Myth, Story, Legend von Ireilas (Kurzgeschichten aus Desteral) ================================================================================ Kapitel 21: Märchenmond - Happy Birthday, Sunny! ------------------------------------------------ Es war einmal... ein goldblondes Mädchen mit braunen Augen. Sie besaß nicht viele Sachen und wohnte bei ihrer Stiefmutter. Nicht, weil die Familie so arm war, aber irgendjemand musste ja putzen. Sie aß von dem, was übrig blieb und zog die Kleider an, die ihre großen Stiefgeschwister nicht mehr wollten. Wieso sie nicht einfach auszog? Weil die Jobchancen miserabel waren. Wobei auch fast niemand Schuhputzer benötigte. Wirklich. Die standen an jeder Ecke. Als die Familie eines Samstags gemeinsam shoppen war, kaufte sich ihre ältere Stiefschwester einen roten Mantel. Er war so strahlend rot, dass man meinen könnte, wenn man ihn ansieht geht die Sonne auf. Oder unter. Je nachdem. So rot, dass alle anderen rotfarbenen Kleider dagegen blass aussahen – und genau das störte die Schwester gewaltig. Sie hatte den Mantel zwei mal getragen (einmal auf dem Heimweg und einmal bei der krassen Feststellung) und danach nicht mehr angesehen. Das goldblonde Mädchen nutzte diese Chance und hatte das erste Mal seit langer Zeit einen strahlenden, neuen Mantel. Sie trug ihn überall wo sie hinging. Von da an war sie in der ganzen Umgebung als Rotmäntelchen bekannt. Sehr zu Gunsten der Stiefmutter. Denn den gestiegenen Bekanntheitsgrad nutzte sie schamlos aus: Rotmäntelchen musste Botengänge erledigen und durfte sich nicht über die Ware beschweren, egal was es war. Der einzige Trost den sie hatte war, dass sie sich jedes Mal ein paar wenige Münzen vom Gewinn heimlich einsteckte. Irgendwann konnte sie dank des Geldes ausziehen, so ihre Gedanken. Eines Tages kam ein neuer Auftrag herein. Ihre Stiefmutter hatte ihr einen Korb mit einer großen Flasche Wein auf das Bett gestellt. Liebevoll wie sie war, zeigte sie auf die Ware. „Das da muss noch heute durch den finsteren Wald, auf die andere Seite des Sumpfes, hinter dem versperrten Nebelschloss, zu einer alten- äh, Frau gebracht werden. Und beeile dich, wir heben dir Pissnelke nichts vom Abendessen auf. Und es gibt... Schokopudding als Nachttisch!“ Oh man, Schokopudding! Selbstverständlich wollte Rotmäntelchen das Abendessen um nichts auf der Welt verpassen. So gab sie ihrer Stiefmutter das Wort, rechtzeitig zuhause zu sein. „Das hoffe ich für dich. Sonst kannst du die Nacht mal wieder im Kuhstall verbringen, da wir die Tür absperren, wenn es Finster wird. Und keine deiner Schwestern hat Lust, extra für dich aufzustehen.“ Nach einem mütterlichen Schubser aus dem Hof, ging Rotmäntelchen ihrer Wege. Sie hatte ein fröhliches Liedlein im Kopf und hopste mit dem Korb voll Wein den Weg in den finsteren Wald. Wieso er ausgerechnet diesen Namen trug, wusste sie bis heute nicht. Denn so finster war er gar nicht. Nur sehr dicht. So ums verrecken dicht, dass man besser nicht vom markierten Trampelpfad abkam. Rotmäntelchen setzte sich ihre Kapuze auf, sodass nur Strähnen ihres goldenen Haars heraus hingen. Sie war in Gedanken versunken und summte nebenbei Geistesabwesend das Liedlein aus ihrem Kopf. Es war kein besonderes Lied – jeder aus dem Dorf kannte es. Es war der große Sommerhit, der typisch Eintagesfliegenhaft im Herbst bereits wieder vergessen sein würde. Und im nächsten Frühjahr würde jeder die Augen verdrehen, sollten sie das Lied noch einmal hören. Da es, wie üblich, mit der Zeit sehr nervig werden konnte. Als Rotmäntelchen außer dem tapsen ihrer Füße noch ein weiteres Geräusch vernahm, blieb sie stehen. Anstatt zur Sicherheit los zu laufen. Vorsichtig blickte sie hinter sich, den Weg entlang, den sie gekommen war – doch konnte sie niemanden sehen. Auch sonst war das Geräusch verschwunden. Vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet? So hob sie kurz ihre Schultern, ehe sie weiter den Weg entlang hopste. Als dann doch ein Tier aus dem Gebüsch gesprungen kam, ließ Rotmäntelchen den Korb fallen und nahm eine Art Kampfpose an, von der sie selbst nicht wusste, was das eigentlich soll. „Oh.“, sie lockerte sich, als sie einen harmlosen, knurrenden Wolf vor sich sah. Er war fast doppelt so breit wie Rotmäntelchen und versperrte dementsprechend den ganzen Pfad vor ihr. Sein Fell leicht zerzaust und schwarz, bis fast dunkelgrün, starrte er das Mädchen mit seinen stechenden, gelben Augen an. „Na, Süße? Wohin so eilig?“ Das Mädchen blinzelte. Hatte der Wolf sie gerade 'Süße' genannt? „Durch den finsteren Wald, lieber Wolf. Auf die andere Seite des Sumpfes, hinter dem versperrten Nebelschloss, zu einer alten- äh, Frau. Und mein Name ist nicht Süße, sondern-“ „Ich nenn' dich einfach Rotmäntelchen.“, der Wolf grinste dabei bis über beide Ohren, sodass seine großen, spitzen Zähne gut sichtbar waren. „...Ganz allein? Weißt du nicht, dass gefährliche Raubtiere hier im finsteren Wald ihr Unwesen treiben?“, er machte dabei eine Bewegung, als sei es die Ausgangspose für einen Absprung. „Doch, Ma' hat mich vor ihnen gewarnt.“, das Mädchen sah überlegend nach oben, „Hasen, Rehe und Rebhühner soll ich meiden, die können sehr schnell sein. Füchse, Wölfe und Wildschweine sind ok.“ Der Wolf sank trocken den Blick. „War das nicht eher umgekehrt..?“ „Mmmmmmmmh...“, Rotmäntelchen schüttelte den Kopf, „Nein.“, und lächelte freundlich. Nach einem ungläubigen Blick grinste der Wolf nun wieder. „Da kann man nichts machen. Ich werde dir auf die 'Sprünge' helfen!“ Schon im nächsten Moment stürzte sich der Wolf auf Rotmäntelchen. Sein Gebrüll klang dabei eher wie ein verrücktes Lachen, als ein Kampfschrei. Das Mädchen wich schützend zurück und kniff die Augen zu – doch als sie wieder hinsah, war der Wolf weg... und mit ihm der Korb! „HEH!“, Rotmäntelchen, darauf erpicht auf dem sicheren Weg zu bleiben, kam vom Pfad ab und folgte den vor ihr raschelnden Sträuchern. Immer tiefer durch den finsteren Wald jagte sie dem Wolf hinterher. Sie dachte in diesem Moment gar nicht daran, dass sie nachher auch wieder zurück musste. Gerade, als das Mädchen das Tier einholte und vor ihren Füßen laufen sah, stolperte sie über ein mitten im Gebüsch liegenden Stein. Was hatte der auch dort verloren? So mitten im Wald. Tolpatschig kippte sie nach vorne und packte, rein aus Reaktion, nach dem schwarzgrünen Fell des Wolfes. Er stieß noch ein „Nein, was machst du!?“ hervor, ehe er mit Rotmäntelchen den Abhang hinab gerissen wurde. Im Gegensatz zum Mädchen besaß der Wolf vier geschickte Beine, auf die er landen konnte und anschließend – während Rotmäntelchen mit dem Gesicht im Moos lag – sich taumelnd aus dem Staub machte. Als der Spuk vorbei war, war es still. Das Mädchen hörte keine Blätter rascheln und auch keine Vögel singen. Keine Nagetiere fiepen und keine Würmer pupsen. So still, dass Rotmäntelchen ihren Magen verdauen hat hören können. Und ein Atmen. Ein leises Atmen, dass allerdings nicht von ihr kam. Fragend hob sie den Kopf aus dem weichen Moos und erblickte einen geschliffenen, massiven Stein vor sich. Er war rechteckig und an den Seiten verziert, was darauf schließen ließ, dass er von Menschen bearbeitet wurde. Rotmäntelchen kam langsam auf die Beine zurück und klopfte sich ihre Knie ab. Ehe sie sich dem fast schon Schrein-artigen Stein näherte, griff sie nach dem Korb mit Wein, den der Wolf auf seiner Flucht stehen hat lassen. Da lag doch tatsächlich eine junge Frau auf dem flachen Stein – das leise Atmen stammte von ihr. Rotmäntelchen näherte sich ihr vorsichtig. Sie beugte sich über und bewunderte ihre reine, blasse Haut. Ihr langes Haar und Kleid, so weiß wie Schnee. Katzenohren und Schweif so schwarz wie Ebenholz, ebenso die Nase. Als die Katzenfrau ihre Lieder hob, blickte Rotmäntelchen in tiefblaue Augen. Während das Mädchen staunend lächelte, veränderte sich der ruhige Blick der Frau zu einer fragenden Miene. „Rotmäntelchen...? Was machst du denn hier?“ Rotmäntelchen trat ein wenig zurück und wartete, bis sich die Katzenfrau aufsetzen konnte. „Das könnte ich dich auch fragen-“, sie deutete lächelnd auf sich, „Du kennst mich?“ „Ja, ich habe Gerüchte über ein Mädchen mit rotem Mantel gehört, welches Botengänge erledigt.“ „Du kommst mir auch bekannt vor.“, sie lächelte erneut, „Und jetzt weiß ich auch, wieso: Du bist Schneeröschen, das Supermodel aus dem weiten Norden! Und was tust du hier?“ „Nun gut, ich fange an.“, Schneeröschen entgegnete ihr freundlich. „Ich warte auf meinen Freund, Sir Toony von Fuchsstein. Er sollte mich eigentlich abholen... aber dann wurde ich müde und habe mich schlafen gelegt. Ich dachte, er würde mich wecken, wenn er hier ist.“ „Wie lange wartest du denn schon?“ „Welchen Tag haben wir heute?“ „Den neunten.“ „Dann drei Tage.“ „Du liegst seit drei Tagen hier und wartest auf deinen Freund?“, Rotmäntelchen schüttelte ungläubig den Kopf. „Du verstehst das nicht. Bis jetzt ist er immer gekommen! Immer.“, nun senkte Schneeröschen ihren Blick, „...Bis auf heute.“ „Vielleicht... hat er sich verlaufen? Aus welcher Richtung sollte er denn kommen?“ „Die, in der das versperrte Nebelschloss liegt.“ „Oh, aber dann hast du Glück!“, Rotmäntelchen lächelte regelrecht energisch, „Ich muss durch den finsteren Wald, auf die andere Seite des Sumpfes, hinter dem versperrten Nebelschloss, zu einer alten- äh, Frau. Wieso begleitest du mich nicht, bis du deinen Freund siehst? Dann kann er sich auch nicht mehr verlaufen!“ „Eine gute Idee!“, Schneeröschen stand vom gemeißelten Stein auf, „Jedenfalls besser, als zu warten.“ „Jap. Nochmal drei Tage.“, das Mädchen kicherte. So ging Rotmäntelchen den Abhang hinauf, zurück auf den vorgegebenen Pfad und war nicht mehr alleine. Wenn nun der böse Wolf auftauchte, konnten sie zu zweit Steine nach ihm werfen. Oder spitze Schuhe. Ihr Weg durch den finsteren Wald endete an einem Schild mit der Aufschrift: „Vorsicht, Sumpf: Rutschgefahr!“ Abgesehen davon, dass es rutschig war, war es matschig und dreckig. Es gab zwar einen schnell gepflasterten Weg, doch dieser endete so manches Mal in einer Schlammpfütze. Rotmäntelchen und Schneeröschen gingen ohne zu Reden hindurch. Zum einen waren sie fasziniert und erschaudert zugleich, was die vielen, von Ranken umschlungenen Bäume, die ihre hängenden Blätter in das Sumpfwasser eintauchten, anging. Zum andern hörten sie gequake. Viel gequake. Kröten und Frösche, so laut durcheinander quakend, dass die ganze Luft von dem Gerufe erfüllt war. Glubschige, gelborangene Augen starten sie von den kleinen Tümpeln und Teichen rund um den Pfad an. Manche verschwanden beim Hinsehen blitzartig im trüben Gewässer – dass jemand den Sumpf kreuzte, kam nicht allzu oft vor. „Sieh dir den mal an.“, Rotmäntelchen kicherte, „Der wird Huckepack getragen!“ „Rotmäntelchen... die paare sich.“ „...Oh.“ Schneeröschen lächelte. „Wusstest du das nicht? Die Frösche rufen nach Partnern, um sich zu paaren. Danach legt das Weibchen Eier in seichtem Wasser ab und darauf schlüpfen die Kaulquappen.“ „Kaulquappen?“ „Ja, das sind sozusagen Babyfrösche. Sie sehen ähnlich aus wie Fische und atmen keine Luft, bis ihnen Beine wachsen.“ Rotmäntelchen sah sie ungläubig an. „Das hast du jetzt aber erfunden.“ Ihre neue Freundin musste darauf kichern. „Nein, es stimmt! ...Habt ihr in eurem Dorf keinen Teich?“ „Ähm... doch, schon...“, man sah dem Mädchen ihre Verlegenheit an. „Aber ich bin bis vor einer Woche nicht allzu oft draußen gewesen.“ „Du wurdest festgehalten, stimmts?“ „Ein wenig... ja.“ Schneeröschen, die einen Arm um die Schulter des Mädchens legte, nickte verständnisvoll. „Ich weiß, wie das ist. Als Kind wurde ich von meinem Onkel wie Porzellan behandelt. Ich durfte nicht einmal alleine aufs Örtchen.“ „Und was hast du dagegen getan?“ „Ich bin abgehauen, startete eine Modelkarriere und angelte mir einen Adelssohn.“ „Oh.“, Rotmäntelchen blinzelte, „Aber ich dachte, du bist selbst aus reichem Hause?“ „Das stimmt auch. Aber ich pflege keine so gute Beziehung mit meinem Onkel.“ „Irgendwie verständlich.“ Als ein Ruf ertönte, mehr Menschlich als ein Quaken, sahen beide auf. Schneeröschens Katzenohren waren gespitzt, erpicht darauf, den Ursprung des Rufes zu finden. „War das ein Frosch-?“, Rotmäntelchen wurde von ihr unterbrochen, als der Ruf erneut zu hören war. „Ich glaube nicht.“, war die Antwort, „Es hört sich eher... wie ein 'Hilfe' an.“ Nun sah das Mädchen auf. „Ist jemand in Schwierigkeiten?“, sie schreckte sich, „Vielleicht steckt jemand im Sumpfwasser fest!?“ „Dort lang!“, Schneeröschen zeigte sofort in die Richtung, aus der der Ruf zu hören war, ehe die zwei losliefen. Er war erneut zu hören, lauter, je näher die Frauen dem Auslöser kamen. Kurz vor einem trüben Teich blieb Schneeröschen blitzartig stehen. Rotmäntelchen hielt so knapp vor dem Wasser an, dass sie mit den Armen rudern musste, um nicht hinein zu kippen. „Siehst du etwas?!“ Die weißhaarige Frau schüttelte den Kopf. „Nein...“ „Ich bin hier!“, eine männliche Stimme war zu hören. Nur wo? Beide sahen in alle Richtungen, allen voran über den Teich. „Hier unten!“ Nun sahen sie ihn: einen Frosch, mit einem gelben und einem blauen Auge. Beim Anblick des Tieres runzelten beide die Stirn. „Ein... Frosch.“, so Rotmäntelchen. „Ich bin kein Frosch! Ich bin ein Mensch!“ „Ein Frosch, der sich für einen Menschen hält.“ „Oh, ach ja?“, der Frosch pustete seine Backen auf und stützte seine langen Hände in die... Hüfte. „Können denn Tiere sprechen?“ „Der Wolf von vorhin schon.“ „Sag, kleiner Fro- Mann.“, Schneeröschen ging in die Hocke, „Hast du um Hilfe gerufen?“ „...Ja! Ja, das tue ich jeden Tag! Und ihr glaubt gar nicht, wie froh ich bin, endlich jemanden zu sehen.“ „Was ist denn passiert?“, wollte Rotmäntelchen wissen. „Eine böse Hexe hat mich verzaubert! Sie fand es witzig, dies in einem Sumpf zu tun... neben all den Kröten und Fröschen läuft für normal jeder an mir vorbei.“, er deutete auf Schneeröschens Katzenohren, „Zum Glück konntest du mich hören. Und... darf ich dir etwas anvertrauen?“, die Frau beugte sich, um den Frosch besser zu hören, „Wenn du mich küsst, verwandle ich mich in einen Prinzen. Als Dank werde ich dich gerne ehelichen.“ Schneeröschen kicherte verlegen. „Oh nein, lieber Frosch. Ich bin bereits versprochen, an Sir Toony von Fuchsstein.“ „Bitte verzeiht mir. Das sollte mir eigentlich klar sein, bei so einer Schönheit.“ Rotmäntelchen verdrehte die Augen. „Aber meine Freundin hier, Rotmäntelchen hat noch keinen.“ „Wie!?“, dem Mädchen schoss die Röte ins Gesicht. „Spinnst du!? Ich küss doch keine Frösche!“ „Wie schade...“, der Frosch sah traurig aus, „Dann werde ich für immer in dieser Gestalt bleiben.“ „Äh, nein, nein-“, nun versuchte das Mädchen, ihn zu beruhigen, „Vielleicht gibt es einen anderen Weg... mh, wie wärs, wenn wir diese Hexe suchen und sie bitten, dich zurück zu verwandeln?“ „Das wird sie wohl kaum machen...“ „Vielleicht ja doch. Manchmal tun Frauen etwas, weil sie beleidigt wurden. Und wenn ich eine Hexe wäre, würde ich das genauso regeln!“ „Äh...“, nun bekam es der Frosch mit der Angst zu tun. „N-na ja... bei so einem Temperament... wird sie den Zauber vielleicht wirklich zurücknehmen.“ „Wo lebt diese Hexe denn?“ „Auf der anderen Seite des Sumpfes, hinter dem versperrten Nebelschloss.“ „Das trifft sich aber toll!“, entgegnete Rotmäntelchen fröhlich. „Ich muss auf die andere Seite des Sumpfes, hinter dem versperrten Nebelschloss, zu einer alten- äh, Frau. Schneeröschen sucht ihren Freund, darum wird sie uns eine weile Gesellschaft leisten.“ „Oh- ok-“, ehe der Frosch zu Wort kam, nahm ihn Rotmäntelchen hoch und setzte ihn über ihren Kopf, auf die Kapuze. „Keine Angst, Herr Frosch. Wir sind in null-Komma-nichts aus dem Sumpf raus!“ „Sehr freundlich, vielen Dank. Ich hoffe nur, dass mir hier oben nicht schlecht wird...“ „Aaach. Ich bin kleiner als Schneeröschen. Wenn du wirklich ein Mensch sein willst, musst du dich daran gewöhnen.“, die Gruppe ging los, dem Ende des Sumpfes entgegen. „Aber ich bin ein Mensch!“ „Schon klar.“ Der Sumpf war doch etwas größer, als zuerst gedacht. Immer noch starrten sie die gelben Augen der Kröten und Frösche von überall an. Als Rotmäntelchen absichtlich eine hektische Bewegung vollführte und dabei „Buga buga!“ schrie, waren diese aber schnell verschwunden. Irgendwann änderte sich die Gegend allmählich. Auf dem matschigen Pfad krochen Nebelfelder und die Bäume veränderten ihr Erscheinungsbild, in finstere, Blätterlose Gestalten mit verdorrten, langen Ästen. „Na freundlich hier.“ „Wir sind am Weg zum Nebelschloss angekommen.“, entgegnete Schneeröschen. „Ich kann gar keine Sonne sehen.“, so Rotmäntelchen, die Sorgenvoll den Kopf schwang und damit auch den Frosch. „Ob es schon dämmert?“ Der Frosch gab sich mühe, sich festzuhalten. „Nein- mein Zeitgefühl sagt mir, dass es später Nachmittag ist.“ „Ui! Kein Wetter, sondern Tageszeit-Frosch.“ „Ich bin kein Frosch!“ „Sagt mal...“, Rotmäntelchen blieb gemeinsam mit Schneeröschen vor einer alten, verwachsenen Steinmauer stehen. „Wieso nennt man das eigentlich 'versperrtes Nebelschloss'?“ „Das riesige Tor ist versperrt.“, so Schneeröschens Antwort, „Niemand kann hinein...“ „Und wie zum Geier sollen wir dann auf die andere Seite?“ Da plusterte sich, stolz auf sein Wissen, der Frosch auf. „Dummerchen. Wir gehen natürlich rund herum, durch den stockfinsteren Wald!“ „Stockfinsteren? Ist der verwand mit dem finsteren Wald?“ „Was..?“ „Also ich geh nicht noch einmal durch einen Wald.“, Rotmäntelchen begann, die Steinmauer entlang zu gehen. „Da sitzt bestimmt wieder dieser gemeine Wolf, der mir den Korb klauen will. Oder noch schlimmer: Rebhühner.“ „Was..!?“ „Rotmäntelchen!“, rief Schneeröschen, die ihr eilig nachlief, „Was hast du denn vor? Willst du einbrechen?“ „Irgendwo gibt es bestimmt eine Ranke, oder so etwas.“, das Mädchen zerrte an einer mit der Wand verwachsenen Wurzel, ehe diese nachgab und herausgerissen wurde. „Oh.“ „Das ist Einbruch! Dafür könnten wir festgenommen werden.“ Das Model hatte nicht erwartet, so trocken von ihrer Freundin angesehen zu werden. „Ganz ehrlich. Ein so verwachsenes, versperrtes Schloss? Die Inhaber liegen bestimmt als ausgetrocknete Mumien vor dem Schachbrett.“ „Psst! Das sagt man doch nicht!“ „Schneeröschen, ist schon gut.“, beruhigte Rotmäntelchen, lächelnd, „Ich sage, ich bin es gewesen und nehme im Falle einer Festnahme die Schuld auf mich.“ Da war sie sich sicher. Da hörte man eine fremde, männliche Stimme. „...Wer ist da?“ „Schneeröschen war es!!“ „Rotmäntelchen!“ Allein der Frosch blickte nach oben und sah einen Mann am Fenster des Turmes stehen, unter dem die Gruppe stand. „Hallo! Verzeihen sie bitte! Sind Sie der Schlossbesitzer?“ Der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann brauchte einen Moment. „Ja, unter anderem.“, er musterte die seltsamen Reisenden, ehe er weitersprach. „...Wollt ihr in das Schloss?“ „Ja!“, so Rotmäntelchen. „Nein! Bloß auf die andere Seite.“, darauf Schneeröschen, die den Kopf schüttelte. „Machen Sie sich bitte keine Umstände.“ „Oh, ihr bereitet mir keine Umstände.“, der Mann lächelte freundlich, „Ich hatte schon lange keine Gäste mehr.“ Da verschwand er kurz und tauchte wieder mit einer Tasse auf. „Wollt ihr vielleicht einen Tee?“ Nun, schlussendlich, ließ sich auch Schneeröschen beruhigen. Sie sah durch die Runde, als ihre Freundin im roten Mantel mit den Achseln zuckte. Anschließend blickte sie wieder nach oben. „Uhm... gerne. Aber Sie müssen uns das Tor öffnen.“ „Das geht nicht...“, er sah sich kurz um und schien etwas zu murmeln, „Hm, ja, das sollte genug Zeit gewesen sein... wartet! Ich werfe euch etwas zum hochklettern zu!“ Während Rotmäntelchen, bereit zum Auffangen, die Arme ausstreckte, sah der Frosch durch die Runde. „Was meint er mit „das sollte genug Zeit gewesen sein...?“ Da fiel auf das Mädchen so viel schwarzes Haar hinab, dass sie es kaum halten konnte. „I-ist-“, stotterte Schneeröschen, völlig perplex von den Haaren, „Ist das- etwa alles- alles echtes Haar...?“ „Kommt herauf!“, rief der Mann, „Habt keine Angst. Das hält schon.“ Das Mädchen mit roten Mantel konnte sich kaum aus den Haaren befreien, da begann bereits der Frosch das Haar hochzuklettern. Sie selbst schob ihren Korb hinauf zur Schulter, „Wie lange ist der Typ denn schon da drinnen...?“, und begann zu klettern. „Keine Ahnung...“, Schneeröschen selbst beutelte sich ein wenig. „Aber es ist irgendwie widerlich.“ „Ach, das ist bestimmt gepflegt. Komm schon – es ist mit Sicherheit ein kürzerer Weg, als einmal durch den stockfinsteren Wald, um das ganze Schloss herum.“ „Ja... wahrscheinlich hast du recht.“ Der Katzendame blieb das Erklettern der Haare nicht erspart. Sie wartete noch, bis Rotmäntelchen etwas voran gekommen war und begann im Anschluss hinauf zu klettern. Oben angekommen, hob sich Rotmäntelchen mühselig über das steinige Fensterbrett, auf dem der Frosch saß. Er hatte den Weg mit Leichtigkeit geschafft. Obwohl er viel kleiner war. So kanns gehen. Der Mann stand in aller Ruhe im kleinen, runden Turmraum und trank seinen Tee. Nichts hatte auch nur den geringsten Anschein, dass das Beklettern seiner Haare anstrengend war. Denn ehe es den Turm hinab hing, lag das erste Stück auf dem Boden. „Verzeihen Sie...“, schnaufte das Mädchen, als sie der Mann unterbrach. „Oh, du musst Rotmäntelchen sein. Du bist in deiner Umgebung ziemlich bekannt.“ „Ich weiß.“, entgegnete sie ihm und zeigte etwas beleidigt zum Frosch. „Nur der da hat nicht von mir gehört.“ Der grüne Kerl plusterte seine Backen auf: „Natürlich nicht! Ich war die ganze Zeit im abgeschiedenen Sumpf!“ „Stimmt... entschuldige, als Frosch kommt man bestimmt nur schwer an Informationen.“ „Ich bin kein Frosch!“ Schneeröschen kam, endlich, im Anschluss hinauf geklettert. „V-verzeiht... ich habe ein wenig Höhenangst.“ „Oh! Nun erkenne ich Sie!“, der Mann lächelte begeistert, „Sie sind Schneeröschen, die hübsche Frau aus dem Norden!“ Die Katzenfrau kicherte verlegen. „Ganz recht... und Sie sind?“ „Nennt mich Avrunzel. Und, bitte, per Du wäre es mir angenehmer.“ Nach einigen Überlegungen runzelte Rotmäntelchen die Stirn. „Wie kann es sein... dass Si- du von uns gehört hast, obwohl du, wie das lange Haar verrät, sicher schon eine gefühlte Ewigkeit nicht das Schloss verlassen hast...? Sind Sie Magier?“ „Ja, auch.“, bestätigte Avrunzel. Er deutete hinter sich, wo an den Wänden, die gesamte Wand hoch, bis in das spitze Dach des Turms hinein, Bücherregale aufeinander gestapelt waren. „Ich lese sehr viel.“ „Und... da steht drinnen, wer wir sind?“ „Nein. Ich habe Zeitschriften abonniert.“ Von Rotmäntelchen und Schneeröschen waren gleichzeitig ein langgezogenes „Ooh.“ zu hören. „Einmal die Woche kommt ein Postbote vorbei und wirft mir Lesematerial hoch. Steve, netter Bursche.“, der Mann griff nach einer Teekanne, „Wollt ihr einen Tee?“ Auch wenn es Schneeröschen unangenehm war, musste sie das Angebot im Namen der Gruppe ablehnen. „Äh, nein... verzeih uns, aber wir sind eigentlich auf der durchreise.“ Auch, wenn das nicht allen gefiel: „Heh...! Ich hätte gerne einen gewollt!“, so Rotmäntelchen. „Sieh mal zum Horizont, Dummerchen.“, nun zeigte der Frosch aus dem Fenster. „Wenn wir vor Einbruch der Nacht am gesuchten Ort sein wollen, müssen wir uns beeilen.“ „Oh je, du hast recht... ich darf das Abendessen nicht verpassen!“ „...Solche niedrigen Ziele hätte ich auch gerne.“ „Also schön!“, Rotmäntelchen, in höchster Motivation, trat zur Tür des Turmraumes. „Avrunzel: sperr die Tür auf!“ „Das kann ich nicht.“ „Wieso nicht?“ „Der Schlüssel liegt auf der anderen Seite.“ Eine lange Stille breitete sich im Zimmer aus. Sie war, als hätten drei grasende Kühe gerade ein Schwein vorbeifliegen sehen. Genau so ungläubig sah die ungewöhnliche Reisegruppe aus der Wäsche. „Der Schlüssel... liegt auf der anderen Seite.“, wiederholte Schneeröschen. „Ja – wisst ihr, das ist der Grund, wieso ich euch das Tor nicht öffnen konnte.“ „Oh, ich wusste es...“, so die Katzendame, „Es war keine gute Idee, einen anderen Weg zu suchen. Nun sind wir in einer Sackgasse und kommen nicht weiter!“ Schneeröschen klagte noch ein wenig weiter. Über ihren Freund, der sicherlich furchtbare Angst hatte und die drohende Nacht, die die Suche mit Sicherheit erschweren würde. All dem hatte Rotmäntelchen nicht zugehört: sie hockte neben der verschlossenen Tür, starrte ein kleines Loch in der Steinwand an und rieb sich dabei das Kinn. Ihre Augen weiteten sich, als Zeitgleich ein lockeres Lächeln ihr Gesicht zu zieren begann. Zielstrebig sprang sie auf ihren Beinen hoch und schwang sich der Gruppe entgegen. „Leute – ich habe die Lösung!“ Als das Model, der Frosch und der langhaarige Magier zu ihr sahen, grapschte sie schnell den kleinen, grünen Begleiter. Alle, die Augenbrauen besaßen, zogen diese nach oben, als Rotmäntelchen den Frosch durch den Mauerspalt drückte. „Lass mich los! Was tust du da!? Hilfe-!“, noch kurz die Hand in das Loch gedrückt, flutschte der Frosch auf die andere Seite, zum Flur. „So!“, meinte das Mädchen zufrieden, „Und nun hol uns den Schlüssel!“ „Bitte.“, fügte Schneeröschen an. Immerhin wollte sie, zugunsten der Gruppe, dass er auch zurückkam. Avrunzel, an seinem Tee nippend, nickte zufrieden. „Ich weiß zwar nicht, wo ihr diesen Frosch her habt, aber der Ideenansatz ist sehr gut.“ Leise gedämpft konnte man durch die Holztüre hören: „Ich bin kein Frosch!“ Rund vier Minuten dauerte es, dann kam der Nicht-Frosch mit dem Schlüssel zurück, wieder durch die Spalte. Als Avrunzel die Tür aufsperrte und aufstieß, genoss er es in vollen Zügen. Er atmete tief den Geruch des Schlosses ein und erfreute sich all des vielen Platzes. „Endlich! Nun lasst uns diesen Korb der alten- äh, Frau überbringen!“ „Und meinen Freund finden!“ „Und die Hexe zu meiner Rückverwandlung zwingen!“ „Oh, redet ihr von Tracalia?“, so Avrunzel. „Uhm... lebt sie hinter dem versperrten Nebelschloss...?“, fragte Rotmäntelchen, zur Sicherheit. „Aber sicher. Sie ist vor einem Jahr ausgezogen.“ „Dann, ja... bitte was, ausgezogen?“ „Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?“, der Mann lächelte freundlich, „Sie ist meine Schwester.“ Kurz kehrte die Stille, der grasenden Kühe, die ein Schwein vorbeifliegen sahen, zurück. Dann patschte sich der Frosch die Pfote in das Gesicht. „Das war ja so klar...“ „Avrunzel, könnten Sie uns zu ihr bringen?“, Schneeröschen fragte mit einer ruhigen Stimme. „Es scheint, als sei die Hexe und die alte- äh, Frau, ein und die selbe Person.“ „Oh, für eine so reizende Dame mache ich alles. Ich habe das Schloss so lange nicht verlassen... ich denke, ein kleiner Spaziergang würde mir guttun.“, er setzte sich in Bewegung und nippte an seiner Tasse, „Aber ich muss euch warnen: Tracalia ist eine schwierige Frau. Bereits als wir klein waren, wollte sie immer all das Spielzeug an sich reißen.“ „Jap.“, so der Frosch, „Das klingt nach der meinen gesuchten Hexe.“ „Wieso das?“, wollte Rotmäntelchen wissen, die den grünen Gesellen wieder auf ihrer Kapuze sitzen hatte. „Weil sie mich bedrängte. Sagte, ich sei 'zum Anbeißen' und solle ihr Freund werden. Was passierte, nachdem ich abgelehnt hatte, kann man sich ja denken.“ Ungefähr hundert Schritte gingen sie, hinter dem Schloss durch den stockfinsteren Wald. Er trug seinen Namen zurecht. Im Gegensatz zum finsteren Wald. Hier war die Luft von dunkler, blauer Luft erfüllt und die Nebelschwaden kreisten nicht nur am Boden. Die Bäume, welche bereits vor dem Nebelschloss so verdorrt und trostlos wirkten, waren hier noch viel unheimlicher. Avrunzel hatte teilweise eine Erklärung dafür. Ja, der stockfinstere Wald war beim Einzug des Nebelschlosses genauso hell und freundlich wie der finstere Wald. Doch als Tracalia begann sich zu verändern und immer habgieriger wurde, veränderten sich auch die Bäume. Ob das nun einen indirekten Zusammenhang mit ihrer Stimmung hatte, oder sie einfach La-Di-Da-Lust dazu hatte, einen Zauber anzuwenden, wusste er nicht. Rotmäntelchen blieb stehen, als Avrunzel und Schneeröschen plaudernd noch etwas weiter voran gingen. Sie drehte den Kopf und lauschte. „Was ist denn, Rotmäntelchen?“, frage der Frosch. „Hast du etwas gehört?“ „Ja...“, so die Antwort. „Es klang wie ein Knurren. Eventuell war es aber auch nur mein Magen.“, kaum setzte sie einen Fuß voran, um zu den anderen beiden aufzuholen, sprang ein Wolf aus dem Dickicht. Nein, DER Wolf! „Du schon wieder!“, Rotmäntelchen umklammerte den Korb, so fest sie konnte. „Ich will dir den Korb nicht stehlen.“, sein Fell schien sich kurz zu sträuben, „Folge mir.“, ehe der Wolf loslief, abseits des Weges in das Dickicht zurück. Das Mädchen blieb darauf noch kurz auf ihrer Position stehen. „Rotmäntelchen, willst du dem etwa folgen? Er frisst dich in einem Stück – und das sage ich nicht nur, weil ich gerade so klein bin.“ „Unsinn, er ist doch kein Reh.“ „Was?“ „Heh, Leute!“, Rotmäntelchen rief Avrunzel und Schneeröschen nach, „Kommt, wir müssen hier weiter!“ Beide liefen zurück zu ihr. „Wieso bist du dir so sicher?“, fragte die Katzendame, „Avrunzel kennt doch den Weg.“ „Ja, aber der Wolf sagte, wir sollen dort lang.“ Avrunzel nahm von seiner Tasse einen Schluck. „...Der Wolf?“ „Vertraut mir. So habe ich euch doch auch gefunden.“, Rotmäntelchen lächelte mit Glanz in den Augen. „Hat es jemals geschadet, vom geraden, einfachen Weg abzukommen?“ Das Mädchen sah durch die Runde und blickte in verwunderte Gesichter. Schließlich gab ihr Schneeröschen recht und nickte. „Also gut. Lasst uns dem Wolf folgen.“ So geschah es. Die Gruppe kämpfte sich durch das Dickicht, abseits des Pfades, welcher zum Haus der Hexe geführt hätte. Auf dem Weg hingen Spinnennetze in den Bäumen und schaurige Lianen schlängelten sich hinab, direkt über den Köpfen unserer Freunde. Alle konnten sie die Angst spüren, welche sich wie ein Schauer über den Nacken bis in die Zehnspitzen ausbreitete. Sie konnten nicht sagen, was dort lag, doch war die finstere Aura allgegenwärtig. „Na endlich.“, Da sprang der Wolf hervor und versetzte der gesamten Gruppe einen Schock. „Musst du uns so erschrecken?!“, Rotmäntelchen klopfte dem Wolf auf den Kopf, wobei er winselte. „Bemerkenswert. Der Wolf kann sprechen.“, so Avrunzel. „Ich doch auch!“, darauf der Frosch. „Ich bin kein Wolf.“, das Tier schien zu seufzen und senkte den Kopf. „Meine Name ist Furwrah. Tracalia hat mich verwandelt.“ „Oohh, du Armer.“, Rotmäntelchen streichelte ihn an der Stelle des Kopfes, den sie zuerst geklopft hatte. „Das Erklärt einiges. Ich meine, wieso du sprechen kannst und so.“ „Ich kann verdammt noch mal auch sprechen!“, nun sprang der Frosch auf der roten Kapuze auf und ab, „Und ich bin auch kein Frosch!!“ Da schoss aus dem Nichts ein heller Blitzstrahl vorbei, welcher direkt den aufgewühlten Frosch traf und ihn von Rotmäntelchens Kopf riss. Die Hände in das Gesicht geschlagen, ließ das Mädchen den Korb fallen und lief als erste der Gruppe dem kleinen Freund entgegen, welcher im dunklen Gras gelandet war, „Herr Frosch, oh nein!“, und sammelte ihn liebevoll in ihre Hände auf. „Oh bitte, öffne die Augen!“ „Was war das?“, so Schneeröschen, „Wo kam das her?“ Dies war das erste Mal, dass Avrunzel nicht an seiner Tasse nippte. „Tracalia.“ Ein schallendes, helles Lachen war zu hören. Wie man es sich eben von einer Hexe vorstellt. Nicht wie von einer alten Frau, aber leicht wahnsinnig. „Iiehhihihihi!“, die Hexe, welche so viel Unglück über die Gruppe brachte, tauchte in einer grünlichen Nebelexplosion vor ihnen auf. Ihre Haare, so schwarz wie die Nacht und kurz geschnitten, bis zu den Schultern. Augen, so grün wie das faulende Gift einer Schlange und Fingernägel, so dürr und lang, wie die einer- hm, Katze. „Aah, Avrunzel, mein lieber Bruder! Hast du es endlich aus dem Turmraum geschafft?“ „Das habe ich nicht dir zu verdanken.“ „Nein. Wieso sollte ich auch?“, sie zeigte ihm die kalte Schulter, „Es hat so lange gedauert, dich darin einzusperren.“ „Das warst du!?“, der arme Avrunzel ließ seine Tasse fallen, „Nein!“ „Doch!“, Tracalia lachte, „Ich sperrte dich im Turmraum ein und lies den Schlüssel am Gang zurück!“ Da schüttelte Schneeröschen den Kopf. „Wieso tust du sowas!?“ „Er hat es nicht anders verdient! Nie wurde ich auch nur einmal zu einem seiner Brettspiel-Abenden eingeladen!“, nun begann die Hexe das Model zu mustern. „...Und du. Du bist Schneeröschen, habe ich recht?“ „J-ja?“ „Ich denke, ich habe hier etwas, was einst dir gehörte. Oh, Schätzchen, kommst du kurz?“ Ein junger, gutaussehender Fuchsmann trat hervor. Er schmiegte sich an Tracalias Schulter und fragte liebestrunken: „Ja, oh liebste Herrin...?“ „Sir Toony von Fuchsstein!“, nun schlug Schneeröschen die Hände in ihr Gesicht. Beim Anblick ihres Freundes in den Armen der Hexe zerriss es ihr fast das Herz. Tränen begannen ihr das Gesicht entlang zu laufen, obwohl sie zeitgleich nicht wahrhaben vermochte, was ihre Augen sahen. „Liebster Toony! Bitte nicht...!“ Nun trat der Wolf vor. „Sieh dich an, Tracalia. So tief bist du gesunken.“, er knurrte regelrecht, „Nimmst dir, was nie dein Eigen war und zwingst es, zu bleiben.“ „Was geht dich das an, Furwrah?“, Tracalia stieß Sir Toony zur Seite, „Du hast hier nichts mehr zu melden. Wieso bist du überhaupt zurückgekehrt?!“ „Um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.“ „Welchem Wahnsinn denn?“, die Hexe lachte spöttisch, „Was willst du machen, in dieser Gestalt? Mich beißen?“ Rotmäntelchen, traurig den bewusstlosen Frosch in ihren Armen haltend, begann langsam zu verstehen. Ihre Stirn legte sich in Falten bei der Erkenntnis, dieser banalen, sinnlosen Chaotik. Entschlossen stand sie auf und ging auf die Hexe zu. Bis zu ihren Freunden. Weiter lieber nicht. „Jetzt verstehe ich! Du hast einfach eine völlig verdrehte Weltansicht!“ Tracalia zog die Augenbrauen zusammen. „Wie bitte?“ „Ja – sieh dich noch einmal um. Wenn ich das richtig sehe, war Furwrah dein Freund.“ Er nickte. „Als er dich beleidigte, oder sonst was-“ „Ich ging ihr auf die nerven.“ „Okay... also, als er dich nervte. Da hast du ihn in einen Wolf verwandet.“, sie sah zum Frosch herab, der friedlich zu schlafen schien, „Du hattest beschlossen, dir einen neuen Freund zu suchen und daher den netten Herrn Frosch bedrängt. Als dieser ablehnte, hast du ihn auch verwandelt – mitten in einem Sumpf!“ „Richtig!“, so die Hexe, die die Arme verschränkte, „Sonst lernt er es doch nie. Eine Frechheit, einfach eine Dame abzulehnen.“ „Und als du dann immer noch alleine warst, hast du dir den Freund von Schneeröschen geklaut!“ „Ganz genau!“ „Aber das tut man nicht!“ „Wieso denn nicht?!“ „Weil das Diebstahl ist!“, Rotmäntelchen überlegte kurz, „Genau genommen ist das Entführung, immerhin ist Sir von Fuchsstein-“ „Sir Toony von Fuchsstein!“, schluchzte Schneeröschen hinein. „Jaja. Er ist kein Objekt, also gib ihn Schneeröschen wieder.“ „Was – und ich soll erneut alleine sein? Das ich nicht lache!“, die Hexe lachte tatsächlich. „Aber das muss doch nicht sein.“, Avrunzel, der die ganze Zeit in aller Ruhe seine zerbrochene Tasse vom Boden aufgesammelt hatte, richtete sich auf. „Tracalia. Wieso hast du mir denn nie gesagt, dass du gerne an einem unserer Brettspiel-Abenden teilnehmen willst? Ich hätte dich gerne mit an meiner Seite gehabt. Schon als Kind warst du unschlagbar.“ Nun schien die böse Hexe perplex. „E-ehrlich...? So denkst du über mich?“ Der Mann lächelte. „Aber natürlich, liebste Schwester. Du gabst mir immer den Eindruck, den Spielabend im Nebelschloss nicht zu mögen... da haben wir uns in der Kommunikation wohl missverstanden.“ „Oh...“, Tracalia begann, ihre schmerzende Brust zu halten. Sie fühlte ein Stechen, doch zugleich eine Wärme, die sie einst nur vom Kennenlernen ihres Freundes, Furwrah kannte. „Ohh... Avrunzel...“, sie drehte sich der Gruppe entgegen, „Ihr... könnt ihr mich verzeihen?“ „Das, äh-“, Rotmäntelchen sah durch die verstörte, verzauberte Runde. Sich die Tränen wegwischend, nickte Schneeröschen. „Bitte, gib mir meinen Freund zurück... dann verzeihe ich dir gerne.“ Die Hexe nickte. Sogar überaus freundlich. So freundlich, dass der Wald ein kleines bisschen heller schien. Und Sir Toony von Fuchsstein? Er blickte mit einem Mal auf und wusste nicht, wo er war. Doch er erkannte Schneeröschen und schloss diese sofort in seine Arme. „Liebstes Schneeröschen!“, rief er dabei. „Oh, liebster Toony!“, freute sich auch die Katzendame. Tracalia, positiv überrascht über das gute Gefühl in ihrer Brust, etwas richtig gemacht zu haben, sah zu den anderen. „Und was kann ich für euch tun?“ „Bitte-“, meinte Rotmäntelchen. „Bitte, verwandle Furwrah und Herrn Frosch zurück!“ „Oh... das.“ „Oh... was?“ „Die Sache ist die...“, beschämend rieb sich die Hexe am Nacken, „Ich kann Menschen in Tiere verzaubern, aber keine Tiere in Menschen.“, dabei sah sie zu ihrem Exfreund, dem Wolf. „Ist das ein Problem für dich?“ „Spinnst du?“, er grinste bis über beide Ohren. „Du hast mich so oft reden hören, wie sehr ich Wölfe beneide. Ein Leben ohne vier Pfoten kann ich mir gar nicht mehr denken!“ „Ja, aber-“, traurig sah Rotmäntelchen zum Frosch hinab, „Dann wird sich der Wunsch für Herrn Frosch nie erfüllen.“ Tracalia, sich zum ersten Mal über ihre Schuld bewusst, schüttelte bestürzt den Kopf. „Es... es tut mir leid.“ Vielleicht war es besser so. Ein Leben als Mensch konnte sehr anstrengend sein. Insgeheim dachte das Mädchen sich, den bewusstlosen Frosch mit nachhause zu nehmen. Zu ihrer liebevollen Familie. Dann wäre sie nicht so einsam und jemand könnte ihr beim Putzen helfen. Das Abendessen? Das hatte Rotmäntelchen völlig vergessen. Was ist schon ein Abendessen und eine Nacht im Stall, im Gegensatz zu einem Schicksal als Frosch...? Sie schniefte mit ihrem rechten Nasenloch und küsste, ganz vorsichtig, den Frosch auf die kleine Stirn. „Es tut mir so leid...“ Da rührte sich der Frosch. Er rührte sich so schnell, dass ihn Rotmäntelchen erschrocken fallen ließ: und er verwandelte sich! Er nahm seine ursprüngliche Form als Mensch an. Haare, so hell wie die Sonne, ein Hemd, wieder einmal so weiß wie Schnee, ein Auge, so blau wie das Meer und das zweite so schillernd Gelb wie- ach, was weiß ich. Rotmäntelchen, einen Kopf kleiner als Herr Frosch, blieb der Mund offen stehen. So wie jedem in der Gruppe. Da lächelte Tracalia, verschränkte verlegen die Arme. „Wisst ihr jetzt, wieso ich ihn anmachte?“ „Ich danke dir, Rotmäntelchen.“, Herr Frosch verbeugte sich tief vor ihr. „Ich habe das Versprechen gegeben, diejenige zu ehelichen, die mich von meinem Bann erlöst.“ „Auch mich?“, so die Hexe. „Nein.“, er sah das Mädchen mit rotem Mantel liebevoll an. „Du bist eine temperamentvolle, junge Frau. Du erzähltest mir, wie schwierig es in deinem Zuhause ist. Wenn es denn auch dein Wunsch ist, würde ich dich gerne mit in mein Königreich nehmen.“ „Du hast ein Königreich?“ „Das... erwähnte ich ganz am Anfang.“ „Oh. Ok, gerne.“ „So sei es.“ Tracalia, zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Taten, sah durch die Runde. „Und... was machen wir jetzt?“ „Nun...“, entgegnete Avrunzel, „Ich würde euch gerne zu einem Brettspiel-Abend einladen, mit Tee. Nur leider ist meine einzige Tasse zerbrochen.“ „Das macht doch nichts!“, Rotmäntelchen lief schnell zum Korb und holte den Wein hervor. „Oh, mein bestellter Wein!“, freudig klatschte Tracalia in die Hände, „Um mein neues Ich zu feiern – und meine psychisch angerichteten Schäden zu bezahlen – teile ich ihn gerne mit der Runde!“ Alle freuten sie sich. Schneeröschen mit ihrem Freund, Sir Toony von Fuchsstein, Avrunzel, mit seiner Schwester Tracalia, Furwrah, der als Wolf weiter auf die Pirsch gehen konnte und Rotmäntelchen, die ihr altes Leben gegen das, einer angeheirateten Prinzessin des Nachbarlandes eintauschte. Nie mehr musste sie Schuhe putzen, oder die alten Sachen ihrer Schwestern anziehen. Und der rote Mantel? Der kam als Symbol des Neuanfangs mit. Denn mit ihm hatte alles angefangen. Ende. „DAS war das dümmste Ende, das ich je gehört habe.“, Tracy schnaufte, ehe sie einen Stock ins Lagerfeuer warf. „Tracalia hätte diesen von Fuchsstein verbrennen sollen! Und was soll das mit dem einfach so von einem Brettspiel-Abend umkehren lassen?!“ Lyze, immer noch verwirrt von dem Märchen, sah vorwurfsvoll zu Siri. „...Wieso muss ich der Frosch sein?“ „So schlecht war das Ende nicht.“, Avrial lächelte, ehe er zufrieden aus seiner Tasse trank. „Etwas unwahrscheinlich, aber sehr schön.“ „Wieso muss ich der Frosch sein?“ „Ich fand es auch sehr schön!“, an ihrem weißen Haar spielend, kicherte Sunny in die Runde. „Na also.“, Siri lehnte sich, zufrieden mit ihrer Mission, am Baumstamm hinter sich zurück. „Sunny hat ihr Geburtstagsgeschenk gefallen – und das ist die Hauptsache!“ „Und wieso muss ich der Frosch sein?“ „Wolltest du lieber der Wolf sein, der nicht zurück verwandelt wird?“ Da huschte ein lächeln über Avrials violette Lippen. „Dass Furwrah ein Wolf blieb, gefiel mir am Besten.“ Die kleine Gruppe am Lagerfeuer lachte. Ihnen war klar, dass ihr Freund diese Stelle am meisten mögen würde. Sunny lächelte noch einmal in die Runde und nickte. „Vielen Dank, Siri. Danke auch an euch, für eure Geduld. Das war einer, meiner besten Geburtstage, die ich außerhalb von Zuhause verbringen durfte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)