Myth, Story, Legend von Ireilas (Kurzgeschichten aus Desteral) ================================================================================ Kapitel 9: 4. Neubeginn ----------------------- Es war ein sonniger Tag gewesen. Ein sonniger Tag, mit nur wenig Wolken und glänzendem Meer. Die Gischt spülte an den feinen Sandstrand auf und ab, als ob die hohe See atmen würde und mit jedem Luftzug die Insel Ikana umarmte. Da huschte eine kleine Krabbe aus dem Wasser, versteckte sich schnell bei einem Stein. Kaum setzte sie ihre Reise fort, wurde sie von einer hungrigen Möwe geschnappt und hoch in die Lüfte getragen. Die Vögel kreisten gemeinsam um den Strand, während die glückliche Möwe mit seinem Frühstück auf einem Fass am Steg platz nahm und begann in Häppchen zu fressen. Gerade hatte sie das letzte Stück geschluckt, flog sie, erschrocken durch den jungen Mann, der den Weg von einem angelegten Schiff entlang kam, hinfort – dabei fiel die leere Schale der Krabbe vom Fass, zurück ins Wasser, wo sie herkam. Der junge Mann hatte die Möwe nicht bemerkt. Er war damit beschäftigt, sich die neue Gegend, in der er sich befand, vertraut zu machen. Den Kopf nach rechts gedreht, betrachtete er durch sein gelbes Auge jedes noch so kleine Detail. Den Strand entlang waren nur wenige Häuser zu sehen. Ein einsamer Steinweg führte von den Docks aus in das Dorf von Ikana. Es war ein vornehmer Ort gewesen, der, verglichen mit dem Rest des Landes, momentan wie die Zivilisierteste Ansiedlung wirkte. Vielleicht hatte es den jungen Mann gerade deswegen auf die Insel verschlagen. Das, oder er versuchte sich abseits all seiner Probleme, so weit es nur ging, in den Norden zu flüchten. Kaum kam ihm das grinsende Gesicht seines einst besten Freundes in den Sinn, zuckte er zusammen; sein linkes Auge, welches verbunden war, fing wieder an zu Schmerzen. „Sir, wir legen jetzt ab.“ Schnell umgedreht – mit einer Hand das Auge zuhaltend – nickte der junge Mann freundlich dem Kapitän zu. Der graubärtige grummelnde, ehe er beim Anblick der Insel die Stirn runzelte. „Sind Sie sicher, dass Sie hier bleiben wollen? Transportschiffe, die zurück an das Festland von Desteral fahren, kommen nur einmal im Monat vorbei… wenn überhaupt.“ „Ich bin mir sicher.“, der junge Mann sprach im ruhigen Ton, „Es ist ein friedlicher Ort mit fleißigen Arbeitern. Ich hatte nicht vor, auf das Festland zurück zu kehren.“ „Na wenn das so ist.“, der Kapitän zog schmunzelnd seinen Hut, „Einen schönen Neustart wünsche ich, der Herr.“ Noch einmal lächelnd, nickte er dem freundlichen Seefahrer zu, ehe die Insel wieder seinem Blick galt. Er sah an den Wäldern vorbei, den Berg hinauf. Dort, weit oben, stand ein Schloss, welches sich erhaben in den Himmel streckte. Zu jener Zeit wusste der junge Mann nicht, wer aller in diesem Schloss lebte und das Sagen hatte; vielleicht würde er es auch nie Erfahren. Er ging davon aus, dass ein alter, mürrischer Fürst auf dem Thron saß und weit aus dem Hintergrund die Fäden der Insel zog. Gleich am nächsten Morgen suchte sich der Neuankömmling eine Arbeit. Da Ikana groß im Fischergeschäft tätig war, hatte er leichtes Spiel damit, bei den Docks als Helfer zu arbeiten. Zu seinen Aufgaben zählten Netze entwirren, Boote anbinden und Fische sortieren. Es war nicht viel, doch wurde er jeden Tag mit vier Nima bezahlt. Von dem wenig Geld konnte er seine momentane Unterkunft des Gasthofes bezahlen und sich seine erste, auf Ikana hergestellte, Kleidung kaufen. Fortan lief er mit einer schwarzen Hose, gleichfarbigen Stiefeln und einem weißen Hemd umher. Wenn es kühl bei den Docks wurde, zog er sich eine dunkle, ärmellose Weste über. Es war ein Dienstagvormittag gewesen, als sein Vorgesetzter ihm und einem mitarbeitenden Knaben den Auftrag gab, einen Wagen frischer Fische zu dem Händler, in der Mitte des Dorfes zu bringen. Leider hatte der Betrieb nicht viel Geld – der Gaul, der eigentlich den Wagen hätte ziehen sollen, war sehr alt und langsam. So mussten die zwei Helfer den Wagen anschieben und das Tier mit Karotten durch die Straßen locken. Während der Bursche, so gut es ging, den Gaul zum Gehen motivierte, versuchte der Neuankömmling den Karren anzuschieben. Zu der Zeit wusste niemand etwas von seiner Herkunft, geschweige denn von seiner Gabe für Magie. Der junge Mann hatte auch nicht vor, jemals damit aufzufallen; er konnte sich gut aus Kindheitstagen erinnern, wie er von Mitmenschen behandelt wurde – und so zivilisiert das Volk von Ikana auch war, hatte er keine Lust heraus zu finden, wie seine neue Heimat auf Magie reagieren würde. So kam es, dass eine Steinplatte am Boden aufwärts des Weges fehlte und der junge Mann in den Schlamm trat; keine Sekunde später rutschte ihm das Bein weg und der Wagen drohte über ihn zu rollen – allein mit Muskelkraft und mit Hilfe des Knaben, der die Karotte fallen ließ und den Wagen von vorne Festhielt, konnte der Wagen aufgehalten werden. Erleichtert von der Aktion, wischten die zwei sich den Schweiß weg. Während sich der junge Mann den Zopf seines schwarzen Haares neu band, lächelte der Knabe dem Neuankömmling zu und deutete auf ein kleines Haus, der Gasse entlang: „Wir haben es gleich geschafft, dort liegt das Geschäft des Händlers!“ „Wunderbar.“, entgegnete er ihm, „Dann lass uns schnell weiter, damit wir vor Mittag zurück beim Strand sind.“ Gerade nahmen die beiden fleißigen ihre Position beim Karren wieder ein, waren mehrere Pferdehufe zu hören. Die zwei sahen den Weg hinab, den sie durch das Dorf gekommen waren – ein Mann, hoch zu Ross, ritt den Weg voraus und rief mit lauter Stimme den schaulustigen Bewohnern entgegen: „Zur Seite Ikana-Volk, macht Platz für die Fürstin!“ Schließlich ritt er auch an den zwei Helfern vorbei, die schon bei seinem ersten Ausruf reagierten und die Idee gut fanden, den Karren mit dem Gaul auf die Seite der Straße zu ziehen. Gerade zog der Neuankömmling den Wagen das letzte Stück vom Weg, zu einer Hauswand, da ratterte die Kutsche mit dem Zweier-Pferdegespann vorbei. Beim Anblick des punktvollen Gefährts, sah er zu den offenen Fenstern des Wagens, in der die zu transportierende Person saß. Es gibt Momente, die ewig dauerten. Ewig, obwohl sie gerade einmal einen Bruchteil weniger Sekunden ausmachten – und genau dieser Moment, in dem die Kutsche am Neuankömmling vorbei fuhr, dessen Blick sich mit dem der jungen Fürstin traf, dauerte ewig. In Wirklichkeit fuhr die Kutsche, ohne langsamer zu werden, zügig an den beiden Anglerhelfern vorbei und verschwand so schnell hinter den nächsten Häusern, wie sie gekommen war. Vom Ereignis im ersten Augenblick erstarrt, schob der junge Mann den Wagen weiter an. Zwar merkte der Knabe, dass mit seinem Mitarbeiter plötzlich etwas nicht stimmte, doch ging er aus Höflichkeit nicht weiter darauf ein. Den ganzen Nachmittag dachte der junge Fremdling über die Begegnung nach. Ihn ging das Bild der Fürstin mit den goldenen Haaren einfach nicht aus dem Kopf. Er war unkonzentriert und machte ins Tau des Fischerbootes drei höchst fragwürdige Knoten, obwohl es doch einfach nur an den Steg gebunden gehört hätte. Auch wenn es nun am Horizont zu dämmern begann und sein Vorgesetzter den Feierabend einläutete – Fischer standen dafür sehr, sehr früh auf – arbeitete der junge Mann weiter. Ihm wurden zwei weitere Nima versprochen, wenn er dafür am Abend auf die Netze nahe dem Strand achtete. Manchmal verhedderten sich zur Dämmerung große Fische darin, die man nur zu einer bestimmten Zeit, weit draußen am Meer fangen konnte. So saß der junge Mann am Strand, starrte hinaus ins Wasser. Es war angenehm, einfach nur abwarten zu müssen – so konnte der Neuling wenigstens nichts falsch machen und gleichzeitig etwas seine Gedanken schweifen lassen. Seit nun einer Woche lebte er auf der Insel. Er hatte eine Arbeit gefunden und sich zum Ziel gesetzt, spätestens in einem Monat eine feste Behausung zu haben. Zwar müsste er diese Mieten, aber er hätte wenigstens mehr als nur ein kleines Gastzimmer für sich; außerdem waren die Mieten zurzeit nicht hoch und damit leistbar. Da bewegte sich etwas. Der junge Mann stand vorsichtig auf, als er im seichten Wasser das verhedderte Netz sah, in dem ein dicker Fisch wild umher schlug. Sofort watete er durch das Wasser – seine schwarzen Stiefel gingen nicht umsonst bis zu den Knien – und zog an dem Netz, indem sich der Fisch befand. Durch die vom Fisch ausgelösten heftigen Wellen und der aufgewühlten Erde, sah er nicht, wo sich nun der gefangene Fisch aufhielt. Es dauerte nicht lange und er zog an der falschen Seite des Netzes; im nächsten Moment sprang der Fisch aus dem Netz, auf und davon, ins offene Meer. Kurz sah er dem Tier nach, wie es in die Freiheit entkam, dann ließ er das Netz zurück ins Wasser sinken, um anschließend schwer zu seufzen… Als der junge Mann, über seinen Misserfolg verärgert, seinen Blick über das Meer schweifen ließ, entdeckte er ein großes Handelsschiff bei den Stegen anlegen. Zuerst fragte er sich, wie er etwas so großes übersehen konnte, anschließend, was ein Handelsschiff zu dieser späten Stunde denn hier mache. Vielleicht hatten die Händler sich verfahren und legten nur kurz auf Ikana an. Eventuell waren sie auch seit Tagen auf hoher See und suchten nun dringend eine Pause? Der Neuling blieb eine ganze Weile im seichten Wasser stehen und sah zu den nahen Docks. Erst, als die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Horizont verzogen waren, beschloss er zurück zu seinem Quartier zu gehen. Morgen, so dachte er sich, hatte er vielleicht mehr Glück. So schlenderte er, müde vom langen Tag, den Strand entlang, zurück zum Steg. Als er die drei Holzstufen hinauf gegangen war, konnte er einen der Händler zum Schiff laufen sehen. Der Neuankömmling dachte sich zuerst nichts dabei, als zwei weitere am Nachbarsteg vorbei liefen und hektisch das Schiff zum Ablegen bereit machten. Als dann aber zwei Männer eine Frau, gefesselt und geknebelt, zum Schiff schleiften, blieb der junge Mann stehen. Er hatte keine Ahnung von den Sitten, Bräuchen und seltsamen Handelsabkommen der Insel, doch wusste er, dass Entführungen von Frauen definitiv nicht zu den Legalitäten von Ikana zählten. „Hey-!“, gerade hatte er sein erstes Wort zu den ‚Händlern’ gesagt, legte das Schiff auch schon vom Steg ab. Oben konnte man einen Mann bei der Reling lachen sehen; sie wussten, kein Mensch konnte sie jetzt noch aufhalten. Doch der Neuling war kein Mensch. Er hatte sich geschworen, seine Magie nie wieder einzusetzen… doch in diesem Augenblick gab es keine andere Möglichkeit. Natürlich hätte er die Entführer entkommen lassen können; doch was wäre er für ein neuer Bewohner Ikanas, wenn er das täte? So verzog sich seine Miene, ehe er die Fäuste entschlossen ballte. Er hob die Arme und richtete diese auf das davon segelnde Schiff – bei einem normalen Menschen sehe es verrückt aus, wenn er versuchen würde, mit seiner bloßen Willenskraft ein Schiff von seinem Kurs abzulenken. Bei dem jungen Mann jedoch machte es eine Linkswende, als er seine Arme befehlend nach links schwang. Es dauerte nicht lange und das Schiff samt Entführern fuhr unkontrolliert an dem sandigen Strand auf, ehe es zur Seite kippte. Bewohner von Ikana hatten den Vorfall der Entführung wohl schon früher gesehen – sie waren samt Soldaten der Fürstin zu den Docks gelaufen, ehe sie ungläubig auf das gestrandete Schiff starrten. Ehe die taumelnden Entführer entkommen konnten, wurden sie von den Soldaten festgenommen. Es stellte sich später heraus, dass es sich bei ihnen tatsächlich um Händler handelte… die Sklaven in anderen Länder verkauften. Während die Soldaten mit der Festnahme beschäftigt waren, lief der Neuling zum hinteren Teil des Schiffes, wo die gefesselte Frau im freien saß und auf Hilfe wartete. Kaum bei ihr angekommen, band er sie auch gleich los – als er feststellte, wer die entführte Frau war. „Ihr seid es…“, die Frau mit dem goldenen Haar sah ebenso überrascht in sein Gesicht. „Vielen Dank, Ihr habt mir das Leben gerettet.“ „Nicht der Rede wert.“, lächelte der Neuankömmling, ehe er seine Hand anbot, damit die Fürstin mit dem langen Kleid nicht stolperte. „Madam Yne!“, bei dem Ausruf des herbei laufenden Soldaten drehten sich beide in dessen Richtung: „Oh bei Desteral, zum Glück ist Euch nichts passiert! Wie oft habe ich nicht schon gepredigt, Ihr sollt nicht alleine bei Dämmerung durch das Dorf wandern? Ihr hättet verschleppt werden können!“ Die junge Frau musste kichern, nickte aber dann Schuldbewusst. „…Zum Glück hat es noch ein gutes Ende gefunden… dank ihm hier.“, dabei sah sie ihren Retter an, „Sagt, wie ist Euer Name?“ „Mein Name… ich heiße Avrial.“, er Neuling verbeugte sich dabei höflich. „So dann, Avrial... habt vielen Dank.“, der Außenseiter wusste nicht, wie ihm geschah: als sie mit ihren blauen Augen in seine sah, wurden seine Knie weich. „Ihr habt das Schiff mittels Magie vom Kurs abgelenkt… Ihr seid Arcaner, habe ich Recht? Eure gelben Augen verraten es.“ Die wenigen Schaulustigen, die sich um das umgestürzte Schiff versammelt hatten, fingen an unter einander zu tuscheln – selbstverständlich gefiel das dem Neuling gar nicht. „Madame, wir müssen aufbrechen…“, der Soldat machte schon einmal einen Schritt Richtung Straße. „Herr Avrial, noch einmal vielen Dank. Vielleicht laufen wir uns wieder über den Weg?“, sie verbeugte sich, „Bis dorthin… wünsche ich Euch einen schönen Aufenthalt in Ikana.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)