schließlich seinen Fuß aus der Türe, ehe diese zuknallte und sich Siri schwer gekränkt und müde ins Bett des dunklen Zimmers fallen ließ. Kapitel 8: Das Wiedersehen -------------------------- Niemand auf der Insel Ikana bekam etwas von den angriffen der finsteren Wesen mit. Die altmodischen Leute wunderten sich zwar über den plötzlichen Wintereinfall, kamen aber nicht auf den Gedanken, der Weltuntergang könnte dahinter stecken. Vielmehr dachten sie, sie haben den angeblichen „Gott der Jahreszeiten“ aus irgendeinem unauffindbaren Grund erzürnt, weshalb sie begonnen hatten, ihre jungen Nutztiere zu „opfern“. Nur ein Mann hoch oben im Schloss schüttelte den Kopf über ihre Taten. Er war nun bald der am längsten auf Ikana Lebende, dennoch konnte er sich dem niemals weiterentwickelnden Volk nicht gänzlich anpassen. Gut, die Menschen in Ikana kamen bisher noch nie mit dem Fenduskristall in Berührung, weshalb sie im Moment die einzigen in Desteral waren, die nicht mit den Monstern zu kämpfen hatten; dennoch war es schon oft allein Avrial zu verdanken, dass das Volk immer noch so unbekümmert leben konnte – und sie selbst hielten ihn bis heute für einen Tyrannen. Wie Ameisen, die denken, sie haben die totale Kontrolle – und in Wirklichkeit wird ihre Lebensweise von einer Person bestimmt, von der sie glauben, er lebe abgeschottet nur für sich allein. Während Avrial am Fenster stand und genau darüber nachdachte, lief Limiu an ihm vorbei und suchte nach Aira. Sie spielten verstecken und in einem so großen Schloss konnte eine Runde schon mal sehr lange dauern. Sie suchte unter den Sofas und Tischen, Schränken und geheime Winkel. Schließlich stellte sie sich Arme hinter den Rücken verschränkt zu Avrial und sah zu ihm hoch. Eine ganze weile schaute sie ihn so an – sein Blick war immer gerade aus aufs weit entfernte Meer gerichtet. Schließlich blinzelte er und sah zum schwarzhaarigen Mädchen hinab. „Suchst du noch nach Aira?“ „Jap.“, sie lächelte, „Du machst dir sorgen um meinen Vater…“ Er sah sie einen kurzen Moment an und lächelte dann ebenfalls. „Nicht nur. Was wäre, wenn Siri ihn nicht findet…?“ „Dann würde ich nicht hier stehen.“ Avrial kniete sich hinab, auf Limius Höhe. „Machst du dir denn sorgen…?“ „…Nur manchmal.“, sie zuckte mit den Schultern, „Ich will nur, dass sich Aira nicht allzu große Sorgen macht. Umso länger ich hier stehe, desto mehr Zeit hat sie über Siri und meinen Vater nachzudenken.“ Lächelnd wuschelte ihr Avrial durch ihre Haare. „Dann lauf und suche sie.“ Noch kurz nickend, lief die Kleine dann los und aus dem Zimmer. Vielleicht wusste das Mädchen um das Schicksal der Beiden. Zweifel war immer spürbar, doch ein optimistisches Kind der Weisheit war sicher besser als ein pessimistisch orientiertes. Weißes Licht drang in die dunklen Zimmer des verlassenen Gasthofes. Der Morgen war da und auch Siri begann sich, Augen reibend, aufzusetzen und umzusehen. Wie spät war es? Hatte sie Furah durch das gestrige Gespräch vertrieben? Siri hoffte, dass dem nicht so war. In Zeiten wie diesen ist man froh, jemanden an seiner Seite zu haben; und wenn er noch so verrückt und unhöflich war. Schnell noch die Schuhe angezogen, ging sie zur Holztüre und öffnete diese. Draußen am Flur war alles still und niemand weit und breit zu sehen. Wäre auch seltsam, wenn die Bewohner des verlassenen Dorfes wieder hier wären. Beim Überschreiten der Türschwelle musste Siri an die Bewohner und den ganzen Kindern denken – ob sie am Leben waren? Plötzlich stolperte sie, flog vorwärts zu Boden: irgendetwas war da im Weg! Grummelnd rieb sie sich sitzend das Schienbein, ehe sie sich nach hinten drehte, um die Ursache für eine Tollpatschigkeit zu sehen. „Furah!“, meinte sie laut, wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. Zusammengerollt lag er da, vor Siris Tür. Bei ihrem Ausruf murmelte er kurz, bevor er sich aufsetzte und breit streckte. Eigentlich sollte Siri dies nicht mehr überraschen – und doch sah sie ihm fragend beim Strecken zu. „Was äh- was tust du hier?“ „Oh.“, meinte Furah, leicht verschlafen, „Du bist wach.“ „Ja, wie du siehst?“ „Na ja, ich hielt deinen Vorschlag gestern für gar keine so schlechte Idee.“, er stellte sich taumelnd auf die Beine, „Nur Rückenschmerzen habe ich davon.“ Mit offenem Mund gaffte Siri ihn an, als sie sich an ihre eigenen Worte „Dann schlaf von mir aus vor meiner Tür“ zurückerinnerte. „Aber-“, sie stand ebenfalls auf, „Aber das hättest du doch nicht wörtlich nehmen sollen!“ „Habe ich aber.“ „Wieso?“ Nur mehr seufzend sah er zu ihr herab. „So halt.“, dann setzte er sich in Bewegung, die Treppen hinab. Siri würde nie ganz verstehen, aus welchem wirklichen Grund er vor ihrer Tür geschlafen hatte, dies war aber auch nicht mehr wichtig. Denn nach dem Frühstück ging es weiter, sie verließen das Geisterdorf mit ein paar Konservedosen, als der Arcaner gerade den wichtigen Satz aussprach: „Ich glaube, ich weiß, wo Lyze ist.“ Ohne auch nur einen Moment zu warten, entfleuchte Siri ein „WO!?“, und zerrte an seinem Ärmel, bis er stehen blieb. „Bitte Furah! Du musst mich zu ihm bringen! Tust du das für mich?“ Kurz schaute er sie schief an, eher er nickte. „Ich dachte aber, wir wären seit Anfang an auf dem Pfad?“ Wortlos spiegelte ihr glückliches Gesicht ein „Danke“ wieder. Dieses aber verschwand dann in einer sich schuldig fühlenden Mimik. „Es tut mir Leid wegen gestern. Ich hätte nicht so wütend werden dürfen... es ist einfach passiert, als ich an ihn denken musste.“ „Schon okay.“, lachte Furah, „Und vergiss nicht: wenn dich die Eifersucht zerfressen hat, kannst du immer noch zu mir kommen!“ „Ja…“, Siri verbarg die Trockenheit in ihrer Stimme – der Magier hatte gerade ihre Super-Entschuldigung zunichte gemacht, „Danke, oder so.“ Eine ganze Weile lang gingen die zwei den Weg außerhalb des Dorfes entlang. Es schneite wieder und die Straßen waren langsam unter einer Schneedecke begraben. Es führte sie über Hügel und einsame Gegenden, an Berge und zugefrorenen Seen vorbei. Siri kontrollierte immer wieder einmal mit ihrer Karte die Richtung, während Furah stets ein Ohr für ungewöhnliche Geräusche offen hatte. Den ganzen Weg entlang wurden sie kein einziges Mal von schwarzen Monstern attackiert. Zufall, oder ein Plan? Furah glaubte nicht daran, dass die finsteren Kreaturen so schlau waren. Immerhin raffte das Monster in Menschengestalt auch beim Portal im Baum nicht, dass es sich hierbei um einen Durchgang hielt – wie sollten sie dann erst Pläne entwickeln? Er beruhigte Siri zusätzlich damit, dass er die Monster, als sie kurze Zeit getrennt waren, in eine falsche Richtung führte. Irgendwann begann der Magier, Siri immer wieder einmal anzustarren. Nach einer Weile merkte sie es natürlich – und nach noch einer längeren Weile, fragte sie schließlich auch, ob sie etwas im Gesicht habe. „Ich finde, du hast dich verändert.“, begann er, „Du bist nicht mehr so… beweglich und aufgeweckt, so wie früher.“ „Willst du damit ausdrücken, ich bin Reifer?“ „Wollte ich das?“ „Ich musste mich verändern.“, Siri sah seufzend, aber lächelnd zu Boden, „Wenn man Verantwortung für einen Haushalt trägt, wird man älter.“ „Ja, Seelisch.“ „Du hast dich auch verändert.“, kurz wartete sie, bis der Arcaner sie ansah, „Nicht mehr ganz so… ähm…“ „Verrückt?“ „…Ja,... das.“ Er lachte, „Dann muss ich mich wohl bedanken.“, er verbeugte sich – absichtlich auf Avrials Gentleman-Art – vor ihr. „Dankeschön.“ Gerade wollte Siri lachend ein „Du alter Witzbold.“ sagen, da verschwand der Arcaner in den schneebedeckten Baumkronen über ihr. „Furah!?“, überrascht schaute sie noch nach oben, als er auf einen der Äste erschien: „Hier trennen sich unsere Wege, Süße.“ „Wie meinst du das?“, Siri verstand nicht. Hatte der Dunkelmagier vor, sein versprechen zu brechen? „Du wolltest mich doch nach Destercity bringen!“ „Ha, da rein? Ich mag verrückt sein, aber nicht Lebensmüde.“, er lächelte noch einmal und zeigte auf eine leichte Spur im Schnee, bevor er endgültig verschwand: „Ich sagte, ich bringe dich zu Lyze. Nicht mehr und nicht weniger.“ Wieder einmal ließ er die junge Frau, die mit offenen Mund da stand, allein zurück. Noch einen kurzen Moment starrte sie an die Stelle, an der gerade eben noch Furah saß. Dann drehte sie sich um und sah langsam hinab, auf die Spuren, die er ihr noch angedeutet hatte: da waren Reifenabdrücke – eines einspurigen Gefährtes! Sofort mit dem Bild eines bekannten, weißenblauen Motorrades im Kopf, lief Siri los, immer der Spur nach. Konnte es wahr sein? Hatte sich Lyze rechtzeitig aus der Großstadt, bisher gerettet? Oder gehörte das Motorrad vielleicht jemand anderen…? Möglich währe es, denn viele motorisierte Räder hatte Siri bisher ja noch nicht gesehen. Sie hoffte jedenfalls, die Spur würde irgendwo hin führen; und das tat sie auch, bis sie plötzlich an einer Gabelung endete. Völlig aus der Puste atmete Siri ein und aus und suchte nach Hinweisen: sie konnte doch nicht so weit gekommen sein, mit dem Ergebnis, dass die Spur einfach im Nichts endete! Die junge Frau musste sich für einen Weg entscheiden. Der eine führte weiter auf einer Landstraße entlang, der andere in einen weiteren, dunklen Wald – und man konnte sich denken, dass da mit Sicherheit irgendwelche finsteren Kreaturen bereits auf sie warteten. Links oder rechts? Den hellen, oder den dunklen Pfad? Leicht verzweifelnd klopfte sie sich auf den Kopf, ehe sie sich hinhockte und versuchte, logisch zu überlegen. Da blitzte etwas vor ihr im weißen Schnee, blau! Gespannt und voller Erwartung, buddelte sie an der glänzenden Stelle, bis sie auf Metall stieß. Fragend stand Siri auf, packte es und zog das schwere Etwas hoch, sodass der Schnee abfiel – und schließlich Lyzes Motorrad zum Vorschein kam. Er musste mit Sicherheit zu Fuß weitergehen, weil das Gefährt keine Energie mehr hatte, oder durch die Kälte nicht mehr anspringen wollte. Siri sah in die Richtung, in die der Lenker zeigte – und folgte den Pfad, in den dunklen Wald. Angst vor Monstern hatte sie plötzlich nicht mehr. Ihr ging nur die Hoffnung durch den Kopf, Lyze Lebend zu finden; und weit konnte er ohne Winterausrüstung nicht gekommen sein. An einer Sackgasse mitten im Wald blieb sie stehen: vor ihr eine hohe Felswand, links und rechts dichter Unterwald. Es war schwierig zu sagen, wohin Lyze gegangen war, da seine Spuren im Schnee längst nicht mehr zu erkennen waren. Siri drehte sich um und wollte die Umgebung noch einmal erkunden, als sie plötzlich nur mehr eine schwarze Masse vor sich stehen hatte. Im ersten Moment gar nicht begriffen, was ihr da im Weg stand, schaute sie schluckend immer weiter nach oben, zum Kopf mit den eisblauen Schlitzaugen – bis Lyze hinter dem Monster weit ausholte und dem Vieh seine Gitarre über den Kopf zog, die wiederum mit dieser Tat überhaupt nicht gerechnet hatte und grölend zu Boden ging. Nur mehr schnaufend, erschrocken und erleichtert, blickten beide sich gegenseitig ins jeweils andere Gesicht. Kapitel 9: 4. Rückweg nach Ikana -------------------------------- Ungläubig und doch erleichtert sich zu sehen, standen sich Lyze und Siri endlich gegenüber. Die junge Frau musste sich zusammennehmen, um ihm nicht um den Hals zu fallen – in Gedanken hatte sie dies längst getan. Nach einer Zeit der Stille begann sie schließlich zu reden: „Lyze…“, sie lächelte überglücklich, „Ich bin so froh dich zu sehen! Und es geht dir gut! Wie- wie hast du das geschafft?“ Lächelnd sah er sie an, dann seine in zwei gebrochene Gitarre. „Ich wusste, dass Avrial oder du kommen würdet… aber… hier ist nicht der richtige Ort, um lange zu reden. Komm mit hinein, dann erkläre ich dir alles – schließlich will ich auch wissen, wie du mich gefunden hast.“ Siri nickte und folgte ihm. Überrascht sah sie, wie Lyze zur Felswand ging, hängende Pflanzen zur Seite schob und ein schmaler Eingang einer Höhle freigelegt wurde: So wurde er von den finsteren Wesen nicht gefunden und hatte einen Unterschlupf in dieser kalten Zeit. Bei einem warmen Feuer im Versteck wollte Lyze schließlich alles wissen – wieso es so kalt war und was es mit den Monstern auf sich hatte. Siri zog die Beine an, um Wärme zu sparen, ehe sie begann zu erklären: „Die finsteren Monster sind die Auslöser für diesen plötzlichen Wintereinfall. Avrial meint, der immer weniger gewordene Fenduskristall hatte nicht mehr genug Einfluss auf den Schlaf der Viecher, weshalb sie schließlich erwacht sind und Desteral verwüsten. Aber Avrial und-“, Siri stockte. Ihr fiel es schwer, das Kind der Weisheit auch nur zu erwähnen; drum ließ sie diesen Teil vorläufig aus. „Avrial hat einen altarcanischen Plan entwickelt, um die Monster wieder zu versiegeln… wie genau das Funktionieren soll, weiß ich noch nicht, aber er braucht uns beide, damit wir in die Vergangenheit reisen und die fehlenden Teile des altarcanischen Spruches holen können.“ „Wow…“, Lyze blinzelte zu ihr rüber, „Das ist nicht gerade unkompliziert…“ „Ich weiß…“, sie seufzte, „Und… wie sieht es in Destercity aus? Furah meinte, man müsste Lebensmüde sein, um in die Stadt zu gehen – und wenn das Furah sagt, dann heißt das was.“ „Glaub mir, du willst nicht wissen, wie Destercity aussieht. Moment… du bist Furah begegnet?“ „Ohne seine Hilfe hätte ich dich gar nicht gefunden; sei also nicht böse… ich fand dein Motorrad im Schnee, das hat mich schließlich zu dir geführt.“ „Verstehe…“, Lyze sah ins Feuer, „Ich musste es liegen lassen, mir war die Energie ausgegangen; zum Fliegen war es viel zu kalt und ohne Winterausstattung kam ich nicht weit.“, er sah lächelnd zu ihr, „Darum habe ich mich hier niedergelassen und gehofft, dass ihr mich finden würdet.“ Einen Moment lang lächelte Siri zurück, ehe sie in ihrer Tasche kramte: „Da fällt mir ein…“, sie zog einen Wintermantel heraus, „Den hat mir Avrial für dich eingepackt. Fast hätte ich ihn Furah gegeben; aber nur fast!“, und gab ihn Lyze. Er nickte dankbar und zog ihn gleich an. Am Ende war er aufgestanden, breitete die Arme aus und stellte fest, dass der Mantel ein wenig zu groß war. „…Ist das etwa Avrials Wintermantel?“ „Einer von ihnen.“, Siri lächelte, „Ja denkst du denn, Avrial hat einen für sich zu kleinen Mantel zuhause? Sei froh dass er dunkelgrau und nicht weinrot ist!“ Nur mehr schmunzelnd setzte sich der Halbengel zurück an seinen Platz am Feuer und gab ein leises „Stimmt wohl.“ von sich. Bei Tagesanbruch traten die Zwei den Rückweg an. Sie hatten sich entschieden, nicht denselben Weg durch den Wald zu nehmen, sondern eine Route weiter nördlich einzuschlagen. Nebeneinander gingen sie her, Lyze hatte seine zerstörte Gitarre immer noch bei sich. Siri meinte, vielleicht kämen sie an ein kleines Dorf vorbei, indem der Halbengel sie reparieren lassen könnte; auf der Karte war immerhin eines in paar Kilometer Entfernung eingezeichnet. Wenn dort allerdings genauso, wie in dem Dorf zuvor, die schwarzen Monster bereits eingefallen waren, oder sogar noch immer dort wüteten, wäre es besser, einen bogen um die Ansiedlung zu machen. Immer wieder einmal sah Siri zu ihm rüber. Sie war froh, ihn endlich gefunden zu haben und nun mit ihm gemeinsam zurückgehen zu können. Fast fühlte es sich so an, wie früher, als die zwei quer durch Desteral auf der Suche nach dem Prinzen von Azamuth latschen mussten. Wenn Lyze dann zu ihr sah, wandte Siri schnell den Blick gen Bäume oder Himmel. Auch wenn sie sich lange kannten, war es für die junge Frau immer noch schwer, ihm ihre Gefühle zu gestehen; und ob sie dies nun überhaupt noch tun sollte, war für sie fraglich geworden. Es fing wieder an zu schneien. Kleine Flocken landeten auf den Mänteln der beiden, die kurz stehen geblieben waren, um nach oben zu sehen. Nach einer Weile begann Lyze zu reden: „Weißt du noch, wie wir mit Aira im letzten Winter eine Schneefestung gebaut hatten?“ „Ja.“, Siri lachte, „Und als sie fertig war, hatte sie sich mit vollem Anlauf hineingestürzt!“ Dies brachte wiederum ihn zum lachen. „Man könnte meinen, die ganze Arbeit wäre um sonst gewesen – wenn sie nicht so Glücklich gelacht hätte!“ „Gelohnt hatte es sich darum alle mal.“, Siri ging ein paar Schritte weiter, „Was meinst du? Schauen wir, dass wir rechtzeitig zu ihrem Geburtstag im Schloss sind!“ Der Halbengel hatte zuerst fraglich den Kopf verdreht, ehe er ihr nachkam. „Aira hat Geburtstag?“ Nun musste Siri sich ganz schön zusammenreißen, um ihm nicht, lachend, auf den Hinterkopf zu Schlagen: „Sie ist deine Schwester, Lyze! Sie hat in knapp einer Woche Geburtstag. Bis dorthin sollten wir ja wohl in Ikana sein, huh?“ „Ja.“, er war sich da sicher, „Wenn du es in binnen von eineinhalb Tagen geschafft hast mich zu finden, werden wir wohl genauso schnell wieder im Schloss sein.“ Die junge Frau sah zu ihm, „Nicht ganz. Furah hatte mich bei einer Verfolgungsjagd durch einen… Baum geportet. An die andere Seite eines großen Waldes.“ Ehe Lyze ihren Satz hinterfragen konnte, sprach sie weiter: „Da gibt es etwas, was ich dir vergessen habe zu erzählen…“, sie senkte kurz nachdenklich den Kopf, „Einer der finsteren Kreaturen hatte mich in Gestalt eines Menschen verfolgt.“, dann sah sie wieder zu ihm, „In der Form sind sie noch unheimlicher, als in ihrer wahren Gestalt. Ich glaube, das einzige an den man sie erkennen kann, sind ihre eisblauen Augen.“ Lyze nickte. „Die sind mir bisher auch immer aufgefallen… wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, an denen kann man ihre reine Herzenskälte erkennen.“ „Nicht nur dass…“, Siri schluckte und griff sich auf den Kopf, „Schau ihnen bloß nie zulange in die Augen. Ich glaube, die Dinger können dein Gehirn zerstören.“ „…Oder deine Seele aussaugen.“ „Ja. Das klingt irgendwie besser.“, da hörte man ein tiefes Grummeln. Beide Reisenden wussten, dass es sich hierbei nicht um eine erneute Katastrophe, sondern um Siris Magen hielt. Sie wiederum sah bittend in Lyzes Richtung. „Schon gut.“, er seufzte, „Ich habe auch Hunger. Vielleicht können wir ein paar Beeren oder so auftreiben.“ Nun nickte Siri. „In Ordnung – ich glaube, es geht schneller wenn wir uns aufteilen.“ „Gut.“, Lyze bog nach links ab, „Aber bleibe ganz dicht in diesem Umkreis. Sonst verlieren wir uns noch einmal.“ „Noch einmal…“, Siri wiederholte seinen Satz. Irgendwie gab dieser ihr das Gefühl, Lyze liege etwas mehr an ihr, als nur Freundschaft… und Familie. Als er außer Sichtweite hinter den Sträuchern war, bog Siri schließlich nach rechts in den schneebedeckten, verwachsenen Wald ab. Schon nach wenigen Metern fand sie einen Strauch mit roten Beeren. Sie sahen Essbar aus, weshalb die junge Frau begann, diese zu Pflücken; ob sie genießbar waren oder nicht, würde später beim Ausmustern entschieden werden. Nachdem sie mit dem Strauch fertig war, wanderte ihr Blick nach oben, zu einem Baum hinter dichtem Gebüsch: Da hingen doch tatsächlich Kirschen dran! Selbstverständlich siegte ihr Hunger und Verlangen nach süßen Früchten über ihre Vernunft – sie stieg hin drüber weg, durch das dichte Gebüsch. Beim Baum angekommen, hielt sie sich an einem niedrigen Ast fest und stemmte den Fuß, zum klettern bereit, gegen den Kirschbaum. Dabei geriet der Ast ins Wanken und feine Blätter, vermischt mit pulvrigem Schnee, rieselte auf sie hinab. Sie ließ sich davon nicht weiter irritieren und versuchte mit einem Ruck auf den ersten Ast zu kommen – als sie abrutschte und mit dem linken Fuß zurück ins Gebüsch landete, musste sie dabei irgend ein wildes Tier verschreckt haben: beim erneuten Hochziehen spürte sie ein schnelles Zwicken am Knöchel, ehe sie reaktionsartig mit einem „Au!“, zurückfiel und halb in den Sträucher landete. Gerade noch so konnte sie neben sich ein schlangenartiges Tier, mit zwei breiten Stacheln an dessen Schwanzenden erkennen; auf und davon wieder ins Unterholz. Siri blieb sowohl verblüfft als auch verschreckt in den Büschen liegen und starrte dem Tier eine Weile lang nach. „Was war das?“, Lyze hatte den Fall gehört und kam durch das dichte Gebüsch herbei. „Schau Lyze, ich habe Kirschen gefunden!“, sie zeigte dabei, liegend, hinauf zum Baum. Ob sie seine Frage nicht gehört hatte, oder gekonnt nicht näher darauf eingegangen ist, wusste er nicht. Lyze sah hoch zum Baum, anschließend beugte er sich hinab zu ihr. „Bist du vom Baum gefallen?“ „Nein…“, sie zuckte verlegen mit den Schultern, „Ich denke, ich habe ein Tier verschreckt, jedenfalls hat es dann mich erschreckt, woraufhin ich zurückfiel. Hast du Beeren gefunden?“ „Ja, sie sehen auch essbar aus.“, dabei klopfte er einmal auf seine Tasche. Als er weiterreden wollte, wurde er von einem Ruckartigen „Aua!“, von Siris Seite unterbrochen, da sie sich aufsetzen wollte. Sie griff sich auf das linke Bein und stellte fest, dass das Tier von vorhin durch ihren hohen Stiefel hindurch gestochen hatte. „Oje...“ „Siri…“, seufzend griff sich der Halbengel kurz auf den Kopf; bestimmt durchging ihm gerade der Gedanke „Wenn man dich einmal alleine lässt…“. Da verschränkte sie die Arme: „Jetzt tu’ mal nicht so. Wer musste das sichere Schloss verlassen, um einen gewissen Typen mit blauweißen Motorrad zu suchen?“ „Ja… stimmt schon.“, was hätte Lyze auch darauf antworten können, das nicht trocken klang? „Zeig mal her, vielleicht gehört das verbunden.“ Gleich darauf zog sie ihren Stiefel so weit runter, bis man die zwei Stichwunden sehen konnte: sie waren klein, aber baugrün angeschwollen. „Mist.“, gab Lyze schließlich von sich, „Das war auch irgendwie klar…“ „Was denn?“, Siri betrachtete ihre Wunde, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen, „Was war klar?“ „Wie sah das Tier aus? Konntest du es sehen? War es Schlangenartig?“ „Ich- ich glaube schon.“, die junge Frau beschrieb mit ihren Händen, „Viel konnte ich nicht sehen, aber der Körper war länglich und hatte am Ende zwei breite Stacheln. Ich glaube farblich, schwarz mit roten Streifen. Wieso?“ „Wer hätte gedacht, dass es die hier auch gibt?“, Lyze legte sich seufzend die Hände ins Gesicht, „Das Tier war giftig, Siri.“ „Was??“, nun untersuchte sie ihre Wunde noch einmal, „Wie giftig? Woran erkennst du das? Muss ich sterben!?“ „Nein. …jjja… nicht sofort.“ „Lyze!“, sie nun schon leicht in Panik. Da erhob sich der Halbengel, trat aus den Büschen heraus. „Wo- Wohin gehst du!?“ „Wir brauchen so schnell wie möglich ein Gegenmittel; also müssen wir jetzt wohl oder übel doch das Dorf aufsuchen. Bis es soweit ist, suche ich nach bestimmten Pflanzen, die die Wirkung des Giftes unterdrücken.“ – ein Hoch auf Lyze, der seine Pubertät in der Natur verbrachte. „Und was soll ich tun? Hier sitzen bleiben?“, Siri schluckte, „Was ist, wenn das Vieh zurückkommt!?“ „Das wird es nicht, es sticht nur einmal zur Verteidigung zu und versteckt sich, um seine verbrauchte Energie wieder aufzuladen.“ „Aber- aber...!“, weiter kam sie nicht, da der Halbengel aus ihrer Sichtweise verschwunden war. „Keine Sorge.“, erklang es noch, „Die Pflanzen sollten in dieser Umgebung schnell gefunden sein. Bewege nicht möglichst wenig und verschrecke nicht noch mehr Tiere.“ „…Als ob ich das nicht wüsste…“, murmelte die junge Frau darauf, anschließend rief sie: „Komm aber schnell zurück!“ Kapitel 10: Abenteuer im verschneiten Wald ------------------------------------------ Desteral war ein gefährliches Land geworden. Schwarze Kreaturen überfielen Dörfer und Reisende auf einsamen Wegen, stets auf der Suche nach Anhaltspunkten und Hinweisen, über eventuelle Nachkommen der Königsfamilie. Sie wollten ihre Rache, um jeden Preis – so auch das schwarze Monster, welches die Gestalt eines Menschen annehmen konnte, um in Siedlungen nicht gar zu sehr aufzufallen. Er hatte seine Schar von Kreaturen allarmiert und mitgeteilt, wo sich das Kind der Weisheit aufhielt. Sie wussten nicht, dass sie aus der Zukunft kam – für sie war nur wichtig, sie in die Finger zu bekommen, um aus ihr die Informationen rauszuquetschen, wo sich die Nachfahren befanden. Nachdem er den Rest also allarmiert hatte, machte er sich auf, Siri zu fangen, die bekanntlich mit Limiu zu tun hatte und sich prima als Geisel eignen würde, um ins Schloss von Ikana eindringen zu können. Vor einiger Zeit hatte er eine Gruppe von Männern ausfindig gemacht, die immer wieder mal Frauen bei sich hatten. Stets beobachtete er sie aus dem Hinterhalt; es waren Sklavenhändler, die mit Gefangenen vor Dörfern halt machten, um anschließend weiter zu reisen, auf der Suche nach weiteren, mehr oder weniger freiwilligen Opfern. Ganz würde die Kreatur die menschlichen Handlungen nie verstehen; immerhin verkaufte sich dieses Volk untereinander, was ihm durchaus seltsam vorkam. Allerdings war für ihn interessant, dass die Männer immer neue Frauen bei sich hatten – eventuell würde er bald auf diese Weise nach Anhaltspunkten fündig werden. Wie unangenehmen die Situation doch nicht war. Eigentlich war Siri gekommen, um Lyze zu retten; jetzt musste er sich auf die Suche nach Heilpflanzen machen, da sie in ihrer Ungeschicktheit ein giftiges Tier aufgeschreckt hatte. Man könnte sagen, dass so eine Situation ja entstehen musste. Dies dachte sich die junge Frau zuminderst. Sie war es bereits gewohnt, sich irgendwie selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Sei es nun im sicheren Zuhause, wo ein Kabel nicht richtig angeschlossen war, worauf hin der vorherige Fernseher explodierte und das halbe Wohnzimmer abfackelte, oder draußen in der Natur, wo genau über ihr ein dicker Ast abbrach, als sie dessen Baum ins wanken brachte; irgendwie hatte sie einfach eine Gabe dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen. So saß sie in den Sträuchern, abseits des Weges und hoffte auf die baldige Rückkehr des Halbengels. Ein wenig einsam in den Sträuchern fühlte sie sich schon; so abseits des Weges war sie sowohl vor Blicken geschützt, als auch in Gefahr, sollten die schwarzen Kreaturen wieder auftauchen. Und plötzlich raschelte etwas: sofort starrte Siri, dessen Herz doppelt so schnell schlug wie gerade noch eben, zu den Büschen vor ihr. Monster? Menschen? Tiere? Von all den Vermutungen, hoffte sie inständig, es sei nicht Ersteres ihrer Gedanken. Da trat Lyze aus den Büschen hervor – sichtlich erleichtert klappe die junge Frau darauf hin zur Seite. „Ich dachte schon, du wärst ein schwarzes Viech.“ „Viech…“, wiederholte er schmunzelt ihre Worte, ehe er sich zu ihr hockte und die Reisetasche dabei hatte. „Ich habe in der nahen Umgebung leider nicht die richtigen Pflanzen finden können…“, nebenbei holte er Verbandsmaterial hervor, „Ich muss daher noch einmal auf die Suche gehen, aber deine Wunde ist derweilen wenigstens Versorgt.“ Siri nickte, als er begann, den Verband um ihr Bein zu wickeln. Nebenbei gingen ihr zwei Gedanken durch den Kopf: erstens die Frage, ob Lyze wegen ihrer Ungeschicktheit verstimmt sei, zweitens – und dies war der wichtigere Gedanke – sie sollte ihm endlich sagen, dass das Kind der Weisheit auf Avrials Schloss wartet. „Du Lyze…“, begann sie also; und als er zu ihr aufsah, verging ihr sogleich Gedanke Nummer zwei. „…Bist du sauer wegen mir?“ Lächelnd schüttelte er den Kopf und widmete sich wieder der Stichwunde. „Ach, nein… aber du musst wirklich etwas besser aufpassen, ich kann nicht ständig bei dir sein.“ „Ja…“, sie musste wegsehen, da ihr die Vorstellung doch eigentlich gut gefiel, „Ich weiß…“ „So.“, noch schnell den Verband abgeschnitten, war die Wunde an Siris Knöchel sicher verpackt. „Du Lyze…“, begann sie abermals, „Da gibt es noch was, was du wissen solltest.“ Er hatte währenddessen die Tasche eingeräumt und war aufgestanden. „Ich fürchte, das muss warten. Das Gift wirkt recht schnell und du wirst auch bald die ersten Symptome spüren…“ „W-welche denn?“ „Schwindelgefühl, Schwäche, Unbeweglichkeit. Wenn es ganz rasch wirkt, sogar Bewusstlosigkeit.“ Die junge Frau musste hart schlucken. „Was ich dir sagen muss, kann warten. Wirklich.“ „Das dachte ich mir.“, noch einmal lächelnd ihr zu gewunken, machte er sich wieder auf die Suche. „Ich beeile mich, so schnell ich kann.“ Siri nickte noch, ehe er wieder verschwunden war. Wieder alleine. Diesmal hatte sie weniger Angst als vorhin; auch wenn Lyze nun weiter entfernt war und sie immer noch im eingeschneiten Gebüsch saß – das einzige, was ihr nun zu Schaffen machte, war die Kälte; obwohl sie den Wintermantel trug. Außerdem fragte sie sich allmählich, welche der Symptome wohl als erstes bei ihr eintreten würden… „Hoffentlich werde ich nicht sofort Bewusstlos.“, murmelte sie nur trocken zu sich selbst. Bei ihrem Pech könnte dies nämlich tatsächlich passieren. Und da raschelte es abermals im Gebüsch. Siri war sich sicher, dies konnte nur Lyze sein. So drehte sie sich mit dem Oberkörper entgegen und fragte spaßig: „Na, haben wir was vergessen?“ Doch statt Lyze tauchten zwei andere Männer auf! Höchst verblüfft, starrten sowohl die Männer, als auch Siri sich gegenseitig an. Da wank der rechte Mann nach hinten: „Hey, kommt mal her, hier sitzt wer!“ Drei weitere Männer kamen vom Weg ab, hinüber zu den Sträuchern, gaben bei Siris Anblick nur ein „Ah.“ von sich. Die junge Frau verstand nicht ganz; leicht schüchtern hob sie nur die Hand zum Gruß. Als zwei der Männer jedoch mit einem „Lasst uns den Käfig holen.“ verschwanden, wurde sie Misstrauisch: „Moment, sagte der da gerade Käfig?“ „Jo, Mäuschen.“, der älteste der Männer grinste plötzlich überhaupt nicht mehr freundlich, ehe er sich eine Zigarre in den Mund steckte. Erst jetzt bekam Siri allmählich mit, wer die Typen waren und schluckte wieder hart. „Sagt bloß… seid ihr Sklavenhändler?“ „Das klingt so brutal.“, einer der Männer trat aus den Sträuchern hervor, „Sagen wir Händler, die fleißige junge Damen suchen, die keine Mühen scheuen, Haus und Hof sauber zu halten und Bedürfnissen ihrer Besitzer nachzukommen.“ Mit einem Mal sprang Siri auf und lief so schnell sie konnte weiter ins Unterholz! Doch die Stichwunde an ihrem Bein hinderte sie sichtlich daran, dem Pack zu entkommen. Keine zehn Meter entfernt knickte ihr schließlich der Fuß weg und sie fiel in den kalten Schnee. Dies war überhaupt nicht gut. Zum einen, weil sie die Händler nicht abhängen konnte; zum anderen, da durch die panischen Bewegungen ihr Blutkreislauf angeheizt wurde und sich das Gift schneller ausbreiten konnte – man ahnt es, ihr fiel es nun noch schwerer, sich zu Bewegen. Inzwischen hatte Lyze es geschafft, nahe eines zugefrorenem Flusses, die benötigten Pflanzen zu finden. Durch die Kälte war dies nicht einfach gewesen; auch die gefundenen Pflanzen hatten Anzeichen von Erfrierungen. Das machte sie zwar nicht Unbrauchbar, jedoch schwächer in ihrer Wirkung. Als er sie sicher in der Tasche verstaut hatte, machte er sich auf den Rückweg. Sein Fußmarsch zurück dauerte dabei ungefähr fünf Minuten. Unterwegs lief ihm nichts Besonderes über den Weg – nicht einmal wilde Tiere ließen sich blicken. Dann jedoch, am Ort angekommen, den er erst vor kurzem verlassen hatte, machte er eine ungewöhnliche Entdeckung: Siri war verschwunden. Von der Stelle, auf der die junge Frau einst saß, führten mehrere Fußabdrücke und Wagenspuren weg; sie ließen darauf hindeuten, dass dies nicht das Werk der schwarzen Gestalten sein konnte. Ungläubig, aber gleichzeitig gar nicht so stark überrascht, schüttelte der Halbengel nur mit einem leisen „Verdammt.“ den Kopf. Sofort machte er sich daraufhin auf den Weg, den vielen Fußspuren im Schnee zu folgen. „Wo- wo bringt ihr mich jetzt hin?“, Siris Frage, welche aus dem metallenen Käfig, hinten vom Pferdekarren kam, klang erschöpft und kraftlos. Neben dem Käfig saß einer der Männer, er schien Müde von der weiten Reise zu sein. „Nicht weit von hier ist ein Dorf.“, er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „Wir machen davor halt und frischen unser Proviant auf.“ „Ja!“, klang vom Kerl, der neben den Karren herging, „Wenn wir alles haben, was wir brauchen, geht die Reise weiter zur Grenze von Azamuth!“ „Azamuth?“, meinte Siri seufzend, „War ja klar, dort ist der Sklavenhandel noch nicht verboten…“, sie versuchte sich aufzusetzen, „Ihr wisst aber schon, dass es derzeit überall von schwarzen Monstern wimmelt…?“ „Wir kennen das Gerücht.“, meinte ein Typ, der den Karren von hinten bewachte, „Die sollen Destercity ziemlich verwüstet haben; aber keine Angst Missi, bei uns wird dir schon nichts geschehen.“, dabei klopfte er grinsend auf sein Gewehr. „Es sei denn, du machst einen Ausbruchversuch!“, auf die Aussage des Kollegen hin, fing das gesamte Pack an zu lachen. „Hah hah, sehr witzig… oh.“, Siri griff sich nach ihrer Aussage auf die Stirn – ihr war schwindlig geworden. Es drehte sich alles, als ob sie einen kräftigen Schluck eines starken alkoholischen Getränkes gemacht hätte… oder zwei. Sie konnte ihren eigenen Puls fühlen, wie er durch den gesamten Körper schlug. „Bitte…“, meinte sie leise, „Ich brauche einen schluck Wasser…“ „Haben wir keins mehr.“, der müde Typ neben dem Käfig zuckte mit den Schultern, „Da musst du warten, bis wir bei dem Dorf sind.“ „Ich… ich kann nicht warten! Ich wurde vergiftet…!“ „Ich, ich, ich.“, so ein Kollege, „Ziemlich egoistisch, das Weib. Vielleicht können wir sie an nen reichen Knacker verkaufen. Was meint ihr?“ „Schwierig, die Kerle wollen ja nur junge Dinger. Sie hier ist dafür schon beinahe zu alt.“ „Ja aber, sie sieht nicht älter aus als Neunzehn. Lügen wir einfach und basta. Der glaubt doch sowieso niemand.“ „Hm.“, begann ein weiterer Typ, „Wie wär’s mit Ikana? Die brauchen doch immer irgendwelche Frauen.“ „Mag sein, aber die nehmen keine Sklaven mehr an.“ „Was? Wieso?“ „Keine Ahnung, die scheinen wohl dem Fortschritt auf der Spur zu sein.“ „Verflucht seiest du, Fortschritt!“ „Hey Leute.“, der müde Kerl neben dem Käfig hatte sich aufgesetzt, „Irgendwas stimmt mit Missi nicht.“ „Wieso?“ „Weiß nicht, sie sieht Bewusstlos aus.“ „Atmet sie noch?“, so der Lenker des Karren. „Jjjjap.“ „Dann ist ja gut.“, er hielt den Wagen an, ehe die Männer am Boden auch stehen blieben. „So, wir sind da.“, im Hintergrund sah man eine Lichtung, auf der schwach die höchsten Türme eines kleinen Dorfes rausblitzten. „Näher dürfen wir nicht ran. Ihr zwei da unten – nehmt den Beutel Nima und kauft uns Proviant.“ „Wieso denn schon wieder wir?“ „Letztes Mal waren Lou und Henry dran. Also setzt euch in Bewegung!“ „Ist ja gut, okay.“, die zwei nahmen den Beutel entgegen und überprüften noch einmal zur Sicherheit ihre Waffen, ehe sie den verschneiten Weg in Richtung Lichtung folgten. „Die zwei werden sich auch noch dran gewöhnen.“ „Mag sein.“, der Wächter neben dem Käfig gähnte innig, „Ich weiß noch, wie ich angefangen hatte. War genauso, mir haben sogar die jungen Mädchen leid getan.“ „Joa. Du weißt ja wie es ist, man stumpft mit der Zeit ab. In Wirklichkeit ist das, was wir tun, das Beste für die Weiber. Überleg doch Mal: kostenlose Versorgung, ein Heim über dem Kopf,…“ Der Wächter lachte: „Ganz zu schweigen von der Suche nach einem Mann; praktisch erledigen wir das für sie!“ Gerade, als beide anfingen zu lachen, hörte man einen lauten Männerschrei – und zwei Gewehrschüsse. Sich fragend sahen sich der Lenker und der Käfigwächter an, ehe sie ihren Kopf zu der Lichtung drehten. „Jo, was ist denn bei euch los?“ Keine Antwort. „Wie merkwürdig.“, der Lenker sprang schließlich vom Wagen und zischte, „Unfähig, einer wie der andere.“, und folgte der Spur seiner Leute. Plötzlich schoss eine klebrige, schwarze Masse von oben herab und zog den schreienden Mann in die Bäume. Der Kerl neben dem Käfig hatte dies bleich mit angesehen: nun war er überhaupt nicht mehr müde. „Ach du sch-“, etwas in Panik füllte er sein Gewehr mit schweren Eisenkugeln, ehe er vom Wagen sprang und übervorsichtig die Gegend um ihn herum erkundete. Alle seine Kollegen waren Weg, er war der letzte, der beim Wagen stand. Da waren schnelle Schritte zu hören, als Lyze endlich den Wagen eingeholt hatte und aus der Puste zum Käfig deutete: „Hey-“ In dem Moment hatte der panische Mann instinktiv gehandelt und erschrocken sein Gewehr auf Lyze gefeuert: schnell seine gelblichen Flügel ausgebreitet, wich der Halbengel gerade noch der Kugel mit einem Satz zur Seite aus. „D-du…!“, der ohnehin schon verwirrte Sklavenhändler deutete ungläubig auf seine Flügel – einen Moment später tauchte hinter seinem Rücken eine weitere schwarze Masse auf und umschlang ihn mit festem Druck, ehe er Erstickungsgeräusche von sich gab und die Masse seinen leblosen Körper zu Boden fallen ließ. Der Halbengel traute sich in diesem Moment nicht näher an den Käfig heran: ein falscher Schritt und ihm würde das Selbe widerfahren. So kroch die einzelne schwarze Masse voran, den Wagen hinauf und durch das Schloss des Eisenkäfigs – das mit einem klicken aufsprang und die Tür öffnete. Als sie die Bewusstlose Siri umschlungen hatte, nahm die schwarze Kreatur feste Gestalt an: es war der junge Mann, mit den eisblauen Augen gewesen, der Siri nun auf seinen Armen vom Karren trug. Als herab sprang und über den schneebedeckten Boden ging, stellte sich schließlich Lyze in den Weg – die Kreatur mit dem kalten Blick blieb darauf hin stehen und wartete, was der Halbengel zu sagen hatte. „Ihr könnt sie nicht haben. Ihr braucht sie Lebend? Sie ist schwer vergiftet und stirbt bald ohne Gegenmittel.“ „Wir brauchen sie nicht. Nur das Kind der Weisheit.“ „Das Kind der-?“, Lyze verstand nicht. „Sie kennt das Kind. Meine Herrin will es, denn wir wollen unsere Rache.“ „Eure Rache? Rache wofür?“ „Rache an der Königsfamilie Desteral.“, der Mann ging an Lyze vorbei, als wäre er Luft. Da schummelte er sich mittels kleine Hilfe von Magie zurück vor die Kreatur, ehe er eine Handbewegung machte, „Dann müsst ihr das Kind leider ohne Siri finden.“, und ein grell scheinendes Licht erzeugte, welche die schwarze Kreatur heftig blendete und Reaktionsartig den Kopf wegdrehte – dabei ließ er Siri locker, wodurch Lyze sie schnappen konnte und abermals mittels Magie schnell an ihm vorbeihuschte – auf und davon Richtung Dorf. Bis die Kreatur sie eingeholt hatte, würde es bestimmt einen Tag dauern. Denn erstens, musste sie sich von dem blendenden Licht erholen und zweitens, würde er nicht ohne den anderen schwarzen Kreaturen zuschlagen; und diese waren heute eindeutig nicht bei ihm. Unterwegs spürte nun auch Lyze die Erschöpfung: zu viel Magie in zu kurzer Zeit. Er hatte zwar mit Avrial trainiert, aber mit vielen der Tricks war Lyze noch zu unerfahren. Als er in Richtung Dorf lief, rührte sich schließlich Siri – sie hatte nicht mitbekommen was geschehen war, blickte aber auf in sein Gesicht. „Lyze… ich… muss dir noch etwas sagen…“, murmelte sie und schien mehr zu schlafen, als wach zu sein. „Spar deine Kräfte, Siri.“, meinte er aus der Puste, „Wir sind gleich in Sicherheit, dann wird alles gut.“ Kapitel 11: Die Wahrheit (Teil 1) --------------------------------- „Wir brauchen Hilfe!“, konnte Siri hören. „Sie ist vergiftet“ und „Bringt sie zum Arzt“ vernahm sie wieder von anderen Seiten. Lyzes Stimme, einzelne Wörter und Satzfetzen begleiteten sie die nächsten Stunden, ehe sie in ihren tiefen Schlaf fiel. Er war nicht anstrengend, oder ungewollt. Entspannend und doch Traumlos. Erst gegen Abend kam nach und nach ihr Bewusstsein zurück. So konnte sie den Luftzug spüren, welcher die Vorhänge der Fenster zum Flattern brachte und Siri um die Nase zog. Es roch nach kaltem Sommer, im Raum selbst nach Medizin. Auch konnte sie spüren, dass sie in einem weichen Bett lag und jemand neben ihr saß. Erst jetzt öffnete sie langsam ihre müden Augen und sah als erstes die weiße Decke des Raumes. Als sie den Kopf leicht nach rechts drehte, erblickte sie Lyze, der Kopf in den Armen gelegt neben ihrem Kissen schlief. Er saß auf einem Stuhl, was die Sache ziemlich unbequem aussehen ließ. Nur lächelnd hob Siri die linke Hand und wuschelte ihm kurz durch seine blonden Haare. Sie wusste, dass er dies nicht besonders mochte, so konnte sie auch schlussfolgern, dass er darauf hin aufwachen und sich die Haare richten würde – gesagt, getan. Erschöpft sah er dann im Raum umher, eher sein zweiter Blick auf die schwach grinsende Frau fiel. „Siri-“, war die lächelnd überraschte Reaktion, „Zum Glück, du bist endlich wach…“ Sie nickte, ehe sie die Hände faltete und sprach. „Also, erzähle mir alles, was passiert ist.“ Gerade, als er beginnen wollte, fuhr sie ihm mit einem „Oh!“ ins Wort: „Übrigens, die Kerle waren Sklavenhändler. Die wollten mich an der Grenze von Azamuth verkaufen! Genau aus diesem Grund sollte es strengere Gesetze geben.“ „Das weiß ich doch. Wer sonst sollte dich in einen Käfig sperren?“, er musste schmunzeln, „Gut, dafür braucht niemand einen wirklichen Grund.“ Ehe Siri anfangen konnte zu schmollen, begann er zu erzählen. Von den schwarzen Monster, der den Sklavenhändlern, einen nach den anderen, das Leben nahm, von der geschickten Tat, um Siri wieder zu kriegen, von dem netten Dorf und den Leuten, die so freundlich waren, beide bei ihrem einzigen Arzt in der Praxis aufzunehmen. Auch erzählte Lyze, sie habe im Schlaf immerzu „Ich muss dir etwas sagen“ und „Es ist wichtig“ gemurmelt. „H-hab ich das?“, so Siri, mit großen Augen. „Ja…“, der Halbengel stützte sich ernst an ihrem Bett ab, „Irgendetwas willst du mir doch sagen. Sonst würde es nicht laut von deinem Unterbewusstsein, bis rauf in den Raum klingen.“ Siri sah traurig zur Seite. „Nun… da gibt es tatsächlich etwas…“ „Hat es etwas mit dem Kind der Weisheit zu tun…?“ Auf seine Frage hin schluckte Siri, fragte leicht schüchtern: „H-habe ich das etwa im Schlaf erwähnt?“ „Nein. Die schwarze Kreatur hatte es mir gesagt… sie meinte, du kennst das Kind der Weisheit und sie bräuchten dich, um an es ranzukommen.“ Unbemerkt atmete Siri erleichtert aus. „Ja… weißt du… als ich dir von den Monstern erzählt hatte, war ich nicht ganz ehrlich zu dir.“, sie setzte sich seufzend auf, ehe sie nach einer Pause begann zu sprechen. „Avrial hat den Plan um in die Vergangenheit zu Reisen nicht alleine Entwickelt… das Kind der Weisheit ist bei ihm. Sie ist dort zusammen mit Aira in Sicherheit.“, ganz beiläufig, hatte sie ‚vergessen’ zu erwähnen, dass sie aus der Zukunft kommt. „Sie ist bei Avrial?“, ungläubig blinzelte Lyze, „Wieso hast du mir nichts davon gesagt?“ Verlegen lächelte sie ihn an, „Na ja, ich…. ich wollte es ja, aber dann kam der Zwischenfall mit dem Gift. Ich weiß nicht, wohl hatte ich auch Angst, du würdest es nicht verstehen. Immerhin weiß nicht einmal Avrial selbst, wie sie auf sein Schloss gekommen ist.“ Ernst wurde sie von Lyze angestarrt. Als sie immer kleiner wurde, lächelte er schließlich und legte ihr seine Hand auf den Kopf: „Hauptsache du hast es mir gesagt. Ich meine, im Schloss hätte ich es dann zwar von selbst gesehen, aber es ist gut, es vorher zu erfahren. Immerhin ist es auch gut zu wissen, dass das Kind der Weisheit auf unserer Seite steht. Wir können sicher schon fast gar nicht mehr verlieren!“ In diesem Moment fiel Siri ein großer Stein vom Herzen. Er hätte es auch anders verstehen können und nachgehakt, wer das Kind der Weisheit denn eigentlich ist. Weit im Norden, auf der Insel Ikana, schienen sich die Bewohner wieder zu beruhigen. Sicherlich lag es daran, dass die schwarzen Kreaturen bisher keinen Fuß auf die Insel setzten, doch Großteils war es das Werk von Avrials Magie gewesen, die sich wie ein Schleier auf die Insel legte und das Klima so weit aufheizte, dass der plötzliche Wintereinbruch mitten im Sommer so mysteriös verschwand, wie er kam. In einem der Wohnzimmer saß er, machte einen Schluck aus seiner Teetasse und las nebenbei die desteralische Zeitung. Im Gegensatz zur Zeitung von Ikana standen hier alle wichtigen Ereignisse drinnen, die in ganz Desteral passierten. Beim Überfliegen las er von neuen Bündnissen, von Morden und Diebstählen, wichtigen Hochzeiten und Festveranstaltungen (die dank des Unwetters ganz schön in Verzug kamen) und von einer Dämonenarmee, die in Destercity eindrang und versuchte die Zentrale der schwarzen Kreaturen, das Amtshaus-und Turm des Bürgermeisters, zu stürmen. Natürlich wusste Avrial schon seit längerem, dass es unmöglich war, diese Kreaturen ohne besondere Waffen oder Umstände zu vernichten; doch scheinbar wusste Azamuth dies nicht. Und selbstverständlich stand groß der Satz zum Schluss: „Invasion gescheitert, die Überlebenden zogen sich zurück.“ Gerade, als der Arcaner seufzend die Zeitung senkte, stand Limiu, Arme hinter dem Rücken verschränkt, vor ihm und räusperte sich. „Oh, hallo Limiu. Wo hast du denn Aira gelassen?“ Das schlaue Mädchen hob die Schultern. „Sie sitzt im Wohnzimmer im fünften Stock beim Fenster. Da sie immerzu nur vom Fliegen redet und sich dadurch selbst ablenkt, habe ich ein paar Minuten für mich.“, sie kam näher, „Es wird dich vielleicht interessieren, dass nach meinen Berechnungen Siri und mein Vater auf dem Rückweg sind und bald Ikana erreichen müssten.“ „Das ist gut.“, Avrial schenkte sich Tee nach, „Demnach dürfte ihnen nichts passiert sein. Nichts schlimmes, zuminderst.“ Das Mädchen nickte, ehe sie weiter sprach: „Die Insel und das Meer rundum haben sich soweit stabilisiert. Es wird dich freuen zu hören, dass es langsam wärmer wird. Bald wird der Rest des Gefrorenen schmelzen und den Wolken keine Gelegenheit lassen, erneut Schnee fallen zu lassen... allerdings müssen wir dafür mit starkem Regen in den nächsten Tagen rechnen.“ „Das macht nichts. Es verläuft alles nach Plan und das ist gut so.“, er lächelte, „Wäre dem nicht so, würden all meine Anstrengungen umsonst gewesen sein... also, ein wenig Sommer-Regen wird niemanden schaden, der nicht aus Zucker besteht – ach ja!“", da schob Avrial einen Stuhl vom Tisch hervor, bot ihn Limiu an. „Setz dich doch, ich kann dir auch gerne einen Tee einschenken.“ Die Kleine nickte. „Vielen Dank.“, und setzte sich, „Ein wenig Tee wird nicht schaden. Es wird dir aber hoffentlich nichts ausmachen, dass ich in knapp zehn Minuten zurück zu Aira gehe – sie fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe.“ „Nein.“, der Arcaner nickte zufrieden, „Gehe ruhig, Aira wird es auch freuen zu hören, dass Siri und Lyze bald zurück sind.“ Zwei Tage waren vergangen, seitdem die beiden Reisenden das Dorf verlassen hatten, in dem sie rasteten und sich Siri von dem giftigen Stich eines Tieres erholt hatte. Auf ihrer weiterreise hatten sie sich einmal verlaufen und mussten nach dem Weg fragen, ein anderes Mal halfen sie, als sie das nördliche Meer entlang gingen, einer Schiffbrüchigen Katzendame den Weg nach hause zu finden. Nun waren die Zwei beinahe zurück in Ikana. Alles was sie von der Insel trennte, war ein einsames Schiff, welches sich allmählich auf der Überreise befand. Umso näher sie der Insel kamen, desto mehr kam in Siri ein mulmiges Gefühl auf: Lyze wusste nun, dass sich das Kind der Weisheit auf dem Schloss befindet - nicht aber, dass dort seine zukünftige Tochter wartet. Die Zeit drängte immer mehr. Ihr blieb kaum noch Platz, Lyze rechtzeitig ihre persönlichen Gefühle zu gestehen... „...Nicht wahr, Siri? Siri!“ „Uh, was?“, kopfschüttelnd war sie zurückgekehrt aus ihren Gedanken. „Hach ich seh schon, du bist wieder wo anders.“ „Nein, i-ich war nicht wo an-„ „Ist schon gut. Denke nicht, ich erinnere mich nicht gern an die Zeit zurück, in der die Welt noch in Ordnung war.“, Lyze ging hinab zum Steg von Ikana, an dem das Schiff angelegt hatte, „Lass uns gehen. Damit die Welt bald wieder die Alte sein kann.“ Die junge Frau nickte noch lächelnd, ehe sie ihm folgte. Im Dorf angekommen, blickten beide zuerst den Weg entlang, welcher sich durch die Gassen zog und erst oben am Berg, beim Schloss endete, bevor sie stehen blieben und sich fragend ansahen. Denn im nächsten Moment fiel ein Tropfen vom Himmel auf den Steinboden. „Merkwürdig.“, so Lyze zu ihr, „Spührst du das auch? Es ist so warm hier... und Schnee liegt auch keiner.“ „Ja...“, Siri sah zu den dunklen Wolken über Ikana, „Und es scheint, als würde es gleich Regnen.“ „Das ist sicher Avrials Werk.“, der Halbengel setzte sich wieder in Bewegung, „Komm, lass uns schnell weiter gehen, ehe wir in ein Gewitter geraten.“ „Uhm Lyze...“, und schon wieder begann Siris Satz mit einer negativen Stimmung. Nur fragend blieb er langsam stehen, als er sah, dass sie keinen Schritt weiter gegangen war. „Was ist denn?“ „Ich… ich muss dir etwas Dringendes sagen, ehe wir zum Schloss aufbrechen.“, die Wahrheit musste endlich ans Licht! „…Hat das denn nicht zeit? Es regnet schon und das Schloss ist groß genug, um unter vier Augen zu re-“ „Nein!“, Siri hielt sich verkrampft in ihrem Mantel fest. Nebenbei hörte man die vermehrten Regentropfen fallen, ehe sie sich stetig summierten. „Es… es kann nicht warten… nicht mehr. Nicht schon wieder.“ Als Lyze endlich den Ernst in ihren Wörtern erkannte, drehte er schließlich um und ging, bis er schweigend vor ihr stand. „Also… ich habe dir schon wieder nur die halbe Wahrheit über das Kind der Weisheit gesagt.“, sie schluckte schwer, da sie ihre Nervosität versuchte zu unterdrücken. Lyze sah sie bei ihrem Satz aufmerksam an. Nun, um seinen Blick zu umgehen, kniff sie fest ihre Augen zusammen: „Das Kind der Weisheit… Limiu… sie ist deine Tochter…!“ Zuerst die Augenbrauen hochgezogen, begriff Lyze schließlich ihre Worte; oder auch nicht. „WAS?“ „Sie kommt aus der Zukunft, Lyze. Ein schwarzhaariges Mädchen mit dem Namen Limiu… die Legende hatte sich um eine Generation geirrt.“ „Was- wie… wie konntest du…?“, Lyze hob die Hände zum Gesicht und ging kurz Rückwerts; es war für ihn einfach unbegreiflich. „Wieso hast du mir das nicht schon früher gesagt…?“ „Na ja ich… ich… weil…“, Siri stammelte vor sich her, versuchte ihn dabei nicht anzusehen. „Ich- äh… also… weil… ich… “ „Siri!“, da griff Lyze nach ihren Schultern und rüttelte sie leicht: „Wieso!? Weißt du denn nicht, wie wichtig das für mich ist? Hast du das beiläufig vergessen zu erwähnen oder wie?! Wieso sagst du mir das erst jetzt!?“ „Na weil-“, in dieser sehr angespannten Lage stieg in Siri die Wut. Es regnete nun heftig und Lyze schien keinerlei Verständnis zu zeigen. Weder für sie, noch für eine gemeinsame Zukunft. „Siri! Beantworte meine Frage! Wieso hast du mir-“ „Weil ich dich liebe, verdammt!!“, in diesem nachfolgenden, kurzen, unangenehmen Moment der Stille, starrten sowohl Lyze, als auch Siri der Tatsache ins Auge. Im nächsten Augenblick entriss sich Siri aus seinem Griff und lief im strömenden Regen weg – auf und davon, dem Berg entgegen. Auch der Halbengel blickte ihr zuerst völlig verwirrt nach. Dann drehte er sich wütend um; und verschwand in der Entgegengesetzten Richtung. Kapitel 12: Die Wahrheit (Teil 2) --------------------------------- „Weil ich dich liebe, verdammt!“, der Satz wiederholte sich scheinbar in einer Endlosschleife in Lyzes Kopf. Noch immer verstand er nicht. Weder, wieso Siri ihm erst so kurz vor dem Schloss von seiner scheinbar zukünftigen Tochter erzählte, noch, warum es ihr so Wichtig war, dies als Grund dafür anzugeben, es ihm nicht zu sagen. Dies wiederum machte ihn wütend und durcheinander. So durcheinander, dass er keine Lust hatte, ihr nachzulaufen. Sich entschuldigen? Er sah keinen Grund darin – immerhin sollte sie sich entschuldigen, ihm so lange Zeit vorenthalten zu haben, das Kind der Weisheit sei ausgerechnet seine Tochter. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, ebenso der letzte Satz, der zwischen den beiden stattfand. So schlenderte er voran im strömenden Regen, eine Gasse durch das Dorf von Ikana. Dass er pitschnass war, störte ihn nicht. Auch nicht, dass ihm Regentropfen von den Haaren über das Gesicht liefen. Der Halbengel lehnte sich gegen eine Hauswand und seufzte tief, als ihm der Gedanke aufkam, sie wären schon beinahe am Ziel gewesen: zurück im sicheren Schloss, bei Aira und Avrial. „Na mein Junge, warum so bedrückt?“, eine alte Stimme erklang von rechts. Lyze drehte den Kopf hinüber und sah einen alten, gebrechlichen Mann auf einer Holzbank, neben einer Haustüre sitzen. Der Mann mit grauem Langbart hustete einmal kräftig, ehe er sich wieder an seinen Wanderstock lehnte: „Du meine Güte, du bist pitschnass. Willst du denn den ganzen Tag im Regen stehen?“, der Mann rückte ein Stück und klopfte an die freie Stelle, „Komm mein Junge, setz dich doch.“ Zuerst durchfuhren den Halbengel die Worte „Nein Danke.“, doch ehe er sie aussprechen konnte, fand er nichts, dass gegen das Angebot des alten Mannes sprach. Was hatte er jetzt schon noch zu verlieren? Zeit? Welche Zeit…? So kam er wortlos hinüber und setzte sich bedrückt neben den alten Mann. Auch wenn dieser ihn immerzu ansah, war Lyzes Blick dem Boden zugerichtet. In seinem Gesicht spiegelten sich all sein Kummer, Verwirrtheit und Wut wieder. „Weißt du, mein Junge…“, begann der Alte, der seine Augen nach vorn gerichtet hatte, „Damals, vor vielen Jahren, als die Welt noch in Ordnung war, gab es für jedermann und jederfrau genug arbeit. Da gab es auch keine ‚Gesetze’ oder ‚Zwänge’. Natürlich hatte jeder klar seine Rolle verteilt bekommen, aber… die Arbeit war das A und O.“, der Mann schmunzelte in seinen Bart, „Da habe ich auch meine große Liebe, Klaris kennen gelernt.“ Bei seinen Worten wurde Lyze hellhörig. Der Mann wechselte seine Sitzpose. „Aber was schwafele ich schon wieder, einen jungen Hüpfer wie dich interessiert so eine alte Geschichte mit Sicherheit nicht.“ Zwar antworte Lyze nicht, doch sah er in diesem Moment den alten Mann mit einem Blick an, der sein Interesse verriet. „Nun…“, erzählte der Mann weiter, „Klaris war eine wunderschöne Frau. Neben ihren Kochkünsten war sie bei anderen Männern sehr begehrt. Doch eines Tages machte ich ihr den Hof und gewann ihre aufrichtige Liebe für mich allein.“, er hustete kurz, „Wir wollten Heiraten, doch dann brach Krieg über Desteral herein…“ Lyze sah wieder gen Boden, lauschte aber weiter der Lebensgeschichte. „Der Krieg brach Desteral in zwei Teile auseinander und zwang mich, in meinen jungen Jahren, quer durch das Land ans Schlachtfeld zu reisen. Klaris blieb zurück, mit einem alleinigen Abschiedskuss von mir.“, kurz seufzte der Mann, „Ich habe sie nie wieder gesehen. Als der Krieg nach vielen Jahren endete, war sie verschwunden. Ohne Spuren. Von vielen Leuten hörte ich, sie sei gestorben, als sie auf hoher See war; andere behaupteten, sie war es Leid zu warten und suchte sich ihr neues Glück.“ Nun seufzten sowohl noch einmal der alte Mann, als auch Lyze gleichzeitig. Dann senkte der Mann den Blick; „Ich hätte sie nicht verlassen dürfen. Niemals hätte ich meine Klaris aus den Augen verlieren dürfen.“, unerwartet legte er eine Hand auf Lyzes Schulter. „Eins sage ich dir, Junge. Solltest du je die Liebe gefunden haben, dann lasse sie nicht mehr los. Wenn du einmal gehst, kann es sehr gut möglich sein, dass du sie nie wieder siehst.“ Durch die Worte des alten Mannes konnte sich Lyze gut an seine erste Liebe erinnern. Limiu, das Mädchen von damals, ging samt ihrem Volk unter… er hatte sie verlassen und nie wieder gesehen. Und plötzlich – Lyze sah auf, als er genau in diesem Moment den Zusammenhang fand, den Siri als ihr Problem anerkannte: Ihr ging es nicht um Gegenwart. Das Kind der Weisheit, Lyzes Tochter aus der Zukunft, zeigte deutlich, dass es für sie scheinbar keinen Platz gab. Aber musste es wirklich so enden…? War die Zukunft denn hoffnungslos unformbar? Mit diesem Gedanken erhob sich Lyze von der Bank. Der alte Mann sah zu ihm auf, als er sich dankend verbeugte. „Ihr habt mir sehr geholfen.“ „Hab ich das? Oh, ich helfe gerne.“ Dann lief der Halbengel los, den verregneten Weg entlang, den er gekommen war. Leise lachend, stand danach der gebrechliche Mann auf. Er schüttelte den Kopf, als er, an seinen Wanderstock gelehnt, losschlenderte und dabei „Junge Liebe…“ in seinen Bart murmelte. Er bog in einen Trampelpfad ein, der über einen Umweg über den Berg führte. Im nächsten Moment richtete er sich auf und konnte ganz normal weitergehen. Mit jedem Schritt schneller, bis er den Wanderstock wegwarf, verwandelte er sich in seine wahre Gestalt, setzte sich noch seinen dunkelroten Zylinder auf und ging zurück ins abgelegene Schloss. Schnellen Schrittes lief Lyze durch das Dorf von Ikana. Er war aus der Puste, dachte aber nicht daran, stehen zu bleiben, ehe er nicht Siri gefunden hatte. Es war dumm, ihr nicht gleich zu Folgen. In der Zwischenzeit hätte ihr etwas zustoßen können, wenn dies nicht sogar der Fall war. Erst am anderen Ende der Ortschaft, nahe dem Berg, wurde Lyze langsamer und rief nach ihr. Es war gut möglich, dass sie bereits oben im Schloss war; doch ehe er dies glauben wollte, suchte er die ganze Umgebung nach ihr ab. Denn wenn sie wirklich bereits bei den anderen war, wäre es eine höchst peinliche Situation, das Geschehene vor allen zu erklären. Weder im Dorf, noch im Wald war sie gewesen; der Strand war zu weit weg, um dorthin in strömenden Regen zu laufen und so blieben nur noch wenige Möglichkeiten offen. Etwas verzweifelt machte er sich auf den Weg, die Straße zum Schloss abzusuchen; doch ehe es Bergauf ging, entdeckte Lyze eine Steinbrücke, die zwischen dem Dorf und einer alten Mühle lag - und darunter erkannte er die Umrisse einer weiblichen Person. Schweren Herzens atmete er einmal tief ein, ehe er sich der Brücke näherte. Beim herangehen erkannte man aus den Umrissen tatsächlich Siri heraus, die sich - als sie den Halbengel näher kommen sah - die Tränen aus dem Gesicht wischte und ignorierend gegen die Felswand lehnte. Natürlich bemerkte er das. Doch ging er weiter und hielt erst an, als er vor ihr stand. Ihre Kleidung war, genau wie seine, komplett durchnässt, ebenso die Haare. Man konnte leicht daraus schließen, dass Siri selbst eine weile umherirrte, ehe sie zuflucht unter der Brücke suchte. Immer noch sah sie Lyze nicht an. Sei es, weil sie ihn ignorierte, oder sie ihm einfach nicht in die Augen schauen konnte. „Siri...“, begann der Halbengel schließlich, als er sein Verhalten erklären wollte, doch redete ihm die junge Frau leise dazwischen: „Es ist ok. Ich verstehe es vollkommen.“, sie senkte ihren Blick etwas mehr, „Ich habe seit Anfang an damit gerechnet. Ich meine- Limiu, der Name sagt doch schon alles... es tut mir Leid. Ich hätte es dir nicht so spät sagen dürfen. Das war egoistisch.“, dann sah sie leicht zu ihm auf und lächelte traurig, „Es ist wohl nicht unser Schicksal, dass wir-“, unerwartet zog Lyze ihr Gesicht an seines. Er hatte die Augen geschlossen, während Siri erst verstehen musste, was gerade passierte; doch noch ehe sie es begriff, war der Kuss auch schon vorbei. Sie wollte reden, doch kamen keine Worte. Noch immer waren Lyzes Hände auf ihren Wangen gelegt. „Du Dummerchen. Es ist mir egal, wer in diesem Schloss wartet. Und wenn es fünf meiner angeblichen Kinder wären, ich will nur mit dir zusammen sein. Egal, was die Zukunft erzählt.“ „Lyze... du... aber...“ „Wer sagt, dass die Zukunft festgeschrieben steht? Gibt es nicht tausende Wege und Möglichkeiten, die das Leben beeinflussen? Die Zukunft wird immer anders aussehen. Das weiß ich genau.“ Er schaute kurz darauf etwas überrascht, als Siri anfing zu weinen. Im nächsten Moment breitete sich in ihrem Gesicht ein lächeln aus, ehe sie sich schwungvoll gegen ihn schmiss und fest umarmte: „DANKE!“ „Herr Avrial!“, die kleine Limiu verbeugte sich, als der Arcaner sein Schloss betrat, „Willkommen zurück.“ „Oh, vielen Dank. Das ist aber auch ein Unwetter da draußen. Heftiger, als ich erwartet habe.“, er hang seinen Mantel über einen Kleiderständer, „Wollen Aira und du einen Tee?“ „Uhm, darüber wollte ich gerade mit dir reden...“, verlegen verschränkte Limiu die Arme hinter dem Rücken. „...Aira ist aus dem Fenster gesprungen.“ Kapitel 13: 5. Reise in die Vergangenheit ----------------------------------------- „Sie ist was?!“, Avrial dachte, er habe sich verhört, obwohl Limiu sehr deutlich sprach. „Wo ist sie? Ist ihr was passiert?“, eilig lief er von einem Fenster zum anderen, wenngleich Aira doch in einem ganz anderen Zimmer gewesen war. „Wir müssen sofort zu ihr!“ Limiu beobachtete das Verhalten des Arcaners eine Weile, bis sie schließlich den Kopf schüttelte; ihre Arme waren dabei die ganze Zeit hinter dem Rücken verschränkt: „Ich sagte, Aira ist aus dem Fenster gesprungen, nicht dass sie verletzt, oder gar tot vor dem Schloss liegt.“ Nun blieb Avrial etwas beruhigt stehen. Als er begriff, was Limiu damit ausdrücken wollte, drehte er den Kopf und fragte zur Sicherheit noch einmal nach. „Willst du damit etwa andeuten, dass...“ Draußen, schon nahe des Schlosses, gingen Lyze und Siri den Bergweg entlang. Sie unterhielten sich gut, obwohl der Regen nur ein wenig nachgelassen hatte. Hand in Hand gingen sie nebeneinander her, der Streit von vorhin schien bereits beinahe vergessen. „Sag mal Lyze…“, begann Siri, „Wie lang ging das schon so?“ Er sah zu ihr: „…Was meinst du?“ „Na ja… wie lange wusstest du bereits… über deine Gefühle für mich bescheid?“ Da begann der Halbengel zu überlegen. „Hm, eine ganze Weile schon, denke ich…“ „Und das hast du mir nie gesagt?“ „Wie hätte ich? Micas verschwinden hatte dich sehr mitgenommen… ich habe immer die sorge gehabt, es sei zu früh für dich.“ „Hehe.“, Siri gab ein trockenes Lächeln von sich, „Na, deine Gefühle hattest du ja auch ziemlich gut versteckt…“ „Was ist mit dir? Wieso hast du es mir nie erzählt?“ „Das wollte ich doch. Schon oft.“, die junge Frau kratzte sich verlegen, „Aber immer war ich entweder zu schüchtern, oder irgendetwas kam dazwischen.“ „Verstehe…“ „Sag mal… was hat dich dazu bewegt, mich suchen zu gehen?“ „Dich zu suchen war nicht das Problem, Siri. Irgendwie beschäftigten mich deine Ansichten, die ich verstehen wollte und für die ich eine Lösung suchte.“, Lyze sah kurz schmunzelnd hinab zum Dorf, „Ein alter Mann hatte mir geholfen. Er erzählte mir von seiner Liebe, die er nach dem Krieg aus den Augen verloren hatte.“, er überlegte kurz, „Komisch nur, dass ich mich nicht an einen Krieg innerhalb von Desteral erinnern kann…“ „Ach wer weiß. Wie man sieht, waren auch so manches Mal zwei Nachbarländereien in einem Streit verwickelt.“ „Hm, da hast du Recht.“ Unerwartet hörte man einen elektronischen Ton aus Siris Reisetasche. Beide schauten verwundert, ehe Siri hineingriff und mit einem „Oh, richtig.“ Lyzes Kommunikator hervor holte. „Du hast ihn bei dir?“, so Lyze. „Ja. Avrial gab ihn mir mit, damit wir uns im Notfall verständigen können.“ „Haha…“, Lyze musste sein lachen unterdrücken, als Siri auf das blinkende Display schaute. „Was ist denn? Warum lachst du?“ „Der Kommunikator funktioniert nur in einem bestimmten Bereich – noch dazu ist die Verbindung durch die fehlenden Fenduskristalle zusätzlich geschwächt. Du warst so weit Weg von Avrial seinem, dass es eigentlich nicht funktionieren hätte können.“, er schmunzelte, „Hauptsache du fühltest dich auf der Reise sicher, oder?“ „Ja…“, Siri grummelte ein wenig, als sie die Verbindung zu Avrial freigab; immerhin hatte er sie praktisch an der Nase herumgeführt. „Hallo?“ „Siri?“, nun tauchte Avrial am Display auf. „Ja, wir sind hier!“, sie zeigte kurz rüber zu Lyze, „Du musst dir keine Sorgen machen, wir sind gleich oben bei euch.“ „Gut… aber darum geht es nicht…“, er richtete verlegen seinen Zylinder, „Könntest du mir kurz Lyze geben?“ „Uhm…“, überrascht sah Siri zum Halbengel, „Klar.“, und übergab ihm das kleine Gerät. „Hallo Avrial… was gibt es denn?“ „Tja, wo soll ich anfangen? Du weißt doch, dass Aira bis vor kurzem bei mir im Schloss war…“ „Bis vor kurzem?“, er zog eine Braue hoch. „Nun ja. Aira, sie ist-“ „Lyyyyyzzee!“, eine bekannte, kindliche Stimme unterbrach das Gespräch, als die zwei schließlich gen Himmel sahen. Siris Reaktion war kurz und schnell: Sie schlug ungläubig die Hände ins Gesicht. Als nun auch Lyze den Grund für die Aufregung sah, ließ er den Kommunikator sinken, aus dem noch Avrials leises Rufen nach ihm ertönte. „AIRA!“, sowohl der Halbengel, als auch Siri riefen und wanken nach ihr, damit sie wusste, wo sie landen sollte: denn sie flog! Auf hellgelben Flügeln lachte sie von oben herab und umkreiste die beiden. Als Lyze schließlich mitbekam, dass ihre kleine Schwester nicht wirklich wusste, wie sie nun richtig landen sollte, erschienen seine Flügel, ehe er sich selbst in die Luft begab. Siri war durch den Windstoß ein wenig zurückgegangen und blickte anschließend zum Geschehen hinauf. Aira schien überhaupt keine Angst zu haben, auch wenn sie etwas unbeholfen Flog. Als Lyze bei ihr ankam, reichten sie sich die Hände und umkreisten sich kurz, bis der Bruder sie an sich heranzog und langsam den Flugwinkel gen Boden änderte. Siri lief voran, dem Schloss entgegen, da Lyze mit ihr vor dem Tor landete. Bei ihnen außer Atem angekommen, hatte sie noch die Satzfetzen „Das ist unglaublich!“ und „Trotzdem hast du Avrial angst eingejagt.“ mitbekommen. „Es tut mir Leid…“, Aira rieb sich sowohl verlegen, als auch traurig eines ihrer Augen. Daraufhin schüttelte ihr Bruder nur den Kopf. „Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Obwohl deine Aktion schon gefährlich war…“, er deutete neben sich, wo Avrial aus dem Schloss gelaufen kam. „Aira!“, rief der Arcaner dabei, „Oh zum Glück, dir ist nichts passiert!“ „Es… es tut mir Leid, Avrial!“, die Kleine verbeugte sich dabei vor ihm, „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist! Zuerst sah ich einfach nur aus dem Fenster, wirklich! Und im nächsten Moment…“ „Ist schon gut. Als Halbengel war es auch bei dir nur eine Frage der Zeit, wie ich finde…“, erleichtert seufzte der Magier kurz, bis er durch die Runde sah. „Ich bin nur froh, euch alle wieder zu sehen.“ Siri nickte noch kurz lächelnd, „Wir auch… das kannst du uns glauben.“, anschließend bot der Arcaner ihnen an, doch ins Schloss einzutreten – denn man durfte nicht vergessen: es regnete immer noch. Auf dem Weg ins Innere erzählte Siri dem Arcaner von ihrer Reise, dabei ließ sie kein Detail aus: der Schneesturm, der unheimliche Mann, der sich als verwandelte, schwarze Kreatur entpuppte, die unerwartete Hilfe von Furah, die Spur, die zu Lyzes Versteck führte, ihre gefährliche Reise, auf der Siri vergiftet wurde, … „Nachdem wir den Weg wieder gefunden hatten, fuhren wir schließlich mit dem Schiff zurück nach Ikana, wo es plötzlich stark anfing zu regnen und Lyze-“, Siri, die die ganze Zeit neben dem Halbengel ging, blieb bei Limius Anblick stehen. Auch Lyze holte kurz Luft, als er nun seiner zukünftigen Tochter gegenüber stand. Diese traute sich zuerst keinen Schritt näher. Sie starrte, komischer Weise, genauso fassungslos in Lyzes Gesicht, wie er ihr. Im nächsten Moment konnte sie nicht mehr anders: die Tränen, die sie zuerst versucht hatte zu unterdrücken, flogen regelrecht durch den Raum, als sie auf ihn zulief und dem sowieso schon verwirrten Halbengel in die Arme fiel. „VATER!“ Siri hatte sich bei dem Anblick ein klein wenig Eifersüchtig zur Seite gedreht. „Was hat sie denn?“, murmelte sie dabei; Avrial sah zu ihr rüber, „Sie tut so, als ob sie ihn das erste Mal sehen würde.“ „Na ja…“, war die lächelnde Antwort des Magiers, „Vielleicht ist es genau so. Niemand weiß, aus welcher Zukunft Limiu stammt…“ Mit einem Mal musste Siri schlucken, blickte dabei zu Avrial: „Du meinst…“, bei seinen Worten fiel ihr als erster Gedanke ein, dass der zukünftige Lyze eventuell seine eigene Tochter nicht einmal kennen gelernt haben könnte… „Keine Sorge.“, lachte der Arcaner, „Tod wird Limius Vater wohl doch nicht sein.“ „Woher willst du das wissen, Avrial?“ „Ich weiß nicht… es ist nur so ein Gefühl.“ „Aha…“, die junge Frau blinzelte dieses ungewöhnliche treffen der Generationen an – sie unterhielten sich prächtig – ehe sie den Kopf senkte. „…Ich habe es Lyze gesagt…“ „Was hat er dazu gemeint?“, wollte Avrial sogleich wissen. „Dass die Zukunft variabel sei…“ Kurz lächelte der Arcaner ihr zu, „Na also…“, ehe sein Blick wieder dem Geschehen galt. „…Manchmal muss man Lyze einfach nur vor den Kopf stoßen.“ Schon wieder hatte dies Avrial gesagt. Natürlich, er hatte in den letzten zwei Jahren oft mit dem Halbengel trainiert. Dabei fand er sicher heraus, was ihn zu neuen Vorhaben und Entscheidungen führte. Dann runzelte Siri sie Stirn. Als ihr Blick langsam zu dem Arcaner wanderte, fiel ihr ein, dass es tatsächlich in den letzten 100 Jahren keinen großen Krieg innerhalb Desterals gab; zuminderst stand davon nichts in den Geschichtsbüchern. Schließlich blieb ihr der Mund offen – sie schien zu erahnen, weshalb Avrial diesen Satz schon wieder losgelassen hatte. Ungläubig schüttelte die dem Magier nur mehr den Kopf zu: „Nein… du hast doch nicht etwa- Ich meine, du warst doch nicht-?“ Der Arcaner hob nur mehr schmunzelnd die Schultern, dann kam er zu Lyze und Limiu rüber: „So, wer hat nun Lust auf einen Tee…?“ Kapitel 14: Ab in die Kindheit (Teil 1) --------------------------------------- Es wurde spät in Ikana. Die Kinder, Aira und Limiu, lagen schon lange in ihren Betten und schliefen, als wäre die finstere Bedrohung der schwarzen Kreaturen nie da gewesen – natürlich, wenn man bedenkt, dass sie froh waren, ihre Familienmitglieder endlich wieder zu haben. Auch Avrial hatte sein Licht ausgemacht – somit erlosch die letzte Lichtquelle im Schloss. Wenngleich alle Lichter in dieser Nacht aus waren, saß Siri in ihrem Gästezimmer am Fensterbrett und schaute hinaus, hinab auf die Insel Ikana und dem funkelnden Meer. Sie hatte sie Beine angezogen, da die Windböen hoch oben kalt waren; außerdem war ein Nachtkleid nicht gerade wärmend. Sie dachte nach. Über den morgigen Tag und die vergangenen Ereignisse. Avrial hatte sie losgeschickt, um Lyze zu finden, damit die zwei in der Zeit zurückreisen konnten – und morgen war es soweit. Was würde sie erwarten? Konnte sie es wirklich ertragen, ihre verstorbene, damalige Liebe noch einmal als Kind zu sehen? Und dann war da noch Avrials tückischer Plan, der Lyze erst den Schupps in Richtung Siri gab… hatte er dies rein aus Freundschaft getan? Vor allem brachte sie diese Erfahrung erst auf den Gedanken, dass er dieses Spiel vielleicht schon eine ganze Weile verfolgt hatte… Doch eventuell machte sich Siri auch nur zu viele Gedanken: Arcaner handeln sehr Intuitiv; vielleicht wusste er einfach schon bei der ersten Begegnung, welchen Wert der Halbengel für sie hatte. Da öffnete sich die Türe: „Oh.“, Lyze blickte kurz in den dunklen Raum, „Es tut mir leid, ich dachte, du wärst noch wach...“, und schon war er wieder dabei, zu verschwinden. „Aber ich bin noch wach.“, die junge Frau drehte sich vom Fenster weg und wartete kurz, bis die Türe sich wieder einen Spalt öffnete. „Nur weil das Licht aus ist, heißt es nicht, dass ich schon schlafe.“ Einen kurzen Moment war Stille zwischen den Beiden, dann öffnete Lyze die Türe ganz. „Und… was tust du?“ „…Ich habe nachgedacht.“, sie lächelte zu ihm, bevor sie sich wieder dem Fenster zudrehte. „Es ist schwer zu schlafen, wenn man weiß, dass man morgen in die Vergangenheit reist…“ Neben ihren Worten kam Lyze näher. „Ich habe einfach Angst davor, Mica… und Mairon noch einmal gegenüber zu stehen.“ Der Halbengel nickte seufzend und setzte sich zu ihr. „Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Meine Familie sah ich zuletzt vor zwölf Jahren…“, er senkte den Kopf, „Was soll ich nur sagen? ‚Hey, ich bin euer Sohn aus der Zukunft; Paps wird unser Leben ruinieren.’ …Avrial würde es sicher nicht gefallen, wenn ich unsere Gegenwart verändere.“ „Lyze…“, Siri sah verständnisvoll zu ihm, „Er hat es mir ebenfalls gesagt. Wir sollen die zwei Teile des Spruches schnappen und sofort wieder umkehren. Wir werden bei der Reise in unser altes Ich versetzt, was so viel bedeutet wie, wir werden wieder Kinder sein. Es ist schwer, aber… wenn wir uns auch wie Kinder benehmen, wird niemand verdacht schöpfen.“ „Das sagt sich so leicht.“, Lyze sah von ihr ab, „Dein altes Leben ist auch nicht in Flammen aufgegangen.“ „Das stimmt nicht.“, die junge Frau legte die Hände auf seine Wangen, weshalb er zu ihr aufsah. „Ich hatte nie eine richtige Familie… mein einziger Anker, Mairon, verschwand Wort- und Grundlos von einer Nacht auf die andere. Alles, was mir in diesem düsteren Land blieb, waren meine zwei Freunde – Mica und Vilior.“, sie schmunzelte, „Gib es doch zu, wir haben beide keine rosige Vergangenheit.“ Nach einem weiteren seufzen, schloss der Halbengel kurz seine Augen, ehe er nickte. „Der morgige Tag wird für uns beide nicht leicht werden.“, ganz unauffällig hatte sich Siri in seine Arme geschummelt, „Das Beste wird sein, nicht darüber nachzudenken und es einfach durchzuziehen. Schließlich machen wir das nicht für uns, sondern für ganz Desteral.“, er streichelte ihr über den Kopf, „Richtig?“, worauf sie kurz lächelnd nickte. „Richtig.“ Der nächste Tag war schnell angebrochen. Der Reihe nach waren Avrial, Limiu, Aira, Lyze und Siri aufgestanden, um gemeinsam beim Frühstückstisch zu sitzen; da Avrial aber bereits fertig war und noch allerhand für die Magie zur Zeitreise zu tun hatte, war er nicht lange anwesend. Während die zwei Großen Butterbrote und Tee zu sich nahmen, leerten sich die Kinder Milch in ihr Müsli. Als Limiu fertig war, gab sie Aira die Milchflasche. „Du, Lyze.“, begann die Schwester, „Ich wollte dich heute Früh wecken, doch du warst nicht im Zimmer…“ Getarnt als Tollpatschigkeit verschluckte sich Siri an ihrem Brot, während Lyze versuchte die Fassung zu behalten. Im Grunde gab es auch nichts, worüber man großartig Ausreden suchen musste; nur weil der Halbengel nicht in seinem Bett schlief, hieß dies noch lange nicht, es sei etwas Außergewöhnliches passiert. „Ich war sehr früh auf den Beinen. Du weißt doch, dass ich noch von der Arbeit gewohnt bin, sehr früh aufzustehen.“ Im Gegensatz zur Schwester, schien dieses Gespräch Limiu kein bisschen zu beeindrucken. Vielleicht wusste sie einfach, dass ihre Existenz trotzdem nicht ins wanken geriet. „Aha…“, Aira stellte die Milch zur Seite und nahm einen Löffel voll Müsli. „Du weißt, welcher Tag übermorgen ist…?“ „Selbstverständlich.“, er lächelte, bevor er ihr quer über den Tisch durch die Haare wuschelte und dabei ihr Müsli zurück in die Schüssel flog, „Das ist der Tag, an dem du offiziell kein Kind mehr bist!“ „Als ein verantwortungsbewusster Teenager ändern sich dann aber auch deine Gewohnheiten.“, Siri grinste und begann auf den Fingern aufzuzählen: „Hausarbeit, Kochen, Wäsche selbst waschen, dir nen Freund suchen, schulische Leistungen aufrechterhalten,…“ „Siiirii!“, Aria wusste, dass sie es spaßig meinte; nach ihrem Ausruf lachten alle gemeinsam. Die Fröhlichkeit hielt jedoch nicht lange an, da Avrial, sich räuspernd unter dem Türbogen stand. „Es wäre dann soweit...“ Nickend erhob sich schon einmal Limiu von ihrem Platz und ging an dem Arcaner vorbei – sie wusste genau, dass das Spektakel in der Bibliothek stattfinden sollte. „Avrial. Gut, dass du hier bist.“, Lyze stand ebenfalls von seinem Platz auf, ging zu ihm rüber, „Siri und ich haben uns Gestern unterhalten.“ „…Und?“ „Wir sind beide der Meinung… dass wenn dieses Vorhaben klappt, wir keine Zeit verschwenden sollten. Wir brauchen eine große Armee, die uns unterstützt, an Destercity ranzukommen; und das weißt du.“ „Natürlich.“, er lächelte, „Hättest du es nicht gesagt, wäre dies mein nächster Vorschlag gewesen.“, der Arcaner ging zu einer Schublade und öffnete diese. Als er Papier und Stifte auf den Tisch gelegt hatte, sprach er weiter. „Schreibt Briefe. Ich werde dafür sorgen, dass sie rasch bei den betreffenden Personen ankommen.“ Siri nickte. „Wunderbar! Was doch nicht alles mit Magie möglich ist…“, sie nahm sich gleich Papier zur Hand, „Ich schreibe an König Vilior. Außerdem kenne ich da einen Katzenmenschen, der Verbindung zum Königshaus Paloozas hat; eventuell kriegen wir also auch von den Tiermenschen Unterstützung.“ „Und ich werde an die Engel schreiben. Herrscherin Alaphantasa wird sicher nicht untätig herumsitzen wollen, wenn sich alle Völker zusammenschließen, um die schwarzen Kreaturen zu verbannen.“ „Hervorragend.“, so der Magier. „Uhm, Avrial…“, begann Siri, bevor er den Raum verlassen konnte, „Wir könnten auch Magie gut gebrauchen. Nicht nur deine…“, sie wartete, bis er sich zu ihr drehte, „Furah wäre da eine hilfreiche Hand-“ „Bist du verrückt?“, nun war der Arcaner nicht mehr zu verständnisvoll, „Ich lade doch nicht meinen Erzfeind ein!“ „Ja aber, warum denn nicht? Wir brauchen jede Hilfe, und Furah-“ „Furah ist- und bleibt ein Dunkelmagier. Er wird Fallen in meinem Schloss aufstellen, die mal wieder erst Jahre später zum Vorschein kommen werden!“ „Ich werde ihm sagen, dass er das nicht darf. Und wenn, dann kann er unsere Freundschaft vergessen!“ „Tss, als ob ihn das Abschrecken würde…“ „Avrial…“, begann nun auch Lyze, „Siri hat recht. Wir kennen nicht sehr viele Magier – um genau zu sein, nur euch zwei. Wir werden Furah beim Sturm auf Destercity brauchen... sei vernünftig.“ Sichtlich konnte man im Gesicht des Magiers sehen, dass ihm diese Tatsache nicht gefiel. Einen ganzen Moment lang starrte er zu den beiden, ehe er ein leises „Hmpf.“ von sich gab und schließlich, sich ergebend, aus dem Raum ging. „Meinetwegen. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt, solltet ihr in eurem Omelett einen Kobold-Fluch oder so etwas vorfinden.“ Die Zwei waren zufrieden mit seiner Antwort. Noch schnell die Briefe fertig geschrieben, machten sie sich anschließend auf den Weg in die Bibliothek. Kapitel 15: Ab in die Kindheit (Teil 2) --------------------------------------- „Was ist so schlimm an diesem Furah?“, wollte Aira noch unterwegs wissen. „Weist du, Aira…“, Siri versuchte es ihr zu erklären, „Eigentlich nicht viel. Einsamkeit zerfraß nach und nach seinen gesunden Geist; es kommt manchmal vor, dass er zwischen Gut und Böse nicht unterscheiden kann.“ „…Aber Avrial war doch genauso einsam…“, Aira sah zwischen Siri und Lyze hin und her, „Kann er also auch nicht von Gut und Böse unterscheiden?“ „Das ist etwas anderes.“, so Lyze, zu ihr lächelnd, „Avrial war nicht völlig allein; und jagte keinen Menschen des Geldes wegen nach.“ „…Eigentlich haben wir alle nur die Angst, dass Furah eines Tages die Kontrolle über seine dunklen Kräfte verliert, verstehst du?“ „Warum hört er dann nicht einfach damit auf?“ „Er kann damit nicht ‚einfach’ aufhören.“, Lyze öffnete die Tür zur Bibliothek, „Laut Avrial werden solche Magier ihr ganzes Leben lang von dunkler Magie begleitet. Und wenn sie Pech haben, ist ihr Geist zu schwach und die Dunkelheit überrumpelt sie.“, er hielt ihnen die große Tür auf, „Genug von Furah; Avrial wartet sicher schon. Tatsächlich waren alle Regale, Tische und Stühle bereits zur Seite geschoben. In der Mitte des Holzbodens war ein großer Kreis, mit zu einem Drittel altarcanischen Zeichen, aus Kreide aufgemalt. Avrial stand daneben und las sich noch einmal die „Beschreibungsanleitung“ auf dem alten stück Papier durch. „Dort fehlt ein Strich.“, er deutete im Stehen auf die Stelle, als sogleich Limiu hinüber hopste und den Buchstaben vervollständigte. „Hey.“, Siri hob zur Begrüßung die Hand und trat näher, „Wir… wären dann soweit…“ „Entschlossenheit klingt anders.“, etwas schmunzelnd senkte Avrial das Papier, „Na, es wird euch nichts geschehen. Folgt meiner Anweisung und ihr kehrt sicher in unsere Gegenwart zurück.“ „Na gut…“ „So.“, dem Arcaner schien es zu gefallen, den Ton angeben zu dürfen, „Dann tretet in die Mitte des aufgemalten Kreises.“ Gesagt, getan. Lyze und Siri stellten sich hinein und sahen fragend zu ihm rüber. „Zeitreisen war mit diesem Spruch eigentlich auf nur eine Person ausgelegt.“, erklärte er und ging im Halbkreis, „Deshalb gibt es auch nur eine Bodenmarkierung. Aber mit zwei Personen sollte dies auch gehen.“ „Sollte?“, Siri schien nervös zu werden. „Keine Panik, Limiu und ich wissen, was wir tun.“, Avrial drückte Lyze seinen Kommunikator in die Hand. „Hat Siri noch deinen? In der Vergangenheit gibt es haufenweise Vorräte an Fendus-Kristallen. Die Reichweite des Gerätes wird somit verdoppelt, ja wenn nicht sogar verdreifacht sein. Ihr werdet somit in Kontakt bleiben können und euch gegenseitig unterstützen.“ „Das Gefällt mir schon eher.“, Lyze gab einen der Geräte an Siri weiter, die mit einem „Mir auch.“ es an sich nahm. „Ihr habt zwei Tage.“, sprach der Arcaner weiter, „Das ist das Maximum. Einen Tag mehr und euer Verhalten wird sich der Vergangenheit anpassen.“ „Wie meinst du da-“ „Dein Zielort Siri, wird das Schloss von Azamuth sein. Wir haben uns diese zwei Tage gut überlegt; den zweiten Teil des Spruches musst du uns am ersten Tag holen. Er wird gut behütet im inneren aufbewahrt; an diesem ersten Tag wird dein Ziehvater zu einer Konferenz gerufen und du bist somit allein.“ „Hey! Sagt mal, woher wisst ihr das!?“ „Limiu hat Bücher über Azamuth gelesen. Sie konnte sämtliche Termine und Konferenzen des Königshauses ermitteln und somit den geeigneten Tag ausfindig machen.“, Avrial drehte sich nach einer Pause zu Lyze, „Deine Zeit den Spruch zu holen, ist am zweiten Tag… er liegt versteckt in einer alten, vergessenen Waldhütte, nahe deines Hauses. Wohl hat dort einst ein sehr alter Arcaner gehaust.“, er zuckte mit den Schultern, „Wie auch immer. Ihr werdet in euer damaliges Alter von acht und zehn Jahren versetzt. Benehmt euch dementsprechend, um nicht aufzufallen.“ Während Avrial weiter sprach, weiteten sich Lyzes Augen, ehe er ungläubig zu ihm starrte: „Der einzige Tag… an dem ich unbewacht im Wald war…“, der Halbengel schlug seine Hände ins Gesicht und konnte nur schwer weiter sprechen: „war… war der Tag… an dem… an dem meine Familie-“ Schuldbewusst senkte der Arcaner den Kopf, „Es tut mir leid… eure Zeit trifft sich nur an diesen beiden Tagen günstig genug.“ „Nein…“, Lyze verließ eilig den Kreis, „Das mache ich nicht! Ihr könnt doch nicht von mir verlangen, noch einmal mit anzusehen wie-“, er stockte kurz, „…Ich mache das nicht.“ „Lyze- so warte doch...!“, eilig lief Siri ihm nach und konnte ihm vor der Tür noch mit einer hinterhältigen Umarmung stoppen. „Niemand verlangt das von dir! Aber… aber es ist sehr wichtig! Du sagtest selbst, wir dürfen nicht lange darüber nachdenken. Wir werden es einfach durchziehen – gemeinsam!“, sie hielt ihm den Kommunikator vor, „Ich werde dich Unterstützen... wann immer du mich brauchst. Du musst es nicht noch einmal alleine durchstehen, versprochen!“ „Vater?“, Limiu wartete kurz, bis er sich seitlich zu ihr drehte, „Niemand zwingt dich. Doch bedenke, dass wir für dich dann einen anderen, ähnlichen Tag suchen müssen. Das Risiko wird sehr hoch sein, von der Familie erwischt zu werden.“, sie sah zu Avrial, „Außerdem ist Zeitreisen enorm anstrengend für den Leiter – in diesem Fall Avrial – was bedeutet, wir könnten dich frühestens erst morgen in eine andere Zeit schicken.“ „Wir würden einen ganzen Tag verlieren.“, fügte der Magier anschließend hinzu. Lyze, der zuerst uneinsichtig war und nur an das verheerende Schicksal seiner Eltern denken konnte, hatte seine Fäuste fest zusammengeballt. Erst nach einigen Momenten löste sich dieser Krampf, ehe er den Kopf senkte. „Einen ganzen Tag…?“, er seufzte tief, „Wir… haben bereits genug Zeit verloren.“ Erleichtert von seiner Reaktion, drückte sich Siri an seinen Arm, „Sehr gut, Lyze!“, bis man auch in den Gesichtern von Avrial und Limiu die große Sorge abfallen sehen konnte. „Aber ich werde mich nicht umdrehen!“, fügte der Halbengel hinzu, „Ich werde nicht zum Haus zurückgehen.“ „Das verlangen wir nun wirklich nicht von dir.“, Avrial drängte die zwei in den Kreis zurück, ehe es sich Lyze noch einmal anders überlegen konnte, „Im Gegenteil. Halte abstand von deiner Familie; du darfst sie auf keinen Fall retten… damit würdest du die Zukunft dramatisch verändern, was für euch eine andere Gegenwart bedeuten würde.“ „Ich… werde es versuchen.“ „Keine Angst, Lyze.“, meinte Siri, „Wir schaffen das schon. Gemeinsam.“ Er sah sie an, bevor er zu lächeln begann und ihr die Hand gab. „Also gut!“, Avrial deutete zu Limiu, sie solle etwas zurückgehen, worauf sie sogleich ans andere Ende zur Tür lief. „Kindheit ist kostbar.“, er schloss die Augen und atmete einmal tief ein. Nach ein wenig Konzentration hob er seine Arme. „Kinderaugen erblicken die Welt aus einem anderen Blickwinkel.“, sprach er weiter, „Alles erscheint sonderbar. Die Sonnenstrahlen. Rhythmus des fallenden Schnees…“, Wind kam urplötzlich auf; Siri hielt sich dabei erschrocken an Lyze fest, als nach und nach Avrials Hände begannen zu leuchten, „Wir alle haben es erlebt. Das Wunder, heranzuwachsen, zu lernen… Das Herz eines Kindes, so rein und unschuldig…!“, nun schloss der Magier wieder seine Augen, bis der Kreis und die altarcanischen Zeichen am Boden begannen zu leuchten, „Nehmt dieses Geschenk an, ihr zwei! Erlebt noch einmal die Welt, aus anderen Augen! Lernt aus diesen zwei Tagen und kommt mit den fehlenden Teilen des Spruches heil zurück.“ Da begannen die leuchtenden Zeichen aufzusteigen, sie umkreisten Lyze und Siri regelrecht. Als sie plötzlich anhielten, wie als wäre die Zeit gestoppt, verschwand auch der Wind aus dem Raum. Avrial lächelte ihnen ein letztes Mal zu, „Viel Glück, euch beiden.“, und schließlich verschwanden sie, mit einem grellen Blitz, aus dem Schloss. Aus Ikana, aus Desteral, aus Aira, in eine andere Zeit – in ihre Vergangenheit. Kapitel 16: Siris Tag --------------------- Schnell hatte Siri die Hände vor ihre Augen geschlagen, als der Blitz, den sie gerade noch in Avrials Bibliothek sah, so grell wurde, dass sie angst hatte, sie könnte erblinden. Ein merkwürdiges Gefühl hatte sich danach breit gemacht; es war eine Mischung aus Achterbahn und dem Springen von einem Zehnmeterbrett in tiefes Wasser. Danach war es still. Sehr still. Siris Hände lagen noch immer auf dem Gesicht. Ihre Atmung war lange Zeit schnell und unregelmäßig. Es brauchte eine ganze Weile, bis dieses Angstgefühl verschwand und sie es wagen konnte, langsam ihre Hände aus dem Gesicht zu nehmen. Sie erblickte graue Mauern vor sich. Halbvertrocknetes Gras unter ihren Füßen; und eine dichte Wolkendecke über ihr am Himmel. Verwundert blickte sie danach an sich selbst runter, da sie ihr altes, sehr altes Sommerkleid trug – sie hatte es zuletzt im alter von acht Jahren getragen. Nach und nach bewunderte sie ihre kleinen, jungen Hände, begutachtete jeden Finger. „Ich bin wieder ein Kind…!“, sie hielt sich den Mund zu: ihre kindliche Stimme hatte sie nach ihren Worten erschreckt. „Salieri?“, eine Hand lag plötzlich auf ihrer Schulter, als sie sich hastig zu dem großen Arcaner umgedreht hatte. „Mairon!“, sie konnte es nicht richtig kontrollieren – sie lief zu ihm und umarmte den weißhaarigen Mann; na ja, zuminderst hang sie an seinen Beinen. Er lachte darauf, bückte sich zu ihr herunter. „Haha, Siri! Ist doch schon gut. Ich verzeihe dir.“ „Du verzeihst mir?“, verwirrt schlug sie die Augen auf, bis sie zu ihm aufsah. „Habe ich denn- oh! Ohh, ach das meinst du!“ – in Wirklichkeit wusste sie nicht mehr, wovon er sprach – „Bitte entschuldige! Ich werde es nie wieder machen, versprochen!“ „In Ordnung.“, er legte seine Hand auf ihren Kopf, „Geht es dir auch gut…?“ „Aber natürlich doch. Alles bestens, wirklich!“ „Na dann…“, Mairon stand vom Boden auf, „Ich habe heute Nachmittag eine wichtige Konferenz im Schloss. Wenn du willst, darfst du mich begleiten.“, er schmunzelte, „Dein Freund Mica würde sich sicher freuen.“ Siri nickte stumm und wartete, bis Mairon sich zum Gehen umdrehte. Sie winkte ihm noch nach und versuchte mit diesen Satz von ihrer merkwürdigen Art abzulenken: „Ich werde noch ein wenig draußen Spielen gehen. Bis später!“ Endlich war er außer sichtweite. Erleichtert atmete Siri stark aus, stützte sich nach ihrer Nervosität sogar auf den Knien ab. Danach murmelte sie leise zu sich selbst. „Das halte ich keine zwei Tage durch…“ Plötzlich – Siri sprang erschrocken zur Seite, als unter ihr der in die Vergangenheit mitgenommene Kommunikator im Gras begann zu läuten. „Oh man, du Mistding!“, sprach sie beim Aufheben, „Mach das bloß nicht, wenn Leute in der Nähe sind…“, und drückte den Knopf, um den Anruf zu empfangen. „Hallo Lyze.“, meinte sie, „Du glaubst es nicht, bei mir ging es hier gleich mal rund. Lyze…?“, irgendetwas stimmte nicht. Der Kommunikator schien doch nicht so einwandfrei zu funktionieren: statt Lyze war auf dem Bildschirm nur Rauschen zu sehen. Aber wenigstens konnte sie ihn hören: „Ich bin in meinem Haus aufgetaucht, es ist niemand hier…“, genau wie Siri, klang Lyzes Stimme sehr kindlich; mit dem Unterschied, dass Siri nie einen Stimmbruch durchmachen musste und sie sich darum noch eher wie sie selbst anhörte, „Sie sind wohl alle draußen; würde mich nicht wundern, wenn ich meine Mutter als erstes finde.“ Nun konnte das Mädchen nicht mehr anders: sie brach im kindlichen Lachen aus, als sie ihn zugehört hatte. „Tut- tut mir leid!“, sie lachte, „Deine Stimme! Du-“, nun kamen ihr schon die Tränen, „Du klingst so süß!“ „Ach…“ er sah sich im Zimmer um, „Bist du gut angekommen? Vergiss nicht, heute die Formel aus dem Schloss mitzunehmen.“ „Werde ich.“, allmählich konnte die kleine Siri sich beruhigen, „Es ist gefährlich, uns gegenseitig anzurufen… was hältst du davon, wenn wir uns eine Zeit für heute Abend ausmachen? Sagen wir um elf? Da sind wir sicher schon beide im Bett.“ „In Ordnung. Ich werde mich inzwischen ein wenig umsehen.“ „Mach das. Hab einen schönen Tag, Lyze!“ „Danke. Den wünsch ich dir auch.“ Der Kommunikator war aus und Siri verstaute ihn in ihrer kleinen Kindertragetasche. Es war ein komisches Gefühl, wieder ein Kind zu sein; aber irgendwie auch ein schönes. Währenddessen stand Lyze in seinem alten Kinderzimmer. Ein Holzboden unter ihm, ein schlichtes Bett an der Seite und ein paar wenige Spielzeuge sollten stumme Zeugen der baldigen Verwüstung werden. Das Fenster war weit geöffnet; der Wind, so warm und sacht, hob die dünnen Vorhänge zur Seite. Die Sonne schien. Lyze erinnerte sich genau an diesen milden Sommer. Er ging hinaus auf den knarrenden Flur, die alte Holztreppe hinab. Noch genau konnte er sich an diese, für seine damalige Größe, riesigen Stufen erinnern. Er drehte den Türknauf, schritt hinaus, in die warme Sonne. Da war sie: seine Mutter. Ihr seidig goldenes Haar wehte im Wind, als sie die letzte Wäsche an der Leine befestigte und sich anschließend zu ihrem Sohn umdrehte – das erste Lächeln von ihr, seit knapp zwölf Jahren, würde Lyze nie mehr vergessen wollen. Er nickte sacht und entgegnete ihr selbst mit einem sanften Lächeln. „Hallo, Mama.“ Gemeinsam mit Mairon spazierte die kleine Siri am späten Nachmittag den Weg durch das dämonische Dorf entlang. In Azamuth war es im Prinzip genau wie in Desteral; es gab Hütten und solide Steinhäuser, Gärten, Bäume und Blumen, Seen und Flüsse, freundliche, sowie unfreundliche Nachbarn. Die größten Unterschiede bestanden wohl darin, dass erstens der Himmel immer bewölkt war und kaum Sonne durchließ und zweitens, gab es hier kaum menschliche Wesen. Eine Nachbarin schenkte Siri noch einen süßen Apfel aus ihrem Garten – dann ging es ab zum Schloss, Mairon wollte schließlich nicht zu spät kommen. Siri erinnerte sich: an das große Tor und die vielen, nach Stall riechenden, Muskelbepackten Wächter, an die vielen Fackeln und die dunklen Flure im Schloss; Azamuth wurde seit jeher von Vampiren, dem Adelsgeschlecht des Landes, regiert. Damals, als Siri ein Mädchen war, saß noch Viliors Vater auf dem Thron; er war wohl schon sehr alt. Ein alter, verbitterter Mann, mit einem Hang zu Traditionen. Denn, von Siris jetzigem alter ausgesehen, wird sich Prinz Vilior in knapp zwölf Jahren in eine menschliche Frau verlieben – dieses Ereignis wird der beginn eines unnötigen Krieges werden. „Du, Mairon?“, fragte Siri, die Hand haltend neben den großen Mann herging. Sie wartete kurz, bis er zu ihr hinab sah. „Du kommst direkt unter dem König, nicht war?“ „Ja, das ist Richtig.“ „Heißt das, du bist ein Ritter, wie Knight Tarrence? Stehst du mit ihm auf einer Position?“ Mairon sah Augenbraun gehoben zu ihr. „Woher rührt diese plötzliche Neugier…?“ „Uhm… ich, äh-“ „Ja, wir beide stehen unter dem König. Schau Salieri, es gibt insgesamt drei Ritter, die den König beschützen und im Land für Recht und Ordnung sorgen: Tarrence, Hector und ich. Hector ist im Außendienst, also in einem anderen Land stationiert. Tarrence bildet die Truppen aus, für den Fall, dass es irgendwann einen Krieg gibt.“ „Krieg…? Und was machst du?“ „Ich bin für die Wächter im- und außerhalb des Schlosses zuständig.“, er wuschelte ihr durch die Haare, „Jetzt weißt du aber genug.“, er deutete auf ein Fenster, „Schau, Mica wartet im Schlossgarten auf dich.“ Siri sah ihm nach, als ihr Erzieher ihre Hand losließ und gerade aus, auf ein großes Tor zuging. „Ich hole dich, wie immer, nach der Konferenz ab, ja? Sei brav.“ Das Mädchen nickte, wartete bis das Tor geschlossen wurde und lief schließlich hinaus in den Garten. Sie blieb stehen und musste Schlucken, als sie den Jungen mit den smaragdgrünen Augen beim Brunnen sitzen sah. „M-mica?“ Der Kleine sah auf: „Siri!“, sprang vom Brunnen und lief zu ihr, „Schön dich wieder zusehen!“ „Wie geht es dir?“, sie musterte ihn, „Bist du gewachsen…?“ „Uhm… keine Ahnung. Bin ich das?“, er nahm ihre Hände, „Pass auf, der König will mich bei seiner Konferenz dabei haben!“ „Ich weiß… als Muse musst du ihm zur Seite stehen, huh?“ „Ja… aber danach können wir gerne spielen! Oh, sofern Mairon dich nicht gleich wieder mitnimmt.“ Die kleine Siri nickte, „Keine Sorge. Ich werde mit ihm reden, dann kann ich vielleicht länger mit dir spielen. Was sagst du?“ „Ja, das ist eine großartige Idee!“, Mica lächelte bis über beide Ohren, „Dann spielen wir Fangen, ok?“ „Liebend gerne. Nun geh schon, ehe sich die Leute fragen, wo du bleibst!“ Er nickte noch fröhlich, dann verschwand er im Inneren des Schlosses. Mica war ein armes Kind gewesen. Nie durfte er die dunklen Mauern verlassen, geschweige denn hatte er Spielzeug oder persönliche Gegenstände. Als Muse geschaffen, musste er einfach immer für seinen König da sein. Wenn man bedenkt, dass er vor vier Jahren heraufbeschworen wurde, hatte er sich schon prächtig bis heute entwickelt; Mica war schlau, doch redete nicht viel. Siri sah ihn immer nur dann lächeln, wenn er sie erblickte. Seine einzige Freundin; bis auf Prinz Vilior. Das war Siris Chance. Sie wusste, dies wird ihr einziger Versuch bleiben, im Schloss nach der altarcanischen Formel zu suchen. Vorsichtig schlich sie sich zurück ins Schloss und an einer Pattroulierenden Wache vorbei. Wie die Formel genau aussah wusste sie zwar nicht; aber sie hatte den Verdacht, es sei ein altes Stück Papier, genau wie dieses, welches bereits in Avrials besitz war. Nach drei falschen Türen, zwei Schlafgemächern und einer scheinbar nie gesäuberten Küche, stieß Siri schließlich auf eine gut bewachte Tür mit zwei Wächtern. Sie sah um die Ecke, zu den beiden sich unterhaltenen Dämonen auf. Irgendwie musste sie die zwei loswerden; aber wie? Da bröckelte beim anlehnen der Steinwand ein Stückchen ab und viel zu Boden. Sofort sahen die beiden Wachen mit einem „Was war das!?“ auf und folgten dem Geräusch um die Ecke. Das Mädchen blieb unentdeckt; sie hatte sich unter einer Holzbank versteckt, bis die zwei nicht-sehr-hellen Dämonen vorbeigelaufen waren. Nun kam sie hervor, putzte sich ab und ging gelassen zu der eigentlich gut bewachten Tür. Siri musste sich strecken, um an die Türklinke zu gelangen – als diese dann nach unten gedrückt war, sprang schließlich die schwere Türe auf und gab das Geheimnis dahinter frei. Überglücklich spazierte sie hinein – ehe ihr das Gesicht einschlief. „Ein Schlafzimmer!?“ Und zwar ein Reich geschmücktes! Sie hatte eindeutig das Königsgemach gefunden. „Salieri…?“ Oha. Diese Stimme kam ihr nur allzu bekannt vor… „M-Mairon…“, sprach sie beim umdrehen, ganz verlegen, „So schnell fertig? I-ist die Konferenz etwa schon zu E-“ „Sei nicht so vorlaut.“, sprach der weißhaarige Arcaner im scharfen Ton, „Ich wusste es, darum bin ich dir gefolgt. Du bist nicht meine Siri.“ Kapitel 17: Enttarnt! --------------------- Nun hatte Siri keine andere Wahl mehr. Mairon hielt sie für einen Formwandler, einen Spion aus einem der anderen Teile Azamuths, der möglichst viel über das Königsschloss in Erfahrung bringen wollte. So erzählte sie ihm nichts anderes, als die Wahrheit: dass sie aus der Zukunft komme. Bis dies aber der Arcaner glauben konnte, musste Siri ihm einige Dinge aufsagen, die nur sie allein wissen konnte. Nach unzähligen Aufzählungen und Kindergeschichten, rund um Mica, Vilior, Azamuth und Mairon, konnte er schließlich nicht anders, als ihr zu glauben. Im Prinzip benahm sie sich ja wie in ihrer Kindheit, einzig der Wissensdrang hatte sie verraten. Erleichtert darüber, seine Ziehtochter war nicht durch einen Formwandler ausgetauscht worden und gleichzeitig über die Tatsache verblüfft, sie kam dafür aus der Zukunft, hatten die zwei sich im einsamen Schlossgarten auf die Stufen gesetzt. Siri schämte sich darüber, aufgeflogen zu sein. Tief hatte sie ihr Gesicht in den Knien vergraben, während ihr Mairon nach einigen Minuten des Schweigens auf den Rücken klopfte. „Na na, so schlimm ist das doch nicht. Ich werde dich nicht nach der Zukunft fragen, dann wird sich auch nichts verändern, versprochen.“, dabei sah Siri leicht Stirn gerunzelt auf, „Aber sag mal, Salieri… was tust du in deiner eigenen Vergangenheit?“ „Nun ja…“, sie schniefte, „Wenn ich dir das Verrate, erzähle ich ja doch etwas über die Zukunft.“ „So…?“ „Ich suche nach der altarcanischen Formel.“, platzte es schließlich aus ihr heraus. „Nach der-“, Mairon dachte, er könnte nach Siris Überraschung nicht noch verblüffter sein, „Woher weißt du von ihr?“ „Na ja…“, schließlich seufzte sie und überlegte laut: „Da du mit meiner Zukunft nichts zu tun hast, denke ich, kann ich es dir auch ruhig erzählen…“, sie setzte sich auf, „Ich kenne da einen schlauen Arcaner, der einen Plan zur Rettung der Welt entwickelt hat.“ „Was?“, irgendwie konnte Mairon ihr nicht ganz folgen, doch stach ihm das Wort „Arcaner“ hervor. „Das ist schön… zu wissen, dass es noch immer andere von uns gibt.“ „Ja, gell?“ Siri nickte fröhlich und hatte das Gefühl, ruhig mehr über Avrial verraten zu können. „Er ist lange allein gewesen und darum ein kleines bisschen Eigenartig; aber auch ein guter Freund und Gastgeber.“ „So? Und hast du noch weitere Freunde?“, Mairon schmunzelte, „Einen Freund vielleicht?“ „Ähem, nun, äh…“, ein wenig rot und verlegen, kratzte sie sich am Genick, ehe das Mädchen nach links und rechts schaute und Mairon andeutete, er solle näher kommen, damit sie ihm etwas ins Ohr flüstern konnte: „Er ist ein Halbengel…“ „Ein Halbengel! Na das ist eine Überraschung!“ „Ssshhht! Nicht so laut!“ „Haha, keine Sorge! Hier im Garten hört uns niemand. …Und sonstige Freunde und Freundinnen?“ „Na ja, neben dem guten Arcaner gibt’s dann noch seinen ‚Erzfeind’. Avrial tut immer so, aber im Grunde glaube ich, dass sie sich noch immer gut leiden können. Der andere ist wirklich ein schräger Vogel. Er lebt in den Wäldern und übt allein die dunkle Magie aus.“ „Die dunkle Magie?“, Mairon überlegte kurz, „Es gibt sie noch?“ „Oh ja.“, die Kleine seufzte, „Bin gespannt, wann Furah die Kontrolle verliert…“ Plötzlich fror Mairon das Gesicht ein. Starr schaute er das Mädchen ungläubig an: „S-sagtest du Furah…?“ „Uhm… ja.“ „Du sagtest in den Wäldern. Etwa irgendwo im Nachbarland Desteral? Wie ist sein Nachname, weißt du das? Furah Saci vielleicht?“ Überfordert hob Siri die Schultern: „Ja, in Desteral. Keine Ahnung wegen dem Nachnamen, vielleicht. Wieso bist du plötzlich so aufgebracht, Mairon? Kennst du Furah etwa?“ „Er… er ist mein Bruder.“ „Waaaaaa-aaas??“, mit einem völlig entsetzten Blick war Siri langsam aufgestanden und starrte Mairon ins Gesicht: „Du… du machst jetzt Witze, oder? Das ist ein Witz, damit ich die Zukunft locker sehe, nicht war? Der war nämlich nicht gut… gar nicht gut, weißt du?“ Tief bestürzt und kopfschüttelnd seufzte der Arcaner einmal tief aus. „Es ist meine Schuld… hätte ich ihn nicht alleine gelassen, würde er nicht der dunklen Magie verfallen sein…“ „Bitte Mairon!“, Siri rüttelte ihn mit ihren kleinen Kinderhänden, „Bitte sag mir, dass das ein übler Scherz ist! Ich…“, sie schlug die Hände ins Gesicht, „Ich will Furah nicht zum Onkel haben!“ Auf ihre Worte hin musste Mairon schmunzeln. Er streichelte ihr über den Kopf und sah gen Himmel. „Ich hätte ihn nie alleine lassen dürfen.“ „M-machst du dir jetzt vorwürfe?“, Siri setzte sich wieder neben ihren Erzieher, „Es tut mir leid, das hätte ich dir nicht erzählen dürfen…“ „Nein, ist schon gut. Mir tut es leid… es war meine Schuld.“ „Aber wieso? Du konntest doch gar nichts dafür…“ „Salieri… ich hatte schon vor deiner Zeit ein langes Leben.“ „Ja… ich weiß… irgendwie.“ „Du musst wissen, Furah und ich wurden damals noch in Arcan geboren… unsere Mutter ist bei seiner Geburt gestorben.“ „Das- das wusste ich nicht.“ „Ich war damals jung, um die zwanzig Jahre alt… unsere Mutter wollte, dass ich mich um Furah kümmere; doch in Arcan war es durch den zerteilenden Krieg zwischen den Magiern und dunklen Magiern sehr gefährlich geworden… und unser Vater war bereits gefallen. Ich beschloss, mit Furah aus dem Land zu flüchten. Auf unserer Reise machte ich mir das erste Mal Gedanken – ich kam zum Entschluss, nicht für ein Baby sorgen zu können. Ohne Arbeit und Obdach hatte ich keine andere Wahl, als Furah in die Obhut eines Weisenhauses zu geben.“, er senkte den Kopf, „Lange reiste ich umher. Quer durch Desteral, von einem Ende zum anderen; bis ich an der Grenze von Azamuth von einem Ritter überrascht wurde – Tarrence. Nach einem langen Kampf, der unentschieden endete, ergriff ich die Chance, meinen Platz in dieser Welt zu finden. Tarrence klärte mich auf, wurde zu einem guten Freund.“, Mairon schmunzelte kurz, „Er brachte mich in Azamuth unter. Ach, so viele Kämpfe bestritten wir gemeinsam… dies ging über ein halbes Jahrhundert so.“, er lächelte zur aufmerksamen Siri, „Dann fand ich an der Grenze eine in den Graben gestürzte Kutsche. Ein leises Weinen hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Es gab leider keine Überlebenden… bis auf dich.“ „Und… in dieser Kutsche… hattest du da jemanden gesehen, der mir ähnlich sah?“ „Du willst wissen, ob ich deine Eltern sah.“, Mairon blickte von ihr weg, „Ich bin mir nicht sicher… und auch weiß ich nicht, ob du das wissen willst.“ „Das ist doch so lange her… na ja, für mich jedenfalls.“, sie lehnte sich zu ihm. „Bitte erzähl es mir! Wie sahen sie aus?“ „Nun… die Frau, die du versucht hattest zu wecken, hatte sachtes, blondes Haar. Sie trug ein wunderschönes Kleid, wohl warst du aus reichem Hause.“ „Und- und mein Vater?“ „Braune Haare. Einen gepflegten Bart, der ihn älter erschienen ließ, als er eigentlich war.“, er schmunzelte wieder, „Den Kutscher konnte ich leider nicht finden, sonst würde ich ihn dir auch näher beschreiben.“ „Ach, Mairon!“, Siri lachte und stieß ihn dabei, „Darüber macht man keine Witze!“ „Ja…“, er dachte noch einmal an seinen kleinen Bruder, „Darüber scherzt man nicht.“ Nach einer langen Pause wechselte der Erzieher schließlich das Thema: „Die Formel, die du suchst, hatte ich einst aus Arcan mitgenommen. Sie ist ein altes Relikt, weshalb ich nicht wollte, dass sie zerstört wird.“, er stand schließlich auf, „Ich gab sie dem König, wo sie nun wie ein Schatz im Schloss gehütet wird… ich denke, du weißt bereits, dass ich sie dir nicht einfach so geben kann, wo sie nun Azamuth gehört.“ „Ja…“, Siri seufzte kurz einsichtig und ging ihm nach. „Das dachte ich mir bereits.“ Sacht bekam Lyze einen Kuss auf die Stirn gedrückt, bevor seine Mutter ihn gut zugedeckt hatte. „Morgen kommen Pa und Akyu zurück. Freust du dich schon?“ Der Junge nickte lächelnd. „Ja… dann kann ich endlich wieder mit Akyu spielen!“ „Du hast ihm bestimmt einiges zu zeigen, nicht war?“ „…Ich habe heute einen Teich hinter dem Hügel gefunden, den muss ich ihm zeigen.“ „Ach, der Teich…“, seine Mutter schüttelte sanft lächelnd den Kopf, ehe sie sich zum gehen bereit umdrehte und die Türklinke in die Hand nahm. „Gute Nacht, mein kleiner Engel.“ Lyze hatte diesen Kosenamen völlig vergessen gehabt. Erst jetzt, wo er wieder ein Kind war, verstand er die Ironie dahinter; dass die Mutter ein Engel war, hatte er damals nie erfahren. „Du… Mama?“, er setzte sich auf und wartete, bis sich seine Mutter noch einmal zu ihm umdrehte. „Was ist denn, mein Schatz?“ „Ich wollte dir nur sagen…“, er lächelte, „Ich hab dich lieb.“ Seine Mutter lachte leise, ehe sie zur Tür hinaus schritt und das Licht abdrehte. „Ich dich auch… Träum was Süßes.“ Mit einem Seufzen legte er sich in sein Kissen zurück und wartete, bis die Schritte seiner Mutter nicht mehr zu hören waren. Ihm kam die Frage auf, wie es wohl Siri erging. Es war gefühlt elf Uhr, weswegen sich der Junge auf den Bauch drehte und den Kommunikator hervor holte, den er bei seiner Ankunft in der Lade unter seinem Bett versteckt hatte. Noch ein paar Knöpfe gedrückt und die Verbindung zum Gegenstück, welches Siri besaß, wurde aufgebaut. „Lyze, was soll denn das!?“, ertönte es daraus, „Ich habe mich fast zu Tode erschreckt, wegen der plötzlichen Unterbrechung der Stille! Fast war ich eingeschlafen.“, Lyze musste grinsen, was Siri zum Glück wegen dem fehlenden Bild nicht sehen konnte. Er dachte sich schon, diese Reaktion musste bedeuten, dass es ihr gut ging. „Bist du allein?“ „Ja.“, antwortete Siri, „Mairon schläft nebenan. Wie geht es dir?“ „Ganz gut… ich war mit Mutter allein. Mein Vater kommt morgen mit meinem Bruder nach hause.“ Siri murmelte in die Decke. „Wenn du wüsstest, wer noch nen älteren Bruder hat…“ „Was?“ „Nicht so wichtig. Erzähle ich dir, wenn wir wieder wir sind.“ „Du meinst… wenn wir zurück in unserer Zeit sind.“ „Ja… das. Es… es tut mir leid.“, begann sie plötzlich. „Was tut dir leid?“ „Lyze, ich habe die Formel nicht! Ich… ich wurde von Mairon erwischt…“ „Oh. Das-“ „Keine Sorge, ich habe ihm nichts über unsere Gegenwart verraten. Und dafür habe ich einiges in Erfahrung bringen können. Avrial hatte recht, aus seiner Vergangenheit kann man wirklich etwas lernen.“ „Das ist schön für dich… ich hoffe, ich kann auch etwas mitnehmen.“ „Bist du- bist du gar nicht sauer?“ „Sauer? Weswegen?“ „Wegen der Formel! Ich habe sie nicht! Du müsstest mich hassen, weil ich es vermasselt habe!“ „Siri, beruhige dich.“, er lächelte, auch wenn sie es nicht sehen konnte. „Es gibt immer einen zweiten Weg – und morgen ist auch noch ein Tag. Und selbst wenn nicht, kann dich Avrial zu einem anderen Zeitpunkt zurückschicken. Im Gegensatz zu mir hast du viele Gelegenheiten, das Schloss zu durchsuchen. Du musst beim nächsten Mal einfach besser aufpassen, dass du dich wie in deiner Kindheit benimmst.“ „Lyze…“, er konnte ein Schluchzen hören, „Ich möchte dich am Liebsten durch den Apparat durch umarmen.“ Daraufhin lächelte er, bevor daraus ein unterdrücktes lachen wurde – schließlich wollte er nicht von seiner Mutter entdeckt werden. „Dann musst du wohl warten, bis wir wieder in unserer Zeit sind.“ „Ich werde es versuchen…“ „Sei nicht traurig, ja? Du musst mir morgen Abend schließlich noch beistehen.“ „Das werde ich! Du kannst dich auf mich verlassen!“ „Gut. Dann wünsch ich dir eine gute Nacht.“ „Gute Nacht! Uhm, sag mal… glaubst du, sind unsere Träume nun intensiver, wo wir wieder Kinder sind…?“ „Nein, ich denke nicht… wieso?“ „Nur so. Ich habe als Kind gerne geträumt.“ „Das tust du jetzt noch.“ „Ok. Stimmt. Gute Nacht!“ „Siri?“ „Ja?“ „Ich liebe dich.“ Darauf hin kam lange keine Antwort. „Siri? Siri, bist du noch da?“ „Tut mir leid-“, sie räusperte sich, „Ich musste nen Schulmädchen-Quietscher unterdrücken… sonst wecke ich Mairon.“ Nun musste wieder Lyze sein lachen unterdrücken, ehe er den Kopf schüttelte. „Schlaf gut.“ „Du auch.“ Kapitel 18: Lyzes Tag --------------------- Der Tag in der Familie Noshyru begann früh. Lyze war in seiner eigenen Zeit fast immer der erste auf den Beinen, doch hier war er oftmals der Letzte. Zuminderst an diesem Morgen konnte man seine Mutter bereits um sechs Uhr durch die Flure schleichen hören. Keine Stunde später kamen Lyzes Vater und sein großer Bruder Akyu zurück – sie waren für zwei Tage unterwegs gewesen, hatten dabei Fische gefangen und Lebensmittel aus dem nahe gelegenem Dorf mitgebracht. Erst gegen acht Uhr wurde Lyze durch die Gespräche im unteren Stockwerk wach; nicht zuletzt kam Akyu eilig die Stufen herauf gelaufen, klopfte noch höflich an Lyzes Tür, bevor diese mit kraft aufgestoßen wurde: „Guten Morgen, Lyze!“ „Hey, was-“, wie immer musste der kleine Bruder erst registrieren wo er war – und dieses mal auch wann. „A-akyu.“, der Junge setzte sich verschlafen auf, „Ihr seid schon zurück?“ „Natürlich! Wir haben übrigens Fische gefangen.“, er hopste neben Lyze aufs Bett und sah ihm dabei ins Gesicht. „Schlafmütze.“ Allmählich konnte sich der Junge aus der Zukunft wieder einleben und grinste sogleich: „Das ist nicht fair! Das nächste Mal geh ich mit Paps Angeln!“ „Träum weiter.“, meinte sein Bruder, Arme in die Hüfte gestemmt, „Du fängst doch sowieso nichts!“ „Doch, tue ich wohl! Du wirst schon sehen, ich werde die größten fangen!“ „Jaajaa.“, nun hopste Akyu zurück auf den Boden und lief zur Tür: „Mama will, dass ich dir sage, du sollst frühstücken gehen.“ „So? Das hättest du aber auch gleich sagen können, anstatt anzugeben!“ „Ätsch!“, noch schnell die Zunge rausgestreckt, lief der große Bruder auch schon wieder hinfort, die Stiegen hinab. Akyu. Sein Gesicht hatte Lyze schon völlig vergessen gehabt. Seine blauen Augen hatten einen Ausdruck von Stärke, sein Mund immerzu ein freches Grinsen. Die Blonden Haare waren gleich der von Lyze, nur länger. Nach dem Umziehen folgte der Junge seiner Familie in die Küche, wo es erstmal Frühstück gab. Der erste Anblick des Vaters war für ihn nicht ganz Selbstverständlich – Lyze musste beim Essen immerzu in seine müden Augen sehen. Er konnte nicht verstehen, es nicht fassen, dass dieser freundliche und gutmütige Mensch, sein Vater, heute diesen enormen Fehler begehen wird. Auch wenn schwarze Haarsträhnen in sein Gesicht hangen, konnte er sehen, wie er von seinem Sohn immerzu angestarrt wurde. Nun, als sein Blick zu ihm fiel, sah Lyze es das erste Mal in seinen dunkelblauen Augen: den Hang zur Magie, welcher seit jeher die Arcaner zu den Wesen machte, die sie sind – auch wenn im Blut seines Vater nur zur Hälfte das eines Magiers floss. „Na, Lyze?“, fragte er freundlich, „Hattest du gestern einen schönen Tag?“ „Uhm- klar! Ich habe einen Teich entdeckt, mit Kaulquappen darin!“, der Junge drehte sich zu seinem Bruder, „Akyu, den muss ich dir unbedingt zeigen!“ „Ach, meinst du den, hinter den westlichen Hügeln? Den kennen wir doch schon…“ „Ehrlich?“ „Hast du es etwa schon vergessen?“, Akyu schüttelte den Kopf, „Dummkopf, das war doch erst letzte Woche!“ Bei diesen Worten sah der Vater wieder zu Lyze. Nun musste sich der Junge irgendwie herausreden… „Oh, wirklich?“, er kratze sich verlegen am Kopf, „Ich dachte, der von letzter Woche war der Teich im Süden.“ „Nee, du.“, so Akyu, der aufgegessen hatte, „Der im Süden war zu dem im Westen nur ne Pfütze. Hey, ich hab eine Idee! Lass uns heute doch den dicken Baum in der Nähe des östlichen Waldes beklettern – vielleicht können wir da oben ja ein Baumhaus bauen!“ Richtig, das Baumhaus. Lyze fiel es nun wieder ein: in seiner Zeit war es ein unfertiges Gestell am zerfallen. „Uh, klar. Warum nicht?“ „Dürfen wir, Paps??“, so Akyu, ganz aufgeregt. „Ja, dürfen wir?“ Der Vater sah zwischen seinen Söhnen hin und her, ehe er nickte. „Ja, warum eigentlich auch nicht?“ Da mischte sich die Stimme der Mutter aus dem Wohnzimmer hinzu: „Aber seit zum Mittagessen wieder hier!“ „…Aber seit zum Mittagessen wieder hier.“, so der Vater, lächelnd. „Bis Mittag schaffen wir aber kein Baumhaus…“ „Ach Lyze.“, Akyu klopfte ihm beim Vorbeigehen auf den Rücken, „Morgen ist auch noch ein Tag!“ „Stimmt ja…“, Lyze folgte seinem Bruder, nach einem seufzten, „Morgen…“ Nach einem Gehweg von etwa fünf Minuten war der besagte, dickte Baum erreicht. Er ragte riesig empor, weshalb die Jungs ihren Kopf weit nach oben richten mussten. Während Akyu fröhlich um ihn herum lief und eine geeignete Stelle zum Klettern suchte, ging Lyze durch den Kopf, wie alt dieser Koloss von einem Baum sein musste. Bestimmt war er bereits zu Zeiten seiner Ururgroßeltern hier. Der Bau des Baumhauses und somit der Vormittag verging ziemlich rasch. Die Brüder mussten fünf Mal hin und her laufen, um alle Materialien, wie zum Beispiel Holzbretter, beisammen zu haben. Nach dem Mittagessen – Lyze hatte das Gekochte seiner Mutter genossen – spielten die zwei Brüder vor dem Haus mit Holzschwertern. Akyu wunderte sich, wieso ihn Lyze plötzlich immer besiegen konnte, dachte aber nicht weiter drüber nach. Ihm waren diese Niederlagen eher ein Ansporn, um noch mehr zu trainieren; punkto Schwert wollte er so gut werden wie er nur konnte, so wie sein Vater einst. Kaputt vom vielen Kämpfen, ließen sich die Zwei schließlich ins weiche Gras, unter dem damals noch jungen Weidenbaum fallen. „Da!“, meinte Akyu beim Hochschauen, „Ein Eichhörnchen…“ „Mhm.“, müde drehte sich Lyze auf den Rücken; sein junger Körper konnte längst nicht so viel einstecken, wie in der Zukunft. Nach einigen Minuten des Schweigens – und des Wolken Betrachtens, blickte Lyze zu seinem Bruder. „Du, Akyu…“ „Hm?“ „Ist dir… jemals etwas Komisches an unseren Eltern aufgefallen?“ „Nein… warum fragst du so was?“ „Nur so… weil mir klar wurde, wie wenig wir eigentlich über ihre Vergangenheit wissen.“ „Stimmt.“, Akyu drehte sich seitlich zu ihm, „Ich habe Paps noch nie danach gefragt, wie er so gut mit dem Schwert wurde…“ „Und wie er Mama kennen gelernt hat…“ „Und wieso Oma uns nicht mehr besuchen kommt.“, bei Akyus Worten wusste Lyze die Antwort – mit Sicherheit war sie verstorben und die Eltern wussten einfach noch nicht, wie sie es ihren Söhnen am Besten klarmachen sollten. „Sag mal… auch wenn das jetzt etwas komisch klingt, aber ist dir aufgefallen, ob Mama in letzter Zeit an Gewicht zugelegt hatte?“ „Gewicht?“ „Ob sie dicker war.“ „Ach, ob sie fett war!“ „Akyu…“ „Ja, sorry. Weißt du, die letzte Zeit war sie wirklich etwas fett, jetzt wo du mich fragst… aber jetzt sieht sie wieder super aus!“ „Das tut sie, ja…“ „Eigentlich war sie, bevor wir Papas Freunde mit ihm besuchen waren, ziemlich fett – und als wir nach zwei Wochen wieder zuhause waren, wieder schön dünn.“ „Du meine Güte…“, Lyze hatte sich entsetzt aufgesetzt, als er dies hörte. „Alles okay?“ Auch wenn es ihm schwer fiel, nickte er. „Natürlich – mir wurde nur gerade klar, wie sehr Mama trainiert haben musste, während wir weg waren.“ „Ja!“, Akyu war stolz aufgestanden, „Nun weißt du, woher wir unsere Stärke haben!“ „Das wird es sein.“, schmunzelte Lyze, „Ganz bestimmt. Gehen wir hinein? Mama meinte vorhin, sie hat backt einen Kuchen!“ „Oh lecker – ich bin der erste!“, und schon war der große Bruder losgelaufen. Im nächsten Moment folgte ihm auch Lyze. „Nicht, wenn ich zuerst da bin!“ So verstrich allmählich der Nachmittag. Die Söhne halfen ihrer Mutter beim Backen, Lyze durfte sogar die Glasur vom Löffel lecken, bis Akyu meinte, er solle ihm etwas übrig lassen. Später folgte das Abendessen, die Nachspeise bildete natürlich der Kuchen. Ihre Mutter hatte an dem Tag einiges zu tun und war wieder mit dem Waschen der Kleidung beschäftigt, so kümmerten sich die Jungs auch noch um den Abwasch: Akyu spülte ab, Lyze trocknete das Geschirr. Schließlich war alles weggewaschen und der große Bruder lief nach draußen, um den Vater zu begrüßen, der gerade den Hügel hinauf kam. Auch die Mutter ging mit dem schweren Korb nasser Kleindung nach draußen. Lyze blieb noch eine Weile in der Küche und trocknete die letzten Gläser ab. Sein Blick fiel dabei aus dem Fenster vor ihm, auf die sinkende Sonne, die den Himmel und Hügeln in einen sanften orange hüllte. Schwer schluckte er, denn er wusste, dies war das Zeichen, dass der zweite und somit letzte Tag seiner Kindheit langsam verstrich. Als schließlich kein Geschirr mehr übrig war, schritt er langsam voran, zur Haustür. Er konnte das Lachen seines Bruders und der Mutter vernehmen – sie schienen Spaß zu haben, so senkte Lyze den Kopf. Trotz dem Wissen, die letzten Stunden seien angebrochen, legte er lächelnd eine Hand auf den Türknauf, ehe er, fröhlich wie immer, hinaus zu seiner Familie kam. „Lyze, da bist du ja!“, Akyu war zu ihm gelaufen und lachte, „Ich dachte schon, du bist beim Abtrocknen eingeschlafen!“ „Na, wirklich aufregend ist das auch nicht!“, so die lächelnde Antwort. „Kinder…“, der Vater kam überraschender Weise hinzu, sah langsam zu den beiden hinab. „Ich erwarte heute noch einen Besuch. Warum spielt ihr nicht in euren Zimmern weiter; euch würde bei unserem Gespräch nur langweilig werden.“ „Waaaas, jetzt schon?“, maulte Akyu, „Ich will aber noch draußen spielen!“ Der Vater schien zu überlegen. „Nun…“ „Was… ist mit dem Wald?“, Lyze sah zu seinem Bruder, „Den wollten wir doch noch erkunden, oder?“ „Ja richtig!“, er zupfte an der Hose des Vaters, „Dürfen wir? Dürfen wir noch ein wenig in den Wald!?“ „Akyu…“ „Ich pass schon auf Lyze auf! Dazu nehme ich meinen Stock und wenn ein Monster kommt – BUM!“ „Ich weiß nicht, ob mir das so Recht ist…“ „Na ja, wenn es zu gefährlich ist…“, Lyze sah zu seiner Mutter, die sich gerade zum Wäschekorb bückte, „Kann Mama doch mitkommen? Sie kann uns sicher sagen, welche Früchte schon Reif sind und welche erst im Herbst so weit sind.“ Der Vater wuschelte Lyze daraufhin durch die Haare. „Wie schlau du doch nicht bist.“ „Oh, liebend gern…“, so die Mutter, wobei in Lyze sogleich die Hoffnung aufkam, sie könne den Tag überleben, „Aber ich habe noch die ganze Wäscheleine vor mir. Geht ruhig; ich vertraue da Akyu. Aber seid bitte wieder beim Haus, wenn die Sonne untergegangen ist.“ „Jaaa!“, Akyu zog Lyze ein Stückchen mit sich, in Richtung Wald. „Das war eine großartige Idee! Vielleicht finden wir Tiere, die sich erst bei Dämmerung zeigen!“ „Ja…“, Lyze folge ihm mit einem kaum hörbaren Seufzen in Richtung Wald, „Vielleicht.“ Kapitel 19: Trauma ------------------ Fröhlich summte Akyu beim Spaziergang durch den Wald und schlug dabei mit einem Stecken an jeden Baum und Strauch, an dem die zwei Jungs vorbeikamen. Sein kleiner Bruder trottete ihm langsam hinterher. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, hinzu mischte sich ein erdrückendes Gefühl der Machtlosigkeit: Lyze wollte am Liebsten umdrehen und zurück zum Haus laufen, denn er wollte nicht wahrhaben, dass die letzte Stunde seiner Familie angebrochen war. Theoretisch hätte er seinen Vater warnen können. Zwar wäre er als Zeitreisender aufgeflogen, doch ein Treffen mit dem Vampir hätte es dann bestimmt nie gegeben – doch dies wäre eine grobe Veränderung der Zeit und könnte zur Folge haben, dass er Siri niemals kennen gelernt hätte und der Krieg vor zwei Jahren nie ein Ende gefunden haben könnte. So schluckte er einmal kräftig und versuchte den Gedanken an die nahe Katastrophe zu vergessen. Da im Laufe des Spazierganges ein immer größerer Abstand zwischen ihm und Akyu entstand, blieb der große Bruder schließlich stehen und wartete einige Momente auf ihn. Als Lyze schließlich zu ihm aufholte, stemmte sein Bruder die Hände in die Hüfte und verdrehte bei seinem Anblick den Kopf. „Alles okay? Du wirkst, als ob du gleich schrecklich losheulen würdest!“ „Tue ich das…?“, Lyze sah zu ihm auf und versuche, so gut es ging, seine Sorgen zu verheimlichen. „Quatsch, das bildest du dir ein.“ „So? Du lügst doch… Ja, du lügst! Ich sehe es ja, du bist schon den ganzen Tag so komisch!“, nun verschränkte er die Arme, „Hat Mama mit dir geschimpft? Oder ist dir schlecht vom Essen? Sag mir was los ist, oder ich erzähle es ihr!“ „Akyu…“, Lyze fiel es langsam wirklich schwer, in seiner Kinderrolle zu bleiben, „Schau, ich kann es dir nicht sagen. Es… es ist nicht so schlimm wie es scheint… na ja…“, er legte eine Hand auf seine Schulter, „Hör zu. Ich kann dir ihm Moment nicht sagen, was mich bedrückt. Kannst du das verstehen?“ „Uhm, dann sagst du es mir eben vorm Schlafen gehen.“ „Ja…“, der kleine Bruder musste über seine Antwort schmunzeln, „Wenn du willst, gerne. Aber…“ „Aber?“ „Du… du musst mir etwas wichtiges Versprechen…“ Inzwischen, in Azamuth, fiel auch allmählich Siri auf, dass der letzte Tag der Vergangenheit langsam sein Ende nahm. Sie saß draußen, auf den Stufen ihres Hauses und wartete auf Mairons Rückkehr. Er war heute unerwartet verschwunden, ohne der kleinen Tochter etwas zu sagen. So zog Siri seufzend die Knie an und blickte auf die am Horizont sinkende Sonne. Ein leichtes Gefühl von Kälte machte sich breit. Ob dies an der Temperatur lag, konnte sie nicht sagen – denn ihr ging zugleich durch den Kopf, dass sie, also ihr älteres Ich, bald aus dem kindlichen Körper verschwinden würde. Wenn es so wie die Reise in die Vergangenheit ablief, musste sie sich auf eine Achterbahnfahrt einstellen – so ihre Gedanken. Da: Mit der Sonne im Rücken, tauchte Mairon hinter den einfachen Behausungen des Dorfes auf und kam den Weg entlang. Siri setzte sich auf, als er näher kam und ihr ein zusammen gerolltes Stück Papier, gehalten durch ein Band, entgegen hielt. „Mairon, ist das…?“, überrascht blickte sie in sein Gesicht, ehe sie zögernd nach der Rolle griff. „Nimm sie. Ich will es so.“ Als sie schließlich aufgestanden war und die Rolle in den Händen hielt, lächelte sie traurig zu ihrem Erzieher. „Das ist die altarcanische Formel, nicht war? …Vielen Dank. Aber wie hast du-?“ „Verstecke sie, bis du in deiner Zeit zurück bist.“, dabei lächelte er, ganz gelassen und ohne reue. „Du hast sie gestohlen…!“ „Wenn es der Zukunft hilft? Außerdem würde sie im Schloss nur vergilben.“ „Mairon! Du- du wirst dafür gejagt werden! Wenn sie dich erwischen, dann-“ „Keine Sorge.“, er schmunzelte wieder, „Bis die Dämonen entdecken, dass da etwas fehlt, werden Jahre vergehen.“ „Jahre…?“, Siri senkte den Kopf. Traurig schaute sie auf die Rolle, denn ihr wurde klar, wohin Marions Tat eines Tages führen wird. „Was hast du?“, Mairon kniete sich zu ihr hinab legte sorgvoll die Hände auf ihre Schultern, „Deine Mission ist erfüllt – du solltest Glücklich sein.“ „Du wirst fortgehen.“, schluchzte sie leicht. „Was?“ „Du wirst wegen der Formel fortgehen, ehe die Dämonen dahinter kommen, dass du es warst.“, sie sah auf, „Es stimmt doch, oder!?“ „Siri…“ „Also doch.“, sie drückte die Rolle an sich, „Weißt du… eigentlich wusste ich es bereits. Aber… aber jetzt kenne ich den Grund dahinter.“, sie sah traurig lächelnd in sein Gesicht, „Irgendwie ist das eine Erleichterung.“ Zuerst fühlte sich Mairon aus Gründen, die noch gar nicht passiert sind, schuldig. Als er dann aber erkannte, dass sein Fortgehen unwiderrufbar geschehen wird, stand er seufzend auf und legte Siri seine Hand auf den Kopf. „Vielleicht muss es kein Lebwohl für immer sein?“ „Wie meinst du das…?“ „Ganz einfach, meine Kleine.“, er lächelte zu ihr hinab, „Wenn ich mir eine Nachricht schreibe, damit ich mich an unser Gespräch erinnere, könnte ich eines Tages-“ „Mairon, nein…!“, Siri schüttelte den Kopf, „Wenn du mich aufsuchst, veränderst du die Zukunft… lass es gut sein.“ „Hm, ich verstehe.“, er zog die Hand von ihrem Kopf und entfernte sich ein paar Schritte. Anschließend blickte er zur am Horizont verschwindenden Sonne. Im selben Moment schaute das Mädchen zur Seite und überlegte eine Weile. Sollte sie Mairon wirklich nie wieder sehen? Da durchfuhr Siri ein schauriges Gefühl. Erschrocken ließ sie in dem Moment die Rolle fallen, als sie auf ihre Hände starrte. Als sich dann Mairon sorgvoll zu ihr umdrehte, hob sie hastig die Rolle wieder auf. „Alles ok, mir geht es gut.“, sie lächelte verlegen, „Der letzte Tag geht nur zu Ende…“ Auf den fragenden Blick seines Erziehers hin, versuchte es ihm Siri zu erklären: „Avrial gab uns zwei Tage, um die fehlenden Teile der altarcanischen Formel zu finden. Wenn es finster wird, werden wir in unsere Zeit zurückversetzt. Also… bitte nicht wundern, nach Sonnenuntergang wird Siri wieder das achtjährige Mädchen sein, wie du sie kennst.“ „Ich verstehe.“ „Uhm, Mairon…“, sie fasste sich an die Stirn, „Bevor ich gehe, hätte ich da doch noch eine Bitte an dich…“ Hilflos irrte ein Junge im Wald, nahe seines Heimes umher. Lyze spürte im gleichen Moment wie Siri, dass die Zeit langsam knapp wurde. In seiner Panik hatte er Akyu aus den Augen verloren, obwohl er sich für dieses Mal geschworen hatte, seinen großen Bruder nicht allein im Wald zurück zu lassen. Immer wieder rief er nach ihm, blieb stehen, lauschte, lief weiter und rief erneut. Seine schallenden Worte schreckten Vögel und Waldtiere auf, doch sein Bruder war einfach nicht zu sehen. Als Lyze erneut stehen blieb und nach Akyu rief, wanderte sein Blick langsam nach links: eine alte, verwucherte Waldhütte kam zum Vorschein. Das musste sie sein. Das musste die Hütte sein, von der Avrial meinte, dass ein alter Arcaner einst die Formel hier liegen gelassen haben musste. Doch ging dem jungen Halbengel in diesem Moment für ihn wichtigere Dinge durch den Kopf. Sehrwohl wusste er, dass sein Geist bald in die Zukunft zurück reisen würde – doch vorher wollte er unbedingt noch etwas für seine Familie tun. Gerade, als er einen Schritt von der Hütte wegmachte, klingelte der Kommunikator in seiner Tasche. Lyze fühlte sich in seinem Handeln gestört, doch gleichzeitig war er froh, dass Siri endlich anrief. Er gab stumm den Anruf frei und lauschte. „Lyze, ich habe sie! Jetzt wird alles gut, Mairon hat mir die Formel gebracht!“ Kurze Zeit trat stille ein. „Wie sieht es bei dir aus? Hast du die Formel?“ „Ja… nein, ich stehe vor der Hütte.“ „Wunderbar!“, während Siri weiter sprach, wehte beißender Qualm in Lyzes Richtung, woraufhin er sich die Hand vor die Nase hielt. „Lauf schnell hinein und hol sie dir, dann kann nichts mehr schief gehen!“ „Nein.“ „Was?“ „Ich… ich kann nicht.“, Lyze tat sich immer schwerer beim Sprechen, „Ich werde umdrehen, den Rauch entgegen – noch ist es nicht zu spät…!“ „Nein!“, Siri schrie regelrecht in das Gerät, „Lyze, du wirst nur enttäuscht werden, außerdem reicht dafür die Zeit nicht aus! Du musst dich auf die Mission konzentrieren; bitte, die Formel ist entscheidend-“ Fest entschlossen von seiner Tat, senkte der Junge das Gerät in seiner Hand, ehe die Verbindung zu Siri völlig abbrach. „Lyze!“, Siri saß verzweifelt in der Wiese und schrie auf das Gerät ein, immer und immer wieder. „Lyze, bitte, antworte mir…!“ Währenddessen stand Mairon etwas abseits und hatte seiner Tochter aus der Zukunft zugesehen. Er verstand nichts von dieser Technik, doch wusste er genau, dass sich Siris Partner eindeutig für den falschen Weg entschied. Als dann kleine, funkelnde Sterne von Siri aus begannen aufzusteigen, richtete er seinen Blick noch ein letztes Mal gen Horizont: die Sonne war vollkommen verschwunden. „Es ist soweit.“, dabei trat der Arcaner näher an Siri heran. „Nein!“, sie schluchzte, „Lyze wird die Zukunft verändert haben! Ich kann noch nicht zurück!“ Nur mehr lächelnd schüttelte Mairon den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es so ist. Da bin ich mir ziemlich sicher…“, und wank ihr, als sich die Sterne vermehrten, noch einmal zum Abschied. Siri wollte sprechen, doch kamen keine Worte. Stattdessen fühlte sie leicht – federleicht. Nicht einen Moment später durchlebte sie noch einmal die gleiche Achterbahn, wie bei ihrer Reise in die Vergangenheit. Avrial und das Kind der Weisheit traten leicht zurück, als die Zeitreisenden wieder auf der Bodenmarkierung in der Bibliothek erschienen – für sie sind keine zwei Tage, sondern gerade einmal zwei Minuten vergangen. Taumelnd fasste sich die ausgewachsene Siri auf den Kopf, da sich alles drehte; Lyze fiel währenddessen auf die Knie und schlug mit einem „Verdammt!!“ kräftig auf die Holzdielen. Als die Umherstehenden aufschraken, schlug er abermals auf den Boden ein, ehe er sich krümmte und begann zu weinen. Auf diese Reaktion war keiner im Raum wirklich vorbereitet. Nicht einmal Limiu wollte etwas sagen und senkte stumm den Kopf. Schließlich setzte sich Siri zu ihm und schloss den schwer erschütteten Lyze fest in die Arme. Dabei hatte sie die Augen geschlossen – als ihr Blick dann doch kurz zu Lyze schweifte, sah sie die altarcanische Formel in seiner Hand. Verblüfft ließ sie daraufhin von ihm ab: „Du warst in der Hütte…?“ „Ich konnte nichts tun…!“, meinte er verzweifelt, „Ich war dort, aber-“ „Ach Lyze…“, sie nahm ihn wieder in die Arme, ehe er weiter sprach. „Aber… es war zu spät.“ „Das tut mir so Leid für dich…“ Lyzes Miene verzog sich wütend: „Doch ich konnte die Fratze des Mörders sehen.“, und senkte den Kopf. „Ich werde ihn finden. Ich schwöre, ich werde ihn finden und zur Strecke bringen…!“ Da fiel Avrial ins Gespräch: „Ehe du das tust… solltest du einen Blick zur Tür werfen.“, er stemmte dabei die Hände in die Hüfte, „Habe ich nicht gesagt, ihr sollt die Gegenwart nicht verändern…?“ Nun sahen sich Siri und Lyze gegenseitig fragend an. Beide glaubten in dem Moment, der andere hätte einen Eingriff vorgenommen. Tatsächlich aber war es dann der Halbengel, der verweint, mit großen Augen zur Tür sah, als der Mann, der dort Arme verschränkt stand, „Hallo Lyze.“, lächelte. „Akyu…“ Lyzes ungläubiger Blick war in dem Moment einfach nur Unbezahlbar. Der Mann trat näher: auf seinem Rücken trug er ein Schwert, sein Blick, der durch die blauen Augen fiel, war nach wie vor Frech und die blonden Haare etwas länger als bis zur Schulter. Siri half Lyze hoch, als sich sein – auch jetzt noch größerer Bruder – vor ihn Stellte und auf die Umarmung wartete. Auch Aira, die Abseits bei Limiu saß, hatte zuerst überlegend die Augenbrauen zusammengezogen, ehe sie hellauf lächelte: „Boah, wie cool ist das denn?! Ich habe zwei Brüder!“ „Ja aber-“, Siri deutete verwirrt zwischen den sich in den Arm geschlossenen Brüdern hin und her, „Wie ist das denn nun möglich?“ „Ach, das ist nicht schwer.“, erklärte Akyu, „Lyze bat mich bei unserer letzten gemeinsamen Zeit um ein Versprechen: er meinte, ich solle mich vom brennenden Haus fern halten. Als ich ihn im Wald verlor, suchte ich zuerst nach ihm – dazu kletterte ich auf einen Baum und sah, dass unser Haus tatsächlich brannte. Ich verstand zuerst überhaupt nicht wieso; bis ich diesen schwarzen Typen, mit dem Paps immer sprach, sah. Nach eifrigem Überlegen wusste ich, dass auch Lyze sicher weggelaufen war. So beschloss ich schweren Herzens das Versprechen einzuhalten und kehrte dem Haus und dem Mörder den Rücken… so klein wie wir waren, konnten wir sowieso niemals etwas ausrichten. Doch leider konnte ich auch danach Lyze nicht ausfindig machen und setzte mich im Sonnengebirge ab.“, Akyu seufzte, „Ich machte mich vor kurzem bei der Armee des Lichts, also bei den Engeln schlau, wo sich Lyze aufhielt und fand schließlich heraus, dass er sich des Öfteren mit einem Magier, wohnhaft in Ikana, trifft.“, er hob die Schultern, „Nur schade, dass mein Freund nicht mitreisen wollte. Es war ihm zu ‚gefährlich’.“ „Dein Freund?“, lächelnd wurde er von Siri angesehen, ehe sie ins Grübeln kam: „Moment… meinst du Freund-Freund?“ „Ja doch, Schätzchen.“, er stupste sie leicht. Ebenfalls perplex zogen sich die Stirn von Limiu und Aira zusammen. „Also, ganz ehrlich.“, Lyze umarmte seinen Bruder noch einmal, „Das ist mir so was von egal.“ „Ähem…“, nun räusperte sich Avrial, „Nun, der Tag scheint Erfolgreich gewesen zu sein… in jeder Hinsicht. Gebt Limiu und mir bis Morgen zeit; dann kann die Reise in die Zukunft beginnen.“, er drehte sich zu Akyu, „Das Schloss ist groß genug – wir haben sicher auch ein Gästezimmer für dich. Ich richte es dir gern neben Siri und Aira ein.“ „Ach, keine Sorge: du bist mir zu alt.“ Avrial trat zur Tür, in dem Wissen, dass Akyus Aussage ohne weiteres ignoriert werden konnte. „Kommt mir nach, in den Speisesaal, wenn ihr fertig mit der Begrüßung seid.“ Kapitel 20: 6. Reise in die Zukunft ----------------------------------- Endlich war eine große Hürde hinter sich gebracht: Lyze und Siri konnten Erfolgreich die zwei fehlenden Teile für den altarcanischen Spruch mitbringen und hatten dabei sogar ein wenig aus der Vergangenheit gelernt. Nicht zu vergessen bekam die Familie Noshyru mehr oder weniger neuen Zuwachs, als Lyzes und Airas großer Bruder Akyu hinzu stieß. Er hatte eine selbstbewusste Art und etwas Weibliches an sich. Siri erzählte allen, als sie im Speisesaal zusammen saßen, von ihrem Abenteuer in der Vergangenheit. Dass sie, trotz aufgeflogener Tarnung, prima mit Mairon auskam und er ihr die fehlende Formel aus dem Schloss gestohlen hatte. Dies war auch der Grund, weshalb er später bei Nacht und Nebel Azamuth verlassen musste. Als alle glaubten, Siri sei fertig mit ihrer Geschichte, kam die Krönung: sie erzählte, Furah sei Mairons kleiner Bruder und somit ihr Onkel. Natürlich konnte ein Großteil der Anwesenden zuerst nicht glauben, was Siri da erzählte – nicht zuletzt hatte sich Avrial an seinem Tee verschluckt – jedoch fragten sie sich auch, warum ihre Geschichte nicht stimmen sollte. Akyu musste noch allerhand über seine Geschwister erfahren – vor allem Aira – weswegen sie sich nach dem großen Plan der Reise in die Zukunft zurückzogen. Auch Siri zog sich zurück – die heutigen Ereignisse hatten sehr an ihren Kräften gezerrt, weshalb sie zur gleichen Zeit wie Limiu ins Bett ging. Trotzdem konnte sie nicht schlafen. Wach lag sie in ihrem großen Bett und drehte sich in der Dunkelheit hin und her. Der Plan über die Reise in die Zukunft wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Nicht zuletzt war der Auslöser, dass Avrial und das Kind der Weißheit ganz klar erwähnten, dass Siri die Reise alleine antreten musste. Sie erinnerte sich noch genau an das Gespräch: „Zwei Personen in die Vergangenheit zu schicken ist keine große Sache.“, meinte Avrial, „Jedoch die Zukunft ist etwas komplizierter.“ „Etwas viel mehr komplizierter, um genauer zu sein.“, so Limiu, „Avirals Magie allein wird nicht reichen.“ – Und wenn die Magie eines Meisters nicht reichte, hieß es schon was. Avrial kam wieder zu Wort. „Wir haben darum beschlossen, dass mir Lyze dabei hilft. Es ist nicht sehr schwer, er muss sich rein nur darauf konzentrieren, seine Magie abzugeben.“ „Und schwupp – ist Siri in der Zukunft.“, fügte Limiu hinzu. In der Zukunft. Allein, ohne Hilfe an Siris Seite. Bei dem Gedanken daran kauerte sie sich klein zusammen und brauchte somit nur ein viertel des großen Bettes. Der nächste Harken daran war, dass sie, anders als in der Vergangenheit, nur einen Tag Zeit hatte. Was musste sie denn nun eigentlich genau tun? Limiu erklärte es ihr wie folgt: „Meine Mutter kennt die Antwort darauf, wie die schwarzen Kreaturen zu besiegen sind. Sie hat ein altes Relikt, eine Waffe, mit der dies möglich ist. Du wirst dich mit ihr treffen, dann wird dir alles genau erklärt.“ Noch schlimmer. Siri kaute an ihrem Kopfkissen, so sehr nagte die Eifersucht an ihr – sie wird sich verflixt zusammenreißen müssen, um der Mutter von Limiu und damit Lyzes zukünftige Liebste nicht die Augen auszukratzen. Es war einfach unmenschlich, so was von ihr zu verlangen. Doch wer, außer Siri, sollte in die Zukunft reisen? Akyu? Er war längst noch nicht vollständig in die Geschehnisse eingeweiht, um eine so große Verantwortung auf sich zu nehmen. Aira war zu jung dafür und Limiu würde, wenn man sie in ihre Zeit zurückschickt, vermutlich nicht mehr in die Gegenwart gelangen. So blieb die Aufgabe an Siri hängen. „Ah, verflucht!“, genervt von ihren Gedankengängen, hatte sie sich ruckartig aufgesetzt und dabei mit ihren Händen die Haare zerzaust. Kurz nachdem sie es festgestellte hatte, seufzte sie über sich selbst und trottete hinüber zum Spiegel. Sie sah sich zuerst ganz nah darin an, dann vorbei, zum rechts gespiegelten, breiten Fenster, aus dem das Mondlicht sacht ins Zimmer drang und ihr ein wenig Licht spendete. Siris Gedanken um die Reise ließen ihr selbst dann keine Ruhe, als sie die Bürste in die Hand nahm und sich mehrmals durch die Haare fuhr, bis diese wieder halbwegs glatt waren. Da sah sie einen Schatten. Nicht im Zimmer, sondern am Fenster. Die Augenbrauen überlegend zusammengezogen, blickte sie schief in den Spiegel und legte die Bürste zur Seite. Als sie dann Flügelschläge hörte und jemand auf dem Fensterbrett landete, drehte sie sich überrascht, die Hände vor die Brust geschlagen, um. Im nächsten Moment sanken diese und die junge Frau konnte beruhigt ausatmen. „Lyze…“ Er stand beim offenen Fenster, hielt sich dabei am Rand fest und blickte lächelnd in ihre Richtung. Sie kam näher zu ihm, fragte aber dennoch mit leicht schief gelegten Kopf: „Was machst du denn hier…?“ „Ich genieße die Aussicht auf Ikana.“, lächelnd hielt er anbietend seine freie, rechte Hand zu ihr. Die junge Frau war verunsichert und trat somit einen kleinen Schritt zurück. „Komm.“, er lächelte abermals; er schien sich im Gegensatz zu Siri seiner Sache sicher zu sein. „N-“, sie griff nach der Hand, „Na schön. Aber lass mich nicht fallen, hörst du?“ Sanft zog Lyze die junge Frau in seine Richtung, ans Fensterbrett. Siri dachte, er wolle ihr nur die Aussicht zeigen, stattdessen begann er mit den Flügeln zu schlagen. Aus Erinnerungen wusste Siri noch genau, dass der Halbengel nur alleine fliegen konnte – so schrak sie auf und wollte zurück in ihr Zimmer flüchten, doch Lyze ließ sie nicht vom Fensterbrett steigen. Er flog bereits und zog sie abermals nach draußen. „Gib mir deine zweite Hand.“, meinte er, „Vertraue mir. Ich lasse dich nicht fallen.“ Nur mit zögern ließ sie den sicheren Fensterahmen los und gab ihm die zweite Hand. Ihre Beine wollten den Boden nicht verlassen, die junge Frau war wie verwurzelt – sie schloss die Augen und versuchte ihr Wissen über die Schwerkraft zu vergessen. Lyze hielt sie dabei die ganze Zeit über an den Händen. Als sie schließlich einen Schritt aus dem hohen Schlossraum machte, zog er sie wieder, dieses Mal direkt zu sich. Leicht in Panik merkte Siri, dass sie jeglichen Grund hinter sich gelassen hatte und klammerte sich fest an den Halbengel. „Du kannst loslassen.“, lachte er ein wenig, „Dir passiert nichts.“ Lyze fasste sie um die Hüfte – kurz leuchteten seine Hände dabei hellblau auf, ehe er sie nun ein wenig von sich wegdrückte. „Hab keine Angst. Du kannst nicht fallen.“ „Huch…?“, ein wenig überrascht hatte Siri plötzlich das Gefühl, von einer unsichtbaren Macht in der Luft gehalten zu werden. Tatsächlich konnte sie, beim Blick nach unten, nichts als die weit entfernten Bäume und Klippen des Berges sehen. Erleichtert, doch gleichzeitig ziemlich verblüfft, blickte sie wieder auf zu Lyze, der langsam seine Hände von ihren Hüften nahm. „Ich… ich schwebe! Aber wie…?“ „Magie kann mehr, als verletzen oder nützlich zu sein. Auch ein wenig Selbstlosigkeit kann sie schaffen.“ „Lyze!“, nun blickte sie überwältigt um sich, „Das ist einfach fantastisch!“ „Besser als am Fenster zu sitzen?“ „Viel besser.“ Stumm schmunzelten die zwei einander zu. Die junge Frau sah von Lyze ab und spielte sich ein wenig verlegen mit ihren Fingern. Der Moment war magisch, nicht nur im wesentlichen Sinn – er hatte sich scheinbar viel Mühe gegeben, Siri mit dieser Nacht zu überraschen. Nach einem Moment der Stille blickte sie noch einmal um sich, in die Weite der Landschaft und anschließend zu dem fast sternenklaren Himmel. Sie traute sich nicht, sich von dem Halbengel zu entfernen, denn sie befürchtete, dass der Schwebe-Zauber dadurch nachlassen könnte. Dann griff Lyze nach ihrer Hand, „Komm. Ich weiß, wo die Aussicht am Allerbesten ist.“, und flog steigend mit Siri aufwärts. Windböen wurden in dieser Höhe nun stärker, die junge Frau hatte allein die Sorge, ihr Nachtkleid könnte nach oben wehen – so hielt sie es während des Fluges mit einer Hand fest. Oben angekommen, landete Lyze langsam auf dem höchsten Dach des Schlosses von Ikana. Gleichzeitig mit ihm spürte auch Siri wieder einen Grund unter ihren Füßen, der Halbengel zog sie dazu sacht hinab. Von dem Anblick des endlosen Himmels, der Sterne und dem Horizont überwältigt, setzten sich beide, auf die schiefe Ebene des Daches, nieder. Eine ganze Weile starrten sie stumm in die Weite. Zwar saßen beide direkt nebeneinander, doch mehr körperlichen Kontakt, als eine berührte Hand, gab es vorerst nicht. Mit der Zeit kehrten in Siri ihre Gedanken wieder. Als der Halbengel zu ihr blickte, konnte er klar erkennen, dass der morgige Tag kein leichter Brocken für sie darstellte. Auch wenn es nicht zum Thema passte, sprach Lyze die junge Frau darauf an. „Du machst dir Sorgen… wegen der Zeitreise, nicht war?“ Stumm sah Siri daraufhin in sein Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Es tut mir leid.“ „Das muss dir doch nicht Leid tun… an deiner Stelle wäre ich genauso besorgt.“ „Nein… es ist nur…“, nachdem sie den Kopf gesenkt hatte, sprach sie weiter, „Die alte Leier. Ich muss Limius Mutter gegenüber stehen. Was ist, wenn ich mich nicht beherrschen kann…?“ „Siri… ich kann es dir gerne noch einmal erklären.“, lächelnd legte er einen Arm um sie, „Darüber stimmt mir sicher auch Avrial überein: Zeit ist relativ. Zeit ist keine Linie, die sich gerade durch in die Unendlichkeit zieht.“, er lachte kurz, „Du glaubst doch nicht etwa, dass wenn ich beschließe, mit dir zu Leben, Limiu nie geboren sein wird?“ Nun sah Siri wieder zu ihm auf. „Keine Sorge, Siri. Limius Gegenwart wird unverändert bleiben. Das einzige, was sich ändert, ist unsere gemeinsame Zukunft.“ Darauf musste die junge Frau lächeln. „…Das hast du schön gesagt.“, sie legte den Kopf auf seine Schulter, ehe sie wieder in die Weite Airas blickten. Als kein Satz mehr kam, fiel Siri schließlich doch noch etwas ein, womit sie das Schweigen brechen konnte. „Lyze, darf ich dir eine Frage stellen?“ Interessiert drehte er sich zu ihr. „Wieso habt ihr… also Akyu und du, erst so spät Erfahren, dass eure Mutter ein Engel ist?“ „Nun ja… es ist so, dass meine Mutter nie Flügel trug.“, nebenbei setzte sich Lyze bequemer hin, „Ich nehme an, mein Vater half ihr per Magie die Flügel zu verstecken. Wahrscheinlich hätte sie auf dem Boden zuviel Aufsehen erregt.“ Kurz überlegte Siri und schaute anschließend gerade aus, in den Nachthimmel. „Verstehe…“ „Akyu wusste scheinbar noch länger nichts davon.“, er musste schmunzeln, „Als ich ihn nach seinen Flügeln fragte, antwortete er nur „Welche Flügel?“; scheinbar hat er mehr von unserem Vater geerbt, als Aira und ich.“ „Oh... das ist mal interessant.“, Siri hob den Kopf von seiner Schulter; sie fasste sich am Nacken, da ihr noch eine Frage zu dem Thema durch den Kopf ging. Doch weil sie den Abend nicht zerstören wollte, behielt sie die Frage für sich. „…Bedrückt dich noch etwas?“, so Lyze. „Nein, nicht direkt… ich weiß nicht, ob ich dich das Fragen kann. Es hat etwas mit deiner schweren Vergangenheit zu tun.“ „Du kannst mir die Frage ruhig stellen. Ich werde schon nicht davon fliegen.“ „Ok, uhm… du wirkst so fröhlich… obwohl du doch heute das selbe Trauma noch einmal durchleben musstest.“, sie sah ihn schief an, „Hat dich wirklich allein Akyus Auftauchen vergessen lassen, was da passierte?“ Kurz sah Lyze die junge Frau schweigend an, wobei sie schon dachte, sie habe den Moment ruiniert. Doch dann begann er lächelnd den Kopf zu schütteln: „Selbstverständlich habe ich nicht vergessen, was dieser Mörder meinen Eltern angetan hat. Aber… ich denke, ich habe mich mit dem ins Leben eingreifenden Ereignis endlich abgefunden.“ „Huh-?“, kurz wirkte Siri überrascht, als der Halbengel näher zu ihrem Gesicht kam und ihre Wange streichelte. „Wenn der Verlust nicht gewesen wäre… hätte ich all diese Abenteuer nie erlebt. Auch hätte ich Avrial und besonders Aira niemals getroffen. Aber vor allem würdest du mir in meinem sonst wohl langweiligen Leben fehlen.“ Die Reaktion von Siri war sowohl kurz, als auch lang zugleich: sie schloss die Augen und küsste ihn sanft auf den Mund. Ehe sie sich von ihm lösen konnte, erwiderte Lyze den Kuss, der somit lang andauerte. Die beiden hatten nicht gerade den besten Start in eine Beziehung. Seitdem sie sich ihre Liebe gestanden, hatten sie immer nur kurzweilig zeit für sich. So war es klar, dass sie selbst den kleinsten Kuss genossen. Gerade als die beiden die Augen wieder öffneten, wehten heftige Windböen vorbei, die Siri zum zittern brachten. „Ist dir kalt?“, Lyze hatte ein wenig für diese Reaktion gebraucht. „Ein bisschen…“ „Oh, wie konnte ich das vergessen…?“, schnell stand er auf und half Siri schmunzelnd mit einer Hand hoch, „Du sitzt im Nachtkleid da; es wundert mich nicht, dass dir kalt wurde.“ „Na ja…“, sie hob die Schultern, ehe sie die Arme eng an den Körper legte, um wärme zu sparen, „Ist eigentlich nicht so wichtig.“ „Und ob das wichtig ist.“, sogleich zog sie Lyze, dessen Flügel wieder erschienen, wieder mit sich. „Wenn du dich erkältest, können wir den Plan zur Rettung der Welt vergessen.“ Siri gab dem Halbengel wieder beide Hände und sprang, nun schon selbstsicherer, vom Dach aus zu ihm. „Übertreibst du nicht ein wenig…?“ Er überlegte kurz, „Nur ein wenig.“, ehe er sich aufmachte, Siri zurück in ihr Zimmer zu bringen. An dem Fenster angekommen, stieg sie zuerst zurück auf den sicheren Boden des Raumes, anschließend stand auch Lyze am Fensterbrett, ehe seine Flügel verschwanden und er ihr nachkam. Wie spät es war, konnten beide nicht sagen. Jedoch ging Avrial immer als letzter schlafen; auf dem Flug zurück konnten sie sein Fenster sehen, in dem das letzte Licht ausging. Natürlich war dem Halbengel klar, dass Siri für morgen ein wenig schlaf benötigte. So wartete er, bis sie sich auf die Bettkante gesetzt hatte, um dann zur Tür zu gehen und diese zu öffnen. „Gute Nacht.“, meinte er noch leise, während die junge Frau sich in ihre Decke eingewickelt hatte. „Lyze, warte…“, sie sah etwas enttäuscht in seine Richtung – sie hatte sich wenigstens einen Gute-Nacht-Kuss erwartet. „Komm noch einmal her.“ Ein wenig seufzend, doch auch mit einem lächeln, ließ er noch einmal von der Tür ab und trat zur jungen Frau, um ihr einen letzten kleinen Kuss auf den Mund aufzudrücken. Doch aus diesem kleinen Kuss wurde ein immer längerer. Es brauchte nicht lange und Siri legte sich zurück in ihr Kissen – mit ihr auch der Halbengel. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man meinen, Lyze wollte ihr genau aus diesem Grund keinen letzten Kuss geben. Vielleicht wusste er, dass dieser längst nicht der letzte, sondern der erste, einer langen Nacht werden würde. Kapitel 21: Der Blick in die Zukunft ------------------------------------ Etwas war an diesem Morgen anders. Etwas, das jedem im Schloss zum Nachdenken brachte, bis auf Akyu. Er war der einzige, der noch nicht wusste, dass Lyze für normal sehr früh auf den Beinen war – nur nicht heute. So saßen sie alle beim Frühstückstisch, auch wenn zwei Stühle frei blieben. Avrial und Limiu hatten allerhand zu besprechen; auch Aira unterhielt sich gut mit seinem großen Bruder – er war ein lustiger Geselle und konnte ihr jede Menge ulkige Geschichten aus seinem Leben erzählen. Während Aira sich neben dem Zuhören ein Butterbrot strich, genoss Limiu ihren Himbeerkuchen. Avrial hatte ihr, für die großartige Arbeit gestern, ihre Lieblingsspeise zum Frühstück versprochen gehabt. Endlich waren hastige Schritte zu hören, als Lyze mit Siri in den Saal gelaufen kam. „Entschuldigt bitte-“, meinte er außer puste, als er in seinem Stuhl platz nahm, „Wir haben ganz schön verschlafen.“ Darauf hin schmunzelnd biss Akyu von seinem Marmeladenbrot ab: „War eine lange Nacht gestern, hm?“ Siri wurde ein wenig in ihrem Stuhl kleiner, als ihr die Röte ins Gesicht stieg. Freundlicher weise schenkte ihr Lyze den Tee ein, ehe er sich wortlos seinem eigenen Frühstück widmete. „Wieso denn lange Nacht?“, Aira strich sich ein zweites Brot, „Sind Nächte denn nicht immer gleich lang?“ „Manche sind länger als andere...“, wieder grinste der ältere Bruder. Von Akyus Anspielungen war Siri sichtlich irritiert. Leicht beugte sie sich schließlich zu Lyze und flüsterte ihm ins Ohr: „Wir sollten es Aira sagen…“, er wiederum machte einen Schluck von seiner Tasse und nickte. Siri musste sich räuspern, ehe sie sich zu Aira drehte. „Weißt du… Aira…“, kurz kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf, „Lyze und ich, wir… wir sind jetzt zusammen…“ „Ich weiß.“, war die knappe Antwort, ohne dass Aira zu der jungen Frau aufschaute, „Wurde auch langsam Zeit.“ „Wie, was? Du wusstest es!?“ Geschickt lenkte Aira vom Thema ab: „Ihr wisst, dass morgen mein Geburtstag ist…?“ „Selbstverständlich.“, so Lyze, „Was wünscht du dir?“ „Aira wünscht sich, auf den Maskenball zu gehen.“, Avrial fiel ins Gespräch, der sich seinen Tee nachschenkte, „Wir haben da nur ein kleines Problem: der Maskenball findet erst wieder in einem halben Monat statt – außerdem würde Aira mit vierzehn Jahren noch nicht hinein gelassen werden.“ „Erzähl ihnen von unserem Plan, Avrial!“ „Welchen Plan denn?“, fragte nun Siri nach, die zwischen Aira und dem Arcaner hin und her sah. „Wir haben uns gedacht, wir veranstalten heute Abend einen kleinen, privaten Ball, vorausgesetzt, du Siri, kommst heil aus der Zukunft zurück.“ „Boah, wir schmeißen eine Party?“ „Eher einen Ball-“ „Wunderbar, ich liebe Partys! Das hatten wir schon lange nicht mehr, nicht wahr, Lyze?“ „Stimmt.“, er sah schmunzelnd auf, „Das letzte Mal, als wir feierten, waren wir nur zu dritt.“ „Eventuell sind wir heute Abend sogar mehr als sechs Personen.“, nun meldete sich auch endlich Limiu zu Wort, „Nach meinen Berechnungen sollte König Vilior mit seiner Truppe knapp vor Ikana stehen; sofern sie ihre Hilfe beim Kampf gegen die schwarzen Bestien zugesagt haben.“ Nur mehr schief verdrehte Siri bei ihren Worten den Kopf. Sie wusste nicht, wie das Kind der Weisheit so etwas wie die Ankunft von Leuten berechnen konnte; nachfragen tat sie allerdings auch nicht – sie würde es wohl doch nicht verstehen, so dachte sie sich. Somit war der private Ball am Abend, speziell für Aira, beschlossene Sache. Sicher wäre das Mädchen noch glücklicher gewesen, wenn ihre Freundinnen und Freunde dabei sein könnten; doch die Umstände, dass die schwarzen Kreaturen mittlerweile in ganz Desteral wüteten, verhindere ein schnelles vorankommen aller Reisenden. Auch König Vilior und seine Dämonen hatten mit Sicherheit keinen einfachen weg. Allein die Vorstellung, dass es an der Küste und auf Ikana vor den Monstern sicher war, wie Siri im Brief erwähnte, ließ die Schar aus dem Nachbarland auf ein wenig Ruhe hoffen. Die Zeit an diesem Tag raste regelrecht. Der Vormittag verging schnell und das Mittagessen ließ nicht lange auf sich warten. Siri wurde mit jeder verstrichenen Stunde nervöser; denn um zwei Uhr, wie Avrial und Limiu beschlossen hatten, würde die Reise in die Zukunft beginnen. Es hatte einen Grund, dass sie die junge Frau so früh am Nachmittag losschicken wollten: sollte alles planmäßig verlaufen, so hätten sie den ganzen restlichen Tag dafür zeit, das Schloss für einen angemessenen Ball herzurichten – auch mit Magie ging nicht alles von ganz allein. So saß die junge Frau, kurz vor zwei Uhr, in einem der Wohnzimmer und wippte vor Nervosität leicht auf und ab. Nicht einmal Lyze konnte sie mit seinen Worten ein wenig beruhigen. In Grunde war an der Reise in die Zukunft nicht viel dabei, wovor man nervös sein musste. Limius Mutter, so meinte das Kind, würde Siri so oder so treffen, damit wäre der Plan in jedem Fall erfüllt. Die junge Frau stellte sich einfach die zwei großen Fragen, vor denen sie Angst hatte: „Werde ich die Reise hin und zurück heil überstehen?“ und „Wie wird die Zukunft aussehen?“ Es führte kein Weg vorbei. Die Uhr schlug Zwei und Siri war erschrocken aufgesprungen. So gut es ging, versuchte Lyze weiterhin seine Freundin zu beruhigen und führte sie an der Hand in die Bibliothek, in denen bereits alle aus dem Schloss versammelt waren. Nun ja, fast alle. „Wo ist Akyu?“, nicht, dass Avrial in unbedingt dabei haben musste, doch wollte er eigentlich bei dem Spektakel anwesend sein. So hopste Aira vom Tisch und lief an dem Pärchen vorbei, welches gerade durch die Tür gekommen war. „Ich geh ihn schnell holen!“ „Der Typ soll sich gefälligst beeilen!!“, die aufgebrachte Siri wurde vom Halbengel weiter in den großen Raum gezogen. Mittlerweile kannten sie alle sehr gut: wenn sie nervös wurde, war die junge Frau sehr leicht reizbar. „Also… pass auf, Siri.“, Avrial nahm einen Notizblock zur Hand. „Ach nein, noch mal solche komplizierten Regeln für die Zukunft?“, Siri stöhnte, „Was soll das? Bin ich nicht schon genug gestraft?“, dann deutete sie zu Limiu, die auf dem Boden zu Zeichnen schien. „Was tut sie da eigentlich? Sie kritzelt deine Bibliothek voll, Avrial!“ „Würdest du genauer hinsehen, könntest du sehen, dass Limiu den bereits schon mal verwendeten Zirkel mit den beiden arcanischen Formeln vervollständigt.“, als sich Lyze zu ihm räusperte, sprach der Arcaner im ruhigen Ton weiter: „Es gibt nicht viele Regeln, die du beachten musst. Zum einen, wer hätte das gedacht, solltest du nicht zu viele Informationen aus der Zukunft mitnehmen. Damit meine ich größtenteils Zeitungen, in denen Lottozahlen und anderwärtiges stehen. Zum anderen musst du einfach nur klar deine Mission erfüllen. Dazu hast du, wie bereits gesagt, einen Tag zeit.“ „Wieso gibt’s da überhaupt eine Zeitbegrenzung?“ „Weil dich meine Magie am Ende des Tages zurückbringen wird, wie in der Vergangenheit. Ohne Zeitbegrenzung, keine garantierte Rückkehr, wenn du verstehst.“ „Moment mal…“, ihr Blick schweifte zu Limiu, „Heißt das, sie bleibt für immer bei uns?“ Gleichzeitig sah das Mädchen trocken zu Siri auf: „Natürlich nicht, du Dummerchen. Wenn eure Gegenwart gerettet ist, werden mich Avrial und mein Vater zurückschicken, auf dem gleichen Weg, wie sie dich jetzt auch Reisen lassen.“ „Ja, ok.“, Siri verschränkte die Arme, „War ja nur ne Frage…“ „Gut. Will sonst noch jemand etwas wissen?“ Nachdem sich keiner mehr Meldete, sah er zu Limiu: „Wie sieht der Zirkel aus?“ „Ist etwas komplizierter, aber gleich fertig.“ „Wunderbar.“, er lächelte zu Siri, „Du wirst im Übrigen elf Jahre in die Zukunft geschickt. Anders als bei der Reise in die Vergangenheit, wirst du nicht dein älteres Ich übernehmen. Du tauchst also genau an diesem Punkt wieder auf, elf Jahre später. Ich hoffe nur, das Schloss existiert bis dorthin noch…“ „Tut es.“, so Limiu aus dem Hintergrund. Gerade als Aviral erwähnen wollte, dass er nichts darüber hören will, kam endlich Aira mit Akyu nach. „Sorry.“, meinte er beim hereinkommen, „Hab mich ein wenig verlaufen gehabt.“ „Ja, gell? Das Schloss ist riesig!“ „Genug abgelenkt, Siri.“, Limiu stand vom Boden auf und putzte sich die Kreide ab, „Ich bin fertig.“ Sogleich wurde die junge Frau von Avrial in den Zirkel geschoben. „Mo-moment mal!“, meinte sie dabei, „Ich habe ein Recht darauf, mich zu verabschieden!“ „Aber Siri. Du bist in einer Minute wieder hier. Na ja, für uns zumindest.“ Auf Avrials Aussage nicht reagierend, wurde Siri noch einmal fest von Lyze in die Arme geschlossen. „Mach dir keine Sorgen. Du schaffst das.“ Dankbar nickte sie ihrem Freund daraufhin zu. „Also dann-“, Avrial trat näher, hockte sich neben den Zirkel und legte die Hände darauf. „Lyze, mach mir nach, was ich tue. Setz dich auf die andere Seite von Siri.“ „In Ordnung.“, auf seine Worte hin, kniete er sich ebenfalls hinab und berührte den Zirkel. „Pass auf, ich aktiviere die Magie. Du kommst hinzu und leitest deine Kraft zu meiner, in den Zirkel. Versuche dich rein nur auf den Zauber zu konzentrieren, dann funktioniert es am Besten. Aber streng dich nicht so sehr an.“, er schmunzelte, „Wir wollen doch nicht, dass sich dein zweites Auge auch noch gelb verfärbt.“ „Ach, dann hätte ich wenigstens wieder zwei gleiche Farben.“ „Rede doch keinen Unsinn!“, so Siri, „Ich mag dein blau!“ Lyze musste schmunzeln, ehe Aviral begann sich zu konzentrieren. Kurz darauf leuchteten alle Runen und damit der gesamte Zirkel, in einem hellen türkis auf. Nun kam der Halbengel hinzu und leitete ganz nach Plan seine Magie in den Kreis. Der Zirkel, in dem Siri stand, begann somit noch heller zu leuchten, ehe ein schwacher Wind aufkam und die einzelnen Runen begannen in die Luft zu schweben. Avrial konzentrierte sich nun mit aller Kraft auf den Zauber und murmelte dabei leise die magischen Worte. Doch es tat sich nicht viel. Anders, als bei der letzten Zeitreise, wollten die Runen Siri nicht umkreisen. Sie begann unsicher umehr zu schauen und fragte sich, ob das noch immer ein Teil des Zaubers war. Nun begann auch Lyze zu zweifeln und lenkte darauf hin, ebenfalls wie Avrial, all seine Kraft in den Zirkel. Der Wind wurde stärker, doch die Runen standen immer noch still in der Luft. Aira, Akyu und Siri stellten langsam fest, dass ihre zwei Freunde schwächer wurden. Schließlich schüttelte Lyze den Kopf zum Arcaner: „Es funktioniert nicht! Wir sind nicht stark genug!“ „Mach weiter!“, meinte Avrial – es hatte den Anschein, als wollte er nicht wahrhaben, dass die Magie für den Zauber nicht reichte. In all den Jahren hatte der Arcaner nur ein einziges Mal erlebt, dass sein Zauber schief ging; und dabei verlor er einst sein halbes Augenlicht. Nun ging den beiden sichtlich die Energie aus. Lyze hatte es schwer, sich aufrecht zu halten und auch Avrial, der stur weitermachte, war kurz davor. „Hört auf, es klappt nicht!“, rief Siri darauf. Auch Aira blickte entsetzt, als Akyu rief: „Lasst es sein, ihr werdet euch noch umbringen!“ „Nein…“, keuchte Avrial, „Wir sind zu weit gekommen, um jetzt…“ Da hockte sich Limiu hinzu. Mit einem Mal, als sie den Zirkel berührte, verdoppelte sich die Windstärke und die schwebenden Runen begannen sich endlich um Siri zu drehen – immer schneller, bis sie fast nicht mehr zu erkennen waren und die junge Frau in einem hellen Blitz mit sich nahmen. Erschöpft sahen sich Avrial und Lyze an, ehe sie ungläubig zu Limiu blinzelten. Erneut mit einem hellen Blitz tauchte Siri an der gleichen Stelle wieder auf. Keiner da. Überrascht blickte sie umher und wunderte sich, ob sie denn nun wirklich einen Zeitsprung gemacht hatte? Alles war gleich. Die gesamte Bibliothek, die Wände, der alte Holzboden; nichts schien sich geändert zu haben. Langsamen Schrittes wanderte sie verwirrt zur Zimmertür, um diese hinaus zum Flur zu öffnen. „Hallo, Siri.“, sie vernahm eine vertraute Stimme, ehe sie sich sofort umdrehte und in das Gesicht des grauhaarigen Avrials aufblickte. „Ich habe dich bereits erwartet.“, er grinste zu ihr. Kapitel 22: Selbstgespräch (Teil 1) ----------------------------------- Es hatte also funktioniert. Vor Siri stand tatsächlich der nun elf Jahre ältere Avrial. Bis auf die langen, grauen Haare, sah er eigentlich aus wie immer. Nicht einmal mehr Falten hatte er im Gesicht, einzig etwas schwächlich wirkte er, mit seinem Gehstock. „Avrial?“, sie blinzelte ihn an, „Deine Haare... sie sind grau… werden Arcaner nach dem Hunderter etwa so schnell alt?“ „Der schnelle Alterungsprozess bei Arcanern liegt genau wie beim Menschen ab etwa fünfzig Jahren… bis auf den Unterschied, dass hundert Jahre dazwischen liegen.“ Siri zählte kurz mit den Fingern nach. „Demnach… he, du kannst noch gar nicht so alt sein!“ Schmunzelt ging der Arcaner einfach an Siri vorbei, den Flur hinaus. „Hach ja, das habe ich vermisst…“ „Warte doch auf mich!“, sie lief ihm nach, „Willst du mir nicht erzählen, was hier los ist? …Wo sind die anderen?“ „In Destercity.“ „Destercity – also existiert die Hauptstadt wieder?“, während sie neben ihm her ging, sah sie sich den Flur an: es waren Gemälde hinzugekommen und das Holz hatte sich dunkel verfärbt. „Limiu sagte, ich solle mit ihrer Mutter sprechen… so ungern ich es auch tue…“, schnell räusperte sie sich, „Wo ist sie?“ „In Destercity.“ „Hä, was? Heißt das, ich muss auch dorthin?“ „Ja, aber selbstverständlich.“ „Wie soll das denn gehen!?“, die junge Frau war stehen geblieben, worauf hin sich Avrial nach ein paar weiteren schritten zu ihr umdrehte. „Ich habe nur einen Tag zeit! Selbst wenn es in dieser Gegenwart einen Zug gibt, bin ich nicht schnell genug, um in der Großstadt Limius Mutter zu finden!“ Eigentlich hätte der Arcaner ihre Frage schnell und einfach beantworten können. Eigentlich. Stattdessen drehte er sich abermals schmunzelnd um und ging entspannt weiter. „Folge mir.“ Siri sah schon – es hatte keinen Sinn, mit dem älteren Avrial zu reden. Wahrscheinlich hatte er ebenso wie Limiu den Auftrag, ihr nichts zu verraten. So folgte sie ihm stumm durch das Schloss, auch wenn sie über sein Schweigen ein wenig beleidigt war. Schließlich betraten sie einen kleinen Raum, irgendwo im Erdgeschoss. Als Avrial zur Seite trat, um Siri hinein zu lassen, blickte sie fragend auf die markierte Stelle am Boden. Sie deutete darauf und wollte schon fragen, ob dies noch ein Zirkel sei – doch Avrial war schneller. „Es teleportiert dich in das Hauptgebäude von Destercity. Das Kind der Weisheit hatte die Idee, ein Portal, also eine Verbindung zu schaffen; schließlich ist sie nicht die Einzige, die hin und her reist. Außerdem wusste sie natürlich, dass du es noch benutzen würdest.“ „Oh…“, verblüfft starrte Siri darauf, „Uhm, danke.“, und trat in die Mitte der runden Bodenmarkierung. „Was ist sie? So eine Art Super-Kind? Limiu hat uns geholfen, mich in die Zukunft- äh, eure Gegenwart zu schicken. Wenn Lyze schon nur zum viertel Arcaner ist, dann dürfte sie gar keine Magie benutzen können – oder nur sehr wenig.“, sie drehte Avrial schief den Kopf zu. „Du weißt doch was darüber, nicht wahr…?“ „Ich sehe schon, du hältst dich mit deinem Gerede von der Mission ab.“, er klopfte kurz mit dem Gehstock auf den Boden, worauf hin sich das Portal, in dem Siri stand, öffnete. Alles, was sie zu ihm heraus bringen konnte, bevor sie darin verschwand, war ein verblassendes „Was? He, nein…!“ Was für ein merkwürdiges und kurzes Treffen. Siri verließ das Schloss von Ikana in der gleichen, gezwungenen Hektik, wie sie es betreten hatte. Nur einem Moment später tauchte die junge Frau auf der anderen Seite des Portals wieder auf. Ihr erstes Wort, das sie aussprach, als sie sich im großen Flur umsah, war ein starrendes „Woow…“ Alles hier war so hell und freundlich. Der Boden bestand aus weißen Marmor, ebenso die stützenden Säulen und großen Wände. Die vielen Teppiche, sowohl auf dem Boden, als auch zur Dekoration an den Mauern, waren blau-gold. Siri ging den langen Flur entlang und kam einfach nicht aus dem Staunen raus: alles hier war so friedlich. War das wirklich das Rathaus von Destercity? Ihr war bewusst, dass es einst ein Schloss war; jedoch nicht, dass es im inneren auch danach aussah. Schließlich blieb sie stehen, „An die Einrichtung könnte man sich gewöhnen…“, ehe sie sich begann zu fragen, wo sie denn nun eigentlich hin musste. Irgendwo in diesem Gebäude gab es doch sicher jemanden, der ihr eine Auskunft geben konnte. So schritt sie erstmals weiter, bis ans Ende des ewig langen Flures, ehe sie eine große, weiße Doppeltür aufstieß und einen ebenso hellen Raum betrat. Endlich stand da jemand, mit dem Rücken zu ihr gekehrt, den sie nach dem Weg fragen konnte. Es war eine Frau, mit langem, seidenen Kleid und einem Umhang, der noch über den Boden hinweg ragte. Siri wusste sofort, dass die Frau irgendein hohes Tier gewesen sein musste. So verbeugte sie sich höflich, ehe sie fragte, ohne auch nur einen Schritt näher in den Raum zu machen: „Ähm… Entschuldigung?“ Auf ihren Satz drehte sich die Frau langsam zu ihr um. Ihr goldbraunes Haar bewegte sich mit ihr, ehe die braunen Augen die junge Siri erblickte. Nun hatten beide ein seltsames Gefühl. Gleichzeitig schauten sie sich überrascht an, ehe die zwei Frauen auf einander zuschritten. Während die edle Frau mit ihrem erscheinen gerechnet hatte und nun lächelte, blickte Siri noch immer ungläubig in das ihr sehr, sehr vertraute Gesicht auf: in sich selbst. „Willkommen…“, ihre Stimme klang gleich und doch in einem sehr ruhigen Ton. „Das… glaube ich jetzt nicht…“, während die ältere Siri stehen blieb, ging die junge Frau einmal nach links und rechts, um sich selbst von oben bis unten anzusehen: sie war ihr perfektes, reiferes Ebenbild – bis auf die Größe, die sicher an den Stöckelschuhen lag. „Ich nehme an, dass du gerade die Welt nicht mehr verstehst…?“ „Das kann man wohl sagen, oh ja.“ „Lass es mich dir erklären-“ „Nein, nein, nein, warte.“, Siri massierte sich kurz die Hirnschläfen, ehe sie zu sich selbst aufsah. „Ok… beginn bitte von Null.“ „Du und ich… wir sind Salieri Desteral.“ Kurz blinzelte die junge Siri sie an. „Hä?“ „Der Unfall, vor achtzehn Jahren. Mit dem Tod deiner Eltern endete die Linie der Königsfamilie von Desteral. Du wolltest seit deiner Ankunft in Azamuth wissen wer du bist – nun habe ich es dir gesagt.“ „Aber das- ich meine, das- das ist doch-“ „Es ist nicht unmöglich, ganz und gar nicht.“, die ältere Siri schmunzelte, „Da niemand etwas von deinem Überleben wusste, wurde die Monarchie aufgehoben. Du hast deinen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron.“ „Den du dir scheinbar nahmst.“ „So ist es.“ „Also…“, Siri begann zu überlegen, „Wenn die schwarzen Monster Rache an der Königsfamilie ausüben will – dann suchten sie in Wirklichkeit mich? Haha, die Viecher sind ja saudämlich! Sie hatten mich bereits, wollten durch mich aber unbedingt an Limiu kommen, weil sie das Kind der Weisheit ist.“ „Oh, so unlogisch ist das gar nicht.“, die ältere Siri hielt sich leicht die Hand vor den Mund, um ein kichern zu unterdrücken. „Hast du dich denn nie gefragt, wieso sie hinter ihr her waren…?“ „Nein, wieso? Durch das Kind der Weisheit hätten sie erfahren können, wer die letzte Generation der Königsfamilie bildet.“ „Siri, sie ist die letzte Generation.“ „Uhm… was?“ „Na ja, sie wird es einmal.“ „Oh… OH.“, endlich begann die junge Siri zu verstehen und schlug sich die Hände ins Gesicht. „Nein… nein, das ist doch nicht wahr!? Das kann nicht sein!“ „Ja, freust du dich denn nicht…?“ „Doch, natürlich freut es mich, denke ich… wenn ich es erstmals ordentlich begriffen habe… und so…“ „Siri, beruhige dich…“, sie legte sanft eine Hand auf ihre Schulter, „Es ist wahr. Limiu ist deine und Lyzes Tochter.“ „Aber… aber…“, die Geschichte war für Siri einfach unbegreiflich. Langsam fühlte sie sich, als ob sie in einem einzigen Wunschtraum stecken würde – doch die Tatsache, dass sich alles um sie herum so echt anfühlte, einschließlich ihr älteres Ich, holte sie auf den Boden der Realität zurück, ehe ihre Hände zu den Augen wanderten, da sie begann vor Glück zu weinen. „Aber… wie kann das denn sein?“, schluchzte sie, „Limiu war doch der Name von-“ „Zu Ehren der verstorbenen ersten Liebe, entschieden wir uns für ihren Namen.“, nun nahm die ältere Siri ihr jüngeres in die Arme. „Oh, Siri… es tut mir leid, Limiu muss euch schrecklich verwirrt haben.“ „Na und wie…“, sie wischte sich Tränen weg, „Ich meine, sie hat schwarze Haare, verdammt.“ Nach einem Moment ließ die Frau von ihr ab. Ein trauriges lächeln zierte sich auf ihrem Gesicht, als sie kurz von dem jüngeren Ich absah und leicht den Kopf schüttelte. „Es ist uns bis heute unbegreiflich, doch zugleich ein Segen.“ „…Was denn?“ „Limiu war nicht lebensfähig. Noch bevor sie sich überhaupt im Bauch entwickeln konnte, wäre sie gestorben.“, langsam entfernte sich die Königin von Siri, ehe die junge Frau ihr nachkam. „Wir hätten unser Kind verloren, Siri.“ „Und… was ist geschehen?“ „Als wir vom Arzt die Nachricht hörten, machten wir uns sofort auf den Weg nach Ikana. Lyze und ich wollten einfach nicht wahrhaben, dass wir unser erstes Kind verlieren würden. Am Boden zerstört erzählten wir Avrial von der Tragödie. Wir wussten einfach nicht weiter, aber unser Gefühl sagte uns, dass Magie vielleicht die letzte Möglichkeit wäre.“ „Mit Magie…?“, Siri sah sie fragend an, „Aber ist das denn überhaupt möglich…?“ „Im eigentlichen Sinne – nein.“ „Verstehe…“ „Du weißt, Avrial ist ein Meister der Magie. Er hatte nicht umsonst in all seinen Jahren tausende von Büchern gelesen. Desteralische, dämonische, arcanische und auch alt-arcanische. In einem alt-arcanischen Buch las er von einem sehr waghalsigen Zauber. Avrial konnte uns nichts versprechen, doch tat er alles in seiner Macht stehende, um Limiu zu retten: Er legte seine Hände auf den Bauch und schenkte unserem Kind seine Lebensenergie. Dadurch veränderte sich sein Äußeres und er war nicht mehr in der Lage, Magie zu nutzen.“, die Königin drehte sich seitwärts zu Siri, „Was Avrial verlor, ging auf Limiu über. So auch sein Aussehen.“ „Er schenkte ihr praktisch seinen Körper…“, Siri sah dabei auf, „Limiu hat so zu sagen drei Gene… so verrückt das auch klingen mag…“, bei der Vorstellung musste sie schlucken, da ihr ein wenig schlecht wurde. „Na ja… jetzt wundert mich wenigstens nicht mehr, warum ausgerechnet sie das Kind der Weisheit sein soll.“ „So ist es. Und wir sind Avrial für dieses Geschenk ewig dankbar.“ Fortsetzung folgt - weiter gehts sofort in Teil 2 Kapitel 23: Selbstgespräch (Teil 2) ----------------------------------- Letzer Absatz: „Na ja… jetzt wundert mich wenigstens nicht mehr, warum ausgerechnet sie das Kind der Weisheit sein soll.“ „So ist es. Und wir sind Avrial für dieses Geschenk ewig dankbar.“ Die Königin sah fragend in Siris Richtung: „Willst du dich setzen? Du siehst blass aus.“ „Ja… ja, bitte.“ Sogleich nahm sie Siri an der Hand und führte sie in eine Ecke des großen Raumes, wo ein niedriger Tisch mit Stühlen und Bänken standen. Schwer atmete die junge Frau aus, ehe sie auf der weichen Sitzgelegenheit platz nahm. „Willst du ein Glas Wasser?“ Siri nickte darauf. „Furah!“ Da schrak sie auf, als die Königin nach dem Arcaner rief, der doch tatsächlich herbei kam! Anders als Avrial hatte er sich, bis auf seine Kleidung, überhaupt nicht verändert. „Furah, bring unserem Gast doch bitte ein Glas Wasser.“, es war unfassbar, als der dunkle Magier sich, wie ausgewechselt, höflich verbeugte und sogleich verschwand. „Was soll das denn nun wieder?“ „Was meinst du?“ „Na Furah! Wieso gehorcht er dir!?“ Wieder musste die ältere Siri über ihr jüngeres Ich lachen. „Du verstehst es noch nicht. Hast du jemals versucht, Furah eine Einladung anzubieten? Alles, wonach sich dieser Magier sehnt, ist ein Zuhause und faire Gesellschaft.“ „….Reden wir vom selben Furah?“ Sie kicherte abermals, „Ja!“, als Furah, lächelnd, herbei kam und Siri das Glas in die Hand drückte. „Es ist echt eine sehr fremde Zukunft…“ Bedenklich sah die Königin auf ihre Aussage hin von ihr ab. „Würdest du dich anders entscheiden wollen…?“ Währenddessen trank Siri ihr Glas leer, ehe sie sprach. „Ich weiß nicht… vielleicht. Eine Königin zu sein; da hat man sicher nicht viel Zeit für die Familie.“ „Das kann ich leider bestätigen.“ „Außerdem… hier, im Schloss ist es zwar hübsch, aber… ich denke, mir würden die weiten Wiesen rund um Lyzes Anwesen fehlen.“, die hob die Schultern, „Lyze hat mir gesagt, dass meine Entscheidung keinen Einfluss auf eure Gegenwart nimmt.“ „So ist es auch. Du kannst jeden Weg wählen, den du willst.“ Nun wurde Siri neugierig. Sie stellte das Glas ab und sah anschließend in ihr älteres Gesicht auf: „Wieso hast du mich das gefragt? Du scheinst doch ein Leben wie im Traum zu führen.“ „Ja…“, sie seufzte, „Ein Leben wie im Traum…“ „Moment…“, nun schien es Siri zu dämmern, „Wo… ist Lyze?“ Und da wurde es ihr klar: die König sah deutlich traurig von ihr ab. Sie deutete auf ein eingerahmtes Foto, als Furah sogleich hinging und es der älteren Siri brachte. Sie wiederum reichte es ihrem jüngeren Ich weiter. Auf dem Foto war die kleine Familie zu sehen: Siri, Lyze und am Arm Limiu, im zarten Alter eines Kleinkindes. „…Das war das letzte Foto, das wir gemeinsam machten.“ „Ist er-“ „Nein… aber er verließ uns, kurz vor Limius fünften Geburtstag.“ „Aber wieso?“ „Lyze sammelte zusammen mit Akyu Hinweise, um auf die Spur des Mörders ihrer Eltern zu kommen – und sie hatten sie gefunden. Du weißt, er war sein ganzes Leben unterwegs; es war klar, dass er nicht bis ans Ende seiner Tage hier im Schloss leben wollte. So reiste er in den weiten Süden, über Desteral hinaus, ins Unbekannte. Auf der Suche nach dem Mörder.“ Eine ganze Weile fiel kein Satz zwischen den Beiden. Auch wenn es nicht ihr Lyze war, so war Siri dennoch bedrückt über die Worte ihres zukünftigen Ichs. „Siri.“, die Königin nahm sie an den Schultern, „Egal, wie du dich auch entscheidest: Lass niemals zu, dass Lyze diesem Vampir nachjagt. Ich bitte dich; nicht nur für uns, sondern auch für Limiu.“ Es war ein unfassbares Versprechen. Eines, von dem man noch nicht einmal sagen konnte, ob es jemals notwendig war, es einzuhalten – und dennoch nickte Siri, entschlossen, zu ihrem älteren Ich. „Mich wundert es, ehrlich gesagt, dass er Avrial nicht mitnahm.“, dann grinste sie, „Jedoch einen alten Mann, ohne Magie, würde ich auch lieber zuhause lassen. Darf ich dir eine Frage stellen?“ „Nur zu.“ „Wieso wohnt Avrial nicht bei dir im Schloss von Destercity? Jetzt, ohne Magie, hat er nicht einmal Hilfsmittel, um alleine zurrecht zu kommen.“, Siri sah zu Furah, der höflich zurück grinste, „Oder sind die zwei noch immer im Streit?“ „Der Streit ist schon lange vergessen.“, die Königin setzte sich, neben Siri, auf einen anderen Stuhl, „Avrial sieht keinen Grund darin, sein Schloss und seine Frau zu verlassen.“ „Noch immer?“ „Nicht ganz, so wie du denkst. Ich meine es wörtlich.“ „Wie, wörtlich? Das musst du mir jetzt aber erklären.“ „Bevor Avrial seine Lebensenergie an Limiu weiter gab, hatte er es geschafft, sein Meisterwerk wahr werden zu lassen. Ansonsten hätte er wohl niemals seine Magie einfach so aufgegeben.“ „Meisterwerk?“ „Siri…“, wieder unterdrückte die Königin ein kichern, „Was glaubst du, hat Avrial jeden Abend noch so lange gemacht, dass sein Licht als letztes ausging? Er hat geforscht.“ „Wonach denn?“ „Nach einem Zauber, der Seelen auf unsere Ebene holt.“ „Was!? M-meinst du etwa, er hat den Geist seiner Frau heraufbeschworen?“, bei dem Gedanken schüttelte es die junge Frau leicht. „Ganz recht, ja.“, sie schmunzelte, „Er ist mit ihr an einen starken Zauber gebunden, der sich mit seinem Tod von selbst löst. Denn, wie du bestimmt weißt, haben zwei Geister es nicht mehr nötig, sich durch Magie aneinander zu halten.“ „Oh man… Furah, ich glaube, ich brauch noch ein Glas Wasser…“, sogleich nahm Furah das Glas vom Tisch und verschwand wieder. „Alles gut und schön…“, so Siri, „Aber wenn er jetzt mit Yne sprechen kann, hat sie ihm bestimmt auch verraten, wer sie getötet hat? Ist Avrial denn nicht sauer?“ „Die Leute, die an ihrem Tod schuld sind, sind schon lange verstorben.“ „Es waren mehrere?“ Die Königin drehte sich zu ihrem jüngeren Ich, bevor sie weiter sprach: „Kannst du dich an Avrials Geschichte erinnern? Von dem Tag, als er die vielen Stufen hinauf lief, seine Frau erstochen vorfand und sogleich ein paar Leute aus dem Dorf herbei gelaufen kamen, da sie ‚in der Nähe’ waren?“ „Verdammt, ich ahne, was du mir damit sagen willst…“ „Das Dorf war es. Ikana hatte sich zusammen gesprochen und diese Tat geplant.“ „Ja, aber wieso? Das ist doch unlogisch! Sie liebten Madame Yne!“ „So sehr, dass sie sie vor Avrial beschützen wollten.“, die ältere Siri seufzte, „Mit einem Arcaner vor ihrer Nase konnten sie noch leben. Jedoch war Yne zuvor beim Arzt, wegen Übelkeit. Noch bevor sie es erfahren hatte, verbreitete sich die Nachricht mit entsetzen unter dem Volk von Ikana: sie war schwanger.“ „Schwanger!? Von Avrial??“ „Das Dorf wollte um jeden Preis verhindern, dass ein Halbarcaner an die Macht von Ikana kam. Es war geplant, dass Avrial nach diesem schweren Schicksalsschlag für immer verschwindet, wenn sie ihm den Mord an seiner eigenen Frau anhängen. Doch sie rechneten nicht damit, dass er sich quer stellt und absichtlich im Schloss bleibt.“ „Du meine Güte…“, Siri seufzte tief, „So viele Ereignisse; ich glaube nicht, dass ich mir das alles merken kann…“ „Das musst du auch nicht.“, sie schmunzelte, „Besonders die letzte Geschichte behältst du lieber für dich. Wenn Avrial, ohne die Unterstützung seiner Frau, von den wahren Mördern hört, so kann ich nicht garantieren, was danach passiert.“ „In Ordnung-“, so Siri, „Ich werde schweigen, wie ein Grab!“ Ihr älteres Ich schmunzelte zufrieden. „So ist’s Recht.“ Inzwischen kam Furah zurück und stellte der jungen Besucherin das Glas auf den Tisch. „Danke Furah.“, meinte die Königin, die anschließend Siri bei der Hand nahm, als sie sich vom Stuhl erhob. „Komm, Siri. Es wird Zeit, dir zu zeigen, wie ihr Aira für immer von den schwarzen Kreaturen befreien könnt. So folgte die junge Frau interessiert ihrem älteren Ich. Der Weg führte sie eine ganze Weile lang durch das helle Schloss, durch Räume, Flure und Stufen. Auf dem Weg begann die Königin zu erzählen: „Sicher hast du bereits von Avrial erfahren, dass die Kreaturen nicht zu besiegen sind. Unsere Vorfahren haben diese, in Zusammenarbeit der Arcaner, mit Hilfe des Fendus-Kristalles versiegelt.“, sie öffnete eine weitere Tür und trat hindurch, „Es war ein schwerer Fehler, die Katastrophe nur als Legende unter dem Volk von Desteral weiter zu verbreiten. In meiner Gegenwart existieren weder die finsteren Wesen, noch genug Kristalle, um das Land ausreichend mit Energie zu versorgen. Unser Glück ist es, gute Wissenschaftler zu haben, die bereits eine neue Energiequelle gefunden haben.“ „Und die wäre?“ Die Königin schmunzelte, bevor sie in einem kreisrunden Raum, mit rotem Teppichboden, stehen blieb. „Das wirst du in deiner eigenen Zeit erfahren.“ Sie trat bis zur Mitte, in der ein Sockel stand, auf der eine kleine, braune Holztruhe aufbewahrt war. Diese nahm die ältere Siri hoch und öffnete sie vorsichtig, anschließend nahm den Inhalt heraus: ein Dolch, passend in der Hand, komplett aus Kristall. „Das, meine Liebe,…“, die Königin legte ihn sanft in ihre Hände, „…Ist die einzige Waffe, mit der die Kreaturen zu bändigen sind. Ein Dolch, aus konzentrierten Fendus-Kristall.“ „Wow…“, Siri begutachtete ihn von allen Seiten, „Gab’s das denn nicht eine Nummer größer?“ „Nach der Befreiung der Kreaturen blieben nicht sehr viele Fendus-Kristalle über. Es hatte fast acht Jahre gedauert, bis wir diese in einer konzentrierten Form vereinigten konnten.“, die Königin sprach ernst weiter. „Dies ist deine Aufgabe: mit dem Wissen, dein jüngeres Ich wird auch dich eines Tages besuchen und nach einer Waffe fragen, sollst du bis dorthin diese besitzen. Spreche mit dem Volk von Destercity; sie sollen jeden noch so kleinen Splitter, den sie finden können, zusammentragen. Es wird auch in deiner Zeit Schmiede geben, die aus den Kristallen das Beste herausholen können.“ Siri musste schlucken, eher sie nickte. Danach begutachtete sie abermals den Dolch in ihren Händen. „Und… was sollen wir damit tun? Jedes dunkle Viech damit abstechen?“ „Das wäre wohl etwas viel arbeit…“, dabei schmunzelten beide. „Nein, Siri. Es muss nur eine Kreatur attackiert werden: der Boss. Die Mutter, das Gehirn; nenne sie, wie du willst – sobald diese stirbt, verschwinden alle anderen mit ihr.“ „Kannst du mir denn sagen, wo sie sich befindet?“ „Selbstverständlich hier, in diesem Schloss… nur elf Jahre in der Vergangenheit.“, die Königin trat etwas von Siri weg, ehe sie weiter sprach. „Destercity ist das Zentrum der finsteren Kreaturen. Ihr werdet nicht in das Herz vorstoßen können, ohne der Hilfe großer Armeen.“ „Darum mache ich mir keine Sorgen… wir haben bereits Briefe an alle umliegenden Völker geschrieben, weil wir mit so etwas, wie einem direkten Angriff, rechneten.“ „Ausgezeichnet.“ „Da stellt sich nur noch die Frage, wer so dumm ist, bis ins iiiinnerste vorzudringen, um Mutterbiest zu erstechen.“ „Nun, ihr werdet jeden Mann und Frau brauchen.“ „Ich bin mir sicher, Lyze kann das machen!“ „Das könnte er…“, die Königin trat wieder herbei, bis sie vor Siri stand, „Jedoch ist es nicht seine Aufgabe.“ „Wie meinst du das?“, nach einem Moment verstand die junge Frau klar und deutlich: „Ich? Wieso das denn?!“ „Weil du die jenige bist, die die finsteren Kreaturen wollen. Mit dir an der Spitze wird es den Armeen leichter fallen, bis in das Schloss vorzudringen, da die Hauptkreatur dich sehen will.“, die Königin hob die Schultern, „Selbstverständlich könnte jemand anderes an deiner Seite dem Wesen den Todesstoss geben.“, dann strich sie über den Dolch, „Jedoch, wenn du beweisen willst, wer du wirklich bist und wo du hingehörst, dann rammst du ihn ihr zwischen die Augen.“ Kapitel 24: 7. Ruhe vor dem Sturm --------------------------------- So war das also. Siri kam nicht drum herum, die Mutterkreatur der finsteren Wesen selbstständig zu töten, wenn sie endlich ihren lang gesuchten Namen und damit ihre Identität haben wollte. Wieso? Wieso konnte sie das Erschlagen nicht einem erfahrenen Krieger überlassen und dabei zusehen? Siri war die verschollene, rechtmäßige Herrscherin Desterals. Die finsteren Kreaturen hatten nach ihrem Erwachen nur ein Ziel vor Augen: Rache an denen, die an der Versiegelung beteiligt waren. Da dieses Ereignis bereits Generationen zurück lag und somit alle Verantwortlichen schon lange nicht mehr Existierten, musste nun die letzte der königlichen Familie ihren Kopf hinhalten. Desteral ist nur in geringen Maßen an dem Unheil Schuld. Viel mehr fühlte Siri, dass sie das zu Ende bringen musste, was ihre Vorfahren damals angefangen hatten: die Vernichtung der schwarzen Kreaturen. So überlegte die junge Frau noch lange im Schloss ihres älteren Ichs hin und her. Natürlich könnte sie es auch lassen. Sie hatte ihr ganzes Leben ohne richtigen Namen verbracht, da war es ihr nicht mehr besonders Wichtig, ihn nun zu erhalten. Siri wusste schließlich, wer sie war: Tochter eines arcanischen Ritters aus dem Dämonenreich Azamuth. Doch die Verantwortung lag ihr schwer im Magen; es war nun einmal ihre Aufgabe, zu beenden, was ihre richtige Familie begonnen hatte. „Siri… es wird Zeit.“ Dabei schaute die junge Frau in ihrem bequemen Sofa auf, zur Königin, anschließend fragend an sich selbst runter: ihr ganzer Körper leuchtete sehr ungewöhnlich. „Oh… ist der Tag etwa schon vorbei?“, sie seufzte, „Das ging schnell.“ „Wir hatten auch viel zu bereden.“, die ältere Siri streckte ihrem jüngeren Ich die Truhe mit dem Kristalldolch entgegen, „Keine Angst. Es wird alles gut gehen.“ „Jetzt verrate mir doch nicht das Ende!“, lachte sie auf, „Außerdem ist Schicksal das, was wir daraus machen.“ „Richtig.“ Nun schwiegen die zwei einen Moment, ehe Siri zu ihr auflächelte: „Vielen Dank. Du bist zwar steif geworden, aber eine gute Person geblieben.“ „Was hat man als Königin groß für eine andere Wahl…? Ich danke dir ebenfalls.“, sie verbeugte sich, worauf hin Siri überrascht aufsah. „Du hast mir gezeigt, wie ich einst war. Vielleicht finde ich mich eines Tages selbst wieder.“ „Ja, das wäre schön.“, Siri stand auf, „Aber vielleicht solltest du nicht damit Anfangen, dich selbst zu finden, sondern Lyze zu suchen. Du musst doch Auskundschafter oder so was haben? Limiu würde sich ganz bestimmt freuen; sie hat unseren Lyze ja schon fast erdrückt!“ „Das werde ich.“, sie nickte, „Jeden noch so kleinen Hinweis werde ich nachgehen. Limiu erreicht bald ein Alter, in dem sie sich bei der Suche beteiligen kann; sie wird sich bestimmt freuen.“ Nun begann Siri sich aufzulösen. Erschreckt und doch fasziniert, starrte sie auf ihre durchsichtigen Hände, die, wie ihr ganzer Körper, in hellem Licht aufleuchteten. „Also gut, Majestät!“, sie verbeugte sich noch scherzhaft, „So lebt denn wohl! Oh – und keine Sorge, wir schicken dir deine Tochter per Post zurück, sobald alles geklärt ist!“ Die Königin schüttelte noch kichernd den Kopf, ehe sie ihrem jüngerem Ich ein letztes Mal zu wank. Zurück in der Gegenwart. Lyze und Avrial hatten sich gerade von der altarcanischen Markierung am Boden erhoben und ihre fragenden Blicke zur schmunzelnden Limiu geworfen, die vorhin noch eben per Magie dabei half, Siri in die Zukunft zu schicken, als Lyze den Mund öffnete, um ihr die brennende Frage zu stellen; in dem Moment kam Wind auf und Siri stand zurück auf ihrem Platz im Kreis. „Siri…!“, Lyze sah erleichtert in ihre Richtung, nicht zuletzt, weil sie in einem Stück von der Zeitreise zurück war. Sie breitete die Arme aus, so auch der Halbengel, der langsam auf sie zukam – als Siri an ihm vorbeilief und Avrial mit einem „DANKE!“ um den Hals fiel. Selbstverständlich konnte keiner der Anwesenden diese Reaktion verstehen. Immerhin war Siri für sie nur knapp eine Minute weg gewesen. So brachte auch der um zwei Köpfe größere Arcaner kein Wort heraus und stammelte vor sich her, als die junge Frau endlich von ihm abließ und ihm fröhlich ins überraschte Gesicht sah. Nun wurde auch Lyze nachdenklich. „Uhm… gibt es da etwas, von dem wir wissen sollten?“ Auch Akyu konnte die Situation zuerst nicht verstehen, als er schließlich begann zu lachen. „Oh je, was wird der Große denn mal anstellen?“ „Nichts.“, so Siri, schmunzelnd in die Runde. „Er ist ein treuer Freund und wird es weiterhin auch bleiben.“, dann blickte sie zu Limiu, die ihr lächelnd zunickte. „Also… machst du dir keine Sorgen um die Zukunft mehr?“, der Halbengel wurde nach seiner Frage endlich in den Arm genommen, wobei die junge Frau glücklich den Kopf schüttelte. Da deutete Aira auf die kleine Truhe in ihrer Hand: „Was ist das? Hast du uns was mitgebracht, Siri?“ „Oh, ach das?“, sie löste die Umarmung und öffnete die Kiste, um den Kristalldolch hinaus zu nehmen. „Sag bloß…“, Akyu kam näher, um die kleine Waffe trocken zu betrachten, „Das Mini-Ding ist unsere Rettung… hab ich recht?“, Siri nickte darauf. Ihr Blick senkte sich; dadurch wurde schnell klar, dass sie nicht nur Positives erfahren hatte. „Er besteht aus reinstem Fendus-Kristall und hat nur eine Zielperson…“ „Den Kopf der schwarzen Kreaturen.“, alle sahen zu Avrial, der zu ahnen schien, was Siri sagen wollte. „Ich nehme an, der Harken ist, dass nicht Irgendjemand den Kreaturen ein Ende bereiten kann.“ „Na ja… im Prinzip schon…“, Siri fasste sich an den Nacken, ehe sie hinab zum Dolch sah, „Aber… ich bin der Meinung, dass nicht Irgendwer für die Tat der Königsfamilie büßen sollte.“ Der Blick der jungen Frau schweifte durch die Runde, sah in die neugierigen Gesichter ihrer Freunde. Am Ende bei Lyze angekommen, der schon alleine mit seinem gedrehten Kopf ein „Was willst du damit sagen?“ andeutete, senkte Siri erneut, schmunzelnd, den Kopf. „Es ist meine Aufgabe.“ Gleichzeitig ertönten von allen Seiten die Fragen „Was?“, „Wieso?“ und „Meinst du etwa…?“ Nun hob sie kurz die Schultern, ehe sie sprach: „Ich bin in der Zukunft Desterals Königin gewesen, sorry…“ Unerwartet begann Akyu, nach einem kurzen Schweigen der Runde, zu lachen und boxte Lyze spaßig gegen die Schulter: „Ne adelige, besser hättest du’s nicht treffen können!“ „Das ist nicht witzig!“, der Halbengel sah kurz zu seinem Bruder, ehe er sich, die Schulter reibend, zu Siri drehte: „Bist du dir sicher? Ich meine, weißt du es? Du bist in Azamuth aufgewachsen, wie kann da-“ „Meine Eltern sind nahe der Grenze gestorben. Hätte mich Mairon nicht gefunden, gäbe es nach wie vor keine Nachkommen der Königsfamilie…“, sie sah zu Limiu, „Die schwarzen Kreaturen waren hinter ihr her, weil sie wusste, wer in dieser Zeit die letzte Generation bildet.“ „In dieser Zeit?“, Lyze hob eine Augenbraue. „Uhm…“ „Nun, das sind doch wunderbare Nachrichten!“, Avrial trat beschwingt in die Runde hinzu, „Demnach müssen wir uns einen genauen Plan ausdenken, um Siri in das Hauptgebäude Destercitys zu bringen.“, er legte der überrumpelten Siri und Lyze jeweils einen Arm um die Schultern, „Ihr habt zum Glück vorgesorgt und jedem umliegenden Land eine Nachricht geschrieben. Wir warten also auf dessen Antwort, um sie in unseren Plan einzuweihen.“ „Das ist eine großartige Idee.“, Limiu stimmte zu, „Die Tiermenschen brauchen wahrscheinlich mit ihren vielen Herrschern noch ein wenig Zeit für eine vereinbarte Zustimmung, doch die Dämonen und Engel sollten demnächst auf Ikana antreffen.“ Avrial zog seine Arme weg, „Wenn ihr mich fragt, wäre ein gezielter Angriff in „Wellen“ gut. Die größten Armeen außen, die stärksten und kleinsten Gruppen innen.“ „Großartig!“, Limiu kramte in einem Schrank nach Papier, „Ich werde euch einen genauen Plan und Karte des Hauptgebäudes zeichnen…“ Und als die Anwesenden den motivierten Magier und das eifrige Kind der Weisheit eine Zeit lang beobachteten, beugte sich Lyze zu Siris Ohr: „Die sind sich manchmal unheimlich ähnlich…“ „Ja…“, die junge Frau sah räuspernd zur Seite, ehe sie anschließend, schleichend, von ihrem Freund wegtrat. „Unheimlich.“ Der Nachmittag verstrich recht schnell. Avrial hatte sein Wort gehalten und Aira zuliebe einen Ball – oder Party – auf dem Schloss erlaubt. Somit verbrachte die Gruppe einige Zeit damit, den ersten und zweiten Stock mit allerlei Sachen zu schmücken und vorzubereiten. Wenn sie morgen schon „in die Schlacht ziehen“, dann vorher mit einer letzten Feier. Siri war gerade dabei, auf einem Stuhl stehend, den Deckenluster mit Party-Artikeln zu schmücken, da hörte sie Akyu und Lyze einen großen Tisch in den Saal zu schieben. „Vorsicht.“, meinte ihr Freund dabei, als es um die Ecke ging, dann an die Wand, zentriert zum Raum. „Was macht ihr da?“, Siri sah interessiert von oben hinab. Nachdem Akyu den Raum verlassen hatte, setzte sich der Halbengel kurzerhand auf den Tisch und nahm die alte, längliche Holzkiste herbei, die zuerst neben ihm lag. „Schau mal.“, dabei holte er schmunzelnd ein Instrument heraus. Nun wirklich neugierig sprang die junge Frau vom Stuhl und kam zu ihm rüber: „Ohh…! Das ist ja eine Gitarre! Aber woher-?“ „Avrial hat sie mir geliehen.“, er lächelte seiner Freundin fröhlich zu, „Auch er spielte einmal, aber war nie richtig gut, so meint er.“ „Oh, Super!“, Siri freute sich sichtlich, „Dann haben wir sogar Musik auf der Party!“ „Du meinst Ball.“ „Nein, Party!“ „Siri, auf einer Party wird ausgiebig gefeiert – wenn dir das tun, können wir morgen nicht-“ „Siiiirii!“, eine Kinderstimme unterbrach die zwei, als Aira hektisch um die Ecke gelaufen kam und sich gerade noch so vor ihnen einbremsen konnte, „Siri, komm schnell! Da ist ein fremder Mann herein gekommen, der behauptet, dich zu kennen!“ „Was sagst du da?“, die junge Frau sah fragend zu Lyze, der hierzu nur die Schultern heben konnte. Beide folgten der kleinen Schwester, bis in die große Halle, vor dem Eingangstor. Lyze und Aira waren zuerst noch zwei Schritte weiter gelaufen, bis sie bemerkten, dass Siri auf ihrer Stelle gefroren war. Den Mann, der nun vor ihnen stand, hatte sie zuletzt vor mehr als fünf Jahren gesehen. „Mairon…“, ihrem Blick zu urteilen, hatte sie eindeutig nicht mit seinem Erscheinen gerechnet. „Träum ich…?“ „Du warst gerade erst in der Zukunft.“, meinte Lyze, der dabei war, sein lachen zu unterdrücken, „Wie kannst du jetzt erst fragen, ob du träumen würdest?“ „Siri-“, der weißhaarige Mann senkte zuerst den Kopf, ehe er auf die Personen vor ihm zuschritt. „Ein kleines Mädchen hatte mir einst verraten, wohin ich kommen sollte, sobald schwarze Kreaturen Aira befallen.“, er lächelte vor ihr, „Es ist schön, dich endlich erwachsen kennen zu lernen, kleine Salieri.“ Eine ganze Weile brachte Siri kein Wort raus. Sie hätte niemals gedacht, Mairon würde sich an jenem Tag an ihre Worte erinnern. Schließlich brach Aira das Eis: „Du bist Siris Papa?“, sie sah zu dem großen Mann auf, „Warum sind deine Augen denn so rot? Bist du ein Vampir?“ „Hahaha!“, Mairon beugte sich auf Airas Höhe, als diese sich schnell hinter Lyzes Rücken versteckte. Dabei wanderte der Blick des einstigen Ritters zu ihm hinauf. „Du musst Siris Freund, der Halbengel sein.“, er lächelte, „Siri hatte von dir erzählt.“ „Siri-“, ein wenig entsetzt sah er in ihre Richtung, als sie wiederum den Kopf einzog: „Tut mir leid, es ist mir rausgerutscht, Lyze…“ „Nun, da bin ich scheinbar genau zur rechten Zeit gekommen.“, Mairon sah sich kurz im Kreis um, als er den geschmückten Raum betrachtete, „Plant ihr etwas Großartiges? Einen Angriff zum Beispiel…?“ Siri kam überrascht zu ihrem Erzieher: „W-woher weißt du das?“ „Weil vor dem Tor König Vilior mit ein paar Dämonen steht.“ „Was!?“, Lyze wollte gerade etwas darauf sagen, als Aira zum Tor hopste und durch einen Spalt nach draußen sah: „Er hat recht, da stehen lauter Männer rum!“ „Sag bloß – wartet da ganz Azamuth vor dem Schloss?!“ „Soviel ich weiß, hat König Vilior nur seine engste Gruppe hierher mitgenommen. Der Rest wird vermutlich auf dem Festland Desterals warten.“, wieder lächelte Mairon, sah zu seiner Ziehtochter hinab. „Wenn es euch nicht stört, würde ich gerne ein paar Tage bleiben. Vielleicht kann ich euch bei dem großen Angriff behilflich sein.“ „Uhm-“, sie sah unschlüssig zu Lyze, dann wieder zu ihm, „Klar, wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können; Avrial wird wohl nichts dagegen haben.“ „Avrial – ist das der Arcaner, von dem du erzählt hast? Es würde mich freuen, ihn kennen zu lernen.“ „Siri…!“, der Halbengel hob kopfschüttelnd die Arme – gab es denn auch etwas, dass sie in ihrer Vergangenheit nicht erzählt hat? Da hörte man ein leises Niesen im Saal schallen. „Was war das?“, dabei sah Siri zu Aira. Sie wiederum deutete auf eine der Säulen: „Ich glaube, die hat genießt!“ „Ist schon gut-“, meinte Mairon, der sich mit dem Körper drehte, „Komm endlich heraus Fendru, es ist alles in Ordnung!“ Ein kleiner, weißhaariger Junge streckte bei seinem Ruf vorsichtig den Kopf hervor. Als sich der vierjährige vorsichtig näherte, blieben sowohl Siri, als auch Lyze der Mund offen. Schließlich hielt sich der Kleine an Mairons Kleidung fest und schaute wieder schüchtern, mit seinen großen, arcaner-gelben Augen, zu den Fremden auf. „Das ist Fendru.“, dabei streichelte Mairon ihm über den Kopf, „Er ist mein Sohn.“ „Mairon…!“, als sich zuerst in Siris Gesicht Entsetzen und Unverständnis zeigten, glaubten die Anwesenden bereits, sie wäre daraufhin wütend – stattdessen griff sie nach dem kleinen Jungen und drückte ihn einmal kräftig an sich – selbstverständlich gab Fendru dabei ein leises Fiepen von sich. „Mairon! Ich habe einen Halbbruder! Ach, wenn ich das gewusst hätte, dann- ach, ich weiß nicht, was dann!“ Erleichtert ließ Mairon die angespannten Schultern sinken. Lyze beugte sich zu dem Jungen hinab, nachdem ihn Siri losgelassen hatte. „Er ist ein reiner Arcaner, stimmts?“ „Gut beobachtet… ja, das ist er.“ „Ohoho!“, Siri hüpfte vor Freude, „Du hast eine arcanische Frau gefunden!? Wo?“, sie suchte umher, „Ist sie hier?“ „Nein, sie blieb zuhause – sie meinte vor der Abreise, es sei ihr zu weit.“, er schmunzelte, „Doch ich vermute eher, sie wollte ein kleines bisschen Ruhe vor dem Alltag genießen.“ „Sieh einer an…“, da betrat Akyu den Saal und stemmte die Hände in die Hüfte. „Das wird ja langsam ein richtiger Kindergarten hier.“, er sah zum Tor, „Was ist mit denen da draußen? Feiern die auch mit?“ Lyze hob kurz die Hand zur Stirn. „Du wusstest von ihnen?“ „Uhm… ja?“ „Akyu!“, so ging er schnell zum Tor, „Ja, dann lassen wir sie doch endlich herein…“ Kapitel 25: Private Party ------------------------- Kurz nach dem Eintritt von König Vilior und seinen engsten Begleitern, darunter auch Ritter Tarrence, erklärte Avrial den privaten Ball für eröffnet – auch wenn Siri eine Party immer noch lieber gewesen wäre. Gerade, als die Exkameraden, Mairon und Tarrence sich gegenseitig erblickten, klopfte jemand an das Haupttor, welches Lyze vor einer Minute noch eben geschlossen hatte. Als er dieses dann einen Spalt öffnete und hinaus späte, gab er ein leises „Oh.“ von sich, ehe er zur Seite trat und die kleine Scharr von Engeln herein ließ. Herrscherin Alaphantasa trat vor, hinter ihr die treuen Untertarnen. Siri stellte sich neben das Tor, zu Lyze, als die Lichttruppe vorbeimarschierte. Keiner der männlichen Gäste konnte den Blick von Alaphantasa lassen: reine Haut, tiefblaue Augen und goldenes Haar. Ein sehr langes, weißes Kleid, auf ihrem Rücken die großen Federflügel, die sich perfekt mit dem Kleid zu vermischen schienen. Sogar Lyze, der die ganze Zeit neben Siri stand, drehte ihr lange den Kopf nach, ehe ihn seine Freundin von der Seite stieß: „Lyze-“, sie drehte trocken seinen Kopf zu ihr, „Lyze, Augen hier hin.“ Als nun alle erwarteten Gäste im Schloss waren – sowohl Vilior als auch Alaphantasa ließ den grossteil der Truppen am Festland – erklärte Avrial noch einmal den Ball für eröffnet. Er erwähnte dabei explizit, dass sie heute ein letztes Mal ohne Sorgen feiern wollen, ehe morgen der Plan zum Angriff auf die schwarzen Kreaturen durchgesprochen werden sollte. Es gab ein großes Buffet für die vielen Gäste. Außerdem hatte Avrial, als guter Gastgeber, extra zwei Bowlen angerichtet: „Diese hier ist für die Erwachsenen und Dämonen.“, dann deutete er auf die linke, „Die linke ist für unsere Kinder und die Engeln. Bitte nicht verwechseln, sonst ist der Ball für manche Gäste gelaufen.“ Viel wurde im Laufe des Abends gefeiert und so einiges Besprochen. Während Lyze die Gitarre zupfte – und dank zwei Dämonen und einem Engel nicht mehr alleine spielte – hatten Mairon und Tarrence einiges zu klären; schließlich war Mairon einfach verschwunden, ohne seinen besten Freund vorzuwarnen. Dies war unter anderem der Grund, weshalb Tarrence in den vergangenen Jahren einen leichten Hass gegenüber Arcanern entwickelt hatte – die Wut auf Magier war mit der Zeit nun verschwunden, doch mit Gastgeber Avrial wollte der dämonische Ritter nach wie vor kein Wort wechseln: als sie damals in einem Gefecht um Siri gegeneinander kämpften, traf er Tarrence auf seinem wunden Punkt – er riss ihm eines seiner beiden Hörner ab. Zwar war das schwarze Horn in den zwei Jahren nachgewachsen, doch beleidigt war der Dämon nach wie vor. Vielleicht war es da besser so, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Siri hatte währenddessen mit Limiu den kleinen Fendru ins Bett gebracht. Das Kind der Weisheit hielt an sich nicht viel von Festveranstaltungen – wahrscheinlich war es im Hause ihrer Mutter wichtig für die Diplomatie, oft Feste zu veranstalten – und so beschäftigte sie sich mehr mit Aira, die bei Lyze stand und der Musik lauschte. Als Siri zurück im Hauptsaal war, ließ sie ihren Blick durch die Runde schweifen: Dämonen hier, Engel da, Akyu und Avrial irgendwo mittendrin. Alle schienen sich gut zu unterhalten und keinen Streit anzetteln zu wollen. Zufrieden über diese Tatsache, setzte sich Siri in einen Stuhl zur Seite, ehe sie noch einmal durch den Saal blickte und König Vilior mit Alaphantasa plaudernd entdeckte. Bei dem Anblick, die beiden Herrscher friedlich miteinander zu sehen, legte Siri den Kopf schief. Einen Moment später stand Tarrence neben ihr, der sich nach seinem Gespräch mit Mairon wieder versöhnt hatte. Er nippte an seinem Glas, ehe sein Blick in die gleiche Richtung, wie der von Siri, schweifte. „Die zwei verstehen sich gut, nicht wahr?“ „Huch-“, Siri drehte sich leicht überrascht zu ihm, anschließend wieder zum Geschehen. „Ja… sehr gut sogar.“, ihr Kopf wurde dabei wieder schiefer, „Bilde ich es mir nur ein… oder verstehen sich die zwei etwas zu gut…?“ „Hm.“, nun verdrehte auch Tarrence seinen Kopf, als Vilior scheinbar einen Witz erzählt hatte, wobei Alaphantasa fröhlich kicherte und sich anschließend verlegen an den Nacken fasste, „Du hast recht, ein wenig zu gut.“, der Ritter seufzte über seinen König, „Er schafft es immer wieder, sich in verbotene Zonen zu begeben.“ „Das geht schon von Haus aus nicht.“, Siri war sich da sicher, „Und das wissen die beiden auch. Zumindest Alaphantasa sollte, nach Lyzes Erzählungen her, sich auf so etwas nicht einlassen wollen. Angeblich wird für sie, üblich nach alter Tradition, der stärkste und schönste Engel ausgesucht – was anderes als Engelsblut darf da nicht mal in Frage kommen.“ „Interessant.“, so Tarrence, der wieder am Glas nippte, „König Vilior wird sich auch noch für eine nette Vampirin entscheiden müssen. Oder zumindest einer Dämonin aus seinem Volk.“ Als Vilior und die Herrscherin der Engel wieder gemeinsam lachten, hob Siri seufzend die Arme. „Tja, wo die Liebe hinfällt…“ Da klirrte plötzlich etwas – es werden doch nicht zwei Gäste streiten…? Sofort schaute Siri in die Richtung des Geräusches: eine Vase war umgefallen, die am geöffneten Balkon stand. Ehe sie fragend eine Braue hob, hörte Lyze auf zu spielen. Auch Tarrence, Mairon und die beiden Herrscher schauten in die gleiche Richtung… ganz still wurde es plötzlich, wobei jeder schon Befürchtete, Avrials Bann sei gebrochen und die schwarzen Kreaturen ins Schloss eingedrungen. Stattdessen kraxelte eine Gestalt am Geländer hoch – anschließend setzte er sich, dem Fest zugedreht, darauf und winkte. „Hiii! Ich komme nicht zu spät, oder?“ „Furah…!“, Siri war nicht sehr begeistert. Sie war eigentlich nie besonders begeistert, den dunklen Magier zu sehen, doch dieses Mal ernsthaft: sie hob die Hände ins Gesicht und Blickte langsam in Mairons Richtung… Furahs großen Bruder. Der Arcaner wusste zwar schon vor Siris Ausruf, wer da am Balkon saß, fühlte sich jetzt aber in seiner Feststellung bestätigt. Langsamen Schrittes ging er nach vor, aus der Masse heraus. „Furah-“, dabei schaute der dunkle Magier gelangweilt in seine Richtung. In diesem Moment wurde Siri kleiner. Ihre Gedanken durchschweifte nur ein Satz: „Bitte Mairon, sage nichts Falsches… Bitte nicht, lass es gut sein.“ „Furah, du bist es…!“, Mairon machte noch einen Schritt nach vor, wobei sich Siri, leise mit einem Seufzer, zur Seite drehte: „Zu spät…“ „Hä?“, Furah hob die Schultern, ehe er vom Geländer aufstand. „Sollten wir uns kennen?“ „Ich bin es, Mairon! Dein Bruder!“ „Bruuudeeer…?“, der dunkle Magier lachte auf, „Sorry, da verwechselst du mich!“ „Es gibt nicht viele Arcaner, die dich verwechseln könnten. Furah, vor hundert und zehn Jahren habe ich dich- ich habe dich in einem Weisenhaus ausgesetzt…“ Furah lachte weiter, wegen vorhin. Doch langsam wurde sein sonst so verrücktes Lachen leiser, bis es schließlich verstummte. Noch immer war der Ball in seiner Feststimmung gestört, nichts und niemand sprach ein Wort. Stetig sah Mairons kleiner Bruder ernster drein – man konnte richtig mit ansehen, wie nach und nach die Wahrheit, die Bedeutung von dem Arcaner ihm gegenüber lauter wurde. Schließlich zog sich Furahs Mimik traurig und wütend zusammen, ehe er sich umdrehte und seitlich über das Geländer verschwand. Siri war dabei zum Balkon gelaufen, „Furah, warte…!“, ehe sie hinab sah, ihn aber nicht mehr finden konnte. „Na toll…“ „Furah ist nicht weg.“, Avrial meldete sich zu Wort, wobei sich Marion und die junge Frau umdrehten, „Er hat sich im linken Flügel des Stockwerks verzogen. Vielleicht sollte ihm jemand nach, ehe die Situation eskaliert.“ Während Mairon nickte und loslief, blieb Siri kurz bei dem Gastgeber stehen. „Woher weißt du-?“ „Magie im Schloss.“, er grinste, „Du glaubst doch nicht, ich bin unvorbereitet und lasse den Erzfeind unbewacht in meinen vier Wänden umherstreifen…?“ „Ach…“, Siri ging Mairon nach; blieb aber vorerst beim verlassen des Saals stehen: „Lyze, spiel weiter.“, sie winkte in den Raum, „Alles in Ordnung, lasst uns feiern!“ Auf ihren Ausruf hin, spielten die Musiker weiter, ehe das Gerede und Gelächter langsam in die Runde zurückkehrte. Auf dem langen Gang draußen, sah die junge Frau gerade noch so Mairon um die Ecke verschwinden. Sie lief ihm nach, wollte aber keinesfalls das Gespräch stören. So hörte sie, wie die Doppeltüre links im Gang ins Schloss fiel und blieb davor kurz stehen. Dann hielt sie für einen Moment die Luft an, um langsam die Türklinke zu drücken und diese einen Spalt zu öffnen. Das Zimmer war leer; niemand saß auf dem Bett und auch nicht beim kleinen Tisch in der Ecke. So stieß sie sacht die knarrende Tür auf und schlich die Wand entlang, bis hin zu den roten Vorhängen eines weiteren Balkons: von dort aus drang schließlich, leise, Mairons stimme zu ihr durch. Abermals schlich sie, so leise es ging, hinter den Vorhang, bis an die Ecke, um mit einem Auge zu den beiden Arcanern zu schielen. Furah saß wieder am Geländer. Dieses Mal dem Balkon den Rücken zugekehrt, nach unten, der Insel und dem Meer zustarrend. Mairon lehnte an der Wand, direkt vor Siri und redete seinen leisen Satz zu ende. Erst dann konnte die junge Frau dem Gespräch folgen. Sie hoffe inständig, es würde gut enden. „Ich hätte dich niemals ohne einen triftigen Grund alleine gelassen, Furah. Ich war jung und konnte keinesfalls ein Kind großziehen. Ich hatte weder die Mittel, noch das Wissen dazu…“ Kurz trat Stille ein. Mairon seufzte tief und schaute leicht zur Seite. „Denkst du, ich hätte dies gern getan? Seit einem Jahrhundert plagt mich mein Gewissen.“, er verschränkte die Arme, „Nur zu… frag mich etwas. Ich erzähle dir alles, was ich weiß. Du willst etwas über Arcan wissen? Die dunkle Magie? Unsere Eltern? Ich erzähle es dir.“ Bei den Worten „Eltern“ hatte Furah endlich den Kopf gehoben. Erleichtert, seinen Bruder endlich erreicht zu haben, begann Mairon abermals zu sprechen: „Unsere Eltern hießen Vail und Theodor. Wir lebten nahe der Grenze zu Altarcan; dieser Teil des Landes war bereits in die Hände der dunklen Magiern gefallen und zustört. Unsere Mutter hatte dunkelgrüne Haare, wie du, Vater schwarze und einen dünnen, aber langen Bart. Er liebte den Kuchen, den unsere Mutter immer backte. Seid ich denken konnte, tobte in Arcan allerdings schon der Krieg. Eines Tages kehrte unser Vater nicht mehr zurück. Unsere Mutter war schwanger mit dir, als sie davon erfuhr. Ich half ihr so gut es ging, bis zum Schluss; bis du geboren wurdest. Ich verlies in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für uns beide das Land – und den Rest kennst du ja.“ Noch immer sprach Furah kein Wort. Mairon war kurz davor, „Willst du nicht auch was sagen?“ zu fragen, als sich der kleine Bruder endlich zu ihm drehte: „Vater mochte Kuchen…?“ Bei der Frage hielt sich Siri rasch die Hand vor den Mund, um nicht zu lachen – von all den Erzählungen, fragte Furah ausgerechnet nach dem. „Ja…“, lächelte Mairon, „Apfelkuchen. In Arcan waren Äpfel nicht häufig zu finden.“ „Hm…“, kurz sah der dunkle Magier in die Ferne, „Ich mag Äpfel.“ „Ich auch. Sie sind süß und gesund.“ „Ts, gesund. Sie sind gut zum Schmeißen, auf hochnäsige Waldpassanten.“ Da fing Mairon laut an zu lachen, ehe er damit Furah zu einem schmunzeln anstreckte: „Haha, auf vorbeikommende Leute? Wieso das denn?“ „Weiß auch nicht.“, Furah zuckte mit den Schultern, „Wenn ich die reichen, fetten Säcke sehe, kriege ich so ein Würg-Gefühl. Sagen wir es so: sie haben es verdient!“ „Hahaha, da hast du nicht ganz Unrecht, sie sind nicht gerade nette Menschen…“ Wieder trat Stille ein. Dieses Mal hatte sie den unterschied, dass beide lächelten und Furah sogar zu seinem Bruder sah. Nach dem kurzen Moment stand der dunkle Magier endlich vom Geländer auf. „Weißt du, Furah… ich habe eine Frau und einen Sohn – neben Siri versteht sich. Wenn du willst, kannst du gerne für ein paar Tage vorbeikommen. Meine Frau freut sich bestimmt über arcanischen Besuch.“ „Vielen Dank.“, nickte Furah schließlich, „Es wäre mir eine Freude… Mairon.“ Und da: Siri späte lächelnd um die Ecke, als ihr Ziehvater die Arme öffnete und Furah die Umarmung erwiderte. Fröhlich hüpfte die junge Frau kurz hinter dem Vorhang, ehe sie zurück schlich, zur Tür. Gerade, als sie diese durchschritt, konnte sie noch Furahs Stimme wahrnehmen: „Warte… Siri ist deine Tochter?“ Nach einem kurzen Schlucken verließ sie schließlich das Zimmer, schnell über den Flur – das Eis war gebrochen und die zwei kamen gut klar, mehr musste Siri nicht wissen. Zurück im Saal trottete sie, schon leicht erschöpft, zu ihrem Stuhl, in dem sie sich niederließ. Avrial warf ihr noch einen neugierigen Blick zu, ehe sie lächelnd nickte und dem Arcaner somit andeutete, dass alles mit ihrem Ziehvater und Furah in Ordnung sei. Dann seufzte sie einmal tief. Die junge Frau hätte Lust, ins Bett zu verschwinden; das aber wäre, aus ihrer Sicht, unhöflich den Gästen und vor allem den Herrschern gegenüber. So setzte sie sich auf und suchte umher: ein wenig tanzen könnte sie in Feststimmung zurückbringen, doch Lyze stand nicht mehr bei der Gitarre; wohl machten die Musiker gerade eine kleine Pause. Eine weile Suchte Siri mit den Augen umher, bis sie den Halbengel schließlich, mit einem Dämon plaudernd, bei den Bowlen sah. Beide lachten und schienen sich gut zu verstehen. Ohne den Augenkontakt zu verlieren, redete Lyze weiter, während er nach der rechten Bowle griff und sich ein Glas füllte. Moment… die rechte? Sofort war Siri aufgesprungen und lief ihm entgegen, durch die Gästemasse hindurch – sie wusste genau, als Halbengel vertrug er genauso viel Alkohol wie ein vollwertiger Engel: nämlich gar keinen. Schon führte ihr Freund, im Gespräch vertieft, sein Glas zum Mund. „Lyze, nicht…!“ – es war zu spät. Fragend sah Lyze noch in ihre Richtung, dann etwas erschrocken zu seinem Glas hinab. „Oha…“, leise entfleuchte ihm seine Feststellung, ehe er das Gleichgewicht verlor und seitwärts umkippte. Während ein paar weibliche Engel erschrocken zur Seite sprangen und Akyu herbei gelaufen kam, griff sich Siri nur mehr an die Stirn. Irgendwie war die Feier ein reines Desaster. Lyzes Bruder hockte sich neben ihn und klopfte auf seine Wangen. „Tja, der ist weg.“, dann sah er grinsend in die Menge, die sich rund herum versammelt hatte: „So ein Weichei – ich vertrage zwei Schlucke, ohne in Ohnmacht zu fallen!“ Noch bevor Akyu es demonstrieren konnte, stellte sich ihm Siri trocken in den Weg. „Wehe dir… tu es und ich sperr dich in nem Turmraum ein.“ „Ist ja gut, keine Panik!“, lachte er verlegen, „War ja nur ein Scherz, ich will doch nicht die Party ruinieren…“ „Macht Platz, lasst dem Halbengel etwas Luft.“, Avrial kam herbei, der sich bei Lyzes Anblick den Zylinder hochhob und am Kopf kratzte. „Avrial, es tut mir so leid!“, meinte Siri, die nun neben ihm stand, „Der Ball ist ein reiner Alptraum, andauernd passiert – so ein Schwachsinn!“ „Na, Siri. So schlimm ist das nun auch nicht; mit Furahs Erscheinen hätten wir rechnen müssen und Lyze – war eben Abgelenkt.“, er beugte sich hinab und nahm den Halbengel an den Füßen. „Komm, wir bringen ihn in sein Zimmer.“, er lächelte, „Wäre doch gelacht, wenn er bis zum Morgen nicht wieder bei vollem Bewusstsein wäre.“ „In Ordnung…“, Siri nahm Lyze bei den Armen und drehte sich anschließend zu den umherstehenden Leuten: „Feiert weiter, wir sind gleich zurück!“ Beim verlassen des Saals warf Siri Akyu noch einen überwachenden Blick zu, nur, um ihn zu zeigen, dass sie ihre Drohung ernst meinte. Den bewusstlosen Halbengel ins Bett gelegt und zugedeckt, setzte sich Siri an die Kante und seufzte einmal Tief, ehe sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Dann lächelte sie zu Avrial. „Danke für deine Hilfe…“ Er nickte darauf freundlich. Dann drehte er sich um und schritt zur Tür, bereit wieder in den Saal zu gehen. „Du wusstest es, nicht war?“, begann Siri, sodass er, Hand auf die Türklinke gelegt, noch einmal zu ihr sah. „…Was wusste ich?“ „Dass Limiu… das Kind der Weisheit, unsere Tochter ist.“ „Nein.“, war die lächelnde Antwort, „Ich hatte wirklich keine Ahnung.“ „Wieso hast du uns dann geholfen?“, sie drehte sich im Sitzen, dem Arcaner entgegen, „Wieso hast du Lyze auf die Beziehung aufmerksam gemacht?“ „Siri…“, der Magier musste schmunzeln, ehe er den Kopf schüttelte. „Hast du dich jemals gefragt, warum Lyze ausgerechnet angefangen hat, Gitarre zu spielen …?“ Siri verstand nicht. Jedenfalls nicht sofort und so sah sie, fragend und doch verblüfft in Avrials Richtung. Dieser öffnete die Tür, ehe er heraustrat, „Denke darüber nach, Siri.“, und verschwand, den Gang entlang. Lange saß die junge Frau noch an der Bettkante und sah Lyze beim erholsamen Schlaf zu. Schlussendlich begann sie tatsächlich über Avrials Worte nachzudenken. Ihr kam in den Sinn, dass der Halbengel damals, als sie sich kennen lernten, wahrscheinlich nie auf den Gedanken gekommen wäre, Gitarre spielen zu lernen. Doch Mica. Mica war als Muse sehr begabt und spielte schon in der Kindheit gerne für sie Lieder. Er war es auch, der sich zum Schutz bei einer Rockband versteckt hielt und diese als Gegenleistung mit Inspiration füllte. Könnte es sein? Hatte Lyze sich ausgerechnet den Job eines Musikers gesucht, um Mica ähnlich zu kommen? Hat er es für Siri getan…? Bei ihren Gedanken sah die junge Frau auf. War es tatsächlich diese Überlegung, auf die Avrial aufmerksam machen wollte? Sollte es wirklich so sein, dachte sich Siri – und sah nebenbei zu ihrem Freund – dann mochte Lyze sie tatsächlich schon um einiges länger, als sie glaubte. Dem Halbengel musste man den offensichtlichen Weg zeigen, ihn vor den Kopf stoßen. Doch Siri, wie sie feststellte, schien plötzlich um kein Nima besser zu sein. Kapitel 26: 8. Die letzte Schlacht ---------------------------------- Der große Tag war angebrochen: Airas Geburtstag – und natürlich der Angriff auf die schwarzen Kreaturen. Aira bekam zu ihrem zwölften Geburtstag nichts weiter Besonderes. Zum einen, wer hätte es gedacht, hatte niemand in dieser schweren Zeit ein Geschenk bei sich. Zum anderen wurde dafür gestern ein recht großer Ball veranstaltet, den sie sich schließlich gewünscht hatte. Allerdings verzichtete Herrscherin Alaphantasa nicht darauf, der Heranwachsenden, die vor ein paar Tagen das erste Mal geflogen ist, eine Engelsgeschmiedete Kette zu schenken. Dies war eine große Ehre, wenn man bedenkt, dass für normal nur wenige Bodenbewohner die Herrscherin überhaupt zu Gesicht bekamen. Lyze war, wie viele Gäste nach dem langen Fest gestern auch, ziemlich spät am Vormittag wach geworden. Im Nachhinein fand auch Avrial die Idee mit zwei Bowlen, unbeschriftet nebeneinander aufzustellen, ziemlich schwachsinnig. Das Kind der Weisheit, Limiu, hatte bereits gestern vor dem Fest an einer Karte des Hauptsitzes von Destercity und der umliegenden Umgebung gearbeitet. Nun, nachdem endlich restlos alle (ausgenommen der Kämpfer an der Küste Desterals) im Saal versammelt waren, stellten Avrial und Limiu den Plan zum Angriff vor – der Arcaner machte dabei den Anfang: „Wie ihr bereits wisst, sind die schwarzen Kreaturen nicht endgültig vernichtbar. Für die, die in der ersten Welle kämpfen, könnte das gefährlich werden. Jedoch kann man sie Sehrwohl, für einige Zeit, außer Gefecht setzen. Sie sind anfällig auf Feuer; ebenso, wenn man ihnen den Kopf von den Schultern trennt, brauchen die Kreaturen lange, um sich wieder aufzubauen. Unterstützt euch innerhalb eurer Gruppe gegenseitig und helft einander, um möglichst wenig Opfer zu beklagen. Limiu; das Kind der Weisheit neben mir, hat eine hervorragende Strategie entwickelt, schnell und Zielstrebig bis ins innerste der Mauern vorzudringen. Dies ist wichtig – denn nur die Mutterkreatur allein kann getötet werden. Allerdings nicht mit irgendeiner Waffe. Ich wiederhole: nicht mit irgendeiner – also bleibt in euren Gruppen und kommt bitte nicht auf die Idee, den anderen weiter innen zu helfen.“, Avrial wank Siri herbei, die den Dolch innerhalb der Kiste trug. „Allein dieser Dolch, aus Puren Fendus-Kristall, kann der Mutterkreatur und damit allen Monstern ein Ende setzen. Euer Ziel ist es also, Siri, die junge Frau bei mir, ins Herz zu bringen. Stück für Stück.“ Da zeigte einer der Dämonen auf, bevor er gleich zur Frage kam: „Soll das ernst gemeint sein? Ein Mädchen!? Gebt den Dolch nen Krieger, wie Tarrence zum Beispiel!“, sogleich nach seiner Aussage, nickten, durcheinander quasselnd, sowohl die Dämonen, als auch die Engel untereinander. „Bitte – bitte beruhigt euch. Selbstverständlich könnte ein Krieger die Sache zu Ende bringen… Ihr könnt die Tat allerdings auch der Erbin der Familie überlassen, die zu jener Zeit dafür verantwortlich war, dass die schwarzen Kreaturen eingesperrt wurden, anstatt sauber vernichtet zu werden.“ Nun redeten die Völker noch verwirrter untereinander, daher sprach auch Avrial lauter: „Sie ist der Nachfahre der Königsfamilie. Die rechtmäßige Thronerbin von Desteral.“ Plötzlich war es Still. Ungläubig wurden Avrial und Siri von allen Seiten angestarrt, ehe die junge Frau klein wurde; sie wollte am Liebsten im Boden versinken. Nicht zuletzt wussten Furah und vor allem Mairon noch nichts von diesem überaus seltsamen Zufall. „Gebt ihr eine Chance.“, sprach der Arcaner dann weiter, „Sie will und muss sich beweisen, vor ihrem Volk. Ihr werdet dankbar sein über ihre Tat und vor allem nicht Enttäuscht werden.“ Kurz tuschelten nun alle untereinander. Avrial räusperte sich dabei, dann sah er zu Limiu. „Wenn niemand mehr Fragen oder einen Einwand hat, dann wird euch das Kind der Weisheit nun erklären, in welche Wellen ihr unterteilt sein werdet.“, er trat zur Seite, damit das Kind Platz hatte, auf die aufgehängte Karte zu zeigen: „Da die Dämonen-Armee am größten ist, wird diese die erste Welle bilden.“, sie zog einen großen Außenkreis um das Gebäude in der Mitte, „Plan ist es, die meisten Kreaturen schon am Anfang zu beseitigen, damit die nächste Welle vorrücken kann-“, nun zog sie, innerhalb des Außenkreises, einen weiteren. „Die zweite Welle werden die Engel bilden. Ihre Lichtmagie sollte in der Lage sein, viele Kreaturen zu blenden und zu verbrennen.“, sie zog noch einen Kreis, wieder enger um das Gebäude rum, „Wir treffen uns mit den Tiermenschen direkt vor Ort. Sie werden die dritte Welle bilden und die Kreaturen, ganz nahe des Hauptgebäudes, in Schach halten.“ Nun sah Limiu kurz ab, in die Menge. Ihr Blick wanderte rüber zu den Arcanern, ehe sie weiter sprach. „Die schwarzen Kreaturen haben um das Gebäude eine Art Schutzhülle gebildet, die es zu brechen gilt. Hier kommen unsere Magier ins Spiel – ihr müsst euch aufteilen und die Schutzhülle brechen, damit weiter vorgerückt werden kann.“ Avrial trat vor. „Ich werde, wenn das geschafft ist, die gebrochene Schutzhülle auch weiterhin halten, damit diese sich nicht wieder aufbaut. Mairon und Tarrence möchte ich daher bitten, den Weg im Anschluss frei zu halten. Furah sollte in der Lage sein, einen Eingang in das Hauptgebäude zu ermöglichen.“ „Na und ob!“, rief er darauf hin aus der Menge heraus. „Furah, Lyze und Schwertkämpfer Akyu werden Siri durch das Innere begleiten. Der Weg im Zentrum, zur Mutterkreatur, sollte nicht mehr allzu schwer zu schaffen sein, da das Biest bereits alle verfügbaren Monster draußen verbraucht haben sollte.“, er sah dabei zu Siri, „Den letzten Teil musst du erfüllen. Während Furah, Lyze und Akyu die Kreatur in Schach halten, stößt du zu.“ Siri hatte erwartet, dass es ihr nach dem besprochenen Plan besser ginge. Doch nun, wo sie ihn voll gehört hatte, fing die Nervosität erst so richtig an. Sie schluckte, nickte aber dann dem Arcaner zu. Es war ein langer Plan, den jede Gruppe und Angriffswelle für sich allein verstehen konnte. Weder die Dämonen, noch die Engel schienen irgendwelche Bedenken zu haben. Allein die Tatsache, dass eine wehrlose Menschenfrau der Hauptkreatur ein Ende bereiten sollte, lag manchen etwas schwer im Magen. Doch König Vilior wusste genau, zu welchen Fähigkeiten Siri in der Lage war. Als Engel blickte auch Alaphantasa optimistisch der Sache entgegen; Avrial schien ihr ein kluger Mann zu sein, der wusste, was er tat. Unter den Befehlen ihrer Herrscher mussten sich somit die wenigen Krieger, die Zweifel an dem Plan hatten, trotzdem anschließen und einfach vertrauen haben. Zwei Stunden dauerte es, bis die Mischlings-Armee Schloss Ikana den Rücken gekehrt hatte und sich im Hafen wieder fand, bereit für die Überfahrt aufs Festland Desterals; der Wiedervereinigung mit den restlichen Kriegern und Soldaten der Licht- und Dämonenarmee stand nichts mehr im Wege. Während der Wartezeit auf die Schiffe, stand Avrial am Steg und blickte hinaus aufs Meer. Ihm wurde langsam bewusst, dass er wohl neben den beiden Herrschern das Sagen hatte – denn mit dem Plan stand und fiel alles. Niemals hätte er gedacht, je in so eine Position zu geraten. Wie denn auch, nachdem er ein halbes Jahrhundert im Schloss verbracht hatte? Dank seinen Freunden war er aufgetaut – und das in binnen von zwei Jahren. Wohl ist das Schicksal unergründlich, so dachte er. Zu ihm gesellte sich mit der Zeit Mairon. Er beobachtete ebenfalls das Meer und die Wellen, ehe er begann zu sprechen: „Furah sagte mir, ihr seid im streit.“ „Im streit?“, Avrial sah schmunzelnd weg, „Waren seine Worte nicht vielmehr ‚Wir sind Erzfeinde’?“ „Selbstverständlich.“, nun lächelte Mairon, „Eine Kinderfreundschaft, die zu brutalen Schlachten führte. Ich kann deinen Ansatz verstehen. Furah übt die dunkle Magie aus und muss vernichtet werden… schon unsere Eltern führten diesen Krieg.“ „So ist es.“ „Das ist falsch.“, er legte eine Hand auf Avrials Schulter, der fragend zu ihm sah. „Furah ist mein Bruder – und dein Freund. Ich weiß, die dunkle Magie muss vernichtet werden, doch Furah ist nicht das Ziel. Keinesfalls.“ „Das verstehst du nicht; du kannst es nicht verstehen. Du hast ihn nicht gekannt, nicht so wie ich.“, der Arcaner nahm Mairons Hand von seiner Schulter, „Die dunkle Magie hat ihn von Grund auf verändert-“ „Und wenn schon. Furahs Charakter ist seit etlichen Jahren geprägt; wenn man also davon ausgeht… dann ist dies sein wahrer Charakter. Du hast recht, was die dunkle Magie betrifft.“, nun verzog sich Mairons Mimik finster, „Aber wenn du noch einmal versuchst, ihn auszulöschen, kriegst du es mit mir zu tun.“ „Ha-“, Avrial musste lachten, „Hahaha, Geschwisterliebe! Dass dies jemals auf Furah zutreffen würde…“ „Lach nur, Avrial. Ich weiß, du bist ein schlauer Arcaner. Akzeptiere ihn, oder gehe ihm weiterhin aus dem Weg und verkriech dich in deinem Schloss. So oder so: lass ihn in Frieden. Würdet ihr endlich reden statt kämpfen, kämen neue Erkenntnisse zum Vorschein, von denen ihr nichts wusstet – vielleicht sogar eine Versöhnung.“ „Versöhnung…“, Avrial senkte den Kopf und schmunzelte, „Hast du mit ihm schon darüber geredet? Wohl kaum…“ Im Hintergrund kam Furah angelaufen, wobei sich Mairon ihm zudrehte. Noch einmal lächelte er, „Denke einfach darüber nach, Avrial. Der Freundschaftswillen.“, ehe er sich seinem Bruder widmete. Furah sah an ihm vorbei, dem in Gedanken versunkenen Arcaner entgegen. „Wo schaust du denn hin? Die Schiffe kommen wenn dann von Westen.“ „Du hast Glück, deinen Bruder zu haben. Lass uns den Plan gemeinsam durchziehen… ohne Streit.“ Der dunkle Magier verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Er blinzelte Avrial entgegen, ehe er sich zu Mairon drehte: „Wovon redet er da? Hab ich was verpasst?“ „Es ist nichts.“, sein Bruder klopfte ihm auf die Schulter, ehe er sich in Bewegung setzte, zurück zu den Kriegern, „Ich rede später mit dir darüber.“ Kurz blieb Furah am Fleck, ehe er zuerst Mairon, dann Avrial nachgrinste. „Ach ich verstehe, Gespräche unter Frauen!“ Auf der anderen Seite der Völkervermischten Armee standen Siri und Lyze bei einander. Zuerst hatte der Halbengel versucht, seine Freundin zu beruhigen, dann hatte er festgestellt, dass sein Bruder Akyu irgendwo in der Menge verschwunden war. Er blickte am Fleck stehend umher, um ihn eventuell aus der Masse heraus zu erkennen. Schließlich drehte er sich ganz von Siri weg und kratzte sich überlegend am Kopf, ehe er losging. Plötzlich zupfte jemand an Siris Kleid – die sich überrascht zu Limiu, Aira und Fendru umdrehte. „Kinder!“, sie beugte sich runter und blickte umher, als wenn sie versuchen würde, zu verhindern, dass die drei gesehen werden. „Was macht ihr denn hier? Wir haben doch gesagt, ihr sollt im Schloss auf uns warten!“ „Es ist so still dort oben, ohne euch…“, Aira verschränkte die Arme, „Ich bin kein Kind mehr, ich könnte euch helfen!“ Limiu zuckte mit den Schultern, „Die zwei wollten euch unbedingt noch einmal sehen. Fendru vermisst seinen Vater.“ „Oooch, das weiß ich doch…“, Siri streckte die Hand zu Fendru aus, der sich schüchtern hinter Aira versteckt hatte, „Mairon ist bereits irgendwo in der Menge, es wäre Schwierig, ihn jetzt noch schnell zu finden… Limiu, hast du die zwei nicht versucht zu beruhigen? Du kommst aus der Zukunft, kannst du den beiden nicht erklären, dass alles gut wird?“ „Nein.“, so die klare Antwort, „Nicht sicher. Vieles wird parallel zu meiner Gegenwart verlaufen, aber einiges kann auch völlig verändert ausgehen.“ „Limiu…!“, die junge Frau flüsterte, leicht verstimmt, „Dann erzähl ihnen doch irgendetwas. Es sind Kinder, verdammt!“ „Meinst du etwa, sie glauben alles, was man ihnen erzählt? Fendru vielleicht noch, doch Aira ist definitiv zu groß.“ Aira mischte sich fragend hinein: „Redet ihr über mich?“ „Schluss jetzt.“, so Siri, die aufgestanden war, „Es wird alles gut werden. Ich weiß es. Lyze, Akyu, Mairon und mir wird ganz bestimmt nichts passieren. Und nun geht hinauf zum Schloss, ehe euch jemand entdeckt!“ Da wank Aira mit den Händen. „Aber Siri-“ „Kein aber!“ „Na schön!“, das Mädchen klammerte sich an sie, „Sag Lyze, dass ich euch Lieb habe. Und wehe dir, wenn nicht!“ Nun wurde die junge Frau ruhiger. Sie blinzelte kurz zu Aira hinab, ehe sie die Umarmung erwiderte. „…Selbstverständlich… und nun geht, bevor ihr ärger kriegt, ja?“ Noch einmal nickte das Mädchen und trat von Siri weg. Sie nahm Fendru bei der Hand und blickte kurz zu ihr zurück, lächelnd, ehe sie sich auf den Weg machten. Die zwei Kinder gingen an Limiu vorbei, die noch immer am selben Fleck stand. Siri schaute sie eine Weile an, ehe sie seufzte. „Was?“ Wortlos kam die kleine plötzlich angelaufen und umarmte sie fest. „Limiu…!“ „Pass bitte auf dich auf, Mama!“ Das Kind der Weisheit hatte Siri das erste Mal ‚Mama’ genannt. Ausgerechnet jetzt. Was hatte das zu bedeuten? Ahnte Limiu etwas, von dem die junge Frau nichts wusste? Gewiss jagte das Kind ihr damit Angst ein, doch umarmte sie die kleine schließlich zurück. „Das werde ich… ich verspreche es dir.“ Da stand Lyze hinter den beiden, konnte bei dem Anblick nur die Arme in die Hüfte stemmen. „Was versprichst du ihr…? Was ist hier eigentlich los?“ „Uhm, gar nichts…“, so Limiu, die schnell von Siri abließ. „Tschüss Siri, tschüss Papa, habt spaß und passt auf euch auf!“, dann lief sie weg, den beiden anderen Kindern nach. „Siri?“, der Halbengel deutete fragend zu den Kindern, die den Weg zurückgingen. „Sie wollten sich noch einmal verabschieden… sie machen sich große Sorgen.“ „Das kann ich verstehen… aber- Was sollte das eben?“ „W-was eben?“ „Limiu – wieso hat sie dich gerade umarmt? Ich dachte, du könntest sie nicht leiden?“ „Hat sie das?“ „Oh ja, das hat sie. Ihr zwei verheimlicht mir doch schon wieder etwas?“ „Nein- nein, wirklich nicht!“ „Siri-“, Lyze griff sich seufzend an die Stirn, „Willst du, dass es wieder so ausartet, wie bei unserer Ankunft auf Ikana…?“ „Nein… natürlich nicht.“, sie senkte den Kopf. „Dann sage es mir. Kurz und schmerzlos.“ „Na gut…“, schließlich gab die junge Frau sich geschlagen, zuckte nur mehr mit den Schultern: „Limiu ist meine Tochter.“ „…Was?“ „Hast du Tomaten auf den Ohren!?“ „Siri, das Kind der Weisheit kann nicht-“, Lyze stockte, blickte noch einmal zu den Kindern. Anschließend schaute er wieder zu Siri, ehe er auf sich selbst deutete. „M-? Ich mein-?“ Die junge Frau musste über seine perplexe Reaktion heftig schmunzeln, wenn nicht sogar lachen, ehe sie zustimmend nickte. Noch bevor er es richtig schnallen konnte, fuhren endlich die erwarteten Schiffe in den Hafen ein. Nun hatte er auf der Fahrt etwas, über das er lange nachdenken konnte. Kapitel 27: Der Sturm auf Destercity ------------------------------------ Nachdem die Schiffe eingetroffen waren, verlief die Überfahrt nach Desteral schnell. Lyze und Siri hatten am Bord noch einen kleinen Wortwechsel über Limiu. Nachdem er nun wusste, dass die zukünftige Mutter die ganze Zeit vor ihm stand, konnte er endlich verstehen, wieso sich Siri seit der Wiederkehr aus der Zukunft keine Sorgen mehr machte: es wird nie eine andere Frau in seinem Leben geben; zumindest in den nächsten elf Jahren. Bereits beim Eintreffen an der Küste konnte man die Zelte der großen Dämonen- und Engel-Armeen sehen. Sie hatten ihre Lager getrennt von einander aufgebaut, mit einem Sicherheitsabstand von ungefähr einem Kilometer. Auch wenn Frieden herrschte, so war ein Misstrauen unter den Völkern stets vorhanden. Alaphantasa war zu ihrer Armee gereist, König Vilior zu seiner. Sie erklärten mit Hilfe von Avrial den restlichen Truppen den Plan – damit auch niemand Ahnungslos bei einer falschen Welle mitlief. Weiter abseits wartete indes die gemischte Gruppe beieinander. Darunter auch Siri, als Mairon eine Hand auf ihre Schulter legte, sodass sie sich zu ihm umdrehte. „... Die rechtmäßige Thronerbin von Desteral. Wer hätte das je vermutet...?“ „Mairon-“, Siri fasste sich verlegen an den Nacken, „Ich hätte es dir gerne bei deiner Ankunft erzählt, aber irgendwie... irgendwie ging das nicht. Ich- ich hatte ein wenig Angst davor... dass du es nicht verstehen würdest, oder so. Ich meine, du- du bist mein Vater und daran wird sich auch nie etwas ändern-“ Der weiße Arcaner begann bei ihrem letzten Satz den Kopf zu schütteln. „Etwas anderes hätte ich auch nie gedacht. Mir ging es ähnlich wie dir, was die Angst vor Missverständnis betrifft. Ich machte mir sorgen, du könntest die Existenz von Fendru nicht verstehen.“ „Die Existenz...?“, Siri verdrehte ein wenig den Kopf, wusste aber, was sein Erzieher damit sagen wollte. „Siri, du wirst immer meine Tochter bleiben.“, er legte beide Arme auf ihre Schultern, „Und es ist mir klar, wie viel Verantwortung nun auf dir lastet. Lass dir nur eines gesagt sein: egal, wie der heutige Tag enden wird... ich werde immer Stolz auf dich sein.“ „Vielen Dank-“, nun umarmte Siri ihn, „Danke – ich werde mein Bestes geben, das Verspreche ich dir.“ Als nun beide Armeen vollständig waren und die Lager abgebaut, konnte es endlich losgehen – zumindest dachte man es. Gerade, als die riesige Masse losmarschieren wollte, hörte man in der Ferne ein Horngebläse. Viele aus der Menge drehten sich dem Geräusch zu, als Furah, der auf einen Baum gekraxelt war, Entwarnung geben konnte: es waren die Tiermenschen, die von der Küste herbei geeilt kamen. Ihre Armee war im Verhältnis zu den Dämonen und Engeln kleiner, dafür durch die verschiedensten Animo-Arten stark. Siri fiel ein Stein vom Herzen, als sie die Truppe kommen sah. Ihre Befürchtung war es, dass ihre Freundin, an die sie geschrieben hatte und die Beziehung zu einem der Adelshäuser hat, nichts ausrichten konnte. Doch scheinbar war das Gegenteil der Fall. So ging die Reise los, nach Destercity, um die schwarzen Kreaturen ein für alle mal zu vernichten. Währenddessen, abseits vor der zerstörten Hauptstadt, sah man einen einzelnen Mann über die Trümmer hetzen. Er eilte durch die finstere Gegend, blickte dabei kurz zum Himmel, der von schwarzen Wolken verdeckt war, ehe er über ein im Weg liegendes Stahlrohr sprang, hinein in einen Graben. Dort zog bei seiner lauten Ankunft ein weiterer, älterer Mann – der Offizier – den Kopf zurück. „Pssst!“, er betrachtete dabei erbost den Kameraden, der völlig aus der Puste war. „Entschuldigt, Sir.“, meinte er, „Fast wäre ich entdeckt worden...“ „In Ordnung. Sei das nächste Mal nur vorsichtiger... wie ist die Lage im Süden der Stadt?“ „Schlecht, Sir...“, er seufzte, „Weder Granaten, noch Schusswaffen haben den Bastarden etwas anhaben können. Den Männern geht die Munition aus... sie... sie sterben wie die Fliegen, Sir.“ „Verdammt...“, der Offizier musste hart schlucken. Er wusste schon lange, dass es schlecht um Destercity stand, doch allmählich gingen auch die letzten Einsatzkräfte zu Grunde. Der Offizier rieb sich die Augen und versuchte vernünftig zu denken. Leider aber gingen ihm die Ideen aus – egal was er tat und welch „raffinierten“ Plan er sich ausgedacht hatte, nichts schien den Kreaturen auch nur im geringsten zu schaden. Langsam musste er sich eingestehen, dass die besetzte Hauptstadt so gut wie verloren war. Da waren abermals hastige Schritte zu hören. „Sir!“, ein weiterer Mann stand ganz aufgeregt vor dem Graben. „Sir, die Verstärkung ist hier!“ Ohnehin schon gereizt, sah der Offizier schnaufend auf: „Welche Verstärkung denn!? Wovon in Desteral redest du!?“ Hastig redete der Mann darauf hin weiter. „Die Engel und die Tiermenschen! Krieger aus Azamuth und Arcaner sind auch dabei! Sir, halb Aira versammelt sich am Horizont!“ „Was!?“, höchst überrascht setzte der Ranghöhere sich auf, ehe er aus dem Graben sah – irgendwie konnte er den Worten des jungen Mannes nicht glauben. Tatsächlich sah man gen Horizont bereits eine riesige Masse von Lebewesen heranziehen. Völlig aus der Fassung, mit offenem Mund, rutschte der Offizier in den Graben zurück. „Sir, wie lauten die Befehle? S-sir...?“ Ein leises Wimmern war vom Offizier zu hören. Die neue Hoffnung war so groß, dass er begann zu weinen. Schließlich wischte er sich über die Augen und stand neuen Mutes gefasst aus dem Graben auf: „Na was schon? Auf zur Verstärkung, sage ich!“ Mit einem weiten Abstand blickten die versammelten Truppen Airas auf die zerstörte Hauptstadt nieder. Viele von ihnen waren bereits mindestens einmal in Destercity gewesen und konnten nicht fassen, eine in Grund und Boden gerichtete Metropole vor zu finden. Avrial stand mit Siri an der Spitze, als drei einsamer Männer auf sie zukamen. Der Magier sah zur Thronerbin herab, ehe er sie ein Stück nach vorne schob. „Los, Siri. Schenke deinem Volk Hoffnung.“ „Muss das sein-?“, Siri blickte zu Avrial, ehe sie seufzte. Sie hatte Mairon versprochen, ihr Bestes zu geben – und dies wollte sie auch tun. So trat sie, als die Männer vor sie stehen blieben, noch einen Schritt nach vor: „Mein Name ist Salieri Desteral. Ich bin die rechtmäßige Thronerbin von Desteral.“ Einen Moment lang sah der Offizier sie ungläubig an. Da stand doch tatsächlich eine fremde, blutjunge Frau vor ihm und behauptete, über ihm zu stehen. „Ich weiß, wie das klingt.“, sprach Siri weiter, „Meine Eltern, der Großkönig und die Königin Desterals, starben bei einem Kutschenunfall, nahe der Grenze Azamuths. Die Tochter – ich – wurde nie gefunden, weil ich in Azamuth aufgezogen wurde.“, sie sah selbstsicher schmunzelnd in König Viliors Richtung. „Fragt nach, wenn ihr mir nicht glaubt.“ „Also ganz ehrlich…“, begann der Offizier, der seine Arme verschränkt hielt. „Mädchen, wer an der Spitze vier verschiedener Völker steht… ist entweder vollkommen wahnsinnig, oder wahrhaftig Mitglied der königlichen Familie.“ Sowohl Siri, als auch die Kameraden des Offiziers, schauten höchst überrascht, als der ältere Mann vor ihr auf die Knie ging. „Bitte… bitte Salieri Desteral, eure Hoheit, leitet uns…! Wir gehorchen jedem eurer Befehle. Bitte befreit uns von der schrecklichen Plage!“ Nun gingen auch die beiden anderen Männer auf die Knie. Siri wusste nicht, ob sie das wirklich taten, weil sie die junge Frau als ihre Herrscherin anerkannten, oder einfach Respekt vor der riesigen Armee hatten. Im Grunde genommen war das im Moment auch völlig egal. So lächelte Siri, ehe sie begann zu sprechen: „In Ordnung! Hohl’ deine Männer aus den Gräben, damit wir die Monster platt walzen können!“ „Sehrwohl!“, sofort aufgesprungen und salutiert, liefen die Männer los, um die Nachricht zu verbreiten. Hände in die Hüfte gestemmt sah Siri den Männern nach, ehe Avrial neben ihr zu schmunzeln begann. „…Tut gut, den Ton angeben zu dürfen, hm?“ „Was?“, Siri blinzelte zu ihm, „N-nein, gar nicht! Gut… vielleicht ein bisschen, aber… ich weiß nicht, ob ich das will…“ „Wir werden sehen. Deine Aufgabe ist hier vorerst erledigt. Wenn die Männer die anderen aus der gefährlichen Zone geholt haben, werden die schwarzen Kreaturen merken, dass etwas nicht stimmt. Wir müssen die erste Welle bereithalten – die Dämonen müssen sich rund um Destercity verteilen und auf Kommando angreifen.“ Ein Glück, dass Vilior ganz in der Nähe stand, „Verstanden.“, und die rechte Hand hob: „Verteilt euch, es geht los!“ Sogleich begannen die Krieger aus Azamuth aus einander zu laufen, um Destercity einzukreisen. Keine halbe Stunde später wurde es ernst. Der Offizier gab das O.K., dass alle Männer das Gebiet verlassen haben. Siri wollte stark wirken, doch war sie sichtlich unsicher geworden; allein die Tatsache, dass Avrial und die Herrscher das Sagen hatten, heiterten sie ein wenig auf. Kurz bevor der Arcaner den Weg frei zum Angriff erklärte, kam Lyze zur Spitze hinzu. Er sah ebenso wie Siri gebannt auf die Hauptstadt herab und reichte ihr die Hand, als die Anspannung größer wurde. „ANGRIFF!“, schallte es aus den ersten Reihen, als die ersten dämonischen Krieger mit Kampfgebrüll in die Schlacht liefen. Kurze Zeit später, sah man gen Osten, Süden und Westen ebenso die große Armee nach vorne stürmen. Ganz nach Plan hielten sich die Engel, Tiermenschen, Arcaner und auch Siri, Lyze und Akyu vorerst im Hintergrund auf. Die Dämonen blieben nicht lange alleine, als stetig mehr schwarze Monster aus allen Ecken, Rillen und Verstecken hervor krochen. Die Krieger hielten sich tapfer und schlugen so gut es ging den ersten Kreaturen den Kopf von den Schultern, andere verbrannten sie mit Feuer – allein dies sorgte dafür, sie für kurze Zeit außer Gefecht zu setzen. Als in den ersten Reihen die schwarzen Bestien weniger wurden, hob Avrial die Hand und gab somit den Start für die zweite Welle – die Engel stürmten sowohl laufend, als auch fliegend voran. Mit Lichtpfeilen, Klingen und Lichtmagie blendeten sie so manche Kreaturen, sodass die Dämonen in ihrem Bereich leichteres Spiel hatten. Dann drangen die Engel, rund um Destercity, weiter ins Stadtinnere vor und sorgten dort für Unruhe unter den Bestien. Natürlich fielen schon bald die ersten Krieger Azamuths und Soldaten der Lichtarmee, doch gäbe es ohne Opfer auch keine Siege. Ein Engel, der als Kundschafter ausgewählt wurde, flog die Strecke zurück zu den restlichen Armeen, die auf den Befehl zum Angriff warteten. Er berichtete Avrial von dem Stadtinneren und dass dort die schwarzen Kreaturen weniger wurden. So drehte er sich erneut um und hob die Hand, um den Tiermenschen zu zeigen, dass nun endlich sie an der Reihe waren. Vorbei an dämonischen Kriegern, hin zu den Engeln, benutzten die geschickten Animos sowohl Waffen als auch kräftige Fähigkeiten, wie Zähne und Krallen, hohe Sprünge, geschickte Ausweichmanöver und flinke Schläge. Schon bald waren sie an den Engeln vorbei und drangen vor zur Stadtmitte – rund um das Hauptgebäude, dem Schloss von Destercity, in dem sich die Mutterkreatur befand. Als der Engel um die Stadt kreiste und erneut bei Avrial ankam, wussten die verbliebenen, dass es an der Zeit war, ins Zentrum vor zu stoßen. König Vilior und Alaphantasa blieben mit wenigen Männern zum Schutz zurück, als Tarrence zusammen mit Mairon und Furah, dem Magier Avrial, Akyu, Lyze und Siri folgten. Auch wenn nun überall Verbündete verteilt waren, war es nicht einfach, in Destercity voran zu kommen. Die Kreaturen hatten es schon lange auf Siri abgesehen gehabt; sie versuchten auch weiterhin, die junge Frau in die Finger zu kriegen. Als ein Biest überraschend aus dem Hinterhalt auftauchte, zog Lyze Siri zur Seite, während Tarrence mit einem gekonnten schlag seines Breitschwertes der Kreatur den Kopf von den Schultern schlug. Schon bald darauf kämpften sich Akyu und Avrial den Weg frei, während Furah, lachend, drei schwarze Monster gleichzeitig in einem schwarzen Loch im Boden verschwinden ließ. Dunkle Magie war oft Kräfte zehrend, weshalb er dies nur einmal bewerkstelligte und sonst mit seinen Flüchen gegen die Wesen kämpfte. Im inneren, vor dem Schloss von Destercity angekommen, sahen Mairon, Lyze und Siri das Gebäude hoch. Eine dunkle Aura umgab das Schloss und drehte sich nebelartig. War dies die Barriere, die es zu brechen galt? Mairon war mehr Waffenkämpfer, als Magier. Doch in diesem einen Fall teilte er sich zusammen mit Avrial, Furah und Lyze um das Schloss auf, um die Barriere aufzuheben. Während die Magier mit der Schutzhülle kämpften, verteidigten Akyu und Tarrence die Gegend, um Störungen zu verhindern. Als alle Magier voll konzentriert waren und ihre Hände gegen die dunklen Mauern des Schlosses stemmten, verdampfte der schwarze Nebel allmählich. Avrial drückte auch weiter dagegen an, während Mairon zurück lief, um Tarrence bei der Verteidigung zu helfen und Lyze zusammen mit Furah zu Siri lief, die bereits an der Mauer auf die zwei wartete. „Schnell Furah, du musst uns einen Eingang schaffen!“ „Ich bin doch schon dabei-“, er legte zwei violett glühende Pergamentpapiere auf den Boden, vor die Mauer, ehe er nach kurzer Konzentration abermals die Hände gegen die Steine drückte. Nach und nach verschwanden die großen Brocken in violettem Licht. Schließlich war ein Durchgang sichtbar, groß genug für zwei Personen gleichzeitig. Siri und Furah wollten gerade los, da blieb Lyze stehen: „Wo ist Akyu? Er sollte doch mit uns kommen!“ „Schon da!“, Akyu steckte beim Ankommen sein Schwert weg, „Ich musste auf die Ablöse von Siris Daddy warten.“ „Moment!“, Furah sah hellhörig auf, „Habt ihr das auch gehört?“ „Was gehört?“, so Siri. Nun lauschte auch Lyze: „Ich habe es gehört – Avrial ruft nach uns. Er ist sicher in Gefahr!“ Akyu schüttelte den Kopf, „Kein Wunder, wenn die zwei Superfreunde dort hinten, anstatt beim Magier kämpfen!“, und lief los. „Ich hole sie!“ „Avrial kann nicht so lange warten. Wenn er unkonzentriert wird, baut sich die Barriere wieder auf!“ „Ich mach das!“, Furah kam zu Wort, „Lyze, geh mit Siri voran – Akyu und ich kommen gleich nach!“ „In Ordnung.“, er nahm Siri bei der Hand – auch wenn er ein wenig verwundert darüber war, dass Furah ausgerechnet Avrial zur Hilfe kommen wollte – und ging mit ihr voran, in das Schloss. „Verschwindet!“, mit der einen Hand die Barriere unterdrückend, stieß Avrial mit der anderen zwei schwarze Biester zurück. Als er dies wiederholte, überraschte ihn ein dritter von hinten. Er riss den Arcaner zu Boden, sodass er die Kontrolle über die Schutzhülle verlor. Die schwarze Kreatur verbiss sich dabei in seinen rechten Unterarm, ehe er sie mit dem Fuß von sich stoßen konnte. Gerade aufgestanden, griffen die zwei anderen erneut an – als eine weitere Druckwelle, dieses Mal nicht von Avrial, die Viecher von ihm wegstieß. „Na endl-“, der Magier stockte kurz beim Anblick von Furah, ehe er sich wieder der Barriere widmete. „Tarrence und Mairon kämpfen an der falschen Seite!“ „Ich weiß, Lyzes Bruder ist bereits unterwegs-“, Furah benutzte einen Fluch, der die zwei Kreaturen in sich zusammen schmolz. „Jetzt soll noch einmal jemand sagen, ich sei nicht Sozial!“ „Wegen einer Tat-“, Avrial seufzte, „Ja, ich danke dir vie-“, Furah schmiss ein Pergament auf das dritte schwarze Wesen hinter Avrial, welches darauf ebenfalls in sich zerfiel. „…Vielmals.“ Kapitel 28: Angesicht zu Angesicht ---------------------------------- Der Kampf um die Zukunft Desterals war im vollen Gange. Seit beginn sind viele Krieger gefallen, einige Engel wurden aus der Luft geholt und so manche Tiermenschen taten ihren letzten Atemzug. Es war in der jetzigen Situation schwierig zu sagen, welche Seite weniger Kämpfer besaß. Avrial war immer noch drum bemüht, die Barriere des dunklen Schlosses zu unterdrücken, damit die Freunde im inneren nicht eingesperrt waren. Er hatte es nun leichter als vorher, da Ritter Tarrence und Mairon gemeinsam die Angriffe der schwarzen Kreaturen in der Nähe abwehrten. „Na, Mairon?“, meinte Tarrence dabei spaßig, als er eine Kreatur in zwei teilte und anschließend Rücken an Rücken mit ihm stand, „Ganz so wie früher.“ „Ja-“, Mairon stieß eine Bestie zurück, „Nur so beweglich wie früher fühle ich mich nicht mehr!“ – dann lachten beide, ehe es „munter“ weiter ging. Währenddessen war Furah zurück gelaufen, hinein zu Lyze, Siri und Akyu, die bereits einen langen Flur hinter sich hatten. Im Schloss war es finster und kalt; die Einrichtung völlig zerstört, viele Wände eingerissen und auf den Teppichen klebte nicht selten zwischen Glasscherben und Holzsplittern menschliches Blut. Siri hatte sich dicht an Lyzes Arm gehängt, während Akyu stets drei Schritte voraus ging und den nächsten Raum überprüfte. Seit sie das Schloss betreten hatten, war es ruhig; zu ruhig, denn ihnen war bisher keine einzige schwarze Bestie über den Weg gelaufen. „Ehm, Lyze, Akyu? Woher wisst ihr eigentlich... wo wir hin müssen?“ Akyu blieb bei der Frage der jungen Frau stehen und hob die Schultern: „Keine Ahnung. Aber wie groß kann ein Schloss schon sein?“ „Akyu-“, Lyze seufzte, „Das hast du prima in Ikana gesehen, als du dich verlaufen hattest.“ „Also...“, begann Siri, „Wissen wir nicht, wo wir hingehen?“ Gerade wollte ihr Lyze eine tröstende Antwort geben, nicht zuletzt, um sich selbst zu beruhigen – da hockte Furah auf einer halb umgestürzten Säule und lachte: „Geht einen Raum weiter und ihr seid wieder beim Eingang!“ „Ach ja!?“, so Akyu, der um die Ecke lief und nach kurzer Zeit zurück geschlendert kam. „Ok, wir sind einmal im Kreis gelaufen.“ Der dunkle Magier sprang mit einem Satz zu Lyze und Siri, ehe er auf eine große Doppeltür, links von ihnen deutete: „Die schwarzen Viecher haben eine ganz eigene Aura. Wenn ihr mich fragt, müssen wir da lang, um zur ‚Königin’ zu kommen.“ „Na zum Glück!“, Siri klappte kurz erleichtert zur Seite, „Danke Furah, was würden wir bloß ohne dich machen?“ „Na, im Kreis laufen.“ Hinter der Tür befand sich ein weiterer, langer Zwischengang. Auch hier war keine Kreatur anzutreffen; Furah bestätigte das, da er keine deutliche Aura wahrnahm. Als er und Akyu dann eine weitere, große Doppeltür am Ende des Ganges aufstießen, kam ein heller Saal zum Vorschein: die Wände waren weiß, der Fußboden schwarz-weiß kariert. Um den fast runden Raum schlängelte sich ein Balkon im Kreis und in der Mitte hing an der hohen Raumdecke ein prächtiger, unversehrter Kronleuchter. Wohl wurde dieser Saal einst für festliche Veranstaltungen genutzt. Als die Gruppe das erste Drittel des Raumes hinter sich hatte und das Tor vor ihnen ansteuerte, blieb Furah mit schief gerichtetem Kopf stehen. „Seltsam.“, meinte er, „Da ist irgendwo irgendetwas, aber kein schwarzes Vieh- na ja, doch, aber irgendwie auch nicht.“ „Irgendwie auch nicht?“, als die anderen stehen geblieben waren, sah sich Lyze im Kreis um. „Bist du dir sicher?“ Weiter zu Wort kamen sie nicht: ein undefinierbarer, schwarzer Blitz schoss zwischen der Gruppe vorbei. Er traf Furah am Rücken, ehe er von den Beinen gerissen wurde und weiter hinten im Saal unsanft aufprallte – und regungslos liegen blieb. „Furah!“, Siri wollte zu ihm laufen, doch hielt sie Lyze vorerst am Arm fest. Ein Mensch kam vom Balkon hinab gesprungen, zwischen Furah und der zurück geschreckten Gruppe. Ein Mensch, mit schwarzen Haaren, blasser Haut und eiskalten, blauen Augen. „Du..!“, natürlich wussten Lyze und Siri ganz genau, wer vor ihnen stand. Die Kreatur in Menschengestalt drehte kurz den Kopf zu Furah hinab, „Jetzt sind wir Quitt.“, ehe sein stechender Blick wieder der Gruppe galt. Da zog Akyu sein Schwert, stellte sich vor seinen Bruder und dessen Freundin: „Lauft weiter, ich halte ihn auf!“ „Nein!“, Siri wurde abermals von Lyze festgehalten, „Was ist mit Furah? Das schaffst du nicht alleine!“ „Lauft!“ „Komm Siri, schnell!“, Lyze zog sie mit sich, dem Tor entgegen. „Akyu weiß, was er tut, vertraue ihm! Wir müssen uns beeilen und die Königin vernichten, nur so löschen wir alle Monster mit einem Schlag aus!“ Als der „Mensch“ sich den beiden flüchtenden nachdrehte, versperrte ihm Akyu den Weg. Er schmunzelte daraufhin finster, „Ihr wollt meine Herrin mit einem Schwächling und einer Frau besiegen?“, und ging zum Angriff über. „Erbärmlich!“ Gemeinsam liefen die zwei die vielen Stufen zum Thronsaal hinauf. Es gab nur mehr einen weg – und wo, wenn nicht dort, würde sich eine Herrscherin von tausenden Kreaturen aufhalten? Wie genau sie nun vorgehen sollten, wussten sie nicht – schon gar nicht zu zweit. Es war ihnen aber klar, dass einer den Lockvogel spielen musste, damit der andere angreifen konnte. Kurz vor der letzten Tür war Siri, Hände vor das Gesicht geschlagen, zurückgewichen: an der Ecke lehnte der schändlich zugerichtete Körper des toten Bürgermeisters Destercitys. Der Anblick trug nicht gerade zu neuem Mut bei. Da ergriff Lyze, entschlossen lächelnd, ihr Hand. Schließlich nickte auch Siri, ehe die zwei die letzte Tür aufstießen. Ein dunkler Raum. Es war stickig und kalt zugleich, die Wände und Böden voller Risse, die Fenster eingeschlagen. Langsam erhob sich der Umriss einer pechschwarzen Frauengestalt von Thron. Wie die anderen Kreaturen auch, konnte die „Königin“ ihre Form verändern. Sie ging voran, auf die zwei Besucher zu, als sich hinter ihnen die Tür von selbst schloss. „Menschen... wie haben es zwei so schwache Lebewesen wie ihr geschafft, bis in mein Schloss vorzudringen...?“ „Dein Schloss...?“, Lyze hielt Siri immer noch zurück, „Wer sagt, dass wir zu zweit gekommen sind?“ „Dass eure Spezies sich stets wehren muss... euer Mut ist fehl am Platz. Sieht es endlich ein.“, die schwarze Frau vor ihnen blieb mit etwas Abstand stehen. Sie musterte die zwei, ehe sie zu schmunzeln begann. „So wiederholt sich die Tragödie… das Schicksal führt uns erneut zusammen.“ „Du kennst uns?“, fragte Siri, „Aber das kann nicht sein, wir-“ „Nicht euch. Nicht hier. Nicht jetzt.“, sie hob die Hand, um der jungen Frau zu zeigen, dass sie jetzt nicht zu sprechen hat. „Wisst ihr, seit wie vielen Jahren ich meine Freiheit herbei ersehnte?“ War das eine ernste Frage? Lyze und Siri beobachteten die schwarze Frau, als sie durch den Raum schritt, stets mit einer Fluchthaltung. „Seit mehr als zweihundert Jahren. Eure Technologie mag sich verändert haben, doch ihr seid gleich dumm geblieben… wenn nicht wir, dann würdet ihr euch eines Tages selbst vernichten.“ „Und wenn schon.“, Siri schnaufte, „Wir Leben wenigstens nicht wie ein Bienenstock und sind Rassenfeindlich.“ „Siri-“ „So, seid ihr nicht…?“, die schwarze Frau strich schmunzelnd über den Thron, „Da habe ich aber etwas anderes gehört… mir wurde mitgeteilt, dass ihr erst vor einem Wimpernschlag einen großen Krieg geführt habt. Wie war das noch gleich…? Ein Vampir und ein Mensch… eine verbotene Liebe, dessen Tod zwei Völker zerteilt hat.“ „Was weißt du schon von Liebe!? Du bist ein Monster!“ „Ein Monster, das weiß, was es will.“, sie lachte, „Was ihr Liebe nennt, ist purer Egoismus, um jemanden auszunutzen, zu unterdrücken und zu beherrschen, bis die nächste Generation geboren wird, die den Vorgang wiederholt.“ Zugegeben, vor zweihundert Jahren mag das sicher so gewesen sein. Doch Siri dachte nicht daran. Sie fühlte sich von der Kreatur beleidigt; sie konnte nicht Lieben und wusste nicht dessen Bedeutung – wie konnte sie dann davon sprechen? In Siri wuchs die Wut so schnell heran, dass sie die Fäuste schon gar nicht mehr geballt hatte: sie wollte nicht mehr warten, sondern das schwarze Oberhaupt jetzt tot sehen. So lief sie los, an Lyze vorbei – zog dabei den Kristalldolch aus ihrer Tasche und setzte zum Sprung an. Die Kreatur, dessen Form stets variabel blieb, schlug Siri mit weit ausgedehntem Arm zur Seite – dabei fiel der Dolch, rutschte weit ab an das Ende des Raumes. Als Lyze dies sah, erschien eine Lichtklinge in seiner Hand, ehe er zu Siri lief und sich Schützend vor sie stellte. Die Kreatur lachte dabei hellauf. „Ahahaha, welch kläglicher Versuch; welch Dreistigkeit, mich mit einem ‚Dolch’ erstechen zu wollen!“ Siri versuchte währenddessen sich aufzusetzen. „Lyze ich- es- es tut mir leid-“ „Ist dir etwas passiert…?“ „Nein- nein, ich glaube nicht…“ Er lächelte zu ihr, ehe er ernst zur Kreatur blickte. „Ihr Dummköpfe. Denkt ihr wirklich, ihr habt zu zweit eine Chance gegen mich?“, nun schien die schwarze Frau genug vom Gespräch zu haben. Sie wuchs in ihrer Form heran, bis zur Decke. „Ich beherrsche das ganze, verfluchte Land! Die Wolken und der Wind gehorchen mir! Meine Kinder sind dabei, eure Welt zu vernichten!“, mit nun tiefer Stimme, stand eine riesige, schwarze Masse vor den beiden. Allein die glühenden, eisblauen Augen und das breite grinsen der Kreaturen waren heraus zu erkennen. „Aber ich sehe, ihr werdet nicht um Gnade betteln; ich werde eure Existenz langsam und qualvoll auslöschen!“ Inzwischen lief Akyu im Festsaal erneut auf das schwarze Biest in Menschengestalt zu. So langsam sich die Kreatur auch bewegte; im Ausweichen war sie schnell. Das Schwert durchschnitt abermals nur die Luft, als das Biest weit hinauf sprang, auf das Geländer des Balkons. „Komm da runter, du Feigling!“, rief Akyu, „Ist das etwa alles, was du kannst? Cool aussehen und flüchten? Ach, und natürlich Blitze schmeißen!“ „Du bist ein Großmaul.“ „Wie war das!? Komm runter und sag das noch mal!“ „Ich werde eure Spezies wohl nie verstehen…“, der Mann hockte sich leicht nieder, ehe er Kopf verdreht auf Akyu hinab sah. „Ich reiste durch euer Land, versuchte euer Verhalten einzustudieren… doch ihr seid alle so unterschiedlich, so individuell… auch du scheinst völlig verschieden zu sein.“ „Was wird das nun wieder? Psycho-Tricks? Natürlich sind wir alle unterschiedlich, du doch auch!“ „Ich auch…?“ „Klar doch.“ „Das verstehe ich nicht.“ „Wieso nicht?“ „Meine Brüder… ich, meine Herrin. Wir sind alle eins. Wir sind eine große, gemeinsame Einheit… und doch nennst du mich einzigartig?“ „Uhm… ja, du- du fragst mich doch gerade danach, oder? Tun das die anderen? Haben die schon jemals etwas hinterfragt?“ Da zog die schwarze Kreatur überlegend die Stirn zusammen. „Du hast recht, Mensch… vielleicht… vielleicht habe ich-“, er sah auf seine Hände, „Vielleicht konnte ich mich euch doch ein wenig anpassen… eure Gedanken verstehen lernen… ist es das? Ist es das, was ein Lebewesen ausmacht? Einzigartigkeit? Den drang, zu hinterfragen, wer man ist?“ „Wow…“, Akyu hatte sich während des Gespräches auf sein Schwert gelehnt. „Sehr tiefgründig das Ganze, alter… aber was ist, wenn wir alle, auch ihr, die schwarzen Monster, von ein und demselben, großen Lebewesen abstammen würden? Wären wir dann nicht alle eine Einheit?“ Kurz überlegte er selbst. „Ach, was soll’s.“, und griff nach zwei Messern in seinem Gürtel, die er nach dem schwarzen Mann am Balkon warf. Dieser sprang von seiner Position weg, ehe er hinter Akyu auftauchte und erneut mit Blitzen warf. Kapitel 29: Hoffnungslose Lage ------------------------------ Die Königin der schwarzen Kreaturen schien ernst zu machen. Groß, bis zur zweistöckigen Raumdecke aufgebaut, lachte sie auf Lyze herab, der immer noch schützend vor Siri stand. Etwas musste unternommen werden – und zwar schnell. Siri sah im Raum umher und suchte den Dolch, bis sie ihn rechts, etwas abseits der Kreatur entdeckte. „Lyze-“ Er nickte darauf leicht; als er einen Schritt nach rechts machte, schlug das Biest mit der Hand nach ihm aus. Diese Reaktion bereits erwartet, nützte der Halbengel die gelernte Magie, um schnell, anstatt unter der Hand, über der Hand aufzutauchen – und der Kreatur die Lichtklinge in den Handrücken zu rammen. In dem Moment, in der die schwarze Kreatur aufbrüllte, lief Siri los, rechts vorbei bis hin zum Dolch; doch kurz bevor sie ihn erreichte, holte das Form verändernde Wesen mit einer plötzlichen Rute aus und schleuderte sie gegen die Wand. Durch den Aufprall schlug sie sich den Kopf an und sank taumelnd zu Boden. „Siri!“, sofort von der Kreatur weg gesprungen, erschienen Lyzes hellgelbe Flügel, ehe er dem Biest ausweichte, als sie erneut nach ihm schlug. Kurz vor Siri angekommen, versperrte sie mit vielen Ranken den Weg. Lyze nahm darauf hin einen Umweg und schmiss sich unter einer vorbeischießenden Ranke hindurch. Da erwischte seine linke Hand den Kristalldolch – und bemerkte im Anschluss, dass die schwarze Königin, lachend, ihn in der Ecke eingesperrt hatte. Durch eine kleine Öffnung sah der Halbengel, wie sich Siri, den Kopf haltend, aufgesetzt hatte. „Siri! Der Dolch-!“ Als sie verwundert zu ihm sah, ließ er erneut seine Lichtklinge erscheinen, holte aus und zerschlug die schwarze Masse vor ihm – die in kürzester Zeit wieder zusammen zu wachsen schien. „Hier!“, schnell warf Lyze noch den Kristalldoch hindurch, ehe der Weg vor ihm wieder versperrt war. Während Siri den Dolch, der über den Boden bis zu ihr gerutscht war, aufhob, hatte die schwarze Königin endgültig die Schnauze voll von Lyzes Schwerthieben. Sie brüllte, regelrecht lachend, als sie ihren „Käfig“ aus tausend Armen zudrückte und den Halbengel dabei mit festem Griff zu sich zerrte. „Was bist du, Mensch?“, sie hielt ihn vors Gesicht und lachte abermals, „Ein Mischling?“ Lyze konnte sich nicht bewegen; der Griff der Königin war so stark, dass er fast keine Luft bekam. „Ja-“, keuchte er, „Der lebende Beweis… dass unsere Völker… nicht Rassenfeindlich sind.“ Wütend von seinen Worten, umschloss die schwarze Königin ihn vollständig mit ihrer Hand und drückte zu. In den darauf folgenden Moment schmiss sie ihn, leblos, zur Seite. „Lyze, nein!“, Siri lief, taumelnd die Wand entlang, zu ihm. Die Königin war sichtlich amüsiert über ihr Leid und ließ dies geschehen. „Lyze! Nein, nein, nein, Lyze, wach auf!“, sie kniete sich zu ihm und rüttelte am ihm, „Wach auf! Wach auf, Lyze, bitte!“ „Ahahaha-“, die Königin lachte mit breitem grinsen, „Nur keine Sorge, Kind, ich schicke dich gleich zu ihm!“ Auch im Festsaal ging der Kampf Akyu gegen menschliche Kreatur weiter. Dem letzten, hinterhältigen Angriff mit Blitzen war der Halbengel entkommen. Als er sich zu dem Biest, mit ausschlagendem Schwerthieb, umdrehte und diese wieder nach hinten hin auswich, erwischte er jedoch das Gesicht des schwarzen Mannes. Den Kopf zur Seite gerissen, blickte er anschließend, wütend, in Akyus Richtung: ein feiner Schnitt erstreckte sich lang der linken Gesichtshälfte, ehe diese begann zu Bluten. „Oh, oh.“, bei dem Blick der Bestie in Menschengestalt, ahnte Akyu bereits, was nun kam: der Mann hob die Arme, in denen sich zwei große Blitzkugeln mehrten. Mit starrem Ausdruck ging er voran, schoss bei jedem Schritt einen Blitz nach Akyu. Er wehrte jeden einzeln mit dem Schwert ab, indem er es quer vor sich hielt; doch mit jedem Blitz wurde die Kreatur aggressiver. Die Stärke der Blitze nahm zu, während Akyus abnahm. Ein letzter, starker Schuss und dem Halbengel wurde das Schwert zur Seite gerissen – nun mit beiden Händen die Kraft erneut verdoppelt, blitzte im Raum ein heller Strahl auf, der Akyu zu Boden warf. Den Halbengel durchzuckte der Körper, als er sich mühevoll versuchte, aufzusetzen. Kaum war er auf seinen Händen abgestützt, stand der schwarze Mann vor ihm. „Nein, warte-!“, er trat ihn heftig von der Seite, sodass er erneut zu Boden ging. Akyu krümmte sich; als der Mann wieder näher kam, drehte er sich, sodass er ihn mit seinem Fuß selbst von den Beinen werfen konnte. Die schwarze Kreatur ging zu Boden, sodass Akyu ihn an der Kleidung packte – er holte gerade mit der Faust aus, als der Mann die Hand gegen seine Brust richtete und einen starken Blitz auslöste. Durch den Druck nach hinten geworfen, lag nun Akyru am Boden, ehe die schwarze Kreatur ihn festdrückte und mehrmals ins Gesicht schlug. Die Gegend aus Akyus sicht war verschwommen; in einem Moment, in dem die schwarze Kreatur nicht zu schlug, keuchte er außer Atem: „Mehr… hast du nicht drauf?“ „Großmaul.“, er schlug ihn ein letztes Mal ins Gesicht, „Ich habe genug Zeit mit dir vergeudet.“, und zerrte den Halbengel an seiner Kleidung hoch, zu seinem Gesicht. Seine eiskalten, blauen Augen begannen zu leuchten, als er in seine starrte. Machtlos ausgeliefert, spürte Akyu, wie der Blick der schwarzen Kreatur seine Seele regelrecht durchbohrte. Ohnehin schon am Ende seiner Kräfte, fühlte er sich bereits der Ohnmacht nahe. Währenddessen, draußen in den Ruinen Destercitys, hatte Mairon eine Bestie beseitigt, als eine zweite hinterrücks angriff. Der Arcaner sah ihn kommen, war aber nicht schnell genug, ihn zurück zu stoßen. So wurde er zu Boden gerissen – ehe Tarrence mit dem Breitschwert ausholte und das Biest in zwei teilte. „…Alles in Ordnung?“ „Ja.“, Mairon packte die Hand des Ritters, als dieser ihm hoch half. „Es sind zu viele.“ „Nein, sind es nicht.“, Tarrence sah sich um, „Wir werden weniger, während diese Monster sich immer wieder aufbauen.“, er zischte, „Die Gruppe im Schloss muss sich beeilen, ehe es niemanden mehr gibt, dessen Freiheit gerettet werden könnte!“ „Tarrence- sieh, dort.“, Mairon zeigte zu Avrial, der erschöpft gegen die Barriere ankämpfte. „Ein Magier allein ist zu schwach für so ein großes Schloss; egal wie gut er ist. Ich würde ihm gerne helfen, aber-“ „Du kannst ihm entweder helfen und die Zeit der unterdrückten Barriere um zwei Minuten verzögern, oder-“ „Ich weiß, ich weiß – mein Platz ist hier. Avrial würde mich vermutlich fragen, was ich bei ihm mache.“ Erneut hob Tarrence sein Breitschwert, als sich an die sechs Kreaturen versammelten. „Also… weiter?“ Mairon ging in Kampfstellung. „Bis zum bitteren Ende, mein Freund.“ „Lyze, komm zu dir!“, ganz die Königin der schwarzen Kreaturen vergessen, rüttelte Siri an ihrem Freund, ehe sie ein Ohr an seine Brust legte. Die Bestie unterbrach sie – Siri zuckte aus Reflex zurück, als eine schwarze Ranke vorbei geschossen kam. „Du beginnst mich zu langweilen, Mädchen.“, sie grinste breit, „Gleich siehst du ihn sowieso wieder, wozu also diese kläglichen Versuche?“ „Hör auf so zu grinsen!“, Siri stand langsam auf, zurück auf die wackeligen Beine. „Wie kann man nur so grausam sein!? Ich wette, wenn du keine Menschen zum quälen mehr hättest, würdest du deine eigenen Leute fressen!“ „Du kannst denken, was du willst.“, die Königin grinste immer noch auf sie herab, „Ein Lebewesen, so klein und unbedeutend wie eine Ameise, verdient es, zerquetscht zu werden. So wie du.“ Siri ballte die Fäuste – sie spürte dabei den Kristalldolch in ihrer linken Hand, ehe sie sich lockerte. „So klein… und unbedeutend bin ich gar nicht… jedenfalls nicht für dich.“, sie sah die Kreatur dabei ernst an. „Wovon sprichst du!?“ „Hast du nicht jemanden gesucht? Wolltest du nicht Rache ausüben, an diejenigen, die für eure Verbannung verantwortlich waren…?“ „Was!?“ „Es ist wahr – die Königsfamilie existiert nicht mehr. Jedenfalls für eine lange Zeit. Du hast deine Leute in den weitesten Teilen Desterals geschickt, um das Kind der Weisheit zu suchen; um heraus zu finden, wer die letzte, zurzeit lebende Generation bildet.“ Siri breitete die Arme aus: „Ich bin die letzte Generation!“ Wütend schrie die schwarze Königin auf: war die Rache die ganze Zeit so zum greifen nahe? Sie packte Siri, mit allen Armen und Ränken, die sie hatte. Die junge Frau ließ dies geschehen – immer noch die Arme ausgebreitet, schloss sie die Augen, ehe sie das Biest gierig verschlang. Im Festsaal ging Akyu die Kraft in Armen und Beinen verloren. Er wollte sich wehren, doch war er zu schwach – der schwarze Mann schien erbarmungslos seine Seele auszusaugen. Da zischte ein Pergament vorbei, traf die Kreatur in Menschengestalt im Gesicht. Man sah, wie die Haut um das Stück Papier begann zu verbrennen. Von Schmerzen geplagt, schrak der Mann auf, weg von Akyu. Er griff sich an den Kopf, um das Pergament wegzureißen. Der Halbengel schnappte tief nach Luft, als er endlich die Gelegenheit dazu hatte. Er drehte sich zur Seite, um zu sehen, woher das Pergament kam. Furah saß schnaufend da – er schien sehr aufgebracht zu sein; nicht zuletzt, da sein ganzer Körper von einer violetten Aura umgeben war. „Oh, gut-“, Akyu hustete und setzte sich dabei auf. „Du bist wach-“ „Verschwinde von hier.“ „W-“, der Halbengel verstand sein Gemurmel nicht, sodass er taumelig, in seine Richtung aufstand. „Was hast du gesagt?“ „HAU AB, SOFORT!“, auf seinen lauten Satz hin, färbte sich der Raum dunkel, im violetten Ton; das Glas im Kronleuchter über ihnen zersprang, ebenso die Fenster. Akyu fielen die Worte seines Bruders ein: er sagte, Furah sei ein dunkler Magier. Zwar kannte er nicht dessen genaue Bedeutung, doch hörte er aus Geschichten und Sagen, dass diese Magie nicht vom Anwender ausging – es war eine Form von Energie, die es zu beherrschen galt. Einmal in den ihren Fängen, so sagt man, entkommt man ihr nie wieder. Der Halbengel musste schlucken. Irgendwie sah es gerade so aus, als würde die dunkle Magie selbst ein Wörtchen mit dem schwarzen Mann reden wollen. „Bi-“, er lief ab, zur Tür und hinaus, „Bin schon weg!“, ehe eine Vibration, ein wahres Erdbeben, den Ort erschütterte. Akyu lehnte an der geschlossenen Türe, als diese nach außen zersprang und ihn wegdrückte. Kapitel 30: Königliches Blut ---------------------------- Man wusste nicht genau, was da im Festsaal vor sich ging. Akyu hatte keine große Lust, das heraus zu finden: es reichte ihn, von einer Druckwelle weit zurück katapultiert zu werden, bis an das andere Ende des Außenflurs. Er lehnte, verkehrt sitzend am Kopf, bei der Wand und blickte mit offenem Mund über den Gang, wo sich der Festsaal hinter dem Torbogen verdrehte, Säulen wie Sandburgen zerfielen, der Boden breit aufriss und die Decke zu schmelzen schien. Ein äußerst bösartiger Spuk, den Akyu lieber nicht zu nahe kam – ihm tat sogar die Kreatur in Menschengestalt ein wenig leid. Aber Furah hinterrücks anzugreifen, sodass er gleich viele Minuten bewusstlos an der Seite lag, war nun einmal keine gute Idee gewesen. Oben im Thronsaal war der Kampf schlecht ausgegangen. Lyze hatte jeglichen Glanz in den Augen verloren. Leblos lag sein Körper im Raum, während die schwarze Königin, aufgebläht zu einem großen Monster, über das Glück und die wohlverdiente Rache hellauf lachte. Sie hatte endlich die letzte der königlichen Familie Desterals verschlungen; so lange hatte sie nach ihr gesucht, so lang sich danach gesehnt. Nun gab es niemanden mehr. Keinen, der sie aufzuhalten vermag. Als ob sie telepathisch mit ihren Abkömmlingen in Verbindung stehen würde, krochen durch die zerstörten Fenster und Steinritzen viele ihrer schwarzen Kreaturen herbei. „Es ist soweit, meine Kinder! Zerstört dieses jämmerliche Land, mit all seinen Plagen! Niemand steht uns nun noch im Weg, bald gehört der ganze Kontinent uns!“ Die schwarzen Wesen – sowohl am Boden, an den Wänden und an der Raumdecke verteilt – lachten laut und spöttisch. Die Herrscherin gab noch ein letztes Handzeichen, woraufhin die Abkömmlinge sich auf den Weg machten, um ihre Mission zu erfüllen. Sie grinste nun abermals breit, ehe ihr Blick zum Körper des Halbengels fiel. „Was soll ich mit dir machen? Dich als meine Trophäe behalten…?“, mit einem großen, schweren Schritt trat sie an Lyze heran, ehe sie finster lachte. „Ich denke… ich werde dich ebenfalls verschlingen!“, so wanderte ihr großer Arm über ihn – doch zuckte sie, kurz bevor sie ihn packen konnte, zurück. „Was- was ist das…?“, sie griff sich an den Bauch, „Ich fühle mich so- so-“ Plötzlich begann sie zu würgen. Die Königin ging in die Knie und krümmte sich, ehe sie heftig hustete. Ehe sie erbrach, hielt sie sich den Mund zu – trotz größter Mühe öffnete sie ihn schließlich doch: sie verspürte ein Stechen. Ein starkes Stechen am Gaumen, sodass sie vor Schmerz den Kopf hob. Im geöffneten Mund stand Siri, den Kristalldolch drohend gegen den Gaumen der Kreatur gedrückt und schien sehr erschöpft. Sie atmete schwer und war von der klebrigen, schwarzen Flüssigkeit der Kreatur bedeckt. Ehe die schwarze Königin, perplex zu Wort kam, schnaufte Siri: „Wer sagt… dass ein reiner Fenduskristall-Dolch… von außen in den Kopf gerammt gehört?“ Zwar konnte die Königin nicht deutlich sprechen, doch konnte man ihre Worte, bei ihren weit aufgerissenen, eisblauen Augen erahnen: „Nein! Du wirst doch nicht…!?“ „Sieh es ein, Frau Königin.“, Siri wischte sich über die Stirn, ehe sie beide Hände an den erhobenen Dolch legte – „Du wirst niemals über Desteral herrschen!“ – und mit all ihre Kraft den Dolch tief nach oben rammte, über den Anschlag hinaus. Die Königin, bereits in die Knie gegangen, brüllte auf, schlug wild um sich. Reaktionsartig packte sie noch Siri, warf sie in den Raum hinein – durch den heftigen Aufprall schrie Siri auf und krümmte sich anschließend. Doch trotz der Schmerzen sah sie hoch, zur Möchtegern-Herrscherin: vom Kopf aus an, begann sie zu schmelzen. Der Dolch verschwand restlos in der schwarzen Masse, färbte diese dabei glühend blau. Als der Spuk vorbei war und von der finsteren Königin nichts als eine blaue, geschmolzene Masse übrig blieb, begannen die restlichen Kreaturen in dessen nähe zu Staub zu zerfallen. Draußen, in der zerstörten Stadt, lief Mairon gerade mit lautem Kampfgeschrei auf eines der schwarzen Biester zu, welches gerade Tarrence zu Boden gerissen hatte. Ehe er bei ihm ankam, blieb die Kreatur versteinert stehen. Der Dämonen-Ritter stieß sie von sich – als sie zu Staub zerfiel. „Was-?“ Auch die Tiermenschen, die Engel und Dämonen wunderten sich, als ihre nervigen Gegner plötzlich, unberührt, zerfielen. Als es dann so still war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, begann der erste Tieranimo zu jubeln – als die Kollegen das sahen, machten sie kräftig mit. Die Dämonen brüllten, richteten siegreich ihre Waffen empor, während die Engel ebenso jubelten und manche sogar begannen zu tanzen. Erleichtert blickten die Herrscher, Alaphantasa und Vilior, auf Destercity hinab. Mit einem Blick, der ein „Wir haben es gemeinsam geschafft.“ ausdrückte, sah die Königin der Engel zu dem der Dämonen. Schließlich konnten die zwei nicht anders, als sich vor Freude zu umarmen. Avrial rutschte erleichtert die Schlossmauer hinab, bis er am Boden saß und sein Zylinder abnahm. „…Sie haben es geschafft. Gerade noch rechtzeitig.“ Siri konnte bisher noch nicht über den Sieg jubeln. Sie zitterte am ganzen Körper; wohl saß der Schock noch sehr tief. Schwerfällig versuchte die junge Frau sich aufzusetzen, was ihr irgendwie nur sehr langsam gelang. Sie stützte sich an der Wand, als sie mit rechtem Fuß aufstand und vor Schmerz wieder zusammenklappte – deutlich spürte Siri einen stechenden Schmerz im Unterschenkel. „Ah, verdammt-“, auf den Bauch gelegt, biss sie die Zähne zusammen und zog sich mit den Händen voran, erschöpft, bis sie endlich bei ihrem Freund ankam. „Lyze-“, die junge Frau stemmte sich auf ihren Ellbogen, klopfte mit der Hand an seine Wange. „Lyze… wach auf!“ Nach wie vor war kein Leben in ihm. „Komm schon!“, verzweifelt rüttelte sie an seinem Hemd, zuerst leicht, dann heftig. „Komm schon, los! Bitte!“ Nach einer weiteren Pause, rutschte sie erschöpft zur Seite. Siri legte den Kopf auf seine Schulter und seufzte tief – ehe ihre Hände zu den Augen wanderten und sie begann zu schluchzten. „Das darf doch nicht wahr sein-“, sprach sie mit zittern in der Stimme, „Das kann doch nicht wahr sein, das ist unmöglich…!“ Da kugelte sie sich erneut auf die Seite und stieß den Kopf auf seine Brust. „Nun wach schon auf, du dummer Engel! Was soll das, du kannst mich doch nicht alleine lassen! Hörst du, du sollst aufwachen! Waaaach aaaauuf!“, schließlich schluchzte sie erneut laut auf. Der jungen Frau rannen die Tränen hinab. Immer noch wollte sie nicht wahrhaben, was direkt vor ihr lag. Schließlich schluchzte sie ein letztes Mal auf, schloss die Augen und kuschelte sich an Lyze heran. Da hörte sie etwas. Ein leises schlagen, innerhalb seiner Brust. Es war flach und kaum hörbar. Da riss es Siri hoch: ungläubig und doch glücklich, begann sie ihre Hände auf seinen Körper zu drücken. „Bei Desteral, wach auf, Lyze! Du musst Atmen-“ Sie drückte immer wieder zu. „Atme!“ Schnell zu seinem Gesicht gewandert, blies sie ihm tief Luft durch den Mund und drückte anschließend an seine Brust. „Atme! Atme, nun mach schon!“ Als Siri den Vorgang wiederholte und erneut die Hände auf ihn stemmte, vergaß sie dabei regelrecht, dass sie selbst große Schmerzen hatte. „Atme verdammt, aaaaatme!!“ Da zuckten Lyzes Arme hoch, ehe er heftig begann zu husten. Stöhnend drehte er sich zur Seite und krümmte sich dabei. Siri saß eine ganze Weile neben ihm und war von ihrer eigenen Tat überrascht. So viel Pech wie sie hatte, rechnete sie eigentlich nicht damit, Lyze noch einmal lebendig zu sehen. Der Halbengel hustete abermals, bis er sich langsam zurück, auf den Rücken drehte und erneut stöhnte. „Was…“, er rieb sich die Augen, „Was ist passiert- w-wo ist die-?“ „Tot…“ „T-tot?“ „Ja…“ „Und- und die an-“ „Auch tot.“ „Sind sie mit ihr-“ „Ja.“ Lyze nahm langsam die Hände von den Augen und blickte hoch, zu Siri. Gerade, als er den Mund öffnete, schmiss sie sich weinend auf ihn. „LYZE!“ „Aaah- au aua au-“, ein wenig verkrampft zuckte er hoch, ehe er die Arme auf sie legte und seufzte. Siri ließ den Halbengel nicht so schnell wieder los. Sie kuschelte sich in seine Schulter und schloss die Augen. Nach einer Weile der Stille rutschte sie hinauf, zu seinem Ohr: „Mach das nie wieder, hörst du?“ „In Ordnung…“ Zahlreich waren die Opfer, die die Völker bringen mussten. Viele sind Gefallen, zum Wohle des Friedens. Es heißt, in der Stunde eines gemeinsamen Feindes, verbünden sich die einstigen Feinde untereinander. Wenn die schwarzen Kreaturen nicht aufzuhalten gewesen wären, wäre um einiges mehr als Desteral gefallen. Sogar das sonst so starke Dämonenvolk von Azamuth hatte mit der Zeit so seine Ängste bekommen. Nun, wo der Krieg, der gemeinsame Feind und das Leid besiegt waren, konnten sich die Völker endlich untereinander vertrauen. Sicherheit gab es nie; doch waren die Herrscher einig, dass wenn sie ein Problem mit jemand anderen hatten, nicht eine ganze Armee in die Schlacht führen würden, sondern es von Angesicht zu Angesicht regeln werden. Auf einer umgestürzten Säule saß Siri, als sich die Menschen, Engel, Tieranimos, Dämonen und ihre Freunde auf einen Fleck versammelten. Der Offizier trat vor und hatte dabei seine Mütze abgenommen. Als er vor ihr auf die Knie ging und danach die restlichen, versammelten Menschen – Männer, Frauen, Kinder – verbeugten sich selbst König Vilior und Alaphantasa, um sie auf ihren Rang willkommen zu heißen. Auch Avrial, Akyu, Tarrence, Furah und Mairon gingen auf die Knie; nachdem Lyze damit angefangen hatte. „Lyze – was soll denn das?“, sie wank nach ihm, „Komm her… und ihr hört auf damit, das ist doch albern!“ „Eure Majestät-“, der Offizier sah leicht zu ihr auf, nachdem Lyze an ihre Seite kam. „Wie soll es nun weiter gehen?“ Die Stirn überlegend zusammen gezogen, blickte Siri zu Boden. Schließlich schüttelte sie dem Offizier den Kopf zu: „Gar nicht.“ „W-wie meinen?“ „Ihr habt den Laden fast zwanzig Jahre ohne mich geschmissen. Ihr braucht mich doch gar nicht.“ „Aber- aber eure Majestät-!“ „Ich will, dass ihr erfahrene Leute aus euren Reihen wählt. Mindestens fünf an der Zahl. Sie sollen gemeinsam mit dem Volk entscheiden und sich so für die Rechte einsetzen.“, sie lächelte zu Lyze, „Die Stadt ist nichts für mich. Ich weiß, wo ich hingehöre.“ So ihr Wille, geschah es. Die Menschen verbreiteten die frohe Botschaft, dass Destercity befreit wurde. In Massen zogen sie schon bald zurück, in ihre Heimat. Auch die Tiermenschen, Dämonen und Engel zogen ab, siegreich, in ihr eigenes Land. Viele freiwillige Helfer blieben noch lange zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Auf dem Weg zurück nach Ikana, gemeinsam mit ihren Freunden, begann Avrial zu sprechen: „Nun… was habt ihr jetzt vor?“ „Also ich weiß nicht, was ihr macht…“, Furah stemmte stolz die Hände in die Hüfte, „Aber ich werde in den Wald zurückkehren… nachdem ich die Familie meines Bruders besuchen war!“, bei seinen Worten, legte Mairon eine Hand auf seine Schulter. Akyu ging immer noch weit entfernt vom dunklen Magier, weit ab, bei Lyze und Siri, die mit Gipsbein auf einer Krücke ging. „Wir werden Aira holen und nach hause gehen.“, lächelte Lyze. „Zuerst sollten wir eure Tochter nach hause schicken.“, so Avrial. „Natürlich, sie brennt sicher schon darauf, in ihre eigene Zeit zurück zu kehren. Sag Avrial – was wirst du jetzt machen?“ „Ach…“, er seufzte erleichtert, „Zuerst mache ich mir eine ordentliche, heiße Tasse Tee – die habe ich mir wohl verdient.“ „Und danach?“ „Danach – ich weiß noch nicht.“, er hob die Schultern, „Vielleicht arbeite ich an einem meiner Projekte weiter.“ Bei seinen Worten wusste Siri, schmunzelnd, ganz genau, wovon er sprach. „Weißt du, Siri…“, begann Lyze, „Ich habe mit Akyu geredet. Wir haben gemeinsam einen Plan ausgearbeitet – wenn sein Freund auch einverstanden ist, werden wir uns vielleicht auf die Suche nach dem Mörder ma-“ „NEIN!“ Bei Siris lauten Tonfall, sahen die Freunde überrascht in ihre Richtung. Besonders Lyze und dessen großer Bruder waren ein wenig zurück geschreckt. „Nein-“, sie fasste sich verlegen an den Nacken, ehe sie lächelte. „Entschuldigt, so war das nicht gemeint. Es ist nur – haltet ihr das wirklich für eine gute Idee? Das wird Jahre brauchen und ob ihr ihn jemals finden werdet, wisst ihr auch nicht!“ Lyze senkte den Kopf, schmunzelte seiner Freundin aber dennoch zu: „Du weißt schon wieder von etwas, das wir nicht wissen… habe ich recht?“ „Viiieelleicht?“ „Dann lassen wir es gut sein.“ Siri sah ihn bei seinen Worten ein wenig überrascht an. Sie dachte nicht, dass es so einfach sein würde, ihn zu überreden. „…Wirklich?“ „Wirklich.“ „Bleiben wir… in eurem Familienhaus?“ Lächelnd reichte der Halbengel ihr die Hand, ehe sie weitergingen, der etwas voran gegangen Gruppe nach. „Solange wie nur möglich.“ Fast ein Jahr zog ins Land, da fand eine der bekanntesten Hochzeiten Desterals statt: die Vermählung von Salieri Desteral, die freiwillig auf ihren Thron verzichtete, um bei ihrer großen Liebe, weit abseits der Stadt zu leben. Furah verbrachte noch viel Zeit im Hause seines Bruders Mairon, dessen Frau und ihrem Sohn Fendru. Auch, wenn er sich entschied, weiterhin in den Wäldern Desterals zu leben, so versprach er ihn, sie mindestens einmal im Monat zu besuchen. Akyu war zurückgekehrt, ins Tal des Sonnengebirges, wo bereits voller Sorge sein Lebenspartner auf ihn wartete. Zwei Jahre später entdeckten angesehene Wissenschaftler, im Namen der neuen, sechs ausgewählten Politiker, eine umweltschonende Energiequelle. Schon bald sollte es wieder Elektrizität in großen Städten geben. Avrial war, trotz der Tatsache, als einziger im Schloss von Ikana zu leben, nicht länger alleine. Er vollbrachte sein Meisterwerk, auf das er Jahre lang hingearbeitete hatte: eigenständig entwickelte er einen starken Zauber, um verlorene Seelen zurück auf die menschliche Ebene zu holen. Zehn Monate danach war Limiu Noshyru, das Kind der Weisheit geboren. Sie wuchs im grünen auf, wie ihr Vater und Großvater einst. Aira blieb noch lange im Familienhaus der Noshyrus, bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr. Seit dem Tag Limius Geburt zogen zwölf Jahre in das Land, als sich eine dunkle Aura erneut um das Haus der Familie Noshyru legte. Die Zukunft, die nie geschehen war und damit die Vergangenheit, die nie aufgespürt wurde, holte die Familie ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)